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Militaer_1_2022

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WELTGESCHEHEN<br />

Aktuelle Konflikte,<br />

Krisen und<br />

Analysen — S. 8<br />

ELITEEINHEIT<br />

Unterwegs mit den<br />

Pioniertauchern des<br />

Bundesheeres — S. 30<br />

militär<br />

MISSION POSSIBLE<br />

In der Wildnis<br />

überleben mit dem<br />

Jägerbataillon 25 — S. 38<br />

DAS NEUE<br />

ÖSTERREICHISCHE<br />

MILITÄRMAGAZIN<br />

AUSGABE 1|22<br />

EURO 5,80<br />

AKTUELL<br />

Der Ukraine-Krieg und<br />

seine Folgen: Steht<br />

Europa vor einer neuen<br />

Welle der Aufrüstung?<br />

Welche strategischen<br />

Konsequenzen muss<br />

das Bundesheer nun<br />

ziehen? Und: Bricht jetzt<br />

endgültig das Zeitalter<br />

der Drohnen an?<br />

BLUTIGE REALITÄT AUF DEM KONTINENT<br />

Krieg in<br />

Osteuropa


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E D I T O R I A L<br />

0 0 3<br />

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER<br />

pricht man dieser Tage mit älteren Menschen,<br />

S<br />

fällt immer wieder der gleiche Satz: „Nie hätte<br />

ich mir vorstellen können, dass ich noch einmal<br />

einen Krieg in Europa erleben werde.“ Ja,<br />

wir konnten es uns nicht vorstellen. Darum<br />

wurden wir jetzt, nach dem Beginn von Wladimir<br />

Putins Angriffskrieg auf die Ukraine, auch so eiskalt<br />

aus unserem Dornröschenschlaf gerissen. Klar, Anzeichen<br />

für eine dramatische Eskalation gab es im Rückblick immer<br />

wieder und auch die heimischen Militärs hatten das Szenario<br />

am Radar, wie Militärstratege Brigadier Philipp Eder im Gespräch<br />

mit Militär Aktuell (nachzulesen ab Seite 10) verrät:<br />

„Natürlich bestand aus unserer Sicht die Möglichkeit eines<br />

Angriffs aus drei Richtungen auf die Ukraine, aber für wirklich<br />

wahrscheinlich hielten wir diese Überlegungen nicht, da<br />

sie langfristig strategisch Russland sehr schaden. Wir gingen<br />

in unseren Beurteilungen nicht davon aus und konnten uns<br />

nicht vorstellen, dass Russland einen derart großen Völkerrechtsbruch<br />

begeht und haben vielmehr mit einem aktiven<br />

Eingreifen der Russische Föderation im Donbass gerechnet.“<br />

Wie schon bei seiner militärischen Intervention 2014 auf der<br />

Krim und später im Syrien-Krieg sorgte Wladimir Putin auch<br />

dieses Mal für eine Grenzüberschreitung. Als Folge davon<br />

steht Europa vor einer Zeitenwende. Erste Reihe fußfrei können<br />

wir eine Zäsur der europäischen Politik beobachten,<br />

deren Auswirkungen wohl erst in einigen Jahren so richtig<br />

zutage treten werden. Von Paris über Berlin bis Wien überdenken<br />

die Regierungen jedenfalls ihre Sicherheitsbemühungen<br />

und passen sie der neuen Realität an. Länder wie Schweden<br />

und Finnland drängen in die NATO, die EU macht sogar<br />

bei ihrer schon länger geplanten „schnellen Eingreiftruppe“<br />

plötzlich tatsächlich Tempo. Putins Krieg hat den Westen<br />

in eine neue Wirklichkeit katapultiert und wird sich auch<br />

in (deutlich) höheren Verteidigungsausgaben manifestieren.<br />

Zu Redaktionsschluss war die geplante massive Aufstockung<br />

des rot-weiß-roten Wehretats zwar noch nicht fixiert. Eine<br />

„Nicht-Erhöhung“ des Bundesheerbudgets ist angesichts<br />

der jüngsten Entwicklungen aber praktisch auszuschließen.<br />

Und dass es darüber hinaus auch eine substanzielle Anschubfinanzierung<br />

für besonders dringende Beschaffung geben<br />

wird, darf ebenso als fix angesehen werden.<br />

Was soll mit den zusätzlichen Geldern passieren? Eine gute<br />

Frage, die von den Planungsabteilungen im Verteidigungsministerium<br />

in den kommenden Monaten im Detail zu beantworten<br />

sein wird. Wohl dürften in Zukunft aber die schweren<br />

Waffensysteme wieder eine größere Rolle spielen. Laut<br />

einer aktuellen Hajek-Umfrage kann sich im Angesicht des<br />

Krieges in der Ukraine nämlich sogar die traditionell „militärkritische“<br />

österreichische Bevölkerung die Beschaffung<br />

neuer Kampfpanzer und eine Modernisierung oder sogar<br />

Aufstockung der Eurofighter-Flotte vorstellen. Und ja, auch<br />

das konnte sich bis vor Kurzem kaum jemand vorstellen.<br />

impressum<br />

COV E R FOTO S : A D O B E STO C K<br />

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www.qmm.at<br />

m i l i t ä r a k t u e l l


0 0 4 I N H A L T<br />

INHALT<br />

010<br />

Die<br />

Analyse: Gemeinsam mit Experten wie Militärstratege<br />

Brigadier Philipp Eder (unten) blicken wir auf besonders brisante<br />

Aspekte des Ukraine-Kriegs und untersuchen dessen langfristige<br />

Folgen für Europa, Österreich und das Bundesheer.<br />

003 EDITORIAL, IMPRESSUM<br />

006 MOMENTUM<br />

Fähnriche trainieren die Kampfführung<br />

in einer Industrieanlage.<br />

008 WELTGESCHEHEN<br />

Aktuelle Kurzmeldungen<br />

aus aller Welt.<br />

010 KRIEG IN DER UKRAINE<br />

Russlands Präsident Wladimir<br />

Putin wollte die Ukraine in einem<br />

Blitzkrieg überrennen. Nun tobt<br />

in dem Land der größte Bodenkrieg<br />

Europas seit dem Ende des<br />

Zweiten Weltkriegs.<br />

029 AIRPOWER <strong>2022</strong><br />

Aktuelle Infos zur spektakulären<br />

Flugshow im September.<br />

030 UNTERWASSER-KRÄFTE<br />

Typische Einsätze? Gibt es nicht!<br />

Die Pioniertaucher des Bundesheeres<br />

tauchen dann ab, wenn<br />

andere nicht mehr weiterkönnen.<br />

034 NEUE TRAININGSWELTEN<br />

Das Sanitätszentrum Ost setzt<br />

ab sofort auf Virtual Reality.<br />

036 MIT SEIL UND KARABINER<br />

Absturzsicherungen sorgen beim<br />

Heer für unfallfreie Arbeitstage.<br />

038 SURVIVAL GUIDE<br />

Damit unterwegs nichts schiefgeht:<br />

Überlebens-Serie mit dem<br />

Jägerbataillon 25.<br />

042 RÜSTUNGSNEWS<br />

Neuheiten aus der Welt der<br />

Rüstungs- und Sicherheitstechnik.<br />

044 BLICK IN DIE ZUKUNFT<br />

Wie sich mit Datennetzwerken<br />

die Lufthoheit gewinnen lässt.<br />

045 MADE IN AUSTRIA<br />

Neues aus der rot-weiß-roten<br />

Sicherheits- und Rüstungsindustrie.<br />

046 IM MINENFELD<br />

Militär Aktuell hat mit den Experten<br />

von Norwegian People’s Aid im<br />

Irak Sprengfallen entschärft.<br />

050 SCHLUSSPUNKT<br />

Sicherheitspolitikexperte<br />

Brigadier a. D. Walter Feichtinger<br />

analysiert die durch Russlands<br />

Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelöste<br />

Zeitenwende in Europa.<br />

FOTO S : S E B AST I A N F R E I L E R , N I K L AS M E Y R , G E T T Y I M AG E S<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


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Personalunion: Unter der Wasseroberfläche<br />

erkunden die Pioniertaucher<br />

des Bundesheeres Hindernisse. Sie<br />

beseitigen diese mit schwerem Gerät und<br />

helfen Menschen, die in Not geraten sind.<br />

030<br />

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0 0 6 P A N O R A M A<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


M O M E N T U M<br />

Industrielle Revolution<br />

Seit Jahren ist in internationalen Konflikten<br />

eine Entwicklung erkennbar, die sich<br />

weiter beschleunigen dürfte: Kämpfe<br />

verlagern sich verstärkt in Städte und<br />

urbane Gebiete. Das bringt für Armeen<br />

und Truppen neue Herausforderungen<br />

mit sich: Beim Orts- und Häuserkampf<br />

stellen improvisierte Sprengladungen,<br />

Minen und Fallen, aber auch Scharfschützen<br />

und eingeschränkte Kommunikationswege<br />

ständige Gefahren dar. Die überund<br />

unterirdische Bebauung unterbricht<br />

zudem Sichtlinien, schafft tote Winkel,<br />

schränkt Aufklärungsmöglichkeiten und<br />

die Beweglichkeit ein. Querschläger und<br />

Trümmer einstürzender Gebäude können<br />

die Waffenwirkung verstärken oder einschränken.<br />

Um mit all diesen Facetten<br />

bestmöglich umgehen zu lernen, trainierten<br />

die Fähnriche des zweiten Jahrganges<br />

der Militärakademie kürzlich<br />

mehrere Tage lang erfolgreich die<br />

Kampfführung in einer Industrieanlage.<br />

FOTO : B U N D E S H E E R / PAU L KU L E C<br />

M I l I T ä r A K T U E l l


0 0 8 W E L t & S t R A t E G I E<br />

FOtO S : P I c t U R E D E S K , G E t t y I M AG E S<br />

ESKALATION DURCH NORDKOREA<br />

Laut dem amerikanischen Verteidigungsministerium treibt das<br />

nordkoreanische Regime von Staatschef Kim Jong-un die Entwicklung<br />

seines neuen Interkontinental-Raketensystems Hwasong-17<br />

weiter voran. Pjöngjang will damit auch amerikanische<br />

Städte erreichen können, was die USA – wenig überraschend –<br />

scharf kritisieren. Washington sprach nach<br />

zuletzt mehreren Raketentests Pjöngjangs<br />

von einer „Eskalation durch Nordkorea“<br />

und versetzte seine ballistischen<br />

Raketenabwehrkräfte in der Region<br />

in erhöhte Abwehrbereitschaft.<br />

Aus Sicht der amerikanischen<br />

Regierung fehle es Nordkorea bei<br />

der Entwicklung aber noch an<br />

wesentlichen Komponenten,<br />

sonst wäre das System längst auf<br />

längeren Strecken getestet worden.<br />

DER IS HAT EINEN NEUEN CHEF<br />

Nach dem Tod ihres Anführers Abu Ibrahim al-Haschimi al-<br />

Kuraischi hat der Islamische Staat (IS) seit Kurzem einen neuen<br />

Kommandanten: Abu Hassan al-Haschimi al-Kuraischi steht<br />

ab sofort an der Spitze der angeschlagenen Terrororganisation,<br />

die laut einem aktuellen UN-Bericht in Syrien und im Irak aber<br />

immer noch über rund 10.000 Kämpfer verfügt. Wie Miliz-<br />

Gründer Abu Bakr al-Bagdadi (der Bruder des neuen Oberhaupts)<br />

soll auch der seit 2019 an vorderster IS-Front stehende<br />

Abu Ibrahim al-Haschimi al-Kuraischi bei einem US-Einsatz<br />

ums Leben gekommen sein. Er hat sich angeblich bei einer<br />

Attacke im Nordwesten Syriens selbst in die Luft gesprengt.<br />

„Wir dürfen es nicht zu einem<br />

tabu machen, darüber<br />

zu diskutieren, wie die<br />

sicherheit der Welt<br />

geschützt wird.“<br />

Steht Japan bald unter einem nuklearen<br />

Schutzschirm der USA? Geht es<br />

nach dem früheren Regierungschef<br />

Shinzo Abe, dann sollte das Land über<br />

diese sicherheitspolitische Option jedenfalls<br />

intensiv nachdenken. Japan müsse sich<br />

„zu seinem eigenen Schutz“ an einer aktiven Debatte über Atomwaffen<br />

beteiligen, so Abe in einer Fernsehsendung. Und weiter:<br />

„Hätte die Ukraine ihre Atomwaffen nicht aufgegeben, wären sie<br />

wohl nicht mit einer Invasion Russlands konfrontiert worden.“<br />

Abe kann sich demnach ein Szenario wie in Europa während des<br />

Kalten Kriegs vorstellen. Waffen des Verbündeten USA könnten<br />

im Land stationiert werden und zur Abschreckung dienen, so<br />

der rechtskonservative Politiker, ohne dass Japan dafür eigene<br />

Atomwaffen besitzen oder gar herstellen müsse.<br />

Europa: diE<br />

rüstungsspiralE<br />

drEht sich<br />

längst<br />

Als Wladimir Putin am 24. Februar seinen<br />

Angriff auf die Ukraine startete, dachte er<br />

wohl an einen schnellen Sieg. An kurze<br />

Gefechte, ein rasch eingesetztes Moskaufreundliches<br />

neues Regime in Kiew, vielleicht<br />

sogar an eine Parade seiner siegreichen<br />

Streitkräfte durch die ukrainische<br />

Hauptstadt. Woran er vermutlich weniger<br />

dachte: An einen geschlossen auftretenden<br />

Westen. An massive Sanktionen, die die<br />

Wirtschaft seines Landes in den Abgrund<br />

reißen und an ein Europa, das sich seiner<br />

Sicherheitsschwächen bewusst wird und<br />

massiv gegenzulenken beginnt. Deutschland<br />

kündigte schon kurz nach Ausbruch<br />

der Kämpfe in Osteuropa zusätzliche Milliarden-Investitionen<br />

in seine Streitkräfte an,<br />

andere Länder beabsichtigen ebenfalls,<br />

mehr Geld in ihre Armeen zu stecken und<br />

selbst Österreich stockt seinen Wehretat<br />

massiv auf. Die Höhe der Beträge und die<br />

Schnelligkeit der Aufstockung der Verteidigungshaushalte<br />

mag überraschen, die Entwicklung<br />

hingegen nicht. Denn laut aktuellen<br />

Zahlen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts<br />

SIPRI hat sich die Rüstungsspirale<br />

in Europa schon mit der russischen<br />

Annexion der Krim und den anhaltenden<br />

Auseinandersetzungen im Donbass zu<br />

drehen begonnen.<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


W E L T G E S C H E H E N<br />

Angesichts des Ukraine-Kriegs steht Europa vor einer beispiellosen<br />

Aufrüstungsoffensive. Begonnen hat diese Entwicklung aber nicht erst<br />

mit der Eskalation des Konflikts Ende Februar, sondern schon mit der<br />

Annexion der Krim im Jahr 2014, wie aktuelle Zahlen des Stockholmer<br />

Friedensforschungsinstituts SIPRI zeigen.<br />

SIPRI betrachtet in seiner kürzlich veröffentlichten<br />

Analyse den Zeitraum 2017 bis<br />

2021 und vergleicht ihn mit 2012 bis 2016.<br />

Während die Schweden dabei einen weltweiten<br />

Rückgang der Waffengeschäfte um<br />

4,6 Prozent registrierten, legten die Ausgaben<br />

für Rüstungsgüter in Europa um gleich<br />

19 Prozent zu. Der „alte Kontinent“ verzeichnete<br />

damit von allen Weltregionen die<br />

größte Steigerung, was laut Pieter Wezeman,<br />

einem der Autoren der SIPRI-Studie<br />

auf „die deutliche Verschlechterung der<br />

Beziehungen zwischen den meisten<br />

europäischen Staaten und Russland“<br />

zurückzuführen sei. „Das war ein wichtiger<br />

Wachstumsmotor der europäischen<br />

Waffenimporte – die Aufrüstung ist besorgniserregend“,<br />

so Wezeman weiter.<br />

Global größter Waffenexporteur waren im<br />

Zeitraum 2017 bis 2021 mit einem Weltmarktanteil<br />

von 39 Prozent einmal mehr die<br />

USA, die im Vergleich zu 2012 bis 2016 ihr<br />

Exportvolumen sogar um 14 Prozent steigern<br />

konnten. Mit einem Anteil von 19 Prozent<br />

beziehungsweise elf Prozent folgten<br />

Russland und Frankreich auf den Plätzen.<br />

Während Russland allerdings einen Rückgang<br />

seines Exportvolumens von 26 Prozent<br />

hinnehmen musste, konnte Frankreich<br />

seine Waffenausfuhren gleich um 59 Prozent<br />

steigern. Noch deutlicher gingen die<br />

Exporte von Südkorea (plus 177 Prozent)<br />

Jeweiliger Anteil der wichtigsten<br />

Waffenexporteure am Weltmarkt<br />

2017–2021<br />

USA 39<br />

Frankreich 11<br />

Deutschland 4,5<br />

UK 2,9<br />

Spanien 2,5<br />

Sonstige 9,2<br />

Angaben in Prozent (beide Grafiken)<br />

19 Russland<br />

4,6 China<br />

3,1 Italien<br />

2,8 Südkorea<br />

2,4 Israel<br />

nach oben. China (minus 31 Prozent) und<br />

Großbritannien (minus 41 Prozent) mussten<br />

hingegen empfindliche Rückgänge hinnehmen.<br />

Veränderungen des Exportvolumens<br />

der wichtigsten Waffenexporteure<br />

2017–2021 gegenüber 2012–2016<br />

USA<br />

Russland<br />

Frankreich<br />

China<br />

Deutschland<br />

Italien<br />

UK<br />

Südkorea<br />

Spanien<br />

Israel<br />

-26<br />

-31<br />

-41<br />

-19<br />

-5,6<br />

14<br />

16<br />

10<br />

59<br />

Quelle: SIPRI Arms Transfers Database, März <strong>2022</strong><br />

177<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


0 1 0 W E L T & S T R A T E G I E<br />

UKRAIN<br />

DETAILANALYSE Militärstratege Brigadier Philipp Eder veranschaulicht Militär Aktuell-Chefredakteur Jürgen Zacharias auf einer aktuellen Lagekarte<br />

die Entwicklungen in der Ukraine.<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


KRIEG IN DER<br />

UKRAINE<br />

Text & Interviews: JÜRGEN ZACHARIAS<br />

EKRIEG<br />

UND SEINE FOLGEN<br />

Was überrascht am russischen Vorgehen?<br />

Hatte Putin tatsächlich keinen Plan B? Wie<br />

ist die Verteidigungsstärke der ukrainischen<br />

Armee einzuschätzen und welche Schlussfolgerungen<br />

lassen sich für das Bundesheer<br />

aus den Kämpfen ziehen? Eine Analyse mit<br />

Brigadier Philipp Eder, Leiter der Abteilung<br />

Militärstrategie im Verteidigungsministerium.<br />

FOTO S : S E B AST I A N F R E I L E R , G E T T Y I M AG E S<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


0 1 2 w e l t & s t r a t e g i e<br />

„Wir müssen die richtigen<br />

Schlüsse ziehen“<br />

Bilder der Kämpfe in der Ukraine<br />

zeigen immer wieder auch zerstörte<br />

russische Panzer. Hat der Kampfpanzer<br />

am gefechtsfeld damit endgültig<br />

ausgedient? ein gespräch mit<br />

Oberstleutnant Jörg Loidolt,<br />

Kommandant des Panzerbataillons 14.<br />

Herr Oberstleutnant, nach dem Krieg<br />

um Bergkarabach mit seinem massiven<br />

Drohneneinsatz wurde das Ende des<br />

Kampfpanzers auf dem modernen<br />

Gefechtsfeld ausgerufen. Zu Recht?<br />

Der erste anschein war tatsächlich verheerend,<br />

die Bilder waren furchtbar. Dass der<br />

Kampfpanzer nicht unzerstörbar ist, wissen<br />

wir natürlich schon lange. Kaum ein anderes<br />

waffensystem ist schon so oft totgesagt<br />

worden. schon 1918, also kurz nach den<br />

ersten einsätzen, galt er als obsolet, da ein<br />

grabenkrieg wie er in Frankreich stattgefunden<br />

hatte, für die Zukunft ausgeschlossen<br />

wurde. weiter Zäsuren waren die leichten<br />

Jagdpanzer des Zweiten weltkrieges, die<br />

Panzerabwehrrohre und lenkwaffen des<br />

Kalten Krieges und nun eben die Drohne.<br />

Die tatsache, dass ständig neue waffen<br />

gegen Kampfpanzer entwickelt werden,<br />

zeigt seine ungebrochene Bedeutung.<br />

Aber auch in der Ukraine scheinen Panzer<br />

leichte Ziele zu sein. Laut ukrainischen<br />

Angaben wurden von den Verteidigern<br />

Hunderte Panzer mit vergleichsweise<br />

günstigen und mobilen Abwehrsystemen<br />

ausgeschaltet.<br />

Natürlich beobachten wir die situation sehr<br />

genau. Die Quellen sind aber nun nicht so<br />

eindeutig wie beim Bergkarabach-Konflikt.<br />

Dort sahen wir staatlich produzierte werbevideos<br />

von azerischer seite. Nun erreichen<br />

uns Bilder und Videos, die nicht eindeutig<br />

der TB-2-Drohne zugerechnet werden können.<br />

wir haben aber auch Bilder von direkten<br />

treffern im Duell Panzer gegen Panzer,<br />

übrigens auf beiden seiten, sowie Vernichtungen<br />

durch Panzerabwehrlenkwaffen<br />

oder Panzerminen. Zusätzlich ist die luftabwehr<br />

der russischen streitkräfte potenter als<br />

die armenische. Besonders, weil russland<br />

in armenien vor Ort war und sicher seine<br />

lehren gezogen hat. insgesamt muss unterstrichen<br />

werden, dass andere waffensysteme<br />

genauso durch Drohnen bedroht sind,<br />

Kampfpanzer aber das Feuer auf sich ziehen.<br />

Russland zeigt auf seinen Siegesparaden<br />

immer wieder moderne Waffen wie den<br />

Panzer T-14 Armata oder die Landdrohne<br />

Uran-9. Wurden diese Systeme auch in<br />

der Ukraine gesichtet?<br />

Derzeit haben wir keine Hinweise, dass<br />

diese systeme im einsatz sind. Das T-14-<br />

Programm wurde stückmäßig mehrfach<br />

reduziert, angeblich sollen derzeit rund 150<br />

einheiten bei der truppenerprobung sein.<br />

es ist aber sehr still um den neuen „wunderpanzer“<br />

geworden. allerdings sind Komponenten<br />

in der neuesten T-90-serie verbaut<br />

worden. Hier sind die Kanone samt Feuerleitsystem<br />

sowie aktive und passive abwehrsysteme<br />

zu nennen. Bei den gezeigten<br />

Verlusten handelt es sich aber im hohen<br />

Maße um T-72B-Varianten. Die landdrohne<br />

Uran-9 kam in syrien schon vereinzelt zum<br />

einsatz, insgesamt dürfte die volle Feldverwendungsfähigkeit<br />

bei diesen systemen<br />

aber noch nicht vorliegen.<br />

Inwiefern müssten Ausbildung, Ausrüstung<br />

und Einbettung der Panzerkräfte<br />

adaptiert werden, um Panzer wieder fit<br />

für moderne Konflikte zu machen?<br />

Unfit war der Kampfpanzer nie. Die westlichen<br />

streitkräfte sind aber in den vergangenen<br />

Jahren immer von der absoluten<br />

luftüberlegenheit ausgegangen, die nun<br />

nicht mehr garantiert werden kann. Daher<br />

gilt es den luftabwehrschirm wieder zu<br />

denken. essenziell sind auch aktive und passive<br />

schutzsysteme, parallel dazu gewinnen<br />

einfache täusch- und tarnmaßnahmen wieder<br />

an Bedeutung. Zudem gibt es erste Versuche<br />

mit wärmereduzierenden tarnnetzen,<br />

die wir heuer fortsetzen werden. ganz entscheidend<br />

ist auch die Funkdisziplin und<br />

damit meine ich vor allem, dass kein Mobiltelefon<br />

am Panzer ist. eine kurze Nachricht<br />

kann zur auffassung und damit zur Bekämpfung<br />

führen. Unter dem strich müssen wir<br />

die entwicklungen in der Ukraine aber<br />

natürlich sehr genau beobachten und<br />

analysieren, um langfristig die richtigen<br />

schlüsse ziehen zu können. ganz nach<br />

einem Motto, das Otto von Bismarck zu -<br />

geschrieben wird: ich lerne lieber aus den<br />

Fehlern der anderen!<br />

FOtO s : Pa N Z e r B ata i l lO N 1 4 , g e t t y i M ag e s<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


