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Der Sand Ausgabe 3

Zeitung für Oberbarmen/Wichlinghausen und den Rest der Stadt

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Ausgabe 3

MITTENDRIN

DER SAND

Die Freiheit im Kiosk.

Und ihr Preis

Ein Rundgang durch die Welt der Büdchen in Oberbarmen und Wichlinghausen

Text: Hans-Dieter Westhoff · Fotos: Max Höllwarth

Kioske gibt es überall in Wuppertal, aber

Endlose Öffnungszeiten als Geschäfts-

mehr Shisha-Tabake gibt es beim Berliner

Marktführer. Bei M & E, McEck oder dem

wahrscheinlich nirgendwo so viele wie in

modell

Kiosk auf der Talachse. Überregional aktive

Kiosk Fröhlich gibt es lose Bonbons. Bei

Wichlinghausen und Oberbarmen. Es gibt

Unterstützt von sechs bis sieben Familien-

Spezialisten sind die Uzuns vom Bartho-Eck.

Bozan, Sural oder dem Bartho-Eck werden

sie an der Wichlinghauser und der Wittener

mitgliedern hält Erhan Sag diesen Kiosk rund

Hier gibt’s eine ganz Wand voller Clipper-Feu­

Spielzeuge vom Modell-Rennwagen bis zur

Straße, der Schwarzbach und der Westkotter

130 Stunden pro Woche geöffnet, 365 Tage

erzeuge – hunderte von Designs für Sammler

rosa Prinzessin Lillifee angeboten, und ein be­

Straße, aber auch mitten drin in den Wohn­

im Jahr, morgens ab sieben und mindestens

aus Nah und Fern. Kann man bei ihnen auch

sonderer Hit ist das Wasser-Eis bei Sural für

quartieren. Mindestens dreißig gibt es hier,

bis Mitternacht, am Wochenende auch länger.

im Internet bestellen.

10 Cent pro Portion. Fast ein Kinder-Spezial­

wahrscheinlich noch ein paar mehr.

Überhaupt sind die Öffnungszeiten ein wich­

Viele Kioske sind Paketshops, McEck

kiosk ist der von Frau Gülüm an der Wittener

Kösk oder Küsk ist der türkische oder

tiger Faktor für die Beliebtheit der Büdchen

und die Jungs von der Wichlinghauser Str.

Str. 16. Hier gibt es nicht nur lose Bonbons

persische Begriff für kleines Häuschen, und

im Quartier. Bei Saliha Sural in der Wichling­

6 für Hermes, Bartho-Eck für DHL oder der

und Spielsachen, sondern auch Schulartikel

nach diesem Vorbild nannte man hier vor 200

hauser Straße 54 ist die Tür zum Beispiel von

Kult-Kiosk von Shakan Asit an der Liegnitzer

und viele Kinderzeitschriften.

Jahren zuerst die vornehmen kleine Garten­

6 bis 22 Uhr offen, beim Berliner Kiosk an der

Str. 75 für GLS. Für Menschen mit Verwandt­

pavillons Kioske. Dass heute fast alle Kioske

Berliner Straße von 9 bis 3, am Wochenende

schaft im Ausland bieten Kioske Telefonkarten

Freiheit als selbstständige Kioskbetrei-

im Wuppertaler Osten von Migranten und

bis 4 Uhr, und bei Salih Bozan an der Breslauer

internationaler Betreiber an, zum Beispiel

ber:innen

ihren Kindern betrieben werden, hat gewiss

Straße 1 von 6 bis 23 Uhr.

der Berliner Kiosk oder Bozan an der Ecke

Für die Betreiber-Familien ist das ein zwei­

nichts mit dem südöstlichen Ursprung die­

Solche Zeiten kann nur bieten, wer eine

Breslauer/Wichlinghauser Straße. Außerdem

schneidiges Schwert. Mit den Geschäften –

ses Wortes zu tun. Aber bestimmt mit dem

Menge Helfer hat, fast immer aus der Familie.

werden bei Treffpunkt Lotto oder McEck

vom 2020er Lockdown abgesehen – sind die

Wunsch nach Selbstständigkeit und Freiheit.

