Beitrag - MEK
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70<br />
Helmut Tervooren<br />
seine Qualitäten als Werber bzw. Bote, 32 wird zur Mitte der Horant-Figur. Horant ist<br />
Minnesänger. Daß die Hörer (und Rezipienten) ihn so imaginieren sollen, signalisiert<br />
der Kudrun-Dichter allein schon dadurch, daß er ihn Hetels Werbung um Hilde in<br />
Worten vortragen läßt, die einer Strophe Meinlohs von Sevelingen (I,2) entnommen<br />
zu sein scheinen. Weitere Indizien: Horant liebt die Frauen, und sie lieben ihn (234,<br />
2-3; 247; 354, 3-4). Er ist dër aller bás singéste man33 – wie es im Dukus Horant heißt<br />
– und zudem der bestangezogene am Hofe (333). Alles das macht ihn zum idealen<br />
Werber für Hetel, aber auch zu einem Werber, der andere gefährdet und selbst<br />
gefährdet ist. Denn die Werbung ist keinesfalls im Kern „problemlos“ und „höfisch<br />
durchgeführt“, wie eine neuere Interpretation vorgibt. 34<br />
Die Anlage der Figur hat zur Folge, daß Horant eine andere Position im Erzählgefüge<br />
einnimmt als Volker. Letzterer ist Freund Hagens und tapferer Gefolgsmann der burgundischen<br />
Könige. Nirgendwo gewinnt er aufgrund seiner musischen und virilen<br />
Qualitäten ein eigenes Profil. Er verrichtet die Aufgabe des Hofsängers gleichsam<br />
„nebenamtlich“. Leser der späteren Aventiuren des Nibelungenliedes können sogar<br />
den Eindruck haben, daß Volkers kurze Auftritte als Sänger vor allem die Funktion<br />
haben, die umfangreiche Metaphorik von Fiedel und Schwert abzurufen, die geradezu<br />
zum Signalement der Volker-Aristien wird (1821; 1966; 1976; 2002; 2007; 2270).<br />
Dies alles ist möglich, weil die Determinanten der Volker-Figur klar sind und die<br />
Rolle des Sängers und die des Liebenden bei ihm nicht zusammenfallen. Bei Horant<br />
bleibt aber eben das über weite Partien unklar: In der VI. Aventiure steht neben dem<br />
politischen Diskurs der Werbung unüberhörbar immer auch ein Liebesdiskurs. Das<br />
bringt Spannung, aber auch eine Sprengkraft in das Geschehen, denn die Hörer (wie<br />
auch die epischen Figuren) müssen sich fragen, ob Horant nur Werber für seinen<br />
König ist oder auch selbst in das sich anbahnende Liebesgeschehen verwickelt wird.<br />
Die Aventiure folgt darüber hinaus einem Erzählschema, wie es die Spielmannsepik<br />
für den Brautraub, speziell für den Brautraub über einen Stellvertreter entwickelt hat.<br />
Das Schema läßt zwei Lösungen zu, 35 und dies wissen die Hörer. Ist die Politik die<br />
Diskursdominante (wie etwa im Rother), endet das Geschehen mit einer politischen<br />
Allianz, d.h. der Werber weist auf einen Kommenden, bei dem sich das Ereignis vollendet.<br />
Dominiert jedoch die Liebe den Diskurs (wie etwa im Tristan), ist die Gefahr<br />
der Aufhebung üblicher Regeln und Rollen, der Grenzüberschreitungen und Norm-<br />
31 Zur Figur Horant vgl. HOFFMANN: Kudrun, S. 61-70, KÄSTNER: Harfe und Schwert, S. 85-88, und auch<br />
MCCONNEL, WINDER: The Epic of Kudrun. A critical Commentary. Göppingen, 1988 (= Göppinger Arbeiten zur<br />
Germanistik, 463), S. 35f.<br />
32 Volker hat Werber- bzw. Botenqualitäten, aber sie werden nur angedeutet, einmal indirekt, als darauf verwiesen<br />
wird, daß er wegkundig sei (1594), zum anderen in den werbenden Worten am Hofe Rüdigers (1674f.).<br />
Im Vergleich mit Horant ist das Motiv, das zur Minnesänger-Rolle gehört und sich episch ausspinnen ließe, aber<br />
sparsam ausgestattet.<br />
33<br />
GANZ, PETER [u.a.] (Hg.): Dukus Horant. Tübingen, 1964 (= Altdeutsche Textbibliothek, Erg.-Reihe, 2), F 42,3.<br />
34<br />
SIEBERT, BARBARA: Rezeption und Produktion. Bezugssysteme in der ‘Kudrun’. Göppingen, 1988 (= Göppinger<br />
Arbeiten zur Germanistik, 491), S. 100 u. 103.<br />
35 Vgl. etwa RUH, KURT: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. Tl. 2: ‘Reinhart Fuchs’, ‘Lanzelet’, Wolfram<br />
von Eschenbach, Gottfried von Straßburg. Berlin, 1980 (= Grundlagen der Germanistik, 25), S. 217.