Z<br />

unächst klang es wie<br />

Donnergrollen. Ein<br />

Gewitter möglicherweise,<br />

das sich in der<br />

Ferne zusammenbraut.<br />

Nur: der Himmel<br />

war beinahe wolkenfrei. Arbeitsgeräusche?<br />

Auch nicht! Vielmehr bewahrheiteten<br />

sich in den frühen<br />

Morgenstunden des 24. Februar die<br />

schlimmsten Befürchtungen der<br />

meisten Ukrainer und des Westens.<br />

Russland hatte das gemacht, was Präsident<br />

Wladimir Putin im Prinzip<br />

schon seit Jahren angekündigt hatte:<br />

Mit einer groß angelegten Militäroperation<br />

wollte er „handstreichartig“<br />

die Führungsspitze des Nachbarlandes<br />

enthaupten und die Kontrolle<br />

über die Ukraine übernehmen. Die<br />

dumpfen Geräusche rührten von explodierenden<br />

Bomben und Raketen<br />

her. Russland hatte seinen Angriffskrieg<br />

auf die Ukraine gestartet – aber<br />

schon unmittelbar nach Beginn der<br />

Attacke sein Momentum verspielt,<br />

wie Brigadier Philipp Eder, Leiter der<br />

Abteilung Militärstrategie im Verteidigungsministerium,<br />

im Gespräch<br />

mit Militär Aktuell erklärt.<br />

Putins erstes und wichtigstes Ziel:<br />

Der Flughafen Hostomel, wenige Kilometer<br />

nordwestlich der Hauptstadt<br />

Kiew. Luftlandetruppen sollten die<br />

Kontrolle über das Flugfeld übernehmen,<br />

Transportflugzeuge mit Nachschub<br />

und Verstärkungskräften waren<br />

bereits unterwegs. Gleichzeitig<br />

mobilisierten am Boden russische<br />

Truppen aus Norden und Nordosten<br />

in Richtung Kiew. „Den Ukrainern ist<br />

es aber gelungen, die Luftlandung zu<br />

verhindern, was sich heute als kriegsentscheid<br />

herausstellt“, so Eder. „Wie<br />

sie das geschafft haben und was das<br />

russische Vorhaben im Detail scheitern<br />

ließ, wissen wir noch nicht. Was<br />

wir aber wissen: Der ursprüngliche<br />

russische Plan stand auf sehr tönernen<br />

Füßen und scheiterte im Prinzip<br />

schon mit diesem Fehlschlag.“<br />

Herr Brigadier, wie kann es sein,<br />

dass jemand, der das Überraschungsmoment<br />

auf seiner Seite<br />

hat, sich gezielt auf den Krieg vorbereitet<br />

und über eine kampferfah-<br />

VOM SCHAUSPIELER ZUM HOFFNUNGSTRÄGER Der ukrainische Präsident Wolodymyr<br />

Selenskyj hat sich zum echten Leader entwickelt, der auch international für Anerkennung sorgt.<br />

Auf das Angebot der USA, ihn aus dem Land zu holen, soll er nur geantwortet haben:<br />

„Ich brauche kein Ticket. Ich brauche Munition.“<br />

rene, gut ausgestattete und weit<br />

überlegene Armee verfügt, alles<br />

auf nur eine Karte setzt?<br />

Das ist uns tatsächlich ein Rätsel und<br />

wird sich wohl erst nach dem Krieg<br />

und möglicherweise erst nach dem<br />

Abtreten von Präsident Putin aufarbeiten<br />

lassen. Grundsätzlich gibt es<br />

aber mehrere Möglichkeiten, wie so<br />

etwas passieren konnte. Es könnte<br />

etwa sein, dass die russische Regierung<br />

– beraten durch den russischen<br />

Generalstab und den Geheimdienst –<br />

die eigenen Kräfte überschätzt hat<br />

und gleichzeitig den ukrainischen<br />

Widerstandswillen und die Verteidigungsfähigkeit<br />

der ukrainischen Armee<br />

unterschätzt hat.<br />

KRIEG IN DER<br />

UKRAINE<br />

Lautet nicht ein Grundsatz in der<br />

Kriegsführung, dass man nie einen<br />

Gegner unterschätzen sollte?<br />

Richtig. In diesem Fall könnte das<br />

aber trotzdem passiert sein, was möglicherweise<br />

stark mit der Haltung des<br />

ukrainischen Präsidenten Wolodymyr<br />

Selenskyj zusammenhängt. Präsident<br />

Putin konnte sich wohl nicht vorstellen,<br />

dass für ihn jemand, der Schauspieler<br />

war und Dancing Stars gewonnen<br />

hat, ein echter Sparring Partner<br />

sein könnte und dass derjenige schon<br />

am ersten Tag nach dem Überfall im<br />

olivgrünen T-Shirt Durchhalteparolen<br />

ausgibt. Das ist ein gravierender<br />

Unterschied beispielsweise zu Afghanistan,<br />

wo Präsident Ashraf Ghani im<br />

vergangenen Jahr angesichts des Vormarsches<br />

der Taliban auf Kabul<br />

fluchtartig das Land verlassen hat.<br />

Damit ist dort jeder Durchhaltewillen<br />

der Verteidiger in sich zusammengebrochen.<br />

Möglicherweise wäre das<br />

in der Ukraine auch der Fall gewesen,<br />

wenn es Russland gelungen wäre,<br />

Selenskyj rasch von der Spitze zu entfernen<br />

und eine moskaufreundliche<br />

Regierung einzusetzen.<br />

Angenommen Putin hat Selenskyj<br />

tatsächlich unterschätzt: Hätte<br />

dann nicht zumindest der russische<br />

Generalstab auf die große Anfälligkeit<br />

des Plans hinweisen und Alternativen<br />

dazu vorbereiten müssen?<br />

Natürlich und das haben die Generäle<br />

möglicherweise auch getan. Aber<br />

wie das in autokratischen Systemen<br />

oft der Fall ist, sind die Informationen<br />

möglicherweise gar nicht bis zu Putin<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


0 1 4 w e l t & s t r a t e g i e<br />

durchgedrungen oder er wollte sie<br />

nicht hören. Die Militärs dürften<br />

zudem dem Geheimdienst geglaubt<br />

haben, und der hat ganz offensichtlich<br />

den Widerstandswillen der<br />

Ukrainer und deren Verteidigungsfähigkeit<br />

völlig falsch dargestellt. Dazu<br />

kommt, dass sich die russische Armee<br />

durch ihre Erfolge in den vergangenen<br />

Jahren möglicherweise zu dem Glauben<br />

verleiten hat lassen, dass es immer so<br />

weitergeht: Schnell irgendwo reingehen<br />

und Tatsachen schaffen, bevor<br />

der Gegner und der Westen darauf<br />

überhaupt reagieren und Gegenmaßnahmen<br />

treffen kann.<br />

In diesem Fall ist genau das aber<br />

nicht gelungen. Der russische Blitzkrieg<br />

scheiterte schon in seinen Anfängen<br />

und die Europäische Union<br />

sowie die USA reagierten auf die<br />

Aggression mit umfassenden Wirtschafts-<br />

und Finanzsanktionen. Der<br />

Rubel hat seitdem massiv an Wert<br />

verloren, Dual-Use-Güter und Hochtechnologieprodukte<br />

dürfen nicht<br />

mehr in Richtung Russland exportiert<br />

werden, gleich mehrere russische<br />

Banken wurden vom internationalen<br />

Zahlungssystem Swift ausgeschlossen.<br />

Und in der Ukraine? Da änderten die<br />

russischen Truppen ihre Vorgangsweise.<br />

Standen an den ersten Tagen<br />

Luftschläge auf militärische Einrichtungen<br />

im Fokus, verlagerten sich die<br />

Angreifer nun auf den Beschuss von<br />

Städten und zivilen Einrichtungen.<br />

Überraschend dabei: Trotz massiver<br />

Angriffe gelang es Russland über<br />

Wochen nicht, die vollständige Luftherrschaft<br />

über die Ukraine zu erringen.<br />

Wiederholt kam es zu Abschüssen<br />

russischer Kampfjets und Hubschrauber.<br />

Für Brigadier Eder ist<br />

auch das ein Beleg dafür, dass Putin<br />

von anderen Tatsachen ausgegangen<br />

war. „Hätte er mit einem längeren<br />

Krieg gerechnet, dann hätte er wohl<br />

in einem ersten Schritt massive Luftangriffe<br />

fliegen und von seinen Luftstreitkräften<br />

alle Radaranlagen, militärischen<br />

Einrichtungen und Abwehrmöglichkeiten<br />

der Ukrainer zerstören<br />

lassen, so wie beispielsweise<br />

die Amerikaner das 2003 im Irak<br />

Breites Portfolio<br />

mit großer<br />

Wirkung<br />

Von Javelin-Panzerabwehrwaffen über türkische<br />

Bayraktar tB-2-Drohnen bis hin zu<br />

stinger-luftverteidigungssystemen: Bei<br />

den Kämpfen in der Ukraine stehen gleich<br />

mehrere Waffensysteme im Mittelpunkt.<br />

eine Übersicht von georg Mader.<br />

„Wir haben die russische Armee<br />

massiv überschätzt.“ Schon Mitte<br />

März zog der stellvertretende US-<br />

Militäranalytiker Michael Kofman<br />

vom Zentrum für Marineanalysen<br />

(CNA) ein eindeutiges Fazit. Ausschlaggebend<br />

dafür waren die bereits<br />

am Anfang massiven Verluste<br />

der in der „Spezialoperation“ eingesetzten<br />

russischen Truppen. Die<br />

von westlichen Ländern waffentechnisch<br />

unterstützten ukrainischen<br />

Verteidiger agieren auch jetzt<br />

noch geschickt und können punk -<br />

tuell immer wieder vernichtend<br />

Widerstand leisten oder mit ihrer<br />

Hinhaltetaktik den Vormarsch der<br />

russischen Truppen zumindest<br />

verzögern.<br />

Fataler Mix von Ursachen<br />

Möglich machen den Erfolg der<br />

Ukrainer auch Schwächen der Russen,<br />

die beispielsweise am Funk verblüffend<br />

offen zu kommunizieren<br />

scheinen. Zudem dürfte es um<br />

Kampfwillen und Kampfkraft eher<br />

mau bestellt sein, eine Anpassung<br />

des gleich zu Beginn gescheiterten<br />

Blitzkrieg-Plans erfolgte nur zögerlich.<br />

Auch scheint es, dass Russlands<br />

Militär – allen „Vorschusslorbeeren“<br />

zum Trotz – die Erfahrung<br />

für eine derartig große Invasion<br />

fehlt. Die nur wenige Tage dauernden<br />

Einsätze in Georgien oder von<br />

Luftwaffe und Marine in Syrien sind<br />

mit dem Angriff auf die Ukraine<br />

nicht vergleichbar. Die russischen<br />

Truppen scheinen auf einen langwierigen<br />

Bodenkrieg, wie er nun in<br />

der Ukraine stattfindet, nicht vorbereitet<br />

zu sein. Offensichtlich wurde<br />

das etwa durch die anhaltenden<br />

Versorgungsprobleme mit Treibstoff,<br />

Munition und Verpflegung.<br />

Dazu kommt: So große Kräfte, wie<br />

sie nun in die Ukraine einmarschiert<br />

sind, zu führen, ist kompliziert<br />

und komplex, das hat man offenbar<br />

nie so richtig geübt. Weiters<br />

sind viele der „eroberten Gebiete“<br />

bis heute nicht wirklich kontrolliert.<br />

Immer wieder kommt es zu Hinterhalten<br />

besonders in Ortschaften<br />

und Waldschneisen, wo die ukrainischen<br />

Kräfte insbesondere mit<br />

ihren Panzerabwehrwaffen Javelin,<br />

NLAW, RPG-7 und Panzerfaust-3<br />

Abschüsse erzielen. Offenbar sehr<br />

wirksam sind auch die türkischen<br />

Bayraktar TB-2-Drohnen samt<br />

Foto s : U K r a i n e M o D, M a x x a r , U K r a i n e P o l i c e<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


KRIEG IN DER<br />

UKRAINE<br />

GROSSE PROBLEME Die russische Armee kämpft in der Ukraine mit Versorgungsschwierigkeiten, bei den Luftstreitkräften kommt es immer<br />

wieder zu Abschüssen und die türkischen Bayraktar TB-2-Drohnen sorgen auch am Boden für große Verluste.<br />

ihren MAM-C- (explosiv) und MAM-<br />

L- (thermobarisch) Lenkwaffen. Konsequenz<br />

davon: Russland hat schon in<br />

den ersten Wochen mehr als 1.000<br />

Panzer und Fahrzeuge verloren.<br />

Chinesische Reifen als Problem<br />

Wichtig aus ukrainischer Sicht: Den<br />

Verteidigern gelang es bereits zu<br />

Beginn – dabei sollen weißrussische<br />

Bahnarbeiter geholfen haben – alle<br />

nennenswerten Bahnverbindungen in<br />

Richtung Norden und Nordosten zu<br />

blockieren. Russland musste seinen<br />

Nachschub infolgedessen auf die<br />

Straße verlegen, wo die Schwächen<br />

der schlecht gewarteten, lange nicht<br />

bewegten und teils erstaunlich alten<br />

Versorgungsfahrzeuge voll zu Tage<br />

traten. Die „Schlammperiode“, die in<br />

diesem Jahr unüblich früh begann, hat<br />

die Probleme verschärft. Immer wieder<br />

bleiben Konvois liegen und kommen<br />

nicht mehr vorwärts. Als Beispiel<br />

sei hier der mehr als 60 Kilometer<br />

lange Konvoi im Norden von Kiew<br />

erwähnt, der dort tagelang verharrte<br />

und überwiegend aus Last- und<br />

Tankwagen, Fahrzeugen mit Pionier-<br />

Brückengerät, Raketenwerfern und<br />

unverständlich inaktiven mobilen<br />

Luftabwehrsystemen bestand. Auch<br />

wenn viele Videos, die von den<br />

Kriegsparteien aktuell lanciert werden,<br />

nicht verifizierbar sind, lässt sich<br />

aus der schieren Masse des Materials<br />

neben Treibstoffmangel aufseiten der<br />

Russen ein weiteres interessantes<br />

Detail filtern: Reifenschäden. Die auf<br />

den russischen Lkw montierten chinesische<br />

Billigreifen YS-20 Yellow Sea<br />

scheinen nach dem bodenbedingten<br />

Luftdruckablassen des öfteren einfach<br />

zu „zerfallen“. Die Ukrainer konnten<br />

deshalb gleich mehrere (im Export 25<br />

Millionen Euro teure!) Pantsir S1-<br />

Luftabwehrsysteme erbeuten, die von<br />

ihren Soldaten nach erfolglosem Radwechsel<br />

aufgegeben worden waren.<br />

Wo ist Russlands Luftwaffe?<br />

Für praktisch alle Beobachter überraschend<br />

ist, dass es der russischen<br />

Luftwaffe (VKS) mit ihren mehr als<br />

300 versammelten Flugzeugen und<br />

Hubschraubern auch nach mehreren<br />

Wochen nicht gelungen ist, vollständig<br />

das Kommando am Himmel über<br />

der Ukraine zu übernehmen. Wohl<br />

konnte regional und für kurze Zeiträume<br />

Luftüberlegenheit hergestellt,<br />

aber keineswegs die Luftherrschaft<br />

über dem gesamten Land gesichert<br />

werden. Die Ukrainer bringen ihre<br />

verbliebenen Jets und Drohnen noch<br />

immer zum Einsatz. Die meist nur zu<br />

zweit oder zu viert anfliegenden russische<br />

Maschinen setzen bei ihren Angriffen<br />

zudem vor allem alte Freifallbomben<br />

sowie ungelenkte Raketen<br />

(mit entsprechenden Kollateralschäden)<br />

ein. Die Präzisionsmunition, die<br />

in den vergangenen Jahren von den<br />

russischen Rüstungsbetrieben gerne<br />

auf internationalen Messen gezeigt<br />

wurde, spielte bislang kaum eine<br />

Rolle. Das zwingt die anfliegenden<br />

Maschinen allerdings zu weniger Geschwindigkeit<br />

und tieferen Flughöhen<br />

unter der Wolkendecke, was den Verteidigern<br />

in die Hände spielt. Die<br />

Maschinen kommen dadurch auch<br />

in die Reichweite selbst tragbarer<br />

Luftabwehrsysteme wie Stinger, Strela,<br />

Igla oder der polnischen Piorun.<br />

Die Ukrainer sprechen von mehr als<br />

100 abgeschossenen russischen Flugzeugen<br />

und Hubschraubern, davon<br />

lassen sich zumindest die Abschüsse<br />

von 30 Hubschraubern und 15 Jets<br />

eindeutig verifizieren (Stand Mitte<br />

März) – darunter auch moderne<br />

Su-34-Maschinen.<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


0 1 6 w e l t & s t r a t e g i e<br />

gemacht haben. Das hätte allerdings<br />

einige Tage gedauert und erst anschließend<br />

wären die Bodentruppen<br />

hineingegangen.“<br />

Herr Brigadier, was ist am russischen<br />

Vorgehen sonst noch überraschend?<br />

Die russische Armee hat in der jüngeren<br />

Vergangenheit eine Umgliederung<br />

vorgenommen, die sich bei den Landstreitkräften<br />

ganz stark auf die Bataillonskampfgruppe<br />

abstützt. Die<br />

Idee ist, dass schon Bataillone – also<br />

Verbände mit rund 500 Soldaten –<br />

sehr autark agieren können und dafür<br />

große Kompetenzen bekommen.<br />

Das klingt in der Theorie gut. Die<br />

Kräfte, die direkt im Feindkontakt<br />

stehen, können dadurch beispielsweise<br />

ohne Zwischenebene Raketenartillerie<br />

abrufen und andere schwere<br />

Einsatzmittel zum Einsatz bringen.<br />

Bei Stabilisierungseinsätzen wie in<br />

Syrien, wo die Domäne Luft überhaupt<br />

keine Rolle spielt, hat sich das<br />

auch sehr bewährt. In einem konventionellen<br />

Krieg, wie wir ihn in der<br />

„Kämpfe in<br />

Städten sind sehr<br />

verlustreich“<br />

der krieg in der ukraine fokussiert sich<br />

zunehmend auf die größten städte des<br />

landes. was das für die<br />

verteidigenden und angreifenden<br />

truppen<br />

bedeutet? ein gespräch<br />

mit Major Klaus Kuss,<br />

häuserkampfexperte<br />

an der heerestruppenschule.<br />

ANGREIFER Vs. VERTEIDIGER Was vor<br />

Jahren noch undenkbar schien, ist seit Ende<br />

Jänner Realität. Russische und ukrainische Truppen<br />

bekämpfen sich im größten europäischen<br />

Bodenkrieg seit Ende des Zweiten Weltkriegs.<br />

Herr Major, es ist auffällig, dass die russische<br />

Armee zwar ukrainische städte<br />

beschießt und bombardiert, allerdings<br />

nur zögerlich mit Truppen in Zentren<br />

vordringt. Warum wählen die Russen<br />

aus Ihrer sicht diese Vorgangsweise?<br />

aus operativer und taktischer sicht versucht<br />

eine angreifende Partei den kampf<br />

im urbanen umfeld von bodentruppen so<br />

lange wie möglich zu vermeiden. er ist<br />

äußerst komplex, zeit- und ressourcenintensiv<br />

sowie verlustreich und bedarf einer<br />

intensiven Vorbereitung. ein wesentliches<br />

merkmal in der Phasenbildung eines konventionellen<br />

angriffes auf städte und<br />

ortschaften ist die einschließungsphase.<br />

diese dient dazu, den Verteidiger zu<br />

isolieren und von der Versorgung sowie<br />

möglichen Verstärkung abzuschneiden<br />

und so zu schwächen. das ist noch nicht<br />

überall gelungen, zudem leiden die russischen<br />

kräfte unter logistischen Problemen,<br />

was die angriffe zum stocken<br />

bringt. sie versuchen daher vorerst das<br />

gewonnene gelände zu halten und mit<br />

schwergewicht militärische Ziele in und<br />

um die städte mit artillerie, raketen und<br />

luftmitteln wie kampfhubschraubern und<br />

kampfflugzeugen zu bekämpfen und zu<br />

vernichten. die verteidigenden kräfte sollen<br />

dadurch abgenutzt, reduziert und ihr<br />

kampfwille geschwächt werden, um Voraussetzungen<br />

für den angriff zu schaffen.<br />

Was macht den Kampf in städten so<br />

speziell und für Angreifer unangenehm?<br />

der kampf im urbanen umfeld ist psychisch<br />

und physisch besonders hart, zehrend<br />

und generell sehr verlustreich. der<br />

kampf wird auf einem dreidimensionalen<br />

gefechtsfeld geführt. das bedeutet, dass<br />

man nicht nur aus den häusern, sondern<br />

auch aus unterirdischen systemen wie<br />

Foto s : g e t t y i m ag e s , P i c t u r e d e s k , b u n d e s h e e r<br />

