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4. Ö/D WARENLEHRE-SYMPOSIUM, NEUWIED (RHEIN) 47<br />
BIOKYBERNETHIK<br />
NICHT DIE WIRTSCHAFT LEBT, SONDERN DAS LEBEN WIRTSCHAFTET<br />
Richard Kiridus-Göller*<br />
Ist das sogenannte „Wirtschaftsleben“ nichts als eine Fortsetzung von „Fressen <strong>und</strong> Gefressenwerden“ in<br />
Form einer unendlichen Abfolge von Wahlakten <strong>und</strong> Konsumakten ?<br />
Anders als die Biologie, die das Lebensganze – das System Leben, die Biosphäre – sich zum Thema gemacht<br />
hat, befassen sich die Wirtschaftswissenschaften – <strong>und</strong> in deren Schatten diverse „Warenwissenschaften“–<br />
nicht mit der Wirtschaft als Ganzem, sondern mit Gesichtspunkten davon.<br />
The business of business is business. So mangelt es an einer Reflexion des eigenen Tuns: Das Desiderat ist<br />
die Synthese der Aspekte von „Wirtschaft“ zu einer in sich konsistenten Ganzheit. Die isolierten Teilrationalitäten<br />
zementieren die Irrationaliät des Ganzen.<br />
Der Gegenbegriff zur Rationalität des Homo oeconomicus ist nicht Irrationalität, sondern durchschauender<br />
Intellekt. Ein Gr<strong>und</strong>element echter Wissenschaftlichkeit ist die Theoriebildung (Theoria heißt Schauen. Zur<br />
Fachphilosophie gehörende Gr<strong>und</strong>fragen sind: Wie gelangen wir zu gesichertem Wissen – <strong>und</strong> ethisch: Wie<br />
gehen wir damit um ?). Ohne abgesicherte Fachtheorie gerät jede noch so exakte Wissenschaft allzu leicht zum<br />
Feigenblatt von Ideologie. Das Verhältnis des Marktes zu Demokratie, Kultur <strong>und</strong> Umwelt ist subtil.<br />
Konflikte sind symptomatisch <strong>für</strong> Realitätsverlust. Der ideologische Widerspruch zur Realität führt schlussendlich<br />
zum Scheitern. Wahr ist, was überlebt.<br />
Das gilt insbesondere auch <strong>für</strong> Wirtschaftsideologien <strong>und</strong> deren Umsetzung. Der Egoismus des Homo oeconomicus,<br />
dessen kurzsichtige Interessensethik sich ausschließlich von der Gewinnmaximierung leiten lässt,<br />
scheitert früher oder später am eigenen Erfolg. Solche Systeme überleben nicht. Deshalb ist unsere Wirtschaftsweise<br />
nicht zukunftsfähig. sie lebt nicht, sondern sie stirbt. Die Ökonomie ist ein Wesensmerkmal des<br />
Lebendigen – <strong>und</strong> nicht umgekehrt. Nicht die Wirtschaft lebt, sondern das Leben wirtschaftet.<br />
Die Wirtschaftstätigkeit, die Ökonomie, ist wie der griechische Ursprung des Wortes nemein <strong>und</strong> auch die<br />
lat. Entsprechung selegere bezeugen, ein Selektionsvorgang. Die Entscheidung als Symmetriebruch zwischen<br />
Alternativen ist ein bio-kybernetisches Gr<strong>und</strong>prinzip, das auf kultureller Ebene in Logik, Ethik <strong>und</strong> Ästhetik<br />
seine Fortsetzung findet. Was nicht der Logik des Lebendigen entspricht, das scheitert früher oder später an<br />
den biologischen Rahmenbedingungen. Das „Gute“ ist Ausdruck gelungener Funktionalität, dessen was dem<br />
(ganzen) Leben nützt. Das „Schöne“ richtet sich auf das organische Ganze.<br />
Die Utopie, durch „Fortschritt“ die Selektionskräfte des Lebendigen zu überlisten, verschiebt die Selektionswirkungen<br />
bloß – mit der bedrohlichen Folge, dass deren ferne Feedbacks umso heftiger eintreffen. Wenn<br />
durch Fortschritt die Wirtschaft wächst, dann wächst der Planet nicht mit.<br />
Wirtschaft, die sich nicht von nachhaltiger Existenzsicherung leiten lässt, verliert ihren Sinn. In operationaler<br />
Geschlossenheit liegt der Sinn des Lebens im Leben selbst. In Orientierung am Lebendigen ist auf kultureller<br />
Ebene die selektive Rechtfertigung des Handelns auf eben diese biokybernetische Geschlossenheit verwiesen:<br />
In der biokulturellen Bewusstlosigkeit der Postmoderne weiß Heinz von Foerster Antworten zur bio-kybern-ethischen<br />
Selbstorganisation.: In der Offenheit der Evolution gibt es im Kalkül des Unwissbaren (Lethologie)<br />
zwei Komponeneten: 1. Unbestimmtheiten, 2. Unentscheidbarkeiten. – „Wir können nur jene Fragen<br />
entscheiden, die prinzipiell unentscheidbar sind.“ Die Verantwortung <strong>für</strong> die Konsequenzen unserer Selbstorganisation<br />
nimmt uns niemand ab. „Willst du erkennen, so lerne zu handeln“ (Ästhetischer Imperativ).<br />
„Handle so, dass die Anzahl der Möglichkeiten wächst“ (Ethischer Imperativ).<br />
FORUM WARE 30 (2002) NR. 1 - 4