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Heft 2, Jahrgang 140 - Canisianum

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orientiert zu sein und dann auch durch sich<br />

aus dem Inbegriff von Täuschung befreit sein<br />

zu können.“ 21 Anders: Vernunft ist werkzeuglich,<br />

bedarf eines vorgängigen „Ganzen“, auf<br />

das sie sich richtet, mehr noch: von dem und<br />

an dem sie selbst ausgerichtet wird. Daß eine<br />

solche betäubende Objektivität sich der<br />

Subjektivität unerschöpflich erschließt – oder<br />

auch entzieht, dies zu denken macht die heutige<br />

Aufklärung über die Aufklärung aus. Der<br />

Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit<br />

ist weiterentwickelt zum gedanklichen<br />

Eingang in das Sich-Gegebensein, vorgängig<br />

vor aller bewußten Mündigkeit oder<br />

unbewußten Unmündigkeit. Daß die Autonomie<br />

des Denkens selbst eine gegebene –<br />

weitergehend sogar: eine verdankte 22 – ist,<br />

macht diese Autonomie nicht kleiner; es<br />

beleuchtet vielmehr die Größe der Vorgabe<br />

des Daseins. Ob von der Gabe auf den Geber<br />

weitergefragt werden kann, wird vermutlich<br />

ein währendes Spannungsfeld zwischen<br />

Philosophie und Theologie bleiben.<br />

Bekanntlich spricht Heidegger in Sein und Zeit<br />

vom Geworfensein des Daseins und wehrt<br />

gleichzeitig die Frage nach dem Werfer ab.<br />

Ähnlich spricht Derrida von der reinen Gabe,<br />

ohne einen Geber zu nennen. Anders bei<br />

Henry: Das Urleben, das die Gabe des<br />

Lebens gibt, ist der Urlebendige selbst. Der<br />

hebräische Gottesname Jahwe wird in der<br />

griechischen Selbstaussage Jesu ego eimi<br />

ausdrücklich und mehrfach wiederholt: Ich bin<br />

da als der ...<br />

Solche Freilegungen des Daseins als Gabe<br />

tragen einem Unausdenklichen Rechnung,<br />

ohne daß sie es einholen. Vielmehr werden<br />

sie umgekehrt von ihm her in Gang gesetzt,<br />

von etwas, oder besser von jemandem, dem<br />

gegenüber sie „nächtig“ bleiben – es sei denn,<br />

der Schritt des Glaubens würde vollzogen.<br />

Aber auch er wird erst ins Licht gesetzt und<br />

setzt nicht selbst das Licht, definiert nicht<br />

selbst den Radius seines Erkennens. Das<br />

Uneinholbare des Lebens ist Gegenstand des<br />

Denkens. Der uneinholbar Lebendige ist<br />

befruchtender Widerstand des Denkens.<br />

10<br />

PHILOSOPHIE<br />

1 Denis de Rougemont, Der Anteil des Teufels,<br />

München 1999, 21.<br />

2 Leo Schestow, Athen oder Jerusalem?, Berlin<br />

1937. – Vgl. ders., Fatales Erbe. Über die<br />

mystische Erfahrung Plotins, übers. aus dem<br />

Russischen v. Hannelore Reyer, hg. von<br />

Thomas Unterrainer, Dresden 2006: Schestow<br />

sieht in Plotin den späten Vertreter der griechischen<br />

Philosophie, der aufgrund seiner<br />

mystischen Sicht des Einen „das Vertrauen in<br />

die Vernunft verlor“.<br />

3 Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena<br />

II: Über Religion, § 182, in: ders.,<br />

Sämtliche Werke VI, Wiesbaden 1947, 418.<br />

4 Romano Guardini, Der Herr. Betrachtungen<br />

über die Person und das Leben Jesu Christi,<br />

Würzburg (Werkbund) 1937, 3. A. 1940, 15.<br />

5 Zu den phänomenologischen Arbeiten vor<br />

allem in Frankreich in den letzten Jahrzehnten<br />

vgl. Marc Rölli (Hg.): Ereignis auf Französisch,<br />

München (Fink) 2004. In Deutschland wäre<br />

Bernhard Waldenfels zu nennen.<br />

6 Jean-François Lyotard, La condition postmoderne,<br />

Paris 1979; dt. : Die postmoderne<br />

Lage, Stuttgart (reclam) 1979.<br />

7 Jean-François Lyotard, Le différend, Paris<br />

1983; dt. Der Widerstreit, München 1987.<br />

8 Jean-François Lyotard: Streifzüge. Gesetz,<br />

Form, Ereignis, Wien 1989, S. 81. Vgl. ders.:<br />

Leçons sur l’analytique du sublime, Paris<br />

1991; dt. München 1994.<br />

9 Jean-François Lyotard: Philosophie und<br />

Malerei im Zeitalter ihres Experimentierens,<br />

Berlin 1986.<br />

10 Jacques Derrida, Falschgeld. Zeit geben I,<br />

München 1993.<br />

11 Vladimir Jankélévitch, Pardonner?, in: ders.,<br />

Das Verzeihen. Essays zur Moral und<br />

Kulturphilosophie, mit einem Vorwort von Jürg<br />

Altwegg, hg. v. Ralph Konersmann, Frankfurt<br />

2003, 243 - 282.<br />

12 Vgl. Jan-Heiner Tück, Das Unverzeihbare verzeihen?<br />

Jankélévitch, Derrida und eine offen<br />

zu haltende Frage, in: IKZ Communio 33, 2.<br />

13 Pardonner?, 247 und 250.<br />

14 Ebd., 268f.<br />

15 J. Derrida/M. Wieviorka, Jahrhundert der<br />

Vergebung, in: Lettre international 48 (2000),<br />

10 - 18, hier: 11f.<br />

16 Michel Henry, 1922 in Indochina (Vietnam) als<br />

Sohn französischer Kolonisten geboren, 2002

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