„Sind wir für Österreichweniger wert?“16 / POLITIKA /
Ukraine-Flaggen in ganz Wien, gratis Öffis, Erleichterungen amArbeitsmarkt und beim Aufenthaltsrecht. Während Ukrainer:innen inÖsterreich einen neuen Wind der Willkommenskultur spüren, fragensich „schon da gewesene“ Geflüchtete aus Syrien, Bosnien und Afghanistan:Sind wir für Österreich weniger wert?Von Aleksandra Tulej, Illustrationen: Aliaa Abou KhaddourIch schäme mich ein bisschen, das zu sagen. Aber ichhabe keine Motivation mehr, den Ukrainer:innen hierzu helfen“, erzählt die Syrerin Haya * und beißt sich aufdie Unterlippe. „Bei den Syrern damals habe ich allesgemacht, wo ich nur helfen konnte – gedolmetscht, koordiniertund überall versucht, sie zu unterstützen,“ setzt sieenergisch fort, „aber bei den Ukrainern denke ich mir: Derösterreichische Staat tut eh schon genug. Ich weiß, dassdie Menschen nichts dafürkönnen. Es ist schrecklich, dasssie fliehen müssen. Ich weiß ja, wie das ist. Aber ich tuemir immer schwieriger, mit ihnen Mitleid zu haben.“ Hayabetont zwar, dass sie versuche, sich für die Ukrainer:innen zufreuen. Sie fragt sich aber, warum die Erleichterungen beimIntegrationsprozess von Ukrainer:innen so schnell durchgegangensind, und warum sie und viele andere so langedarauf warten mussten.„Ich durfte hier langenicht arbeiten. Ich habeschwarz als Babysitteringearbeitet, ehrenamtlichgedolmetscht, alles.“GUTER FLÜCHTLING, SCHLECHTERFLÜCHTLING?Wie Haya geht es unzähligen Migrant:innen, die in ersterGeneration in Österreich leben, die in ihrer Heimat einStudium oder eine Ausbildung abgeschlossen und auf einesichere Zukunft hingearbeitet haben. Dann kam der Kriegund mit ihm die Flucht. Oft dauerte es Jahre, bis es mitdem Aufenthalt, mit der Arbeitserlaubnis und Nostrifizierung(Anerkennung des Studienabschlusses) klappte – wenn überhaupt.Menschen, die jetzt aus der Ukraine nach Österreichgeflohen sind, sollen es leichter haben.Die „guter Flüchtling, schlechter Flüchtling“-Debatte istseit der Fluchtbewegung aus der Ukraine in Österreich Dauerthema.Vor allem Geflüchtete, die seit Jahren in Österreichleben, begrüßen die neuen Maßnahmen zwar, sehen sichaber im Vergleich ungerecht behandelt – nicht nur, was dierechtliche Situation anbelangt, sondern auch bezüglich derSolidarität mit der Ukraine.Doch wie sieht die rechtlicheSituation nun aus? HabenUkrainer:innen es wirklich so vielleichter? Wie läuft das in der Praxis?Konkret will die türkis-grüneRegierung die Regeln für denArbeitsmarktzugang lockern undBürokratie abbauen, um qualifiziertemPersonal einen schnellerenZugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen zu können. Dasbetrifft u. a. auch die „Blaue Karte“ (s. Infobox) und andereLockerungen, durch die Ukrainer:innen die Integration amArbeitsmarkt leichter gemacht werden soll. Auch was dieAufenthaltsbewilligung anbelangt, gibt es Unterschiede.Ukrainer:innen bekommen bei ihrer Ankunft den Ausweisfür Vertriebene. Bei anderen Staaten, wie beispielsweiseSyrien, gibt es beim Ayslantrag eine individuelle Prüfungdes Antrags. Die gibt es für Ukrainer:innen nicht. Hier geltenunterschiedliche Rechtsgrundlagen (s. Infobox). „Ich glaubeschon, dass in vielen Bereichen eine Integration am Arbeitsmarkteinfacher sein wird", sagt Arbeitsminister MartinKocher zu den Vorwürfen, dass Ukrainer:innen im Vergleichzu anderen Geflüchteten besser behandelt werden. Dasliege laut Kocher auch daran, dass Englisch in der Ukraineweiter verbreitet sei, und auch Abschlüsse leichter anerkanntwerden könnten, so der Arbeitsminister in einem Interviewmit PULS24.„HIER IST ALLES SO BÜROKRATISCH,DANN STUDIERE ICH HALT NICHT“Haya ist 30 und in der syrischen Hauptstadt Damaskus geboren.Nach ihrer Matura im Jahr 2008 hat sie den Bachelor ander Universität in Damaskus gemacht. „Irgendwann wurdeder Weg zur Uni zerbombt, spätestens da konnte ich nichtmehr zu den Vorlesungen“, erzählt sie. 2016 kam Haya nachÖsterreich. „Ich durfte hier lange nicht arbeiten. Ich habeschwarz als Babysitterin gearbeitet, ehrenamtlich gedolmetscht,alles.“ Um hier den Master machen zu können, hatHaya noch ein Dokument über den Nachweis ihres Bachelorstudiumsgefehlt – sie hat es bei der Flucht zurückgelassenund hatte bis heute keine Möglichkeit, es zu holen. „Ich hatteden ISIC-Ausweis (Anm.: International Student Identity Card).Aber immer hat noch etwas gefehlt, es gab keine klarenRegelungen“, sagt Haya frustriert.„Ich wollte unbedingt weiterstudierenund arbeiten. Am Anfangwar ich sehr motiviert, aber danndachte ich mir irgendwann: Hierist alles so bürokratisch, dannstudiere ich halt nicht.“ UnzähligeStunden hat Haya damit verbracht,Dokumente nachzureichen, vonBehörde zu Behörde zu laufen. Bis/ POLITIKA / 17