Innenstadtleben
ISBN 978-3-86859-757-8
ISBN 978-3-86859-757-8
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KONFERENZ ZUR SCHÖNHEIT UND
LEBENSFÄHIGKEIT DER STADT
BAND 11
INNEN
STADT
LEBEN
DEUTSCHES INSTITUT
FÜR STADTBAUKUNST
CHRISTOPH MÄCKLER /
WOLFGANG SONNE (HG.)
Inhalt
8
Vorwort
TAG 1
12 Eröffnung Christoph Mäckler
14 Grußwort Ina Scharrenbach
16 Grußwort Robin Denstorff
20 Grußwort Mike Josef
22 Grußwort Burkhard Jung
26 Grußwort Manfred Bayer
ERFAHRUNGEN AUS DER BAU- UND PLANUNGSPRAXIS 1
30 Impuls 1 SOLINGEN Hartmut Hoferichter
36 Impuls 2 DARMSTADT Barbara Boczek
40 Impuls 3 HALLE (SAALE) René Rebenstorf
44 Diskussion
ERFAHRUNGEN AUS DER BAU- UND PLANUNGSPRAXIS 2
52 Impuls 1 HEIDELBERG Jürgen Odszuck
56 Impuls 2 DÜSSELDORF Cornelia Zuschke
68 Impuls 3 LEIPZIG Thomas Dienberg
72 Diskussion
ERFAHRUNGEN AUS DER BAU- UND PLANUNGSPRAXIS 3
82 Impuls 1 BOCHUM Markus Bradtke
88 Impuls 2 CHEMNITZ Börries Butenop
92 Diskussion
ERFAHRUNGEN AUS DER BAU- UND PLANUNGSPRAXIS 4
104 Impuls 1 KASSEL Christof Nolda
108 Impuls 2 MÜNCHEN Elisabeth Merk
114 Impuls 3 SCHWÄBISCH GMÜND Julius Mihm
118 Diskussion
128 PODIUMSDISKUSSION FUSSGÄNGERZONE
WDR mit Jörg Biesler
4 Inhalt
TAG 2
144 Eröffnung Barbara Ettinger-Brinckmann
146 Grußwort Thomas Lennertz
ERFAHRUNGEN AUS DER BAU- UND PLANUNGSPRAXIS 5
152 Impuls 1 TÜBINGEN Cord Soehlke
158 Impuls 2 REGENSBURG Christine Schimpfermann
162 Impuls 3 WISMAR Michael Berkhahn
168 Diskussion
ERFAHRUNGEN AUS DER BAU- UND PLANUNGSPRAXIS 6
182 Impuls 1 ULM Tim von Winning
188 Impuls 2 LEVERKUSEN Andrea Deppe
194 Impuls 3 KÖLN Markus Greitemann
200 Diskussion
ERFAHRUNGEN AUS DER BAU- UND PLANUNGSPRAXIS 7
210 Impuls 1 DORTMUND Ludger Wilde
216 Impuls 2 KIEL Doris Grondke
222 Impuls 3 ROSTOCK Holger Matthäus
228 Diskussion
ERFAHRUNGEN AUS DER BAU- UND PLANUNGSPRAXIS 8
240 Impuls 1 DRESDEN Stefan Szuggat
244 Impuls 2 GÖTTINGEN Claudia Baumgartner
252 Impuls 3 DUISBURG Martin Linne
258 Diskussion
266 Resümee Mike Groschek
270 Schlussdiskussion
286 Schlusswort Christoph Mäckler
288 STUDENTISCHER FÖRDERPREIS STADTBAUKUNST 2021
302 Impressionen
310 Kurzbiografien
318 Danksagungen
320 Impressum
5
Hybridveranstaltung aus dem Belvedere über dem Main in Frankfurt am 22. und 23. Juni 2021
6
7
Vorwort
Innenstadtleben
Weniger Autos, eine soziale und funktionale Mischung,
mehr Wohnraum, Kultur und mehr Alleen und Parks –
das sind die gemeinsamen Ziele von 23 deutschen Städten für unsere Innenstädte
Baubürgermeisterinnen und Baubürgermeister,
Dezernentinnen und Dezernenten aus 23 deutschen
Städten stellten bei der zweitägigen Konferenz zur
Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt No. 11 des
Deutschen Institut für Stadtbaukunst zum Thema
Innenstadtleben ihre Konzepte und Ideen für die
Innenstädte, die sich im stetigen Wandel befinden,
vor. Insbesondere der zunehmende Onlinehandel
stellt die Bauverantwortlichen in den Städten vor
enorme Herausforderungen, die durch die Coronapandemie
noch zusätzlich verstärkt wurden.
