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FOCUS-25_2022_Vorschau

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AUSGABE <strong>25</strong><br />

18. Juni <strong>2022</strong><br />

EUROPEAN MAGAZINE AWA R D WINNER <strong>2022</strong> POLITICS & SOCIETY /// INFOGRAPHIC<br />

BEWEG<br />

DICH!<br />

Die besten Tipps von Deutschlands<br />

bekanntestem Sportmediziner<br />

ELVIS LEBT!<br />

Das Kino-Comeback<br />

des King of<br />

ROCK ’N’ ROLL<br />

Der Eibsee.<br />

Als Gott Bayern<br />

erschuf, hatte er<br />

einen guten Tag!<br />

Traumziele in<br />

DEUTSCHLAND<br />

Von den Alpen bis zur Küste:<br />

wo Urlaub am schönsten ist<br />

(die meisten davon mit dem 9-Euro-Ticket der Bahn erreichbar)<br />

POLITIK<br />

Auf welchem Auge sind Sie<br />

blind, Ministerin Faeser?<br />

PSYCHOLOGIE<br />

Wie Kinder nach der<br />

Pandemie Kraft finden<br />

WIRTSCHAFT<br />

Im Zukunftslabor von<br />

Software-Gigant SAP


Alle <strong>FOCUS</strong>-Titel to go.<br />

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JETZT<br />

E-PAPER LESEN:


Seite 4<br />

Seite 6<br />

EDITORIAL<br />

Über Migranten, den Arbeitsmarkt,<br />

richtige und falsche Anreize<br />

Von Robert Schneider, Chefredakteur<br />

Fo t o : P e t e r R i g a u d / F O C U S - M a g a z i n<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk,<br />

