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AUSGABE 24
11. Juni 2022
EUROPEAN MAGAZINE AWA R D WINNER 2022 POLITICS & SOCIETY /// INFOGRAPHIC
KUNST
Der große Streit
zur Eröffnung
der Documenta
in Kassel
Angela Merkel
UND WIE SIE
DIE WELT SIEHT
Was sie über Putin denkt,
wie es ihr geht,
was sie bereut. Ein Abend
mit der Ex-Kanzlerin
RETTEN SIE
IHR GELD
Was jetzt gegen Inflation,
Zinswende und Rezession hilft
Alle FOCUS-Titel to go.
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E-PAPER LESEN:
MILITÄRISCH-
INDUSTRIELLER KOMPLEX
Günter Bannas und Björn Müller
über die Bundeswehr
Seite 2
11. Juni 2022 | #31
Seiten 4 & 6
SCHLINGE UM
DEN HALS
Jonathan Lutes über die bedrohte
amerikanische Demokratie
Seite 5
Herausgegeben von Ulrich Deppendorf und Ursula Münch
Kiewer Denkmal für die Opfer des Holodomor, des Hungergenozids der Jahre 1923-1933 in der Ukraine
EDITORIAL
Wie findet die Union
aus der Falle der Beliebigkeit?
Von Robert Schneider, Chefredakteur
Foto: Peter Rigaud/FOCUS-Magazin
Liebe Leserinnen,
liebe Leser,
„Wir müssen wieder mehr streiten in der
Sache!“ Ein Wunsch, den der Vorsitzende
der CDU-Grundsatzkommission, Carsten
Linnemann, für die Erarbeitung des neuen
Grundsatzprogramms seiner Partei
hegt. Und der wurde sogleich erfüllt. Mit
der Mittelstands- und Wirtschaftsunion
sowie der Jungen Union wollen gleich
zwei bedeutende Parteigliederungen eine
Mitgliederbefragung über die Einführung
einer Frauenquote erzwingen.
Treibende Kraft hinter dem
Vorstoß, mit dem sich bereits
kommende Woche der CDU-
Vorstand befassen dürfte, ist
Gitta Connemann, die neue
Chefin der Mittelstandsunion
(und Nachfolgerin in dieser
Position von Carsten Linnemann).
Eine Frau also will
zusammen mit der Parteijugend
die Frauenquote in der
CDU verhindern – mithilfe der
Basis! Denn unter den Parteimitgliedern
ist die Frauenquote
deutlich unbeliebter als im
Vorstand oder bei den Parteitagsdelegierten.
Der Streit geht um Grundsätzliches:
Die CDU versteht
sich bislang als eine Partei,
die für Chancengerechtigkeit und eben
nicht für Ergebnisgerechtigkeit eintritt.
Auch deshalb können sich viele in der
Partei nicht mit der Quote anfreunden.
Eine Quote schreibt eben das Ergebnis
von Wahlen in den Gremien vor: Die Hälfte
der zu Wählenden müssen Frauen sein.
Grüne, Linke und SPD haben seit Längerem
Quotenregelungen und können auf
zum Teil erheblich höhere Frauenanteile
in Gefolgschaft und Parlamenten verweisen
als CDU und CSU. Daraus zieht
die Frauen-Union den Schluss, dass ohne
Quote die Gleichstellung im politischen
Betrieb nicht zu erreichen sei. Es geht um
ein wichtiges Anliegen, wie ein Blick auf
unsere Regierung zeigt.
DER HAUPTSTADTBRIEF
EXKLUSIV
FÜR
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Hundert Jahre Hunger
Kriege, Konflikte, Klimawandel –
Christine Wieck über die Ursachen der Welternährungskrise
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Analysen zur Politik
Möglicherweise wäre Olaf Scholz nicht
Bundeskanzler geworden, wenn er nicht
versprochen hätte, sein Kabinett zur Hälfte
mit Frauen zu besetzen. Andererseits wäre
dann Christine Lambrecht höchstwahrscheinlich
nicht Bundesverteidigungsministerin
geworden. Und Nancy Faeser wäre
weiter in Hessen statt im Bundesinnenministerium
aktiv. Und vielleicht wäre Robert
Habeck ohne Quote Kanzlerkandidat der
Grünen und Kanzler geworden. Schon diese
Beispiele zeigen, dass man in der Politik
manches anstoßen, aber meistens nicht die
Ergebnisse festlegen kann. Viele Grüne
und Linke können ja bis heute
nicht fassen, dass mit Angela
Merkel 2005 die erste Bundeskanzlerin
aus einer Partei
ohne Quote kam – und gleich
16 Jahre lang blieb.
Diese 16 Jahre könnten ein
Argument für die neue CDU-
Führung sein, über die Einführung
einer Quote noch einmal
gründlich nachzudenken und
vor allem: ergebnisoffen zu
diskutieren. Denn eine Union,
die mit einer gewissen Zuverlässigkeit
und lediglich mit
einigen Jahren oder Jahrzehnten
Abstand nachholt, was
andere Parteien längst anbieten,
macht sich eher beliebig.
