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Garten+Landschaft 4/2022

Stadtmobilität DACH

Stadtmobilität DACH

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APRIL <strong>2022</strong><br />

MAGAZIN FÜR LANDSCHAFTSARCHITEKTUR<br />

UND STADTPLANUNG<br />

STÄDTE FÜR<br />

MORGEN<br />

HAMBURG<br />

BERLIN<br />

MÜNCHEN<br />

BERN<br />

ZÜRICH<br />

WIEN<br />

BITTE EINSTEIGEN:<br />

STADTMOBILITÄT DACH


EDITORIAL<br />

STADTMOBILITÄT DACH<br />

APRIL <strong>2022</strong><br />

MAGAZIN FÜR LANDSCHAFTSARCHITEKTUR<br />

UND STADTPLANUNG<br />

STÄDTE FÜR<br />

MORGEN<br />

GARTEN + LANDSCHAFT APRIL <strong>2022</strong><br />

HAMBURG<br />

BERN<br />

Auf der Suche nach tatsächlich smarten<br />

und nachhaltigen Mobilitätslösungen: In<br />

unserer ersten Ausgabe des diesjährigen<br />

Stadt Spezials schauen wir nach Berlin,<br />

Hamburg, München, Wien und in die<br />

Schweiz.<br />

ZÜRICH<br />

BERLIN<br />

MÜNCHEN<br />

WIEN<br />

BITTE EINSTEIGEN:<br />

STADTMOBILITÄT DACH<br />

Während wir in der G+L Redaktion eine Heftreihe zur Stadtmobilität<br />

machen, herrscht zwei Flugstunden von Deutschland<br />

entfernt in der Ukraine Krieg. Fühlt sich das gut an? Nein.<br />

Gleichzeitig sind wir stolz, Teil einer Profession zu sein, die in<br />

schweren Zeiten über Ländergrenzen hinweg füreinander einsteht.<br />

So positionierten sich in den vergangenen Tagen nicht nur zahlreiche<br />

internationale Planungsbüros und insgesamt 6 500 russische<br />

Planer*innen gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg (mehr<br />

hierzu auf Seite 66), auch unsere Bundesverbände sowie die<br />

Bundesarchitektenkammer solidarisierten sich öffentlich mit der<br />

Ukraine. Unter der Leitung von Andrea Gebhard setzte die BAK<br />

außerdem ein Netzwerk auf, das insbesondere Mitgliedern der<br />

Nationalen Architektenunion der Ukraine und deren Familien<br />

Schlafplätze, Unterkünfte und Schutz ermöglichen soll.<br />

Unsere Welt ist vulnerabel. Derzeit – zumindest gefühlt – noch<br />

mehr als sonst. Initiativen wie die der BAK und viele weitere<br />

zeigen aber auch, dass wir alles andere als machtlos sind. Wir<br />

können helfen, wir können verändern, wir können entwickeln.<br />

Wenn das uns als Gestalter*innen nicht bewusst ist – wem dann?<br />

Für die Veränderungen braucht es aber auch Mut, und ich möchte<br />

nicht so naiv sein, diesen zu unterschätzen. Denn: Es braucht Mut,<br />

aufzustehen, sich zu wehren, sich Kritik auszusetzen, neue Ideen zu<br />

platzieren, Fehler einzugestehen, zu diskutieren. Es braucht Courage,<br />

sich nicht mit politischen Worthülsen zufriedenzugeben, nachzuhaken,<br />

unbequem zu sein und den Status quo nicht als gegeben<br />

hinzunehmen. Gleichzeitig braucht es aber auch den Protest nicht,<br />

um des wilden Protestes willen. Das nachhaltige Gemeinwohl sollte<br />

an erster Stelle stehen.<br />

Und ja, wenn man so will, können Sie vermutlich einige dieser<br />

Punkte auf die Inhalte im vorliegenden Heft beziehen. Aber ich<br />

möchte auch keine erzwungene Überleitung auf unser Heftthema<br />

schreiben. Deswegen hier kurz und knackig, was Sie über dieses<br />

Heft wissen sollten: Es ist das erste Heft unserer diesjährigen<br />

Stadt-Spezial-Reihe zum Thema „Stadtmobilität“. Heißt: Drei<br />

Hefte zur Stadtmobilität der Zukunft – das erste mit Fokus auf den<br />

DACH-RAUM (April <strong>2022</strong>), das zweite auf EUROPÄISCHE STÄDTE<br />

(Mai <strong>2022</strong>) und das dritte auf INTERNATIONALE METROPOLEN<br />

( Juni <strong>2022</strong>). Alle drei Hefte fragen: Was braucht die Stadtmobilität<br />

der Zukunft? Eine erste Antwort: keine politischen Worthülsen<br />

(see for yourself …) und definitiv mehr Akteur*innen, die sich<br />

verantwortlich fühlen, tatsächlich zielführende Projekte umzusetzen.<br />

#StopWar #StandWithUkraine<br />

THERESA RAMISCH<br />

CHEFREDAKTION<br />

t.ramisch@georg-media.de<br />

Coverbild: Laura Heinemann<br />

3<br />

GARTEN+<br />

LANDSCHAFT


INHALT<br />

AKTUELLES<br />

06 SNAPSHOTS<br />

11 MOMENTAUFNAHME<br />

Robotisch gewickelt<br />

STADTMOBILITÄT I<br />

Bitte einsteigen: Stadtmobilität DACH-Raum<br />

12 MOBILITÄT DACH<br />

Aufmacherillustration zum ersten G+L Stadt-Spezial-Heft <strong>2022</strong><br />