dessen Talent zur Undiplomatie ich<br />

gelegentlich schätze, hat diese Woche den<br />

Vorwurf erhoben, viele seiner Landsleute<br />

würden Deutschland wieder verlassen,<br />

weil sie sich hier nicht willkommen fühlten.<br />

Bestimmt haben Flüchtlinge aus der von<br />

Russland überfallenen Ukraine in Deutschland<br />

auch schlechte Erfahrungen gemacht,<br />

haben erleben müssen, dass andere ihre<br />

Notlage auszunutzen versuchen. Für die<br />

deutsche Gesellschaft insgesamt und vor<br />

allem für den deutschen Staat kann ich<br />

den Vorwurf jedoch nicht gelten lassen.<br />

Nur ein Beispiel: Seit dem 1. Juni haben<br />

registrierte Flüchtlinge aus der Ukraine<br />

hierzulande Anspruch auf Grundsicherung<br />

wie jeder einheimische Arbeitslose<br />

und anerkannte Asylbewerber statt auf<br />

Unterstützung nur nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.<br />

Das hat Folgen für<br />

unser System der sozialen Sicherung: Die<br />

Bundesagentur für Arbeit schätzt, dass<br />

sich im Laufe des Jahres mehr als 700 000<br />

Leistungsberechtigte aus der Ukraine in<br />

den Jobcentern melden werden – überwiegend<br />

Frauen, die mit ihren Kindern<br />

nach Deutschland gekommen sind, während<br />

ihre Männer die Heimat verteidigen.<br />

Zusammen mit dem ehrenamtlichen<br />

Engagement vieler Bürger kann man,<br />

wie ich finde, von gelebter Willkommenskultur<br />

sprechen.<br />

Was gerne vergessen wird: Schon vor<br />

dem russischen Überfall auf die Ukraine<br />

und der daraus resultierenden Fluchtbewegung<br />

lag der Anteil der Hartz-IV-<br />

Berechtigten mit Migrationshintergrund<br />

bei etwas über 50 Prozent. Das ist in -<br />

sofern bemerkenswert, als der Anteil der<br />

Menschen mit Migrationshintergrund<br />

an der Gesamtbevölkerung mit 27 Prozent<br />

(2021) deutlich niedriger ausfällt.<br />

Das sollte, das kann eine Gesellschaft<br />

mit erheblichen demografischen Problemen<br />

nicht hinnehmen – allein schon mit<br />

Blick auf den akuten Mangel<br />

an Facharbeitern nicht, der sich<br />

immer stärker als entscheidendes<br />

Wachstumshemmnis erweist.<br />

Und deshalb kann man mit Skepsis auf<br />

ein anderes Vorhaben der Ampel schauen:<br />

das „Chancen-Aufenthaltsrecht“ von<br />

Bundesinnenministerin Nancy Faeser.<br />

Im Kern geht es darum, eigentlich ausreisepflichtigen<br />

Ausländern, die fünf<br />

Jahre oder länger geduldet in Deutschland<br />

leben, für ein Jahr eine Aufenthaltserlaubnis<br />

auf Probe zu geben, damit sie<br />

sich in diesen zwölf Monaten für einen<br />

unbegrenzten Aufenthalt qualifizieren<br />

können. Wir reden also über Menschen,<br />

deren Antrag auf Asyl vom BAMF und<br />

häufig auch gerichtlich abgelehnt wurde<br />

und die ihrer Ausreisepflicht nicht nachkommen,<br />

auch wenn das in Einzelfällen<br />

berechtigt sein mag.<br />

