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Andreas Kunz-Lübcke: Dissidenten, Außenseiter und Querulanten (Leseprobe)

In den biblischen Literaturen begegnen zahlreiche Charaktere, die sich durchaus als Gestalten der Weltliteratur charakterisieren lassen. Einer der möglichen Gründe dafür dürfte der Umstand sein, dass diese in extremen Lebenssituationen agieren oder radikale Positionen vertreten, die sie von einer etablierten Normen und Weltsichten abheben. Die Beiträge in diesem Band, der im Rahmen der Tagung »Außenseiter, Dissidenten und Querulanten« der Projektgruppe »Religiöser Radikalismus« entstanden ist, widmen sich Figuren (wie z.B. Jael, Henoch, Jiftach, Choni ha-Me‘aggel, Eliezer ben Hyrkanos oder auch Paulus), die sich durch die Radikalität ihres Handelns und Denkens im Bezug auf ihre individuellen religiösen Systeme oder ihr soziales Umfeld auszeichnen. Im Mittelpunkt stehen dabei Erzählfiguren und Individuen, die sich deutlich von den etablierten Normen abheben und somit eine bleibende Faszination auf die Leserschaft ausüben.

In den biblischen Literaturen begegnen zahlreiche Charaktere, die sich durchaus als Gestalten der Weltliteratur charakterisieren lassen. Einer der möglichen Gründe dafür dürfte der Umstand sein, dass diese in extremen Lebenssituationen agieren oder radikale Positionen vertreten, die sie von einer etablierten Normen und Weltsichten abheben.

Die Beiträge in diesem Band, der im Rahmen der Tagung »Außenseiter, Dissidenten und Querulanten« der Projektgruppe »Religiöser Radikalismus« entstanden ist, widmen sich Figuren (wie z.B. Jael, Henoch, Jiftach, Choni ha-Me‘aggel, Eliezer ben Hyrkanos oder auch Paulus), die sich durch die Radikalität ihres Handelns und Denkens im Bezug auf ihre individuellen religiösen Systeme oder ihr soziales Umfeld auszeichnen. Im Mittelpunkt stehen dabei Erzählfiguren und Individuen, die sich deutlich von den etablierten Normen abheben und somit eine bleibende Faszination auf die Leserschaft ausüben.

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30<br />

Drea Fröchtling<br />

ve, das kleinbürgerliche, das aufstiegsorientierte, das neue Arbeiter- sowie auf<br />

das hedonistische Milieu, das traditionelle <strong>und</strong> das traditionslose Arbeitermilieu.<br />

Sozio-kulturelle Milieus bilden dabei in der Regel eine zunehmend transkulturelle<br />

Gesellschaft mit ab. Dabei spielt die innergesellschaftliche Differenzierung<br />

in Milieus bei Fragen von Zugehörigkeit <strong>und</strong> Lebenschancen eine<br />

zunehmende Rolle. 36 Meyer konstatiert:<br />

»Schon heute ist die innergesellschaftliche Differenzierung der soziokulturellen Milieus<br />

im Begriff, die zwischengesellschaftliche kulturelle Differenzierung an Bedeutung<br />

zu überragen. Für das, was der Einzelne aus seinem kulturellen Herkommen macht<br />

<strong>und</strong> machen kann, wird es immer wichtiger, welcher Gruppe in seiner Gesellschaft<br />

er sich zurechnet.« 37<br />

Meyer versteht Kulturen als »dynamische soziale Diskursräume«, die auf drei<br />

Ebenen Normen, Gewohnheiten <strong>und</strong> Überzeugungen ausbilden. Ebene 1 bildet<br />

hierbei die ways of believing, zentral sind hier Weltdeutung(en) sowie Lebens<strong>und</strong><br />

Heilsüberzeugungen, sowohl auf individueller als auch auf der kollektiven<br />

Ebene. Ebene 2, ways of life, ist primär gefüllt mit Gewohnheiten, Praktiken,<br />

Alltagsformen <strong>und</strong> Ritualen, allgemein mit Lebensweisen. Ebene 3, ways of<br />

living together, beinhaltet dann »Gr<strong>und</strong>werte für das Zusammenleben verschiedenartiger<br />

Menschen in derselben Gesellschaft <strong>und</strong> demselben politischen Gemeinwesen«;<br />

38 hier gehe es um Präferenzfragen wie Gleichheit oder Ungleichheit,<br />

Kollektivismus oder Individualismus.<br />

Während in der Alltagsgestaltung die Ebenen immer stärker unabhängig<br />

voneinander operieren, strebe der F<strong>und</strong>amentalismus danach, »die Differenzen<br />

der drei kulturellen Bezugsebenen […] wieder rückgängig zu machen <strong>und</strong> durch<br />

einen Integralismus zu ersetzen«. 39<br />

2.2 Kollektive Identität <strong>und</strong> kollektives Verhalten<br />

Neta Oren <strong>und</strong> Daniel Bar-Tal gehen in ihrer Analyse von Nahost-Konflikten<br />

davon aus, dass sechs Faktoren kollektive Identität bestimmen. Hierzu gehören<br />

a) das Gefühl, dass das Kollektiv (collective) einzigartig ist <strong>und</strong> sich von anderen<br />

Kollektiven unterscheidet, b) gemeinsame Überzeugungen (beliefs), Einstellungen,<br />

Werte <strong>und</strong> Normen, c) zeitliche Kontinuität, d) das Gefühl, ein gemeinsames<br />

Schicksal zu teilen, e) die Sorge <strong>und</strong> das Bemühen (concern) um das Kollektiv,<br />

einschließlich Mobilisierungsbemühungen <strong>und</strong> das Bringen persönlicher<br />

36<br />

Meyer, Was ist F<strong>und</strong>amentalismus, 112.<br />

37<br />

Meyer, Die Politisierung kultureller Differenz, 63; Hervorhebungen Meyer.<br />

38<br />

Meyer, Was ist F<strong>und</strong>amentalismus, 118.<br />

39<br />

Meyer, Was ist F<strong>und</strong>amentalismus, 121.

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