Auf die optimistisch stimmenden Grußworte von
Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales,
Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen
und Burkhard Jung, Präsident des
Deutschen Städte tages und Oberbürgermeister der
Stadt Leipzig folgten zwei intensive Konferenztage
für mehr als 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer
beziehungsweise Zuschauerinnen und Zuschauer
mit aufschlussreichen Präsentationen, angeregten
Diskussionsrunden und interessanten Filmbeiträgen.
Die Pandemie ist ein Brandbeschleuniger für
einen schon vor der Pandemie von vielen Stadtplanerinnen
und Stadtplanern eingeforderten und lange
vorbereiteten Transformationsprozess. Durch massiven
Veränderungsdruck und mithilfe umfangreicher
Förderprogramme, zum Beispiel in NRW, aber
auch im Bund, kann man auf eine gute Zukunft für
unsere Innenstädte hoffen.
So individuell und einzigartig jede einzelne Stadt
Antworten auf die zahlreichen Fragen sucht und
findet, so viel Übereinstimmung gibt es bei den
Zielen: Raus aus der Monotonie der Monokultur
der Citys, es braucht soziale und funktionale Mischung
und schö ne öffentliche Räume. Ökonomie,
Klima und Gemeinwohl stehen dabei im Vordergrund,
wobei Bildung, Kultur und Wissenschaft
ebenso wie Wohnen und verträgliches Gewerbe in
die Städte integriert werden müssen. Start-ups soll
zukünftig mehr Raum gegeben werden, die Verkehrswende
hin zu weniger Autos umgesetzt, sowie
eine Begrünung der Städte im Form von Parks,
Boulevards und Alleen geplant werden, statt mit
Fassadenbegrünung fadenscheinige Symbolpolitik
zu betreiben. Mut zum Experiment und zur Bürgerbeteiligung,
aber auch klare Nutzungsregulierungen,
Handelsflächen beschränkungen und eine restriktive
Handelspolitik können helfen, lebendige
Zentren zu schaffen und somit die Innenstädte wieder
zum Wohnzimmer und Treffpunkt für Jung und
Alt zu machen. Hier soll gelebt, gewohnt und gearbeitet
werden. In vielen Städten werden neue Räume
für kleine Manufakturen und kulturelle Interventionen
entwickelt und Städte nutzen ihre topographischen
Besonderheiten, wie zum Beispiel die Nähe
zum Wasser, um authentische und atmosphärische
öffentliche Räume für die Bewohnerinnen und Bewohner
zu schaffen. So wird die Stadt der Zukunft
dicht, sozial gerecht, vielfältig, spannend, lebendig,
8 Vorwort
überraschend und schön, wie es von den Teilnehmenden
in den Diskussionen gefordert wurde.
Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundes architekten
kammer, betonte, dass durch mehr Parks
und Boulevards und die Reduzierung der Verkehrsflächen
die Aufenthaltsqualität der Städte deutlich
verbessert werden kann. Zudem sollen die Innenstädte
durch kurze Wege, mehr Frei- und Grünflächen,
mehr Dachbegrünung und eine Anpassung
der baulichen Struktur an die sich wandelnden
Bedingungen lebenswerter gestaltet werden.
Die von Ministerin Ina Scharrenbach in ihrem Grußwort
erneut angeregte Änderung der Baunutzungsverordnung
aus den 1960er Jahren und die Umsetzung
einer aktiven Bodenpolitik sind elementare
Bedingungen für einen gelingenden Umbau unserer
Innenstädte und eine gerechtere Verteilung bezahlbaren
Wohnraums. Zudem müssen an potentielle
private Investoren und Wohnungsbaugesellschaften,
klare gestalterische und funktionale Forderungen
gestellt werden, bevor eine innerstädtische
Baugenehmigung überhaupt erteilt wird. Um aus
Unorten, wie beispielsweise Bahnhöfen und ihren
Vorplätzen, lebendige Stadtbereiche zu machen,
müssten auch die Verantwortlichen der Deutsche
Bahn aufgefordert werden, endlich ihren Teil zur
Urbanisierung beizutragen, so Jörn Walter, Oberbaudirektor
a.D. Freie und Hansestadt Hamburg.