M I L I T Ä R A K T u E L L


KRIEG IN DER<br />

UKRAINE<br />

U-Bahnsystemen oder von Dächern aus bekämpft<br />

werden kann. Angreifende Einheiten<br />

sind permanent einer 360 Grad<br />

Bedrohung ausgesetzt, die „Freund-Feind-<br />

Kennung“ ist erschwert, Beobachtungsmöglichkeiten<br />

sind eingeschränkt und<br />

„Friendly Fire“ wird begünstigt. Das Gefecht<br />

im urbanen Raum auf der gefechtstechnischen<br />

Ebene muss dezentral geführt<br />

werden. Das bedeutet, dass der Angriff in<br />

kleine Einzelgefechte zerfällt, die schwer zu<br />

führen und zu koordinieren sind. Die Kampfentfernungen<br />

sind sehr gering, oft muss der<br />

Nahkampf geführt werden. Sehr viel Feuer<br />

konzentriert sich auf sehr engen Raum und<br />

nicht nur die Waffenwirkung von Artilleriegeschossen<br />

oder Raketen wird durch Sekundärsplitter<br />

und die dichte Bebauung<br />

massiv verstärkt, sondern auch jene von<br />

Panzer-, Maschinenkanonen und anderen<br />

Flachfeuerwaffen. Der Angreifer ist grundsätzlich<br />

auf die Nutzung der Straßen angewiesen,<br />

wenn er rasch vorwärtskommen<br />

will, dadurch stark kanalisiert und leichter<br />

zu bekämpfen.<br />

Damit Offensiven erfolgreich sein können,<br />

sollten Angreifer den Verteidigern<br />

zumindest mit 3:1 überlegen sein. Gilt<br />

dieses Verhältnis auch bei Kämpfen im<br />

urbanen Gebiet?<br />

Grundsätzlich wird dieses Verhältnis aus<br />

taktischer Sicht herangezogen, um im Rahmen<br />

des Kampfkraftvergleichs den eigenen<br />

Kräftebedarf für einen Angriff zu ermitteln.<br />

Beim Angriff gegen vorbereitete Infanterie<br />

in Stellungen wäre konkret sogar ein Verhältnis<br />

von 4:1 zu wählen. Beim Kampf im<br />

urbanen Umfeld stimmen diese Verhältniszahlen<br />

nicht. Aufgrund der vorher angeführten<br />

Besonderheiten muss ein Angreifer eine<br />

vielfache Überlegenheit aufweisen, um<br />

rein theoretisch-rechnerisch erfolgreich zu<br />

sein. International spricht man hier von dem<br />

Bedarf einer 8- bis 10-fachen Überlegenheit.<br />

Darüber hinaus spielt in den praktischen<br />

Kampfhandlungen aber auch der<br />

Kampfwert sowie der Kampfwille eine<br />

große Rolle. Eine rein zahlenmäßige<br />

Über legenheit ist noch kein Garant für<br />

den Erfolg im Gefecht.<br />

Neben regulären Kräften leisten in den<br />

Städten auch viele Zivilsten, die sich<br />

bewaffnet oder mit selbst gebastelten<br />

Molotowcocktails ausgestattet haben,<br />

Widerstand. Inwiefern erfordert das von<br />

den russischen Kräften eine andere Vorgehensweise<br />

und was bedeutet das für<br />

die verteidigenden Truppen?<br />

Bei der Beantwortung dieser Frage müssen<br />

doch sehr relevante Aspekte des humanitären<br />

Völkerrechts berücksichtigt werden. Die<br />

Fragen, die in diesem Zusammenhang als<br />

Erstes geklärt werden müssen, sind: Wer ist<br />

Zivilist, was dürfen Zivilisten in bewaffneten<br />

Konflikten und wann dürfen sie bekämpft<br />

werden. Alle gesunden und wehrfähigen<br />

Männer und Frauen der Ukraine, im Alter<br />

zwischen 18 und 60 Jahren, die einberufen<br />

worden sind oder sich freiwillig gemeldet<br />

haben, wurden oder werden in Verteidigungsverbände<br />

der ukrainischen Streitkräfte<br />

eingegliedert. Wer kämpfen will,<br />

bekommt eine gelbe oder blaue Armschleife<br />

und wird so, unabhängig von Ausrüstung<br />

oder Uniform, zum Soldat. Er oder<br />

sie ist daher kein Zivilist mehr und verfügt<br />

über einen Kombattantenstatus mit allen<br />

Vor- und Nachteilen. Kombattanten dürfen<br />

kämpfen, aber auch bekämpft werden. Dies<br />

gilt auch für bewaffnete Gruppen oder Milizen,<br />

die auf diese Art und Weise eingegliedert<br />

werden, sich dem Kampf anschließen<br />

und wenn dies dem Gegner mitgeteilt wird.<br />

Der Art. 2 der Haager Landkriegsordnung<br />

besagt, dass in einem internationalen<br />

bewaffneten Konflikt unter bestimmten<br />

Umständen auch Zivilisten Kombattanten<br />

sind. Diese sogenannte Massenerhebung<br />

(„Levée en masse“) und ihr Recht zu kämpfen<br />

ist ein komplexes theoretisches Gebilde,<br />

das in der praktischen Umsetzung auf<br />

dem Gefechtsfeld viele Probleme mit sich<br />

bringt. Diese Kämpfer unterscheiden sich<br />

rein äußerlich nur durch das offene Tragen<br />

von Waffen von „friedlichen Zivilisten“.<br />

Die Bevölkerung wird so automatisch in<br />

die Kampfhandlungen hineingezogen, da<br />

diese bewaffneten, kämpfenden Zivilisten<br />

direkt bekämpft werden dürfen, aber im<br />

Gefecht praktisch nur schwer zu unterscheiden<br />

sind. Die Wahrscheinlichkeit von Kollateralschäden<br />

an der Bevölkerung werden<br />

dadurch massiv erhöht, es könnten unschuldige<br />

Zivilsten vermehrt Ziel von Angriffen<br />

werden. Gewisse Merkmale der Massenerhebung<br />

wie die Spontaneität der Aufnahme<br />

von Kampfhandlungen treffen nach Ansicht<br />

von Völkerrechtsexperten im Ukraine-Krieg<br />

auch nicht mehr zu. Auf Social Media werden<br />

trotzdem auch Zivilisten gezeigt, die<br />

Molotowcocktails herstellen und deren Einsatz<br />

gegen russische Panzer üben. Der aktive<br />

Einsatz dieser Mittel von Zivilisten wäre<br />

gemäß Völkerrechtsexperten eine Einmischung<br />

in das Kriegsgeschehen von Personen<br />

ohne Kombattantenstatus. Er könnte<br />

sogar zum Kriegsverbrechen werden, wenn<br />

der Einsatz heimtückisch erfolgen würde.<br />

Das heißt, unter dem Strich sind Kämpfe<br />

in Städten nicht nur sehr verlustreich,<br />

sondern auch sehr truppen- und materialintensiv<br />

und sollten von Angreifern um<br />

jeden Preis vermieden werden?<br />

Aus rein taktisch und operativen Überlegungen<br />

wäre es anzustreben, den Kampf im urbanen<br />

Umfeld zu vermeiden oder so lange<br />

es geht hinauszuzögern. Eine Möglichkeit<br />

dazu wäre die Einschließung, Isolierung und<br />

Belagerung einer Stadt. Durch den Entzug<br />

aller Versorgungsmöglichkeiten in Verbindung<br />

mit Steilfeuer- und Raketen beschuss<br />

sowie Angriffen aus der Luft könnte der Angreifer<br />

versuchen, die verteidigenden Kräfte<br />

zu zermürben und zur Kapitulation zu zwingen.<br />

Dies ist aber ebenfalls ein sehr zeitund<br />

kräfteintensives Verfahren und man<br />

müsste sicherstellen, dass die Stadt wirklich<br />

vollkommen isoliert ist und nicht über irgendwelche<br />

Routen versorgt werden kann. Eine<br />

Belagerung wie auch ein Angriff hat natürlich<br />

auch immer massive humanitäre Konsequenzen<br />

für die verbliebene Zivilbevölkerung in<br />

der Stadt. Die mehrjährige Belagerung von<br />

Sarajevo durch die Armee der bosnischen<br />

Serben von April 1992 bis Februar 1996 mit<br />

annähernd 11.500 getöteten und 56.000<br />

verletzten Zivilisten ist hier als Negativbeispiel<br />

anzuführen. Die Inbesitznahme einer<br />

Stadt ist mit dem Ende des Angriffes bei<br />

Weitem nicht abgeschlossen. Danach beginnt<br />

die nächste herausfordernde Phase, in<br />

der die Stadt nachhaltig gehalten, die Bevölkerung<br />

unter Kontrolle gebracht und der<br />

Wille des Angreifers langfristig umgesetzt<br />

werden soll. Dazu sind Nachfolgekräfte, sogenannte<br />

Besatzungskräfte, notwendig, die<br />

sich doch wesentlich von Angriffskräften unterscheiden.<br />

Da Städte aber grundsätzlich<br />

die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen,<br />

infrastrukturellen und religiösen Zentren<br />

eines Landes mit viel Symbolcharakter<br />

darstellen, wird der Kampf um sie aber auf<br />

lange Sicht unvermeidbar sein.<br />

M I L I T Ä R A K T u e L L


0 1 8 W E L T & S T R A T E G I E<br />

Ukraine sehen, dürfte das aber überhaupt<br />

nicht der Fall sein. Wie es<br />

scheint, sind die Bataillone dort<br />

mit ihrer Kompetenz schlichtweg<br />

überfordert.<br />

Worin zeigt sich für Sie diese Überforderung?<br />

Wir haben bereits einige russische<br />

Bataillonskampfgruppen gesehen, die<br />

relativ ungesichert in ungewöhnlichen<br />

Gefechtsabständen und ohne<br />

Begleitung von Kampfhubschraubern,<br />

wie das sehr wohl in Syrien der Fall<br />

war, in ukrainische Hinterhalte gefahren<br />

sind. Da haben ganz offensichtlich<br />

die Aufklärungskapazitäten<br />

davor entweder gefehlt oder sie waren<br />

massiv fehlerhaft.<br />

In Österreich ist dieser „Kampf der<br />

verbundenen Waffen“ auf Brigadeebene<br />

angesiedelt. Prinzipiell<br />

könnte eine Verschiebung auf Bataillonsebene<br />

schon Vorteile bringen,<br />

oder?<br />

Definitiv, deshalb haben wir die Entwicklung<br />

in Russland auch sehr genau<br />

beobachtet. Man hat militärisch<br />

oft das Problem der großen Räume<br />

und geringen Kräfte und da wäre es<br />

natürlich ideal, wenn die wenigen<br />

Kräfte möglichst schnell und rasch<br />

und ohne große Hierarchien, Luftund<br />

Artillerieunterstützung anfordern<br />

können. Dadurch spart man<br />

Zeit, es gehen weniger Informationen<br />

verloren. Wie die Kämpfe in der<br />

Ukraine nun zeigen, ist das auf<br />

Bataillonsebene aber nicht zwingend<br />

erfolgreich.<br />

Das russische Vorgehen lief also von<br />

Beginn weg nicht nach Plan, was<br />

aber auch daran lag, dass die Verteidiger<br />

geschickt agierten. „Sie haben<br />

BILDER DER ZER-<br />

STÖRUNG Längst<br />

haben die russischen<br />

Angreifer neben militärischen<br />

auch zivile<br />

Ziele ins Visier genommen.<br />

Kirchen und<br />

Wohngebäude wurden<br />

ebenso beschossen<br />

wie Schulen,<br />

Kindergärten und<br />

Krankenhäuser.<br />

in den vergangenen Jahren an der<br />

Kontaktlinie im Donbass viele Erfahrungen<br />

gesammelt, die sie nun eingesetzt<br />

haben, um den Russen immer<br />

wieder Nadelstiche zu versetzen“,<br />

sagt Brigadier Eder. „Vieles<br />

davon erinnert an die Grundzüge<br />

unserer Raumverteidigungsüberlegungen,<br />

wenn wir etwa an das Legen<br />

von Hinterhalten denken, an die<br />

Angriffe auf Versorgungskonvois,<br />

das Aufsplittern größerer Truppen<br />

und den Einsatz von Spezialeinsatzkräften.“<br />

Möglich machen all das vergleichsweise<br />

kompakte und kostengünstige<br />

Waffensysteme. „Ebenso wie dem<br />

Bundesheer fehlt es auch der ukrainischen<br />

Armee an ausreichend potenten<br />

Luftverteidigungskräften und der<br />

erforderlichen Anzahl an weitreichender<br />

Artillerie, mit der sich auch<br />

gezielt in die Tiefe schlagen lässt“, erklärt<br />

Brigadier Eder, der noch eine<br />

Parallele zwischen Österreich und der<br />

Ukraine zieht. „Es mangelt an Offensivpotenzial,<br />

um aus der Verteidigung<br />

auch tief in den feindlichen Raum<br />

hinein wirken zu können.“<br />

Ist ein derartiges Offensivpotenzial<br />

für kleine Länder wie Österreich<br />

oder auch die Ukraine, mit ihren<br />

zwar deutlich mehr Einwohnern,<br />

aber ihrer viel geringeren Wirt-<br />

FOTO S : G E T T Y I M AG E S<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


schaftskraft überhaupt realisierbar?<br />

Natürlich, denken wir an Finnland<br />

oder an die Schweiz, die sich auch<br />

deswegen zuletzt für die Beschaffung<br />

von F-35-Kampfflugzeugen entschieden<br />

haben, weil diese Jets dank ihrer<br />

Stealth-Technologie weitgehend unentdeckt<br />

in feindliches Gebiet eindringen<br />

und dort – oder mit weitreichender<br />

Präzisionsmunition sogar<br />

aus dem eigenen Luftraum – Ziele<br />

bekämpfen können. Allein schon die<br />

Tatsache, dass ein Gegner über solche<br />

Mittel verfügt und sie jederzeit zum<br />

Einsatz bringen könnte, wirkt abhaltend<br />

und bindet bei einem Aggressor<br />

massiv Kapazitäten.<br />

Weil man ständig mit einem Gegenangriff<br />

rechnen muss?<br />

Richtig. Flugfelder müssen gesichert<br />

werden, es braucht Luftabwehr auch<br />

im Hinterland, Konvois sind ständig<br />

in Gefahr, attackiert und vernichtet<br />

zu werden. Das alles sind wichtige<br />

Säulen der Abhaltewirkung einer Armee.<br />

Je stärker und potenter ein Land<br />

militärisch auftritt, umso mehr wird<br />

ein potenzieller Aggressor überlegen,<br />

ob er einen Angriff tatsächlich führen<br />

oder besser darauf verzichten sollte.<br />

Wir haben nun über Artillerie,<br />

Luftabwehr und Kampfflugzeuge<br />

gesprochen. Inwiefern gehört zur<br />

Abhaltewirkung auch der Cyberbereich?<br />

Welche Rolle spielt dieser<br />

Aspekt im Ukraine-Krieg.<br />

Eine ganz wichtige – allerdings ist es<br />

da noch viel schwieriger als am<br />

Schlachtfeld, an gesicherte Informationen<br />

zu kommen. Da wird kaum<br />

etwas über Erfolge oder Misserfolge<br />

bekannt, was aber auch daran liegen<br />

kann, dass beide Seiten in diesem Bereich<br />

sehr gut aufgestellt sind und die<br />

Ukraine in den vergangenen Jahren<br />

KRIEG IN DER<br />

UKRAINE<br />

viel in diese Richtung investiert hat.<br />

Das sind durchaus Lehren, die Kiew<br />

aus den Erfahrungen seit 2014 im<br />

Osten der Ukraine gezogen hat, wo<br />

die Rebellen eigenartigerweise über<br />

topmodernes Gerät verfügten und<br />

viele ukrainische Systeme bis hin<br />

zu Zielerfassungsradars einfach<br />

mit elektronischer Kampfführung<br />

weggeblendet haben.<br />

Stichwort Drohnen. Nach dem<br />

Krieg um Bergkarabach spielen die<br />

unbemannten Flug- und Aufklärungssysteme<br />

auch jetzt in der<br />

Ukraine eine wichtige Rolle. Was<br />

heißt das für das Bundesheer?<br />

Dass man sich stärker in dem Bereich<br />

engagieren muss, obwohl es auch in<br />

Zukunft nicht so sein wird, dass Kriege<br />

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0 2 0 W E L T & S T R A T E G I E<br />

ausschließlich mit Drohnen ausgefochten<br />

und gewonnen werden. Wie<br />

immer bei einem Konflikt wird jede<br />

Seite versuchen, Schwächen des<br />

Gegenübers auszumachen und auszunutzen.<br />

Verfügt der Gegner über<br />

keine nennenswerte Drohnenabwehr<br />

und ich selbst habe gute Drohnensysteme,<br />

dann werde ich die natürlich<br />

massiv zum Einsatz bringen. Ist der<br />

Gegner in der Drohnenabwehr aber<br />

sehr gut aufgestellt, dann ist es vermutlich<br />

besser, auf meine Stärken<br />

und andere Systeme zu setzen.<br />

Das heißt, Drohnen sind für<br />

ine moderne Armee in vielerlei<br />

Hinsicht wichtig, allein auf<br />

dieses Pferd zu setzen ist aber<br />

der falsche Weg?<br />

Genau. Wie gerade eben beschrieben:<br />

Sieht ein Gegner in diesem Bereich<br />

Schwächen, wird er sie im Fall der<br />

Fälle nutzen. Drohnen sind auf dem<br />

Schlachtfeld so wichtig geworden,<br />

dass man darauf nicht mehr verzichten<br />

kann. Aber ohne starke Kräfte in<br />

anderen Bereichen werden die besten<br />

Drohnensysteme allein nicht die gewünschten<br />

Erfolge bringen.<br />

Neben Kampfdrohnen spielen in<br />

der Ukraine gerade auch kleinere<br />

Systeme zur Aufklärung eine große<br />

Rolle.<br />

Stimmt und dahingehend wird sich<br />

auch beim Bundesheer in den nächsten<br />

Jahren einiges tun. Diesem Trend<br />

darf man sich einfach nicht verweigern.<br />

In manchen Armeen hat schon<br />

jeder Panzer seine Drohne dabei, um<br />

beispielsweise gefahrlos über Geländekanten<br />

blicken zu können. Gruppen<br />

klären mit Minidrohnen Häuser auf<br />

und wie sich auch jetzt in der Ukraine<br />

zeigt, lassen sich mit kleinen Drohnen<br />

auch effektiv Konvois verfolgen.<br />

Um langsam zum Schluss zu kommen:<br />

Die ukrainischen Verteidiger<br />

haben es geschafft, der russischen<br />

Armee über Wochen hinweg Paroli<br />

zu bieten. Wird das schlussendlich<br />

ein Achtungserfolg bleiben oder hat<br />

ein Land wie die Ukraine tatsächlich<br />

die Chance, einen auf dem Papier<br />

übermächtigen Gegner zu besiegen?<br />

Das sieht man ja gerade. Die Ukrainer<br />

machen das sehr gut und halten<br />

sich nun schon deutlich länger, als<br />

man das erwarten konnte. Das müsste<br />

im Fall der Fälle auch unser Ziel<br />

sein. Wir müssten zumindest über<br />

eine gewisse Zeit abwehrfähig sein<br />

können. Was man nicht vergessen<br />

sollte: Gelingt es, einen Aggressor über<br />

längere Zeit hinweg aufzuhalten und<br />

zu stören, erkauft man sich damit als<br />

Verteidiger auch wertvolle Zeit.<br />

FOTO S : S E B AST I A N F R E I L E R , B Ü R O LU KAS M A N D L / M . L A H O U SS E<br />

EU bekommt Eingreiftruppe<br />

Die EU bekommt als Reaktion auf<br />

den russischen Angriffskrieg in der<br />

Ukraine eine neue militärische Eingreiftruppe,<br />

die bis zum Jahr 2025<br />

einsatzfähig sein soll. Im ersten<br />

Jahr will Deutschland die 5.000 Soldaten<br />

des Kontingents stellen. Anschließend<br />

soll auch Österreich Teil<br />

der Eingreiftruppe sein, wie Verteidigungsministerin<br />

Klaudia Tanner bestätigte.<br />

Die Neutralität Österreichs<br />

stehe dem nicht im Weg. „Selbstverständlich<br />

sind wir dabei.“ Zur neuen<br />

Truppe sollen je nach Bedarf neben<br />

Bodentruppen auch Luft-und Seestreitkräfte<br />

gehören. „Wir müssen<br />

schneller werden, angesichts dieser<br />

herausfordernden Situation“, sagte<br />

Tanner. „Es geht dabei auch darum,<br />

mit einer Stimme zu sprechen, wirklich<br />

glaubwürdig zu sein, uns robuster<br />

aufzustellen. Dass wir da Aufholbedarf<br />

haben, steht wohl außer<br />

Frage.“<br />

Zustimmung zur neuen Eingreiftruppe<br />

kommt auch vom Europaabgeordneten<br />

Lukas Mandl (Bild<br />

rechts unten), der stellvertretender<br />

Vorsitzender des Verteidigungsausschusses<br />

im Europaparlament ist:<br />

„Die Eingreiftruppe war schon vorher<br />

dringend und wichtig. Durch den Angriffskrieg<br />

in Europa ist jetzt die notwendige<br />

Prioritätensetzung endlich<br />

erreicht. Die EU wird aber schon vor<br />

2025 gefordert sein, schnell und<br />

selbstständig zu handeln. Daher<br />

bedarf es täglich der weiteren Stärkung<br />

der PESCO-Projekte, der Einbindung<br />

des Vereinigten Königreichs,<br />

der Schweiz und der sechs Westbalkanstaaten,<br />

der Ausschöpfung und<br />

Aufstockung des Europäischen Verteidigungsfonds<br />

für Innovation und<br />

auch ziviler Technologieführerschaft<br />

sowie einer angemessenen Aufstockung<br />

der Verteidigungshaushalte<br />

der Mitgliedsstaaten. Der Schockmoment<br />

des Angriffskriegs in<br />

Europa muss als Momentum für<br />

eine nachhaltige Sicherheitspolitik<br />

gesehen werden, in der Europa sich<br />

im wahrsten Sinne des Wortes in<br />

seine eigenen Angelegenheiten<br />

einmischt.“<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


Brigadier Philipp Eder<br />

ist Leiter der Abteilung Militärstrategie im<br />

Verteidigungsministerium. Von 1997 bis 2000<br />

absolvierte er seine Generalstabsausbildung,<br />

2002 war er in Afghanistan als nationaler<br />

Kommandant des österreichischen Kontingents<br />

AUTCON ISAF eingesetzt Vor seiner aktuellen<br />

Verwendung leitete er das Institut für Höhere<br />

Militärische Führung an der Landesverteidigungsakademie.<br />

KRIEG IN DER<br />

UKRAINE<br />

Zeit wofür?<br />

Zeit für neue Optionen. Die Ukraine profitiert<br />

jetzt von Waffenlieferungen des Westens,<br />

zu denen es nie gekommen wäre, wenn der<br />

Krieg nach vier Tagen beendet gewesen wäre.<br />

Auch auf der diplomatischen Ebene tun sich<br />

Möglichkeiten auf, die es nie gegeben hätte,<br />

wenn in Kiew seit Wochen eine prorussische<br />

Regierung am Ruder wäre. Darüber hinaus<br />

können sich in den nächsten Wochen auch<br />

noch viele andere Handlungsoptionen auftun,<br />

an die wir heute gar nicht denken und die<br />

möglicherweise für ein überraschendes Ende<br />

des Krieges sorgen.<br />

The Mortar Company.<br />

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0 2 2 W E L T & S T R A T E G I E<br />