14 IN DER STADT DER GELBEN GEFÄHRTEN<br />

Berlin: wo die Hauptstadt in Sachen Mobilität steht und wo sie hinwill<br />

20 „NACHHALTIGE MOBILITÄT BRAUCHT<br />

INTEGRIERTE MOBILITÄTSKONZEPTE“<br />

Daniela Kluckert, Staatssekretärin des BMDV, im Gespräch mit der G+L<br />

22 RICHTIG GESETZT?!<br />

Wien: zwischen Vorzeige-Klimaticket und Lobau-Kontroversen<br />

28 „HERBERT DIESS DENKT DIE GLOBALE<br />

GERECHTIGKEIT NICHT MIT“<br />

Karla Wiegmann von Fridays For Future darüber, warum wir<br />

keine Autos brauchen – auch keine „klimaneutralen“ Autos<br />

30 BUTTER BEI DIE FISCHE<br />

Hamburg: Vom neuen Hauptbahnhof bis zur geplanten Hafenpassage<br />

34 GRÜN IST NICHT GLEICH GRÜN<br />

Wie FlixMobility die Mobilitätslandschaft weltweit aufwirbelt<br />

36 EIN LANGER WEG<br />

München: über die IAA, die zweite Stammstrecke, neue Radwege und die IBA<br />

42 „DASS MENSCHEN VOM SUV AUFS E-BIKE<br />

UMSTEIGEN – DAS WOLLEN WIR“<br />

Interview mit Andy Weinzierl, Gründer von SUSHI BIKES<br />

44 SCHWEIZER NIVEAU<br />

Schweiz: nachhaltige Mobilitätsprojekte im Nachbarland<br />

STUDIO<br />

48 BRANCHENFEATURE<br />

Mobilität meets Mobiliar<br />

52 LÖSUNGEN<br />

Stadtmobiliar<br />

RUBRIKEN<br />

61 Impressum<br />

61 Lieferquellen<br />

63 Stellenmarkt<br />

64 DGGL<br />

66 Sichtachse<br />

66 Vorschau<br />

Herausgeber:<br />

Deutsche Gesellschaft<br />

für Gartenkunst und<br />

Landschaftskultur e.V.<br />

(DGGL)<br />

Pariser Platz 6<br />

Allianz Forum<br />

10117 Berlin-Mitte<br />

www.dggl.org<br />

5<br />

GARTEN+<br />

LANDSCHAFT


THERESA RAMISCH IM GESPRÄCH MIT TILMAN LATZ …<br />

„ICH HABE<br />

2 VARIANTEN:<br />

TOTAR BEITEN<br />

ODER UMSTRUK-<br />

TURIEREN“<br />

Tilman Latz ist seit Februar<br />

<strong>2022</strong> HSWT-Professor. Den<br />

Studierenden möchte<br />

er einen weltoffenen Blick<br />

und Kritikfähigkeit mitgeben.<br />

INTERVIEWPARTNER<br />

Tilman Latz leitet<br />

seit 2011 nach<br />

zehn jähriger<br />

Partnerschaft mit<br />

seinen Eltern<br />

Anneliese und Peter<br />

Latz das Büro<br />

Latz + Partner. Seine<br />

Frau Iris Dupper ist<br />

seit 2016 Partnerin.<br />

Im Februar <strong>2022</strong><br />

übernahm Tilman<br />

Latz die Professur<br />

für Planen und<br />

Entwerfen an der<br />

HSWT. Er selber<br />

studierte Landschaftsarchitektur<br />

an der<br />

BOKU Wien und an<br />

der Universität<br />

Kassel mit einem<br />

Aufenthalt an der<br />

Architectural<br />

Association in<br />

London.<br />

Tilman Latz, Sie haben seit diesem<br />

Februar die Professur für Planen und<br />

Entwerfen an der Fakultät Landschaftsarchitektur<br />

an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf<br />

inne. Selbst haben<br />

Sie in Wien, Kassel und London studiert.<br />

Was war Ihr prägendstes Studi-Erlebnis?<br />

Durch meine Eltern, die ja beide<br />

Landschaftsarchitekt*innen sind, hatte ich<br />

das Glück, gut vorbereitet ins Studium<br />

gehen zu können. Ich wusste, meine Zeit in<br />

Wien würde eher verschult werden, die in<br />

Kassel wäre freier. Woran ich gerne denke,<br />

ist das Miteinander damals an den Hochschulen.<br />

Das war ein anderes zwischen<br />

Studierenden und Professoren. Was mich<br />

aber nachhaltig geprägt hat, das war vor<br />

allem meine Zeit in London. Für mich<br />

ein irres Erlebnis. Die Architectural<br />

Asso ciation in London zeigte mir gelebte<br />

Interdisziplinarität. Dort lernte ich, dass<br />

Architektur und Landschaft alles andere<br />

als weit voneinander entfernt sind; dass man<br />

aus Landschaft fantastische Architekturprojekte<br />

ableiten kann. Zu erleben, dass die<br />

Inspiration für Planung – egal ob du im<br />

Bereich Hochbau oder Bühnenarchitektur<br />

tätig bist – von der Wahrnehmung der<br />

Umwelt geprägt ist, war neu für mich und<br />

zugleich fantastisch. Das hat meinen Blick<br />

geöffnet. Das war so reich. Und beeindruckend.<br />

All diese Ein flüsse anderer Kulturen<br />

– aber eben auch die Welt vor dem Internet.<br />

Ist dieser weltoffene Blick auch das,<br />

was Sie Ihren Studierenden weitergeben<br />

wollen?<br />

Definitiv. Die Studis heute sind anders als<br />

wir damals. Sie sind unglaublich vernetzt,<br />

wissen extrem viel – manchmal mehr als die<br />

Professor*innen. Viel davon ist jedoch<br />

meiner Meinung nach durch das Internet<br />

geprägt. Die Studierenden waren oftmals<br />

nicht wirklich vor Ort, sondern kennen vor<br />

allem die Abbilder. Wir früher haben<br />

gelernt, dass nichts die reale Erfahrung<br />

ersetzen kann. Daran halte ich fest. Ich<br />

möchte die Student*innen mehr auf die<br />

Phänomene dieser Welt bringen, hin zu<br />

einer detaillierten Betrachtung und Analyse.<br />

Ich möchten ihren Blickwinkel für die Welt<br />

öffnen und ihnen dabei helfen die Vielfalt,<br />

die unsere Welt bietet, für ihre Tätigkeit<br />

fassen zu können. Gleichzeitig möchte ich<br />

aber auch den Studierenden die Fähigkeit<br />

der Kritik mitgeben. Da haben wir meiner<br />

Meinung nach in der Profession einen<br />

gewissen Mangel.<br />

Heißt das, Sie werden ein harter<br />

Prof werden?<br />

Nein, mir geht es darum, richtig gute<br />

Projekte zu machen. Aber die Studierenden<br />

werden auch immer meine ehrliche Meinung<br />

hören. Entgegen der weitverbreiteten<br />

Haltung, denke ich, ist kein Feedback in<br />

der Landschaftsarchitektur subjektiv. In<br />

Foto: Latz + Partner<br />

8<br />

GARTEN+<br />

LANDSCHAFT


AKTUELLES<br />

SNAPSHOTS<br />

Projekten geht es immer um spezifische<br />

Situationen, die bestimmte Maßnahmen<br />

brauchen. Aber ich bin auch offen gegenüber<br />

Neuem und möchte in meiner Lehrtätigkeit<br />

