Militaer_1_2022
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WELTGESCHEHEN<br />
Aktuelle Konflikte,<br />
Krisen und<br />
Analysen — S. 8<br />
ELITEEINHEIT<br />
Unterwegs mit den<br />
Pioniertauchern des<br />
Bundesheeres — S. 30<br />
militär<br />
MISSION POSSIBLE<br />
In der Wildnis<br />
überleben mit dem<br />
Jägerbataillon 25 — S. 38<br />
DAS NEUE<br />
ÖSTERREICHISCHE<br />
MILITÄRMAGAZIN<br />
AUSGABE 1|22<br />
EURO 5,80<br />
AKTUELL<br />
Der Ukraine-Krieg und<br />
seine Folgen: Steht<br />
Europa vor einer neuen<br />
Welle der Aufrüstung?<br />
Welche strategischen<br />
Konsequenzen muss<br />
das Bundesheer nun<br />
ziehen? Und: Bricht jetzt<br />
endgültig das Zeitalter<br />
der Drohnen an?<br />
BLUTIGE REALITÄT AUF DEM KONTINENT<br />
Krieg in<br />
Osteuropa
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E D I T O R I A L<br />
0 0 3<br />
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER<br />
pricht man dieser Tage mit älteren Menschen,<br />
S<br />
fällt immer wieder der gleiche Satz: „Nie hätte<br />
ich mir vorstellen können, dass ich noch einmal<br />
einen Krieg in Europa erleben werde.“ Ja,<br />
wir konnten es uns nicht vorstellen. Darum<br />
wurden wir jetzt, nach dem Beginn von Wladimir<br />
Putins Angriffskrieg auf die Ukraine, auch so eiskalt<br />
aus unserem Dornröschenschlaf gerissen. Klar, Anzeichen<br />
für eine dramatische Eskalation gab es im Rückblick immer<br />
wieder und auch die heimischen Militärs hatten das Szenario<br />
am Radar, wie Militärstratege Brigadier Philipp Eder im Gespräch<br />
mit Militär Aktuell (nachzulesen ab Seite 10) verrät:<br />
„Natürlich bestand aus unserer Sicht die Möglichkeit eines<br />
Angriffs aus drei Richtungen auf die Ukraine, aber für wirklich<br />
wahrscheinlich hielten wir diese Überlegungen nicht, da<br />
sie langfristig strategisch Russland sehr schaden. Wir gingen<br />
in unseren Beurteilungen nicht davon aus und konnten uns<br />
nicht vorstellen, dass Russland einen derart großen Völkerrechtsbruch<br />
begeht und haben vielmehr mit einem aktiven<br />
Eingreifen der Russische Föderation im Donbass gerechnet.“<br />
Wie schon bei seiner militärischen Intervention 2014 auf der<br />
Krim und später im Syrien-Krieg sorgte Wladimir Putin auch<br />
dieses Mal für eine Grenzüberschreitung. Als Folge davon<br />
steht Europa vor einer Zeitenwende. Erste Reihe fußfrei können<br />
wir eine Zäsur der europäischen Politik beobachten,<br />
deren Auswirkungen wohl erst in einigen Jahren so richtig<br />
zutage treten werden. Von Paris über Berlin bis Wien überdenken<br />
die Regierungen jedenfalls ihre Sicherheitsbemühungen<br />
und passen sie der neuen Realität an. Länder wie Schweden<br />
und Finnland drängen in die NATO, die EU macht sogar<br />
bei ihrer schon länger geplanten „schnellen Eingreiftruppe“<br />
plötzlich tatsächlich Tempo. Putins Krieg hat den Westen<br />
in eine neue Wirklichkeit katapultiert und wird sich auch<br />
in (deutlich) höheren Verteidigungsausgaben manifestieren.<br />
Zu Redaktionsschluss war die geplante massive Aufstockung<br />
des rot-weiß-roten Wehretats zwar noch nicht fixiert. Eine<br />
„Nicht-Erhöhung“ des Bundesheerbudgets ist angesichts<br />
der jüngsten Entwicklungen aber praktisch auszuschließen.<br />
Und dass es darüber hinaus auch eine substanzielle Anschubfinanzierung<br />
für besonders dringende Beschaffung geben<br />
wird, darf ebenso als fix angesehen werden.<br />
Was soll mit den zusätzlichen Geldern passieren? Eine gute<br />
Frage, die von den Planungsabteilungen im Verteidigungsministerium<br />
in den kommenden Monaten im Detail zu beantworten<br />
sein wird. Wohl dürften in Zukunft aber die schweren<br />
Waffensysteme wieder eine größere Rolle spielen. Laut<br />
einer aktuellen Hajek-Umfrage kann sich im Angesicht des<br />
Krieges in der Ukraine nämlich sogar die traditionell „militärkritische“<br />
österreichische Bevölkerung die Beschaffung<br />
neuer Kampfpanzer und eine Modernisierung oder sogar<br />
Aufstockung der Eurofighter-Flotte vorstellen. Und ja, auch<br />
das konnte sich bis vor Kurzem kaum jemand vorstellen.<br />
impressum<br />
COV E R FOTO S : A D O B E STO C K<br />
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Fakten<br />
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m i l i t ä r a k t u e l l
0 0 4 I N H A L T<br />
INHALT<br />
010<br />
Die<br />
Analyse: Gemeinsam mit Experten wie Militärstratege<br />
Brigadier Philipp Eder (unten) blicken wir auf besonders brisante<br />
Aspekte des Ukraine-Kriegs und untersuchen dessen langfristige<br />
Folgen für Europa, Österreich und das Bundesheer.<br />
003 EDITORIAL, IMPRESSUM<br />
006 MOMENTUM<br />
Fähnriche trainieren die Kampfführung<br />
in einer Industrieanlage.<br />
008 WELTGESCHEHEN<br />
Aktuelle Kurzmeldungen<br />
aus aller Welt.<br />
010 KRIEG IN DER UKRAINE<br />
Russlands Präsident Wladimir<br />
Putin wollte die Ukraine in einem<br />
Blitzkrieg überrennen. Nun tobt<br />
in dem Land der größte Bodenkrieg<br />
Europas seit dem Ende des<br />
Zweiten Weltkriegs.<br />
029 AIRPOWER <strong>2022</strong><br />
Aktuelle Infos zur spektakulären<br />
Flugshow im September.<br />
030 UNTERWASSER-KRÄFTE<br />
Typische Einsätze? Gibt es nicht!<br />
Die Pioniertaucher des Bundesheeres<br />
tauchen dann ab, wenn<br />
andere nicht mehr weiterkönnen.<br />
034 NEUE TRAININGSWELTEN<br />
Das Sanitätszentrum Ost setzt<br />
ab sofort auf Virtual Reality.<br />
036 MIT SEIL UND KARABINER<br />
Absturzsicherungen sorgen beim<br />
Heer für unfallfreie Arbeitstage.<br />
038 SURVIVAL GUIDE<br />
Damit unterwegs nichts schiefgeht:<br />
Überlebens-Serie mit dem<br />
Jägerbataillon 25.<br />
042 RÜSTUNGSNEWS<br />
Neuheiten aus der Welt der<br />
Rüstungs- und Sicherheitstechnik.<br />
044 BLICK IN DIE ZUKUNFT<br />
Wie sich mit Datennetzwerken<br />
die Lufthoheit gewinnen lässt.<br />
045 MADE IN AUSTRIA<br />
Neues aus der rot-weiß-roten<br />
Sicherheits- und Rüstungsindustrie.<br />
046 IM MINENFELD<br />
Militär Aktuell hat mit den Experten<br />
von Norwegian People’s Aid im<br />
Irak Sprengfallen entschärft.<br />
050 SCHLUSSPUNKT<br />
Sicherheitspolitikexperte<br />
Brigadier a. D. Walter Feichtinger<br />
analysiert die durch Russlands<br />
Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelöste<br />
Zeitenwende in Europa.<br />
FOTO S : S E B AST I A N F R E I L E R , N I K L AS M E Y R , G E T T Y I M AG E S<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
I N D I E S E M H E F T<br />
Sie sind Aufklärer und Ingenieure in<br />
Personalunion: Unter der Wasseroberfläche<br />
erkunden die Pioniertaucher<br />
des Bundesheeres Hindernisse. Sie<br />
beseitigen diese mit schwerem Gerät und<br />
helfen Menschen, die in Not geraten sind.<br />
030<br />
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geschützte Mobilität<br />
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The Transatlantic Partner for Land Defense in Europe
0 0 6 P A N O R A M A<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
M O M E N T U M<br />
Industrielle Revolution<br />
Seit Jahren ist in internationalen Konflikten<br />
eine Entwicklung erkennbar, die sich<br />
weiter beschleunigen dürfte: Kämpfe<br />
verlagern sich verstärkt in Städte und<br />
urbane Gebiete. Das bringt für Armeen<br />
und Truppen neue Herausforderungen<br />
mit sich: Beim Orts- und Häuserkampf<br />
stellen improvisierte Sprengladungen,<br />
Minen und Fallen, aber auch Scharfschützen<br />
und eingeschränkte Kommunikationswege<br />
ständige Gefahren dar. Die überund<br />
unterirdische Bebauung unterbricht<br />
zudem Sichtlinien, schafft tote Winkel,<br />
schränkt Aufklärungsmöglichkeiten und<br />
die Beweglichkeit ein. Querschläger und<br />
Trümmer einstürzender Gebäude können<br />
die Waffenwirkung verstärken oder einschränken.<br />
Um mit all diesen Facetten<br />
bestmöglich umgehen zu lernen, trainierten<br />
die Fähnriche des zweiten Jahrganges<br />
der Militärakademie kürzlich<br />
mehrere Tage lang erfolgreich die<br />
Kampfführung in einer Industrieanlage.<br />
FOTO : B U N D E S H E E R / PAU L KU L E C<br />
M I l I T ä r A K T U E l l
0 0 8 W E L t & S t R A t E G I E<br />
FOtO S : P I c t U R E D E S K , G E t t y I M AG E S<br />
ESKALATION DURCH NORDKOREA<br />
Laut dem amerikanischen Verteidigungsministerium treibt das<br />
nordkoreanische Regime von Staatschef Kim Jong-un die Entwicklung<br />
seines neuen Interkontinental-Raketensystems Hwasong-17<br />
weiter voran. Pjöngjang will damit auch amerikanische<br />
Städte erreichen können, was die USA – wenig überraschend –<br />
scharf kritisieren. Washington sprach nach<br />
zuletzt mehreren Raketentests Pjöngjangs<br />
von einer „Eskalation durch Nordkorea“<br />
und versetzte seine ballistischen<br />
Raketenabwehrkräfte in der Region<br />
in erhöhte Abwehrbereitschaft.<br />
Aus Sicht der amerikanischen<br />
Regierung fehle es Nordkorea bei<br />
der Entwicklung aber noch an<br />
wesentlichen Komponenten,<br />
sonst wäre das System längst auf<br />
längeren Strecken getestet worden.<br />
DER IS HAT EINEN NEUEN CHEF<br />
Nach dem Tod ihres Anführers Abu Ibrahim al-Haschimi al-<br />
Kuraischi hat der Islamische Staat (IS) seit Kurzem einen neuen<br />
Kommandanten: Abu Hassan al-Haschimi al-Kuraischi steht<br />
ab sofort an der Spitze der angeschlagenen Terrororganisation,<br />
die laut einem aktuellen UN-Bericht in Syrien und im Irak aber<br />
immer noch über rund 10.000 Kämpfer verfügt. Wie Miliz-<br />
Gründer Abu Bakr al-Bagdadi (der Bruder des neuen Oberhaupts)<br />
soll auch der seit 2019 an vorderster IS-Front stehende<br />
Abu Ibrahim al-Haschimi al-Kuraischi bei einem US-Einsatz<br />
ums Leben gekommen sein. Er hat sich angeblich bei einer<br />
Attacke im Nordwesten Syriens selbst in die Luft gesprengt.<br />
„Wir dürfen es nicht zu einem<br />
tabu machen, darüber<br />
zu diskutieren, wie die<br />
sicherheit der Welt<br />
geschützt wird.“<br />
Steht Japan bald unter einem nuklearen<br />
Schutzschirm der USA? Geht es<br />
nach dem früheren Regierungschef<br />
Shinzo Abe, dann sollte das Land über<br />
diese sicherheitspolitische Option jedenfalls<br />
intensiv nachdenken. Japan müsse sich<br />
„zu seinem eigenen Schutz“ an einer aktiven Debatte über Atomwaffen<br />
beteiligen, so Abe in einer Fernsehsendung. Und weiter:<br />
„Hätte die Ukraine ihre Atomwaffen nicht aufgegeben, wären sie<br />
wohl nicht mit einer Invasion Russlands konfrontiert worden.“<br />
Abe kann sich demnach ein Szenario wie in Europa während des<br />
Kalten Kriegs vorstellen. Waffen des Verbündeten USA könnten<br />
im Land stationiert werden und zur Abschreckung dienen, so<br />
der rechtskonservative Politiker, ohne dass Japan dafür eigene<br />
Atomwaffen besitzen oder gar herstellen müsse.<br />
Europa: diE<br />
rüstungsspiralE<br />
drEht sich<br />
längst<br />
Als Wladimir Putin am 24. Februar seinen<br />
Angriff auf die Ukraine startete, dachte er<br />
wohl an einen schnellen Sieg. An kurze<br />
Gefechte, ein rasch eingesetztes Moskaufreundliches<br />
neues Regime in Kiew, vielleicht<br />
sogar an eine Parade seiner siegreichen<br />
Streitkräfte durch die ukrainische<br />
Hauptstadt. Woran er vermutlich weniger<br />
dachte: An einen geschlossen auftretenden<br />
Westen. An massive Sanktionen, die die<br />
Wirtschaft seines Landes in den Abgrund<br />
reißen und an ein Europa, das sich seiner<br />
Sicherheitsschwächen bewusst wird und<br />
massiv gegenzulenken beginnt. Deutschland<br />
kündigte schon kurz nach Ausbruch<br />
der Kämpfe in Osteuropa zusätzliche Milliarden-Investitionen<br />
in seine Streitkräfte an,<br />
andere Länder beabsichtigen ebenfalls,<br />
mehr Geld in ihre Armeen zu stecken und<br />
selbst Österreich stockt seinen Wehretat<br />
massiv auf. Die Höhe der Beträge und die<br />
Schnelligkeit der Aufstockung der Verteidigungshaushalte<br />
mag überraschen, die Entwicklung<br />
hingegen nicht. Denn laut aktuellen<br />
Zahlen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts<br />
SIPRI hat sich die Rüstungsspirale<br />
in Europa schon mit der russischen<br />
Annexion der Krim und den anhaltenden<br />
Auseinandersetzungen im Donbass zu<br />
drehen begonnen.<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
W E L T G E S C H E H E N<br />
Angesichts des Ukraine-Kriegs steht Europa vor einer beispiellosen<br />
Aufrüstungsoffensive. Begonnen hat diese Entwicklung aber nicht erst<br />
mit der Eskalation des Konflikts Ende Februar, sondern schon mit der<br />
Annexion der Krim im Jahr 2014, wie aktuelle Zahlen des Stockholmer<br />
Friedensforschungsinstituts SIPRI zeigen.<br />
SIPRI betrachtet in seiner kürzlich veröffentlichten<br />
Analyse den Zeitraum 2017 bis<br />
2021 und vergleicht ihn mit 2012 bis 2016.<br />
Während die Schweden dabei einen weltweiten<br />
Rückgang der Waffengeschäfte um<br />
4,6 Prozent registrierten, legten die Ausgaben<br />
für Rüstungsgüter in Europa um gleich<br />
19 Prozent zu. Der „alte Kontinent“ verzeichnete<br />
damit von allen Weltregionen die<br />
größte Steigerung, was laut Pieter Wezeman,<br />
einem der Autoren der SIPRI-Studie<br />
auf „die deutliche Verschlechterung der<br />
Beziehungen zwischen den meisten<br />
europäischen Staaten und Russland“<br />
zurückzuführen sei. „Das war ein wichtiger<br />
Wachstumsmotor der europäischen<br />
Waffenimporte – die Aufrüstung ist besorgniserregend“,<br />
so Wezeman weiter.<br />
Global größter Waffenexporteur waren im<br />
Zeitraum 2017 bis 2021 mit einem Weltmarktanteil<br />
von 39 Prozent einmal mehr die<br />
USA, die im Vergleich zu 2012 bis 2016 ihr<br />
Exportvolumen sogar um 14 Prozent steigern<br />
konnten. Mit einem Anteil von 19 Prozent<br />
beziehungsweise elf Prozent folgten<br />
Russland und Frankreich auf den Plätzen.<br />
Während Russland allerdings einen Rückgang<br />
seines Exportvolumens von 26 Prozent<br />
hinnehmen musste, konnte Frankreich<br />
seine Waffenausfuhren gleich um 59 Prozent<br />
steigern. Noch deutlicher gingen die<br />
Exporte von Südkorea (plus 177 Prozent)<br />
Jeweiliger Anteil der wichtigsten<br />
Waffenexporteure am Weltmarkt<br />
2017–2021<br />
USA 39<br />
Frankreich 11<br />
Deutschland 4,5<br />
UK 2,9<br />
Spanien 2,5<br />
Sonstige 9,2<br />
Angaben in Prozent (beide Grafiken)<br />
19 Russland<br />
4,6 China<br />
3,1 Italien<br />
2,8 Südkorea<br />
2,4 Israel<br />
nach oben. China (minus 31 Prozent) und<br />
Großbritannien (minus 41 Prozent) mussten<br />
hingegen empfindliche Rückgänge hinnehmen.<br />
Veränderungen des Exportvolumens<br />
der wichtigsten Waffenexporteure<br />
2017–2021 gegenüber 2012–2016<br />
USA<br />
Russland<br />
Frankreich<br />
China<br />
Deutschland<br />
Italien<br />
UK<br />
Südkorea<br />
Spanien<br />
Israel<br />
-26<br />
-31<br />
-41<br />
-19<br />
-5,6<br />
14<br />
16<br />
10<br />
59<br />
Quelle: SIPRI Arms Transfers Database, März <strong>2022</strong><br />
177<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
0 1 0 W E L T & S T R A T E G I E<br />
UKRAIN<br />
DETAILANALYSE Militärstratege Brigadier Philipp Eder veranschaulicht Militär Aktuell-Chefredakteur Jürgen Zacharias auf einer aktuellen Lagekarte<br />
die Entwicklungen in der Ukraine.<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
KRIEG IN DER<br />
UKRAINE<br />
Text & Interviews: JÜRGEN ZACHARIAS<br />
EKRIEG<br />
UND SEINE FOLGEN<br />
Was überrascht am russischen Vorgehen?<br />
Hatte Putin tatsächlich keinen Plan B? Wie<br />
ist die Verteidigungsstärke der ukrainischen<br />
Armee einzuschätzen und welche Schlussfolgerungen<br />
lassen sich für das Bundesheer<br />
aus den Kämpfen ziehen? Eine Analyse mit<br />
Brigadier Philipp Eder, Leiter der Abteilung<br />
Militärstrategie im Verteidigungsministerium.<br />
FOTO S : S E B AST I A N F R E I L E R , G E T T Y I M AG E S<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
0 1 2 w e l t & s t r a t e g i e<br />
„Wir müssen die richtigen<br />
Schlüsse ziehen“<br />
Bilder der Kämpfe in der Ukraine<br />
zeigen immer wieder auch zerstörte<br />
russische Panzer. Hat der Kampfpanzer<br />
am gefechtsfeld damit endgültig<br />
ausgedient? ein gespräch mit<br />
Oberstleutnant Jörg Loidolt,<br />
Kommandant des Panzerbataillons 14.<br />
Herr Oberstleutnant, nach dem Krieg<br />
um Bergkarabach mit seinem massiven<br />
Drohneneinsatz wurde das Ende des<br />
Kampfpanzers auf dem modernen<br />
Gefechtsfeld ausgerufen. Zu Recht?<br />
Der erste anschein war tatsächlich verheerend,<br />
die Bilder waren furchtbar. Dass der<br />
Kampfpanzer nicht unzerstörbar ist, wissen<br />
wir natürlich schon lange. Kaum ein anderes<br />
waffensystem ist schon so oft totgesagt<br />
worden. schon 1918, also kurz nach den<br />
ersten einsätzen, galt er als obsolet, da ein<br />
grabenkrieg wie er in Frankreich stattgefunden<br />
hatte, für die Zukunft ausgeschlossen<br />
wurde. weiter Zäsuren waren die leichten<br />
Jagdpanzer des Zweiten weltkrieges, die<br />
Panzerabwehrrohre und lenkwaffen des<br />
Kalten Krieges und nun eben die Drohne.<br />
Die tatsache, dass ständig neue waffen<br />
gegen Kampfpanzer entwickelt werden,<br />
zeigt seine ungebrochene Bedeutung.<br />
Aber auch in der Ukraine scheinen Panzer<br />
leichte Ziele zu sein. Laut ukrainischen<br />
Angaben wurden von den Verteidigern<br />
Hunderte Panzer mit vergleichsweise<br />
günstigen und mobilen Abwehrsystemen<br />
ausgeschaltet.<br />
Natürlich beobachten wir die situation sehr<br />
genau. Die Quellen sind aber nun nicht so<br />
eindeutig wie beim Bergkarabach-Konflikt.<br />
Dort sahen wir staatlich produzierte werbevideos<br />
von azerischer seite. Nun erreichen<br />
uns Bilder und Videos, die nicht eindeutig<br />
der TB-2-Drohne zugerechnet werden können.<br />
wir haben aber auch Bilder von direkten<br />
treffern im Duell Panzer gegen Panzer,<br />
übrigens auf beiden seiten, sowie Vernichtungen<br />
durch Panzerabwehrlenkwaffen<br />
oder Panzerminen. Zusätzlich ist die luftabwehr<br />
der russischen streitkräfte potenter als<br />
die armenische. Besonders, weil russland<br />
in armenien vor Ort war und sicher seine<br />