Ich bin immer dafür, Menschen eine<br />

Chance zu bieten. Gleichzeitig fällt mir<br />

ein, was der griechische Migrationsminister<br />

Notis Mitarakis im Oktober 2021<br />

den westeuropäischen Industriestaaten<br />

ins Stammbuch schrieb: „Anerkannte<br />

Flüchtlinge bekommen hier dasselbe<br />

Sozialpaket wie griechische Bürger:<br />

weniger als 400 Euro pro Monat, keine<br />

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SITZENGELASSEN<br />

Günter Bannas über<br />

den Attraktivitätsverlust<br />

der FDP<br />

DER HAUPTSTADTBRIEF<br />

EXKLUSIV<br />

FÜR<br />

<strong>FOCUS</strong><br />

ABONNENTEN<br />

Herausgegeben von Ulrich Deppendorf und Ursula Münch<br />

Dieser Weg wird<br />

kein leichter sein<br />

Wie der Krieg in der Ukraine in einem<br />

Verhandlungsfrieden enden könnte<br />

Von Harald Kujat Seite 2<br />

18. Juni <strong>2022</strong> | #32<br />

kostenlose Unterkunft oder Mietübernahme.“<br />

In Deutschland, Österreich oder<br />

Schweden aber hätten sie Anspruch auf<br />

Leistungen, die über den Gehältern der<br />

Griechen lägen.<br />

Im Klartext: Solange es keinen einheitlichen<br />

Umgang in der EU mit Flüchtlingen<br />

gibt, wird es Flüchtlingsströme aus<br />

dem Süden in den Norden und Westen<br />

der Gemeinschaft geben. Ich frage mich,<br />

ob es wirklich klug ist, eine derart breite<br />

Brücke aus dem Asylverfahren in eine<br />

dauerhafte Einwanderung ohne Vorliegen<br />

politischer Verfolgung oder anderer<br />

Fluchtgründe zu bauen. Das wird sich<br />

schnell herumsprechen in der Welt.<br />

Befürworter solcher Lockerungen argumentieren<br />

nicht zuletzt mit dem Mangel<br />

an Facharbeitern und Arbeitskräften<br />

in Deutschland. Doch in den Jahren<br />

2015/2016 sind gut eine Million Menschen<br />

zu uns gekommen, ohne dass sich<br />

daran spürbar etwas geändert hätte. Im<br />

Gegenteil: Viele Geschäfte, Handwerksbetriebe<br />

und Unternehmen müssen Aufträge<br />

ablehnen, Geschäftszeiten verkürzen<br />

oder die Produktion runterfahren,<br />

SACHSENRINGEN<br />

Roland Löffler über<br />

Stärke und Schwäche<br />

der AfD im Freistaat<br />

Herzlich Ihr<br />

weil es an Personal fehlt. Aus<br />

Kriegsflüchtlingen und politisch<br />

Verfolgten werden nur in<br />

wenigen Fällen Facharbeiter.<br />

Die müssen wir schon gezielt<br />

anwerben, bevorzugt in anderen<br />

EU-Staaten.<br />

Doch dazu hört man nichts von<br />

den Ampelparteien, nichts vom<br />

Wirtschafts- und Klimaminister,<br />

nichts vom Finanzminister und<br />

nichts vom Bundeskanzler – leider auch<br />

nichts von der Union. Dabei ist die Frage,<br />

wie künftig der Arbeitskräftebedarf gedeckt<br />

werden soll, um einiges wichtiger<br />

für die Zukunft des Landes als Tankrabatt<br />

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<strong>FOCUS</strong> <strong>25</strong>/<strong>2022</strong> 3