den Studierenden und ihren Ideen meinen<br />

Respekt für ihre Arbeit erweisen und alle<br />

gleich behandeln.<br />

Ihr Vater, Peter Latz, lehrte, neben seinen<br />

Gastprofessuren in Harvard und an der<br />

University of Pennsylvania, stolze 25 Jahre<br />

lang an der TU München-Weihenstephan.<br />

Sie selbst waren ebenso Gastdozent an<br />

der University of Pennsylvania und an der<br />

Universität Kassel. Nun die Professur in<br />

Weihenstephan. Ein Herzenswunsch, der<br />

in Erfüllung geht?<br />

Die ehrliche Antwort ist: Jein. Aber ich<br />

würde lügen, wenn ich sagen würde, dass die<br />

Berufung mich nicht höllisch freut. Tatsächlich<br />

hatte ich die Idee einer Professur ad acta<br />

gelegt. Letztlich verdient man in der<br />

Privatwirtschaft mehr als an der Hochschule.<br />

In unserem Beruf sind die Gewinnmargen<br />

knapper geworden. Zudem sind die<br />

Hochschulen finanziell gerade mal so<br />

passend ausgestattet. Man spricht nicht viel<br />

drüber, aber Professor*innen gleichen viel<br />

aus von dem, das nicht bezahlt wird.<br />

Wie kam es dann aber doch zum Entschluss<br />

zur Professur?<br />

Das war einerseits mein persönliches Umfeld<br />

und andererseits die HSWT selbst. Mein<br />

Schwiegervater – im Übrigen auch Landschaftsarchitekt<br />

– legte mir die Stellenausschreibung<br />

hin. Meine Frau animierte mich,<br />

mir das genauer anzuschauen. Die HSWT<br />

ist eigentlich keine Fachhochschule mehr.<br />

Sie nähert sich mehr und mehr den<br />

Strukturen einer Universität an. Sie wächst,<br />

man forscht, kann hier inzwischen einen<br />

Master, aber auch einen PhD machen. In<br />

den vergangenen Jahren war die Hochschule<br />

zudem für mich ein stets sehr verlässlicher<br />

und guter Kontakt. Die HSWT-<br />

Professor*innen arbeiten zusammen, bilden<br />

gemeinsam auch den Mittelbau mit.<br />

Gleichzeitig ist es einfach spannend, ein<br />

Prof zu sein. Definitiv nicht wegen des<br />

Geldes, sondern wegen des intellektuellen<br />

Austausches, der internationalen Arbeit und<br />

dem Blick in die studentische Arbeit. Die<br />

Position hat außerdem auch noch einen aus<br />

Perspektive eines Büroinhabers ganz anderen<br />

und recht egoistischen Vorteil: Viele<br />

Studierende bewerben sich dann auch für<br />

das eigene Büro. Sie kennen einen, und ich<br />

kenne sie. In einem arbeitnehmergetriebenen<br />

Markt, wie dem aktuellen, und bei dem<br />

derzeitigen Arbeitskräftemangel im Süden<br />

Deutschlands ist das relevant.<br />

Seit 2010 leiten Sie das Büro<br />

Latz + Partner und begleiten seitdem<br />

Berufsanfänger*innen in ihren<br />

ersten Jahren als praktizierende<br />

Landschaftsarchitekt*innen. Haben Sie<br />

auch das Gefühl, dass sich die Ansprüche<br />

der Berufseinsteiger*innen in den vergangenen<br />

Jahren stark verändert haben?<br />

Ja, und das hat auch dazu geführt, dass wir<br />

sogar für einen kurzen Moment überlegt<br />

haben, unser Büro ins Ausland zu verlagern.<br />

Wir haben uns klar dagegen entschieden,<br />

denn wir lieben diese Region, aber es war<br />

Thema. Jedoch – offen gesprochen – es ist<br />

schon krass, was wir manchmal erleben.<br />

Wie meinen Sie das?<br />

Unser Büro arbeitet national wie international.<br />

Dadurch sind wir mit einer<br />

nationalen, aber auch internationalen<br />

Konkurrenz konfrontiert, die uns dazu<br />

zwingt, nicht nur den besten Wettbewerbsvorschlag<br />

zu machen, sondern auch<br />

hinterher günstiger, schneller, arbeits williger<br />

zu sein. Ich empfinde insbesondere die<br />

Arbeitsmarkt-Situation hier im Süden<br />

Deutschlands als besonders schwierig. Die<br />

Löhne hier sind sehr hoch. Sie müssen das<br />

aber auch zum Teil sein: Das Leben im<br />

Raum München, im Raum Stuttgart, aber<br />

auch anderen Regionen ist einfach sehr<br />

teuer. Dieses kann man sich nur leisten,<br />

wenn man entsprechend verdient. Die<br />

Argumentation im Bewerbungsgespräch<br />

und den Wunsch nach einem entsprechenden<br />

Gehalt können wir also<br />

definitiv nachvoll ziehen. Was uns dann<br />

aber doch wundert, ist, dass eben diese<br />

Absolvent*innen und Berufsanfänger*innen,<br />

die noch im Be werbungsgespräch die<br />

entsprechenden Gehaltsvorstellungen<br />

hatten, wenige Zeit später darum bitten,<br />

ihre Arbeitszeit auf vier, aber auch auf drei<br />

Tage reduzieren zu können. Gleichzeitig<br />

wollen gerade aber auch diese<br />

Mitarbeiter*innen einmal Projekte leiten.<br />

Diese Anspruchs haltung stellt uns als Büro<br />

vor enorme Herausforderungen. Ganz offen<br />

gesprochen: Ab dem Zeitpunkt, in dem wir<br />

internationale Projekte machen – und wegen<br />

diesen kommen viele Mitarbeiter*innen zu<br />

uns –, ist das nicht mehr tragbar. Dann<br />

muss auch mal spät oder am Wochenende<br />

gearbeitet werden, zumindest aber full-time,<br />

denn man muss leider – ob man will oder<br />

nicht – auch für internationale Kolleg*innen<br />

und Auftraggeber*innen verfügbar sein.<br />

Wie wir unseren Berufsalltag also mit der<br />

mehr und mehr angestrebten Work-Life-<br />

Balance zusammenbringen wollen, das ist<br />

eine große Frage, die wir bei uns noch nicht<br />

voll ständig gelöst haben.<br />

Drei-Tage-Woche, Projekte leiten und<br />

gleichzeitig sehr gut verdienen – woher<br />

kommen diese Ansprüche?<br />

Wir leben in einer Singlegesellschaft. Viele<br />

Arbeitnehmer*innen müssen nicht mehr viel<br />

beiseitelegen, brauchen gar nicht viel, um<br />

gut zu leben. Das heißt, man kann guten<br />

Gewissens weniger arbeiten und mehr<br />

Freizeit genießen. Gleichzeitig haben sich<br />

unsere Arbeitsweisen verändert. Während<br />

wir früher zusammen an Plänen gezeichnet<br />

haben, arbeiten wir heute mehr und mehr<br />