Russland vs ukRaine:<br />

das ComebaCk<br />

des ReCep Tayyip<br />

eRdoğan<br />

Unbeschadet seines<br />

Ausganges hat der<br />

Ukraine-Konflikt bereits<br />

einen eindeutigen,<br />

wenn auch unerwarteten<br />

Gewinner: den<br />

türkischen Staatspräsidenten<br />

Recep<br />

Tayyip Erdoğan.<br />

Eine Analyse von IFK-<br />

Experte Walter Posch.<br />

FOTO : G E T T Y I M AG E S<br />

och vor wenigen<br />

N<br />

Wochen begannen<br />

die Medien im Inund<br />

Ausland das<br />

Ende der nun zwei<br />

Jahrzehnte dauernden<br />

Regierungszeit des türkischen<br />

Ministerpräsidenten herbeizuschreiben:<br />

Eine galoppierende Inflation,<br />

hohe Arbeitslosigkeit, mangelhaftes<br />

Corona-Management, eine Opposition,<br />

die langsam zueinander findet und<br />

zum Teil heftige internationale Kritik<br />

schienen das Ende der Epoche Erdoğan<br />

einzuläuten. Die Opposition<br />

begann zum ersten Mal Mut zu fassen<br />

und sich auf die nächsten Präsidentschaftswahlen<br />

vorzubereiten, wobei<br />

allgemein mit auf den Herbst <strong>2022</strong><br />

vorgezogenen Neuwahlen gerechnet<br />

wurde. Negative Meinungsumfragen,<br />

die den Präsidenten und seine Partei<br />

unter 30 Prozent zeigten, und ein<br />

im Fernsehen zunehmend müde und<br />

desorientiert wirkendender Erdoğan,<br />

verstärkten den Eindruck vom Herbst<br />

des Patriarchen.<br />

Als wäre all das noch nicht genug, galt<br />

die Türkei auch im transatlantischen<br />

Verteidigungsbündnis so sehr als Außenseiter,<br />

dass in der NATO sogar die<br />

Bündnistreue Ankaras unter<br />

Erdoğan hinterfragt wurde.<br />

Zu einem guten Teil war das<br />

selbstverschuldet. Aus innenpolitischen<br />

Gründen spielte der<br />

türkische Präsident gerne die Karten<br />

des antiwestlichen Populismus und<br />

des aggressiven Nationalismus aus.<br />

Die Krise im östlichen Mittelmeer und<br />

daran anschließend weitere seerechtli-<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


KRIEG IN DER<br />

UKRAINE<br />

che Ansprüche zu Lasten Griechenlands und das<br />

türkische Engagement in Libyen und Afrika führten<br />

zu einer Konfrontation mit Frankreich; die<br />

harsche Kritik an Israel und der Kauf des russischen<br />

S-400-Flugabwehrsystems verärgerten den<br />

zweifelsohne wichtigsten Verbündeten Ankaras,<br />

die USA. Selbst Deutschland, das der Türkei auch<br />

aus innenpolitischen Gründen immer großes Verständnis<br />

entgegenbrachte, war zunehmend irritiert.<br />

Doch was sich bei vielen Krisen, die Erdoğan<br />

bisher meistern konnte, gezeigt hat, traf auch<br />

diesmal wieder zu: Politisch ins Eck gedrängt und<br />

unter größtem nationalen und internationalen<br />

Druck lief der türkische Präsident bisher immer<br />

zur politischen Hochform auf. So stellte sich der<br />

Verkauf der türkische Bayraktar TB-2-Kampfdrohnen<br />

an die Ukraine als politische Trumpfkarte<br />

heraus. Das Erfolgsprodukt der türkischen<br />

Waffenindustrie gab nicht nur Anlass zu nationalem<br />

Stolz, sondern ist ein weltweit anerkanntes<br />

Waffensystem, das bereits im Kaukasus gegen<br />

Armenien und im Nordirak gegen die PKK erfolgreich<br />

eingesetzt wurde und wird. Bis vor Kurzem<br />

wurden die Drohnen aus türkischer Produktion<br />

im Westen nur von politischen Aktivisten thematisiert<br />

und politischer Druck auf deren Zulieferfirmen<br />

gemacht. Im Februar hat sich das Image<br />

der Bayraktar aber grundsätzlich gewandelt, das<br />

erfolgreiche Waffensystem hat den russischen<br />

Streitkräften nicht nur unermesslichen Schaden<br />

zugefügt, es gilt nun in der westlichen Wahrnehmung<br />

auch als die Waffe auf der politisch und<br />

moralisch richtigen Seite. So mutierten „Erdoğans<br />

Killerdrohnen“ zu stählernen Freiheitsengeln im<br />

Himmel über Kiew in nur wenigen Wochen.<br />

Damit, dass ein Waffengeschäft mit der Ukraine<br />

dereinst eine politische Dividende abwerfen wird,<br />

haben selbst die optimistischsten Analysten in<br />

Ankara nicht rechnen können. Denn durch den<br />

rechtzeitigen Verkauf dieses erfolgreichen Waffensystems<br />

an Kiew kann Ankara in seiner Russlandpolitik<br />

einen pragmatischeren Kurs als den<br />

der EU fahren. Auf diplomatischer Ebene hat Ankara<br />

sich als glaubwürdiger Vermittler zwischen<br />

Kiew und Moskau anbieten können, weil die Verschlechterung<br />

der diplomatischen Beziehungen<br />

Europas zu Russland den türkischen Präsidenten<br />

zu einem der wenigen westlichen Ansprechpartner<br />

für Wladimir Putin machten. Das erlaubt die<br />

Wahrung türkischer Interessen Moskau gegenüber,<br />

zunächst hinsichtlich Syriens, wo die Türkei<br />

– wie übrigens auch Israel – im permanenten<br />

Dialog mit den Russen steht. Darüber hinaus liegen


0 2 4 W E L T & S T R A T E G I E<br />

gedeihliche Wirtschafsbeziehungen<br />

im beiderseitigen Interesse, weder<br />

Russland noch die Türkei können sich<br />

einen Einbruch der Wirtschaftsbeziehungen<br />

leisten. Es ist jedoch dem<br />

konzilianten Tonfall Ankaras zu<br />

verdanken, dass Moskau sich einen<br />

Bruch in den Wirtschaftsbeziehungen<br />

nicht leisten will. Dass Handel und<br />

Tourismus mit Russland die türkische<br />

Wirtschaft nicht retten werden, liegt<br />

auf der Hand. Der eigenen Bevölkerung<br />

gegenüber kann Erdoğan jedoch<br />

zurecht darauf hinweisen, dass er die<br />

türkischen Interessen gegen westliche<br />

Begehrlichkeiten verteidigt hat. Seine<br />

Glaubwürdigkeit in der eigenen Bevölkerung<br />

wird weiter zunehmen, sobald<br />

jene Befürchtungen internationaler Experten<br />

eintreffen, wonach in den kommenden<br />

Monaten die Auswirkungen<br />

von Corona und Russland-Sanktionen,<br />

nämlich Teuerung und Arbeitslosigkeit,<br />

die europäische Mittelklasse<br />

mit voller Wucht treffen werden.<br />

Von europäischer Seite droht für Erdo -<br />

ğan jedenfalls keine Bedrohung mehr.<br />

Wichtige, durch den Ukraine-Krieg<br />

aufgewertete, EU-Mitgliedstaaten<br />

wie Polen hatten aus historischen<br />

Gründen immer gute Beziehungen<br />

zur Türkei und nehmen diese vor<br />

allem mit Blick auf die russische Bedrohung<br />

wahr. Viele Westeuropäer<br />

wiederum sehen die Türkei zunehmend<br />

als Partner in der Flüchtlingsfrage.<br />

Hier kann sich Ankara eine<br />

widersprüchliche Haltung leisten, den<br />

Europäern gegenüber deutet die Türkei<br />

an, die drei Millionen Flüchtlinge<br />

auf ihrem Gebiet weiterhin zu dulden,<br />

während im Inland der xenophoben<br />

und ausländerfeindlichen Stimmung<br />

Tribut gezollt wird. Dass die Opposition<br />

die Rückführung der Flüchtlinge<br />

in ihre Heimatländer als politisches<br />

Hauptziel formuliert hat und, wie Oppositionsführer<br />

Kemal Kılıçdaroğlu<br />

sich ausdrückte, es ablehnt, dass die<br />

Türkei für „EU-Bestechungsgeld“ –<br />

gemeint ist das Hilfspaket – „zum imperialistischen<br />

Flüchtlingsgefängnis“<br />

gemacht wird, mag ihr innenpolitisch<br />

vielleicht nützen, nicht jedoch auf<br />

europäischer Ebene.<br />

Schließlich setzte Erdoğan einen weiteren<br />

Schritt, der ihm im westlichen<br />

Lager nützt: Die Normalisierung der<br />

Beziehungen zu Israel. Der Staatsbesuch<br />

Präsident Izchak Herzogs in der<br />

Türkei läutete das israelisch-türkische<br />

Tauwetter ein, dessen strategische Implikationen<br />

vor dem Hintergrund des<br />

Abraham-Abkommens noch gar nicht<br />

abgeschätzt werden können. Außerhalb<br />

der strategischen Gleichungen<br />

des Nahen Ostens nützt dieser Besuch<br />

der Türkei auch in den USA.<br />

Dort herrscht nach wie vor große<br />

Verärgerung über den Kauf der russischen<br />

Luftabwehrraketen S-400. Aber<br />

selbst dieses Problem lässt sich lösen,<br />

wenn Ankara der Slowakei folgt und<br />

wie diese bereit ist, ihr russisches<br />

Flugabwehrsystem an die Ukrainer<br />

weiterzugeben.<br />

Der Autor ist wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter am IFK mit Forschungsschwerpunkt<br />

Türkei, Irak, Iran sowie<br />

islamistischer Fundamentalismus<br />

und Terrorismus.<br />

VERMITTLER Die Türkei ist NATO-Mitglied und<br />

unterhält enge Beziehungen mit Russland.<br />

Präsident Recep Tayyip Erdoğan bewegt sich<br />

damit gewissermaßen „zwischen den Stühlen“<br />

und nutzt diese Position aktuell für Vermittlungen<br />

zwischen Wladimir Putin und dem Westen.<br />

FOTO : G E T T Y I M AG E S<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