Kirchen und andere Denkmäler und Monumente
einer Stadt wirken nicht nur für die Stadtsilhouette
identitätsstiftend, sondern sie sind Ruhepole und
Tourismusattrak tionen, die zur wirtschaftlichen
Entwicklung der Innen städte beitragen. Beiräte,
wie sie in den meisten der 23 vorgestellten Städte
bereits aktiv sind, sollen für die geforderte Qualität
der Gestaltung des öffentlichen Raums sorgen. Citymanager
werden verstärkt gebraucht, um Regularien
und Vorgaben der Verwaltung für die Nutzungen
in Innen städten zu entwickeln und durchzusetzen.
Nach dem Motto »gut Ding will Weile haben« brauchen
Innenstädte viele Jahrzehnte, ja viele Jahrhunderte,
um zu wachsen. Die europäische Stadt soll
zukünftig schöner und lebenswerter, nachhaltiger
und sozialer gestaltet werden. Darüber waren sich
Barbara Ettinger-Brinckmann, Elisabeth Merk,
Reiner Nagel und Hilmar von Lojewski sowie die
Konferenzteilnehmenden einig.
Christoph Mäckler
Wolfgang Sonne
2021
9
Tag 1
Innenstadtleben
Corona hat die Lage nur verschärft: Der Wandel im
Handel stellt unsere Innenstädte vor große Herausforderungen.
Onlinehandel, periphere Shop ping
Malls, temporäre Ausgangsbeschränkungen und
überzogene Handelsflächenmieten setzen den
Innen stadtgeschäften zu. Der Handel ist seit je ein
notwendiger Bestandteil der Stadt: ohne Handel
keine Stadtwerdung. Doch die Stadt ist auch nie
allein eine Handelsmesse: ohne Wohnen, diversi fiziertes
Arbeiten, Bildung und Kultur ist Stadt auch
nicht zu haben. Betrachtet man die Innenstadt
aus diesem gesamtstädtischen Blickwinkel, bietet
der sich vollziehende Wandel auch Chancen:
Das seit einem Jahrhundert propagierte Ideal der
City bildung mit der Monofunktionalisierung der
Kernstädte hat ausgedient. Innenstädte müssen
nicht länger allein dem Handel und der Büroarbeit
dienen, sie können wieder vermehrt auch Wohn-,
Produktions-, Bildungs-, Kultur- und Erholungsfunktionen
aufnehmen.
Die bereits vielfach in Diskussion befindlichen
Fragen zu ökonomischen, sozialen, ökologischen
und mobilitätstechnischen Strategien zur Innenstadtentwicklung
wollen wir mit städtebaulichen
und archi tektonischen Fragestellungen verbinden.
Welche städtebaulichen Typologien ermöglichen
vielfältiges Innenstadtleben? Welcher Fassung des
öffentlichen Stadtraums bedarf es? Welche Haustypen
ermöglichen langfristig vielfältige Nutzungen
im Innenstadtgefüge? Welches Kommunikationspotenzial
brauchen städtische Haus fassaden?
Welche Materi alien und Bauweisen sind nachhaltig
und dauerhaft und damit im Stadtbild
geschichtsfähig? Wie lassen sich vielfältige Erdgeschossnutzungen
wie Geschäfte und Restaurants
/ Cafés / Kneipen / Bars mit Obergeschoss nutzungen
wie Arbeiten und Wohnen verbinden? Was
bedeuten Kommunika tionsformen für die Neuausrichtung
von Stadt ge staltung in Zukunft? Welche
Prozesse sind erforderlich, um neue Akteurs- und
Interessen gruppen in Planung einzubinden? Wie
können Stadträume als multifunktionale Lebensräume
gedacht und realisiert werden?