separiert vom Homeoffice aus an einzelnen<br />

Projekten. Meiner Meinung nach zerbricht<br />

durch den Wunsch nach Homeoffice das<br />

Miteinander. Und Büroleiter*innen müssen<br />

das dann aufwendig inszenieren. Es geht<br />

heute immer weniger um die automatische<br />

Freude am gemeinsamen Arbeiten als früher.<br />

Und das verändert die Arbeitswelt, den<br />

Umgang mit Kolleg*innen und<br />

Auftraggeber*innen.<br />

Wie steht es um Ihre persönliche Work-<br />

Life-Balance? Neben Ihrer Professur an<br />

der HSWT wollen Sie schließlich Ihr Büro<br />

in einer Nebentätigkeit weiterführen.<br />

Ist das so easy möglich? Worauf stellen<br />

Sie sich ein?<br />

Tatsache ist: Man muss schon sehr für diesen<br />

Beruf brennen, wenn man neben einer<br />

Professur weiter im Büro tätig sein möchte.<br />

Insbesondere in der Gestaltung. Aber ich<br />

habe indirekte Erfahrung, was diese<br />

Doppelposition mit sich bringt: von<br />

meinen bisherigen Gastprofessuren, aber<br />

auch natürlich von dem, was ich bei meinem<br />

Vater und auch Kolleg*innen beobachten<br />

durfte. Davon habe ich auch gelernt, dass<br />

man praktisch weiter tätig sein muss, um<br />

Studierenden tatsächlich etwas beibringen zu<br />

können. Wenn man Prof und Büroinhaber<br />

sein möchte, hat man zwei Möglichkeiten:<br />

Man kann sich entweder totarbeiten, oder<br />

man strukturiert sein Büro um. Ich habe<br />

Glück und kann mich ohne Zögern für die<br />

zweite Variante entscheiden. Ich habe ein<br />

tolles Büro, ich habe eine tolle Frau, die<br />

mit mir seit 2016 das Büro gemeinsam leitet,<br />

und ich habe tolle Mitarbeiter*innen, die<br />

hoffentlich die Rollen ausfüllen wollen,<br />

die meine Frau und ich ihnen künftig<br />

ermöglichen wollen.<br />

Das heißt aber auch, dass Sie für<br />

Variante 2 Verantwortung abgeben<br />

und sich aktiv zurücknehmen müssen.<br />

Sie scheinen nicht der Typ zu sein, der<br />

das leicht macht.<br />

*lacht* Da haben Sie recht. Lassen Sie uns<br />

nochmal in einem Jahr hierzu sprechen,<br />

wie das mit dem Zurücknehmen so läuft.<br />

9<br />

GARTEN+<br />

LANDSCHAFT


30%<br />

ÖSTERREICH<br />

32%<br />

SCHWEIZ<br />

20%<br />

DEUTSCHLAND<br />

5000€<br />

Ausgaben für Infrastruktur<br />

Autos verursachen hohe Kosten. Teuer<br />

ist nicht nur Treibstoff, sondern auch<br />

und Luftverschmutzung.<br />

Letztere bezahlt nicht<br />

der*die Halter*in,<br />

sondern die Gesellschaft.<br />

Nach dieser<br />

Rechnung subventioniert<br />

Deutschland jedes Auto<br />

jährlich mit 5 000 Euro.<br />

zeit.de/<br />

mobilitaet/<strong>2022</strong>-01/<br />

soziale-kosten-strassenverkehrauto-studie<br />

+12%<br />

PKW-DICHTE<br />

In Deutschland stieg die<br />

Anzahl der Pkws pro<br />

Einwohner*innen in<br />

den vergangenen<br />

zehn Jahren (2009<br />

bis 2019) um<br />

12 Prozent.<br />

destatis.de/DE/Presse/<br />

Pressemitteilungen/2020/09/<br />

PD20_N055_461.html<br />

In der<br />

Schweiz werden<br />

32 Prozent der Treibhausgasemissionen<br />

durch<br />

den Verkehr verursacht. In<br />

Deutschland liegt dieser Anteil<br />

bei rund 20 Prozent; in Österreich<br />

bei 30 Prozent. Der Verkehrssektor ist<br />

bislang der Sektor, der am wenigsten<br />

zum Klimaschutz in den Ländern<br />

beigetragen hat.<br />

bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/klima/inkuerze.html;<br />

de.statista.com/statistik/daten/studie/312450/umfrage/<br />

treibhausgasemissionen-in-deutschland-nach-quellgruppe/;<br />

umweltbundesamt.at/news210119/sektoren<br />

Steigende<br />

Spritpreise<br />

in Deutschland:<br />

Binnen einer Woche<br />

(2.3. bis 9.3.) verteuerte<br />

sich Super E10<br />

um rund 15 Prozent,<br />

Diesel um mehr als<br />

22 Prozent.<br />

adac.de/news/aktueller-spritpreis/<br />

500<br />

E-SCOOTER<br />

... haben Taucher letztes Jahr aus dem<br />

Rhein an der Hohenzollernbrücke in der<br />

Kölner Innenstadt herausgeholt.<br />

wdr.de/nachrichten/rheinland/e-scooter-aus-dem-rhein-100.html<br />

Die Stadt München gab 2,3 Euro<br />

je Einwohner*in für den Radverkehr<br />

aus (Stand 2018). Zum Vergleich<br />

in Kopenhagen liegen die<br />

Ausgaben bei 35,6 Euro<br />

je Einwohner*in.<br />

de.statista.com/statistik/daten/studie/9092<br />

59/umfrage/jaehrliche-ausgaben-je-einwohnerfuer-den-radverkehr-in-deutschen-staedten/<br />

Hätten Sie es gewusst? –<br />

Spannende Fakten zur<br />

Mobilität in Deutschland,<br />

Österreich und der Schweiz.<br />

MOBILITÄT DACH<br />

12<br />

GARTEN+<br />

LANDSCHAFT


Bremen ist Deutschlands<br />

fahrradfreundlichste<br />

Stadt 2020.<br />

Sie gewann den<br />

jährlichen ADFC-<br />

Fahrradklima-Test 2020.<br />

fahrradklima-test.adfc.de/fileadmin/BV/FKT/<br />

Download-Material/Ergebnisse_2020/Rankingliste_<br />

FKT_2020.pdf<br />

440€<br />

... gibt die Schweiz pro<br />

Einwohner*in für die Schiene aus,<br />

fünf Mal mehr als Deutschland.<br />

mein-leben.at/meine-mobilitaet/zehnueberraschende-fakten-uebers-autofahren.html<br />

tagesspiegel.de/wirtschaft/schweiz-investiert-fuenf-malmehr-deutschland-gibt-weiterhin-wenig-fuer-die-schieneaus/27482790.html<br />

NUR<br />

STADTMOBILITÄT DACH<br />

ILLUSTRATION ZUM TITELTHEMA<br />

Die Illustration ist<br />

noch nicht zu Ende.<br />

Mehr Facts erwarten<br />

Sie in der Maiausgabe<br />

der G+L.<br />

1507 km<br />

Seit dem 1. März <strong>2022</strong> kostet das<br />

Parkpickerl in Wien 120 Euro im Jahr.<br />

In München kostet der Anwohnerparkausweis<br />

nur 30 Euro pro Jahr.<br />

wien.gv.at/verkehr/parken/kurzparkzonen/parkpickerl-stadtweit.html;<br />

stadt.muenchen.de/service/info/hauptabteilung-i-sicherheit-und-ordnungpraevention/1072045/<br />