UNSERHEER<br />

EINE INFORMATION DES BMLV<br />

Entgeltliche Einschaltung<br />

Das Heer sorgt für<br />

unsere Sicherheit!<br />

Die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine<br />

rücken die militärische Landesverteidigung<br />

wieder verstärkt in den Fokus. Das Bundesheer<br />

setzt dabei vor allem auf seine Gebirgstruppen<br />

und den Kampf im urbanen Gelände.<br />

Foto: Bundesheer<br />

Gebirgstruppen Beim Bundesheer<br />

sind vor allem die Kräfte<br />

der 6. Gebirgsbrigade und des<br />

Jagdkommandos für Einsätze<br />

im Hochgebirge ausgebildet.<br />

Pandemien, Terrorangriffe, Cyberattacken,<br />

die globale Klimakrise und<br />

ihre weitreichenden Folgen, immer<br />

häufiger auftretende Naturkatastrophen,<br />

unkontrollierte Migrationsströme<br />

und der konventionelle<br />

Krieg in der Ukraine: Die Liste der<br />

Risiken, mit denen Österreich konfrontiert<br />

wird, ist in den vergangenen<br />

Jahren nicht kürzer geworden.<br />

Nun rückt infolge der aktuellen<br />

Entwicklungen in Osteuropa auch<br />

die militärische Landesverteidigung<br />

wieder verstärkt in den Fokus<br />

des Bundesheeres. Für die<br />

UNSERHEER


ot-weiß-roten Streitkräfte stellen<br />

sich damit gewaltige Herausforderungen:<br />

Es braucht einerseits<br />

rasche und gute Antworten auf<br />

Terror- und Cyberbedrohungen<br />

wie Blackout- und Pandemie -<br />

szenarien, Fähigkeiten zur Katastrophenhilfe<br />

und für sicherheitspolizeiliche<br />

Assistenzeinsätze.<br />

Andererseits muss das Heer<br />

aber auch mehr denn je in der<br />

Lage sein, die militärische Landesverteidigung<br />

sicherzustellen<br />

und auf allfällige Bedrohungen<br />

von außen zu reagieren.<br />

Da zwei Drittel unseres Heimatlandes<br />

als Gebirge gelten, steht<br />

dabei vor allem der Kampf im<br />

gebirgigen Gelände im Fokus.<br />

„Mit den speziell für Einsätze im<br />

Hochgebirge ausgebildeten Kräften<br />

von der 6. Gebirgsbrigade<br />

und dem Jagdkommando verfügt<br />

das Heer im Hochgebirge über<br />

schlagkräftige Truppen“, sagt<br />

Oberst Jörg Rodewald, Kommandant<br />

des Gebirgskampfzentrums<br />

in Saalfelden (siehe auch Interview<br />

auf der nächsten Seite). Mit<br />

ihrem gut ausgebildeten Personal<br />

können die Bataillone konventionellen<br />

und subkonventionellen<br />

Bedrohungen im schwierigen<br />

und extremen Gelände begegnen.<br />

Dabei werden sie von<br />

den ebenfalls zur 6. Gebirgsbrigade<br />

gehörenden Stabsbataillon<br />

6 mit seinem Tragtierzentrum in<br />

Hochfilzen und dem Pionierbataillon<br />

in Salzburg unterstützt.<br />

„Darüber hinaus muss jede<br />

österreichische Soldatin und jeder<br />

österreichische Soldat in der<br />

Lage sein, ihren oder seinen Auftrag<br />

als Versorger, Aufklärer oder<br />

Logistiker zumindest auch im<br />

Mittelgebirge erfüllen zu können“,<br />

so Rodewald weiter. „Um<br />

das in Zukunft noch besser zu<br />

gewährleisten, intensivieren wir<br />

die Ausbildung aktuell genau mit<br />

dieser Zielrichtung – ohne andere<br />

Aufgaben und Schwerpunkte<br />

zu vernachlässigen. Der Artillerist<br />

soll weiter Artillerist bleiben,<br />

wir wollen ihn nicht zum Gebirgs -<br />

infanteristen machen. Aber er<br />

soll wissen, mit den besonderen<br />

Herausforderungen und Bedingungen<br />

des Gebirges zurecht -<br />

zukommen und dort seinen<br />

ureigensten Auftrag erfüllen<br />

können.“<br />

Zunehmend entscheidend für<br />

den Erfolg der militärischen<br />

Landesverteidigung ist auch der<br />

Kampf im urbanen Gelände.<br />

„Der Kampf des 21. Jahrhunderts<br />

spielt sich vermehrt nicht<br />

mehr in Wäldern und weiten<br />

Ebenen ab, sondern in Häusern,<br />

Straßen, Ortschaften und großen<br />

Städten“, sagt Generalmajor<br />

Bruno Hofbauer, Überleitungsverantwortlicher<br />

der Direktion Fähigkeiten<br />

und Grundsatzplanung im<br />

Verteidigungsministerium.<br />

„Schon die Kriege auf dem Balkan<br />

in den 1990er-Jahren haben<br />

gezeigt, wie stark es in modernen<br />

Konflikten um Städte geht.<br />

Die Kämpfe in der Ukraine haben<br />

diese Einschätzung nun nochmals<br />

bestätigt.“ Um sich darauf<br />

noch besser vorzubereiten, gilt<br />

GROSSE HERAUSFORDERUNG<br />

Einsätze im urbanen Umfeld erfordern von Soldatinnen<br />

und Soldaten ein besonders hohes Fitnesslevel. Neben<br />

Kraft und Ausdauer sind dabei auch Teamwork und<br />

Konzentrationsfähigkeit gefragt.<br />

Fotos: Bundesheer/Kickenweiz, Bundesheer<br />

UNSERHEER


es nun die Ausrüstung der Soldaten<br />

und des Heeres verstärkt auf<br />

diese Entwicklung abzustimmen,<br />

vor allem aber auch in der Ausbildung<br />

neue Schwerpunkte zu<br />

setzen, wie Hofbauer erklärt:<br />

„Die Fähigkeit, im urbanen Raum<br />

zu kämpfen, muss in Zukunft<br />

jeder Soldat der Kampftruppe in<br />

seiner jeweiligen Ausprägung beherrschen<br />

– vom Gebirgsjäger<br />

über den Luftlandesoldaten bis<br />

hin zum Panzergrenadier.”<br />

Die notwendigen infrastrukturellen<br />

Voraussetzungen dafür werden<br />

aktuell an gleich mehreren<br />

Standorten des Bundesheeres<br />

geschaffen, allen voran am Truppenübungsplatz<br />

Allentsteig. Dort<br />

ist in der Urbanen Trainingsanlage<br />

Steinbach (UTA) zuletzt ein<br />

ganzer neuer Stadtteil entstanden,<br />

bestehende Gebäude wurden<br />

mit modernster Technik ausgestattet<br />

und aufgewertet. Das<br />

Heer kann dort in den Straßen<br />

und Gebäuden unterschiedlichste<br />

Gefechtsszenarien in größerem<br />

und kleinerem Rahmen trainieren<br />

und auch an anderen Standorten<br />

sind entsprechende Anlagen im<br />

Aufbau. „Es ist mit Blickrichtung<br />

2025 das Ziel, eine Bataillons -<br />

trainingsanlage als Gefechtsübungszentrum<br />

in Allentsteig zur<br />

Verfügung zu haben und zumindest<br />

drei weitere Trainingseinrichtungen<br />

für Übungen auf Kompanieebene<br />

im restlichen Bundesgebiet“,<br />

so Hofbauer. „Soldaten<br />

sollen dort lernen, wie sie in<br />

Städten unter Feuer vorgehen,<br />

wie sie dort Drohnen einsetzen,<br />

wie sie führen und kommunizieren<br />

und wie sie es vermeiden, in<br />

die Gefährdungszone feindlicher<br />

Scharfschützen zu kommen.“ Natürlich<br />

hoffe man, nie in Kämpfe<br />

wie in der Ukraine verwickelt zu<br />

werden, so Hofbauer abschließend.<br />

„Wir müssen aber alles in<br />

unserer Macht Stehende tun, um<br />

unsere Soldatinnen und Soldaten<br />

bestmöglich auf derartige Szenarien<br />

vorzubereiten. So sorgen wir<br />

zugleich für ihre Sicherheit und<br />

die Sicherheit unseres Landes.“<br />

„Wir sind international<br />

in einer<br />

Führungsrolle!“<br />

Oberst Jörg Rodewald, Kommandant des<br />

Gebirgskampfzentrums in Saalfelden, über die<br />

Gemeinsamkeiten von Kämpfen im alpinen<br />

Gelände und urbanen Räumen und die<br />

besonderen Herausforderungen des Gebirges.<br />

Herr Oberst, Österreich ist<br />

ein Gebirgsland, aber ist<br />

das Bundesheer auch eine<br />

Gebirgsarmee?<br />

Definitiv! Mit den speziell für<br />

Einsätze im Hochgebirge<br />

ausgebildeten Kräften von der<br />

6. Gebirgsbrigade und dem<br />

Jagdkommando verfügt das<br />

Heer im Hochgebirge über<br />

schlagkräftige Truppen. Darüber<br />

hinaus muss jede österreichische<br />

Soldatin und jeder<br />

österreichische Soldat in der<br />

Lage sein, ihren oder seinen<br />

Auftrag als Versorger, Aufklärer<br />

oder Logistiker zumindest auch<br />

im Mittelgebirge erfüllen zu können.<br />

Um das in Zukunft noch<br />

besser zu gewährleisten, intensivieren<br />

wir die Ausbildung aktuell<br />

genau mit dieser Zielrichtung<br />

– ohne andere Aufgaben und<br />

Schwerpunkte zu vernachlässigen.<br />

Der Artillerist soll weiter<br />

Artillerist bleiben, wir wollen ihn<br />

nicht zum Gebirgsinfanteristen<br />

machen. Aber er soll wissen,<br />

mit den besonderen Herausforderungen<br />

und Bedingungen<br />

des Gebirges zurechtzukommen<br />

und dort seinen ureigensten<br />

Auftrag erfüllen können.<br />

Zuletzt wurde beim Bundesheer<br />

die Ausbildung verstärkt<br />

auch auf den Kampf in urbanen<br />

Regionen fokussiert.<br />

Schließt das eine das andere<br />

nicht aus?<br />

Keinesfalls, das ist sogar ergänzend<br />

zu betrachten. Erst Einsätze<br />

im Umland etwa zum Schutz von<br />

Wasserquellen und anderer relevanter<br />

Infrastruktur versetzen<br />

eine Streitkraft überhaupt in die<br />

Lage, in Städten kämpfen zu<br />

können. Und schützenswerte<br />

Entgeltliche Einschaltung<br />

UNSERHEER


Objekte gibt es bei uns im<br />

Gebirge zuhauf, denken wir beispielsweise<br />

an Stromleitungen,<br />

überregionale Verkehrs- und Bewegungslinien<br />

oder die für die<br />

Versorgung von großen Teilen<br />

Mitteleuropas essenzielle Pipeline<br />

von Triest nach Ingolstadt.<br />

Dazu kommt, dass der Kampf<br />

im Gebirge und der Kampf im<br />

urbanen Raum viele Gemeinsamkeiten<br />

haben.<br />

Sonderfall Gebirge<br />

In den Bergen müssen die<br />

Soldaten unter anderem mit<br />

extremen Wetterbedingungen<br />

und der schlechten Wegeinfrastruktur<br />

umgehen<br />

können.<br />

Entgeltliche Einschaltung<br />

Inwiefern?<br />

Es ist letztlich egal, ob eine<br />

Wand aus Stein oder Beton besteht.<br />

Das Gelände schafft da<br />

wie dort tote Winkel, unterbricht<br />

Sichtlinien, schränkt Aufklärungsmöglichkeiten,<br />

Beweglichkeit<br />

und Waffenwirkung ein. Es<br />

hemmt zudem die Kommunikation,<br />

kanalisiert Truppenbewegungen<br />

und schafft gute Deckungs-,<br />

Versteck- und<br />

Annäherungsmöglichkeiten. Für<br />

einen modern ausgestatteten,<br />

mechanisierten Gegner, der<br />

schnell durchstoßen will, ist das<br />

alles schlecht – das bedeutet<br />

für ihn verlustreiche und zeitaufwendige<br />

Auseinandersetzungen<br />

im abgesessenen Kampf. Und<br />

da wie dort sind in den isolierten<br />

Einsatzräumen vor allem die<br />

Ebenen Gruppe, Zug und Kompanie<br />

gefordert, wird in kleinen<br />

Einheiten operiert. Sie müssen<br />

in der Lage sein, selbstständig<br />

Entscheidungen zu treffen und<br />

handlungsfähig zu bleiben, um<br />

ihren militärischen Auftrag zu<br />

erfüllen.<br />

Womit wir wieder beim<br />

Thema Ausbildung wären.<br />

Genau – da schließt sich der<br />

Kreis. Durch eine gute und umfassende<br />

Ausbildung gewinnt<br />

man an Selbstvertrauen und<br />

Erfahrung, und nur wer mit<br />

Selbstvertrauen an die Herausforderungen<br />

im Gebirge herangeht,<br />

weiß, wie man auch<br />

schwierige Situationen bewältigt.<br />

Wer sich dabei richtig verhält,<br />

wird diese auch erfolgreich<br />

meistern können<br />

„Wir verfügen im<br />

Hochgebirge über<br />

schlagkräftige<br />

Truppen!“<br />

Oberst Jörg Rodewald<br />

Was macht den Kampf im<br />

Gebirge so speziell und so<br />

herausfordernd?<br />

Die besonderen Einflüsse des<br />

Umfeldes. Da denke ich beispielsweise<br />

an das extreme<br />

Wetter, aber auch an die<br />

schlechtere Wegeinfrastruktur<br />

und die Bebauungsstruktur.<br />

Dafür braucht es zusätzliche<br />

Ausrüstung und eine besonders<br />

gute körperliche und psychische<br />

Konstitution und – wie zuvor<br />

schon erwähnt – eine hohe<br />

Selbstständigkeit in allen Elementen.<br />

Die Durchhaltefähigkeit<br />

ist von ganz entscheidender Bedeutung<br />

und nicht zuletzt auch<br />

der Umgang mit Gebirgsgefahren<br />

wie beispielsweise Lawinen.<br />

Wo steht Österreich mit seiner<br />

Gebirgsausbildung im internationalen<br />

Vergleich?<br />

Mit Spanien, Italien, Frankreich<br />

und Deutschland verfügen<br />

gleich mehrere europäische Länder<br />

über sehr potente Gebirgsarmeen,<br />

aber das Bundesheer ist<br />

da definitiv ganz vorne dabei.<br />

Das zeigt sich auch in unserer<br />

Führungsrolle in der „European<br />

Union Pooling and Sharing<br />

Mountain Training Initiative“, da<br />

haben wir eine EU-weite Koordinierungsfunktion.<br />

Seit 2014<br />

bringen wir unsere Expertise<br />

außerdem am „NATO Mountain<br />

Warfare Center of Excellence“<br />

im slowenischen Poljce ein, wo<br />

die meisten unserer Standards<br />

mittlerweile sogar als NATO-<br />

STANAGs übernommen wurden.<br />

Bild: Bundesheer<br />

Impressum: Amtliche Publikation der Republik Österreich / Bundesministerium für Landesverteidigung. Medieninhaber, Herausgeber und<br />

Hersteller: Republik Österreich / Bundesministerin für Landesverteidigung, BMLV, Roßauer Lände 1, 1090 Wien. Erscheinungsjahr: <strong>2022</strong>.<br />

Druck: Heeresdruckzentrum 18-101010100.<br />

UNSERHEER


A I R P O W E R 2 0 2 2<br />

AIRPOWER <strong>2022</strong>:<br />

DIE VORBEREITUNGEN LAUFEN WEITER<br />

Brigadier Wolfgang Prieler hat derzeit alle Hände voll zu tun. Der Organisator der<br />

Airpower <strong>2022</strong> will in Kürze das Nachhaltigkeitskonzept der Megaflugshow präsentieren.<br />

Im Rahmen der Veranstaltung will er verstärkt auch auf die Notwendigkeit<br />

effektiver Mittel für die Kernaufgaben des Heeres hinweisen.<br />

Text: MORITZ KOLAR<br />

FOTO : B U N D E S H E E R / S LU C H F TAU WA R F Z K L Ä R U N G<br />

roht der „Airpower“<br />

D<br />

angesichts der jüngsten<br />

Entwicklungen in<br />

der Ukraine eine Absage?<br />

„Keineswegs“,<br />

sagt Projektleiter<br />

Brigadier Wolfgang Prieler zu Militär<br />

Aktuell. „Wir sind von den aktuellen<br />

Vorgängen und den Auswirkungen<br />

der militärischen Aggression der<br />

Russischen Föderation in der Ukraine<br />

natürlich tief betroffen und die<br />

Durchführung der ,Airpower 22‘ wird<br />

dahingehend auch laufend evaluiert.<br />

Die Vorbereitungen des Projektteams<br />

laufen aktuell aber wie geplant weiter.“<br />

Und die Vorbereitungen laufen gut.<br />

Prieler ortet sowohl in der Öffentlichkeit<br />

als auch bei potenziellen internationalen<br />

Teilnehmern am Flugprogramm<br />

sowie zivilen Firmen großes<br />

Interesse. „Das lässt ein besonders<br />

attraktives Programm erwarten.“<br />

Womit das Organisationsteam aktuell<br />

beschäftigt ist? „Wir sind gerade in<br />

der Endbearbeitung der umfassenden<br />

Nachhaltigkeitsstrategie und bei der<br />

Fixierung letzter Details des Verkehrskonzeptes.<br />

Eine Präsentation aller Bemühungen<br />

im Bereich Nachhaltigkeit<br />

ist für Mitte April geplant.“<br />

Die gemeinsame Veranstaltung von<br />

Bundesheer, Land Steiermark und<br />

Red Bull findet am 2. und 3. September<br />

am Fliegerhorst Hinterstoisser in<br />

Zeltweg statt. Bestehen wird sie aus<br />

einer militärischen Leistungsschau<br />

am Boden sowie Vorführungen der<br />

österreichischen Luftstreitkräfte und<br />

internationaler militärischer Kunstflugstaffeln<br />

und Teilnehmern aus dem<br />

Bereich der Zivilluftfahrt. Darüber<br />

hinaus wird es auch eine statische<br />

Schau ziviler Aussteller aus den<br />

Bereichen der Luftfahrtindustrie,<br />

Forschung und Lehre sowie eine umfangreiche<br />

Rahmenveranstaltung auf<br />

dem Flugplatzgelände inklusive des<br />

Militärluftfahrtmuseums geben. Weiters<br />

werden im Rahmen der „Airpower<br />

22“ auch die Kernaufgaben des Bundesheeres,<br />

insbesondere der Luftstreitkräfte,<br />

im Bereich der Luftraumüberwachung<br />

und zum Schutz der<br />

österreichischen Bevölkerung inklusive<br />

Katastrophenschutz kommuniziert<br />

und veranschaulicht. „Wir wollen<br />

damit auch über die Notwendigkeit<br />

effektiver Mittel für die Kernaufgaben<br />

des Bundesheeres informieren“, so<br />

Prieler. Nachsatz: „Ganz so, wie es im<br />

Nationalen Sicherheitsrat diskutiert<br />

wurde.“ Mit Blick auf den Ukraine-<br />

Krieg hielt das Beratungsgremium<br />

der Regierung kürzlich fest: „Diese<br />

aktuelle Krise zeigt die Notwendigkeit<br />

einer glaubwürdigen militärischen<br />

Landesverteidigung im Sinne eines<br />

gut ausgestatteten und ausgebildeten<br />

Bundesheeres mit einem dementsprechend<br />

hoch dotierten Budget<br />

im Sinne der verfassungsmäßigen<br />

Vorgaben.“<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


0 3 0 H E E R &<br />

M<br />

E H R<br />

INTRÜBER<br />

BRÜHE WERKEN<br />

Bei schwierigen und gefährlichen Unterwasserarbeiten kommen die Pioniertaucher<br />

des Bundesheeres zum Einsatz. Militär Aktuell hat zwei dieser elitären Spezialisten<br />

beim Pionierbataillon 3 in Melk beim Abtauchen getroffen.<br />

Text: STEFAN TESCH<br />

Bilder: SEBASTIAN FREILER & NIKLAS MEYR<br />

er Duft von Gummi<br />

D<br />

liegt in der Luft. Hier<br />

steht das Zubehör<br />

fürs Abenteuer bereit:<br />

Trockentauchanzüge,<br />

Atemregler und Flaschen<br />

in Gitterspinden, die nur mit<br />

Nummern versehen sind. 277 ist eine<br />

davon. Jeder im Heer ausgebildete Taucher<br />

erhält eine fortlaufende Nummer.<br />

Aktuell steht man bei rund 300.<br />

Ein Routineeinsatz im Heimathafen<br />

steht heute auf dem Dienstplan. Die<br />

Steganlage im Bundesheerhafen Melk,<br />

gleich neben der Birago-Kaserne, muss<br />

unter Wasser auf Beschädigungen<br />

überprüft werden. Die Pioniertauchgruppe<br />

der Technischen Kompanie des<br />

Pionierbataillons 3 rückt dazu aus.<br />

Wobei „Gruppe“ fast schon übertrieben<br />

ist, denn aufgrund akuten Personalmangels<br />

besteht sie aus lediglich<br />

zwei Mann, anstatt sieben. Die beiden<br />

Oberwachtmeister Sebastian Schagerl<br />

und Niklas Meyr sind damit zwei von<br />

österreichweit nur zehn aktiven Pioniertauchern<br />

bei den Pionierbataillonen<br />

des Bundesheeres. Hinzu kommen<br />

noch einige beim Jagdkommando.<br />

Unter dem Strich ist es aber ein elitärer<br />

Kreis, über deren Aufnahmeritual<br />

partout kein Wort aus ihnen heraus-<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


T R U P P E N B E S U C H<br />

SCHWERES GEPÄCK 40 Kilogramm wiegt das<br />

„Rückenpackerl“ eines Tauchers, dazu kommen<br />

noch Werkzeuge. Hinab geht es nie alleine,<br />

daher erfolgt auch das Adjustieren nach dem<br />

Buddy-Prinzip.<br />

kommt (nur so viel: „es gibt eines, und<br />

es ist geil und würdig“).<br />

Für die Ausbildung braucht es im<br />

wahrsten Sinne des Wortes einen langen<br />

Atem (mehr dazu siehe Interview<br />

auf der nächsten Seite). Nicht nur weil<br />

man zu Beginn wochenlang „apnoe“<br />

unterwegs ist, sondern weil die Kurse<br />

beim Jagdkommando selten stattfinden.<br />

Und dann muss man im Fall der<br />

Fälle auch noch zu jener Hälfte gehören,<br />

die sie besteht.<br />

Wer es schafft, dem winkt ein außergewöhnlicher<br />

Job abseits des Schreibtisches<br />

mit enormer Verantwortung.<br />

Pioniertaucher sind „Handwerker unter<br />

Wasser“. Sie schneiden mit hydraulischen<br />

Kettensägen, werken mit dem<br />

Presslufthammer, schweißen, sprengen<br />

und bergen – etwa versunkene Fahr-<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


0<br />

3<br />

2 H E E R & M E H R<br />

zeuge. Und das auch im Winter, ohne<br />

Sicht und mitten in der Strömung.<br />

Bessere Bedingungen herrschen glücklicherweise<br />

beim Check des Steges im<br />

Heimathafen. Mit dabei ist die unterwassertaugliche<br />

Akku-Bohrmaschine.<br />

40 Kilo wiegt das „Packerl“ aus Flaschen<br />

und Tarierjacket auf dem Rücken<br />

der Taucher. Für härtere Einsätze gibt<br />

es noch einen Helm inklusive Funkverbindung<br />

zum Buddy und an die<br />

Oberfläche oben drauf.<br />

„Wir freuen uns<br />

schon über zehn<br />

Zentimeter Sicht“<br />

OBERWACHTMEISTER SEBASTIAN SCHAGERL<br />

ist Kommandant der Pioniertauchgruppe in der<br />

Technischen Kompanie des Pionierbataillons 3.<br />

Herr Oberwachtmeister, warum sind Sie Pioniertaucher geworden?<br />

Ich tauche privat, seit ich zwölf Jahre alt bin, und als ich dann erfahren habe, dass<br />

es beim Heer den Beruf des Pioniertauchers gibt, war für mich klar, dass ich das<br />

machen möchte.<br />

Erster Ausbildungsschritt ist der Grundtauchkurs. Welche Voraussetzungen<br />

muss man mitbringen?<br />

Die Ausbildung zum Heerestaucher absolviert man beim Jagdkommando, sie dauert<br />

13 Wochen. Dass man schon tauchen kann, ist keine Voraussetzung, da bei null<br />

begonnen wird. Gute körperliche Leistung – etwas mehr als sonst beim Heer verlangt<br />

wird – ist aber schon mitzubringen. Am Anfang stehen drei Wochen Apnoe-<br />

Ausbildung, wo selektiert wird, wer den Job wirklich machen will. Man wird ständig<br />

in Stresssituationen versetzt, um zu sehen, wie sich das in Kombination mit Atemnot<br />

auswirkt. Denn Panik ist unter Wasser der größte Feind. Egal was passiert, wir müssen<br />

uns auf unseren Buddy verlassen können und ruhig bleiben.<br />

KAUM SICHT Solch „blaues Wasser“ wie auf<br />

dem Foto oben genießen die Pioniertaucher<br />

selten. Meist arbeiten sie in trüber Brühe und<br />

müssen sich dabei auf ihren Tastsinn verlassen.<br />

Wie ist es Ihnen dabei gegangen?<br />

Bei unserem Kurs hatten wir eine 50-prozentige Ausfallquote. Es ist zwar körperlich<br />

anstrengend, aber mental ein Wahnsinn. Es gibt Situationen, wo es finster ist, und<br />

ein Ausbildner reißt dir plötzlich unter Wasser die Maske herunter oder schraubt dir<br />

die Flasche zu. Und da sollst du nicht in Panik verfallen! Es folgen die Basics im Tauchen<br />

mit Flaschen. Ebenso eine Ausbildung mit dem Trockentauchanzug, mit der<br />

Vollmaske und im Bereich Tauchmedizin. Man führt kleine Unterwasserarbeiten<br />

wie Nägel einschlagen durch.<br />

Dann ist man fertiger Heerestaucher. Wie wird man aber Pioniertaucher?<br />

Danach sind rund zwei Jahre Tauchpraxis zu sammeln und es wird bei Einsätzen und<br />

Übungen mit fertigen Pioniertauchern zusammengearbeitet. Erst dann geht es zum<br />

Pioniertauchkurs, der sieben Wochen dauert. Dort lernt man nicht nur das handwerkliche<br />

Arbeiten mit leichtem und schwerem Gerät unter Wasser. Sondern auch<br />

die gesamte Planung von Tauchgängen und Arbeiten inklusive Material, alle Abläufe<br />

und Sicherheitsvorschriften. Als Sicherheitsoffizier führt man Tauchtrupps von<br />

der Oberfläche aus. So ein möglicher Auftrag ist, ein Auto aus 40 Metern Tiefe zu<br />

bergen. Als Sicherheitsoffizier ist man für den gesamten Einsatz zuständig und verantwortlich.<br />

Man koordiniert neben seiner eigenen Gruppe auch die Feuerwehr,<br />

die Wasserrettung sowie Boote. Eine echte Herausforderung bei der Führung! Es<br />

kann vorkommen, dass dabei ein Oberwachtmeister sogar hochrangige Offiziere<br />

unter sich hat.<br />

Welche Ausrüstung und Werkzeuge habt ihr mit?<br />

Zum Arbeiten schweres hydraulisches Gerät wie Kettensäge, Winkelschleifer, Bohrer,<br />

Schremmhammer. Aber auch kleinere Varianten davon mit Akku. Und Hebeballons,<br />

um mehrere Tonnen schwere Gegenstände zu bergen. Bei Einsätzen, bei<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


T R U P P E N B E S U C H<br />

denen wir nicht autark, also mit Flasche unterwegs<br />

sind, tauchen wir mit der „Nabelschnur“.<br />

Dabei wird der Taucher von der<br />

Oberfläche mit Luft versorgt. Das ist extrem<br />

aufwendig: Es braucht fünf Personen, damit<br />

einer ins Wasser gehen kann! Dabei geht<br />

man stark überbleit hinunter und schwebt<br />

nicht. So kann man etwa beim Schneiden<br />

mit der „Flex“ ordentlich dagegen drücken.<br />

Was sind typische Einsätze?<br />

Die gibt es nicht! Wir kommen erst dann<br />

zum Einsatz, wenn Feuerwehren und zivile<br />

Firmen aufgrund der Gefahr oder Schwierigkeit<br />

Aufgaben nicht mehr übernehmen<br />

können. Ein Beispiel ist die Erkundung von<br />

Brückenpfeilern mitten im Donaustrom. Wir<br />

mussten bei einem Einsatz in Mautern die<br />

Pfeiler auf Beschädigungen absuchen und<br />

uns dabei am Seil festhalten. Dabei hat man<br />

sogar den Sog der vorbeifahrenden Schiffe<br />

gespürt. Oder in einem Fischteich, wo wir<br />

erst meterhohen Schlamm absaugen mussten,<br />

ohne zu wissen, ob die Absperrung<br />

zum Auslaufschacht offen oder geschlossen<br />

ist. Gott sei Dank war sie zu, denn<br />

schlimmstenfalls hätte es uns dort durchsaugen<br />

können. Auch mussten wir einen<br />

in den Ennskanal gestürzten Lkw heben.<br />

Denn wir Pioniertaucher sind die einzigen,<br />

die derart schwere Dinge bergen können.<br />

Das heißt, es gibt bei euch keinen<br />

Alltag?<br />

Nein. Wir üben viel und verbringen auch<br />

eine Menge Zeit mit der Wartung des Materials.<br />

Dazwischen erledigen wir Aufgaben,<br />

die im Alltag der Pioniere anfallen: Heraufholen<br />

von Dingen, die vom Boot ins Wasser<br />

gefallen sind, etwa abgerissene Anker.<br />

Außerdem gehört auch die Ausbildung von<br />

neuen Tauchern dazu.<br />

Wo liegen die größten Unterschiede<br />

zum Hobbytauchen?<br />

Man kann das absolut nicht mit Freizeittauchen<br />

vergleichen. Wir sind die Spezialisten<br />

für Arbeiten unter Wasser bei null Sicht. Wir<br />

sehen meistens sogar nicht mal den Tauchcomputer<br />

am Handgelenk. Wir freuen uns<br />

schon über zehn Zentimeter Sicht! Ab und<br />

zu gibt es „Sunshine-Tauchgänge“ wie etwa<br />

im Sommer am Neufelder See. Aber wir<br />

tauchen das ganze Jahr bei jedem Wetter.<br />

Und wir absolvieren Spezialkurse wie Eistauchen,<br />

Unterwassersprengen, Schweißen<br />

und Tieftauchen bis 40 Meter.<br />

Warum gibt es so wenige Taucher im<br />

Bundesheer?<br />

Erstens wegen der harten und selektiven<br />

Ausbildung. Zweitens wegen Charakter -<br />

eigenschaften. Ich als Kommandant muss<br />

manchmal Personen deswegen ablehnen.<br />

Weil gemeinsam ins Wasser zu gehen bedeutet,<br />

man muss einander zu 100 Prozent<br />

vertrauen. Leute, die sich und anderen ständig<br />

etwas beweisen wollen, sind hier falsch.<br />

Was fasziniert Sie an Ihrem Job?<br />

Wir sind wie eine Spezialeinheit. Wir Taucher<br />

sind ein kleiner Personenkreis, der<br />

besondere Fähigkeiten hat. Unter Wasser<br />

Ruhe zu bewahren ist etwas, was man kann<br />

oder eben nicht kann.<br />

sales.rse@rheinmetall.com<br />

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Wetter- und Lichtverhältnissen trotzen: Teamfähigkeit auf Knopfdruck.<br />

