Heft 2, Jahrgang 140 - Canisianum
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Menschen und dem Inhalt der dogmatischen<br />
Sätze“ 39 aufweisen. In diesem Sinn wies<br />
Rahner schon in seiner theologischen Dissertation<br />
über die ekklesiologische Relevanz der<br />
Herz-Jesu-Typologie darauf hin, dass die<br />
Mysterien des Lebens Jesu (also auch das<br />
Symbol des „Herzens Jesu“) nicht bloß historische<br />
Fakten oder moralische Instanzen sein<br />
können, sondern unser christliches Leben<br />
heute bewegen sollten: „Durch eine (mit Hilfe<br />
der Typenlehre) ausgearbeitete allgemeine<br />
Ontologie der Gegenwärtigkeit des Lebens<br />
Jesu im Leben des Christen könnte (grundsätzlicher<br />
und ursprünglicher, als dies bisher<br />
gemeinhin geschehen ist) die Frage geklärt<br />
werden, warum der Christ sein Leben nicht<br />
einfach nach den allgemeinen Normen des<br />
Dogmas und der Moral (diese als allgemeine<br />
Gesetze gefasst) zu gestalten hat, sondern<br />
nach dem konkreten individuellen Leben Jesu,<br />
das für diese Gestaltung nicht bloß veranschaulichender<br />
Einzelfall von schon unabhängig<br />
davon gewussten allgemeinen Normen<br />
des christlichen Daseins ist, sondern als einzelnes<br />
dessen Norm selbst“ 40 .<br />
Auf dem Hintergrund dieses anthropologisch<br />
gewendeten Ansatzes christlicher Glaubensverantwortung<br />
setzte sich Rahner immer wieder<br />
mit dem theologischen Anspruch der<br />
Herz-Jesu-Frömmigkeit auseinander 41 , die für<br />
ihn zu einem beispielhaften Topos einer heilsund<br />
erfahrungsbezogenen Glaubensrede<br />
wurde. „Herz“ ist ein Urwort, mit dem die<br />
Ganzheit des Menschen ausgesagt ist: „Wenn<br />
der Mensch sagt, dass er ein Herz hat, hat er<br />
eines der entscheidenden Geheimnisse seines<br />
Daseins sich selber gesagt.“ 42 Mit dem<br />
Bezug auf das „Herz“ des Menschen im<br />
Allgemeinen sowie auf das „Herz Jesu“ im<br />
Besonderen wird eine Identität und Integrität<br />
des Lebens benannt, die einer rein analytischen<br />
oder funktionalistischen Perspektive<br />
unzugänglich bleibt: „Es wird ja das Herz<br />
beschworen, das das Innige und Einigende<br />
ist, das Geheimnis, das aller Analyse widersteht,<br />
das stille Gesetz, das mächtiger ist als<br />
alle Organisation und technisch organisierte<br />
Vernutzung des Menschen. Es wird der Ort<br />
genannt, an dem das Geheimnis des<br />
Menschen übergeht in das Geheimnis Gottes;<br />
die leere Unendlichkeit, die ihrer inne wird, ruft<br />
28<br />
THEOLOGIE UND KIRCHE<br />
nach der unendlichen Fülle Gottes. Es wird<br />
das durchbohrte Herz beschworen, das<br />
geängstigte, das ausgeronnene, das gestorbene<br />
Herz. Es wird das genannt, was Liebe<br />
bedeutet, die unbegreiflich und selbstlos ist,<br />
die Liebe, die in Vergeblichkeit siegt, die entmächtigt<br />
triumphiert, getötet lebendig macht,<br />
die Liebe, die Gott ist.“ 43 Die Rede vom „Herz<br />
Jesu“ zwängt nicht die Erfahrung des Lebens<br />
in die Enge einer Frömmigkeitstradition, sondern<br />
eröffnet einen weiten Horizont, der nur<br />
als „Geheimnis“ in rechter Weise angesprochen<br />
werden kann. Das Urwort „Herz“<br />
erschließt eine Offenheit, die der innersten<br />
Sehnsucht des Menschen entspricht. „Die<br />
Urworte aber leben davon, dass sie offen sind<br />
und uns öffnen ins unsagbare Geheimnis<br />
Gottes“ 44 , wie Rahner betont. Wer das Herz<br />
Jesu verehrt, greift nicht auf eine „spirituelle<br />
Sicherheit“ zu, sondern lässt sich selbst<br />
ergreifen vom unbegreiflichen Geheimnis<br />
Gottes: „Wenn wir also auf dieses Herz des<br />
Herrn hinblicken, blicken wir auf das Zeichen<br />
des Geheimnisses, das unser Leben durchwaltet<br />
und umfasst.“ 45<br />
Dieser – vom Anerkennen des Geheimnisses<br />
gestalteten – Form von Theologie entspricht<br />
eine Form der Herz-Jesu-Spiritualität, die jegliche<br />
„Selbstmächtigkeit“ kirchlichen Handelns<br />
zurückweist. Wenn die Rede vom „Geheimnis“<br />
keine Floskel und die Verehrung des Herzens<br />
Jesu kein Kitsch sein soll, muss Ekklesiologie<br />
in Theorie und Praxis einen kenotischen<br />
Charakter haben. Nicht von ungefähr betonte<br />
Karl Rahner beim Herz-Jesu-Fest 1966 im<br />
<strong>Canisianum</strong> die Notwendigkeit, das Verständnis<br />
des kirchlichen Dienstes und Amtes an<br />
dem auszurichten, was die Herz-Jesu-<br />
Frömmigkeit bezeugt: „Der Priester von morgen<br />
wird nicht der sein, der Macht hat von<br />
einer gesellschaftlichen Macht der Kirche her,<br />
sondern der den Mut hat, von daher der<br />
Machtlose zu sein; der glaubt, dass das Leben<br />
aus dem Tod kommt und die Liebe, die<br />
Selbstlosigkeit, das Wort vom Kreuz, die<br />
Gnade Gottes Macht genug haben, das zu<br />
bewirken, worauf es letztlich allein ankommt,<br />
dass nämlich ein Mensch sich der Unbegreiflichkeit<br />
seines Daseins willig überlässt in<br />
dem Glauben und der Hoffnung, dass darin<br />
die Unbegreiflichkeit Gottes als das Heil und