lehren gezogen hat. insgesamt muss unterstrichen<br />
werden, dass andere waffensysteme<br />
genauso durch Drohnen bedroht sind,<br />
Kampfpanzer aber das Feuer auf sich ziehen.<br />
Russland zeigt auf seinen Siegesparaden<br />
immer wieder moderne Waffen wie den<br />
Panzer T-14 Armata oder die Landdrohne<br />
Uran-9. Wurden diese Systeme auch in<br />
der Ukraine gesichtet?<br />
Derzeit haben wir keine Hinweise, dass<br />
diese systeme im einsatz sind. Das T-14-<br />
Programm wurde stückmäßig mehrfach<br />
reduziert, angeblich sollen derzeit rund 150<br />
einheiten bei der truppenerprobung sein.<br />
es ist aber sehr still um den neuen „wunderpanzer“<br />
geworden. allerdings sind Komponenten<br />
in der neuesten T-90-serie verbaut<br />
worden. Hier sind die Kanone samt Feuerleitsystem<br />
sowie aktive und passive abwehrsysteme<br />
zu nennen. Bei den gezeigten<br />
Verlusten handelt es sich aber im hohen<br />
Maße um T-72B-Varianten. Die landdrohne<br />
Uran-9 kam in syrien schon vereinzelt zum<br />
einsatz, insgesamt dürfte die volle Feldverwendungsfähigkeit<br />
bei diesen systemen<br />
aber noch nicht vorliegen.<br />
Inwiefern müssten Ausbildung, Ausrüstung<br />
und Einbettung der Panzerkräfte<br />
adaptiert werden, um Panzer wieder fit<br />
für moderne Konflikte zu machen?<br />
Unfit war der Kampfpanzer nie. Die westlichen<br />
streitkräfte sind aber in den vergangenen<br />
Jahren immer von der absoluten<br />
luftüberlegenheit ausgegangen, die nun<br />
nicht mehr garantiert werden kann. Daher<br />
gilt es den luftabwehrschirm wieder zu<br />
denken. essenziell sind auch aktive und passive<br />
schutzsysteme, parallel dazu gewinnen<br />
einfache täusch- und tarnmaßnahmen wieder<br />
an Bedeutung. Zudem gibt es erste Versuche<br />
mit wärmereduzierenden tarnnetzen,<br />
die wir heuer fortsetzen werden. ganz entscheidend<br />
ist auch die Funkdisziplin und<br />
damit meine ich vor allem, dass kein Mobiltelefon<br />
am Panzer ist. eine kurze Nachricht<br />
kann zur auffassung und damit zur Bekämpfung<br />
führen. Unter dem strich müssen wir<br />
die entwicklungen in der Ukraine aber<br />
natürlich sehr genau beobachten und<br />
analysieren, um langfristig die richtigen<br />
schlüsse ziehen zu können. ganz nach<br />
einem Motto, das Otto von Bismarck zu -<br />
geschrieben wird: ich lerne lieber aus den<br />
Fehlern der anderen!<br />
FOtO s : Pa N Z e r B ata i l lO N 1 4 , g e t t y i M ag e s<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
Z<br />
unächst klang es wie<br />
Donnergrollen. Ein<br />
Gewitter möglicherweise,<br />
das sich in der<br />
Ferne zusammenbraut.<br />
Nur: der Himmel<br />
war beinahe wolkenfrei. Arbeitsgeräusche?<br />
Auch nicht! Vielmehr bewahrheiteten<br />
sich in den frühen<br />
Morgenstunden des 24. Februar die<br />
schlimmsten Befürchtungen der<br />
meisten Ukrainer und des Westens.<br />
Russland hatte das gemacht, was Präsident<br />
Wladimir Putin im Prinzip<br />
schon seit Jahren angekündigt hatte:<br />
Mit einer groß angelegten Militäroperation<br />
wollte er „handstreichartig“<br />
die Führungsspitze des Nachbarlandes<br />
enthaupten und die Kontrolle<br />
über die Ukraine übernehmen. Die<br />
dumpfen Geräusche rührten von explodierenden<br />
Bomben und Raketen<br />
her. Russland hatte seinen Angriffskrieg<br />
auf die Ukraine gestartet – aber<br />
schon unmittelbar nach Beginn der<br />
Attacke sein Momentum verspielt,<br />
wie Brigadier Philipp Eder, Leiter der<br />
Abteilung Militärstrategie im Verteidigungsministerium,<br />
im Gespräch<br />
mit Militär Aktuell erklärt.<br />
Putins erstes und wichtigstes Ziel:<br />
Der Flughafen Hostomel, wenige Kilometer<br />
nordwestlich der Hauptstadt<br />
Kiew. Luftlandetruppen sollten die<br />
Kontrolle über das Flugfeld übernehmen,<br />
Transportflugzeuge mit Nachschub<br />
und Verstärkungskräften waren<br />
bereits unterwegs. Gleichzeitig<br />
mobilisierten am Boden russische<br />
Truppen aus Norden und Nordosten<br />
in Richtung Kiew. „Den Ukrainern ist<br />
es aber gelungen, die Luftlandung zu<br />
verhindern, was sich heute als kriegsentscheid<br />
herausstellt“, so Eder. „Wie<br />
sie das geschafft haben und was das<br />
russische Vorhaben im Detail scheitern<br />
ließ, wissen wir noch nicht. Was<br />
wir aber wissen: Der ursprüngliche<br />
russische Plan stand auf sehr tönernen<br />
Füßen und scheiterte im Prinzip<br />
schon mit diesem Fehlschlag.“<br />
Herr Brigadier, wie kann es sein,<br />
dass jemand, der das Überraschungsmoment<br />
auf seiner Seite<br />
hat, sich gezielt auf den Krieg vorbereitet<br />
und über eine kampferfah-<br />
VOM SCHAUSPIELER ZUM HOFFNUNGSTRÄGER Der ukrainische Präsident Wolodymyr<br />
Selenskyj hat sich zum echten Leader entwickelt, der auch international für Anerkennung sorgt.<br />
Auf das Angebot der USA, ihn aus dem Land zu holen, soll er nur geantwortet haben:<br />
„Ich brauche kein Ticket. Ich brauche Munition.“<br />
rene, gut ausgestattete und weit<br />
überlegene Armee verfügt, alles<br />
auf nur eine Karte setzt?<br />
Das ist uns tatsächlich ein Rätsel und<br />
wird sich wohl erst nach dem Krieg<br />
und möglicherweise erst nach dem<br />
Abtreten von Präsident Putin aufarbeiten<br />
lassen. Grundsätzlich gibt es<br />
aber mehrere Möglichkeiten, wie so<br />
etwas passieren konnte. Es könnte<br />
etwa sein, dass die russische Regierung<br />
– beraten durch den russischen<br />
Generalstab und den Geheimdienst –<br />
die eigenen Kräfte überschätzt hat<br />
und gleichzeitig den ukrainischen<br />
Widerstandswillen und die Verteidigungsfähigkeit<br />
der ukrainischen Armee<br />
unterschätzt hat.<br />
KRIEG IN DER<br />
UKRAINE<br />
Lautet nicht ein Grundsatz in der<br />
Kriegsführung, dass man nie einen<br />
Gegner unterschätzen sollte?<br />
Richtig. In diesem Fall könnte das<br />
aber trotzdem passiert sein, was möglicherweise<br />
stark mit der Haltung des<br />
ukrainischen Präsidenten Wolodymyr<br />
Selenskyj zusammenhängt. Präsident<br />
Putin konnte sich wohl nicht vorstellen,<br />
dass für ihn jemand, der Schauspieler<br />
war und Dancing Stars gewonnen<br />
hat, ein echter Sparring Partner<br />
sein könnte und dass derjenige schon<br />
am ersten Tag nach dem Überfall im<br />
olivgrünen T-Shirt Durchhalteparolen<br />
ausgibt. Das ist ein gravierender<br />
Unterschied beispielsweise zu Afghanistan,<br />
wo Präsident Ashraf Ghani im<br />
vergangenen Jahr angesichts des Vormarsches<br />
der Taliban auf Kabul<br />
fluchtartig das Land verlassen hat.<br />
Damit ist dort jeder Durchhaltewillen<br />
der Verteidiger in sich zusammengebrochen.<br />
Möglicherweise wäre das<br />
in der Ukraine auch der Fall gewesen,<br />
wenn es Russland gelungen wäre,<br />
Selenskyj rasch von der Spitze zu entfernen<br />
und eine moskaufreundliche<br />
Regierung einzusetzen.<br />
Angenommen Putin hat Selenskyj<br />
tatsächlich unterschätzt: Hätte<br />
dann nicht zumindest der russische<br />
Generalstab auf die große Anfälligkeit<br />
des Plans hinweisen und Alternativen<br />
dazu vorbereiten müssen?<br />
Natürlich und das haben die Generäle<br />
möglicherweise auch getan. Aber<br />
wie das in autokratischen Systemen<br />
oft der Fall ist, sind die Informationen<br />
möglicherweise gar nicht bis zu Putin<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
0 1 4 w e l t & s t r a t e g i e<br />
durchgedrungen oder er wollte sie<br />
nicht hören. Die Militärs dürften<br />
zudem dem Geheimdienst geglaubt<br />
haben, und der hat ganz offensichtlich<br />
den Widerstandswillen der<br />
Ukrainer und deren Verteidigungsfähigkeit<br />
völlig falsch dargestellt. Dazu<br />
kommt, dass sich die russische Armee<br />
durch ihre Erfolge in den vergangenen<br />
Jahren möglicherweise zu dem Glauben<br />
verleiten hat lassen, dass es immer so<br />
weitergeht: Schnell irgendwo reingehen<br />
und Tatsachen schaffen, bevor<br />
der Gegner und der Westen darauf<br />
überhaupt reagieren und Gegenmaßnahmen<br />
treffen kann.<br />
In diesem Fall ist genau das aber<br />
nicht gelungen. Der russische Blitzkrieg<br />
scheiterte schon in seinen Anfängen<br />
und die Europäische Union<br />
sowie die USA reagierten auf die<br />
Aggression mit umfassenden Wirtschafts-<br />
und Finanzsanktionen. Der<br />
Rubel hat seitdem massiv an Wert<br />
verloren, Dual-Use-Güter und Hochtechnologieprodukte<br />
dürfen nicht<br />
mehr in Richtung Russland exportiert<br />
werden, gleich mehrere russische<br />
Banken wurden vom internationalen<br />
Zahlungssystem Swift ausgeschlossen.<br />
Und in der Ukraine? Da änderten die<br />
russischen Truppen ihre Vorgangsweise.<br />
Standen an den ersten Tagen<br />
Luftschläge auf militärische Einrichtungen<br />
im Fokus, verlagerten sich die<br />
Angreifer nun auf den Beschuss von<br />
Städten und zivilen Einrichtungen.<br />
Überraschend dabei: Trotz massiver<br />
Angriffe gelang es Russland über<br />
Wochen nicht, die vollständige Luftherrschaft<br />
über die Ukraine zu erringen.<br />
Wiederholt kam es zu Abschüssen<br />
russischer Kampfjets und Hubschrauber.<br />
Für Brigadier Eder ist<br />
auch das ein Beleg dafür, dass Putin<br />
von anderen Tatsachen ausgegangen<br />
war. „Hätte er mit einem längeren<br />
Krieg gerechnet, dann hätte er wohl<br />
in einem ersten Schritt massive Luftangriffe<br />
fliegen und von seinen Luftstreitkräften<br />
alle Radaranlagen, militärischen<br />
Einrichtungen und Abwehrmöglichkeiten<br />
der Ukrainer zerstören<br />
lassen, so wie beispielsweise<br />
die Amerikaner das 2003 im Irak<br />
Breites Portfolio<br />
mit großer<br />
Wirkung<br />
Von Javelin-Panzerabwehrwaffen über türkische<br />
Bayraktar tB-2-Drohnen bis hin zu<br />
stinger-luftverteidigungssystemen: Bei<br />
den Kämpfen in der Ukraine stehen gleich<br />
mehrere Waffensysteme im Mittelpunkt.<br />
eine Übersicht von georg Mader.<br />
„Wir haben die russische Armee<br />
massiv überschätzt.“ Schon Mitte<br />
März zog der stellvertretende US-<br />
Militäranalytiker Michael Kofman<br />
vom Zentrum für Marineanalysen<br />
(CNA) ein eindeutiges Fazit. Ausschlaggebend<br />
dafür waren die bereits<br />
am Anfang massiven Verluste<br />
der in der „Spezialoperation“ eingesetzten<br />
russischen Truppen. Die<br />
von westlichen Ländern waffentechnisch<br />
unterstützten ukrainischen<br />
Verteidiger agieren auch jetzt<br />
noch geschickt und können punk -<br />
tuell immer wieder vernichtend<br />
Widerstand leisten oder mit ihrer<br />
Hinhaltetaktik den Vormarsch der<br />
russischen Truppen zumindest<br />
verzögern.<br />
Fataler Mix von Ursachen<br />
Möglich machen den Erfolg der<br />
Ukrainer auch Schwächen der Russen,<br />
die beispielsweise am Funk verblüffend<br />
offen zu kommunizieren<br />
scheinen. Zudem dürfte es um<br />
Kampfwillen und Kampfkraft eher<br />
mau bestellt sein, eine Anpassung<br />
des gleich zu Beginn gescheiterten<br />
Blitzkrieg-Plans erfolgte nur zögerlich.<br />
Auch scheint es, dass Russlands<br />
Militär – allen „Vorschusslorbeeren“<br />
zum Trotz – die Erfahrung<br />
für eine derartig große Invasion<br />
fehlt. Die nur wenige Tage dauernden<br />
Einsätze in Georgien oder von<br />
Luftwaffe und Marine in Syrien sind<br />
mit dem Angriff auf die Ukraine<br />
nicht vergleichbar. Die russischen<br />
Truppen scheinen auf einen langwierigen<br />
Bodenkrieg, wie er nun in<br />
der Ukraine stattfindet, nicht vorbereitet<br />
zu sein. Offensichtlich wurde<br />
das etwa durch die anhaltenden<br />
Versorgungsprobleme mit Treibstoff,<br />
Munition und Verpflegung.<br />
Dazu kommt: So große Kräfte, wie<br />
sie nun in die Ukraine einmarschiert<br />
sind, zu führen, ist kompliziert<br />
und komplex, das hat man offenbar<br />
nie so richtig geübt. Weiters<br />
sind viele der „eroberten Gebiete“<br />
bis heute nicht wirklich kontrolliert.<br />
Immer wieder kommt es zu Hinterhalten<br />
besonders in Ortschaften<br />
und Waldschneisen, wo die ukrainischen<br />
Kräfte insbesondere mit<br />
ihren Panzerabwehrwaffen Javelin,<br />
NLAW, RPG-7 und Panzerfaust-3<br />
Abschüsse erzielen. Offenbar sehr<br />
wirksam sind auch die türkischen<br />
Bayraktar TB-2-Drohnen samt<br />
Foto s : U K r a i n e M o D, M a x x a r , U K r a i n e P o l i c e<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
KRIEG IN DER<br />
UKRAINE<br />
GROSSE PROBLEME Die russische Armee kämpft in der Ukraine mit Versorgungsschwierigkeiten, bei den Luftstreitkräften kommt es immer<br />
wieder zu Abschüssen und die türkischen Bayraktar TB-2-Drohnen sorgen auch am Boden für große Verluste.<br />
ihren MAM-C- (explosiv) und MAM-<br />
L- (thermobarisch) Lenkwaffen. Konsequenz<br />
davon: Russland hat schon in<br />
den ersten Wochen mehr als 1.000<br />
Panzer und Fahrzeuge verloren.<br />
Chinesische Reifen als Problem<br />
Wichtig aus ukrainischer Sicht: Den<br />
Verteidigern gelang es bereits zu<br />
Beginn – dabei sollen weißrussische<br />
Bahnarbeiter geholfen haben – alle<br />
nennenswerten Bahnverbindungen in<br />
Richtung Norden und Nordosten zu<br />
blockieren. Russland musste seinen<br />
Nachschub infolgedessen auf die<br />
Straße verlegen, wo die Schwächen<br />
der schlecht gewarteten, lange nicht<br />
bewegten und teils erstaunlich alten<br />
Versorgungsfahrzeuge voll zu Tage<br />
traten. Die „Schlammperiode“, die in<br />
diesem Jahr unüblich früh begann, hat<br />
die Probleme verschärft. Immer wieder<br />
bleiben Konvois liegen und kommen<br />
nicht mehr vorwärts. Als Beispiel<br />
sei hier der mehr als 60 Kilometer<br />
lange Konvoi im Norden von Kiew<br />
erwähnt, der dort tagelang verharrte<br />
und überwiegend aus Last- und<br />
Tankwagen, Fahrzeugen mit Pionier-<br />
Brückengerät, Raketenwerfern und<br />
unverständlich inaktiven mobilen<br />
Luftabwehrsystemen bestand. Auch<br />
wenn viele Videos, die von den<br />
Kriegsparteien aktuell lanciert werden,<br />
nicht verifizierbar sind, lässt sich<br />
aus der schieren Masse des Materials<br />
neben Treibstoffmangel aufseiten der<br />
Russen ein weiteres interessantes<br />
Detail filtern: Reifenschäden. Die auf<br />
den russischen Lkw montierten chinesische<br />
Billigreifen YS-20 Yellow Sea<br />
scheinen nach dem bodenbedingten<br />
Luftdruckablassen des öfteren einfach<br />
zu „zerfallen“. Die Ukrainer konnten<br />
deshalb gleich mehrere (im Export 25<br />
Millionen Euro teure!) Pantsir S1-<br />
Luftabwehrsysteme erbeuten, die von<br />
ihren Soldaten nach erfolglosem Radwechsel<br />
aufgegeben worden waren.<br />
Wo ist Russlands Luftwaffe?<br />
Für praktisch alle Beobachter überraschend<br />
ist, dass es der russischen<br />
Luftwaffe (VKS) mit ihren mehr als<br />
300 versammelten Flugzeugen und<br />
Hubschraubern auch nach mehreren<br />
Wochen nicht gelungen ist, vollständig<br />
das Kommando am Himmel über<br />
der Ukraine zu übernehmen. Wohl<br />
konnte regional und für kurze Zeiträume<br />
Luftüberlegenheit hergestellt,<br />
aber keineswegs die Luftherrschaft<br />
über dem gesamten Land gesichert<br />
werden. Die Ukrainer bringen ihre<br />
verbliebenen Jets und Drohnen noch<br />
immer zum Einsatz. Die meist nur zu<br />
zweit oder zu viert anfliegenden russische<br />
Maschinen setzen bei ihren Angriffen<br />
zudem vor allem alte Freifallbomben<br />
sowie ungelenkte Raketen<br />
(mit entsprechenden Kollateralschäden)<br />
ein. Die Präzisionsmunition, die<br />
in den vergangenen Jahren von den<br />
russischen Rüstungsbetrieben gerne<br />
auf internationalen Messen gezeigt<br />
wurde, spielte bislang kaum eine<br />
Rolle. Das zwingt die anfliegenden<br />
Maschinen allerdings zu weniger Geschwindigkeit<br />
und tieferen Flughöhen<br />
unter der Wolkendecke, was den Verteidigern<br />
in die Hände spielt. Die<br />
Maschinen kommen dadurch auch<br />
in die Reichweite selbst tragbarer<br />
Luftabwehrsysteme wie Stinger, Strela,<br />
Igla oder der polnischen Piorun.<br />
Die Ukrainer sprechen von mehr als<br />
100 abgeschossenen russischen Flugzeugen<br />
und Hubschraubern, davon<br />
lassen sich zumindest die Abschüsse<br />
von 30 Hubschraubern und 15 Jets<br />
eindeutig verifizieren (Stand Mitte<br />
März) – darunter auch moderne<br />
Su-34-Maschinen.<br />
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0 1 6 w e l t & s t r a t e g i e<br />
gemacht haben. Das hätte allerdings<br />
einige Tage gedauert und erst anschließend<br />
wären die Bodentruppen<br />
hineingegangen.“<br />
Herr Brigadier, was ist am russischen<br />
Vorgehen sonst noch überraschend?<br />
Die russische Armee hat in der jüngeren<br />
Vergangenheit eine Umgliederung<br />
vorgenommen, die sich bei den Landstreitkräften<br />
ganz stark auf die Bataillonskampfgruppe<br />
abstützt. Die<br />
Idee ist, dass schon Bataillone – also<br />
Verbände mit rund 500 Soldaten –<br />
sehr autark agieren können und dafür<br />
große Kompetenzen bekommen.<br />
Das klingt in der Theorie gut. Die<br />
Kräfte, die direkt im Feindkontakt<br />
stehen, können dadurch beispielsweise<br />
ohne Zwischenebene Raketenartillerie<br />
abrufen und andere schwere<br />
Einsatzmittel zum Einsatz bringen.<br />
Bei Stabilisierungseinsätzen wie in<br />
Syrien, wo die Domäne Luft überhaupt<br />
keine Rolle spielt, hat sich das<br />
auch sehr bewährt. In einem konventionellen<br />
Krieg, wie wir ihn in der<br />
„Kämpfe in<br />
Städten sind sehr<br />
verlustreich“<br />
der krieg in der ukraine fokussiert sich<br />
zunehmend auf die größten städte des<br />
landes. was das für die<br />
verteidigenden und angreifenden<br />
truppen<br />
bedeutet? ein gespräch<br />
mit Major Klaus Kuss,<br />
häuserkampfexperte<br />
an der heerestruppenschule.<br />
ANGREIFER Vs. VERTEIDIGER Was vor<br />
Jahren noch undenkbar schien, ist seit Ende<br />
Jänner Realität. Russische und ukrainische Truppen<br />
bekämpfen sich im größten europäischen<br />
Bodenkrieg seit Ende des Zweiten Weltkriegs.<br />
Herr Major, es ist auffällig, dass die russische<br />
Armee zwar ukrainische städte<br />
beschießt und bombardiert, allerdings<br />
nur zögerlich mit Truppen in Zentren<br />
vordringt. Warum wählen die Russen<br />
