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Beitrag - MEK

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Gottfried von Straßburg und Ovid 45<br />

18991ff.). Isolde mit den wîzen handen (Trist. 18960f.) und die blonde Isolde von<br />

Irland, sie haben denselben Eigennamen; und diese Namensgleichheit verwirrt<br />

Tristan, der Isolde fliehen will und Isolde findet. Die schöne Herzogstochter von<br />

Arundel läßt in ihm zunächst die quälende Sehnsucht nach der fernen Geliebten noch<br />

stärker werden, ein schmerzlich-süßes Gefühl, dem er sich willig überläßt; und der<br />

nahen Isolde, die in ihm die frühere Liebesglut zu voller Stärke entfacht, ihr glaubt er<br />

ebenfalls zu inniger Sympathie verpflichtet zu sein, weil sie ja den Namen seiner<br />

Geliebten trägt; ja, er redet sich ein, wenn er der nahen Isolde mit Liebe begegne,<br />

werde seine nach Cornwall gerichtete qualvolle Sehnsucht gelindert.<br />

Seine Gefühle verwirren sich; schließlich weiß er selbst nicht so genau, wem eigentlich<br />

seine Liebe gilt. Zugleich hat er die Hoffnung, daß seine senebürde (die Last seiner<br />

Sehnsuchtspein) durch die Zuwendung zu Isolde Weißhand leichter werden könnte<br />

(Trist. 19058-66, 19079-88). Dahinter steht offenbar der Ovidianische Erfahrungssatz<br />

(Remedia 462): Successore novo vincitur omnis amor (jede Liebe wird durch eine<br />

Nachfolgerin, durch eine neue Liebe besiegt). Und was die Gleichheit der Eigennamen<br />

(bei nur verschiedenen Beinamen) zwischen Isolde Weißhand und Isolde von<br />

Irland betrifft, sieht sich Tristan in einer vergleichbaren Lage wie einst der Atride<br />

Agamemnon, dem die schöne Chryseis, die er sich als Kriegsbeute erworben hatte,<br />

weggenommen wurde und der sich mit dem Gedanken anfreundete, sich über ihren<br />

Verlust mit der ebenfalls schönen Briseis hinwegzutrösten, indem er bei sich selbst<br />

überlegte (so Ovid, Remedia 475f.):<br />

„Est“ ait Atrides „illius proxima forma<br />

Et, si prima sinat syllaba, nomen idem.“ 37<br />

Noch weiß Tristan nicht, wie er sich endgültig entscheiden soll, für Isolde von Irland<br />

oder für Isolde Weißhand. In dieser Lage wähnt er immerhin, daß die ihn qualvoll bedrängende<br />

Liebe in ihrer Kraft gemindert werden könnte, wenn er seine Liebe zerteilen<br />

und beide Isolden zu lieben vermöchte:<br />

ich hân doch dicke daz gelesen<br />

und weiz wol, daz ein trûtschaft<br />

benimet der anderen ir kraft.<br />

des Rînes flieze und sîn flôz<br />

der enist an keiner stat sô grôz,<br />

man enmüge dervon gegiezen<br />

mit einzelingen fliezen<br />

sô vil, daz er sich gâr zerlât<br />

und mæzlîche kraft hât.<br />

sus wirt der michele Rîn<br />

vil kûme ein kleinez rinnelîn.<br />

kein fiur hât ouch sô grôze kraft,<br />

wird diese Betätigung der Freundschaft dir Nutzen bringen, der nicht leicht wiegt.“ – Das bekannte Freundespaar<br />

Pylades und Orest wird hier exemplarisch genannt.<br />

37 Übersetzung (Lenz) der Rede des Atriden Agamemnon: „Es gibt eine [scil. Briseis], die ihr [scil. der Chryseis]<br />

an Schönheit sehr nahe kommt, und abgesehen von der ersten Silbe, ist auch der Name der gleiche.“

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