Onkel, Schwager, Ehefrau und Kinder – alle

Geld transfer-Services angeboten. Damit kann

meisten eigentlich nicht unzufrieden. Aber der

helfen mit, damit die Kiosktür auch zu den

man Geld in die Ferne an Leute schicken, die

Preis für die kleine Selbstständigkeit ist hoch.

Aus der Fabrik in die Selbstständigkeit:

irrsten Zeiten offenbleiben kann. Danqi vom

kein Bankkonto haben.

Kioskbetrieb ist ein gefährliches Geschäft.

die kleine Freiheit?

Wichlinghauser Markt hat seine mithelfenden

Beim Kiosk-Sortiment kommt es auf die

Die nächtlichen Öffnungszeiten und das leicht

Saliha Sural hat es erst mit einem Döner­

Söhne Mento und Emil sogar im Kiosk-Namen

Lage an. Es gibt Hauptstraßen-Kioske, am bes­

weiterverkaufbare Sortiment von Zigaret­

laden probiert, bis er vor 13 Jahren den Kiosk

M & E verewigt. Dabei gibt es auch Überra­

ten an Bushaltestellen oder Kreuzungen, zum

ten und Spirituosen machen die Büdchen zu

an der Ecke Breslauer/Wichlinghauser Straße

schungen: An der Schimmelsburg 36 betreibt

Beispiel der Berliner Kiosk oder der von den

Opfern von Beschaffungskriminellen. Die

in einem leeren Ladenlokal direkt unter dem

das Ehepaar Ahilan Kamenthiram und Soru­

Sags an der unteren Wichlinghauser Straße.

Mehrzahl der Kioske ist in den letzten Jahren

Nordbahntrassen-Viadukt eröffnete. Oktay

poluxmy Ratnasingam den Kiosk McEck. Bis­

Hier dominieren die Laufkunden, die eben

Opfer von Überfällen und Einbrüchen ge­

Urzun war Metall-Facharbeiter, als er vor

her konnten sie die Öffnungszeiten von 8.00

ein Päckchen Tabak oder einen Schokoriegel

worden. Erhan Sag erzählt von maskierten

zwei Jahren in den Eckladen seines Bruders

bis 24.00 Uhr gemeinsam stemmen, aber jetzt

brauchen. Im Wohnquartier-Büdchen domi­

Räubern, Saliha Sural von gezogenen Waffen,

Engin an der Bartholomäusstr. 91 einstieg.

hat Frau Sorupoluxmy Vierlinge bekommen.

niert der Stammkunde, der sich dort seine

Danqui von erfolgreicher Verteidigung ge­

Da war immer schon in Geschäft: erst eine

Jetzt muss Ahilan die neuen Öffnungszeiten

zwei Flaschen Feierabend-Bier holt. Man duzt

gen Einbruchsversuche, während er noch im

Metzgerei, dann ein Lebensmittelladen und

von 10.00 bis 21.00 Uhr allein absitzen, wo­

sich, und die richtige Zigarettenmarke liegt

Hinterzimmer Ware ordnete. Shakan Asit vom

jetzt der Kiosk Bartho-Eck. Herr Akbal hatte

bei die stolze Mutter gewiss noch mehr und

schon auf dem Tresen, bevor die Stammkun­

Kult-Kiosk in der Liegnitzer Straße hat nach

einen Imbiss in Hilden, bis er in den Wupper­

länger zu tun hat.

din oder der Stammkunde den Mund aufge­

vier Attacken – zwei Einbrüche und zwei

taler Osten einstieg, wo er jetzt mit Söhnen

macht haben. Quartiers-Kioske führen auch

Überfälle – jetzt die Nase voll. Schon bald wird

und Verwandten den Treffpunkt Lotto auf

Die bunte Welt des Kiosk-Sortiments

ein kleines Lebensmittel-Sortiment: H-Milch,

er den Baseballschläger hinter dem Tresen

der Wichlinghauser Straße und den Kiosk 49

Auf den ersten Blick gibt es in allen

Toastbrot, abgepackten Aufschnitt, Kaffee –

mitnehmen und hinter sich die Ladentür für

auf der Schwarzbach hat. Herr Danqui vom

Kiosken das gleiche zu kaufen: Zigaretten,

für den Haushalts-Notfall halt. In Zeiten des

immer zumachen.