aus Ihrer sicht diese Vorgangsweise?<br />
aus operativer und taktischer sicht versucht<br />
eine angreifende Partei den kampf<br />
im urbanen umfeld von bodentruppen so<br />
lange wie möglich zu vermeiden. er ist<br />
äußerst komplex, zeit- und ressourcenintensiv<br />
sowie verlustreich und bedarf einer<br />
intensiven Vorbereitung. ein wesentliches<br />
merkmal in der Phasenbildung eines konventionellen<br />
angriffes auf städte und<br />
ortschaften ist die einschließungsphase.<br />
diese dient dazu, den Verteidiger zu<br />
isolieren und von der Versorgung sowie<br />
möglichen Verstärkung abzuschneiden<br />
und so zu schwächen. das ist noch nicht<br />
überall gelungen, zudem leiden die russischen<br />
kräfte unter logistischen Problemen,<br />
was die angriffe zum stocken<br />
bringt. sie versuchen daher vorerst das<br />
gewonnene gelände zu halten und mit<br />
schwergewicht militärische Ziele in und<br />
um die städte mit artillerie, raketen und<br />
luftmitteln wie kampfhubschraubern und<br />
kampfflugzeugen zu bekämpfen und zu<br />
vernichten. die verteidigenden kräfte sollen<br />
dadurch abgenutzt, reduziert und ihr<br />
kampfwille geschwächt werden, um Voraussetzungen<br />
für den angriff zu schaffen.<br />
Was macht den Kampf in städten so<br />
speziell und für Angreifer unangenehm?<br />
der kampf im urbanen umfeld ist psychisch<br />
und physisch besonders hart, zehrend<br />
und generell sehr verlustreich. der<br />
kampf wird auf einem dreidimensionalen<br />
gefechtsfeld geführt. das bedeutet, dass<br />
man nicht nur aus den häusern, sondern<br />
auch aus unterirdischen systemen wie<br />
Foto s : g e t t y i m ag e s , P i c t u r e d e s k , b u n d e s h e e r<br />
M I L I T Ä R A K T u E L L
KRIEG IN DER<br />
UKRAINE<br />
U-Bahnsystemen oder von Dächern aus bekämpft<br />
werden kann. Angreifende Einheiten<br />
sind permanent einer 360 Grad<br />
Bedrohung ausgesetzt, die „Freund-Feind-<br />
Kennung“ ist erschwert, Beobachtungsmöglichkeiten<br />
sind eingeschränkt und<br />
„Friendly Fire“ wird begünstigt. Das Gefecht<br />
im urbanen Raum auf der gefechtstechnischen<br />
Ebene muss dezentral geführt<br />
werden. Das bedeutet, dass der Angriff in<br />
kleine Einzelgefechte zerfällt, die schwer zu<br />
führen und zu koordinieren sind. Die Kampfentfernungen<br />
sind sehr gering, oft muss der<br />
Nahkampf geführt werden. Sehr viel Feuer<br />
konzentriert sich auf sehr engen Raum und<br />
nicht nur die Waffenwirkung von Artilleriegeschossen<br />
oder Raketen wird durch Sekundärsplitter<br />
und die dichte Bebauung<br />
massiv verstärkt, sondern auch jene von<br />
Panzer-, Maschinenkanonen und anderen<br />
Flachfeuerwaffen. Der Angreifer ist grundsätzlich<br />
auf die Nutzung der Straßen angewiesen,<br />
wenn er rasch vorwärtskommen<br />
will, dadurch stark kanalisiert und leichter<br />
zu bekämpfen.<br />
Damit Offensiven erfolgreich sein können,<br />
sollten Angreifer den Verteidigern<br />
zumindest mit 3:1 überlegen sein. Gilt<br />
dieses Verhältnis auch bei Kämpfen im<br />
urbanen Gebiet?<br />
Grundsätzlich wird dieses Verhältnis aus<br />
taktischer Sicht herangezogen, um im Rahmen<br />
des Kampfkraftvergleichs den eigenen<br />
Kräftebedarf für einen Angriff zu ermitteln.<br />
Beim Angriff gegen vorbereitete Infanterie<br />
in Stellungen wäre konkret sogar ein Verhältnis<br />
von 4:1 zu wählen. Beim Kampf im<br />
urbanen Umfeld stimmen diese Verhältniszahlen<br />
nicht. Aufgrund der vorher angeführten<br />
Besonderheiten muss ein Angreifer eine<br />
vielfache Überlegenheit aufweisen, um<br />
rein theoretisch-rechnerisch erfolgreich zu<br />
sein. International spricht man hier von dem<br />
Bedarf einer 8- bis 10-fachen Überlegenheit.<br />
Darüber hinaus spielt in den praktischen<br />
Kampfhandlungen aber auch der<br />
Kampfwert sowie der Kampfwille eine<br />
große Rolle. Eine rein zahlenmäßige<br />
Über legenheit ist noch kein Garant für<br />
den Erfolg im Gefecht.<br />
Neben regulären Kräften leisten in den<br />
Städten auch viele Zivilsten, die sich<br />
bewaffnet oder mit selbst gebastelten<br />
Molotowcocktails ausgestattet haben,<br />
Widerstand. Inwiefern erfordert das von<br />
den russischen Kräften eine andere Vorgehensweise<br />
und was bedeutet das für<br />
die verteidigenden Truppen?<br />
Bei der Beantwortung dieser Frage müssen<br />
doch sehr relevante Aspekte des humanitären<br />
Völkerrechts berücksichtigt werden. Die<br />
Fragen, die in diesem Zusammenhang als<br />
Erstes geklärt werden müssen, sind: Wer ist<br />
Zivilist, was dürfen Zivilisten in bewaffneten<br />
Konflikten und wann dürfen sie bekämpft<br />
werden. Alle gesunden und wehrfähigen<br />
Männer und Frauen der Ukraine, im Alter<br />
zwischen 18 und 60 Jahren, die einberufen<br />
worden sind oder sich freiwillig gemeldet<br />
haben, wurden oder werden in Verteidigungsverbände<br />
der ukrainischen Streitkräfte<br />
eingegliedert. Wer kämpfen will,<br />
bekommt eine gelbe oder blaue Armschleife<br />
und wird so, unabhängig von Ausrüstung<br />
oder Uniform, zum Soldat. Er oder<br />
sie ist daher kein Zivilist mehr und verfügt<br />
über einen Kombattantenstatus mit allen<br />
Vor- und Nachteilen. Kombattanten dürfen<br />
kämpfen, aber auch bekämpft werden. Dies<br />
gilt auch für bewaffnete Gruppen oder Milizen,<br />
die auf diese Art und Weise eingegliedert<br />
werden, sich dem Kampf anschließen<br />
und wenn dies dem Gegner mitgeteilt wird.<br />
Der Art. 2 der Haager Landkriegsordnung<br />
besagt, dass in einem internationalen<br />
bewaffneten Konflikt unter bestimmten<br />
Umständen auch Zivilisten Kombattanten<br />
sind. Diese sogenannte Massenerhebung<br />
(„Levée en masse“) und ihr Recht zu kämpfen<br />
ist ein komplexes theoretisches Gebilde,<br />
das in der praktischen Umsetzung auf<br />
dem Gefechtsfeld viele Probleme mit sich<br />
bringt. Diese Kämpfer unterscheiden sich<br />
rein äußerlich nur durch das offene Tragen<br />
von Waffen von „friedlichen Zivilisten“.<br />
Die Bevölkerung wird so automatisch in<br />
die Kampfhandlungen hineingezogen, da<br />
diese bewaffneten, kämpfenden Zivilisten<br />
direkt bekämpft werden dürfen, aber im<br />
Gefecht praktisch nur schwer zu unterscheiden<br />
sind. Die Wahrscheinlichkeit von Kollateralschäden<br />
an der Bevölkerung werden<br />
dadurch massiv erhöht, es könnten unschuldige<br />
Zivilsten vermehrt Ziel von Angriffen<br />
werden. Gewisse Merkmale der Massenerhebung<br />
wie die Spontaneität der Aufnahme<br />
von Kampfhandlungen treffen nach Ansicht<br />
von Völkerrechtsexperten im Ukraine-Krieg<br />
auch nicht mehr zu. Auf Social Media werden<br />
trotzdem auch Zivilisten gezeigt, die<br />
Molotowcocktails herstellen und deren Einsatz<br />
gegen russische Panzer üben. Der aktive<br />
Einsatz dieser Mittel von Zivilisten wäre<br />
gemäß Völkerrechtsexperten eine Einmischung<br />
in das Kriegsgeschehen von Personen<br />
ohne Kombattantenstatus. Er könnte<br />
sogar zum Kriegsverbrechen werden, wenn<br />
der Einsatz heimtückisch erfolgen würde.<br />
Das heißt, unter dem Strich sind Kämpfe<br />
in Städten nicht nur sehr verlustreich,<br />
sondern auch sehr truppen- und materialintensiv<br />
und sollten von Angreifern um<br />
jeden Preis vermieden werden?<br />
Aus rein taktisch und operativen Überlegungen<br />
wäre es anzustreben, den Kampf im urbanen<br />
Umfeld zu vermeiden oder so lange<br />
es geht hinauszuzögern. Eine Möglichkeit<br />
dazu wäre die Einschließung, Isolierung und<br />
Belagerung einer Stadt. Durch den Entzug<br />
aller Versorgungsmöglichkeiten in Verbindung<br />
mit Steilfeuer- und Raketen beschuss<br />
sowie Angriffen aus der Luft könnte der Angreifer<br />
versuchen, die verteidigenden Kräfte<br />
zu zermürben und zur Kapitulation zu zwingen.<br />
Dies ist aber ebenfalls ein sehr zeitund<br />
kräfteintensives Verfahren und man<br />
müsste sicherstellen, dass die Stadt wirklich<br />
vollkommen isoliert ist und nicht über irgendwelche<br />
Routen versorgt werden kann. Eine<br />
Belagerung wie auch ein Angriff hat natürlich<br />
auch immer massive humanitäre Konsequenzen<br />
für die verbliebene Zivilbevölkerung in<br />
der Stadt. Die mehrjährige Belagerung von<br />
Sarajevo durch die Armee der bosnischen<br />
Serben von April 1992 bis Februar 1996 mit<br />
annähernd 11.500 getöteten und 56.000<br />
verletzten Zivilisten ist hier als Negativbeispiel<br />
anzuführen. Die Inbesitznahme einer<br />
Stadt ist mit dem Ende des Angriffes bei<br />
Weitem nicht abgeschlossen. Danach beginnt<br />
die nächste herausfordernde Phase, in<br />
der die Stadt nachhaltig gehalten, die Bevölkerung<br />
unter Kontrolle gebracht und der<br />
Wille des Angreifers langfristig umgesetzt<br />
werden soll. Dazu sind Nachfolgekräfte, sogenannte<br />
Besatzungskräfte, notwendig, die<br />
sich doch wesentlich von Angriffskräften unterscheiden.<br />
Da Städte aber grundsätzlich<br />
die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen,<br />
infrastrukturellen und religiösen Zentren<br />
eines Landes mit viel Symbolcharakter<br />
darstellen, wird der Kampf um sie aber auf<br />
lange Sicht unvermeidbar sein.<br />
M I L I T Ä R A K T u e L L
0 1 8 W E L T & S T R A T E G I E<br />
Ukraine sehen, dürfte das aber überhaupt<br />
nicht der Fall sein. Wie es<br />
scheint, sind die Bataillone dort<br />
mit ihrer Kompetenz schlichtweg<br />
überfordert.<br />
Worin zeigt sich für Sie diese Überforderung?<br />
Wir haben bereits einige russische<br />
Bataillonskampfgruppen gesehen, die<br />
relativ ungesichert in ungewöhnlichen<br />
Gefechtsabständen und ohne<br />
Begleitung von Kampfhubschraubern,<br />
wie das sehr wohl in Syrien der Fall<br />
war, in ukrainische Hinterhalte gefahren<br />
sind. Da haben ganz offensichtlich<br />
die Aufklärungskapazitäten<br />
davor entweder gefehlt oder sie waren<br />
massiv fehlerhaft.<br />
In Österreich ist dieser „Kampf der<br />
verbundenen Waffen“ auf Brigadeebene<br />
angesiedelt. Prinzipiell<br />
könnte eine Verschiebung auf Bataillonsebene<br />
schon Vorteile bringen,<br />
oder?<br />
Definitiv, deshalb haben wir die Entwicklung<br />
in Russland auch sehr genau<br />
beobachtet. Man hat militärisch<br />
oft das Problem der großen Räume<br />
und geringen Kräfte und da wäre es<br />
natürlich ideal, wenn die wenigen<br />
Kräfte möglichst schnell und rasch<br />
und ohne große Hierarchien, Luftund<br />
Artillerieunterstützung anfordern<br />
können. Dadurch spart man<br />
Zeit, es gehen weniger Informationen<br />
verloren. Wie die Kämpfe in der<br />
Ukraine nun zeigen, ist das auf<br />
Bataillonsebene aber nicht zwingend<br />
erfolgreich.<br />
Das russische Vorgehen lief also von<br />
Beginn weg nicht nach Plan, was<br />
aber auch daran lag, dass die Verteidiger<br />
geschickt agierten. „Sie haben<br />
BILDER DER ZER-<br />
STÖRUNG Längst<br />
haben die russischen<br />
Angreifer neben militärischen<br />
auch zivile<br />
Ziele ins Visier genommen.<br />
Kirchen und<br />
Wohngebäude wurden<br />
ebenso beschossen<br />
wie Schulen,<br />
Kindergärten und<br />
Krankenhäuser.<br />
in den vergangenen Jahren an der<br />
Kontaktlinie im Donbass viele Erfahrungen<br />
gesammelt, die sie nun eingesetzt<br />
haben, um den Russen immer<br />
wieder Nadelstiche zu versetzen“,<br />
sagt Brigadier Eder. „Vieles<br />
davon erinnert an die Grundzüge<br />
unserer Raumverteidigungsüberlegungen,<br />
wenn wir etwa an das Legen<br />
von Hinterhalten denken, an die<br />
Angriffe auf Versorgungskonvois,<br />
das Aufsplittern größerer Truppen<br />
und den Einsatz von Spezialeinsatzkräften.“<br />
Möglich machen all das vergleichsweise<br />
kompakte und kostengünstige<br />
Waffensysteme. „Ebenso wie dem<br />
Bundesheer fehlt es auch der ukrainischen<br />
Armee an ausreichend potenten<br />
Luftverteidigungskräften und der<br />
erforderlichen Anzahl an weitreichender<br />
Artillerie, mit der sich auch<br />
gezielt in die Tiefe schlagen lässt“, erklärt<br />
Brigadier Eder, der noch eine<br />
Parallele zwischen Österreich und der<br />
Ukraine zieht. „Es mangelt an Offensivpotenzial,<br />
um aus der Verteidigung<br />
auch tief in den feindlichen Raum<br />
hinein wirken zu können.“<br />
Ist ein derartiges Offensivpotenzial<br />
für kleine Länder wie Österreich<br />
oder auch die Ukraine, mit ihren<br />
zwar deutlich mehr Einwohnern,<br />
aber ihrer viel geringeren Wirt-<br />
FOTO S : G E T T Y I M AG E S<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
schaftskraft überhaupt realisierbar?<br />
Natürlich, denken wir an Finnland<br />
oder an die Schweiz, die sich auch<br />
deswegen zuletzt für die Beschaffung<br />
von F-35-Kampfflugzeugen entschieden<br />
haben, weil diese Jets dank ihrer<br />
Stealth-Technologie weitgehend unentdeckt<br />
in feindliches Gebiet eindringen<br />
und dort – oder mit weitreichender<br />
Präzisionsmunition sogar<br />
aus dem eigenen Luftraum – Ziele<br />
bekämpfen können. Allein schon die<br />
Tatsache, dass ein Gegner über solche<br />
Mittel verfügt und sie jederzeit zum<br />
Einsatz bringen könnte, wirkt abhaltend<br />
und bindet bei einem Aggressor<br />
massiv Kapazitäten.<br />
Weil man ständig mit einem Gegenangriff<br />
rechnen muss?<br />
Richtig. Flugfelder müssen gesichert<br />
werden, es braucht Luftabwehr auch<br />
im Hinterland, Konvois sind ständig<br />
in Gefahr, attackiert und vernichtet<br />
zu werden. Das alles sind wichtige<br />
Säulen der Abhaltewirkung einer Armee.<br />
Je stärker und potenter ein Land<br />
militärisch auftritt, umso mehr wird<br />
ein potenzieller Aggressor überlegen,<br />
ob er einen Angriff tatsächlich führen<br />
oder besser darauf verzichten sollte.<br />
Wir haben nun über Artillerie,<br />
Luftabwehr und Kampfflugzeuge<br />
gesprochen. Inwiefern gehört zur<br />
Abhaltewirkung auch der Cyberbereich?<br />
Welche Rolle spielt dieser<br />
Aspekt im Ukraine-Krieg.<br />
Eine ganz wichtige – allerdings ist es<br />
da noch viel schwieriger als am<br />
Schlachtfeld, an gesicherte Informationen<br />
zu kommen. Da wird kaum<br />
etwas über Erfolge oder Misserfolge<br />
bekannt, was aber auch daran liegen<br />
kann, dass beide Seiten in diesem Bereich<br />
sehr gut aufgestellt sind und die<br />
Ukraine in den vergangenen Jahren<br />
KRIEG IN DER<br />
UKRAINE<br />
viel in diese Richtung investiert hat.<br />
Das sind durchaus Lehren, die Kiew<br />
aus den Erfahrungen seit 2014 im<br />
Osten der Ukraine gezogen hat, wo<br />
die Rebellen eigenartigerweise über<br />
topmodernes Gerät verfügten und<br />
viele ukrainische Systeme bis hin<br />
zu Zielerfassungsradars einfach<br />
mit elektronischer Kampfführung<br />
weggeblendet haben.<br />
Stichwort Drohnen. Nach dem<br />
Krieg um Bergkarabach spielen die<br />
unbemannten Flug- und Aufklärungssysteme<br />
auch jetzt in der<br />
Ukraine eine wichtige Rolle. Was<br />
heißt das für das Bundesheer?<br />
Dass man sich stärker in dem Bereich<br />
engagieren muss, obwohl es auch in<br />
Zukunft nicht so sein wird, dass Kriege<br />
INTEROPERABLE<br />
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0 2 0 W E L T & S T R A T E G I E<br />
ausschließlich mit Drohnen ausgefochten<br />
und gewonnen werden. Wie<br />
immer bei einem Konflikt wird jede<br />
Seite versuchen, Schwächen des<br />
Gegenübers auszumachen und auszunutzen.<br />
Verfügt der Gegner über<br />
keine nennenswerte Drohnenabwehr<br />
und ich selbst habe gute Drohnensysteme,<br />
dann werde ich die natürlich<br />
massiv zum Einsatz bringen. Ist der<br />
Gegner in der Drohnenabwehr aber<br />
sehr gut aufgestellt, dann ist es vermutlich<br />
besser, auf meine Stärken<br />
und andere Systeme zu setzen.<br />
Das heißt, Drohnen sind für<br />
ine moderne Armee in vielerlei<br />
Hinsicht wichtig, allein auf<br />
dieses Pferd zu setzen ist aber<br />
der falsche Weg?<br />
Genau. Wie gerade eben beschrieben:<br />
Sieht ein Gegner in diesem Bereich<br />
Schwächen, wird er sie im Fall der<br />
Fälle nutzen. Drohnen sind auf dem<br />
Schlachtfeld so wichtig geworden,<br />
dass man darauf nicht mehr verzichten<br />
kann. Aber ohne starke Kräfte in<br />
anderen Bereichen werden die besten<br />
Drohnensysteme allein nicht die gewünschten<br />
Erfolge bringen.<br />
Neben Kampfdrohnen spielen in<br />
der Ukraine gerade auch kleinere<br />
Systeme zur Aufklärung eine große<br />
Rolle.<br />
Stimmt und dahingehend wird sich<br />
auch beim Bundesheer in den nächsten<br />
Jahren einiges tun. Diesem Trend<br />
darf man sich einfach nicht verweigern.<br />
In manchen Armeen hat schon<br />
jeder Panzer seine Drohne dabei, um<br />
beispielsweise gefahrlos über Geländekanten<br />
blicken zu können. Gruppen<br />
klären mit Minidrohnen Häuser auf<br />
und wie sich auch jetzt in der Ukraine<br />
zeigt, lassen sich mit kleinen Drohnen<br />
auch effektiv Konvois verfolgen.<br />
Um langsam zum Schluss zu kommen:<br />
Die ukrainischen Verteidiger<br />
haben es geschafft, der russischen<br />
Armee über Wochen hinweg Paroli<br />
zu bieten. Wird das schlussendlich<br />
ein Achtungserfolg bleiben oder hat<br />
ein Land wie die Ukraine tatsächlich<br />
die Chance, einen auf dem Papier<br />
übermächtigen Gegner zu besiegen?<br />
Das sieht man ja gerade. Die Ukrainer<br />
machen das sehr gut und halten<br />
sich nun schon deutlich länger, als<br />
man das erwarten konnte. Das müsste<br />
im Fall der Fälle auch unser Ziel<br />
sein. Wir müssten zumindest über<br />
eine gewisse Zeit abwehrfähig sein<br />
können. Was man nicht vergessen<br />
sollte: Gelingt es, einen Aggressor über<br />
längere Zeit hinweg aufzuhalten und<br />
zu stören, erkauft man sich damit als<br />
Verteidiger auch wertvolle Zeit.<br />
FOTO S : S E B AST I A N F R E I L E R , B Ü R O LU KAS M A N D L / M . L A H O U SS E<br />
EU bekommt Eingreiftruppe<br />
Die EU bekommt als Reaktion auf<br />
den russischen Angriffskrieg in der<br />
Ukraine eine neue militärische Eingreiftruppe,<br />
die bis zum Jahr 2025<br />
einsatzfähig sein soll. Im ersten<br />
Jahr will Deutschland die 5.000 Soldaten<br />
des Kontingents stellen. Anschließend<br />