Das war ja genau die Taktik
von Merkel: die Übernahme
wichtiger Inhalte vor allem der Grünen
und der SPD, um so die Unterschiede zur
Union zu verwischen und die Wähler anderer
Parteien zu demobilisieren. Merkel
hat das gestärkt, aber den rechten politischen
Rand auch.
Die CDU sollte ohnehin darüber nachdenken,
ob sie sich als „Volkspartei der
Mitte“ vor allem über den Begriff der
„sozialen und ökologischen Marktwirtschaft“
definieren möchte und ob sie
an erste Stelle das Ziel einer beschleunigten
Klimaneutralität setzen will. In
dieser Pauschalität setzt sie damit auf
Kernkompetenzen anderer Parteien, vernachlässigt
die eigenen und beschädigt
so ihre Glaubwürdigkeit. Nur ein Beispiel:
Beim Thema Klimaschutz würden
mich die Positionen der CDU zur Atomkraft
oder zum Fracking-Gas interessieren.
Gerade bei der Kernkraft kann ja der
überstürzte Ausstieg nach der Katastrophe
in Fukushima nicht die letztgültige
Antwort sein. Schon gar nicht, wenn man
bedenkt, dass weltweit die Technologie
von Kleinreaktoren erforscht wird. Denn
spannend wird es in der Politik immer,
wenn es konkret wird. Die CDU sollte
also die Frage möglichst konkret beantworten,
was eine ökologische Marktwirtschaft
im Kern ausmacht, was der Begriff
im Spannungsfeld zwischen industrieller
Produktion und Umweltschutz bedeuten
soll. Parteien tun sich keinen Gefallen,
wenn sie sich neue Begriffe wie Marketingbotschaften
aufpappen und dahinter
inhaltliche Leere gähnt.
Friedrich Merz hat gesagt, er halte eine
Quote nur für die „zweitbeste Lösung“.
Ich würde ihm raten, die Suche nach der
besten Lösung nicht einzustellen, sondern
die ganze Partei und die Bürger daran zu
beteiligen. Und ich würde ihm raten, mit
der Finanzchefin der Post, Melanie Kreis,
zu reden. Zur Quote sagte sie den Kollegen
der „Welt“: „Ich halte nichts davon, etwas
zu tun, weil es von außen erzwungen
wird.“ Und das, obwohl sie die einzige
Frau im Vorstand des Post-Konzerns ist.
Welche Gesprächspartnerin könnte für
die CDU-Führung jetzt interessanter sein?
Nach meiner Überzeugung gehört den
interessanten Parteien die Zukunft, wie
man nicht zuletzt von den Grünen lernen
kann. Ob Joschka Fischer oder Robert
Habeck – niemand hat uns an den zum
Teil schmerzhaften eigenen Lernprozessen
intensiver teilnehmen lassen als die
Grünen!
Herzlich Ihr
FOCUS 24/2022 3
Haltung zeigen
Joe Biden erklärt,
was in der Ukraine
auf dem Spiel
steht: auch
unsere Freiheit
Seite 22
Fragen stellen
Angela Merkel
gab in Berlin
ihr erstes
Interview als
Altkanzlerin
Seite 28
Zukunft planen
Cool oder spießig?
Jack-Wolfskin-
Chef Richard Collier
will die Marke
neu erfinden
Seite 62
Glück suchen
Wie bewerten
junge Chinesen
und Chinesinnen
ihr Land? Wie
wollen sie leben?
Seite 44
Ruhe bewahren
Schon vor der
Kunstschau Documenta hagelt
es Kritik – die der Veranstalter
einfach nicht ausräumen kann
Seite 80
Die neue Chefin baut den Frankfurter Zoo um. Auch der Pfau muss umziehen Seite 72
4
INHALT NR. 24 | 11. JUNI 2022
Titelthema
44 Generation C
Ihr Land kontrolliert immer stärker die
globale Wirtschaft, strebt nach Wachstum.