Das Laser Modul LM-VTAL gemeinsam mit dem modularen Tactical Light TL-MissionLight.<br />

LLM-VarioRay – Kampfwertsteigerung 2.0


0 3 4 H E E R & m E H R<br />

Text: CONNY DERDAK<br />

Fotos: PETRA RAUTENSTRAUCH<br />

Mit Virtual<br />

Reality<br />

in die<br />

Zukunft<br />

VR beim<br />

Sanitätszentrum<br />

Ost<br />

Entwickelt wurden die virtuellen<br />

Ausbildungsszenarien von den VR-<br />

Profis von Somareality gemeinsam<br />

mit Hauptlehrunteroffizier Vizeleutnant<br />

martin Erbida und Ausbildungsunteroffizier<br />

Wachtmeister<br />

Harald Aichberger vom Sanitätszentrum<br />

ost. Dahinter liegt die Hardware<br />

mobile VR. Alles, was es für<br />

die Anwendung braucht, sind Brille,<br />

Controller und WlAN. Wollen zwei<br />

Personen miteinander Abläufe trainieren,<br />

so müssen sie nicht einmal<br />

am selben ort sein – sie treffen sich<br />

im virtuellen Raum. Insgesamt können<br />

bis zu zehn Personen in ein VR-<br />

Szenario einsteigen: Zwei arbeiten<br />

als Sanitäter, die anderen sehen zu.<br />

Derzeit verfügt das Sanitätszentrum<br />

ost über zwölf VR-Brillen.<br />

Ich habe von Medizin keine Ahnung, doch<br />

heute bin ich Sanitäterin. Ich erlebe eine<br />

Notfallsituation live und vor Ort, gehe der<br />

Ärztin zur Hand. Wie? Dank Virtual Reality<br />

(VR) im Sanitätszentrum Ost.<br />

I<br />

ch setze die Brille auf den<br />

Kopf, zurre sie fest, nehme<br />

in jede Hand einen Controller.<br />

Alles schwarz.<br />

Aber nicht lange: Zack,<br />

plötzlich befinde ich mich<br />

in einer Parallelwelt. Links, rechts, oben,<br />

unten – wo ich auch hinsehe, ein anderer<br />

Ort. Ich fühle mich wie in einem<br />

Computerspiel. Ich höre die Stimmen<br />

der Menschen um mich herum, aber ich<br />

selbst bin ganz woanders, in einer virtuellen<br />

Welt – gemeinsam mit Oberstarzt<br />

Doktor Gudrun Walter, Kommandantin<br />

des Sanitätszentrum Ost, die auch real<br />

mit einer VR-Brille auf dem Kopf neben<br />

mir steht. Auf dem Boden vor uns ein<br />

Mann, der kollabiert ist.<br />

Jetzt muss es schnell gehen! Hemd<br />

öffnen, Vitalfunktionen checken!<br />

Doktor Walter lässt mich den Defibrillator<br />

holen, checkt die Pupillen<br />

des Mannes, spricht ihn an. Mehr als<br />

ein „Hallo“ kommt nicht zurück. Ich<br />

gehe näher ran, greife nach seinem<br />

Handgelenk, fühle seinen Puls. Der<br />

Controller in meiner Hand vibriert im<br />

Takt des Pulsschlags. Doktor Walter<br />

zeigt mir die Zunge des Mannes, sie<br />

sieht verdreht aus. Ein Mundwinkel<br />

hängt nach unten, ein Auge zwinkert<br />

schneller als das andere. Klare Diagnose:<br />

Schlaganfall. Doktor Walter<br />

übernimmt die Erstversorgung, gemeinsam<br />

füllen wir das Protokoll aus.<br />

Ich nehme die Brille wieder ab, bin<br />

schlagartig zurück in der „echten<br />

Welt“.<br />

Ein solches Übungsszenario realer zu<br />

erleben, ist kaum möglich. Es sei denn,<br />

man stellt es mit Schauspielern nach.<br />

Und selbst dann: Ein Schauspieler kann<br />

unmöglich die körperlichen Symptome<br />

eines Schlaganfalls imitieren.<br />

Foto S V R - A N S I C H t E N : S o m A R E A l I t y<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


R E P O R TA G E<br />

MITTENDRIN STATT NUR DABEI VR gibt<br />

direktes Feedback – auch in Situationen, in<br />

denen dafür bei einem „realen“ Übungsszenario<br />

oft gar keine Zeit wäre. Zudem<br />

kann die neue Technologie auch den<br />

Theorieunterricht lebendiger machen.<br />

Was muss ich vorbereiten, was aus dem<br />

Fahrzeug mitnehmen? Was frage ich den<br />

Patienten? Worauf muss ich achten, welche<br />

Handlungen setzen? – Fragen, deren<br />

Antworten in Fleisch und Blut übergehen<br />

müssen, und zwar durch häufiges<br />

Training. „Niemand muss jetzt mehr<br />

Patient spielen, die Übungen sind beliebig<br />

oft und mit wenig Aufwand reproduzierbar,<br />

es gibt keine Abnützung von<br />

Geräten, keinen Verbrauch von Materialien“,<br />

erklärt Doktor Walter, die die Idee<br />

zur Einführung der Virtual-Reality-Brillen<br />

hatte, stolz. Eine Idee, die sie auch<br />

prompt umsetzte. „Als es mit Covid<br />

losging, habe ich festgestellt, dass ich die<br />

Ausbildung interessanter gestalten muss.<br />

Also habe ich mich mit dem Thema<br />

befasst, einen Anbieter in Österreich<br />

gefunden, Genehmigungen eingeholt<br />

und mich an die Arbeit gemacht.“<br />

VR beim ÖBH, das ist nicht neu. Diese<br />

Technik, bei der man sich frei durch den<br />

Raum bewegt und Tätigkeiten ausführt,<br />

die gibt es aber nur im Sanitätszentrum<br />

Ost. In Österreich ist das Bundesheer<br />

absoluter Vorreiter in der Digitalisierung<br />

der Sanitätsausbildung – sogar andere<br />

Blaulichtorganisationen kommen, um<br />

sich ein Bild zu machen.<br />

Und wie geht’s weiter? „Die nächste Ausbaustufe<br />

wird sein, Schuss- und Sprengverletzungen<br />

in die Szenarien einzubauen.<br />

Und ich möchte künftig auch die<br />

Prüfungen mittels VR durchführen“, so<br />

Doktor Walter, „Es kommt immer wieder<br />

vor, dass sich Prüflinge ungerecht<br />

behandelt fühlen.“ Was dann Geschichte<br />

wäre, denn VR macht alles nachvollziehbar<br />

und abrufbar. Auch jetzt steht dem<br />

Sanitätszentrum Ost seine Vorreiterrolle<br />

bereits gut. VR ist dynamisch, neu und<br />

spannend. Es zieht junge Menschen an<br />

und macht die Ausbildung zum Erlebnis.<br />

DREAMTEAM Doktor Walter mit den VR-Profis von Soma -<br />

reality, die auch die Trainings für die MedUni Wien entwickeln.<br />

„Wir bilden<br />

nicht nur<br />

Rekruten aus“<br />

Oberstarzt Doktor Gudrun<br />

Walter, Kommandantin<br />

des Sanitätszentrums Ost,<br />

im Gespräch mit Militär<br />

Aktuell.<br />

Wie lange dauert die Sanitätsausbildung?<br />

Wir unterscheiden zwischen<br />

Rettungs- und Notfallsanitäter.<br />

Bei beiden wird zuerst ein Monat<br />

Theorie unterrichtet, danach<br />

kommt die Praxis: beim Rettungssanitäter<br />

dauert diese einen Monat,<br />

beim Notfallsanitäter zwei.<br />

Dürfen an der Ausbildung nur<br />

Rekruten teilnehmen?<br />

Den Rettungssanitäter machen primär<br />

Rekruten – aber auch Teilnehmer<br />

der Kaderanwärterausbildung<br />

1, die den Beruf des Sanitätsunteroffiziers<br />

anstreben. Darauf folgt der<br />

Notfallsanitäter, der ist in die Kaderanwärterausbildung<br />

2 eingebettet.<br />

Auch ausgewählte Personen von<br />

der Militärpolizei, Polizisten und<br />

Mitglieder anderer Einsatzorganisationen<br />

machen bei uns den Sanitäter<br />

als Zusatzausbildung.<br />

Welche Inhalte werden vermittelt?<br />

Angehende Rettungssanitäter lernen,<br />

qualifizierte Erste Hilfe zu leisten,<br />

Sanitätshilfe und Rettungstechniken,<br />

den Umgang mit einem Defibrillator<br />

und die Verabreichung von<br />

Sauerstoff. Beim Notfallsanitäter<br />

wird noch mehr auf Anatomie und<br />

Physiologie Wert gelegt, die Störung<br />

der Vitalfunktionen, wie man sich<br />

bei Notfällen, Katastrophen, Un -<br />

fällen und Gefahren verhält. Wir<br />

wollten die Übung dieser wichtigen<br />

Abläufe vereinfachen, da hatte ich<br />

die Idee mit den VR-Brillen.<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


0 3 6 H E E R &<br />

M<br />

E H R<br />

AUF<br />

NUMMER<br />

SICHER<br />

Um die Absturzgefahr bei Arbeitseinsätzen zu minimieren, setzt das Bundesheer<br />

auf eine selbst entwickelte Schutzausrüstung und -ausbildung. Ein Besuch<br />

bei einem Lehrgang am ABC- und Katastrophenhilfeübungsplatz Tritolwerk.<br />

Text: JÜRGEN ZACHARIAS<br />

Fotos: SEBASTIAN FREILER<br />

K<br />

lar, Armeen sind in erster<br />

Linie dazu da, um<br />

Frieden zu gewährleisten,<br />

für Sicherheit zu<br />

sorgen und im Fall der<br />

Fälle Aggressoren abzuwehren.<br />

Streitkräfte erfüllen darüber<br />

hinaus aber auch zahlreiche weitere<br />

Aufgaben: Sie unterstützen zivile Behörden<br />

und Blaulichtorganisationen<br />

beispielsweise bei der Bewältigung von<br />

Elementarereignissen wie Blackouts<br />

und Naturkatastrophen. Bei Bedarf<br />

bauen Soldaten Brücken und Straßen.<br />

Sie führen Felssprengungen durch, errichten<br />

Feldlager und Containerdörfer.<br />

Sie befreien aber auch Dächer von<br />

Schneelasten, beseitigen Kampfmittel<br />

selbst in unzugänglichen Gebieten und<br />

arbeiten Wind- und Schneebrüche auf.<br />

Um diese vielfältigen Herausforderungen<br />

meistern zu können braucht es<br />

Equipment und Know-how: Maschinen<br />

und Fahrzeuge, Werkzeuge, Logistik<br />

und Versorgung – immer wieder auch<br />

die „Persönliche Schutzausrüstung<br />

gegen Absturz für Arbeitseinsätze“,<br />

kurz PSAgAfA. Damit sichern sich<br />

Soldaten bei Arbeitseinsätzen gegen<br />

Abstürze aus großen Höhen oder im<br />

steilen Gelände, bei denen ansonsten<br />

mit schweren Verletzungen zu rechnen<br />

wäre.<br />

Lokalaugenschein am ABC- und Katastrophenhilfeübungsplatz<br />

Tritolwerk<br />

im Süden von Wien. Die Temperaturen<br />

liegen um den Gefrierpunkt, der Wind<br />

pfeift, weil er hier nicht bleiben möchte.<br />

Je drei Soldatinnen und Soldaten der<br />

Villacher und der Melker Pioniere kom-<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


R E P O R TA G E<br />

men trotz der winterlichen Bedingungen<br />

ordentlich ins Schwitzen. Für das<br />

Sextett geht es heute ans Eingemachte.<br />

Am vierten Tag ihrer Ausbildung zum<br />

PSAgAfA-Fachanwender müssen sie in<br />

einem Stationsbetrieb mehrere knifflige<br />

Aufgaben lösen. Nach den Theorieund<br />

Praxiseinheiten an den Vortagen<br />

und ihrer bereits absolvierten Grundanwender-Ausbildung<br />

führen sie nun<br />

Vor- und Sicherungsarbeiten durch, um<br />

möglichst gefahrenlos einen Stahlträger<br />

im Dachgeschoss eines mehrstöckigen<br />

Gebäudes abschneiden zu können. Das<br />

klingt leichter, als es tatsächlich ist. Die<br />

Soldaten arbeiten mit Seilen, Flaschenzügen<br />

und Umlenkrollen. Sie spannen<br />

eine Leiter ab, befestigen Bandschlingen,<br />

errichten am Dach eine Horizontalsicherung.<br />

Aller Gewissenhaftigkeit<br />

zum Trotz haben Hauptmann Lukas<br />

Walter vom Institut Pionier der Heerestruppenschule<br />

und Major Ulf Remp,<br />

Ausbildungsverantwortlicher für die<br />

Schutzausrüstung beim Pionierbataillon<br />

1, in der Nachbesprechung einige Anregungen.<br />

„Ihr hattet zu viele Leute in der<br />

Horizontalsicherung“, sagt Remp vor<br />

versammelter Mannschaft. „Sprecht<br />

euch beim nächsten Mal besser ab und<br />

teilt euch auf.“ Auch die Positionierung<br />

der Sicherungselemente könnte man<br />

optimieren. „Bei einer perfekten Planung<br />

der Aufgabe hättet ihr sogar weniger<br />

sichern müssen.“<br />

„Sie haben das unter dem Strich aber<br />

gut gemacht“, sagt Hauptmann Walter,<br />

Verantwortlicher für die Aus-, Fortund<br />

Weiterbildung im Baudienst, Brücken-,<br />

Wasser- und Straßenbau sowie<br />

einer der führenden Experten im Heer<br />

für PSAgAfA. „Nachdem jahrzehntelang<br />

mit unzureichenden Behelfsmitteln<br />

oder gar nicht gesichert wurde,<br />

musste sich das Bundesheer Anfang<br />

der 2000er-Jahre den zivilrechtlichen<br />

Bestimmungen anpassen“, so Walter.<br />

Ergänzend zur bei der ABC-Abwehrtruppe<br />

damals bereits eingeführten<br />

„Persönlichen Schutzausrüstung gegen<br />

Abstürze“ brauchte es auch ein Äquivalent<br />

für Rettungs- und Bergeeinsätze.<br />

Um diesen Bedarf zu decken, wurde<br />

2013 eine Arbeitsgruppe unter der<br />

Leitung des Amtes für Rüstung und<br />

Wehrtechnik ins Leben gerufen und<br />

eine Kooperation mit einem Geräteausstatter<br />

in Tirol eingegangen. „Wir<br />

konnten die notwendigen Ausbildungen,<br />

Erlässe und Vorschriften ausarbeiten<br />

und speziell auf Arbeitseinsätze in<br />

der Höhe abgestimmte Geräte und<br />

Ausrüstung sowie Systemkomponenten<br />

weiter- oder gänzlich neu entwickeln“,<br />

so Walter, für den das Thema „lebende<br />

Materie“ ist. „Es wird immer Verbesserungsmöglichkeiten<br />

und -bedarf geben.<br />

Wir nehmen Rückmeldungen und Änderungswünsche<br />

der Truppe sehr ernst<br />

und lassen sie in unsere Ausrüstungsund<br />

Ausbildungsstandards einfließen.“<br />

Herzstück der Ausrüstung sind Gurt<br />

und Helm. Zum Equipment gehören<br />

aber auch Bandschlingen, Seile, Karabiner<br />

und Sicherungsgeräte. „Wir verwenden<br />

möglichst redundante und<br />

robuste Systeme. Das erhöht die Fehlertoleranz<br />

und verkürzt die Ausbildungsdauer“,<br />

sagt Hauptmann Walter<br />

im Gespräch mit Militär Aktuell. Ziel<br />

ist eine möglichst hohe Praxis- und<br />

Anwenderfreundlichkeit, um bei vergleichsweise<br />

kurzer Ausbildung maximale<br />

Sicherheit zu ermöglichen.“<br />

Zurück zu unseren Pionieren, die mittlerweile<br />

mit der nächsten Aufgabe<br />

konfrontiert sind: Im Team müssen<br />

sie einen Arbeitseinsatz auf einem<br />

Dachvorsprung eines Industriegebäudes<br />

planen, durchführen und dabei<br />

auch den Einsatz eines Kranfahrzeugs<br />

koordinieren. Der als Kommandant<br />

eingeteilte Wachtmeister des Pionierbataillons<br />

1 verteilt die Aufgaben und<br />

gibt die Arbeitsschritte vor. Danach<br />

bespricht er sich mit dem Kranführer.<br />

Major Remp und Hauptmann Walter<br />

beobachten. „Keine leichte Aufgabe“,<br />

sagt Remp. „Ich bin gespannt, wie sie<br />

das jetzt lösen werden.“<br />

LEVELS & EQUIPMENT<br />

Bei der Ausbildung im Umgang mit der „Persönlichen<br />

Schutzausrüstung gegen Absturz für Arbeitseinsätze“ gibt<br />

es vier Qualitätsstufen, wie Hauptmann Lukas Walter vom<br />

Institut Pionier (Bild linke Seite oben) erklärt: Grundanwender,<br />

Fachanwender, Ausbilder und Lehrer. Die Ausrüstung<br />

besteht im Wesentlichen aus Helm, Bandschlingen, Karabinern,<br />

Gurt, Seil und einigen speziell für die Anforderungen<br />

beim Heer entwickelten Systemkomponenten.<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


0 3 8 H E E R &<br />

M<br />

E H R<br />

MISSIONPOSSIBLE<br />

OUTDOOR ÜBERLEBEN MIT DEM<br />

JÄGERBATAILLON<br />

Von der Überquerung eines Gewässers und der Nahrungssuche in der Wildnis<br />

bis zur Orientierung im Gelände: Gemeinsam mit dem Jägerbataillon 25<br />

beschreiben wir in jeder Ausgabe Outdoor-Überlebenstechniken. Dieses Mal:<br />

der Bau von Schneeschuhen und eines einfachen Transportschlittens.<br />

Text: JÜRGEN ZACHARIAS<br />

Fotos: SEBASTIAN FREILER<br />

W<br />

er im Gelände größere<br />

Distanzen überwinden<br />

möchte, benötigt<br />

gutes Schuhwerk,<br />

Ausdauer und Trittsicherheit.<br />

Um nicht anstrengend durch Tiefschnee<br />

stapfen zu müssen, kommen<br />

dazu im Winter auch noch Ski (wenn<br />

es bergauf geht Tourenski mit Fellen)<br />

oder Schneeschuhe. Während Erstere<br />

ebenso wie die dafür benötigten<br />

(Touren-)Skischuhe auch mitgeführt<br />

werden müssen, wenn wir sie gerade<br />

nicht benötigen und damit das<br />

Gewicht der Ausrüstung massiv<br />

erhöhen, lassen sich einfache<br />

Schneeschuhe – ein wenig handwerkliches<br />

Geschick vorausgesetzt –<br />

unterwegs auch in wenigen Minuten<br />

selbst bauen.<br />

Was wir dazu benötigen: Ein Messer<br />

oder eine kompakte Säge, dünnes<br />

Seil, einige daumendicke und biegsame<br />

Zweige Grünholz sowie Reisig<br />

(1). Im ersten Arbeitsschritt biegen<br />

wir einen besonders langen Zweig in<br />

die Form eines Tropfens und binden<br />

die Enden zusammen. Wenn das<br />

Holz zuvor über Feuer erwärmt<br />

wird, lässt es sich leichter formen –<br />

es sollte aber auch so funktionieren.<br />

Anschließend einige Zweige kürzen,<br />

als Quer- oder Diagonalstreben verwenden<br />

und mit dem Seil am Rahmen<br />

fixieren (2). Im nächsten Schritt ver-<br />

1 Equipment besorgen<br />

Grundgerüst bauen<br />

2<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


Expertentipp<br />

„Ziel ist es, sich auch bei<br />

Schnee möglichst kraftsparend<br />

und sicher fortzubewegen.<br />

So verschwenden wir nicht<br />

unnötig Energie und kommen<br />

leichter an unser Ziel.“<br />

Soldat des Jägerbataillons 25<br />

dichten wir das Grundgerüst mit Reisig<br />

(3). Ideal sind Zweige von Bäumen<br />

mit besonders kräftigen und dicht<br />

stehenden Nadeln. Abschließend die<br />

Füße auf den Schneeschuhen befestigen.<br />

Dazu den Fuß möglichst mittig<br />

S U R V I V A L G U I D E<br />

über mehrere Querbalken stellen und<br />

den Schuh mit dem Seil am Schneeschuh<br />

fixieren (4). Dabei darauf achten,<br />

dass sich die Ferse möglichst frei<br />

bewegen lässt – das erleichtert anschließend<br />

das Marschieren (5).<br />

SCHRITT FÜR SCHRITT<br />

ZU SCHNEESCHUHEN<br />

DER MARKE EIGENBAU<br />

3<br />

Gerüst mit<br />

Zweigen verdichten<br />

5<br />

4<br />

Füße fixieren<br />

marschieren<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


0 4 0 H E E R &<br />

M<br />

E H R<br />

Apropos marschieren: Müssen wir<br />

dabei schweres Gepäck befördern<br />

und ist die Schneedecke möglichst<br />

fest und gefroren, empfielt sich auch<br />

der Bau eines Schlittens. Dazu benötigen<br />

wir (stabile) Äste und Stöcke –<br />

in jedem Fall auch eine stabile Astgabel.<br />

(A). Die beiden Längsstreben<br />

der Gabel bilden die Kufen unseres<br />

Schlittens und ähnlich wie zuvor<br />

bereits bei den Schneeschuhen befestigen<br />

wir daran zur Stabilisierung<br />

Quer- und Diagonalstreben (B). Dafür<br />

mindestens drei bis vier Stöcke<br />

verwenden und mit einem Seil gut<br />

fixieren! Abschließend am Vorder -<br />

ende des Schlittens ein langes Seil<br />

für den Transport befestigen (C). Die<br />

Querhölzer dienen nun auch als Auflagefläche<br />

für unser Gepäck, das wir<br />

möglichst gleichmäßig drauf verteilen<br />

und idealerweise mit Seilen befestigen,<br />

um unterwegs ein Herunterfallen<br />

zu verhindern (D).<br />

Das Gepäck auf einem „Do-it-yourself-Schlitten“<br />

zu transportieren ist<br />

zwar einfacher, als es auf dem Rücken<br />

zu tragen, aber trotzdem eine<br />

schweißtreibende Angelegenheit (E).<br />

Damit die Körperwärme gut nach<br />

außen entweichen kann, sollten wir<br />

daher auf möglichst atmungsaktive<br />

Kleidung achten, allerdings selbst bei<br />

kurzen Pausen eine warme Jacke,<br />

Haube und Handschuhe überziehen.<br />

Die Körpertemperatur sinkt ansonsten<br />

rasch ab und es kann Stunden<br />

dauern, bis uns wieder warm wird.<br />

WIR BAUEN EINEN<br />

SCHLITTEN<br />

D<br />

Expertentipp<br />

„Schlitten eigenen sich<br />

zum Transport von schwerem<br />

Gepäck. Notfalls lassen sich<br />

damit aber auch verletzte<br />

Personen transportieren.“<br />

Soldat des Jägerbataillons 25<br />

B<br />

A<br />

C<br />

E<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


SCHUTZ<br />

DER<br />

LUFT-<br />

HOHEIT<br />

Die Wahrung und Verteidigung der Lufthoheit sind zentrale Wesensmerkmale einer Luftwaffe.<br />