soll auch Österreich Teil<br />
der Eingreiftruppe sein, wie Verteidigungsministerin<br />
Klaudia Tanner bestätigte.<br />
Die Neutralität Österreichs<br />
stehe dem nicht im Weg. „Selbstverständlich<br />
sind wir dabei.“ Zur neuen<br />
Truppe sollen je nach Bedarf neben<br />
Bodentruppen auch Luft-und Seestreitkräfte<br />
gehören. „Wir müssen<br />
schneller werden, angesichts dieser<br />
herausfordernden Situation“, sagte<br />
Tanner. „Es geht dabei auch darum,<br />
mit einer Stimme zu sprechen, wirklich<br />
glaubwürdig zu sein, uns robuster<br />
aufzustellen. Dass wir da Aufholbedarf<br />
haben, steht wohl außer<br />
Frage.“<br />
Zustimmung zur neuen Eingreiftruppe<br />
kommt auch vom Europaabgeordneten<br />
Lukas Mandl (Bild<br />
rechts unten), der stellvertretender<br />
Vorsitzender des Verteidigungsausschusses<br />
im Europaparlament ist:<br />
„Die Eingreiftruppe war schon vorher<br />
dringend und wichtig. Durch den Angriffskrieg<br />
in Europa ist jetzt die notwendige<br />
Prioritätensetzung endlich<br />
erreicht. Die EU wird aber schon vor<br />
2025 gefordert sein, schnell und<br />
selbstständig zu handeln. Daher<br />
bedarf es täglich der weiteren Stärkung<br />
der PESCO-Projekte, der Einbindung<br />
des Vereinigten Königreichs,<br />
der Schweiz und der sechs Westbalkanstaaten,<br />
der Ausschöpfung und<br />
Aufstockung des Europäischen Verteidigungsfonds<br />
für Innovation und<br />
auch ziviler Technologieführerschaft<br />
sowie einer angemessenen Aufstockung<br />
der Verteidigungshaushalte<br />
der Mitgliedsstaaten. Der Schockmoment<br />
des Angriffskriegs in<br />
Europa muss als Momentum für<br />
eine nachhaltige Sicherheitspolitik<br />
gesehen werden, in der Europa sich<br />
im wahrsten Sinne des Wortes in<br />
seine eigenen Angelegenheiten<br />
einmischt.“<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
Brigadier Philipp Eder<br />
ist Leiter der Abteilung Militärstrategie im<br />
Verteidigungsministerium. Von 1997 bis 2000<br />
absolvierte er seine Generalstabsausbildung,<br />
2002 war er in Afghanistan als nationaler<br />
Kommandant des österreichischen Kontingents<br />
AUTCON ISAF eingesetzt Vor seiner aktuellen<br />
Verwendung leitete er das Institut für Höhere<br />
Militärische Führung an der Landesverteidigungsakademie.<br />
KRIEG IN DER<br />
UKRAINE<br />
Zeit wofür?<br />
Zeit für neue Optionen. Die Ukraine profitiert<br />
jetzt von Waffenlieferungen des Westens,<br />
zu denen es nie gekommen wäre, wenn der<br />
Krieg nach vier Tagen beendet gewesen wäre.<br />
Auch auf der diplomatischen Ebene tun sich<br />
Möglichkeiten auf, die es nie gegeben hätte,<br />
wenn in Kiew seit Wochen eine prorussische<br />
Regierung am Ruder wäre. Darüber hinaus<br />
können sich in den nächsten Wochen auch<br />
noch viele andere Handlungsoptionen auftun,<br />
an die wir heute gar nicht denken und die<br />
möglicherweise für ein überraschendes Ende<br />
des Krieges sorgen.<br />
The Mortar Company.<br />
DIGITALISATION OF MORTAR SYSTEMS
0 2 2 W E L T & S T R A T E G I E<br />
Russland vs ukRaine:<br />
das ComebaCk<br />
des ReCep Tayyip<br />
eRdoğan<br />
Unbeschadet seines<br />
Ausganges hat der<br />
Ukraine-Konflikt bereits<br />
einen eindeutigen,<br />
wenn auch unerwarteten<br />
Gewinner: den<br />
türkischen Staatspräsidenten<br />
Recep<br />
Tayyip Erdoğan.<br />
Eine Analyse von IFK-<br />
Experte Walter Posch.<br />
FOTO : G E T T Y I M AG E S<br />
och vor wenigen<br />
N<br />
Wochen begannen<br />
die Medien im Inund<br />
Ausland das<br />
Ende der nun zwei<br />
Jahrzehnte dauernden<br />
Regierungszeit des türkischen<br />
Ministerpräsidenten herbeizuschreiben:<br />
Eine galoppierende Inflation,<br />
hohe Arbeitslosigkeit, mangelhaftes<br />
Corona-Management, eine Opposition,<br />
die langsam zueinander findet und<br />
zum Teil heftige internationale Kritik<br />
schienen das Ende der Epoche Erdoğan<br />
einzuläuten. Die Opposition<br />
begann zum ersten Mal Mut zu fassen<br />
und sich auf die nächsten Präsidentschaftswahlen<br />
vorzubereiten, wobei<br />
allgemein mit auf den Herbst <strong>2022</strong><br />
vorgezogenen Neuwahlen gerechnet<br />
wurde. Negative Meinungsumfragen,<br />
die den Präsidenten und seine Partei<br />
unter 30 Prozent zeigten, und ein<br />
im Fernsehen zunehmend müde und<br />
desorientiert wirkendender Erdoğan,<br />
verstärkten den Eindruck vom Herbst<br />
des Patriarchen.<br />
Als wäre all das noch nicht genug, galt<br />
die Türkei auch im transatlantischen<br />
Verteidigungsbündnis so sehr als Außenseiter,<br />
dass in der NATO sogar die<br />
Bündnistreue Ankaras unter<br />
Erdoğan hinterfragt wurde.<br />
Zu einem guten Teil war das<br />
selbstverschuldet. Aus innenpolitischen<br />
Gründen spielte der<br />
türkische Präsident gerne die Karten<br />
des antiwestlichen Populismus und<br />
des aggressiven Nationalismus aus.<br />
Die Krise im östlichen Mittelmeer und<br />
daran anschließend weitere seerechtli-<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
KRIEG IN DER<br />
UKRAINE<br />
che Ansprüche zu Lasten Griechenlands und das<br />
türkische Engagement in Libyen und Afrika führten<br />
zu einer Konfrontation mit Frankreich; die<br />
harsche Kritik an Israel und der Kauf des russischen<br />
S-400-Flugabwehrsystems verärgerten den<br />
zweifelsohne wichtigsten Verbündeten Ankaras,<br />
die USA. Selbst Deutschland, das der Türkei auch<br />
aus innenpolitischen Gründen immer großes Verständnis<br />
entgegenbrachte, war zunehmend irritiert.<br />
Doch was sich bei vielen Krisen, die Erdoğan<br />
bisher meistern konnte, gezeigt hat, traf auch<br />
diesmal wieder zu: Politisch ins Eck gedrängt und<br />
unter größtem nationalen und internationalen<br />
Druck lief der türkische Präsident bisher immer<br />
zur politischen Hochform auf. So stellte sich der<br />
Verkauf der türkische Bayraktar TB-2-Kampfdrohnen<br />
an die Ukraine als politische Trumpfkarte<br />
heraus. Das Erfolgsprodukt der türkischen<br />
Waffenindustrie gab nicht nur Anlass zu nationalem<br />
Stolz, sondern ist ein weltweit anerkanntes<br />
Waffensystem, das bereits im Kaukasus gegen<br />
Armenien und im Nordirak gegen die PKK erfolgreich<br />
eingesetzt wurde und wird. Bis vor Kurzem<br />
wurden die Drohnen aus türkischer Produktion<br />
im Westen nur von politischen Aktivisten thematisiert<br />
und politischer Druck auf deren Zulieferfirmen<br />
gemacht. Im Februar hat sich das Image<br />
der Bayraktar aber grundsätzlich gewandelt, das<br />
erfolgreiche Waffensystem hat den russischen<br />
Streitkräften nicht nur unermesslichen Schaden<br />
zugefügt, es gilt nun in der westlichen Wahrnehmung<br />
auch als die Waffe auf der politisch und<br />
moralisch richtigen Seite. So mutierten „Erdoğans<br />
Killerdrohnen“ zu stählernen Freiheitsengeln im<br />
Himmel über Kiew in nur wenigen Wochen.<br />
Damit, dass ein Waffengeschäft mit der Ukraine<br />
dereinst eine politische Dividende abwerfen wird,<br />
haben selbst die optimistischsten Analysten in<br />
Ankara nicht rechnen können. Denn durch den<br />
rechtzeitigen Verkauf dieses erfolgreichen Waffensystems<br />
an Kiew kann Ankara in seiner Russlandpolitik<br />
einen pragmatischeren Kurs als den<br />
der EU fahren. Auf diplomatischer Ebene hat Ankara<br />
sich als glaubwürdiger Vermittler zwischen<br />
Kiew und Moskau anbieten können, weil die Verschlechterung<br />
der diplomatischen Beziehungen<br />
Europas zu Russland den türkischen Präsidenten<br />
zu einem der wenigen westlichen Ansprechpartner<br />
für Wladimir Putin machten. Das erlaubt die<br />
Wahrung türkischer Interessen Moskau gegenüber,<br />
zunächst hinsichtlich Syriens, wo die Türkei<br />
– wie übrigens auch Israel – im permanenten<br />
Dialog mit den Russen steht. Darüber hinaus liegen
0 2 4 W E L T & S T R A T E G I E<br />
gedeihliche Wirtschafsbeziehungen<br />
im beiderseitigen Interesse, weder<br />
Russland noch die Türkei können sich<br />
einen Einbruch der Wirtschaftsbeziehungen<br />
leisten. Es ist jedoch dem<br />
konzilianten Tonfall Ankaras zu<br />
verdanken, dass Moskau sich einen<br />
Bruch in den Wirtschaftsbeziehungen<br />
nicht leisten will. Dass Handel und<br />
Tourismus mit Russland die türkische<br />
Wirtschaft nicht retten werden, liegt<br />
auf der Hand. Der eigenen Bevölkerung<br />
gegenüber kann Erdoğan jedoch<br />
zurecht darauf hinweisen, dass er die<br />
türkischen Interessen gegen westliche<br />
Begehrlichkeiten verteidigt hat. Seine<br />
Glaubwürdigkeit in der eigenen Bevölkerung<br />
wird weiter zunehmen, sobald<br />
jene Befürchtungen internationaler Experten<br />
eintreffen, wonach in den kommenden<br />
Monaten die Auswirkungen<br />
von Corona und Russland-Sanktionen,<br />
nämlich Teuerung und Arbeitslosigkeit,<br />
die europäische Mittelklasse<br />
mit voller Wucht treffen werden.<br />
Von europäischer Seite droht für Erdo -<br />
ğan jedenfalls keine Bedrohung mehr.<br />
Wichtige, durch den Ukraine-Krieg<br />
aufgewertete, EU-Mitgliedstaaten<br />
wie Polen hatten aus historischen<br />
Gründen immer gute Beziehungen<br />
zur Türkei und nehmen diese vor<br />
allem mit Blick auf die russische Bedrohung<br />
wahr. Viele Westeuropäer<br />
wiederum sehen die Türkei zunehmend<br />
als Partner in der Flüchtlingsfrage.<br />
Hier kann sich Ankara eine<br />
widersprüchliche Haltung leisten, den<br />
Europäern gegenüber deutet die Türkei<br />
an, die drei Millionen Flüchtlinge<br />
auf ihrem Gebiet weiterhin zu dulden,<br />
während im Inland der xenophoben<br />
und ausländerfeindlichen Stimmung<br />
Tribut gezollt wird. Dass die Opposition<br />
die Rückführung der Flüchtlinge<br />
in ihre Heimatländer als politisches<br />
Hauptziel formuliert hat und, wie Oppositionsführer<br />
Kemal Kılıçdaroğlu<br />
sich ausdrückte, es ablehnt, dass die<br />
Türkei für „EU-Bestechungsgeld“ –<br />
gemeint ist das Hilfspaket – „zum imperialistischen<br />
Flüchtlingsgefängnis“<br />
gemacht wird, mag ihr innenpolitisch<br />
vielleicht nützen, nicht jedoch auf<br />
europäischer Ebene.<br />
Schließlich setzte Erdoğan einen weiteren<br />
Schritt, der ihm im westlichen<br />
Lager nützt: Die Normalisierung der<br />
Beziehungen zu Israel. Der Staatsbesuch<br />
Präsident Izchak Herzogs in der<br />
Türkei läutete das israelisch-türkische<br />
Tauwetter ein, dessen strategische Implikationen<br />
vor dem Hintergrund des<br />
Abraham-Abkommens noch gar nicht<br />
abgeschätzt werden können. Außerhalb<br />
der strategischen Gleichungen<br />
des Nahen Ostens nützt dieser Besuch<br />
der Türkei auch in den USA.<br />
Dort herrscht nach wie vor große<br />
Verärgerung über den Kauf der russischen<br />
Luftabwehrraketen S-400. Aber<br />
selbst dieses Problem lässt sich lösen,<br />
wenn Ankara der Slowakei folgt und<br />
wie diese bereit ist, ihr russisches<br />
Flugabwehrsystem an die Ukrainer<br />
weiterzugeben.<br />
Der Autor ist wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter am IFK mit Forschungsschwerpunkt<br />
Türkei, Irak, Iran sowie<br />
islamistischer Fundamentalismus<br />
und Terrorismus.<br />
VERMITTLER Die Türkei ist NATO-Mitglied und<br />
unterhält enge Beziehungen mit Russland.<br />
Präsident Recep Tayyip Erdoğan bewegt sich<br />
damit gewissermaßen „zwischen den Stühlen“<br />
und nutzt diese Position aktuell für Vermittlungen<br />
zwischen Wladimir Putin und dem Westen.<br />
FOTO : G E T T Y I M AG E S<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
UNSERHEER<br />
EINE INFORMATION DES BMLV<br />
Entgeltliche Einschaltung<br />
Das Heer sorgt für<br />
unsere Sicherheit!<br />
Die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine<br />
rücken die militärische Landesverteidigung<br />
wieder verstärkt in den Fokus. Das Bundesheer<br />
setzt dabei vor allem auf seine Gebirgstruppen<br />
und den Kampf im urbanen Gelände.<br />
Foto: Bundesheer<br />
Gebirgstruppen Beim Bundesheer<br />
sind vor allem die Kräfte<br />
der 6. Gebirgsbrigade und des<br />
Jagdkommandos für Einsätze<br />
im Hochgebirge ausgebildet.<br />
Pandemien, Terrorangriffe, Cyberattacken,<br />
die globale Klimakrise und<br />
ihre weitreichenden Folgen, immer<br />
häufiger auftretende Naturkatastrophen,<br />
unkontrollierte Migrationsströme<br />
und der konventionelle<br />
Krieg in der Ukraine: Die Liste der<br />
Risiken, mit denen Österreich konfrontiert<br />
wird, ist in den vergangenen<br />
Jahren nicht kürzer geworden.<br />
Nun rückt infolge der aktuellen<br />
Entwicklungen in Osteuropa auch<br />
die militärische Landesverteidigung<br />
wieder verstärkt in den Fokus<br />
des Bundesheeres. Für die<br />
UNSERHEER
ot-weiß-roten Streitkräfte stellen<br />
sich damit gewaltige Herausforderungen:<br />
Es braucht einerseits<br />
rasche und gute Antworten auf<br />
Terror- und Cyberbedrohungen<br />
wie Blackout- und Pandemie -<br />
szenarien, Fähigkeiten zur Katastrophenhilfe<br />
und für sicherheitspolizeiliche<br />
Assistenzeinsätze.<br />
Andererseits muss das Heer<br />
aber auch mehr denn je in der<br />
Lage sein, die militärische Landesverteidigung<br />
sicherzustellen<br />
und auf allfällige Bedrohungen<br />
von außen zu reagieren.<br />
Da zwei Drittel unseres Heimatlandes<br />
als Gebirge gelten, steht<br />
dabei vor allem der Kampf im<br />
gebirgigen Gelände im Fokus.<br />
„Mit den speziell für Einsätze im<br />
Hochgebirge ausgebildeten Kräften<br />
von der 6. Gebirgsbrigade<br />
und dem Jagdkommando verfügt<br />
das Heer im Hochgebirge über<br />
schlagkräftige Truppen“, sagt<br />
Oberst Jörg Rodewald, Kommandant<br />
des Gebirgskampfzentrums<br />
in Saalfelden (siehe auch Interview<br />
auf der nächsten Seite). Mit<br />
ihrem gut ausgebildeten Personal<br />
können die Bataillone konventionellen<br />
und subkonventionellen<br />
Bedrohungen im schwierigen<br />
und extremen Gelände begegnen.<br />
Dabei werden sie von<br />
den ebenfalls zur 6. Gebirgsbrigade<br />
gehörenden Stabsbataillon<br />
6 mit seinem Tragtierzentrum in<br />
Hochfilzen und dem Pionierbataillon<br />
in Salzburg unterstützt.<br />
„Darüber hinaus muss jede<br />
österreichische Soldatin und jeder<br />
österreichische Soldat in der<br />
Lage sein, ihren oder seinen Auftrag<br />
als Versorger, Aufklärer oder<br />
Logistiker zumindest auch im<br />
Mittelgebirge erfüllen zu können“,<br />
so Rodewald weiter. „Um<br />
das in Zukunft noch besser zu<br />
gewährleisten, intensivieren wir<br />
die Ausbildung aktuell genau mit<br />
dieser Zielrichtung – ohne andere<br />
Aufgaben und Schwerpunkte<br />
zu vernachlässigen. Der Artillerist<br />
soll weiter Artillerist bleiben,<br />
wir wollen ihn nicht zum Gebirgs -<br />
infanteristen machen. Aber er<br />
soll wissen, mit den besonderen<br />
Herausforderungen und Bedingungen<br />
des Gebirges zurecht -<br />
zukommen und dort seinen<br />
ureigensten Auftrag erfüllen<br />
können.“<br />
Zunehmend entscheidend für<br />
den Erfolg der militärischen<br />
Landesverteidigung ist auch der<br />
Kampf im urbanen Gelände.<br />
„Der Kampf des 21. Jahrhunderts<br />
spielt sich vermehrt nicht<br />
mehr in Wäldern und weiten<br />
Ebenen ab, sondern in Häusern,<br />
Straßen, Ortschaften und großen<br />
Städten“, sagt Generalmajor<br />
Bruno Hofbauer, Überleitungsverantwortlicher<br />
der Direktion Fähigkeiten<br />
und Grundsatzplanung im<br />
Verteidigungsministerium.<br />
„Schon die Kriege auf dem Balkan<br />
in den 1990er-Jahren haben<br />
gezeigt, wie stark es in modernen<br />
Konflikten um Städte geht.<br />
Die Kämpfe in der Ukraine haben<br />
diese Einschätzung nun nochmals<br />
bestätigt.“ Um sich darauf<br />
noch besser vorzubereiten, gilt<br />
GROSSE HERAUSFORDERUNG<br />
Einsätze im urbanen Umfeld erfordern von Soldatinnen<br />
und Soldaten ein besonders hohes Fitnesslevel. Neben<br />
Kraft und Ausdauer sind dabei auch Teamwork und<br />
Konzentrationsfähigkeit gefragt.<br />
Fotos: Bundesheer/Kickenweiz, Bundesheer<br />
UNSERHEER
es nun die Ausrüstung der Soldaten<br />
und des Heeres verstärkt auf<br />
diese Entwicklung abzustimmen,<br />
vor allem aber auch in der Ausbildung<br />
neue Schwerpunkte zu<br />
setzen, wie Hofbauer erklärt:<br />
„Die Fähigkeit, im urbanen Raum<br />
zu kämpfen, muss in Zukunft<br />
jeder Soldat der Kampftruppe in<br />
seiner jeweiligen Ausprägung beherrschen<br />
– vom Gebirgsjäger<br />
über den Luftlandesoldaten bis<br />
hin zum Panzergrenadier.”<br />
Die notwendigen infrastrukturellen<br />
Voraussetzungen dafür werden<br />
aktuell an gleich mehreren<br />
Standorten des Bundesheeres<br />
geschaffen, allen voran am Truppenübungsplatz<br />
Allentsteig. Dort<br />
ist in der Urbanen Trainingsanlage<br />
Steinbach (UTA) zuletzt ein<br />
ganzer neuer Stadtteil entstanden,<br />
bestehende Gebäude wurden<br />
mit modernster Technik ausgestattet<br />
und aufgewertet. Das<br />
Heer kann dort in den Straßen<br />
und Gebäuden unterschiedlichste<br />
Gefechtsszenarien in größerem<br />
und kleinerem Rahmen trainieren<br />
und auch an anderen Standorten<br />
sind entsprechende Anlagen im<br />
Aufbau. „Es ist mit Blickrichtung<br />
2025 das Ziel, eine Bataillons -<br />
trainingsanlage als Gefechtsübungszentrum<br />
in Allentsteig zur<br />
Verfügung zu haben und zumindest<br />
drei weitere Trainingseinrichtungen<br />
für Übungen auf Kompanieebene<br />
im restlichen Bundesgebiet“,<br />
so Hofbauer. „Soldaten<br />
sollen dort lernen, wie sie in<br />
Städten unter Feuer vorgehen,<br />
wie sie dort Drohnen einsetzen,<br />
wie sie führen und kommunizieren<br />
und wie sie es vermeiden, in<br />
die Gefährdungszone feindlicher<br />
Scharfschützen zu kommen.“ Natürlich<br />
hoffe man, nie in Kämpfe<br />
wie in der Ukraine verwickelt zu<br />
werden, so Hofbauer abschließend.<br />
„Wir müssen aber alles in<br />
unserer Macht Stehende tun, um<br />
unsere Soldatinnen und Soldaten<br />
bestmöglich auf derartige Szenarien<br />
vorzubereiten. So sorgen wir<br />
zugleich für ihre Sicherheit und<br />
die Sicherheit unseres Landes.“<br />
„Wir sind international<br />
in einer<br />
Führungsrolle!“<br />
Oberst Jörg Rodewald, Kommandant des<br />
Gebirgskampfzentrums in Saalfelden, über die<br />