Doch sie wollen anders leben. Ein Treffen
mit jungen Chinesen und Chinesinnen
Kultur
80 Im Hexenkassel
Schon vor Beginn der Weltkunstschau
Documenta entbrannte Streit. Die Vorwürfe:
Antisemitismus und Israelfeindlichkeit
Titel: Getty Images (2), Fabian Sommer/dpa, Composing FOCUS Magazin
50 So retten Sie Ihr Geld!
Aktien, Gold, Anleihen – alle Kurse sinken derzeit.
Und die Inflation setzt der Kaufkraft zu.
Dennoch gibt es Möglichkeiten, das eigene
Vermögen in der Krise zu schützen
55 „Der Druck bleibt gewaltig“
Ökonom Thomas Mayer erklärt die
Auswirkungen der aktuellen Geldpolitik
57 Die Prognosen der Profis
Was Finanzexperten und -expertinnen raten
Agenda
22 Warum wir der Ukraine helfen
Die demokratische Welt muss handeln,
damit dieser Krieg nicht zum Präzedenzfall
wird. Ein Aufruf von US-Präsident Joe Biden
Politik
Wirtschaft
62 Die Neuvermessung der Tatze
Wie der neue Chef Richard Collier aus Jack
Wolfskin eine Milliarden-Marke machen will
68 Geldmarkt
Wissen
72 „Die Tiere sind unsere Botschaft“
Als erste Frau an der Spitze des altehrwürdigen
Frankfurter Zoos möchte Christina
Geiger Artenschutz und Tierhaltung vereinen
77 Tesla der Meere
Stromtanker statt Ölfracht: Ein japanisches
Start-up will grüne Energie verschiffen
79 Wenn sich Wanderer verschätzen
In den Bergen häufen sich die Notrufe
86 Die Frau, der Frankreich zu Füßen liegt
Schauspielerin Léa Seydoux gibt in der
Satire „France“ eine heillos eitle Reporterin
88 Schönheit gegen Barbarei
Musik, Bücher und Filme, mit denen es sich
lustvoll der bitteren Realität trotzen lässt
90 Tyrannosaurus Boss
Der letzte Teil der „Jurassic“-Reihe kommt
ins Kino. Das Ende einer Ära. Ein
bittersüßer Abschied zwischen Dinos,
Katastrophen und Jeff Goldblum
Leben
98 Darf’s ein bisschen Meer sein?
Und wieder kaufen die Deutschen Mallorca
auf. Aus Angst vor Inflation, klar. Aber vor
allem mit Blick auf eine emotionale Rendite
104 Grüner wird es nicht
Starkoch Yotam Ottolenghi feiert die Erntezeit
der Saubohnen mit saugutem Salat
106 „Wir liegen unter Mindestlohn“
Die deutschen Beachvolleyballerinnen
Karla Borger und Julia Sude fordern
mehr Weitsicht in der Sportpolitik
Fotos: Captital Pictures/dpa, Fabian Sommer/dpa, Bastian Thiery für FOCUS-Magazin,
Jonas Ratermann für FOCUS-Magazin, Thomas Banneyer/dpa, documenta fifteen 2022
28 Merkel und wie sie die Welt sieht
185 Tage ohne sie, ohne Raute, ohne
Kanzlerin. Bei ihrem ersten Auftritt nach
Amtsende gibt sich Angela Merkel entspannt.
Zu entspannt? Eine Analyse
35 Der politische Datenstrudel
Cem Özdemir räumt das Kühlregal um,
Nancy Pelosi diskutiert über Waffengesetze
und Deutschland whatsappt
36 Dammbruch in Meck-Pomm
Manuela Schwesig kämpft um das politische
Überleben. Ein Untersuchungsausschuss
entscheidet nun über ihre Zukunft
40 Die Täter in der Oberleitung
Journalist Arno Luis erklärt, warum er die
Deutsche Bahn für das dysfunktionalste
System der Bundesrepublik hält
42 Brüssel Calling
Kurz vor dem nächsten entscheidenden
EU-Gipfel beantworten wir die zehn
wichtigsten Fragen zur Zukunft Europas
Zähne zeigen
Jeff Goldblum
reanimiert im
dritten Teil von
„Jurassic World“
wieder die
Dinos
Seite 90
109 Das Online-only-Auto
Hyundais Edelmarke Genesis startet rasant
und vor allem stylish die Stromoffensive
3 Editorial
6 Kolumne von
Jan Fleischhauer
9 Nachrichten
10 Fotos der Woche
16 Grafik der Woche
Speiseöl
18 Menschen
78 Wir müssen reden
Rubriken
Titelthemen sind rot markiert
85 Bestseller
85 Impressum
