Heft 2, Jahrgang 140 - Canisianum
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ab, das Herz-Jesu-Fest fortan im Land Tirol<br />
mit feierlichen Gottesdiensten zu begehen,<br />
und zwar bedingungslos (also auch nach<br />
einem etwaigen Einmarsch feindlicher<br />
Militärs) 12 . Dieses Herz-Jesu-Gelöbnis 13 hat<br />
lange Zeit die Volksreligiosität in Tirol geprägt<br />
und stellt bis heute ein unübersehbares<br />
Moment der kirchlichen Tradition dar.<br />
Nun kommt noch ein einschneidendes Datum<br />
dazu: nach der Auflösung der Katholisch-<br />
Theologischen Fakultät der Universität<br />
Innsbruck im Juli 1938 beschlagnahmten die<br />
nationalsozialistischen Machthaber mit Dekret<br />
vom 21. November 1938 auch das Collegium<br />
<strong>Canisianum</strong> 14 . Schon einige Wochen vorher,<br />
am Christkönigsfest (30. Oktober 1938), war<br />
im <strong>Canisianum</strong> ein gemeinsames Gelübde zu<br />
Ehren des Allerheiligsten Herzens Jesu abgelegt<br />
worden. Die Gemeinschaft des<br />
<strong>Canisianum</strong>s, die schon von Anfang an dem<br />
Herzen Jesu geweiht war 15 – so heißt es im<br />
Gelübde –, bittet um Bewahrung des<br />
Priesterseminars und der Theologischen<br />
Fakultät (in der Stadt Innsbruck oder anderswo)<br />
und gelobt in einem bestimmten Rahmen<br />
Anbetung, Messfeier sowie auch finanzielle<br />
Beiträge für die Weltkirche 16 .<br />
Wiederum wurde in einer brenzligen Situation<br />
ein Gelöbnis abgelegt, bei dem das „Herz<br />
Jesu“ im Brennpunkt von Gedächtnis und<br />
Verheißung steht. Was Gott in seiner liebenden<br />
Vorsehung bisher geschenkt hat, möge er<br />
denen, die aus Not und Bedrohung zu ihm<br />
rufen, auch weiterhin gewähren: Leben in<br />
Frieden, Wachstum im Glauben und Freiheit<br />
für die Kirche. Alleine die Tatsache, dass das<br />
Herz Jesu zum „Ort“ des erfahrenen und verheißenen<br />
Beistands wird, gibt zu denken.<br />
Wäre es in einer schweren Bedrohung, wie es<br />
eine militärische Invasion (1796) oder eine kirchenfeindliche<br />
Diktatur (1938) darstellen,<br />
nicht „logischer“, die eigene religiöse Identität<br />
als Gegenmacht zu verstehen, die die<br />
Angreifer – wenigstens ideell – zurückschlägt?<br />
Müsste die Kirche nicht auf ein Symbol der<br />
Stärke zurückgreifen, das in einer Situation<br />
tiefster Verunsicherung und Angst so etwas<br />
wie Erfolgsstrategien ermöglicht? Eine solche<br />
Versuchung zur religiösen Gewalt läge nahe,<br />
doch es kam anders: Die Tiroler 1796 und die<br />
Canisianer 1938 setzten ihre Hoffnung auf ein<br />
24<br />
THEOLOGIE UND KIRCHE<br />
Symbol der Schwäche und der Erniedrigung:<br />
auf das Herz Jesu – Zeichen eines verunstalteten<br />
Leichnams. Aber genau dieses durchbohrte<br />
Herz, diese „Heilsutopie“ (im wörtlichsten<br />
Sinn!) wird zum Topos der Hoffnung; die<br />
„Erfahrung dieses ‚Absurdesten’, das es<br />
geben kann, des Evangeliums vom Kreuz“ 17 ,<br />
wird zum Anstoß einer paradoxen Hoffnung;<br />
und allein das Gedächtnis an den<br />
Gekreuzigten, die memoria passionis, ermöglicht<br />
die Verheißung neuen Lebens. Mit den<br />
Herz-Jesu-Gelöbnissen kommt also – bei<br />
allen zeitbedingten Umständen und auch<br />
Einseitigkeiten – eine Erfahrung zur Geltung,<br />
die dem Grund christlichen Glaubens entspringt:<br />
es ist das „Eingedenken fremden<br />
Leids“ 18 , die memoria passionis, welche die<br />
kulturelle Amnesie unserer Gesellschaft aufbricht.<br />
Was Johann Baptist Metz in besonderer<br />
Weise hervorhob, stellt den „heißen Kern“<br />
der Herz-Jesu-Verehrung und -gelübde dar:<br />
„Die wesentliche Dynamik der Geschichte ist<br />
das Gedächtnis des Leidens als negatives<br />
Bewusstsein von künftiger Freiheit und als<br />
Stimulans, im Horizont dieser Freiheit leidüberwindend<br />
zu handeln.“ 19<br />
3. Universale Sendung (spiritueller Zugang):<br />
Die Verehrung des Herzen Jesu steht im Ruf,<br />
einer eher privaten, teilweise auch kitschigen<br />
Form von Frömmigkeit verhaftet zu sein; manche<br />
können darin nur ein Relikt einer vormodernen<br />
Spiritualität sehen, die an überkommenen<br />
Vorstellungen und Ausdrucksweisen festhält<br />
20 . Diese Tendenzen gab und gibt es<br />
tatsächlich, allerdings dürfen hier Ursache und<br />
Folge nicht verwechselt werden; nicht der religiöse<br />
Anspruch dessen, was „Herz Jesu“<br />
meint, ist Grund für eine einseitige Spiritualität,<br />
sondern (zeit- und mentalitätsbedingte)<br />
Verengungen beeinflussen immer auch die<br />
konkrete Gestalt gelebten Glaubens. Nicht die<br />
Herz-Jesu-Verehrung ist also überholt, sondern<br />
manche Einstellungen, die sich – zu Unrecht<br />
– mit dieser Form von Spiritualität verbinden.<br />
Was aber ist mit „Spiritualität“ gemeint – mit<br />
jenem Begriff, der heutzutage geradezu inflationär<br />
gebraucht wird? Ich verstehe unter