Gemeinsamkeiten von Kämpfen im alpinen<br />
Gelände und urbanen Räumen und die<br />
besonderen Herausforderungen des Gebirges.<br />
Herr Oberst, Österreich ist<br />
ein Gebirgsland, aber ist<br />
das Bundesheer auch eine<br />
Gebirgsarmee?<br />
Definitiv! Mit den speziell für<br />
Einsätze im Hochgebirge<br />
ausgebildeten Kräften von der<br />
6. Gebirgsbrigade und dem<br />
Jagdkommando verfügt das<br />
Heer im Hochgebirge über<br />
schlagkräftige Truppen. Darüber<br />
hinaus muss jede österreichische<br />
Soldatin und jeder<br />
österreichische Soldat in der<br />
Lage sein, ihren oder seinen<br />
Auftrag als Versorger, Aufklärer<br />
oder Logistiker zumindest auch<br />
im Mittelgebirge erfüllen zu können.<br />
Um das in Zukunft noch<br />
besser zu gewährleisten, intensivieren<br />
wir die Ausbildung aktuell<br />
genau mit dieser Zielrichtung<br />
– ohne andere Aufgaben und<br />
Schwerpunkte zu vernachlässigen.<br />
Der Artillerist soll weiter<br />
Artillerist bleiben, wir wollen ihn<br />
nicht zum Gebirgsinfanteristen<br />
machen. Aber er soll wissen,<br />
mit den besonderen Herausforderungen<br />
und Bedingungen<br />
des Gebirges zurechtzukommen<br />
und dort seinen ureigensten<br />
Auftrag erfüllen können.<br />
Zuletzt wurde beim Bundesheer<br />
die Ausbildung verstärkt<br />
auch auf den Kampf in urbanen<br />
Regionen fokussiert.<br />
Schließt das eine das andere<br />
nicht aus?<br />
Keinesfalls, das ist sogar ergänzend<br />
zu betrachten. Erst Einsätze<br />
im Umland etwa zum Schutz von<br />
Wasserquellen und anderer relevanter<br />
Infrastruktur versetzen<br />
eine Streitkraft überhaupt in die<br />
Lage, in Städten kämpfen zu<br />
können. Und schützenswerte<br />
Entgeltliche Einschaltung<br />
UNSERHEER
Objekte gibt es bei uns im<br />
Gebirge zuhauf, denken wir beispielsweise<br />
an Stromleitungen,<br />
überregionale Verkehrs- und Bewegungslinien<br />
oder die für die<br />
Versorgung von großen Teilen<br />
Mitteleuropas essenzielle Pipeline<br />
von Triest nach Ingolstadt.<br />
Dazu kommt, dass der Kampf<br />
im Gebirge und der Kampf im<br />
urbanen Raum viele Gemeinsamkeiten<br />
haben.<br />
Sonderfall Gebirge<br />
In den Bergen müssen die<br />
Soldaten unter anderem mit<br />
extremen Wetterbedingungen<br />
und der schlechten Wegeinfrastruktur<br />
umgehen<br />
können.<br />
Entgeltliche Einschaltung<br />
Inwiefern?<br />
Es ist letztlich egal, ob eine<br />
Wand aus Stein oder Beton besteht.<br />
Das Gelände schafft da<br />
wie dort tote Winkel, unterbricht<br />
Sichtlinien, schränkt Aufklärungsmöglichkeiten,<br />
Beweglichkeit<br />
und Waffenwirkung ein. Es<br />
hemmt zudem die Kommunikation,<br />
kanalisiert Truppenbewegungen<br />
und schafft gute Deckungs-,<br />
Versteck- und<br />
Annäherungsmöglichkeiten. Für<br />
einen modern ausgestatteten,<br />
mechanisierten Gegner, der<br />
schnell durchstoßen will, ist das<br />
alles schlecht – das bedeutet<br />
für ihn verlustreiche und zeitaufwendige<br />
Auseinandersetzungen<br />
im abgesessenen Kampf. Und<br />
da wie dort sind in den isolierten<br />
Einsatzräumen vor allem die<br />
Ebenen Gruppe, Zug und Kompanie<br />
gefordert, wird in kleinen<br />
Einheiten operiert. Sie müssen<br />
in der Lage sein, selbstständig<br />
Entscheidungen zu treffen und<br />
handlungsfähig zu bleiben, um<br />
ihren militärischen Auftrag zu<br />
erfüllen.<br />
Womit wir wieder beim<br />
Thema Ausbildung wären.<br />
Genau – da schließt sich der<br />
Kreis. Durch eine gute und umfassende<br />
Ausbildung gewinnt<br />
man an Selbstvertrauen und<br />
Erfahrung, und nur wer mit<br />
Selbstvertrauen an die Herausforderungen<br />
im Gebirge herangeht,<br />
weiß, wie man auch<br />
schwierige Situationen bewältigt.<br />
Wer sich dabei richtig verhält,<br />
wird diese auch erfolgreich<br />
meistern können<br />
„Wir verfügen im<br />
Hochgebirge über<br />
schlagkräftige<br />
Truppen!“<br />
Oberst Jörg Rodewald<br />
Was macht den Kampf im<br />
Gebirge so speziell und so<br />
herausfordernd?<br />
Die besonderen Einflüsse des<br />
Umfeldes. Da denke ich beispielsweise<br />
an das extreme<br />
Wetter, aber auch an die<br />
schlechtere Wegeinfrastruktur<br />
und die Bebauungsstruktur.<br />
Dafür braucht es zusätzliche<br />
Ausrüstung und eine besonders<br />
gute körperliche und psychische<br />
Konstitution und – wie zuvor<br />
schon erwähnt – eine hohe<br />
Selbstständigkeit in allen Elementen.<br />
Die Durchhaltefähigkeit<br />
ist von ganz entscheidender Bedeutung<br />
und nicht zuletzt auch<br />
der Umgang mit Gebirgsgefahren<br />
wie beispielsweise Lawinen.<br />
Wo steht Österreich mit seiner<br />
Gebirgsausbildung im internationalen<br />
Vergleich?<br />
Mit Spanien, Italien, Frankreich<br />
und Deutschland verfügen<br />
gleich mehrere europäische Länder<br />
über sehr potente Gebirgsarmeen,<br />
aber das Bundesheer ist<br />
da definitiv ganz vorne dabei.<br />
Das zeigt sich auch in unserer<br />
Führungsrolle in der „European<br />
Union Pooling and Sharing<br />
Mountain Training Initiative“, da<br />
haben wir eine EU-weite Koordinierungsfunktion.<br />
Seit 2014<br />
bringen wir unsere Expertise<br />
außerdem am „NATO Mountain<br />
Warfare Center of Excellence“<br />
im slowenischen Poljce ein, wo<br />
die meisten unserer Standards<br />
mittlerweile sogar als NATO-<br />
STANAGs übernommen wurden.<br />
Bild: Bundesheer<br />
Impressum: Amtliche Publikation der Republik Österreich / Bundesministerium für Landesverteidigung. Medieninhaber, Herausgeber und<br />
Hersteller: Republik Österreich / Bundesministerin für Landesverteidigung, BMLV, Roßauer Lände 1, 1090 Wien. Erscheinungsjahr: <strong>2022</strong>.<br />
Druck: Heeresdruckzentrum 18-101010100.<br />
UNSERHEER
A I R P O W E R 2 0 2 2<br />
AIRPOWER <strong>2022</strong>:<br />
DIE VORBEREITUNGEN LAUFEN WEITER<br />
Brigadier Wolfgang Prieler hat derzeit alle Hände voll zu tun. Der Organisator der<br />
Airpower <strong>2022</strong> will in Kürze das Nachhaltigkeitskonzept der Megaflugshow präsentieren.<br />
Im Rahmen der Veranstaltung will er verstärkt auch auf die Notwendigkeit<br />
effektiver Mittel für die Kernaufgaben des Heeres hinweisen.<br />
Text: MORITZ KOLAR<br />
FOTO : B U N D E S H E E R / S LU C H F TAU WA R F Z K L Ä R U N G<br />
roht der „Airpower“<br />
D<br />
angesichts der jüngsten<br />
Entwicklungen in<br />
der Ukraine eine Absage?<br />
„Keineswegs“,<br />
sagt Projektleiter<br />
Brigadier Wolfgang Prieler zu Militär<br />
Aktuell. „Wir sind von den aktuellen<br />
Vorgängen und den Auswirkungen<br />
der militärischen Aggression der<br />
Russischen Föderation in der Ukraine<br />
natürlich tief betroffen und die<br />
Durchführung der ,Airpower 22‘ wird<br />
dahingehend auch laufend evaluiert.<br />
Die Vorbereitungen des Projektteams<br />
laufen aktuell aber wie geplant weiter.“<br />
Und die Vorbereitungen laufen gut.<br />
Prieler ortet sowohl in der Öffentlichkeit<br />
als auch bei potenziellen internationalen<br />
Teilnehmern am Flugprogramm<br />
sowie zivilen Firmen großes<br />
Interesse. „Das lässt ein besonders<br />
attraktives Programm erwarten.“<br />
Womit das Organisationsteam aktuell<br />
beschäftigt ist? „Wir sind gerade in<br />
der Endbearbeitung der umfassenden<br />
Nachhaltigkeitsstrategie und bei der<br />
Fixierung letzter Details des Verkehrskonzeptes.<br />
Eine Präsentation aller Bemühungen<br />
im Bereich Nachhaltigkeit<br />
ist für Mitte April geplant.“<br />
Die gemeinsame Veranstaltung von<br />
Bundesheer, Land Steiermark und<br />
Red Bull findet am 2. und 3. September<br />
am Fliegerhorst Hinterstoisser in<br />
Zeltweg statt. Bestehen wird sie aus<br />
einer militärischen Leistungsschau<br />
am Boden sowie Vorführungen der<br />
österreichischen Luftstreitkräfte und<br />
internationaler militärischer Kunstflugstaffeln<br />
und Teilnehmern aus dem<br />
Bereich der Zivilluftfahrt. Darüber<br />
hinaus wird es auch eine statische<br />
Schau ziviler Aussteller aus den<br />
Bereichen der Luftfahrtindustrie,<br />
Forschung und Lehre sowie eine umfangreiche<br />
Rahmenveranstaltung auf<br />
dem Flugplatzgelände inklusive des<br />
Militärluftfahrtmuseums geben. Weiters<br />
werden im Rahmen der „Airpower<br />
22“ auch die Kernaufgaben des Bundesheeres,<br />
insbesondere der Luftstreitkräfte,<br />
im Bereich der Luftraumüberwachung<br />
und zum Schutz der<br />
österreichischen Bevölkerung inklusive<br />
Katastrophenschutz kommuniziert<br />
und veranschaulicht. „Wir wollen<br />
damit auch über die Notwendigkeit<br />
effektiver Mittel für die Kernaufgaben<br />
des Bundesheeres informieren“, so<br />
Prieler. Nachsatz: „Ganz so, wie es im<br />
Nationalen Sicherheitsrat diskutiert<br />
wurde.“ Mit Blick auf den Ukraine-<br />
Krieg hielt das Beratungsgremium<br />
der Regierung kürzlich fest: „Diese<br />
aktuelle Krise zeigt die Notwendigkeit<br />
einer glaubwürdigen militärischen<br />
Landesverteidigung im Sinne eines<br />
gut ausgestatteten und ausgebildeten<br />
Bundesheeres mit einem dementsprechend<br />
hoch dotierten Budget<br />
im Sinne der verfassungsmäßigen<br />
Vorgaben.“<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
0 3 0 H E E R &<br />
M<br />
E H R<br />
INTRÜBER<br />
BRÜHE WERKEN<br />
Bei schwierigen und gefährlichen Unterwasserarbeiten kommen die Pioniertaucher<br />
des Bundesheeres zum Einsatz. Militär Aktuell hat zwei dieser elitären Spezialisten<br />
beim Pionierbataillon 3 in Melk beim Abtauchen getroffen.<br />
Text: STEFAN TESCH<br />
Bilder: SEBASTIAN FREILER & NIKLAS MEYR<br />
er Duft von Gummi<br />
D<br />
liegt in der Luft. Hier<br />
steht das Zubehör<br />
fürs Abenteuer bereit:<br />
Trockentauchanzüge,<br />
Atemregler und Flaschen<br />
in Gitterspinden, die nur mit<br />
Nummern versehen sind. 277 ist eine<br />
davon. Jeder im Heer ausgebildete Taucher<br />
erhält eine fortlaufende Nummer.<br />
Aktuell steht man bei rund 300.<br />
Ein Routineeinsatz im Heimathafen<br />
steht heute auf dem Dienstplan. Die<br />
Steganlage im Bundesheerhafen Melk,<br />
gleich neben der Birago-Kaserne, muss<br />
unter Wasser auf Beschädigungen<br />
überprüft werden. Die Pioniertauchgruppe<br />
der Technischen Kompanie des<br />
Pionierbataillons 3 rückt dazu aus.<br />
Wobei „Gruppe“ fast schon übertrieben<br />
ist, denn aufgrund akuten Personalmangels<br />
besteht sie aus lediglich<br />
zwei Mann, anstatt sieben. Die beiden<br />
Oberwachtmeister Sebastian Schagerl<br />
und Niklas Meyr sind damit zwei von<br />
österreichweit nur zehn aktiven Pioniertauchern<br />
bei den Pionierbataillonen<br />
des Bundesheeres. Hinzu kommen<br />
noch einige beim Jagdkommando.<br />
Unter dem Strich ist es aber ein elitärer<br />
Kreis, über deren Aufnahmeritual<br />
partout kein Wort aus ihnen heraus-<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
T R U P P E N B E S U C H<br />
SCHWERES GEPÄCK 40 Kilogramm wiegt das<br />
„Rückenpackerl“ eines Tauchers, dazu kommen<br />
noch Werkzeuge. Hinab geht es nie alleine,<br />
daher erfolgt auch das Adjustieren nach dem<br />
Buddy-Prinzip.<br />
kommt (nur so viel: „es gibt eines, und<br />
es ist geil und würdig“).<br />
Für die Ausbildung braucht es im<br />
wahrsten Sinne des Wortes einen langen<br />
Atem (mehr dazu siehe Interview<br />
auf der nächsten Seite). Nicht nur weil<br />
man zu Beginn wochenlang „apnoe“<br />
unterwegs ist, sondern weil die Kurse<br />
beim Jagdkommando selten stattfinden.<br />
Und dann muss man im Fall der<br />
Fälle auch noch zu jener Hälfte gehören,<br />
die sie besteht.<br />
Wer es schafft, dem winkt ein außergewöhnlicher<br />
Job abseits des Schreibtisches<br />
mit enormer Verantwortung.<br />
Pioniertaucher sind „Handwerker unter<br />
Wasser“. Sie schneiden mit hydraulischen<br />
Kettensägen, werken mit dem<br />
Presslufthammer, schweißen, sprengen<br />
und bergen – etwa versunkene Fahr-<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
0<br />
3<br />
2 H E E R & M E H R<br />
zeuge. Und das auch im Winter, ohne<br />
Sicht und mitten in der Strömung.<br />
Bessere Bedingungen herrschen glücklicherweise<br />
beim Check des Steges im<br />
Heimathafen. Mit dabei ist die unterwassertaugliche<br />
Akku-Bohrmaschine.<br />
40 Kilo wiegt das „Packerl“ aus Flaschen<br />
und Tarierjacket auf dem Rücken<br />
der Taucher. Für härtere Einsätze gibt<br />
es noch einen Helm inklusive Funkverbindung<br />
zum Buddy und an die<br />
Oberfläche oben drauf.<br />
„Wir freuen uns<br />
schon über zehn<br />
Zentimeter Sicht“<br />
OBERWACHTMEISTER SEBASTIAN SCHAGERL<br />
ist Kommandant der Pioniertauchgruppe in der<br />
Technischen Kompanie des Pionierbataillons 3.<br />
Herr Oberwachtmeister, warum sind Sie Pioniertaucher geworden?<br />
Ich tauche privat, seit ich zwölf Jahre alt bin, und als ich dann erfahren habe, dass<br />
es beim Heer den Beruf des Pioniertauchers gibt, war für mich klar, dass ich das<br />
machen möchte.<br />
Erster Ausbildungsschritt ist der Grundtauchkurs. Welche Voraussetzungen<br />
muss man mitbringen?<br />
Die Ausbildung zum Heerestaucher absolviert man beim Jagdkommando, sie dauert<br />
13 Wochen. Dass man schon tauchen kann, ist keine Voraussetzung, da bei null<br />
begonnen wird. Gute körperliche Leistung – etwas mehr als sonst beim Heer verlangt<br />
wird – ist aber schon mitzubringen. Am Anfang stehen drei Wochen Apnoe-<br />
Ausbildung, wo selektiert wird, wer den Job wirklich machen will. Man wird ständig<br />
in Stresssituationen versetzt, um zu sehen, wie sich das in Kombination mit Atemnot<br />
auswirkt. Denn Panik ist unter Wasser der größte Feind. Egal was passiert, wir müssen<br />
uns auf unseren Buddy verlassen können und ruhig bleiben.<br />
KAUM SICHT Solch „blaues Wasser“ wie auf<br />
dem Foto oben genießen die Pioniertaucher<br />
selten. Meist arbeiten sie in trüber Brühe und<br />
müssen sich dabei auf ihren Tastsinn verlassen.<br />
Wie ist es Ihnen dabei gegangen?<br />
Bei unserem Kurs hatten wir eine 50-prozentige Ausfallquote. Es ist zwar körperlich<br />
anstrengend, aber mental ein Wahnsinn. Es gibt Situationen, wo es finster ist, und<br />
ein Ausbildner reißt dir plötzlich unter Wasser die Maske herunter oder schraubt dir<br />
die Flasche zu. Und da sollst du nicht in Panik verfallen! Es folgen die Basics im Tauchen<br />
mit Flaschen. Ebenso eine Ausbildung mit dem Trockentauchanzug, mit der<br />
Vollmaske und im Bereich Tauchmedizin. Man führt kleine Unterwasserarbeiten<br />
wie Nägel einschlagen durch.<br />
Dann ist man fertiger Heerestaucher. Wie wird man aber Pioniertaucher?<br />
Danach sind rund zwei Jahre Tauchpraxis zu sammeln und es wird bei Einsätzen und<br />
Übungen mit fertigen Pioniertauchern zusammengearbeitet. Erst dann geht es zum<br />
Pioniertauchkurs, der sieben Wochen dauert. Dort lernt man nicht nur das handwerkliche<br />
Arbeiten mit leichtem und schwerem Gerät unter Wasser. Sondern auch<br />
die gesamte Planung von Tauchgängen und Arbeiten inklusive Material, alle Abläufe<br />
und Sicherheitsvorschriften. Als Sicherheitsoffizier führt man Tauchtrupps von<br />
der Oberfläche aus. So ein möglicher Auftrag ist, ein Auto aus 40 Metern Tiefe zu<br />
bergen. Als Sicherheitsoffizier ist man für den gesamten Einsatz zuständig und verantwortlich.<br />
Man koordiniert neben seiner eigenen Gruppe auch die Feuerwehr,<br />
die Wasserrettung sowie Boote. Eine echte Herausforderung bei der Führung! Es<br />
kann vorkommen, dass dabei ein Oberwachtmeister sogar hochrangige Offiziere<br />
unter sich hat.<br />
Welche Ausrüstung und Werkzeuge habt ihr mit?<br />
Zum Arbeiten schweres hydraulisches Gerät wie Kettensäge, Winkelschleifer, Bohrer,<br />
Schremmhammer. Aber auch kleinere Varianten davon mit Akku. Und Hebeballons,<br />
um mehrere Tonnen schwere Gegenstände zu bergen. Bei Einsätzen, bei<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
T R U P P E N B E S U C H<br />
denen wir nicht autark, also mit Flasche unterwegs<br />
sind, tauchen wir mit der „Nabelschnur“.<br />
Dabei wird der Taucher von der<br />
Oberfläche mit Luft versorgt. Das ist extrem<br />
aufwendig: Es braucht fünf Personen, damit<br />
einer ins Wasser gehen kann! Dabei geht<br />
man stark überbleit hinunter und schwebt<br />
nicht. So kann man etwa beim Schneiden<br />
mit der „Flex“ ordentlich dagegen drücken.<br />
Was sind typische Einsätze?<br />
Die gibt es nicht! Wir kommen erst dann<br />
zum Einsatz, wenn Feuerwehren und zivile<br />
Firmen aufgrund der Gefahr oder Schwierigkeit<br />
Aufgaben nicht mehr übernehmen<br />
können. Ein Beispiel ist die Erkundung von<br />
Brückenpfeilern mitten im Donaustrom. Wir<br />
mussten bei einem Einsatz in Mautern die<br />
Pfeiler auf Beschädigungen absuchen und<br />
uns dabei am Seil festhalten. Dabei hat man<br />
sogar den Sog der vorbeifahrenden Schiffe<br />
gespürt. Oder in einem Fischteich, wo wir<br />
erst meterhohen Schlamm absaugen mussten,<br />
ohne zu wissen, ob die Absperrung<br />
zum Auslaufschacht offen oder geschlossen<br />
ist. Gott sei Dank war sie zu, denn<br />
schlimmstenfalls hätte es uns dort durchsaugen<br />
können. Auch mussten wir einen<br />
in den Ennskanal gestürzten Lkw heben.<br />
Denn wir Pioniertaucher sind die einzigen,<br />
die derart schwere Dinge bergen können.<br />
Das heißt, es gibt bei euch keinen<br />
Alltag?<br />
Nein. Wir üben viel und verbringen auch<br />
eine Menge Zeit mit der Wartung des Materials.<br />
Dazwischen erledigen wir Aufgaben,<br />
die im Alltag der Pioniere anfallen: Heraufholen<br />
von Dingen, die vom Boot ins Wasser<br />
gefallen sind, etwa abgerissene Anker.<br />
Außerdem gehört auch die Ausbildung von<br />
neuen Tauchern dazu.<br />
Wo liegen die größten Unterschiede<br />
zum Hobbytauchen?<br />
Man kann das absolut nicht mit Freizeittauchen<br />
vergleichen. Wir sind die Spezialisten<br />
für Arbeiten unter Wasser bei null Sicht. Wir<br />
sehen meistens sogar nicht mal den Tauchcomputer<br />
am Handgelenk. Wir freuen uns<br />
schon über zehn Zentimeter Sicht! Ab und<br />
zu gibt es „Sunshine-Tauchgänge“ wie etwa<br />
im Sommer am Neufelder See. Aber wir<br />
tauchen das ganze Jahr bei jedem Wetter.<br />