89 Salon
110 Die Einflussreichen
112 Leserbriefe
113 Nachrufe
113 Servicenummern
114 Tagebuch
FOCUS 24/2022 5
AGENDA
Warum wir der Ukraine helfen
Der Westen will keinen Konflikt mit Russland. Aber mit seinem Überfall
auf das Nachbarland hat Wladimir Putin alle Regeln für das internationale
Zusammenleben gebrochen. Die demokratische Welt muss
handeln, damit dieser Krieg nicht zu einem Präzedenzfall wird
Ein Aufruf von Joe Biden, 46. Präsident der USA
Chefsache
Auf dem Südrasen
des Weißen Hauses
erklärt Joe Biden den
Journalisten die Lage –
mit dem Engagement
für die Ukraine beweist
der 79-Jährige seine
außenpolitische Power
Fotos: Captital Pictures/dpa
22 FOCUS 24/2022
UKRAINE-KRIEG
23
WIRTSCHAFT
Geldschmelze
Eine Inflation von 7,9 Prozent bedeutet:
Für das, was letzten Monat noch
10 000 Euro kostete,zahlt man nun im
Schnitt schon 10 790 Euro
50
FOCUS 24/2022
TITEL
So retten Sie Ihr Geld
Die Inflation kostet die Deutschen Kaufkraft – so viel
wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Umso wichtiger ist es,
das Ersparte zu vermehren. Doch auch das war lange nicht
so schwer wie heute. Aktien, Gold, Anleihen: Fast alle
Kurse geben nach. Woran das liegt und mit welchen Tipps
Anleger jetzt ihr Vermögen schützen
TEXT VON ULI DÖNCH, CARLA NEUHAUS UND PETER STEINKIRCHNER
ILLUSTRATIONEN VON THOMAS FUCHS
Quelle: fmh.de
8,0
7,0
EZB-Leitzins
6,0
5,0
Inflation
4,0
3,0
2,0
1,0
0,0
–1,0
–2,0
6/93 1/95 1/00 1/05 1/10 1/15 1/20 5/22
Preissprung
Niedrige Zinsen, hohe Inflation:
Das ist für Verbraucher bitter.
Ihr Vermögen verliert an Wert
51
KINO
Foto: dpa
Natürlich wollte niemand
auf ihn hören.
Seit knapp dreißig
Jahren warnt Dr. Ian
Malcolm nun schon
vor den Gefahren der
Dinosaurier für die
Menschheit, doch die Menschen sehen
in ihnen je nach Weltsicht eine groß -
artige Geschäftsidee, ein Wunder der
Wissenschaft oder aber possierliche, wenn
auch etwas zu groß geratene Tierchen.
Trotz des Wohlwollens zeigen die Saurier
ihrerseits aber keinerlei Respekt für
all die zivilisatorischen Errungenschaften,
die uns lieb und teuer sind,
wie etwa Eigentumsverhältnisse,
Straßenverkehrsregeln und
Ladenöffnungszeiten. Probleme
sind also unvermeidlich.
Inzwischen sind die Saurier
jedenfalls überall. In „Jurassic
World: Ein neues Zeitalter“, dem
Abschluss der „Jurassic World“-
Trilogie und der sechsten Folge
der „Jurassic“-Reihe insgesamt,
trollen sie durch die Wälder,
grasen in der Prärie und nisten
auf Hochhausdächern. „Ja, ich
weiß auch nicht, warum man
nicht auf Ian Malcolm hören
will“, sagt Jeff Goldblum, der
den beliebten Chaostheoretiker
seit dem ersten Teil spielt und
von der Deutschlandpremiere in
Köln per Telefon zugeschaltet
ist. „Dabei ist Malcolm ja ein
anerkannter Experte und redet
über die Weltuntergangsuhr,
die Spezies Mensch und was sie tun
könnte und sollte, um das Ruder doch
herumzureißen.“ Im mutmaßlich letzten
Teil der Reihe sieht man, wie er einen
Vortrag hält und das Auditorium gebannt
seinen Worten lauscht. Aber dann endet
alles wieder im Desaster. Goldblum pragmatisch:
„Ja, sonst gäbe es ja auch keinen
neuen Film.“
Urlaub mit Dinos
Die „Jurassic“-Reihe gibt es, seit Steven
Spielberg 1993 Michael Crichtons Roman
„DinoPark“ auf die Leinwand brachte. Im
Zentrum stand damals ein Multimilliardär,
der mittels Gentechnologie allerhand
Dinosaurier zum Leben erweckt hatte, die
in seinem Freizeitpark gleich um die Ecke
von Costa Rica auf der pazifischen Insel
Nublar die Besucher unterhalten sollten.