Die Österreicher*innen legten 2020 1 507<br />

Kilometer pro Person mit der Bahn zurück. Das ist<br />

mehr als jede andere EU-Nation – trotz Corona.<br />

wko.at/branchen/transport-verkehr/schienenbahnen/schienenpersonenverkehr.html<br />

Seit fünf Jahren verkehrt in Bad<br />

Birnbach die erste autonom<br />

fahrende Buslinie Deutschlands<br />

im öffentlichen Straßenverkehr.<br />

deutschebahn.com/resource/blob/259942/5ff8f9ba<br />

554b7fa90cd574836614918d/Faktenblatt-autonomer-<br />

Bus-data.pdf<br />

Die erste Lichtsignalanlage<br />

entstand 1868<br />

in London. Sie explodierte<br />

kurze Zeit später.<br />

Deutlich sicherer war die<br />

erste Ampel Wiens an der<br />

Opernkreuzung. Sie wurde<br />

1926 errichtet und per Kurbelschalter<br />

bedient.<br />

Deutschlands einzige autonom fahrende<br />

U-Bahn fährt seit 2008 in Nürnberg.<br />

nuernberg.de/internet/digitales_nuernberg/automatische_<br />

ubahn_nuernberg.html<br />

IIllustration: Laura Heinemann<br />

HEIZKÖRPER<br />

DER STRAßEN<br />

Die Motorhauben schwarzer<br />

Autos heizen sich an einem<br />

25 Grad heißen Tag um 65 Grad<br />

auf. Auf einem silberfarbenen Auto<br />

sind es zwölf Grad weniger.<br />

br.de/nachrichten/wissen/hitze-in-der-stadt-mit-mehr-weiss-gruenund-blau-verringern,RXKYznH<br />

-150<br />

Im Jahr 2021 starben 150 Menschen weniger im Straßenverkehr als im Jahr<br />

zuvor. Die Anzahl der Verkehrstoten (2 569) hat somit den bis dato niedrigsten<br />

Wert seit Beginn der statistischen Auswertungen von vor mehr als 60 Jahren.<br />

de.statista.com/statistik/daten/studie/185/umfrage/todesfaelle-im-strassenverkehr/<br />

VERKEHRSTOTE<br />

13<br />

GARTEN+<br />

LANDSCHAFT


Ähnlich ikonisch wie das<br />

Social Media Marketing<br />

der BVG selber: Die<br />

gelben Bahnen der Berliner<br />

Verkehrsbetriebe.<br />

14<br />

GARTEN+<br />

LANDSCHAFT


STADTMOBILITÄT DACH<br />

BERLIN<br />

IN DER STADT<br />

DER GELBEN<br />

GEFÄHRTEN<br />

In der Hauptstadt wird über das Thema Verkehr viel diskutiert und<br />

gestritten – nicht nur zum Wahlkampf. Ein Dauerthema scheint dabei<br />

der Ausbau der U7, der wie viele andere Mobilitätsprojekte als „Rohrkrepierer“<br />

