Beitrag - MEK
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Gottfried von Straßburg und Ovid 49<br />
ankündigen; 46 wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln, daß die Ankündigung eingelöst<br />
worden wäre, hätte Gottfried seinen Roman zu Ende schreiben können, woran<br />
ihn – wie seine Fortsetzer glaubhaft behaupten – sein Tod gehindert hat (und nicht<br />
etwa irgendein konzeptioneller Grund). 47<br />
Welchen Sinn könnten dann aber die Versuche Tristans haben, bei sich die Ovidianischen<br />
Heilmittel gegen die Liebe anzuwenden? – Ich denke, es sollte dabei gezeigt<br />
werden, daß diese Remedia bei Tristan letztlich wirkungslos bleiben, daß seine Liebe<br />
zu Isolde von Irland stärker ist als alle Arzneien gegen sie. Dabei dürfte Gottfried<br />
denselben Zweischritt im Sinn gehabt haben, den er im Prolog bereits gegangen ist:<br />
zuerst die Berufung auf die Autorität Ovids und dann die Kritik an seiner Vorstellung<br />
einer möglichst leidfreien Liebe. Gottfrieds Tristan mochte durch Ovids Heilungsangebote<br />
eine Zeitlang in Versuchung geführt werden. Letztlich würde es ihm nicht<br />
möglich sein, sich als edelen senedæren zu verleugnen. Er würde nicht ein triurelôser<br />
Tristan sein können. Gottfrieds Minnekonzept der Freude und Leid umspannenden<br />
Liebe würde über die Idee einer manipulierbaren Liebe, die leidlose Lust erstrebt, triumphieren.<br />
Ovid, der praeceptor amoris, sollte also in einem entscheidenden Punkt<br />
Kritik erfahren. 48 Vieles andere bei ihm blieb dabei unangetastet: einzelne Gedanken,<br />
Beobachtungen, Erfahrungen, die Liebesmetaphorik und die Kunst der Gefühlsanalyse.<br />
Hier hat Gottfried (wie ich angedeutet habe) durchaus viel beim antiken<br />
Meister gelernt und ihn eifrig nachgeahmt. Sein Verhältnis zu Ovid ist (das wollte ich<br />
zeigen) nicht eindeutig, nicht nur zustimmend oder ablehnend, sondern spannungsreich,<br />
ambivalent.<br />
46 Vgl. Trist. 211-232, 2011-2015. – Vgl. JOHNSON, L. PETER: Gottfried von Straßburg: ‘Tristan’. – In: BRUNNER,<br />
HORST (Hg.): Interpretationen. Mittelhochdeutsche Romane und Heldenepen. Stuttgart, 1993, S. 233-254, hier<br />
S. 234-236.<br />
47<br />
ULRICH VON TÜRHEIM: Tristan 1-5 (Ausg. von Thomas Kerth, Tübingen, 1979); HEINRICH VON FREIBERG:<br />
Tristan 30-34, 40-52 (Ausg. von Karl Bartsch, Leipzig, 1877).<br />
48 Vgl. MEISSBURGER (wie Anm. 9), S. 8; MCDONALD (wie Anm. 19), S. 264f. – Für Anregungen und für Hilfe<br />
bei der Fertigstellung dieses <strong>Beitrag</strong>s danke ich Susanne Flecken-Büttner (Germanistisches Seminar, Bonn).