Eröffnung
Christoph Mäckler
Sehr geehrte Frau Ministerin Scharrenbach,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Jung,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich freue mich sehr, Sie auf der 11. Düsseldorfer Konferenz
zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt
begrüßen zu können. Der Begriff der Schönheit wird
heute gern, ja fast selbstverständlich, wieder in Veranstaltungen
zum Städtebau verwandt. Das ist erfreulich.
Das Institut hat in einem Jahrzehnt städtebaulicher
Diskussionen immer wieder thematisiert,
dass der städtebauliche Raum auch dauerhaft seine
Schönheit benötigt, wenn man sich zum Ziel setzt,
dass sich unsere Gesellschaft in den öffentlichen
Räumen unserer Städte wohlfühlen soll und sich
mit ihnen identifiziert. Wir sollten uns aber verdeutlichen,
dass sich die Politik in der Bundesrepublik
Deutschland bis zum heutigen Tage offenbar nicht
der sozialen Brisanz bewusst ist, die dem Wert schöner,
städtischer Räume innewohnt. Dies lässt sich
schon in der Tatsache erkennen, dass der Städtebau
in Deutschland seit einigen Jahrzehnten mal dem
Verkehrsministerium, mal der Reaktorsicherheit,
der Umwelt und heute dem Innenministerium unterstellt
ist. Man bemüht sich um das Kanzleramt,
das Außen-, das Finanz- und das Innenministerium,
ein Ministerium für den Städtebau steht aber nicht
auf der politischen Agenda. Dies lässt den geringen
Stellenwert vermuten, welcher dem Bauwerk Stadt
bis heute in allen politischen Parteien in Berlin beigemessen
wird. Der Begriff Schönheit, den das Institut
12 Eröffnung
vor einem Jahrzehnt in die Diskussion eingebracht
hat, wird heute wieder gern gebraucht. Er wird aber
auch missverstanden, bewusst oder unbewusst.
Deshalb haben wir seinerzeit dem Konferenztitel
Schönheit den Begriff Lebensfähigkeit hinzugefügt.
Die Lebensfähigkeit, auf deren substanzielle Notwendigkeit
das Institut in der Düsseldorfer Erklärung
gemeinsam mit Barbara Ettinger-Brinckmann,
Elisabeth Merk, Reiner Nagel, Jörn Walter und Peter
Zlonicky hingewiesen hat, ist von über 100 Verantwortlichen
in den Stadtplanungsämtern unserer
Städte, von Baubürgermeisterinnen und Baubürgermeistern
unterzeichnet worden. Sie alle kennen die
soziale Brisanz, die mit der städtebaulichen Qualität
einhergeht. Wie überfällig deshalb die Änderungen
der deutschen Baugesetze, wie beispielsweise
die Änderung der Baunutzungs verordnung oder der
TA Lärm sind, wissen wir spätestens seit der Coronapandemie,
in der allein die Fehler monofunktionaler
Planungsgebiete unsere Innenstädte zu menschenleeren
und leblosen Gebilden verkommen ließen.
Es ist nicht nur die Schönheit allein, die Schönheit
einer Stadtmöblierung oder einer Straßenfassade,
die die Fußgängerzone zum Leben erweckt. Es ist
die funktionale Mischung, die soziale Vielfalt, die
Dichte, die unsere Städte zu lebenswerten Stadträumen
entwickelt, in denen sich unsere Gesellschaft
wohlfühlt. In Schönheit erstarrte Stadträume sind
ähnlich leblos wie die Defunktion getrennter und aktuell
vom Individualverkehr befreiter und durchgrünter
Innenstädte. Die ersten zehn Jahre seit Bestehen
unseres Instituts brachten die Kölner Erklärung zur
Städtebauausbildung und die Düsseldorfer Erklärung
zum Städtebaurecht hervor. Die kommenden
zehn Jahre, die mit dieser Konferenz beginnen, werden
eine Änderung unserer Neubaugebiete in funktionsgemischte
Stadtteile hervorbringen müssen, aber
nicht, weil das Deutsche Institut für Stadtbaukunst
dies erwirken könnte, sondern weil der Investitionsdruck
auf die Qualität der bestehenden Innenstadtgebiete
der europäischen Stadt, wie sie in der Leipzig
Charta beschrieben ist, zu einer Verdrängung ihrer
Bewohnerinnen und Bewohner führen und uns zum
Handeln zwingen wird. Ändern lässt sich dies aber
nicht mit hektisch restriktiven Gesetzesvorlagen,
sondern nur mit der endlich zu vollziehenden Gleichwertigkeit
der Qualitäten unserer Neubaugebiete
bezüglich sozialer Vielfalt, funktionaler Mischung,
Dichte, Schönheit und Dauerhaftigkeit.