Kiosk M & E am Wichlinghauser Markt wech­

Getränke, Süßigkeiten und Snacks halt. Auf

Pandemie-Lockdowns haben die Kioske dieses

Denn da sind auch immer wieder die

selte vom Zustellfahrer für Großhändler und

den zweiten Blick hat jedes Lädchen seine

Sortiment sogar aufgestockt, zum Beispiel bei

endlosen Öffnungszeiten, von denen die

Restaurants in die Selbstständigkeit, und Senli

Spezialitäten, die für das Geschäft immer

McEck oder bei M & E. Dort oder bei Sural

Lebens kraft ganzer Familien verschlungen

vom Kiosk Fröhlich an der Schwarzbach 183

wichtiger werden, denn die Umsätze mit Tabak

gibt’s morgens auch Brötchen.

wird. Frau Gülüm vom „Kinder-Kiosk“ an der

war Offsetdrucker. Erhan Sag verlor vor sechs

und Schnaps nehmen seit Jahren ab; außer­

Wittener Straße ist sich da eigentlich sicher:

Jahren seinen Job bei Brose in Ronsdorf. Dann

dem sind die Tankstellen arge Konkurrenten.

Ohne Kinder geht es nicht

„Kiosk-Selbstständigkeit ist keine Freiheit,

beschloss er, sich selbstständig zu machen, ließ

Deshalb haben einige unserer Lädchen beim

Büdchen sind nicht nur für Raucher,

sondern ein selbst gewähltes Gefängnis.“

sich seinen Arbeitslosengeld-Anspruch beim

Thema Rauchen und Zubehör mächtig aufge­

Migranten und Getränkefreunde da, sondern

Arbeitsamt auszahlen und übernahm mit die­

rüstet. Bei Sural an der Wichlinghauser 54 gibt

ganz besonders für Kinder. Wahrscheinlich

sem Startgeld den Kiosk an der Wichlinghauser

es eine Menge Shishas, beim Treffpunkt Lotto

sind Kiosk-Betreiber im Wohnviertel beim

Mehr Büdchen und ihre Besitzer:innen findest du

Straße 6, direkt an der Bushaltestelle.

ein großes Tabak-Sortiment dafür, und noch

Umsetzen von Taschengeld in Kinderglück

hier: www.die-wueste-lebt.org/der-sand

Die TABAKBÖRSE

Legendär und umstritten: Der Kiosk auf dem Berliner Platz war über viele Jahre

Stein des Anstoßes für die einen und beliebter Treffpunkt für die anderen.

An der Tabakbörse gab es Bier, Drogen und ab und zu eine Prügelei. Viele

Anwohner:innen und Passant:innen fühlten sich gestört von den Kiosk-

Besucher:innen, nannten sie „Trinker“, „Junkies“ oder „Penner“. Oft kam

die Polizei. Die Menschen, die sich hier trafen, sollten weg.

Im September 2021 schuf die Stadt Fakten und ließ den Kiosk abreißen.

Jetzt erinnern nur noch die Spuren der Steine an ihn.

„Mich haben die Menschen nicht gestört“, sagt Isabell Hanisch, die

Inhaberin des Eis-Cafés Barocco schräg gegenüber. „Aber aus gastronomischer

Sicht und für den Platz ist es jetzt besser so. Es gab immer wieder

Leute, die der Anblick abgeschreckt hat, und manche hatten auch Angst.“

Alle Probleme gelöst? Bea kommt seit 12 Jahren auf den Platz; gemeinsam

mit ihren Freund:innen saß sie immer gerne auf dem Mäuerchen

vor der Tabakbörse. Bis zuletzt kämpfte sie für den Erhalt des Kiosks;

sie sammelte über 1000 Unterschriften und schickte sie an die Stadt.

Vergeblich.

Bea hat einen wichtigen Ort verloren: „Ich fände es besser, wenn es

mehr Toleranz für uns gäbe“, sagt sie: „Wir sind nicht nur Leute mit einer

Alkohol- oder Drogenproblematik, sondern Menschen wie du und ich.

Oberbarmer. Jetzt treffen wir uns halt woanders“.

„Woanders“ liegt nur ca. 100 Meter entfernt, auf der anderen Seite des

Platzes. „Sie werden uns nicht wegkriegen“, beharrt Bea, „wir gehören

auch dazu.“ Die Getränke holt man sich nun vom Point Pedro.

Die Redaktion

Seite 11

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