Aufgrund einer unglücklichen Kombination
von Gier, Pech, Unvermögen, Hybris,
technischen Problemen, einem Unwetter
sowie zweifelhaften Mitarbeitern nutzten
aber bald die schönsten Sicherheitsvorkehrungen
nichts. Zäune wurden niedergetrampelt
und Leute am Wegesrand verspeist,
weshalb alle, die die Katastrophe
überlebten, zu dem Schluss kamen, dass
sie sich die Wiederbelebung der Dinosaurier
irgendwie anders vorgestellt hatten.
Niemand hatte auch mit einem derart
durchschlagenden Erfolg gerechnet. Im
Jahr seines Kinostarts spielte der Film
knapp 913 Millionen Dollar ein und war
damit der erfolgreichste Film aller Zeiten,
Tyrannosaurus
Boss
Es heißt Abschied nehmen.
„Jurassic World: Ein neues Zeitalter“
ist der angeblich letzte Teil der
beliebten Filmreihe. Dabei kann es im
Kino gar nicht genug Dinosaurier geben
TEXT VON HARALD PETERS
bis James Cameron vier Jahre später die
„Titanic“ versenken sollte. Der Film zog
Videospiele, Brettspiele, Spielfiguren, Comics,
Ausstellungen, Freizeitparkattraktionen
nach sich sowie selbstverständlich
einen weiteren Film.
Nur vier Jahre später ließ Spielberg
in „Vergessene Welt: Jurassic Park“ auf
Nublars Nachbarinsel Sorna, wo die
Dinos ohne Touristen ungestört ihren
Dino-Geschäften nachgingen, Großwildjäger
und Tierschützer aufeinandertreffen,
zwei natürliche Feinde, die im Verbund
mit Tyrannosaurus Rex, Compsognathus,
Pachycephalosaurus und wie sie alle heißen
wieder ein mächtiges Durcheinander
veranstalteten.
Die Daimler-Benz AG nutzte damals den
sagenhaften Erfolg der Filmreihe und platzierte
zur Markteinführung zwei Modelle
seiner Mercedes-M-Klasse in der Hand-
lung, um sie dann im Chaos zerdeppern
zu lassen. Mögliche Werbebotschaft:
stabil, aber im Falle eines Dino-Angriffs
vielleicht doch nicht ausreichend. Zum
Abschluss der ersten Trilogie wurde
2001 in „Jurassic Park III“ ein weiteres
Mal die Insel Sorna angesteuert, was im
Ergebnis allerdings nur von überschaubarer
künstlerischer Bedeutung war.
Mit „Jurassic World“, dem Beginn der
zweiten Trilogie, ging 2015 wieder alles
von vorne los. Die Figuren waren neu,
aber die Geschichte bekannt: Freizeitparkträume,
geklonte Saurier, unvorhergesehene
Probleme, Schäden noch und
nöcher. In „Jurassic World: Das
gefallene Königreich“ kam es
drei Jahre später erneut zum
Showdown zwischen Tierschützern
und Großwildjägern, die
im Auftrag eines fragwürdigen
Unternehmens die Dinos
an zwielichtige Milliardäre verhökerten.
Wieder verlief nichts
nach Plan, weswegen man
es nun im dritten Teil mit frei
laufenden Sauriern zu tun hat
sowie einem seltsamen Dino-
Reservat in den Dolomiten, das
von einem dubiosen Tech-Guru
betrieben wird, den man sich als
eine soziopathische Mischung
aus Mark Zuckerberg, Steve
Jobs, Elon Musk und Peter Thiel
vorstellen muss. Was könnte da
schon schiefgehen?
Urlaub mit Dinos
Nun könnte man die frappierende
Ähnlichkeit der ersten mit der
zweiten Trilogie als Beweis für die Einfallslosigkeit
der Macher nehmen, doch
andererseits ist es vielleicht auch eine
Metapher für die Dummheit der Menschheit,
die verdammt zu sein scheint, die
gleichen Fehler wieder und wieder zu
begehen. „Das scheint tatsächlich eines
der großen Probleme von uns zu sein“,
sagt Goldblum. Andererseits seien wir
als Spezies aber auch ausgesucht widerstandsfähig,
was besonders für Goldblum
selbst gilt, sonst hätte er wohl nicht so
lange in der Rolle überlebt. Inzwischen
scheint Goldblum die Rolle derart verinnerlicht
zu haben, dass er sich keine
erkennbare Mühe mehr gibt, sie auch
nur ansatzweise überzeugend zu spielen
– was dem Spaß im Großen und Ganzen
aber keinen Abbruch tut, man schaut ihm
einfach gerne zu.
FOCUS 24/2022 91