Die Konferenz, meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen, mit der wir heute ins zweite Jahrzehnt
gehen, bietet wie immer die Plattform zur inhaltlichen
Auseinandersetzung, und wir freuen uns auf
die Diskussionen, die sich in den nächsten zwei Tagen
unter den politisch Verantwortlichen aus 25 Städten
entwickeln werden. Vor Ort anwesend sind Barbara
Ettinger-Brinckmann, Thomas Dienberg aus Leipzig,
Matthias Frinken, Hilmar von Lojewski, Elisabeth
Merk, Reiner Nagel, Jürgen Odzsuck aus Heidelberg,
Jörn Walter und Rolf-Egon Westerheide. Pandemiebedingt
findet die Düsseldorfer Konferenz in diesem
Jahr 2021 nicht in der Rheinterrasse der Landeshauptstadt
Düsseldorf, sondern im Belvedere über dem
Main in Frankfurt statt, weshalb ich mich besonders
freue, dass auch der Planungsdezernent der Stadt
Frankfurt, Mike Josef, ein Grußwort sprechen wird.
Das Institut für Stadtbaukunst ist ein An-Institut der
TU Dortmund, dessen Rektor Prof. Manfred Bayer
ich ebenfalls begrüße. Für die langjährige Unterstützung
der Konferenz durch die TU Dortmund sind
wir sehr dankbar. Wir danken den vielen Kooperationspartnern
und Sponsoren. Allen voran seien
aber schon jetzt die Bamberger Natursteinwerke, die
Deppe-Backsteinkeramik und die Firmen TECE und
Velux genannt. Ihnen, sehr verehrte Frau Ministerin
Scharrenbach und Ihrem Hause sind wir für die langjährige
Unterstützung sehr dankbar. Ich freue mich
sehr, dass Sie in diesem Jahr digital an unserer Konferenz
zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt teilnehmen
und zu uns sprechen werden.
Vielen Dank.
13
Impuls 1
Hartmut Hoferichter, Solingen
30 Erfahrungen aus der Bau- und Planungspraxis 1
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben heute
nicht nur von Problemen, sondern auch von einer
Reihe von Lösungsansätzen für die Innenstadt
erfahren, und wollen jetzt aufzeigen, wie sich das
jeweils in der örtlichen Situation der Städte darstellt.
Das will ich auch gerne für meine Stadt Solingen
tun und darauf hinweisen, dass wir uns bereits vor
mehr als zehn Jahren schon das zweite Mal Gedanken
gemacht haben, wie wir mit unserer Innenstadt
umgehen und wohin wir sie entwickeln wollen.
Damals glaubten wir noch, dass das der Citybereich
derjenige sein würde, der sich auch mittelfristig als
Schwerpunkt des Einzelhandels stabilisieren und
entwickeln würde. Wir wissen heute, dass sich die
Dinge viel schneller und umfassender verändert
haben als ursprünglich gedacht, und im Stadtbezirk
Mitte mit seinen 60.000 Einwohnern mittlerweile
auch andere Probleme als nur Leerstände zu lösen
sind. Wo die Problemlagen sind, das wissen wir alle.
Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern müssen
überlegen, wie wir zu tragfähigen Lösungen und
Umsetzungen kommen.
Wir haben uns auch nochmal Gedanken über die
Entwicklung vor der Pandemie gemacht. Die Stichworte
sind Onlinehandel, »Trading down« in den
einzelnen Teillagen und auch die Auswirkungen auf
die innerstädtischen Immobilien. Diese sind für niemanden
von uns wirklich neu. Wir wissen auch, dass
die Probleme schon vor der Pandemie mehr oder weniger
stark existiert haben und die Pandemie eine
Art Brennglas war, um das noch einmal zu verdeutlichen.