Und wir absolvieren Spezialkurse wie Eistauchen,<br />
Unterwassersprengen, Schweißen<br />
und Tieftauchen bis 40 Meter.<br />
Warum gibt es so wenige Taucher im<br />
Bundesheer?<br />
Erstens wegen der harten und selektiven<br />
Ausbildung. Zweitens wegen Charakter -<br />
eigenschaften. Ich als Kommandant muss<br />
manchmal Personen deswegen ablehnen.<br />
Weil gemeinsam ins Wasser zu gehen bedeutet,<br />
man muss einander zu 100 Prozent<br />
vertrauen. Leute, die sich und anderen ständig<br />
etwas beweisen wollen, sind hier falsch.<br />
Was fasziniert Sie an Ihrem Job?<br />
Wir sind wie eine Spezialeinheit. Wir Taucher<br />
sind ein kleiner Personenkreis, der<br />
besondere Fähigkeiten hat. Unter Wasser<br />
Ruhe zu bewahren ist etwas, was man kann<br />
oder eben nicht kann.<br />
sales.rse@rheinmetall.com<br />
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ES IST DEIN SYSTEM<br />
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Wetter- und Lichtverhältnissen trotzen: Teamfähigkeit auf Knopfdruck.<br />
Das Laser Modul LM-VTAL gemeinsam mit dem modularen Tactical Light TL-MissionLight.<br />
LLM-VarioRay – Kampfwertsteigerung 2.0
0 3 4 H E E R & m E H R<br />
Text: CONNY DERDAK<br />
Fotos: PETRA RAUTENSTRAUCH<br />
Mit Virtual<br />
Reality<br />
in die<br />
Zukunft<br />
VR beim<br />
Sanitätszentrum<br />
Ost<br />
Entwickelt wurden die virtuellen<br />
Ausbildungsszenarien von den VR-<br />
Profis von Somareality gemeinsam<br />
mit Hauptlehrunteroffizier Vizeleutnant<br />
martin Erbida und Ausbildungsunteroffizier<br />
Wachtmeister<br />
Harald Aichberger vom Sanitätszentrum<br />
ost. Dahinter liegt die Hardware<br />
mobile VR. Alles, was es für<br />
die Anwendung braucht, sind Brille,<br />
Controller und WlAN. Wollen zwei<br />
Personen miteinander Abläufe trainieren,<br />
so müssen sie nicht einmal<br />
am selben ort sein – sie treffen sich<br />
im virtuellen Raum. Insgesamt können<br />
bis zu zehn Personen in ein VR-<br />
Szenario einsteigen: Zwei arbeiten<br />
als Sanitäter, die anderen sehen zu.<br />
Derzeit verfügt das Sanitätszentrum<br />
ost über zwölf VR-Brillen.<br />
Ich habe von Medizin keine Ahnung, doch<br />
heute bin ich Sanitäterin. Ich erlebe eine<br />
Notfallsituation live und vor Ort, gehe der<br />
Ärztin zur Hand. Wie? Dank Virtual Reality<br />
(VR) im Sanitätszentrum Ost.<br />
I<br />
ch setze die Brille auf den<br />
Kopf, zurre sie fest, nehme<br />
in jede Hand einen Controller.<br />
Alles schwarz.<br />
Aber nicht lange: Zack,<br />
plötzlich befinde ich mich<br />
in einer Parallelwelt. Links, rechts, oben,<br />
unten – wo ich auch hinsehe, ein anderer<br />
Ort. Ich fühle mich wie in einem<br />
Computerspiel. Ich höre die Stimmen<br />
der Menschen um mich herum, aber ich<br />
selbst bin ganz woanders, in einer virtuellen<br />
Welt – gemeinsam mit Oberstarzt<br />
Doktor Gudrun Walter, Kommandantin<br />
des Sanitätszentrum Ost, die auch real<br />
mit einer VR-Brille auf dem Kopf neben<br />
mir steht. Auf dem Boden vor uns ein<br />
Mann, der kollabiert ist.<br />
Jetzt muss es schnell gehen! Hemd<br />
öffnen, Vitalfunktionen checken!<br />
Doktor Walter lässt mich den Defibrillator<br />
holen, checkt die Pupillen<br />
des Mannes, spricht ihn an. Mehr als<br />
ein „Hallo“ kommt nicht zurück. Ich<br />
gehe näher ran, greife nach seinem<br />
Handgelenk, fühle seinen Puls. Der<br />
Controller in meiner Hand vibriert im<br />
Takt des Pulsschlags. Doktor Walter<br />
zeigt mir die Zunge des Mannes, sie<br />
sieht verdreht aus. Ein Mundwinkel<br />
hängt nach unten, ein Auge zwinkert<br />
schneller als das andere. Klare Diagnose:<br />
Schlaganfall. Doktor Walter<br />
übernimmt die Erstversorgung, gemeinsam<br />
füllen wir das Protokoll aus.<br />
Ich nehme die Brille wieder ab, bin<br />
schlagartig zurück in der „echten<br />
Welt“.<br />
Ein solches Übungsszenario realer zu<br />
erleben, ist kaum möglich. Es sei denn,<br />
man stellt es mit Schauspielern nach.<br />
Und selbst dann: Ein Schauspieler kann<br />
unmöglich die körperlichen Symptome<br />
eines Schlaganfalls imitieren.<br />
Foto S V R - A N S I C H t E N : S o m A R E A l I t y<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
R E P O R TA G E<br />
MITTENDRIN STATT NUR DABEI VR gibt<br />
direktes Feedback – auch in Situationen, in<br />
denen dafür bei einem „realen“ Übungsszenario<br />
oft gar keine Zeit wäre. Zudem<br />
kann die neue Technologie auch den<br />
Theorieunterricht lebendiger machen.<br />
Was muss ich vorbereiten, was aus dem<br />
Fahrzeug mitnehmen? Was frage ich den<br />
Patienten? Worauf muss ich achten, welche<br />
Handlungen setzen? – Fragen, deren<br />
Antworten in Fleisch und Blut übergehen<br />
müssen, und zwar durch häufiges<br />
Training. „Niemand muss jetzt mehr<br />
Patient spielen, die Übungen sind beliebig<br />
oft und mit wenig Aufwand reproduzierbar,<br />
es gibt keine Abnützung von<br />
Geräten, keinen Verbrauch von Materialien“,<br />
erklärt Doktor Walter, die die Idee<br />
zur Einführung der Virtual-Reality-Brillen<br />
hatte, stolz. Eine Idee, die sie auch<br />
prompt umsetzte. „Als es mit Covid<br />
losging, habe ich festgestellt, dass ich die<br />
Ausbildung interessanter gestalten muss.<br />
Also habe ich mich mit dem Thema<br />
befasst, einen Anbieter in Österreich<br />
gefunden, Genehmigungen eingeholt<br />
und mich an die Arbeit gemacht.“<br />
VR beim ÖBH, das ist nicht neu. Diese<br />
Technik, bei der man sich frei durch den<br />
Raum bewegt und Tätigkeiten ausführt,<br />
die gibt es aber nur im Sanitätszentrum<br />
Ost. In Österreich ist das Bundesheer<br />
absoluter Vorreiter in der Digitalisierung<br />
der Sanitätsausbildung – sogar andere<br />
Blaulichtorganisationen kommen, um<br />
sich ein Bild zu machen.<br />
Und wie geht’s weiter? „Die nächste Ausbaustufe<br />
wird sein, Schuss- und Sprengverletzungen<br />
in die Szenarien einzubauen.<br />
Und ich möchte künftig auch die<br />
Prüfungen mittels VR durchführen“, so<br />
Doktor Walter, „Es kommt immer wieder<br />
vor, dass sich Prüflinge ungerecht<br />
behandelt fühlen.“ Was dann Geschichte<br />
wäre, denn VR macht alles nachvollziehbar<br />
und abrufbar. Auch jetzt steht dem<br />
Sanitätszentrum Ost seine Vorreiterrolle<br />
bereits gut. VR ist dynamisch, neu und<br />
spannend. Es zieht junge Menschen an<br />
und macht die Ausbildung zum Erlebnis.<br />
DREAMTEAM Doktor Walter mit den VR-Profis von Soma -<br />
reality, die auch die Trainings für die MedUni Wien entwickeln.<br />
„Wir bilden<br />
nicht nur<br />
Rekruten aus“<br />
Oberstarzt Doktor Gudrun<br />
Walter, Kommandantin<br />
des Sanitätszentrums Ost,<br />
im Gespräch mit Militär<br />
Aktuell.<br />
Wie lange dauert die Sanitätsausbildung?<br />
Wir unterscheiden zwischen<br />
Rettungs- und Notfallsanitäter.<br />
Bei beiden wird zuerst ein Monat<br />
Theorie unterrichtet, danach<br />
kommt die Praxis: beim Rettungssanitäter<br />
dauert diese einen Monat,<br />
beim Notfallsanitäter zwei.<br />
Dürfen an der Ausbildung nur<br />
Rekruten teilnehmen?<br />
Den Rettungssanitäter machen primär<br />
Rekruten – aber auch Teilnehmer<br />
der Kaderanwärterausbildung<br />
1, die den Beruf des Sanitätsunteroffiziers<br />
anstreben. Darauf folgt der<br />
Notfallsanitäter, der ist in die Kaderanwärterausbildung<br />
2 eingebettet.<br />
Auch ausgewählte Personen von<br />
der Militärpolizei, Polizisten und<br />
Mitglieder anderer Einsatzorganisationen<br />
machen bei uns den Sanitäter<br />
als Zusatzausbildung.<br />
Welche Inhalte werden vermittelt?<br />
Angehende Rettungssanitäter lernen,<br />
qualifizierte Erste Hilfe zu leisten,<br />
Sanitätshilfe und Rettungstechniken,<br />
den Umgang mit einem Defibrillator<br />
und die Verabreichung von<br />
Sauerstoff. Beim Notfallsanitäter<br />
wird noch mehr auf Anatomie und<br />
Physiologie Wert gelegt, die Störung<br />
der Vitalfunktionen, wie man sich<br />
bei Notfällen, Katastrophen, Un -<br />
fällen und Gefahren verhält. Wir<br />
wollten die Übung dieser wichtigen<br />
Abläufe vereinfachen, da hatte ich<br />
die Idee mit den VR-Brillen.<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
0 3 6 H E E R &<br />
M<br />
E H R<br />
AUF<br />
NUMMER<br />
SICHER<br />
Um die Absturzgefahr bei Arbeitseinsätzen zu minimieren, setzt das Bundesheer<br />
auf eine selbst entwickelte Schutzausrüstung und -ausbildung. Ein Besuch<br />
bei einem Lehrgang am ABC- und Katastrophenhilfeübungsplatz Tritolwerk.<br />
Text: JÜRGEN ZACHARIAS<br />
Fotos: SEBASTIAN FREILER<br />
K<br />
lar, Armeen sind in erster<br />
Linie dazu da, um<br />
Frieden zu gewährleisten,<br />
für Sicherheit zu<br />
sorgen und im Fall der<br />
Fälle Aggressoren abzuwehren.<br />
Streitkräfte erfüllen darüber<br />
hinaus aber auch zahlreiche weitere<br />
Aufgaben: Sie unterstützen zivile Behörden<br />
und Blaulichtorganisationen<br />
beispielsweise bei der Bewältigung von<br />
Elementarereignissen wie Blackouts<br />
und Naturkatastrophen. Bei Bedarf<br />
bauen Soldaten Brücken und Straßen.<br />
Sie führen Felssprengungen durch, errichten<br />
Feldlager und Containerdörfer.<br />
Sie befreien aber auch Dächer von<br />
Schneelasten, beseitigen Kampfmittel<br />
selbst in unzugänglichen Gebieten und<br />
arbeiten Wind- und Schneebrüche auf.<br />
Um diese vielfältigen Herausforderungen<br />
meistern zu können braucht es<br />
Equipment und Know-how: Maschinen<br />
und Fahrzeuge, Werkzeuge, Logistik<br />
und Versorgung – immer wieder auch<br />
die „Persönliche Schutzausrüstung<br />
gegen Absturz für Arbeitseinsätze“,<br />
kurz PSAgAfA. Damit sichern sich<br />
Soldaten bei Arbeitseinsätzen gegen<br />
Abstürze aus großen Höhen oder im<br />
steilen Gelände, bei denen ansonsten<br />
mit schweren Verletzungen zu rechnen<br />
wäre.<br />
Lokalaugenschein am ABC- und Katastrophenhilfeübungsplatz<br />
Tritolwerk<br />
im Süden von Wien. Die Temperaturen<br />
liegen um den Gefrierpunkt, der Wind<br />
pfeift, weil er hier nicht bleiben möchte.<br />
Je drei Soldatinnen und Soldaten der<br />
Villacher und der Melker Pioniere kom-<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
R E P O R TA G E<br />
men trotz der winterlichen Bedingungen<br />
ordentlich ins Schwitzen. Für das<br />
Sextett geht es heute ans Eingemachte.<br />
Am vierten Tag ihrer Ausbildung zum<br />
PSAgAfA-Fachanwender müssen sie in<br />
einem Stationsbetrieb mehrere knifflige<br />
Aufgaben lösen. Nach den Theorieund<br />
Praxiseinheiten an den Vortagen<br />
und ihrer bereits absolvierten Grundanwender-Ausbildung<br />
führen sie nun<br />
Vor- und Sicherungsarbeiten durch, um<br />
möglichst gefahrenlos einen Stahlträger<br />
im Dachgeschoss eines mehrstöckigen<br />
Gebäudes abschneiden zu können. Das<br />
klingt leichter, als es tatsächlich ist. Die<br />
Soldaten arbeiten mit Seilen, Flaschenzügen<br />
und Umlenkrollen. Sie spannen<br />
eine Leiter ab, befestigen Bandschlingen,<br />
errichten am Dach eine Horizontalsicherung.<br />
Aller Gewissenhaftigkeit<br />
zum Trotz haben Hauptmann Lukas<br />
Walter vom Institut Pionier der Heerestruppenschule<br />
und Major Ulf Remp,<br />
Ausbildungsverantwortlicher für die<br />
Schutzausrüstung beim Pionierbataillon<br />
1, in der Nachbesprechung einige Anregungen.<br />
„Ihr hattet zu viele Leute in der<br />
Horizontalsicherung“, sagt Remp vor<br />
versammelter Mannschaft. „Sprecht<br />
euch beim nächsten Mal besser ab und<br />
teilt euch auf.“ Auch die Positionierung<br />
der Sicherungselemente könnte man<br />
optimieren. „Bei einer perfekten Planung<br />
der Aufgabe hättet ihr sogar weniger<br />
sichern müssen.“<br />
„Sie haben das unter dem Strich aber<br />
gut gemacht“, sagt Hauptmann Walter,<br />
Verantwortlicher für die Aus-, Fortund<br />
Weiterbildung im Baudienst, Brücken-,<br />
Wasser- und Straßenbau sowie<br />
einer der führenden Experten im Heer<br />
für PSAgAfA. „Nachdem jahrzehntelang<br />
mit unzureichenden Behelfsmitteln<br />
oder gar nicht gesichert wurde,<br />
musste sich das Bundesheer Anfang<br />
der 2000er-Jahre den zivilrechtlichen<br />
Bestimmungen anpassen“, so Walter.<br />
Ergänzend zur bei der ABC-Abwehrtruppe<br />
damals bereits eingeführten<br />
„Persönlichen Schutzausrüstung gegen<br />
Abstürze“ brauchte es auch ein Äquivalent<br />
für Rettungs- und Bergeeinsätze.<br />
Um diesen Bedarf zu decken, wurde<br />
2013 eine Arbeitsgruppe unter der<br />
Leitung des Amtes für Rüstung und<br />
Wehrtechnik ins Leben gerufen und<br />
eine Kooperation mit einem Geräteausstatter<br />
in Tirol eingegangen. „Wir<br />
konnten die notwendigen Ausbildungen,<br />
Erlässe und Vorschriften ausarbeiten<br />
und speziell auf Arbeitseinsätze in<br />
der Höhe abgestimmte Geräte und<br />
Ausrüstung sowie Systemkomponenten<br />
weiter- oder gänzlich neu entwickeln“,<br />
so Walter, für den das Thema „lebende<br />
Materie“ ist. „Es wird immer Verbesserungsmöglichkeiten<br />
und -bedarf geben.<br />
Wir nehmen Rückmeldungen und Änderungswünsche<br />
der Truppe sehr ernst<br />
und lassen sie in unsere Ausrüstungsund<br />
Ausbildungsstandards einfließen.“<br />
Herzstück der Ausrüstung sind Gurt<br />
und Helm. Zum Equipment gehören<br />
aber auch Bandschlingen, Seile, Karabiner<br />
und Sicherungsgeräte. „Wir verwenden<br />
möglichst redundante und<br />
robuste Systeme. Das erhöht die Fehlertoleranz<br />
und verkürzt die Ausbildungsdauer“,<br />
sagt Hauptmann Walter<br />
im Gespräch mit Militär Aktuell. Ziel<br />
ist eine möglichst hohe Praxis- und<br />
Anwenderfreundlichkeit, um bei vergleichsweise<br />
kurzer Ausbildung maximale<br />
Sicherheit zu ermöglichen.“<br />
Zurück zu unseren Pionieren, die mittlerweile<br />
mit der nächsten Aufgabe<br />
konfrontiert sind: Im Team müssen<br />
sie einen Arbeitseinsatz auf einem<br />
Dachvorsprung eines Industriegebäudes<br />
planen, durchführen und dabei<br />
auch den Einsatz eines Kranfahrzeugs<br />
koordinieren. Der als Kommandant<br />
eingeteilte Wachtmeister des Pionierbataillons<br />
1 verteilt die Aufgaben und<br />
gibt die Arbeitsschritte vor. Danach<br />
bespricht er sich mit dem Kranführer.<br />
Major Remp und Hauptmann Walter<br />
beobachten. „Keine leichte Aufgabe“,<br />
sagt Remp. „Ich bin gespannt, wie sie<br />
das jetzt lösen werden.“<br />
LEVELS & EQUIPMENT<br />
Bei der Ausbildung im Umgang mit der „Persönlichen<br />
Schutzausrüstung gegen Absturz für Arbeitseinsätze“ gibt<br />
es vier Qualitätsstufen, wie Hauptmann Lukas Walter vom<br />
Institut Pionier (Bild linke Seite oben) erklärt: Grundanwender,<br />
Fachanwender, Ausbilder und Lehrer. Die Ausrüstung<br />
besteht im Wesentlichen aus Helm, Bandschlingen, Karabinern,<br />
Gurt, Seil und einigen speziell für die Anforderungen<br />
beim Heer entwickelten Systemkomponenten.<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
0 3 8 H E E R &<br />
M<br />
E H R<br />
MISSIONPOSSIBLE<br />
OUTDOOR ÜBERLEBEN MIT DEM<br />
JÄGERBATAILLON<br />
Von der Überquerung eines Gewässers und der Nahrungssuche in der Wildnis<br />
bis zur Orientierung im Gelände: Gemeinsam mit dem Jägerbataillon 25<br />
beschreiben wir in jeder Ausgabe Outdoor-Überlebenstechniken. Dieses Mal:<br />
der Bau von Schneeschuhen und eines einfachen Transportschlittens.<br />
Text: JÜRGEN ZACHARIAS<br />
Fotos: SEBASTIAN FREILER<br />
W<br />
er im Gelände größere<br />
Distanzen überwinden<br />
möchte, benötigt<br />
gutes Schuhwerk,<br />
Ausdauer und Trittsicherheit.<br />
Um nicht anstrengend durch Tiefschnee<br />
stapfen zu müssen, kommen<br />
dazu im Winter auch noch Ski (wenn<br />
es bergauf geht Tourenski mit Fellen)<br />
oder Schneeschuhe. Während Erstere<br />
ebenso wie die dafür benötigten<br />
(Touren-)Skischuhe auch mitgeführt<br />
werden müssen, wenn wir sie gerade<br />
nicht benötigen und damit das<br />
Gewicht der Ausrüstung massiv<br />
erhöhen, lassen sich einfache<br />
Schneeschuhe – ein wenig handwerkliches<br />
Geschick vorausgesetzt –<br />
unterwegs auch in wenigen Minuten<br />
selbst bauen.<br />
Was wir dazu benötigen: Ein Messer<br />
oder eine kompakte Säge, dünnes<br />
Seil, einige daumendicke und biegsame<br />
Zweige Grünholz sowie Reisig<br />
(1). Im ersten Arbeitsschritt biegen<br />
wir einen besonders langen Zweig in<br />
die Form eines Tropfens und binden<br />
die Enden zusammen. Wenn das<br />
Holz zuvor über Feuer erwärmt<br />
wird, lässt es sich leichter formen –<br />
es sollte aber auch so funktionieren.<br />
Anschließend einige Zweige kürzen,<br />
als Quer- oder Diagonalstreben verwenden<br />
und mit dem Seil am Rahmen<br />
fixieren (2). Im nächsten Schritt ver-<br />
1 Equipment besorgen<br />
Grundgerüst bauen<br />
2<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
Expertentipp<br />
„Ziel ist es, sich auch bei<br />
Schnee möglichst kraftsparend<br />
und sicher fortzubewegen.<br />
So verschwenden wir nicht<br />
unnötig Energie und kommen<br />
leichter an unser Ziel.“<br />
Soldat des Jägerbataillons 25<br />
dichten wir das Grundgerüst mit Reisig<br />
(3). Ideal sind Zweige von Bäumen<br />
mit besonders kräftigen und dicht<br />
stehenden Nadeln. Abschließend die<br />
Füße auf den Schneeschuhen befestigen.<br />
Dazu den Fuß möglichst mittig<br />
S U R V I V A L G U I D E<br />
über mehrere Querbalken stellen und<br />
den Schuh mit dem Seil am Schneeschuh<br />
fixieren (4). Dabei darauf achten,<br />
dass sich die Ferse möglichst frei<br />
bewegen lässt – das erleichtert anschließend<br />
das Marschieren (5).<br />
SCHRITT FÜR SCHRITT<br />
ZU SCHNEESCHUHEN<br />
DER MARKE EIGENBAU<br />
3<br />
Gerüst mit<br />
Zweigen verdichten<br />
5<br />
4<br />
Füße fixieren<br />
marschieren<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
0 4 0 H E E R &<br />
M<br />
E H R<br />
Apropos marschieren: Müssen wir<br />
dabei schweres Gepäck befördern<br />
und ist die Schneedecke möglichst<br />
fest und gefroren, empfielt sich auch<br />
der Bau eines Schlittens. Dazu benötigen<br />
wir (stabile) Äste und Stöcke –<br />
in jedem Fall auch eine stabile Astgabel.<br />
(A). Die beiden Längsstreben<br />
der Gabel bilden die Kufen unseres<br />
Schlittens und ähnlich wie zuvor<br />