abgetan wird. Eine tatsächliche Veränderung auf den Straßen<br />

brachten hingegen die Pop-up-Radwege mit sich. Sie sind trotz aller<br />

Kritik und Klagen ein Erfolg made in Berlin. Zumindest setzte Felix<br />

Weisbrich in Berlin-Kreuzberg die ersten Pop-up-Radwege in Deutschland<br />

um. Sein neues Projekt ist die Bergmannstraße im beliebten Bergmannkiez.<br />

Sie soll nach viel Streitigkeiten bis 2032 autofrei werden.<br />

UWE RADA<br />

Foto: Claudio Schwarz via Unsplash<br />

AUTOR<br />

Uwe Rada,<br />

geboren 1963, lebt<br />

in Berlin. Er ist<br />

Buchautor und seit<br />

1994 Redakteur für<br />

Stadtentwicklung<br />

bei der taz. Rada<br />

schreibt regelmäßig<br />

für G+L.<br />

Es spricht vieles dafür, dass in deutschen<br />

Großstädten inzwischen genauso erbittert<br />

über das Thema Verkehr gestritten wird<br />

wie über die explodierenden Mieten. Einen<br />

„Rohrkrepierer“ nannte etwa Berlins grüne<br />

Verkehrssenatorin Bettina Jarasch auf<br />

einer Parteiveranstaltung den Vorstoß<br />

der Regierenden Bürgermeisterin<br />

Franziska Giffey (SPD), den geplanten<br />

Ausbau der U-Bahn-Linie 7 von Neukölln<br />

zum Flug hafen BER als „Priorität“<br />

zu behandeln.<br />

Es wird also aufgerüstet in der Debatte<br />

um die Berliner Verkehrspolitik, zumindest<br />

verbal. Und das ist mit Blick auf die<br />

genannte U-Bahn-Linie auch nicht<br />

überraschend. Nur zögernd hatten die<br />

Grünen der SPD zugestanden, die<br />

Ver längerung von vier U-Bahn-Linien in<br />

den gemeinsamen Koalitionsvertrag mit<br />

der Linkspartei zu schreiben. Zu teuer,<br />

eine viel zu schlechte Klimabilanz, die<br />

Grünen bevorzugen die Tram.<br />

Der neue Nahkampf um den Nahverkehr<br />

wird in Berlin geführt von den Grünen<br />

auf der einen Seite und der SPD (unterstützt<br />

von der CDU, FDP und teilweise<br />

auch der Linkspartei) auf der anderen.<br />

Die verbale Attacke Jaraschs zeigt, dass<br />

sich der Wahlkampfrauch auch nach der<br />

Senats bildung nicht verzogen hat. Noch<br />

immer erinnern sich die Grünen an die<br />

Charme offensive der SPD bei den<br />

Wähler*innen, die Auto fahren. Gebetsmühlenartig<br />

brachten Giffey und ihr<br />

Fraktionschef Raed Saleh das Beispiel<br />

einer Krankenschwester an, die im<br />

Nachtdienst nicht auf ihr Auto verzichten<br />

könne, weil dann keine U-Bahn fahre.<br />

„Eine 3,7-Millionen- Menschen-Stadt<br />

völlig autofrei zu denken, halte ich für<br />

wirklichkeitsfremd“, hatte Giffey im Juli<br />

2021 gesagt. „Viel eher muss es um Autos<br />

mit klimafreundlichem Antrieb gehen.<br />

Wir brauchen auch Möglichkeiten<br />

jenseits des Lastenfahrrads.“<br />

15<br />

GARTEN+<br />

LANDSCHAFT


Sieht man die Fiakerpferde und ihre Kutschen,<br />

ist man in Wien. Bei rund 55 Euro pro Kutschfahrt,<br />

bietet Wien jedoch heutzutage wesentlich<br />

günstigere Verkehrsmittel an.<br />

22<br />

GARTEN+<br />

LANDSCHAFT


STADTMOBILITÄT DACH<br />

WIEN<br />

RICHTIG<br />

GESETZT?!<br />

In den letzten zehn Jahren tat sich einiges in Wien: Der Wiener<br />

Haupt bahnhof wurde 2014 eröffnet, die Mariahilfer Straße 2015<br />

zur Begegnungszone umgebaut, ein 365 Euro Jahresticket eingeführt,<br />

die s eletriziert nd nd nd. Doch das alles and nicht immer<br />

ohne Proteste statt. Mal sind es Autofahrer*innen, die auf die Barrikaden<br />

gehen, mal Aktivist*innen wie die von Lobau bleibt.<br />

MICHAELA PUTZ<br />

Foto: Sandro Gonzalez via Unsplash<br />

AUTORIN<br />

Michaela Putz<br />

studierte<br />

Publizistik- und<br />

Kommunikationswissenschaften.<br />

Sie ist freie<br />

Texterin und<br />

Redakteurin mit<br />

Sitz in Wien und<br />

schrieb unter<br />

anderem für<br />

das Projekt 100<br />

Green SPACES.<br />

Die Bilder, die in den letzten Monaten<br />

durch die österreichischen Medien gingen,<br />

erinnerten an die Besetzung der Hainburger<br />

Au in den 80er-Jahren. Hierzulande auch<br />

als Geburtsstunde der ökologischen<br />

Bewegung bekannt, protestierte damals<br />

eine Zivilgesellschaft gegen den Bau eines<br />

Donau-Kraftwerkes im Nationalpark nahe<br />

Hainburg – und gewann! Der Bau des<br />

Kraftwerks wurde gestoppt. Ähnliche<br />

Szenen spielen sich nun auch in der Wiener<br />

Lobau ab. Den Wiener*innen ist das<br />

umkämpfte Gebiet als Stadtdschungel und<br />

Erholungsgebiet bekannt. Kleine Teiche<br />

laden als sommerliche Badeplätze ein, in der<br />

kälteren Jahreszeit ist es beliebter Ort zum<br />

Spazieren. Vor allem aber bietet das Areal<br />

Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten,<br />

darunter geschützte Spezies.<br />

Tierliebhaber*innen können hier an die<br />

30 Säugetier- und 60 Fischarten vorfinden;<br />

für Vogelbeobachter gibt es um<br />

die 100 Vogelarten zu entdecken, darunter<br />

den Seeadler, Graureiher und den Eisvogel.<br />

Diese Biodiversität scheint nun in Gefahr.<br />

Denn ein vor Jahrzehnten geplanter<br />

Straßentunnel soll nun umgesetzt werden<br />

und unterhalb des Nationalparks verlaufen.<br />

Der Lobau-Protest ist einer der größten<br />

Proteste der jüngeren Stadtgeschichte – und<br />

viele junge Menschen sind daran beteiligt.<br />

Mit Transparenten, besetzten Baustellen<br />

und einem Camp im Naturgebiet wird<br />

gegen den Bau eines Autobahntunnels und<br />

für die Erhaltung des Augebiets protestiert.<br />

Die österreichische Initiative Scientists<br />

for Future – ein Zusammenschluss von<br />

Wissenschaftler*innen, die das Anliegen von<br />

Fridays for Future unterstützen – hat sich<br />

das Lobautunnel-Projekt aus ökologischer<br />

Perspektive angesehen. Die zwölf<br />

Expert*innen aus den Bereichen Verkehr,<br />

Stadtplanung, Hydrologie, Geologie,<br />

Ökologie sowie Energie kommen zu dem<br />

23<br />

GARTEN+<br />

LANDSCHAFT


„HERBERT DIESS<br />

DENKT DIE<br />

GLOBALE<br />

GERECHTIGKEIT<br />

NICHT MIT“<br />

Am 25. März <strong>2022</strong> ging Fridays For Future Berlin im Rahmen des<br />

Globalen Klimastreiks wieder auf die Straße. Teil des Protests waren<br />

auch neun Forderungen für eine Mobilitätswende für alle in Berlin bis 2030<br />

( unter anderem ein autofreies Berlin). Karla Wiegmann ist Ver treterin von<br />