Um ein souveränes Land wie Österreich zu schützen, braucht es bewaffnete einsatzfähige Kampfflugzeuge,<br />

die ihren Auftrag in jeder Wetterlage und mit Überschallgeschwindigkeit erfüllen<br />

können. Insbesondere im Krisen- oder Konfliktfall sind einsatzfähige Systeme für einen Staat<br />

unerlässlich. Aber auch in der normalen Lage setzen moderne Kampfflugzeuge im Rahmen des<br />

alltäglichen Luftpolizeidiensts die staatlichen Luftverkehrsregeln durch.<br />

ANZEIGE FOTO: SAAB<br />

Befindet sich ein ziviles oder militärisches<br />

Flugzeug in einem Luftraum, muss<br />

es sich via Funk identifizieren können.<br />

Ist dies nicht der Fall, wird ein Alarmstart<br />

(Quick Reaction Alert, QRA) von bewaffneten<br />

Kampfflugzeugen ausgelöst. Im<br />

Nachbarland Schweiz stehen für dieses<br />

Szenario seit Anfang 2021 zwei Flugzeuge<br />

rund um die Uhr bereit. Unterschieden<br />

wird weltweit zwischen «Live Missions»<br />

und «Hot Missions». Erstere sind Stichprobe-Kontrollen<br />

von ausländischen zivilen<br />

oder militärischen Staatsflugzeugen,<br />

die einen Luftraum nur mit diplomatischer<br />

Freigabe überfliegen dürfen. «Hot<br />

Missions» hingegen sind Einsätze, die<br />

aufgrund einer Verletzung der Lufthoheit<br />

oder schwerwiegende Missachtung von<br />

Luftverkehrsregeln ausgelöst werden.<br />

In Österreich zählt man pro Jahr regelmäßig<br />

rund 30 – 50 solche «Hot Missions».<br />

Blind ohne Selbstschutz<br />

Um den Schutz der Bevölkerung rund um<br />

die Uhr gewährleisten zu können, braucht<br />

es eine moderne Luftwaffe mit allwettertauglichen<br />

und einsatzfähigen Systemen.<br />

Aber auch der Pilot muss mit seinem<br />

Kampfflugzeug jederzeit situationsgerecht<br />

reagieren und agieren können.<br />

So zählt das Selbstschutzsystem an Bord<br />

eines modernen Kampfflugzeuges zu den<br />

zentralen Elementen. Das Selbstschutzsystem<br />

liefert dem Piloten wichtige Informationen<br />

über den Betriebszustand<br />

gegnerischer Waffensysteme, was essentiell<br />

zur Bestimmung der eigenen Bedrohungslage<br />

und damit eigenen lagegerechten<br />

Handlungsoptionen ist. Des Weiteren<br />

kann ein modernes Selbstschutzsystem<br />

im Falle eines Angriffes den erfolgreichen<br />

Waffeneinsatz des Gegners verhindern.<br />

Ein solches Selbstschutzsystem ist aktuell<br />

bei der österreichischen Luftwaffe<br />

nicht vorhanden.<br />

Ein Electronic Warfare System (EW) umfasst<br />

einen Radarwarnempfänger (RWR),<br />

interne Störsender zur Unterstützung der<br />

aktiven elektronischen Gegenmaßnahmen<br />

sowie Chaff- und Flare Dispenser. In<br />

diesem Bereich bietet das Gripen-System<br />

maximale Flexibilität und Souveränität<br />

und ermöglicht eine eigenhändige Programmierung<br />

des EW-Systems.<br />

Allwettertaugliche Waffensysteme<br />

Eine Luftwaffe muss rund um die Uhr<br />

und bei allen Wetterbedingungen einsatzbereit<br />

sein. Hinzu kommen allwettertaug-<br />

liche Waffensysteme. Im Luftpolizeidienst<br />

kann eine Situation unter Umständen<br />

unerwartet und plötzlich eskalieren<br />

und zur ernsthaften Bedrohung für Pilot<br />

und Bevölkerung werden. Dann nämlich,<br />

wenn ein Flugzeug nicht gemäß Weisungen<br />

der Flugverkehrskontrollstelle bzw.<br />

Luftpolizei-Patrouille kooperiert. Für Einsätze<br />

innerhalb des Sichtbereichs kommen<br />

bei Gripen IRIS-T und Sidewinder<br />

zum Einsatz - integriert im weiterentwickelten<br />

nachtsichtfähigen HMD (Helmet<br />

Mounted Display). Für große Reichweiten<br />

verfügt das Mehrzweckkampfflugzeug<br />

aus Schweden über integrierte Luft/<br />

Luft-Lenkwaffen des Typs AMRAAM und<br />

Meteor.<br />

Um den wirksamen Schutz der Bevölkerung<br />

und Gesellschaft heute und auch<br />

morgen durch eine moderne Luftwaffe<br />

gewährleisten zu können, braucht es zeitgemäße<br />

Systeme. Systeme, die langfristig<br />

und nachhaltig kosteneffizient, aber<br />

auch im Ernstfall effektiv und rund um<br />

die Uhr operiert werden können.<br />

Mehr Informationen: saab.com/austria<br />

MILITÄR AKTUELL


0 4 2<br />

S I C h E R h E I T & W I R T S C h A F T<br />

DEUTSCHLANDS<br />

GROSSER SPRUNG<br />

Deutschland will zusätzlich 100 Milliarden Euro in seine Streitkräfte investieren, wovon alleine 68 Milliarden Euro in nationale<br />

Rüstungsprojekte fließen sollen. Mit dem Geld könnte auch wieder mehr Dynamik in die Entwicklung des Main Ground Combat<br />

System (MGCS) kommen. Das schon einige Jahre reifende deutsch-französische Landkampf(panzer)system soll ab 2035 im deutschen<br />

Heer als „Leopard 3“ den Leopard 2 und beim französischen Heer den Leclerc ablösen. MGCS soll dabei nicht nur ein Fahrzeug<br />

aus deutscher Wanne und französischem Turm (möglicherweise mit der von Nexter vorgeschlagenen 140-mm-Kanone<br />

Ascalon) werden, sondern ein vernetztes Kampfsystem, welches neue (auch Laser-)Waffentechnik mit KI-Technologien zur<br />

Verarbeitung und Auswertung großer Datenmengen kombiniert. Die Federführung liegt – anders als beim ebenfalls gemeinsam<br />

geplanten Flugzeugsystem FCAS – bei Deutschland. 2021 hat Großbritannien überraschend Beobachterstatus erhalten.<br />

IM FOKUS<br />

DER KONZERN<br />

IM ÜBERBLICK<br />

Gründung<br />

2004<br />

Mitarbeiter<br />

251<br />

Produkte<br />

Panzerabwehrwaffen<br />

RGW und Panzerfaust,<br />

Reaktivschutzprodukte<br />

für Fahrzeuge, …<br />

DYNAMIT NOBEL DEFENCE GMBH<br />

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine lieferten die Niederlande 400 Stück der 13 Kilogramm schweren und<br />

auf Hohlladungsprinzip basierenden Panzerfaust 3 in die Ukraine, auch Deutschland lieferte 1.000 Stück. Zusammen<br />

mit der Nachfolgeserie der RGW-Familie (Recoilless Grenade Weapon) verwenden mehr als 20 Streitkräfte weltweit<br />

die Schulterwaffen der Dynamit Nobel Defence GmbH. Das Unternehmen mit Sitz in Burbach ging 2004 aus der<br />

Wehrtechniksparte des am 21. Juni 1865 vom schwedischen Chemiker Alfred Nobel in Hamburg gegründeten Unternehmens<br />

Alfred Nobel u. Co hervor und ist heute eine Tochtergesellschaft<br />

des staatlichen israelischen Wehrtechnikkonzerns<br />

Rafael. Dabei versteht sich DND als „global agierender<br />

Technologieführer im Bereich ballistischer Schulterwaffen<br />

für infanteristische Kräfte“. Der jüngste Kunde Belgien beschaffte<br />

erst Anfang <strong>2022</strong> die Panzerabwehr-Mehrzweckversion<br />

RGW90 HEAT/HESH. Parallel wächst der Unternehmensbereich<br />

Fahrzeugschutz, DND entwickelt auch moderne<br />

Reaktivschutztechnologien für gepanzerte Fahrzeuge.<br />

FOTO S : R h E I N M E TA L L , D N D, K M W<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


N E W S A U S D E R S I C H E R H E I T S B R A N C H E<br />

„DIE UKRAINE HAT BEREITS ANGEFRAGT“<br />

ARMIN PAPPERGER<br />

ist Vorsitzender des Vorstands<br />

der Rheinmetall<br />

AG und verantwortet als<br />

Vorsitzender des Bereichsvorstands<br />

die Unternehmenssparte<br />

Defence.<br />

Die Rheinmetall AG – zu der auch das Militär-Lkw-Werk von<br />

Rheinmetall MAN Military Vehicles (RMMV) in Wien-Liesing<br />

gehört – hat 2021 ihren Wachstumskurs fortgesetzt<br />

und das Geschäftsjahr mit Rekordzahlen abgeschlossen.<br />

Ein Gespräch mit CEO Armin Papperger.<br />

Herr Papperger, wie steht die Rheinmetall AG heute da?<br />

Hervorragend. Operativ haben wir gerade einen Höchstwert<br />

erreicht und dank volumenstarker Großaufträge von<br />

militärischen Kunden und der angezogenen Auftragsvergabe<br />

internationalen Autohersteller lag der Auftragsbestand<br />

mit 31. Dezember auf einem Allzeithoch von 24,5<br />

Milliarden Euro. 2021 haben wir einen Konzernumsatz<br />

von 5,66 Milliarden Euro erreicht, ein Plus von 4,4 Prozent.<br />

Und wie sieht der Ausblick auf das neue Geschäftsjahr aus,<br />

auch hinsichtlich der durch den Ukraine-Krieg grundlegend<br />

veränderten Sicherheitslage in Europa?<br />

Wir prognostizieren ein anhaltendes Umsatz- und Ergebniswachstum,<br />

viele Länder intensivieren nun eilig ihre Anstrengungen<br />

in der Sicherheitsvorsorge. Wir sehen uns aussichtsreich<br />

positioniert, um bei derErhöhung der Verteidigungsfähigkeiten<br />

eine wichtige Rolle zu spielen. Sicherheit<br />

– das zeigt der aktuelle Konflikt klar – ist die Grundlage für<br />

unser Leben in Frieden und Freiheit. Dabei steht Rheinmetall<br />

in einem besonderen Maß in der Pflicht.<br />

Allein die Bundeswehr soll 100 Milliarden Euro mehr bekommen.<br />

Welche Investionen wären dort am dringendsten?<br />

Ganz konkret: Munition. Mit den gegenwärtigen Beständen<br />

könnte unsere Armee im Verteidigungsfall nur wenige Tage<br />

durchhalten. Landesverteidigung würde mit dem vorhandenen<br />

Material nicht funktionieren. Früher haben wir im Jahr 250.000<br />

Stück Munition für Maschinenkanonen, Panzerkanonen und<br />

Artillerie für die Bundeswehr produziert – zuletzt war es nur<br />

noch ein Zehntel. Wir haben für das Ministerium nun Listen aufgestellt,<br />

was kurzfristig verfügbar wäre und könnten in kurzer<br />

Zeit Ausrüstung im Wert von 42 Milliarden Euro liefern. Unsere<br />

Munitions- und Panzerwerke haben die Kapazitäten dafür.<br />

Sie erwähnten Großaufträge, da ist wohl auch das Wiener Lkw-<br />

Werk mit gemeint, oder?<br />

Genau, wesentliche Umsätze wurden dabei aus zwei Großprojekten<br />

über gepanzerte Boxer-Allradfahrzeuge (Bild) generiert. In<br />

Australien erfolgten Auslieferungen aus dem Großauftrag über<br />

211 Boxer Radspähpanzer, in Großbritannien führte der Serienanlauf<br />

von 500 Boxer Gefechtsfahrzeugen zu ersten Umsätzen.<br />

Weitere wesentliche Umsätze wurden mit der Lieferung von<br />

militärischen Lkw an die Bundeswehr sowie mit logistischen<br />

Fahrzeugen erzielt, die auf Basis eines seit 2013 bestehenden<br />

Vertrags an die australische Armee ausgeliefert wurden.<br />

Würden Sie auch die Ukraine beliefern? Gab es Anfragen?<br />

Ja, die Ukraine hat bereits angefragt und wir wollen auch liefern.<br />

Der Antrag wird derzeit von der Bundesregierung geprüft.<br />

Ihr Partner für Sicherheit und Verteidigung


0 4 4 S I C H E R H E I T & W I R T S C H A F T<br />

INFORMATIONSWAFFEN<br />

Moderne Kampfjets sind nicht einfach nur Flugzeuge. Sie sind vielmehr Teil eines<br />

elektronischen Gesamtsystems, bei dem sich alles um Informationsdominanz,<br />

Datenhoheit, Interoperabilität und neue Einsatzmuster dreht. Eine Nachschau<br />

auf die Dubai Air Chiefs Conference.<br />

Text: GEORG MADER<br />

A<br />

ls sich Ende November<br />

rund 70 Luftwaffenchefs<br />

bei der Dubai Air<br />

Chiefs Conference im<br />

Mahdinat Jumeirah in<br />

Dubai trafen, um dort<br />

Szenarien für den zukünftigen Einsatz<br />

von Luftstreitkräften zu diskutieren, war<br />

der Ukraine-Krieg noch kein Thema.<br />

Dass sich im Osten Europas etwas zusammenbraut,<br />

war zwar abzusehen.<br />

Eine Eskalation, wie wir sie nun erleben,<br />

hatte allerdings wohl kaum einer der<br />

Luftgeneräle auf dem Radar – und dass<br />

die Kämpfe dann im Jahr <strong>2022</strong> mit vorwiegend<br />

nicht präzisionsgelenkten Waffen<br />

geführt werden, hätten vermutlich<br />

noch weniger der anwesenden Generäle<br />

für möglich gehalten. Wobei dazu gesagt<br />

werden sollte, dass der russische Airchief<br />

– im Gegensatz zu seinem ukrainischen<br />

Pendant, Generalleutnant Mykola<br />

Oleschuk – nicht an der Konferenz teilnahm.<br />

Inhaltlich drehte sich alles um das „goldene<br />

Kalb“ Informationsdominanz und<br />

die Ausformung operationeller Strategien<br />

über alle Domänen hinweg. USAF-<br />

Stabschef 4-Stern-General Charles Q.<br />

Brown hob dabei die „Gefahr disruptiver<br />

Bedrohungen“ hervor, denen man unkonventionell<br />

begegnen müsse. Dabei<br />

sollten sich Kommandeure „auch am<br />

TV-Streaming-Anbieter Netflix orientieren“,<br />

so Brown. Von dem digitalen<br />

Streaming-Pionier könne man lernen,<br />

wie sich mit neuen Technologien ein<br />

ganzer Markt – den er hier mit dem<br />

Schlachtfeld gleichsetzte – revolutionieren<br />

lässt. Netflix habe die Hardware des<br />

Datenträgerverleihs durch innovative<br />

Software ersetzt und so für völlig neue<br />

Nutzer-Realitäten gesorgt. „In unserem<br />

Verständnis findet Wirkung immer physisch<br />

statt, wir verstehen sie als Hardware.<br />

Was aber wäre, wenn wir gar keine<br />

VERNETZT Kampfflugzeuge operieren in Zukunft in einem Netzwerk mit zahlreichen anderen<br />

Waffensystemen und verfügen über einen hohen Autonomiegrad.<br />

Strike-Einsätze bräuchten, um den gleichen<br />

Effekt zu erzielen? Was, wenn eine<br />

zukünftige Lenkbombe aus Einsern und<br />

Nullern besteht? Armeen könnten damit<br />

ganz anders wirken. Ich kann die Zukunft<br />

nicht vorhersagen, aber ich würde<br />

wetten, dass die nichtkinetischen Effekte<br />

in einigen Jahren die Oberhand gewinnen<br />

werden“, so Brown.<br />

In weiterer Folge erläuterte er, dass die<br />

USAF derzeit das sogenannte „Advanced<br />

Battle Management System”<br />

(ABMS) in der Hoffnung entwickelt, seine<br />

Sensoren und Shooter zu verbinden<br />

und neue Technologien wie maschinelles<br />

Lernen zu integrieren, um Entscheidungsfindungen<br />

zu beschleunigen.<br />

Unklar blieb freilich, wie genau die US-<br />

Luftwaffe die Sicherheit und Robustheit<br />

dieser Cloud garantieren möchte, damit<br />

ABMS in der Lage ist, belastbare Daten<br />

auch von Verbündeten zu nutzen oder<br />

ihnen zur Verfügung zu stellen. Zurzeit<br />

gebe es selbst zwischen eigenen High-<br />

End-Plattformen wie F-22 oder F-35<br />

noch Datalink-Bedarf. Geht es nach Generalmajor<br />

Ibrahim Al-Alawi, Airchief<br />

der VAE, dann müsse es für die angestrebte<br />

Vernetzung und Interoperabilität<br />

aber ein Sicherheitsmodell geben, um<br />

die Übertragung der Daten über verschiedene<br />

Netzwerke zu schützen.<br />

„Es braucht einen robusten Schutz<br />

vor potenziellen Cyberattacken gegen<br />

die Cloud, sonst wird die Informationsdominanz<br />

angreifbar.“<br />

Durch weitere Vortragende (aus den<br />

Niederlanden und Emiraten, Frankreich,<br />

Australien und Kanada) und den anschließenden<br />

Diskussionen wurden<br />

Entwicklungen rund um künstliche<br />

Intelligenz, aber auch Warnungen angesichts<br />

absehbarer Trends im Luftkrieg<br />

an- und ausgesprochen sowie Sichtweisen<br />

auf künftige Einsatztheorien aufgeworfen.<br />

Deutschlands Generalleutnant<br />

Ingo Gerhartz sprach zudem über die<br />

Zusammenarbeit bemannter und unbemannter<br />

Luft(wirk)mittel in der künftigen<br />

Combat Cloud des FCAS.<br />

FOTO : A I R B U S D E F E N C E & S PAC E<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


A U S T R I A N S E C U R I T Y & D E F E N C E<br />

WAS GIBT ES NEUES VON<br />

„MADE IN AUSTRIA“?<br />

FOTO : S C H I E B E L<br />

Toller Erfolg für den Tiroler Spezialfahrzeugbauer<br />

Achleitner: Das Unternehmen<br />

partizipiert an einem vom deutschen<br />

BMI an Rheinmetall vergebenen<br />

Auftrag zur Lieferung von 55 Stück des<br />

gemeinsam entwickelten geländegängigen<br />

und geschützten Mehrzweckfahrzeugs<br />

Survivor R als Nachfolger des<br />

bereits vor 35 Jahren eingeführten<br />

Sonderwagen 4. Noch für heuer ist die<br />

Lieferung von zwei Musterfahrzeugen<br />

geplant, mit denen umfangreiche Erprobungen<br />

einschließlich einer vollständigen<br />

Schutzzertifizierung durchgeführt<br />

werden sollen. Die Auslieferung der<br />

Serienfahrzeuge beginnt dann voraussichtlich<br />

2023 und endet 2026. Es wurde<br />

auch eine Option zur Aufstockung des<br />

Auftrags, dessen Volumen sich im<br />

„hohen zweistelligen Millionen-Euro-<br />

Bereich“ bewegt, vereinbart.<br />

Einen Erfolg hat auch Drohnen-Hersteller<br />

Schiebel zu vermelden: Die Royal<br />

ai Navy (RTN) hat zwei weitere Camcopter<br />

S-100 UAS (Bild oben) zur Ergänzung<br />

seiner beiden bereits im Einsatz<br />

befindlichen Systeme bestellt. Hirtenberger<br />

Defence Europe wiederum soll<br />

bis 2023 eine niedrige zweistellige Anzahl<br />

120-mm-Mörser des Typs M12<br />

sowie moderne Feuerleitlösungen und<br />

ein entsprechendes Munitionspaket an<br />

die ungarischen Streitkräfte liefern. Vom<br />

lettischen Verteidigungsministerium<br />

kam zudem ein Auftrag zur Lieferung<br />

von Ersatzteilen für den schweren 120-<br />

mm-Granatwerfer.<br />

Einige Auslieferungen gab es in den vergangenen<br />

Wochen bei der Empl Fahrzeugwerk<br />

GmbH. So gingen beispielsweise<br />

sechs Stück verwindungsfrei aufgebaute<br />

Ambulanzkoffer auf Mercedes-<br />

Benz Zetros 1836A 4×4 an einen nicht<br />

näher genannten Kunden in Afrika. Bei<br />

den Fahrzeugen handelt es sich um drei<br />

Ambulanzaufbauten zum Transport von<br />

bis zu sechs Leichtverletzten sowie um<br />

drei Ambulanzaufbauten zum Transport<br />

von einem Schwerverletzen unter medizinischer<br />

Überwachung. Weiters wurden<br />

zwei verwindungsarme Transportpritschen<br />

inklusive Frontladekran auf<br />

RMMV 44M 8×8 sowie „eine größere<br />

Stückzahl“ an Transportpritschen auf<br />

Mercedes-Benz Actros 2731 6×6 an<br />

ebenfalls nicht näher genannte Kunden<br />

übergeben. Die Pritschen in verwindungsfreier<br />

Ausführung sind für den Güterund<br />

Truppentransport geeignet und<br />

verfügen über eine 10-Tonnen-Rahmenwinde<br />

mit Auszug nach vorne und hinten.<br />

Ein neues Fahrzeug hat Rheinmetall<br />

MAN Military Vehicles (RMMV) im<br />

Portfolio. In Zusammenarbeit mit dem<br />

slowakischen Unternehmen CSM Industry<br />

wurde ein hochmobiles Mehrzweck-<br />

Baggerfahrzeug auf Basis des HX 8×8<br />

vorgestellt. Der HX 8×8 Excavator trägt<br />

einen Baggeraufbau des Typs UDS 214<br />

von CSM Industry und ist besonders für<br />

den Einsatz bei Pioniertruppen oder zur<br />

Katastrophenhilfe gedacht.<br />

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Schlagschutzhandschuh für Demos<br />