bereits bei den Schneeschuhen befestigen<br />
wir daran zur Stabilisierung<br />
Quer- und Diagonalstreben (B). Dafür<br />
mindestens drei bis vier Stöcke<br />
verwenden und mit einem Seil gut<br />
fixieren! Abschließend am Vorder -<br />
ende des Schlittens ein langes Seil<br />
für den Transport befestigen (C). Die<br />
Querhölzer dienen nun auch als Auflagefläche<br />
für unser Gepäck, das wir<br />
möglichst gleichmäßig drauf verteilen<br />
und idealerweise mit Seilen befestigen,<br />
um unterwegs ein Herunterfallen<br />
zu verhindern (D).<br />
Das Gepäck auf einem „Do-it-yourself-Schlitten“<br />
zu transportieren ist<br />
zwar einfacher, als es auf dem Rücken<br />
zu tragen, aber trotzdem eine<br />
schweißtreibende Angelegenheit (E).<br />
Damit die Körperwärme gut nach<br />
außen entweichen kann, sollten wir<br />
daher auf möglichst atmungsaktive<br />
Kleidung achten, allerdings selbst bei<br />
kurzen Pausen eine warme Jacke,<br />
Haube und Handschuhe überziehen.<br />
Die Körpertemperatur sinkt ansonsten<br />
rasch ab und es kann Stunden<br />
dauern, bis uns wieder warm wird.<br />
WIR BAUEN EINEN<br />
SCHLITTEN<br />
D<br />
Expertentipp<br />
„Schlitten eigenen sich<br />
zum Transport von schwerem<br />
Gepäck. Notfalls lassen sich<br />
damit aber auch verletzte<br />
Personen transportieren.“<br />
Soldat des Jägerbataillons 25<br />
B<br />
A<br />
C<br />
E<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
SCHUTZ<br />
DER<br />
LUFT-<br />
HOHEIT<br />
Die Wahrung und Verteidigung der Lufthoheit sind zentrale Wesensmerkmale einer Luftwaffe.<br />
Um ein souveränes Land wie Österreich zu schützen, braucht es bewaffnete einsatzfähige Kampfflugzeuge,<br />
die ihren Auftrag in jeder Wetterlage und mit Überschallgeschwindigkeit erfüllen<br />
können. Insbesondere im Krisen- oder Konfliktfall sind einsatzfähige Systeme für einen Staat<br />
unerlässlich. Aber auch in der normalen Lage setzen moderne Kampfflugzeuge im Rahmen des<br />
alltäglichen Luftpolizeidiensts die staatlichen Luftverkehrsregeln durch.<br />
ANZEIGE FOTO: SAAB<br />
Befindet sich ein ziviles oder militärisches<br />
Flugzeug in einem Luftraum, muss<br />
es sich via Funk identifizieren können.<br />
Ist dies nicht der Fall, wird ein Alarmstart<br />
(Quick Reaction Alert, QRA) von bewaffneten<br />
Kampfflugzeugen ausgelöst. Im<br />
Nachbarland Schweiz stehen für dieses<br />
Szenario seit Anfang 2021 zwei Flugzeuge<br />
rund um die Uhr bereit. Unterschieden<br />
wird weltweit zwischen «Live Missions»<br />
und «Hot Missions». Erstere sind Stichprobe-Kontrollen<br />
von ausländischen zivilen<br />
oder militärischen Staatsflugzeugen,<br />
die einen Luftraum nur mit diplomatischer<br />
Freigabe überfliegen dürfen. «Hot<br />
Missions» hingegen sind Einsätze, die<br />
aufgrund einer Verletzung der Lufthoheit<br />
oder schwerwiegende Missachtung von<br />
Luftverkehrsregeln ausgelöst werden.<br />
In Österreich zählt man pro Jahr regelmäßig<br />
rund 30 – 50 solche «Hot Missions».<br />
Blind ohne Selbstschutz<br />
Um den Schutz der Bevölkerung rund um<br />
die Uhr gewährleisten zu können, braucht<br />
es eine moderne Luftwaffe mit allwettertauglichen<br />
und einsatzfähigen Systemen.<br />
Aber auch der Pilot muss mit seinem<br />
Kampfflugzeug jederzeit situationsgerecht<br />
reagieren und agieren können.<br />
So zählt das Selbstschutzsystem an Bord<br />
eines modernen Kampfflugzeuges zu den<br />
zentralen Elementen. Das Selbstschutzsystem<br />
liefert dem Piloten wichtige Informationen<br />
über den Betriebszustand<br />
gegnerischer Waffensysteme, was essentiell<br />
zur Bestimmung der eigenen Bedrohungslage<br />
und damit eigenen lagegerechten<br />
Handlungsoptionen ist. Des Weiteren<br />
kann ein modernes Selbstschutzsystem<br />
im Falle eines Angriffes den erfolgreichen<br />
Waffeneinsatz des Gegners verhindern.<br />
Ein solches Selbstschutzsystem ist aktuell<br />
bei der österreichischen Luftwaffe<br />
nicht vorhanden.<br />
Ein Electronic Warfare System (EW) umfasst<br />
einen Radarwarnempfänger (RWR),<br />
interne Störsender zur Unterstützung der<br />
aktiven elektronischen Gegenmaßnahmen<br />
sowie Chaff- und Flare Dispenser. In<br />
diesem Bereich bietet das Gripen-System<br />
maximale Flexibilität und Souveränität<br />
und ermöglicht eine eigenhändige Programmierung<br />
des EW-Systems.<br />
Allwettertaugliche Waffensysteme<br />
Eine Luftwaffe muss rund um die Uhr<br />
und bei allen Wetterbedingungen einsatzbereit<br />
sein. Hinzu kommen allwettertaug-<br />
liche Waffensysteme. Im Luftpolizeidienst<br />
kann eine Situation unter Umständen<br />
unerwartet und plötzlich eskalieren<br />
und zur ernsthaften Bedrohung für Pilot<br />
und Bevölkerung werden. Dann nämlich,<br />
wenn ein Flugzeug nicht gemäß Weisungen<br />
der Flugverkehrskontrollstelle bzw.<br />
Luftpolizei-Patrouille kooperiert. Für Einsätze<br />
innerhalb des Sichtbereichs kommen<br />
bei Gripen IRIS-T und Sidewinder<br />
zum Einsatz - integriert im weiterentwickelten<br />
nachtsichtfähigen HMD (Helmet<br />
Mounted Display). Für große Reichweiten<br />
verfügt das Mehrzweckkampfflugzeug<br />
aus Schweden über integrierte Luft/<br />
Luft-Lenkwaffen des Typs AMRAAM und<br />
Meteor.<br />
Um den wirksamen Schutz der Bevölkerung<br />
und Gesellschaft heute und auch<br />
morgen durch eine moderne Luftwaffe<br />
gewährleisten zu können, braucht es zeitgemäße<br />
Systeme. Systeme, die langfristig<br />
und nachhaltig kosteneffizient, aber<br />
auch im Ernstfall effektiv und rund um<br />
die Uhr operiert werden können.<br />
Mehr Informationen: saab.com/austria<br />
MILITÄR AKTUELL
0 4 2<br />
S I C h E R h E I T & W I R T S C h A F T<br />
DEUTSCHLANDS<br />
GROSSER SPRUNG<br />
Deutschland will zusätzlich 100 Milliarden Euro in seine Streitkräfte investieren, wovon alleine 68 Milliarden Euro in nationale<br />
Rüstungsprojekte fließen sollen. Mit dem Geld könnte auch wieder mehr Dynamik in die Entwicklung des Main Ground Combat<br />
System (MGCS) kommen. Das schon einige Jahre reifende deutsch-französische Landkampf(panzer)system soll ab 2035 im deutschen<br />
Heer als „Leopard 3“ den Leopard 2 und beim französischen Heer den Leclerc ablösen. MGCS soll dabei nicht nur ein Fahrzeug<br />
aus deutscher Wanne und französischem Turm (möglicherweise mit der von Nexter vorgeschlagenen 140-mm-Kanone<br />
Ascalon) werden, sondern ein vernetztes Kampfsystem, welches neue (auch Laser-)Waffentechnik mit KI-Technologien zur<br />
Verarbeitung und Auswertung großer Datenmengen kombiniert. Die Federführung liegt – anders als beim ebenfalls gemeinsam<br />
geplanten Flugzeugsystem FCAS – bei Deutschland. 2021 hat Großbritannien überraschend Beobachterstatus erhalten.<br />
IM FOKUS<br />
DER KONZERN<br />
IM ÜBERBLICK<br />
Gründung<br />
2004<br />
Mitarbeiter<br />
251<br />
Produkte<br />
Panzerabwehrwaffen<br />
RGW und Panzerfaust,<br />
Reaktivschutzprodukte<br />
für Fahrzeuge, …<br />
DYNAMIT NOBEL DEFENCE GMBH<br />
Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine lieferten die Niederlande 400 Stück der 13 Kilogramm schweren und<br />
auf Hohlladungsprinzip basierenden Panzerfaust 3 in die Ukraine, auch Deutschland lieferte 1.000 Stück. Zusammen<br />
mit der Nachfolgeserie der RGW-Familie (Recoilless Grenade Weapon) verwenden mehr als 20 Streitkräfte weltweit<br />
die Schulterwaffen der Dynamit Nobel Defence GmbH. Das Unternehmen mit Sitz in Burbach ging 2004 aus der<br />
Wehrtechniksparte des am 21. Juni 1865 vom schwedischen Chemiker Alfred Nobel in Hamburg gegründeten Unternehmens<br />
Alfred Nobel u. Co hervor und ist heute eine Tochtergesellschaft<br />
des staatlichen israelischen Wehrtechnikkonzerns<br />
Rafael. Dabei versteht sich DND als „global agierender<br />
Technologieführer im Bereich ballistischer Schulterwaffen<br />
für infanteristische Kräfte“. Der jüngste Kunde Belgien beschaffte<br />
erst Anfang <strong>2022</strong> die Panzerabwehr-Mehrzweckversion<br />
RGW90 HEAT/HESH. Parallel wächst der Unternehmensbereich<br />
Fahrzeugschutz, DND entwickelt auch moderne<br />
Reaktivschutztechnologien für gepanzerte Fahrzeuge.<br />
FOTO S : R h E I N M E TA L L , D N D, K M W<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
N E W S A U S D E R S I C H E R H E I T S B R A N C H E<br />
„DIE UKRAINE HAT BEREITS ANGEFRAGT“<br />
ARMIN PAPPERGER<br />
ist Vorsitzender des Vorstands<br />
der Rheinmetall<br />
AG und verantwortet als<br />
Vorsitzender des Bereichsvorstands<br />
die Unternehmenssparte<br />
Defence.<br />
Die Rheinmetall AG – zu der auch das Militär-Lkw-Werk von<br />
Rheinmetall MAN Military Vehicles (RMMV) in Wien-Liesing<br />
gehört – hat 2021 ihren Wachstumskurs fortgesetzt<br />
und das Geschäftsjahr mit Rekordzahlen abgeschlossen.<br />
Ein Gespräch mit CEO Armin Papperger.<br />
Herr Papperger, wie steht die Rheinmetall AG heute da?<br />
Hervorragend. Operativ haben wir gerade einen Höchstwert<br />
erreicht und dank volumenstarker Großaufträge von<br />
militärischen Kunden und der angezogenen Auftragsvergabe<br />
internationalen Autohersteller lag der Auftragsbestand<br />
mit 31. Dezember auf einem Allzeithoch von 24,5<br />
Milliarden Euro. 2021 haben wir einen Konzernumsatz<br />
von 5,66 Milliarden Euro erreicht, ein Plus von 4,4 Prozent.<br />
Und wie sieht der Ausblick auf das neue Geschäftsjahr aus,<br />
auch hinsichtlich der durch den Ukraine-Krieg grundlegend<br />
veränderten Sicherheitslage in Europa?<br />
Wir prognostizieren ein anhaltendes Umsatz- und Ergebniswachstum,<br />
viele Länder intensivieren nun eilig ihre Anstrengungen<br />
in der Sicherheitsvorsorge. Wir sehen uns aussichtsreich<br />
positioniert, um bei derErhöhung der Verteidigungsfähigkeiten<br />
eine wichtige Rolle zu spielen. Sicherheit<br />
– das zeigt der aktuelle Konflikt klar – ist die Grundlage für<br />
unser Leben in Frieden und Freiheit. Dabei steht Rheinmetall<br />
in einem besonderen Maß in der Pflicht.<br />
Allein die Bundeswehr soll 100 Milliarden Euro mehr bekommen.<br />
Welche Investionen wären dort am dringendsten?<br />
Ganz konkret: Munition. Mit den gegenwärtigen Beständen<br />
könnte unsere Armee im Verteidigungsfall nur wenige Tage<br />
durchhalten. Landesverteidigung würde mit dem vorhandenen<br />
Material nicht funktionieren. Früher haben wir im Jahr 250.000<br />
Stück Munition für Maschinenkanonen, Panzerkanonen und<br />
Artillerie für die Bundeswehr produziert – zuletzt war es nur<br />
noch ein Zehntel. Wir haben für das Ministerium nun Listen aufgestellt,<br />
was kurzfristig verfügbar wäre und könnten in kurzer<br />
Zeit Ausrüstung im Wert von 42 Milliarden Euro liefern. Unsere<br />
Munitions- und Panzerwerke haben die Kapazitäten dafür.<br />
Sie erwähnten Großaufträge, da ist wohl auch das Wiener Lkw-<br />
Werk mit gemeint, oder?<br />
Genau, wesentliche Umsätze wurden dabei aus zwei Großprojekten<br />
über gepanzerte Boxer-Allradfahrzeuge (Bild) generiert. In<br />
Australien erfolgten Auslieferungen aus dem Großauftrag über<br />
211 Boxer Radspähpanzer, in Großbritannien führte der Serienanlauf<br />
von 500 Boxer Gefechtsfahrzeugen zu ersten Umsätzen.<br />
Weitere wesentliche Umsätze wurden mit der Lieferung von<br />
militärischen Lkw an die Bundeswehr sowie mit logistischen<br />
Fahrzeugen erzielt, die auf Basis eines seit 2013 bestehenden<br />
Vertrags an die australische Armee ausgeliefert wurden.<br />
Würden Sie auch die Ukraine beliefern? Gab es Anfragen?<br />
Ja, die Ukraine hat bereits angefragt und wir wollen auch liefern.<br />
Der Antrag wird derzeit von der Bundesregierung geprüft.<br />
Ihr Partner für Sicherheit und Verteidigung
0 4 4 S I C H E R H E I T & W I R T S C H A F T<br />
INFORMATIONSWAFFEN<br />
Moderne Kampfjets sind nicht einfach nur Flugzeuge. Sie sind vielmehr Teil eines<br />
elektronischen Gesamtsystems, bei dem sich alles um Informationsdominanz,<br />
Datenhoheit, Interoperabilität und neue Einsatzmuster dreht. Eine Nachschau<br />
auf die Dubai Air Chiefs Conference.<br />
Text: GEORG MADER<br />
A<br />
ls sich Ende November<br />
rund 70 Luftwaffenchefs<br />
bei der Dubai Air<br />
Chiefs Conference im<br />
Mahdinat Jumeirah in<br />
Dubai trafen, um dort<br />
Szenarien für den zukünftigen Einsatz<br />
von Luftstreitkräften zu diskutieren, war<br />
der Ukraine-Krieg noch kein Thema.<br />
Dass sich im Osten Europas etwas zusammenbraut,<br />
war zwar abzusehen.<br />
Eine Eskalation, wie wir sie nun erleben,<br />
hatte allerdings wohl kaum einer der<br />
Luftgeneräle auf dem Radar – und dass<br />
die Kämpfe dann im Jahr <strong>2022</strong> mit vorwiegend<br />
nicht präzisionsgelenkten Waffen<br />
geführt werden, hätten vermutlich<br />
noch weniger der anwesenden Generäle<br />
für möglich gehalten. Wobei dazu gesagt<br />
werden sollte, dass der russische Airchief<br />
– im Gegensatz zu seinem ukrainischen<br />
Pendant, Generalleutnant Mykola<br />
Oleschuk – nicht an der Konferenz teilnahm.<br />
Inhaltlich drehte sich alles um das „goldene<br />
Kalb“ Informationsdominanz und<br />
die Ausformung operationeller Strategien<br />
über alle Domänen hinweg. USAF-<br />
Stabschef 4-Stern-General Charles Q.<br />
Brown hob dabei die „Gefahr disruptiver<br />
Bedrohungen“ hervor, denen man unkonventionell<br />
begegnen müsse. Dabei<br />
sollten sich Kommandeure „auch am<br />
TV-Streaming-Anbieter Netflix orientieren“,<br />
so Brown. Von dem digitalen<br />
Streaming-Pionier könne man lernen,<br />
wie sich mit neuen Technologien ein<br />
ganzer Markt – den er hier mit dem<br />
Schlachtfeld gleichsetzte – revolutionieren<br />
lässt. Netflix habe die Hardware des<br />
Datenträgerverleihs durch innovative<br />
Software ersetzt und so für völlig neue<br />
Nutzer-Realitäten gesorgt. „In unserem<br />
Verständnis findet Wirkung immer physisch<br />
statt, wir verstehen sie als Hardware.<br />
Was aber wäre, wenn wir gar keine<br />
VERNETZT Kampfflugzeuge operieren in Zukunft in einem Netzwerk mit zahlreichen anderen<br />
Waffensystemen und verfügen über einen hohen Autonomiegrad.<br />
Strike-Einsätze bräuchten, um den gleichen<br />
Effekt zu erzielen? Was, wenn eine<br />
zukünftige Lenkbombe aus Einsern und<br />
Nullern besteht? Armeen könnten damit<br />
ganz anders wirken. Ich kann die Zukunft<br />
nicht vorhersagen, aber ich würde<br />
wetten, dass die nichtkinetischen Effekte<br />
in einigen Jahren die Oberhand gewinnen<br />
werden“, so Brown.<br />
In weiterer Folge erläuterte er, dass die<br />
USAF derzeit das sogenannte „Advanced<br />
Battle Management System”<br />
(ABMS) in der Hoffnung entwickelt, seine<br />
Sensoren und Shooter zu verbinden<br />
und neue Technologien wie maschinelles<br />
Lernen zu integrieren, um Entscheidungsfindungen<br />
zu beschleunigen.<br />
Unklar blieb freilich, wie genau die US-<br />
Luftwaffe die Sicherheit und Robustheit<br />
dieser Cloud garantieren möchte, damit<br />
ABMS in der Lage ist, belastbare Daten<br />
auch von Verbündeten zu nutzen oder<br />
ihnen zur Verfügung zu stellen. Zurzeit<br />
gebe es selbst zwischen eigenen High-<br />
End-Plattformen wie F-22 oder F-35<br />
noch Datalink-Bedarf. Geht es nach Generalmajor<br />
Ibrahim Al-Alawi, Airchief<br />
der VAE, dann müsse es für die angestrebte<br />
Vernetzung und Interoperabilität<br />
aber ein Sicherheitsmodell geben, um<br />
die Übertragung der Daten über verschiedene<br />
Netzwerke zu schützen.<br />
„Es braucht einen robusten Schutz<br />
vor potenziellen Cyberattacken gegen<br />
die Cloud, sonst wird die Informationsdominanz<br />
angreifbar.“<br />
Durch weitere Vortragende (aus den<br />
Niederlanden und Emiraten, Frankreich,<br />
Australien und Kanada) und den anschließenden<br />
Diskussionen wurden<br />
Entwicklungen rund um künstliche<br />
Intelligenz, aber auch Warnungen angesichts<br />
absehbarer Trends im Luftkrieg<br />
an- und ausgesprochen sowie Sichtweisen<br />
auf künftige Einsatztheorien aufgeworfen.<br />
Deutschlands Generalleutnant<br />
Ingo Gerhartz sprach zudem über die<br />
Zusammenarbeit bemannter und unbemannter<br />
Luft(wirk)mittel in der künftigen<br />
Combat Cloud des FCAS.<br />
FOTO : A I R B U S D E F E N C E & S PAC E<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
A U S T R I A N S E C U R I T Y & D E F E N C E<br />
WAS GIBT ES NEUES VON<br />
„MADE IN AUSTRIA“?<br />
FOTO : S C H I E B E L<br />
Toller Erfolg für den Tiroler Spezialfahrzeugbauer<br />
Achleitner: Das Unternehmen<br />
partizipiert an einem vom deutschen<br />
BMI an Rheinmetall vergebenen<br />
Auftrag zur Lieferung von 55 Stück des<br />
gemeinsam entwickelten geländegängigen<br />
und geschützten Mehrzweckfahrzeugs<br />
Survivor R als Nachfolger des<br />
bereits vor 35 Jahren eingeführten<br />
Sonderwagen 4. Noch für heuer ist die<br />
Lieferung von zwei Musterfahrzeugen<br />
geplant, mit denen umfangreiche Erprobungen<br />
einschließlich einer vollständigen<br />
Schutzzertifizierung durchgeführt<br />
werden sollen. Die Auslieferung der<br />
Serienfahrzeuge beginnt dann voraussichtlich<br />
2023 und endet 2026. Es wurde<br />
auch eine Option zur Aufstockung des<br />
Auftrags, dessen Volumen sich im<br />
„hohen zweistelligen Millionen-Euro-<br />
Bereich“ bewegt, vereinbart.<br />
Einen Erfolg hat auch Drohnen-Hersteller<br />
Schiebel zu vermelden: Die Royal<br />
ai Navy (RTN) hat zwei weitere Camcopter<br />
S-100 UAS (Bild oben) zur Ergänzung<br />
seiner beiden bereits im Einsatz<br />
befindlichen Systeme bestellt. Hirtenberger<br />
Defence Europe wiederum soll<br />
bis 2023 eine niedrige zweistellige Anzahl<br />
120-mm-Mörser des Typs M12<br />
sowie moderne Feuerleitlösungen und<br />
ein entsprechendes Munitionspaket an<br />
die ungarischen Streitkräfte liefern. Vom<br />
lettischen Verteidigungsministerium<br />
kam zudem ein Auftrag zur Lieferung<br />
von Ersatzteilen für den schweren 120-<br />
mm-Granatwerfer.<br />
Einige Auslieferungen gab es in den vergangenen<br />
Wochen bei der Empl Fahrzeugwerk<br />
GmbH. So gingen beispielsweise<br />
sechs Stück verwindungsfrei aufgebaute<br />
Ambulanzkoffer auf Mercedes-<br />
Benz Zetros 1836A 4×4 an einen nicht<br />
näher genannten Kunden in Afrika. Bei<br />