Fridays For Future in Berlin/Brandenburg. Wir haben uns mit ihr über<br />

die FFF- Forderungen unterhalten und sie gefragt, was sie von Herbert<br />

Diess' Plan hält, künftig bei VW auf E-Mobilität zu setzen.<br />

INTERVIEW: THERESA RAMISCH<br />

Karla Wiegmann<br />

(22), Aktivist:in für<br />

Klimagerechtigkeit<br />

und aktiv bei Fridays<br />

for Future Berlin,<br />

kämpft für eine<br />

gerechte Mobilitätswende,<br />

gegen die<br />

Klimakrise und<br />

beschäftigt sich mit<br />

der Frage, was im<br />

Bereich Mobilität<br />

politisch und<br />

wirtschaftlich<br />

passieren muss.<br />

Foto: privat; llustration: Laura Heinemann<br />

28<br />

GARTEN+<br />

LANDSCHAFT


STADTMOBILITÄT DACH<br />

INTERVIEW KARLA WIEGMANN, FRIDAYS FOR FUTURE<br />

viele Menschen mobil sind. Und da sind wir<br />

wieder beim ÖPNV, Sharing-Systemen auf<br />

dem Land und guten Zugstrecken.<br />

Karla Wiegmann, seit 8. Dezember 2021<br />

führt mit Volker Wissing ein neuer Bundesminister<br />

das Bundesministerium Digitales<br />

und Verkehr. Potenzial für Veränderung.<br />

Wenn Sie drei Wünsche an den neuen<br />

Bundesminister frei hätten, wie würden<br />

diese lauten?<br />

Auch wenn ich wenig von Wünschen an<br />

Minister:innen halte, fallen mir drei<br />

konkrete Forderungen für die Mobilitätswende<br />

ein. Erstens die radikale Neuaufstellung<br />

des ÖPNV auf dem Land und in<br />

der Stadt. Das bedeutet die Verdopplung der<br />

Kapazität, eine Offensive von grünen und<br />

gerechten Jobs im öffentlichen Nahverkehr<br />

und kostenlose Tickets, finanziert aus<br />

öffentlicher Hand. Zweitens braucht es jetzt<br />

einen Autobahnausbaustopp. Dass wir <strong>2022</strong><br />

mitten in der Klimakrise immer noch<br />

Autobahnen neu bauen ist das Gegenteil von<br />

fortschrittlich. Das Haupttransport mittel der<br />

Zukunft für Langstrecken muss die Bahn<br />

sein. Das heißt: Fernverkehr ausbauen und<br />

subventionieren. Ich wünsche mir, dass sich<br />

jede:r ICE-Fahrten leisten kann!<br />

Mit Fridays For Future Berlin habt ihr<br />

neun Forderungen für eine Mobilitäts-<br />

ende r alle is deniert. <br />

den Forderungen zählt unter anderem<br />

ein autofreies Berlin. Kein Thema sind<br />

hingegen die Themen „Digitalisierung“<br />

und „ E-Mobilität“. Warum?<br />

Der Ausbau von E-Mobilität klingt erstmal<br />

super. Autos, die mit Strom fahren und<br />

keine Emissionen verursachen. Ganz einfach<br />

ist die Rechnung aber nicht. E-Autos<br />

bedeuten, vor allem in der Masse, in der<br />

produziert werden soll, die Zerstörung von<br />

Lebensraum und Natur in Lateinamerika<br />

durch den Lithiumabbau. Wenn außerdem<br />

alle Autos in den Städten ersetzt werden,<br />

bedeutet das die gleiche Flächenknappheit<br />

für ÖPNV und Fahrrad wie vorher. Es geht<br />

also vor allem um die Veränderung von<br />

individueller zu kollektiver Mobilität.<br />

Digitalisierung ist wichtig, um Mobilität<br />

besser zu leiten, leider lenkt es nur zu häufig<br />

davon ab, dass wir jetzt radikale Emissionseinsparungen<br />

im Verkehr brauchen.<br />

Im Interview mit dem Handelsblatt sagte<br />

VW-Chef Herbert Diess die Klimaziele<br />

könnten nur mit dem E-Antrieb erreicht<br />

werden. Bis 2030 sei keine andere Technologie<br />

wettbewerbsfähig, ob nun die Brennstoffzelle<br />

oder E-Fuels. Zudem erwartet<br />

Herr Diess, dass 2030 in Europa rund 60<br />

Prozent der verkauften VW-Fahrzeuge<br />

elektrisch angetrieben werden. Wie steht<br />

Fridays For Future zum Thema E-Mobilität?<br />

Wie ich schon zuvor sagte, löst die alleinige<br />

Umstellung auf E-Mobilität unser Mobilitätsproblem<br />

nicht. Selbst wenn wir in<br />

Europa bis 2030 60 Prozent verkaufte<br />

VW-Fahrzeuge haben, wird die Lebensgrundlage<br />

der Menschen in Chile und<br />

anderswo durch fehlendes Trinkwasser und<br />

Raubbau an der Natur zerstört, und die<br />

Regionen trocknen aus. Es geht um globale<br />

Gerechtigkeit, diese denkt Herbert Diess<br />

nicht mit. Dieser Planet hat begrenzte<br />

Ressourcen, mit denen wir in der Zukunft<br />

verantwortungsvoll umgehen müssen.<br />

Deshalb ist die Aufgabe, möglichst wenig<br />

Energie zu verbrauchen, während möglichst<br />

Speaking of Herbert Diess: Auf fridaysforfuture.de<br />

wird die fehlende<br />

zivil gesellschaftliche Mitsprache<br />

beim Thema Mobilität und die Dominanz<br />

der Lobbyist*innen kritisiert. Welche<br />

Akteur*innen braucht es laut Ihnen, um<br />

Deutschlands Mobilität nachhaltig zu<br />

verändern? Wer trägt die Verantwortung,<br />

muss sie tragen? Wen brauchen wir jetzt<br />

für tatsächliche Veränderungen?<br />

Zum einen ist es klar, dass es jetzt einen<br />

Plan der Regierung für die Mobilität in den<br />

nächsten Jahren braucht. Die Verantwortung<br />

tragen jedoch nicht nur die Regierungen,<br />

sondern auch die Konzerne. Schauen wir<br />

gerade auf Herbert Diess: Er weiß, wir sind<br />

mitten in der Klimakrise, und trotzdem baut<br />

er weiter Autos, weil er daraus Profit<br />

generiert. Dass diese Autos bald „klimaneutral“<br />

sind, macht es für ihn nur<br />

bequemer. Ein netter grüner Profit, der<br />

trotzdem schlecht ist für diesen Planeten.<br />

Es stellt sich die Frage, was wir eigentlich<br />

produzieren müssen: Auf jeden Fall weniger<br />

Autos und vor allem mehr Busse, Bahnen<br />

und Infrastruktur. In der Corona-Pandemie<br />

konnten in den Fabriken auch Beatmungsgeräte<br />

produziert werden. Wir brauchen<br />

nicht mehr Autos, sondern die Infrastruktur,<br />

die wichtig ist für unsere Gesellschaft. Und<br />

wer mehr mitreden muss: Die Menschen<br />

über Bürgerräte zum Beispiel, aber auch die<br />

Beschäftigten der Autoindustrie. Die wollen<br />

sicherlich auch grüne gerechte Jobs und<br />

Dinge produzieren, die sinnvoll sind. Es<br />

geht also um viel mehr als Mobilität,<br />

nämlich um eine klimagerechte Zukunft!<br />

+Die F4F-<br />

Forderungen für<br />

eine Mobilitätswende<br />

können Sie<br />

hier nachlesen:<br />

forderungen/<br />

https://fridaysforfuture.berlin/<br />

mobilitaetswendefuer-alle-bis-2030.<br />

29<br />

GARTEN+<br />

LANDSCHAFT


Die U-Bahn-Haltestelle<br />

Marienplatz ist<br />

Münchens am meisten<br />

genutzte Station.<br />

Entworfen hat sie der<br />