Großer Geburtstag<br />

SAP-Gründer Hasso Plattner<br />

beim Börsengang 1988.<br />

Inzwischen ist der<br />

Konzern schon 50<br />

Seite 46<br />

Holde Heimat<br />

Innenministerin<br />

Nancy Faeser (SPD)<br />

und die Debatte<br />

über den umstrittenen<br />

Begriff<br />

Seite 28<br />

Kruder Komplize<br />

Epstein-Gehilfe<br />

und Modelagent<br />

Jean-Luc Brunel soll<br />

unzählige Frauen<br />

missbraucht haben<br />

Seite 22<br />

Starkes Stück<br />

Im Restaurant<br />

„Hawksmoor“ in<br />

London werden<br />

die besten Steaks<br />

der Welt gegrillt<br />

Seite 104<br />

Der neue VW Taigo ist ein echtes Gute-Laune-Mobil Seite 112<br />

4 <strong>FOCUS</strong> <strong>25</strong>/<strong>2022</strong>


INHALT NR. <strong>25</strong> | 18. JUNI <strong>2022</strong><br />

Titelthema<br />

Wirtschaft<br />

46 SAP und das Rezept für Zukunft<br />

Nach erfolgsverwöhnten Jahren steckt<br />

Deutschlands einziger großer Softwarekonzern<br />

in der Krise. Doch es gibt Hoffnung<br />

69 Völlig losgelöst von Russland<br />

Eine neue Generation europäischer<br />

Vega-Raketen startet ins All<br />

Kultur<br />

Titel: Strandkorb: Jorg Greuel/Getty Images, Warner Bros. Bergsee: Ioana<br />

Catalina E/ Shutterstock, Warner Bros.<br />

Fo t o s : J o n a s H o l t h a u s f ü r F O C U S - M a g a z i n , V o l k s w a g e n A G , m a u r i t i u s i m a g e s<br />