In Zeiten vermehrter Demonstrationen sorgt das österreichische Familienunternehmen<br />

ESKA mit dem Schlagschutzhandschuh ODYN für Gesprächsstoff. Er ist<br />

flammbeständig gegen den Einsatz von Pyrotechnik und entspricht dem höchsten<br />

Schnittschutz-Level 5 nach EN 388. Der robuste und taktile ODYN überzeugt mit<br />

seinem Schlagschutzprotektor über den gesamten Oberhandrücken<br />

und eignet sich perfekt in Verbindung mit Körperschutz,<br />

Schutzschild und Schlagstock. Für zusätzliche<br />

Sicherheit sorgt der breite und schnittresistente Pulsschutz.<br />

Daumen und Handtellerbereich sind mit High-Tech-Leder<br />

verstärkt, der 100 % Nomex®-Faden ist flammhemmend<br />

und reißfest. Mehr Infos auf www.eskagloves.com<br />

Foto: ESKA


0 4 6 P A N O R<br />

A<br />

M<br />

A<br />

MIT HUNDEN &<br />

DROHNEN GEGEN<br />

SPRENGFALLEN<br />

Text: MARKUS SCHAUTA<br />

G<br />

leich hinter Ramadi<br />

beginnt die Wüste.<br />

Eine staubige Piste<br />

führt dort zwischen<br />

vertrockneten Dornenbüschen<br />

zum<br />

Trainingsgelände für Spürhunde.<br />

Asil – Hundeführerin bei Norwegian<br />

People’s Aid, sie trägt eine sandfarbene<br />

Uniform – hält eine belgische Schäferhündin<br />

an der Leine. Stumm sitzt<br />

das Tier neben ihr, bis ihr Frauchen<br />

ein kurzes Kommando gibt und die<br />

Hündin losläuft. In schnurgerader<br />

Linie bewegt sie sich von Asil fort, die<br />

Schnauze am Boden. Dann wird sie<br />

langsamer, sie setzt sich und fixiert<br />

mit ihrem Blick eine Stelle im Sand –<br />

Baxi hat den vergrabenen Sprengstoff<br />

entdeckt.<br />

Bilder: MARKUS KORENJAK<br />

Der Krieg gegen den Islamischen Staat<br />

hat im Irak seine Spuren hinterlassen. Bis<br />

heute gefährden Tausende Minen, Tonnen<br />

nicht explodierter Munition und unzählige<br />

Sprengfallen das Leben der Menschen.<br />

Ramadi ist eine strategisch wichtige<br />

Stadt an der Autobahn von Bagdad<br />

nach Westen in die Wüste und weiter<br />

nach Damaskus und Amman. Die<br />

Hauptstadt der Provinz Anbar war<br />

in den vergangenen zwanzig Jahren<br />

immer wieder Schauplatz schwerer<br />

Kämpfe. Hier hatte sich der Widerstand<br />

gegen die US-Truppen seit 2003<br />

festgesetzt, hier kämpften die Milizen<br />

des Islamischen Staates (IS) gegen irakische<br />

Sicherheitskräfte. Im Mai 2015<br />

wurde Ramadi Teil des Kalifats, bis<br />

Regierungstruppen mit Hilfe der<br />

US-Luftwaffe die Stadt ein halbes Jahr<br />

später zurückeroberten. Die jahrelangen<br />

Gefechte ruinierten Infrastruktur<br />

und Wohnhäuser und ließen Tausende<br />

Sprengsätze, Minen und nicht detonierte<br />

Munition zurück.<br />

Hundenase schlägt Suchgerät<br />

Die Hilfsorganisation Norwegian<br />

People’s Aid (NPA) ist seit 2019 mit<br />

einem internationalen Team in der<br />

Provinz Anbar tätig, um Sprengkörper<br />

zu räumen. Dazu nutzen die Experten<br />

von NPA nicht nur Minensuchgeräte,<br />

Bagger und Drohnen, sondern auch<br />

Spürhunde. „Sie kommen zum Einsatz,<br />

NACHWEHEN DES KRIEGES Wenige Kilometer außerhalb von Ramadi haben die Milizen des Islamischen Staates im Frühjahr 2015 Minenfelder<br />

errichtet, um mögliche Angriffe aus der Wüste zu behindern.<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


R E P O R TA G E<br />

WILLKOMMENE HILFE<br />

Je nach Situation setzt Norwegian<br />

People’s Aid (NPA) Suchhunde<br />

oder Minensuchgeräte<br />

ein, um vergrabene Sprengkörper<br />

aufzuspüren.<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


0 4 8 P A N O R A M A<br />

SICHERHEIT GEHT VOR<br />

Die Frauen und Männer, die in der<br />

Wüste vor Ramadi nach Minen suchen,<br />

sind durch schwere, mit Metallplatten<br />

verstärkte Anzüge geschützt.<br />

wenn ein Gebiet durch zu viel Metall<br />

verseucht ist“, sagt Roger Gagen, ehemaliger<br />

Soldat der britischen Armee,<br />

der seit bald zwanzig Jahren im Entminungsdienst<br />

tätig ist. Anders als Minensuchgeräte,<br />

die bei zu viel Metall<br />

permanent anschlagen, können Hunde<br />

mit ihrem feinen Geruchssinn gezielt<br />

Sprengstoff wittern. Um die Konzentration<br />

der Tiere nicht überzustrapazieren,<br />

gibt es nach dreißig Minuten<br />

Sucharbeit eine Pause. „Im Sommer,<br />

wenn die Temperaturen auf 45 Grad<br />

klettern, wird sogar alle zehn Minuten<br />

eine Pause eingelegt“, so Gagen. Drei<br />

Monate dauert das Training der Hunde.<br />

Dabei lernen sie durch sogenanntes<br />

Imprinting dem Geruch von Explosivstoffen<br />

eine positive Bedeutung zuzuordnen.<br />

Jedes Mal, wenn sie Sprengstoff<br />

wittern und richtig anzeigen, werden<br />

sie anschließend belohnt. Allerdings<br />

nicht mit Hundekeksen, sondern<br />

mit einem Ball. „Sonst werden sie dick<br />

und unbeweglich“, sagt Gagen. Die<br />

fünfjährige Hündin Baxi wird das Training<br />

demnächst abgeschlossen haben.<br />

Im Minenfeld<br />

Als der IS im Frühjahr 2015 Ramadi<br />

einnahm, wussten die Dschihadisten,<br />

dass mit einem Gegenangriff zu rechnen<br />

sein wird. Ab Mai begannen sie<br />

daher ein Verteidigungssystem aus<br />

Sandwällen und Minengürteln rund<br />

um Ramadi anzulegen. Am Rande eines<br />

solchen Minenfeldes steht heute<br />

ein blaues Zelt mit einem Erste-Hilfe-<br />

Team. Der schwere, hellblaue Schutzanzug<br />

eines Minensuchers auf Pause<br />

hängt an einer Holzstange. Gagen<br />

blickt hinaus in das flache Ödland, das<br />

mit weiß und rot markierten Holzpfählen<br />

abgesteckt ist. Rot bedeutet Gefahr,<br />

Weiß kennzeichnet jenes Areal, das bereits<br />

geräumt wurde. Seit vier Monaten<br />

In einer Baracke am Trainingsgelände<br />

lagern geborgene und entschärfte<br />

Sprengkörper. Neben Mörsergranaten<br />

finden sich mit Kabeln bestückte Apparaturen<br />

aus Plastik und Metall. „Improvisierte<br />

Sprengkörper wie diese sind so<br />

gefährlich, weil jeder sie anders baut“,<br />

sagt Gagen. Es gibt eine unglaubliche<br />

Vielfalt, sodass Entschärfer sich auf<br />

immer neue Kombinationen einlassen<br />

müssen. Die Entwickler nutzen Druckzünder<br />

und Entlastungszünder,<br />

Stolperdraht, fernausgelöste Zünder<br />

und vieles mehr. „Im Wesentlichen<br />

immer dieselbe Technik, aber neu<br />

kombiniert“, so Gagen. Es sei ein Wettlauf<br />

zwischen jenen, die Sprengkörper<br />

bauen und jenen, die diese Technik<br />

durchschauen müssen. Finden Gagen<br />

und sein Team etwas Neues, geben sie<br />

die Information an andere Entminungsteams<br />

weiter. Geborgene Explosivstoffe<br />

werden an das Militär übergeben,<br />

das diese durch gezielte Sprengungen<br />

entsorgt.<br />

MAMMUTAUFGABE Insgesamt 88 Quadratkilometer Wüstenfläche wurden von den Minensuchern<br />

bereits abgegangen und von sogenannten „Kanister-Minen“ gesäubert.<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


R E P O R TA G E<br />

arbeitet das Team im Minengürtel<br />

wenige Kilometer außerhalb von<br />

Ramadi. 730 Quadratmeter schaffen<br />

die Minensucher im Schnitt pro<br />

Tag, knapp 88.000 Quadratmeter –<br />

etwas mehr als ein Drittel der gesamten<br />

Fläche – wurden bereits gesäubert.<br />

298 sogenannte „Kanister-<br />

Minen“ konnten sie bergen; improvisierte<br />

Sprengkörper, die auf Druck<br />

explodieren.<br />

Kommt NPA in ein neues Gebiet,<br />

müssen sie zunächst klären, welche<br />

Areale von Sprengkörpern betroffen<br />

sind. Pläne, wo Minen gelegt wurden,<br />

hat der IS natürlich keine hinterlassen.<br />

„Aber manchmal musste<br />

die Bevölkerung die Minen vergraben,<br />

sodass sie uns sagen können,<br />

wo das war“, sagt Gagen. Sie sprechen<br />

auch mit Polizei und Dorfvorstehern,<br />

die wissen, wo es bereits<br />

Unfälle mit Sprengstoffen gab und<br />

welche Felder brach liegen, weil dort<br />

Minen gesichtet wurden. „Auf diese<br />

Weise fügen sich die Puzzleteile zu<br />

einem groben Bild, das uns sagt,<br />

wo wir genauer hinsehen müssen.“<br />

Im Minengürtel vor Ramadi liegen<br />

die Todbringer bis zu 50 Zentimeter<br />

tief. Lägen sie tiefer, könnten die<br />

Zünder nicht mehr durch Bewegungen<br />

an der Oberfläche ausgelöst<br />

werden. „Die Löcher, in denen die<br />

Minen vergraben wurden, sind aus<br />

der Luft mit Hilfe von Drohnen als<br />

GESPRÄCHSPARTNER<br />

Der Australier Peter Donaldson<br />

leitet seit Frühjahr 2021 den<br />

Einsatz von Norwegian<br />

People’s Aid im Irak.<br />

dunkle Verfärbungen im Boden zu<br />

erkennen“, sagt Gagen. Da sich auf<br />

diese Weise ein Muster erkennen<br />

lässt und das Gebiet nicht durch zu<br />

viel Metall verseucht wurde, kommen<br />

hier keine Spürhunde zum<br />

Einsatz. Stattdessen gehen Menschen<br />

mit Minensuchgeräten das<br />

Areal Schritt für Schritt ab. Maulud<br />

Adnan arbeitet seit drei Jahren als<br />

Sucher. Die linke Hand am Rücken,<br />

bewegt er den Metallsucher in der<br />

Rechten langsam über den Sandboden.<br />

Die Arbeit ist anstrengend und<br />

erfordert Konzentration. Gefundene<br />

Minen auszugraben ist mühsam, da<br />

der Wüstensand hart wie Beton sein<br />

kann. Alle 50 Minuten macht er<br />

zehn Minuten Pause. Wenn Sandstürme<br />

aufkommen, müssen sie abbrechen.<br />

Angst habe er keine, sagt<br />

Adnan. Er habe ja ausreichend Erfahrung.<br />

„Jedesmal, wenn ich eine<br />

Mine finde, freue ich mich“, sagt er.<br />

„Ich rette dadurch Leben.“<br />

Gagen folgt den weiß markierten<br />

Holzpfählen zurück zum Zelt. Mit<br />

der Arbeit im Minenfeld kommen<br />

sie gut voran, es sollte in absehbarer<br />

Zeit geräumt sein. Doch das Ende<br />

seines Einsatzes ist das nicht. „Anbar<br />

ist eine der am meisten durch<br />

Explosivstoffe verseuchten Provinzen<br />

Iraks“, sagt er. „Aber es gibt<br />

auch noch viele andere verseuchte<br />

Regionen und es wird Jahre dauern,<br />

all das zu säubern.“<br />

„Wir setzen auf<br />

Effektivität und<br />

Geschwindigkeit“<br />

Der Australier Peter Donaldson<br />

ist der Projektmanager von<br />

Norwegian People’s Aid im<br />

Irak. Militär Aktuell hat mit ihm<br />

über Trainings, Finanzen und<br />

den Faktor Zeit gesprochen.<br />

Was sind die Voraussetzungen, um als<br />

Minensucher arbeiten zu können?<br />

Eine bestimmte Vorausbildung ist nicht<br />

notwendig. Bedingung ist nur, dass der<br />

Kandidat mindestens 18 Jahre alt ist und<br />

die Sicherheitsüberprüfung besteht. Der<br />

Grundkurs dauert drei Wochen. Anschießend<br />

beginnt die Arbeit im Feld, begleitet<br />

von unseren internationalen Trainern.<br />

Sobald ein Sucher länger als zehn Tage<br />

von der Arbeit weg war, muss er ein<br />

Auffrischungstraining absolvieren.<br />

Wer sind die Leute, die sich bewerben?<br />

Das ist ganz unterschiedlich, vom Mechaniker<br />

bis zum Uniabsolventen ist alles<br />

vertreten. Die meisten sind Anfang<br />

zwanzig. Wir bevorzugen jedoch Leute<br />

aus Ramadi, weil wir die lokale Wirtschaft<br />

unterstützen wollen, indem wir Arbeitsplätze<br />

schaffen. Ziel ist es, immer mehr<br />

Iraker in den Entminungsdienst zu bringen<br />

und die Zahl der Internationalen zu<br />

reduzieren. Irgendwann soll der Irak den<br />

gesamten Prozess der Entminungsarbeit<br />

selbst leisten.<br />

Wie finanziert sich NPA?<br />

Das meiste Geld erhalten wir vom US-<br />

Außenministerium, gefolgt vom deutschen<br />

Auswärtigen Amt. Allerdings fließt<br />

dieses Geld nicht unbegrenzt, wir müssen<br />

daher versuchen, mit den vorhandenen<br />

Mitteln so viel wie möglich zu erreichen.<br />

Dabei spielt auch die Zeit eine Rolle.<br />

Würden wir jeden Quadratzentimeter<br />

Boden absuchen, wären wir auch nach<br />

Jahrzehnten noch nicht fertig. Wir setzen<br />

daher auf eine Kombination aus Effektivität<br />

und Geschwindigkeit. Dass irgendwo<br />

etwas übersehen wird, kann nie zu hundert<br />

Prozent ausgeschlossen werden.<br />

Aber zu einem sehr hohen Prozentsatz<br />

doch.<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


0 5 0 s c h l u s s p u n k t<br />

PUTIN UND<br />

DIE ZEITENWENDE<br />

Schon wenige Tage nach Russlands Überfall auf die Ukraine kündigte Deutschland an, 100 Milliarden<br />

Euro zusätzlich für die Bundeswehr bereitzustellen und der Ukraine Waffen zu liefern. Andere europäische<br />

Länder reagierten ähnlich, Finnland und Schweden überlegen sogar öffentlich der NATO<br />

beizutreten. Gestern noch als „hirntot“ bezeichnet, scheint das transatlantische Militärbündnis gefragter<br />

denn je zu sein. Eine Analyse von Sicherheitspolitik-Experte Brigadier a. D. Walter Feichtinger.<br />

Zweifellos – der russische Angriff<br />

auf die ukraine wirft die bisherige<br />

Friedensordnung in europa über<br />

den haufen. die Attacke schuf über nacht<br />

neue tatsachen und könnte anderen<br />

Machthabern, die territoriale Grenzen<br />

verändern oder ihren einflussbereich erweitern<br />

möchten, als schlechtes Beispiel<br />

dienen. die hemmschwelle, dafür das<br />

Völkerrecht zu missachten und militärische<br />

Gewalt anzuwenden, scheint plötzlich<br />

nicht mehr gar so unüberwindbar.<br />

russlands einmarsch in der ukraine bescherte<br />

aber nicht nur Moskau, sondern<br />

der ganzen (westlichen) Welt ein böses<br />

erwachen. der traum vom „ende der Geschichte“,<br />

bei dem sich die demokratie<br />

als beste regierungsform durchsetzt, ist<br />

damit endgültig geplatzt. und auch die<br />

sogenannte „Friedensdividende“, die<br />

mehr Geld für soziale und weniger für militärische<br />

Belange vorsah, fand ein jähes<br />

ende. Alle vertrauensbildenden Maßnahmen<br />

und kontrollmechanismen, die für<br />

sicherheit in europa sorgen sollten, sind<br />

mit einem schlag verpufft. politiker und<br />

politikerinnen aller couleurs betonen nun<br />

die notwendigkeit einer militärischen<br />

Verteidigungsfähigkeit und erkennen<br />

Versäumnisse. selbst die eu tritt geschlossener<br />

und energischer denn je auf,<br />

während die usA ihre Zuverlässigkeit<br />

und unverzichtbarkeit beweisen.<br />

dabei steht noch gar nicht fest, ob und<br />

wieweit russland sein aggressives Vorgehen<br />

in einen „Gewinn“ ummünzen kann.<br />

präsident Wladimir putin ist es aber in jedem<br />

Fall „gelungen“, europa und dem<br />

Westen wieder ein Feindbild zu verschaffen.<br />

das stärkt die transatlantischen Beziehungen,<br />

steigert die Attraktivität der<br />

nAto und bewirkt signifikante erhöhungen<br />

der Verteidigungsetats europäischer<br />

staaten. Wenn nun auch noch die Abhängigkeit<br />

europas von russischem Gas und<br />

Öl reduziert oder gar beendet wird, hätte<br />

es der kreml sogar geschafft, sich seiner<br />

wichtigsten einnahmen zu berauben. keine<br />

strategische Meisterleistung. Außerdem<br />

könnte die eu den plan einer „strategischen<br />

Autonomie“ ernsthaft verfolgen<br />

und mehr für ihre sicherheit und handlungsfähigkeit<br />

tun. das müsste allerdings<br />

„Wir stehen am<br />

Beginn einer neuen<br />

sicherheitspolitischen<br />

Eiszeit“<br />

in enger Abstimmung mit der nAto passieren<br />

– die Aufstellung einer starken eu-<br />

Armee ist nur möglich, wenn sich die usA<br />

aus der nAto zurückziehen. es geht nicht<br />

darum, zwei konkurrierende sicherheitsorganisationen<br />

zu haben, sondern den<br />

Aufbau europäischer Verteidigungskapazitäten<br />

samt einsatzplänen bestmöglich<br />

voranzutreiben. die angedachte Aufstellung<br />

von eu-Verbänden mit 5.000 soldaten<br />

wäre ein schritt in diese richtung.<br />

selbst neutrale eu-Mitglieder hinterfragen<br />

nun angesichts des russischen Überfalls<br />

ernsthaft den sinn und die Zweckmäßigkeit<br />

ihrer sicherheitspolitischen<br />

konzepte. eine vertiefte diskussion kann<br />

aber erst nach dem ende der russischen<br />

invasion erfolgen, wenn das ergebnis in<br />

seiner ganzen Bandbreite erkennbar<br />

wird. doch die Vorgänge zeigen schon,<br />

dass sicherheitsgarantien nur für Bündnispartner<br />

gelten. deshalb drängen nun<br />

auch Georgien und Moldawien vehement<br />

in eu und nAto. Wir stehen damit<br />

am Beginn einer neuen sicherheitspolitischen<br />

eiszeit – also zurück an den start!<br />

diesmal sind aber vonseiten europas<br />

geopolitisches denken und gesamtstrategische<br />

herangehensweisen gefordert.<br />

europäische Geschlossenheit, umfassende<br />

sicherheit und realitätssinn haben<br />

dabei im Vordergrund zu stehen. sollte<br />

man sich in europa auf diese Ansätze<br />

verständigen, dann wäre tatsächlich<br />

eine Zeitenwende angebrochen.<br />

Brigadier a. D. Walter Feichtinger ist<br />

Präsident des Center for Strategic<br />

Analysis (CSA).<br />

Foto s : B u n d e s h e e r / M i n i c h , p i c t u r e d e s<br />

M I L I T Ä R A K T U E L L


Supported by<br />

Official Conference of<br />

Held under the prestigious patronage of<br />

His Majesty King Hamad bin Isa Al Khalifa<br />

4 th<br />

supported by the Royal Bahraini Air Force and Air Defense<br />

and Ministry of Transportation and Telecommunications<br />

MANAMA<br />

<strong>2022</strong><br />

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November 8, <strong>2022</strong> - Manama, Bahrain<br />

The 4th Manama Air Power Symposium (MAPS <strong>2022</strong>) has established itself as the most elite<br />

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MAPS <strong>2022</strong> is “Air Power and Air Defense in the Era of Transformation, Automation and Integration,” where<br />

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considering the most recent experiences and lessons learned in-theater from operations.<br />

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Organized by<br />

In Association with<br />

For more information and latest updates:<br />

www.segma.co/maps<strong>2022</strong>


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FÜR DICH. UND UNSER LAND.<br />

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