den Fahrzeugen handelt es sich um drei<br />
Ambulanzaufbauten zum Transport von<br />
bis zu sechs Leichtverletzten sowie um<br />
drei Ambulanzaufbauten zum Transport<br />
von einem Schwerverletzen unter medizinischer<br />
Überwachung. Weiters wurden<br />
zwei verwindungsarme Transportpritschen<br />
inklusive Frontladekran auf<br />
RMMV 44M 8×8 sowie „eine größere<br />
Stückzahl“ an Transportpritschen auf<br />
Mercedes-Benz Actros 2731 6×6 an<br />
ebenfalls nicht näher genannte Kunden<br />
übergeben. Die Pritschen in verwindungsfreier<br />
Ausführung sind für den Güterund<br />
Truppentransport geeignet und<br />
verfügen über eine 10-Tonnen-Rahmenwinde<br />
mit Auszug nach vorne und hinten.<br />
Ein neues Fahrzeug hat Rheinmetall<br />
MAN Military Vehicles (RMMV) im<br />
Portfolio. In Zusammenarbeit mit dem<br />
slowakischen Unternehmen CSM Industry<br />
wurde ein hochmobiles Mehrzweck-<br />
Baggerfahrzeug auf Basis des HX 8×8<br />
vorgestellt. Der HX 8×8 Excavator trägt<br />
einen Baggeraufbau des Typs UDS 214<br />
von CSM Industry und ist besonders für<br />
den Einsatz bei Pioniertruppen oder zur<br />
Katastrophenhilfe gedacht.<br />
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In Zeiten vermehrter Demonstrationen sorgt das österreichische Familienunternehmen<br />
ESKA mit dem Schlagschutzhandschuh ODYN für Gesprächsstoff. Er ist<br />
flammbeständig gegen den Einsatz von Pyrotechnik und entspricht dem höchsten<br />
Schnittschutz-Level 5 nach EN 388. Der robuste und taktile ODYN überzeugt mit<br />
seinem Schlagschutzprotektor über den gesamten Oberhandrücken<br />
und eignet sich perfekt in Verbindung mit Körperschutz,<br />
Schutzschild und Schlagstock. Für zusätzliche<br />
Sicherheit sorgt der breite und schnittresistente Pulsschutz.<br />
Daumen und Handtellerbereich sind mit High-Tech-Leder<br />
verstärkt, der 100 % Nomex®-Faden ist flammhemmend<br />
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Foto: ESKA
0 4 6 P A N O R<br />
A<br />
M<br />
A<br />
MIT HUNDEN &<br />
DROHNEN GEGEN<br />
SPRENGFALLEN<br />
Text: MARKUS SCHAUTA<br />
G<br />
leich hinter Ramadi<br />
beginnt die Wüste.<br />
Eine staubige Piste<br />
führt dort zwischen<br />
vertrockneten Dornenbüschen<br />
zum<br />
Trainingsgelände für Spürhunde.<br />
Asil – Hundeführerin bei Norwegian<br />
People’s Aid, sie trägt eine sandfarbene<br />
Uniform – hält eine belgische Schäferhündin<br />
an der Leine. Stumm sitzt<br />
das Tier neben ihr, bis ihr Frauchen<br />
ein kurzes Kommando gibt und die<br />
Hündin losläuft. In schnurgerader<br />
Linie bewegt sie sich von Asil fort, die<br />
Schnauze am Boden. Dann wird sie<br />
langsamer, sie setzt sich und fixiert<br />
mit ihrem Blick eine Stelle im Sand –<br />
Baxi hat den vergrabenen Sprengstoff<br />
entdeckt.<br />
Bilder: MARKUS KORENJAK<br />
Der Krieg gegen den Islamischen Staat<br />
hat im Irak seine Spuren hinterlassen. Bis<br />
heute gefährden Tausende Minen, Tonnen<br />
nicht explodierter Munition und unzählige<br />
Sprengfallen das Leben der Menschen.<br />
Ramadi ist eine strategisch wichtige<br />
Stadt an der Autobahn von Bagdad<br />
nach Westen in die Wüste und weiter<br />
nach Damaskus und Amman. Die<br />
Hauptstadt der Provinz Anbar war<br />
in den vergangenen zwanzig Jahren<br />
immer wieder Schauplatz schwerer<br />
Kämpfe. Hier hatte sich der Widerstand<br />
gegen die US-Truppen seit 2003<br />
festgesetzt, hier kämpften die Milizen<br />
des Islamischen Staates (IS) gegen irakische<br />
Sicherheitskräfte. Im Mai 2015<br />
wurde Ramadi Teil des Kalifats, bis<br />
Regierungstruppen mit Hilfe der<br />
US-Luftwaffe die Stadt ein halbes Jahr<br />
später zurückeroberten. Die jahrelangen<br />
Gefechte ruinierten Infrastruktur<br />
und Wohnhäuser und ließen Tausende<br />
Sprengsätze, Minen und nicht detonierte<br />
Munition zurück.<br />
Hundenase schlägt Suchgerät<br />
Die Hilfsorganisation Norwegian<br />
People’s Aid (NPA) ist seit 2019 mit<br />
einem internationalen Team in der<br />
Provinz Anbar tätig, um Sprengkörper<br />
zu räumen. Dazu nutzen die Experten<br />
von NPA nicht nur Minensuchgeräte,<br />
Bagger und Drohnen, sondern auch<br />
Spürhunde. „Sie kommen zum Einsatz,<br />
NACHWEHEN DES KRIEGES Wenige Kilometer außerhalb von Ramadi haben die Milizen des Islamischen Staates im Frühjahr 2015 Minenfelder<br />
errichtet, um mögliche Angriffe aus der Wüste zu behindern.<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
R E P O R TA G E<br />
WILLKOMMENE HILFE<br />
Je nach Situation setzt Norwegian<br />
People’s Aid (NPA) Suchhunde<br />
oder Minensuchgeräte<br />
ein, um vergrabene Sprengkörper<br />
aufzuspüren.<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
0 4 8 P A N O R A M A<br />
SICHERHEIT GEHT VOR<br />
Die Frauen und Männer, die in der<br />
Wüste vor Ramadi nach Minen suchen,<br />
sind durch schwere, mit Metallplatten<br />
verstärkte Anzüge geschützt.<br />
wenn ein Gebiet durch zu viel Metall<br />
verseucht ist“, sagt Roger Gagen, ehemaliger<br />
Soldat der britischen Armee,<br />
der seit bald zwanzig Jahren im Entminungsdienst<br />
tätig ist. Anders als Minensuchgeräte,<br />
die bei zu viel Metall<br />
permanent anschlagen, können Hunde<br />
mit ihrem feinen Geruchssinn gezielt<br />
Sprengstoff wittern. Um die Konzentration<br />
der Tiere nicht überzustrapazieren,<br />
gibt es nach dreißig Minuten<br />
Sucharbeit eine Pause. „Im Sommer,<br />
wenn die Temperaturen auf 45 Grad<br />
klettern, wird sogar alle zehn Minuten<br />
eine Pause eingelegt“, so Gagen. Drei<br />
Monate dauert das Training der Hunde.<br />
Dabei lernen sie durch sogenanntes<br />
Imprinting dem Geruch von Explosivstoffen<br />
eine positive Bedeutung zuzuordnen.<br />
Jedes Mal, wenn sie Sprengstoff<br />
wittern und richtig anzeigen, werden<br />
sie anschließend belohnt. Allerdings<br />
nicht mit Hundekeksen, sondern<br />
mit einem Ball. „Sonst werden sie dick<br />
und unbeweglich“, sagt Gagen. Die<br />
fünfjährige Hündin Baxi wird das Training<br />
demnächst abgeschlossen haben.<br />
Im Minenfeld<br />
Als der IS im Frühjahr 2015 Ramadi<br />
einnahm, wussten die Dschihadisten,<br />
dass mit einem Gegenangriff zu rechnen<br />
sein wird. Ab Mai begannen sie<br />
daher ein Verteidigungssystem aus<br />
Sandwällen und Minengürteln rund<br />
um Ramadi anzulegen. Am Rande eines<br />
solchen Minenfeldes steht heute<br />
ein blaues Zelt mit einem Erste-Hilfe-<br />
Team. Der schwere, hellblaue Schutzanzug<br />
eines Minensuchers auf Pause<br />
hängt an einer Holzstange. Gagen<br />
blickt hinaus in das flache Ödland, das<br />
mit weiß und rot markierten Holzpfählen<br />
abgesteckt ist. Rot bedeutet Gefahr,<br />
Weiß kennzeichnet jenes Areal, das bereits<br />
geräumt wurde. Seit vier Monaten<br />
In einer Baracke am Trainingsgelände<br />
lagern geborgene und entschärfte<br />
Sprengkörper. Neben Mörsergranaten<br />
finden sich mit Kabeln bestückte Apparaturen<br />
aus Plastik und Metall. „Improvisierte<br />
Sprengkörper wie diese sind so<br />
gefährlich, weil jeder sie anders baut“,<br />
sagt Gagen. Es gibt eine unglaubliche<br />
Vielfalt, sodass Entschärfer sich auf<br />
immer neue Kombinationen einlassen<br />
müssen. Die Entwickler nutzen Druckzünder<br />
und Entlastungszünder,<br />
Stolperdraht, fernausgelöste Zünder<br />
und vieles mehr. „Im Wesentlichen<br />
immer dieselbe Technik, aber neu<br />
kombiniert“, so Gagen. Es sei ein Wettlauf<br />
zwischen jenen, die Sprengkörper<br />
bauen und jenen, die diese Technik<br />
durchschauen müssen. Finden Gagen<br />
und sein Team etwas Neues, geben sie<br />
die Information an andere Entminungsteams<br />
weiter. Geborgene Explosivstoffe<br />
werden an das Militär übergeben,<br />
das diese durch gezielte Sprengungen<br />
entsorgt.<br />
MAMMUTAUFGABE Insgesamt 88 Quadratkilometer Wüstenfläche wurden von den Minensuchern<br />
bereits abgegangen und von sogenannten „Kanister-Minen“ gesäubert.<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
R E P O R TA G E<br />
arbeitet das Team im Minengürtel<br />
wenige Kilometer außerhalb von<br />
Ramadi. 730 Quadratmeter schaffen<br />
die Minensucher im Schnitt pro<br />
Tag, knapp 88.000 Quadratmeter –<br />
etwas mehr als ein Drittel der gesamten<br />
Fläche – wurden bereits gesäubert.<br />
298 sogenannte „Kanister-<br />
Minen“ konnten sie bergen; improvisierte<br />
Sprengkörper, die auf Druck<br />
explodieren.<br />
Kommt NPA in ein neues Gebiet,<br />
müssen sie zunächst klären, welche<br />
Areale von Sprengkörpern betroffen<br />
sind. Pläne, wo Minen gelegt wurden,<br />
hat der IS natürlich keine hinterlassen.<br />
„Aber manchmal musste<br />
die Bevölkerung die Minen vergraben,<br />
sodass sie uns sagen können,<br />
wo das war“, sagt Gagen. Sie sprechen<br />
auch mit Polizei und Dorfvorstehern,<br />
die wissen, wo es bereits<br />
Unfälle mit Sprengstoffen gab und<br />
welche Felder brach liegen, weil dort<br />
Minen gesichtet wurden. „Auf diese<br />
Weise fügen sich die Puzzleteile zu<br />
einem groben Bild, das uns sagt,<br />
wo wir genauer hinsehen müssen.“<br />
Im Minengürtel vor Ramadi liegen<br />
die Todbringer bis zu 50 Zentimeter<br />
tief. Lägen sie tiefer, könnten die<br />
Zünder nicht mehr durch Bewegungen<br />
an der Oberfläche ausgelöst<br />
werden. „Die Löcher, in denen die<br />
Minen vergraben wurden, sind aus<br />
der Luft mit Hilfe von Drohnen als<br />
GESPRÄCHSPARTNER<br />
Der Australier Peter Donaldson<br />
leitet seit Frühjahr 2021 den<br />
Einsatz von Norwegian<br />
People’s Aid im Irak.<br />
dunkle Verfärbungen im Boden zu<br />
erkennen“, sagt Gagen. Da sich auf<br />
diese Weise ein Muster erkennen<br />
lässt und das Gebiet nicht durch zu<br />
viel Metall verseucht wurde, kommen<br />
hier keine Spürhunde zum<br />
Einsatz. Stattdessen gehen Menschen<br />
mit Minensuchgeräten das<br />
Areal Schritt für Schritt ab. Maulud<br />
Adnan arbeitet seit drei Jahren als<br />
Sucher. Die linke Hand am Rücken,<br />
bewegt er den Metallsucher in der<br />
Rechten langsam über den Sandboden.<br />
Die Arbeit ist anstrengend und<br />
erfordert Konzentration. Gefundene<br />
Minen auszugraben ist mühsam, da<br />
der Wüstensand hart wie Beton sein<br />
kann. Alle 50 Minuten macht er<br />
zehn Minuten Pause. Wenn Sandstürme<br />
aufkommen, müssen sie abbrechen.<br />
Angst habe er keine, sagt<br />
Adnan. Er habe ja ausreichend Erfahrung.<br />
„Jedesmal, wenn ich eine<br />
Mine finde, freue ich mich“, sagt er.<br />
„Ich rette dadurch Leben.“<br />
Gagen folgt den weiß markierten<br />
Holzpfählen zurück zum Zelt. Mit<br />
der Arbeit im Minenfeld kommen<br />
sie gut voran, es sollte in absehbarer<br />
Zeit geräumt sein. Doch das Ende<br />
seines Einsatzes ist das nicht. „Anbar<br />
ist eine der am meisten durch<br />
Explosivstoffe verseuchten Provinzen<br />
Iraks“, sagt er. „Aber es gibt<br />
auch noch viele andere verseuchte<br />
Regionen und es wird Jahre dauern,<br />
all das zu säubern.“<br />
„Wir setzen auf<br />
Effektivität und<br />
Geschwindigkeit“<br />
Der Australier Peter Donaldson<br />
ist der Projektmanager von<br />
Norwegian People’s Aid im<br />
Irak. Militär Aktuell hat mit ihm<br />
über Trainings, Finanzen und<br />
den Faktor Zeit gesprochen.<br />
Was sind die Voraussetzungen, um als<br />
Minensucher arbeiten zu können?<br />
Eine bestimmte Vorausbildung ist nicht<br />
notwendig. Bedingung ist nur, dass der<br />
Kandidat mindestens 18 Jahre alt ist und<br />
die Sicherheitsüberprüfung besteht. Der<br />
Grundkurs dauert drei Wochen. Anschießend<br />
beginnt die Arbeit im Feld, begleitet<br />
von unseren internationalen Trainern.<br />
Sobald ein Sucher länger als zehn Tage<br />
von der Arbeit weg war, muss er ein<br />
Auffrischungstraining absolvieren.<br />
Wer sind die Leute, die sich bewerben?<br />
Das ist ganz unterschiedlich, vom Mechaniker<br />
bis zum Uniabsolventen ist alles<br />
vertreten. Die meisten sind Anfang<br />
zwanzig. Wir bevorzugen jedoch Leute<br />
aus Ramadi, weil wir die lokale Wirtschaft<br />
unterstützen wollen, indem wir Arbeitsplätze<br />
schaffen. Ziel ist es, immer mehr<br />
Iraker in den Entminungsdienst zu bringen<br />
und die Zahl der Internationalen zu<br />
reduzieren. Irgendwann soll der Irak den<br />
gesamten Prozess der Entminungsarbeit<br />
selbst leisten.<br />
Wie finanziert sich NPA?<br />
Das meiste Geld erhalten wir vom US-<br />
Außenministerium, gefolgt vom deutschen<br />
Auswärtigen Amt. Allerdings fließt<br />
dieses Geld nicht unbegrenzt, wir müssen<br />
daher versuchen, mit den vorhandenen<br />
Mitteln so viel wie möglich zu erreichen.<br />
Dabei spielt auch die Zeit eine Rolle.<br />
Würden wir jeden Quadratzentimeter<br />
Boden absuchen, wären wir auch nach<br />
Jahrzehnten noch nicht fertig. Wir setzen<br />
daher auf eine Kombination aus Effektivität<br />
und Geschwindigkeit. Dass irgendwo<br />
etwas übersehen wird, kann nie zu hundert<br />
Prozent ausgeschlossen werden.<br />
Aber zu einem sehr hohen Prozentsatz<br />
doch.<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
0 5 0 s c h l u s s p u n k t<br />
PUTIN UND<br />
DIE ZEITENWENDE<br />
Schon wenige Tage nach Russlands Überfall auf die Ukraine kündigte Deutschland an, 100 Milliarden<br />
Euro zusätzlich für die Bundeswehr bereitzustellen und der Ukraine Waffen zu liefern. Andere europäische<br />
Länder reagierten ähnlich, Finnland und Schweden überlegen sogar öffentlich der NATO<br />
beizutreten. Gestern noch als „hirntot“ bezeichnet, scheint das transatlantische Militärbündnis gefragter<br />
denn je zu sein. Eine Analyse von Sicherheitspolitik-Experte Brigadier a. D. Walter Feichtinger.<br />
Zweifellos – der russische Angriff<br />
auf die ukraine wirft die bisherige<br />
Friedensordnung in europa über<br />
den haufen. die Attacke schuf über nacht<br />
neue tatsachen und könnte anderen<br />
Machthabern, die territoriale Grenzen<br />
verändern oder ihren einflussbereich erweitern<br />
möchten, als schlechtes Beispiel<br />
dienen. die hemmschwelle, dafür das<br />
Völkerrecht zu missachten und militärische<br />
Gewalt anzuwenden, scheint plötzlich<br />
nicht mehr gar so unüberwindbar.<br />
russlands einmarsch in der ukraine bescherte<br />
aber nicht nur Moskau, sondern<br />
der ganzen (westlichen) Welt ein böses<br />
erwachen. der traum vom „ende der Geschichte“,<br />
bei dem sich die demokratie<br />
als beste regierungsform durchsetzt, ist<br />
damit endgültig geplatzt. und auch die<br />
sogenannte „Friedensdividende“, die<br />
mehr Geld für soziale und weniger für militärische<br />
Belange vorsah, fand ein jähes<br />
ende. Alle vertrauensbildenden Maßnahmen<br />
und kontrollmechanismen, die für<br />
sicherheit in europa sorgen sollten, sind<br />
mit einem schlag verpufft. politiker und<br />
politikerinnen aller couleurs betonen nun<br />
die notwendigkeit einer militärischen<br />
Verteidigungsfähigkeit und erkennen<br />
Versäumnisse. selbst die eu tritt geschlossener<br />
und energischer denn je auf,<br />
während die usA ihre Zuverlässigkeit<br />
und unverzichtbarkeit beweisen.<br />
dabei steht noch gar nicht fest, ob und<br />
wieweit russland sein aggressives Vorgehen<br />
in einen „Gewinn“ ummünzen kann.<br />
präsident Wladimir putin ist es aber in jedem<br />
Fall „gelungen“, europa und dem<br />
Westen wieder ein Feindbild zu verschaffen.<br />
das stärkt die transatlantischen Beziehungen,<br />
steigert die Attraktivität der<br />
nAto und bewirkt signifikante erhöhungen<br />
der Verteidigungsetats europäischer<br />
staaten. Wenn nun auch noch die Abhängigkeit<br />
europas von russischem Gas und<br />
Öl reduziert oder gar beendet wird, hätte<br />
es der kreml sogar geschafft, sich seiner<br />
wichtigsten einnahmen zu berauben. keine<br />
strategische Meisterleistung. Außerdem<br />
könnte die eu den plan einer „strategischen<br />
Autonomie“ ernsthaft verfolgen<br />
und mehr für ihre sicherheit und handlungsfähigkeit<br />
tun. das müsste allerdings<br />
„Wir stehen am<br />
Beginn einer neuen<br />
sicherheitspolitischen<br />
Eiszeit“<br />
in enger Abstimmung mit der nAto passieren<br />
– die Aufstellung einer starken eu-<br />
Armee ist nur möglich, wenn sich die usA<br />
aus der nAto zurückziehen. es geht nicht<br />
darum, zwei konkurrierende sicherheitsorganisationen<br />
zu haben, sondern den<br />
Aufbau europäischer Verteidigungskapazitäten<br />
samt einsatzplänen bestmöglich<br />
voranzutreiben. die angedachte Aufstellung<br />
von eu-Verbänden mit 5.000 soldaten<br />
wäre ein schritt in diese richtung.<br />
selbst neutrale eu-Mitglieder hinterfragen<br />
nun angesichts des russischen Überfalls<br />
ernsthaft den sinn und die Zweckmäßigkeit<br />
ihrer sicherheitspolitischen<br />
konzepte. eine vertiefte diskussion kann<br />
aber erst nach dem ende der russischen<br />
invasion erfolgen, wenn das ergebnis in<br />
seiner ganzen Bandbreite erkennbar<br />
wird. doch die Vorgänge zeigen schon,<br />
dass sicherheitsgarantien nur für Bündnispartner<br />
gelten. deshalb drängen nun<br />
auch Georgien und Moldawien vehement<br />
in eu und nAto. Wir stehen damit<br />
am Beginn einer neuen sicherheitspolitischen<br />
eiszeit – also zurück an den start!<br />
diesmal sind aber vonseiten europas<br />
geopolitisches denken und gesamtstrategische<br />
herangehensweisen gefordert.<br />
europäische Geschlossenheit, umfassende<br />
sicherheit und realitätssinn haben<br />
dabei im Vordergrund zu stehen. sollte<br />
man sich in europa auf diese Ansätze<br />
verständigen, dann wäre tatsächlich<br />
eine Zeitenwende angebrochen.<br />
Brigadier a. D. Walter Feichtinger ist<br />
Präsident des Center for Strategic<br />
Analysis (CSA).<br />
Foto s : B u n d e s h e e r / M i n i c h , p i c t u r e d e s<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L
Supported by<br />
Official Conference of<br />
Held under the prestigious patronage of<br />
His Majesty King Hamad bin Isa Al Khalifa<br />
4 th<br />
supported by the Royal Bahraini Air Force and Air Defense<br />
and Ministry of Transportation and Telecommunications<br />
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