92 Sehnsucht Deutschland<br />

Die schönsten Urlaubsorte liegen vor der<br />

eigenen Haustür: warum wir uns auch<br />

in diesem Jahr wieder am liebsten in den<br />

deutschen Regionen erholen<br />

96 22 Tipps für den Sommer <strong>2022</strong><br />

Berge, Seen, Strand, Kultur und Kulinarik:<br />

die reizvollsten Ziele zwischen Baltrum,<br />

Allgäu, Seenplatte und Rheinland<br />

Agenda<br />

22 Vergiftete Träume<br />

Er war einer der mächtigsten Männer der<br />

Modeindustrie und Teil von Jeffrey Epsteins<br />

Missbrauchsring: Jean-Luc Brunel. Vier<br />

seiner Opfer erzählen ihre Geschichte<br />

Politik<br />

28 Was bedeutet Heimat, Frau Faeser?<br />

Sie ist die erste deutsche Innenministerin<br />

und steht schon seit Amtsantritt im<br />

Sturm: Nancy Faeser im Gespräch über<br />

wachsenden Extremismus, Migration und<br />

einen umstrittenen Begriff<br />

34 Lauterbach gegen die Mediziner<br />

Der Gesundheitsminister legt ein neues<br />

Triage-Gesetz vor, das auf deutschen<br />

Intensivstationen für Unmut sorgt<br />

36 Der Lastenträger<br />

Topberater Jörg Kukies bereitet für Olaf<br />

Scholz den G7-Gipfel in Elmau vor. Wer ist<br />

der Mann, dem der Kanzler vertraut?<br />

38 Politischer Datenstrudel<br />

Luisa Neubauer brodelt, Frau Strack-Zimmermann<br />

reist und Stephan Weil musiziert<br />

40 Unten sind alle Kumpels gleich<br />

Trotz Krieg laufen die Kohlekraftwerke<br />

ukrainischer Oligarchen im Donbass weiter.<br />

Ein Besuch 500 Meter unter der Erde<br />

52 Der Weltbeweger<br />

Logistik-Milliardär Klaus-Michael Kühne<br />

spricht über Krise, Krieg und Konjunktur<br />

56 Geldmarkt<br />

Wissen<br />

60 Generation Corona<br />

Kinder und Jugendliche litten stark unter der<br />

Pandemie. Auch seelisch. Was muss passieren,<br />

damit die Schäden nicht weiterwirken?<br />

65 Wie der Krieg die Delfine tötet<br />

Im Schwarzen Meer ist die Heimat der<br />

Tiere und das gesamte Ökosystem bedroht<br />

66 Von Menschen und Managern<br />

Corinne Flick diskutiert, ob der Mensch den<br />

Klimawandel noch beeinflussen kann<br />

Ewiger Elvis<br />

Luhrmanns<br />

Werk beleuchtet<br />

das schwierige<br />

Verhältnis der<br />

Poplegende zu<br />

seinem Manager<br />

Seite 70<br />

70 Comeback des King<br />

Baz Luhrmanns neuer Film „Elvis“ erzählt die<br />

Geschichte des wohl größten Untoten der<br />

Popgeschichte – und deutet sie neu<br />

76 Überirdisch leise und höllisch laut<br />

Unsere Filme, Alben, Bücher der Woche<br />

geben sich seelenruhig und herzensmutig<br />

78 Don versus Donald<br />

Er ist einer der erfolgreichsten US-Autoren.<br />

Doch jetzt gibt Don Winslow das Schreiben<br />

auf – um Trumps Rückkehr zu verhindern<br />

Leben<br />

104 Das beste Steak der Welt<br />

Das „Hawksmoor“ in London gilt als erste<br />

Adresse für perfekt gegrilltes Fleisch. Wir<br />

haben da mal nach ein paar Tipps gefragt<br />

108 Feuer und Flamme<br />

Ottolenghis Grillmöhren-Dip macht sich auf<br />

dem Teller gut zu Steak<br />

110 Der Freischwimmer<br />

Kurz vor der WM: ein Gespräch mit Deutschlands<br />

Welt-Langstreckler Florian Wellbrock<br />

112 Lass den Taigo von der Leine<br />

Entwickelt in Brasilien, gebaut in Spanien.<br />

VW stellt ein internationales SUV vor<br />

3 Editorial<br />

6 Kolumne von<br />

Jan Fleischhauer<br />

9 Nachrichten<br />

10 Fotos der Woche<br />

16 Grafik der Woche<br />

LNG-Terminals<br />

18 Menschen<br />

68 Echt irre<br />

77 Salon<br />

Rubriken<br />

82 Bestseller<br />

82 Impressum<br />

113 Podcast von Thilo<br />

Mischke<br />

114 Die Einflussreichen<br />

116 Leserbriefe<br />

117 Nachrufe<br />

117 Servicenummern<br />

118 Tagebuch<br />

Titelthemen sind rot markiert<br />

<strong>FOCUS</strong> <strong>25</strong>/<strong>2022</strong> 5


AGENDA<br />

POLITIK<br />

Anschein<br />

Brunels Agentur Karin Models gehörte in den 80er<br />

und 90er Jahren zu den einflussreichsten der<br />

Modebranche. Mädchen aus der ganzen Welt<br />

kamen damals nach Paris, um dort einen Vertrag<br />

zu ergattern. Sie traten in Fashion Shows wie<br />

diesen auf, wurden wichtigen Branchengrößen<br />

vorgestellt – und in vielen Fällen durch Drogen<br />

und Missbrauch am Ende psychisch gebrochen<br />

22


GESELLSCHAFT<br />

Vergiftete Träume<br />

Sie reisten nach Paris, um groß rauszukommen, doch am<br />

Ende wurde ihr Leben zerstört. Der einflussreiche Modeagent<br />

Jean-Luc Brunel soll unzählige junge Models vergewaltigt<br />

haben und Teil von Jeffrey Epsteins Missbrauchsring gewesen<br />

sein. Hier erzählen vier seiner Opfer ihre Geschichte – von<br />

Macht, Missbrauch und einer Industrie, die zu lange wegsah<br />

TEXT VON LUCY OSBORNE<br />

Foto: Laurent Zabulon/ddp images<br />

<strong>FOCUS</strong> <strong>25</strong>/<strong>2022</strong><br />

23


POLITIK<br />

Unter Tage<br />

Bergwerksdirektor<br />

Ruslan Chawrenkow (r.)<br />

inspiziert mit Ingenieuren<br />

Equipment in der Kohlemine<br />

von Perschotrawensk<br />

Unter Tage sind alle Kumpels gleich<br />

Trotz Krieg in unmittelbarer Nähe laufen viele Kohleminen im Donbass weiter. Ein Besuch<br />

in einem Bergwerk des ukrainischen Oligarchen Rinat Achmetow, 500 Meter unter der Erde<br />