Architekt und Künstler<br />

Alexander von<br />

Branca.<br />

36<br />

GARTEN+<br />

LANDSCHAFT


STADTMOBILITÄT DACH<br />

MÜNCHEN<br />

EIN LANGER WEG<br />

Die Stadt München wächst und mit ihr die Herausforderungen in Sachen<br />

Mobilität. Bereits heute sind Münchens Straßen und Schienen überlastet.<br />

Zweite Stammstrecke, Ringbahn, neue Radwege, eine IBA – Ideen gibt es,<br />

doch die Umsetzung dauert an. Wir haben uns mit Georg Dunkel vom neuen<br />

Münchner Mobilitätsreferat und Andreas Schuster vom Verein Green City zu<br />

den Herausforderungen in der bayerischen Landeshauptstadt unterhalten.<br />

MAGDALENA SCHMIDKUNZ<br />

Foto: Jan Antonin Kolar via Unsplash<br />

AUTORIN<br />

Magdalena<br />

Schmidkunz studierte<br />

Landschaftsarchitektur<br />

und<br />

Urbanistik. Sie ist<br />

Redakteurin der G+L.<br />

In Sachen Mobilität war in München<br />

vergangenes Jahr einiges geboten: Anfang<br />

2021 nahm das frisch gegründete<br />

Mobilitäts referat unter Leitung von Georg<br />

Dunkel seine Arbeit auf. Wenige Monate<br />

später fand die welt berühmte IAA<br />

( Internationale Auto mobil-Ausstellung)<br />

erstmals in München statt. 400 000 Menschen<br />

besuchten die Messe vom 7. bis<br />

12. September 2021 – und damit rund<br />

160 000 Menschen weniger als die<br />

zehn tägige IAA, die 2019 in Frankfurt am<br />

Main stattfand. Frankfurt war 70 Jahre<br />

lang Ausrichtungsort der IAA, bis der<br />

Verband der Automobilindustrie (VDA)<br />

eine Neuausrichtung der Messe anstrebte<br />

und damit auch einen neuen Standort:<br />

München. Die IAA sollte sich weg von<br />

den großen Autos hin zu einer Mobilitätsplattform<br />

entwickeln und bekam den<br />

Zusatz „Mobility“. Kritiker*innen nahmen<br />

dem VDA und der Automobilindustrie das<br />

neue, grüne Image nicht ab. Die Wut über<br />

die IAA Mobility zeigten sie mit verschiedenen<br />

Protestaktionen und Demonstrationen<br />

unter den Hashtags #blockIAA<br />

#KonTraIAA #noIAA vor und während<br />

der Großveranstaltung. Um die aufgeheizte<br />

Stimmung in konstruktive Bahnen zu<br />

lenken, entschloss sich die Stadt München<br />

Anfang des Jahres 2021, einen eigenen<br />

Mobilitätskongress als Parallelveranstaltung<br />

auszurichten. Der Kongress<br />

sollte Akteur*innen aus Wirtschaft,<br />

Wissenschaft und Zivilgesellschaft parallel<br />

zur IAA eine Plattform bieten. Das<br />

Mobilitätsreferat nutzte den Kongress<br />

außerdem als Start seines Bürgerdialogs<br />

zur „Mobilitätsstrategie 2035“. Bis 2035<br />

möchte die Stadt klimaneutral sein.<br />

80 Prozent der Wege sollen bereits bis<br />

2025 mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mit<br />

dem Fahrrad, zu Fuß oder in Elektroautos<br />

zurückgelegt werden.<br />

37<br />

GARTEN+<br />

LANDSCHAFT


44<br />

GARTEN+<br />

LANDSCHAFT


STADTMOBILITÄT DACH<br />

SCHWEIZ<br />

SCHWEIZER<br />

NIVEAU<br />

n der cheiz ndet sich eines der dichtesten nd alitati hoch ertisten<br />

chienennetze der elt. Die cheizer ahnen denieren das zentrale<br />

Rückgrat des öffentlichen Verkehrs. Ungefähr zwei Drittel der im öffentlichen<br />

Verkehr zurückgelegten Distanzen werden mit ihnen gemacht. Und<br />

das oohl eenso zei Drittel des andes eirsächen sind. Ein lic<br />

auf den Schienenverkehr und weitere nachhaltige Mobilitätsprojekte<br />

unseres Nachbarstaates.<br />

ARIAN SCHLICHENMAYER<br />

Foto: Johannes Hofmann on Unsplash<br />

Das Schweizer<br />

Bahnnetz ist eines<br />

der besten<br />

weltweit.<br />

Besonders<br />

beeindruckend:<br />

Die Route des<br />

Bernina-Express<br />

von Chur /<br />

St. Moritz nach<br />

Tirano (Italien).<br />

AUTOR<br />

Arian Schlichenmayer<br />

studierte Biologie und<br />

ist seit Januar <strong>2022</strong><br />

Redakteur der G+L<br />

und topos.<br />

Wer den deutschen Bahnverkehr und die<br />

mit ihm in Kauf zu nehmende Unpünktlichkeit<br />

kennt, kommt beim Zugfahren in<br />

der Schweiz aus dem Staunen nicht mehr<br />

heraus: Wie schaffen es die Eidgenoss*innen,<br />

dass ihre Züge so zuverlässig, praktisch<br />

immer auf die geplante Minute genau, in<br />

ihren Bahnhöfen eintreffen? Leidgeprüften<br />

Fahrgästen der Deutschen Bahn, für die<br />

Verspätungen eher die Regel sind, kommt<br />

es einer Offenbarung gleich, wie gut und<br />

entspannt man in der Schweiz mit der<br />

Bahn reisen kann.<br />

In diversen Verkehrsrankings spielt die<br />

Schweizer Bahn regelmäßig ganz vorne mit.<br />

Europaweit gilt das Schweizer Bahnnetz<br />

seit Jahren mit Abstand als das Beste,<br />

weltweit belegt es Platz drei, muss sich<br />

lediglich den Netzen in Japan und Hong<br />

Kong geschlagen geben. Das Schweizer<br />

Bahnsystem, so scheint es, läuft ebenso rund<br />

wie die sprichwörtlichen Uhrwerke.<br />

SCHWEIZER*INNEN SIND EUROPA-<br />

MEISTER*INNEN IM BAHNFAHREN<br />

Diese Zuverlässigkeit bedingt es, dass die<br />

Schweizer*innen das Verkehrsmittel Zug<br />

besonders gerne nutzen. In Europa gibt es<br />

kein anderes Land, in dem die Bürger*innen<br />

so viel Bahn fahren. Ganze 71 Mal stieg<br />

beispielsweise jede*r Einwohner*in der<br />

Schweiz im Jahr 2018 in den Zug. Kein<br />

Wunder, sind die Züge in der Schweiz doch<br />

nicht nur pünktlich, sondern auch sauber<br />

und fahren eng getaktet. In Deutschland<br />

kommen wir mit 35 Fahrten pro Jahr und<br />

Kopf gerade einmal auf die Hälfte.<br />

Besonders gut funktioniert in der Schweiz<br />

auch die übergreifende Nutzung von<br />

öffentlichen Verkehrsmitteln. Mit dem<br />

sogenannten „Generalabonnement“, das<br />

freie Fahrt auf fast allen Strecken des<br />

öffentlichen Verkehrsnetzes der Schweiz<br />

gewährt, ist es – anders etwa als bei einer<br />

Bahncard – möglich, fast alle in der<br />

Schweiz zur Verfügung stehenden Verkehrsmittel,<br />

auch Schiffe, zu nutzen, und<br />

zwar unabhängig von der jeweiligen Betreibergesellschaft.<br />

Besitzer*innen eines<br />

Generalabonnements profitieren außerdem<br />

von Ermäßigungen bei der Nutzung des<br />

größten Schweizer Carsharing-Anbieters<br />

„Mobility“. Das Generalabonnement gilt bis<br />

hinaus auf ausgewählte Panoramastrecken<br />

der Schweizer Bahnen, etwa für den Glacier<br />

45<br />

GARTEN+<br />

LANDSCHAFT

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