E<br />

lf Jahre harte Arbeit haben<br />

Alexej zu einem Menschen<br />

gemacht, der vieles ertragen<br />

kann. „Ich habe nur Angst<br />

um meine Familie.“ Mehr<br />

hat der 26-jährige Schachtarbeiter<br />

zum Krieg nicht zu<br />

sagen. Er will nicht fortgehen von hier,<br />

von Perschotrawensk im Osten der Ukraine,<br />

dort, wo er sein ganzes Leben verbracht<br />

hat – obwohl die Front nur 80 Kilometer<br />

entfernt ist. Und er will schon gar<br />

nicht seinen Job aufgeben, den er ausübt,<br />

seit er 15 ist. Dabei ist der so strapaziös.<br />

„Das ist meine Arbeit. Punkt“, sagt er.<br />

Kumpels wie Alexej machen nicht viele<br />

Worte, den größten Teil ihres Lebens<br />

verbringen sie an einem Ort, an dem es<br />

ohnehin zu laut ist zum Reden.<br />

TEXT VON PHILIP MALZAHN FOTOS VON ANTONI LALLICAN<br />

Alexej arbeitet 500 Meter unter der<br />

Erde, in einer Kohlemine im Donbass.<br />

Fünf Tage die Woche, acht Stunden lang<br />

schuftet er dort. So war es in den vergangenen<br />

sieben Jahren, seit der Konflikt mit<br />

Russland begann, und so ist es auch jetzt<br />

noch, während der Krieg im Osten immer<br />

brutaler wütet. Er taucht dann ab in eine<br />

andere Welt, in der nur zählt, ob man sich<br />

auf den anderen verlassen kann.<br />

Unten im Schacht navigiert Alexej eine<br />

batteriebetriebene Zugmaschine aus Sowjetzeiten,<br />

im Bergarbeiterslang „Karetta“<br />

oder „Wagenkutsche“ genannt. Unter<br />

heftigem Dröhnen und Quietschen transportiert<br />

sie die Arbeiter über das 178 Kilometer<br />

lange unterirdische Schienennetz.<br />

Meist kutschiert Alexej seine Kollegen zu<br />

einem Tunnel von weniger als 1,5 Metern<br />

Höhe, wo sie auf Knien weiterrobben müssen,<br />

um die Kohle zu erreichen. Dann fährt<br />

er die Kumpel und den Ertrag des Tages<br />

wieder zurück. Eine gefährliche Angelegenheit,<br />

nicht nur wegen der Einsturzgefahr,<br />

sondern auch, weil die Strecke<br />

auf feuchtem Boden permanent repariert<br />

oder umgebaut werden muss. Die Karetta<br />

ist Alexej schon einmal entgleist. Bei<br />

voller Fahrt.<br />

Trotzdem kann er sich ein anderes Leben<br />

nicht vorstellen, auch wenn der Krieg vor<br />

seiner Haustür ein gutes Argument wäre.<br />

Schon um seine Frau Marina und die kleine<br />

Tochter Viktoria zu schützen. Dabei<br />

ist Perschotrawensk, zu Deutsch „Erster<br />

Mai“, nicht einmal eine besonders hübsche<br />

Stadt. Das können auch die hier und<br />

da gepflanzten Rosenstöcke nicht verde-<br />

40 <strong>FOCUS</strong> <strong>25</strong>/<strong>2022</strong>


UKRAINE<br />

Fo t o : Thomas Trutschel/dpa (1)<br />

cken. Heruntergekommene graue Mehrfamilienhäuser,<br />

paar Supermärkte, einen<br />

Park, viel mehr gibt es nicht. In den 1950er<br />

Jahren für Schachtarbeiter gegründet, ist<br />

in der Stadt die Steinkohle immer noch<br />

der wichtigste Wirtschaftszweig.<br />

Superreich und umstritten<br />

Die Mine, in der Alexej arbeitet, wird seit<br />

1970 betrieben, ihre grundlegende Infrastruktur<br />

stammt noch aus Sowjetzeiten.<br />

Auch die große Zugschaufel, die stündlich<br />

960 Kubikmeter Kohle aus der Tiefe holt,<br />

ist ein Original. Beim Namen<br />

der Mine bittet die Sprecherin<br />

der Anlage aus unerfindlichen<br />

Gründen um Diskretion.<br />

Vielleicht hängt das mit deren<br />

Eigentümer zusammen, denn<br />

seit Anfang der 2000er Jahre<br />

gehört die Mine Rinat Achmetow,<br />

dem reichsten Oligarchen<br />

der Ukraine. Und einem<br />

der umstrittensten.<br />

Noch 2021 warf ihm der<br />

ukrainische Präsident Wolodymyr<br />

Selenskyj vor, in einen<br />

angeblichen Putschversuch<br />

verwickelt zu sein. Achmetow,<br />

Der Pate Rinat Achmetow ist<br />

Bergwerkbesitzer, dubioser<br />

Oligarch und reichster Ukrainer<br />

Liftführerin<br />

Eine der wenigen Frauen<br />

im Bergwerk: Natalja<br />

Babak, 45, ist für den Lift<br />

zuständig, der in<br />

500 Meter Tiefe fährt<br />

Gemeinschaft<br />

„Ruhm den Bergarbeitern“<br />

steht auf dem Plakat,<br />

darüber eine Erinnerung<br />

an den Sieg über Nazi-<br />

Deutschland<br />

Sowjeterbe<br />

Am Rand der<br />

Kleinstadt<br />

Perschotrawensk<br />

liegt<br />

die seit 1970<br />

betriebene<br />

Mine. Teile der<br />

Infrastruktur<br />

stammen<br />

noch aus der<br />

Sowjetzeit<br />

Profiboxer und Sohn eines Bergmannes<br />

aus Donezk, galt zudem als Förderer des<br />

früheren prorussischen Regierungschefs<br />

Viktor Janukowitsch. Laut ukrainischen<br />

Medien ermittelt die Staatsanwaltschaft<br />

auch in 200 Fällen gegen die Geschäfte<br />

des Magnaten. Zu dessen Holding SCM<br />

gehören Medien, Banken, Versicherungen<br />

und Stahlunternehmen wie Asowstal in<br />

Mariupol, in dem sich die wochenlange<br />

Besetzungstragödie abspielte.<br />

Achmetows Kohle- und Stromerzeugerfirma<br />

DTEK betreibe neun Minen in der<br />

Ukraine und sei vor Kriegsbeginn<br />

für mehr als 60 Prozent<br />

der Steinkohleförderung verantwortlich<br />

gewesen, erzählt<br />

Minen-Direktor Ruslan<br />

Chawrenkow, ein kerniger<br />

Mann, der sich vom Lehrling<br />

an die Spitze hochgearbeitet<br />

hat. Wie viel es nach dem<br />

Krieg sein werde? Achselzucken.<br />

Man habe ohnehin<br />

keine andere Wahl, als so<br />

lange wie möglich weiterzuproduzieren.<br />

Zu Kriegsbeginn<br />

hätten die ukrainischen<br />

Kohlevorräte ohne weitere<br />

Förderung für zehn Tage gereicht.<br />

DTEK fördert nicht nur Steinkohle,<br />

sondern produziert etwa 27 Prozent des<br />

Stroms in der Ukraine. Einen Teil der Kohle<br />

nutzt das Unternehmen zur Stromerzeugung<br />

in den eigenen Kraftwerken. Um<br />

welche Mengen es sich dabei handele,<br />

und wie viel an die eigene Regierung oder<br />

ins Ausland verkauft werde, dürfe man<br />

nicht sagen, so Chawrenkow. Das Energieministerium<br />

werte diese Information<br />

als strategisch wichtig und habe sie deshalb<br />

zensiert. Doch so<br />

viel könne man sagen:<br />

Während in einer staatlichen<br />

Mine die Produktionskosten<br />

für<br />

eine Tonne Steinkohle<br />

etwa 12000 ukrainische<br />

Griwna betrügen, koste<br />

DTEK die Produktion<br />

nur knapp über 900,<br />

so der Minenchef. Und<br />

das, obwohl der Durchschnittslohn<br />

der Angestellten<br />

mit 1000 Euro<br />

im Monat weit über dem<br />

Durchschnitt im Donbass<br />

liege. Ein Grund<br />

für die gesteigerte Effizienz<br />

in DTEK-Minen<br />

sei etwa die Installation eines Wi-Fi-Netzes<br />

im Schacht. Mitarbeiter erhielten Aufgaben<br />

direkt auf ihr Handy und könnten<br />

so permanent mit ihren Vorgesetzten kommunizieren.<br />

Inzwischen bemüht sich Achmetow, der<br />

immer zwischen der Ukraine und Russland<br />

lavierte, um eine eindeutige Haltung.<br />

Seine Firma Metinvest produziert<br />

jetzt Panzersperren und Stahlbetonblöcke<br />

für die Ukraine. Das Land verlassen<br />

wie manch andere Superreiche will<br />

er auch nicht. „Ich warte aufrichtig auf<br />

den Sieg der Ukraine“, erklärte er kurz<br />

nach Beginn des Krieges. Und versprach<br />

zugleich, eine Milliarde Griwna Steuern<br />

an den kriegsgebeutelten ukrainischen<br />

Staat im Voraus zu bezahlen. Zudem<br />

überwies er rund 70 Millionen Euro für<br />

humanitäre Hilfe und Unterstützung von<br />

Streitkräften und Territorialverteidigung.<br />

Das Geld floss über seine Stiftung und<br />

den Fußballverein Schachtar Donezk,<br />

den er 1996 übernahm. Der Klub spielt<br />

seit der Übernahme von Donezk durch<br />

prorussische Separatisten im westukrainischen<br />

„Exil“.<br />

Anders als der unerschütterliche Alexej<br />

ergriffen zu Beginn des Krieges<br />

<strong>FOCUS</strong> <strong>25</strong>/<strong>2022</strong> 41


GELDMARKT<br />

Die Finanz-Kolumne<br />

von Georg Meck,<br />

<strong>FOCUS</strong>-MONEY-<br />

Chefredakteur<br />

Spannung<br />

Die Wiederverwertung<br />

von<br />

Energiespeichern<br />

dürfte<br />

zum Riesengeschäft<br />

werden<br />

Fo t o s : F r a n k R ö t h ; I l l u s t r a t i o n : V e c t o r S t o c k , C o m p o s i n g : Fo c u s M o n e y<br />

Geldentwertung<br />

Die Inflation, der<br />

Spargel und die EZB<br />

Die Geschichte der Geldentwertung<br />

muss womöglich neu geschrieben<br />

werden. Ausgerechnet die Spargelbauern<br />

melden sich als vermeintlich<br />

erste Opfer der Inflation.<br />

Weil sie ihre Ware nicht loswerden,<br />

mögen sie die Stangen gar nicht erst<br />

aus dem Boden stechen und beenden<br />

die Saison früher als sonst. Wegen der<br />

Inflation sagen sie, die habe den<br />

Leuten den Appetit auf den Spargel<br />

verdorben. Das stimmt freilich nur<br />

halb: Der Handel verkauft durchaus<br />

Spargel, nur eben aus Ländern, die<br />

ihn günstiger liefern. Wahr ist: Wenn<br />

die Preise um acht Prozent steigen,<br />

wie gegenwärtig der Fall, wird es für<br />

viele eng in der Haushaltskasse. Noch<br />

dazu können die wackeren Sparer<br />

dem Geld auf dem Konto zusehen,<br />

wie es schmilzt. Die rasante Geldentwertung<br />

straft all jene Lügen, die<br />

sie nicht hatten kommen sehen, allen<br />

voran die Europäische Zentralbank<br />

(EZB) und ihre argumentativen<br />

Helferlein, welche die Sorge um die<br />

Stabilität des Geldes als Ausfluss<br />

einer krankhaften Inflationsfurcht der<br />

Deutschen verunglimpft hatten. Man<br />

möge nur nicht darüber reden, dann<br />

werde schon alles gut, so die perfide<br />

Argumentation. Diese Strategie ist in<br />

sich zusammengebrochen, wie die<br />

Horrorstatistiken jetzt fast täglich<br />

beweisen. Nichts beschäftigt die<br />

Menschen heute mehr als die<br />

Geldentwertung, die Inflation belegt<br />

laut einer Studie der Beratungsgesellschaft<br />

Boston Consulting Platz<br />

eins der Ängste in Amerika wie in<br />

Europa. Zwei Drittel der Befragten<br />

sorgen sich demnach um ihre<br />

finanzielle Situation – und das sind<br />

nicht nur Spargelbauern.<br />

Quelle: Finanzwoche<br />

Gleich mehrfach unter Strom<br />

Millionen von Autobatterien sowie<br />

Akkus aus Handys, Tablets<br />

und Laptops stehen vor ihrem<br />

zweiten Leben. Allein den US-Recyclingmarkt<br />

für die Energiespeicher schätzen<br />

Experten auf etwa <strong>25</strong> Milliarden Dollar<br />

Umsatz jährlich. Dort bringen die ers -<br />

ten (2017 verkauften) E-Fahrzeuge am<br />

Ende ihres Lebens zyklus rund <strong>25</strong>0 000<br />

Tonnen an Altbat terien auf die Waage.<br />

Weltweit ist es eine Million. Und das<br />

ist erst der Anfang. Der Unternehmensberater<br />

Deloitte erwartet einen Absatzschub<br />

bei Elektroautos von vier Millionen<br />

(2021) auf 31 Millionen Fahrzeuge<br />

2030. Tendenz: rasant steigend. Allein<br />

um die Umweltbilanz der Stromer im<br />

Lot zu halten, ist die Wiederverwertung<br />

der Batterien ein Muss. Von diesem<br />

stark wachsenden Geschäft dürften profitieren:<br />

• Die Firma Aurubis, die mit ihrer neuen<br />

Strategie „Metals for Progress. Driving<br />

Börsenstimmung<br />

Recycling<br />

Quelle: Finanzen100<br />

US-Aktien-Bewertung halbiert<br />

D<br />

er Standard-&-Poor’s-500-Index gilt als der<br />

wichtigste Index für Dividendenwerte weltweit.<br />

Er bündelt die 500 wertvollsten US-amerikanischen<br />

Börsenfirmen und ist global das Aktienbarometer<br />

mit der höchsten Marktkapitalisierung. Klar, dass<br />

Investoren genau auf dessen Bewertung achten.<br />

12-Monats-KGV im S&P 500<br />

2013<br />

15 19 21<br />

2021<br />

40<br />

35<br />

30<br />

<strong>25</strong><br />

20<br />

15<br />

10<br />

Aurubis<br />

Und diese ist,<br />

gemessen am Kurs-<br />

Gewinn-Verhältnis<br />

(KGV), von ihrem<br />

2021er-Hoch von<br />

durchschnittlich<br />

36 auf moderate<br />

18 gesunken – gut<br />

für künftige Kursgewinne.<br />

30<br />

2017 18 19 20 21 <strong>2022</strong><br />

Luft holen Der deutsche Recycling-Spezialist<br />

Aurubis wächst rasant, die Aktie hat Potenzial<br />

Sustainable Growth“ im Recyclingbereich<br />

weiter auf Wachstum setzt und<br />

kräftig investiert (ISIN: DE0006766504).<br />

• Die kanadische AG Li-Cycle, die der<br />

größte Wiederverwerter von Lithium-<br />

Ionen-Batterien in Nordamerika ist.<br />

Laut Firmenangaben werden bis zu 95<br />

Prozent der Metalle aus Akkus zurückgewonnen<br />

(ISIN: CA50202P1053).<br />

Deal der Woche<br />

Euro<br />

Insider kaufen<br />

110<br />

90<br />

70<br />

50<br />

B<br />

eim Betreiber der<br />

größten deutschen<br />

Wertpapierbörse in<br />

Frankfurt sowie der Terminbörse<br />

Eurex haben<br />

mehrere Vorstände<br />

massiv<br />

eigene Aktien<br />

erworben. Insgesamt<br />

steckten sie mehr als 3,7<br />

Millionen Euro in Anteile<br />

ihres Unternehmens, das<br />

immer mehr als Hochtechno<br />

logiefirma wahrgenommen<br />

wird – ein starker<br />

Vertrauensbeweis.<br />

56<br />

<strong>FOCUS</strong> <strong>25</strong>/<strong>2022</strong>

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