Von daher gab es eine Reihe von Leitfragen,
die wir uns gestellt haben, als wir uns in 2018 / 19
entschieden haben, das Thema der Innenstadt nochmal
völlig neu mit einem aktuellen, integrierten
Stadtentwicklungskonzept City 2030 zu bearbeiten
und auf einen Stand zu bringen, der die Innenstadt
schrittweise ein Stück zukunftsfähiger macht. Mit
Unterstützung von Rolf Junker und Holger Uhlmann
haben wir die Aufgabe, die Innenstadt für 2030 zu
denken und schrittweise zu entwickeln, in Angriff
genommen. Welche positiven Ansätze, beispielsweise
den Bedeutungsverlust oder die künftige Stellung
des Einzelhandels betreffend, gibt es, die stetig und
langfristig Wirkung zeigen können? Das hat uns zu
der Erkenntnis geführt, dass wir nur Fortschritte finden,
wenn wir radikal umdenken, was die bisherige
Funktionsverteilung in der Innenstadt und was auch
die verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten, aber
auch den Stellenwert angeht, den der öffentliche
Raum in der Innenstadt im Zusammenwirken mit
den privaten Nutzungsänderungen erfüllen soll. Die
Pandemie hat nochmal gezeigt, dass es höchste Zeit
war, diesen Transformationsprozess einzuleiten.
Wichtig bei dem Prozess war uns, dass wir hier einen
sehr umfassenden Beteiligungs- und Dialogprozess
mit der städtebaulichen Neuordnung verbunden
haben. Wir werden nur Erfolg haben, wenn wir viele
Akteure aus den inneren Lagen der Städte, ob es
Eigentümer, Mieter, Händler oder nur Flaneure sind,
für unsere Ziele gewinnen. Das war eine sehr intensives
Verfahren mit allen möglichen Beteiligungsformaten.
Ein kleines Beispiel für ein Beteiligungsformat
war, dass in einem Quartier ca. 100 Menschen
aufgefordert waren, mit farbigen Holzbauklötzen
auf einem Stadtplan zu dokumentieren, welche Nutzung
sie sich künftig in der Innenstadt vorstellen,
und es dabei zu klaren Aussagen über gewollte Veränderungen
kam. [1]
Eine Erkenntnis dabei war auch, dass das Zentrum
vernetzte Strukturen braucht und es nicht ausreicht,
den zentralen Bereich allein zu untersuchen,
sondern dass wir Innenstadt größer denken und
mindestens die angrenzenden Bereiche mit einbeziehen
müssen. Das geht ein wenig in die Richtung
der Aussagen von Wolfgang Sonne, dass wir bei
Innenstädten, wo sich die Funktionen überlagern,
noch eine deutlich breitere Mischung von Nutzungen
und Möglichkeiten haben als die, die vielleicht
in erster Linie für eine innerstädtische Situation
angedacht werden. Die zweite wesentliche Erkenntnis
war, dass wir den geschäftlichen Bereich,
31
Impuls 2
Cornelia Zuschke, Düsseldorf
56 Erfahrungen aus der Bau- und Planungspraxis 2
Düsseldorf ist polyzentrisch-individuell und gleichzeitig
zentral-überregional und über eine oberzentral
bedeutsame City weit über seine Grenzen bekannt.
Düsseldorf hat also eine mehrdimensionale Identität.
Düsseldorfs Mitte ist eine Einheit aus historischer
Altstadt und mondäner City. Die Stadtstruktur
ergibt sich damit aus lebendigen Quartieren neben
einer großstädtischen gemeinsamen Mitte.
Das funktioniert wie die beiden Seiten einer Medaille
im Einklang miteinander und ergibt durch diese
Vielschichtigkeit eine hohe Anziehungskraft. Der
polyzentrische Gürtel, zusammengewachsen aus
vorindustriellen Orten, die das Arbeiten und Wohnen
zusammengeschweißt hat und deren jeweilige
Tradition sich bis heute in individuellen Qualitäten
und Mischungen zeigt, ist das Potential einer selbstverständlichen
Struktur der kurzen Wege und Quartiersqualitäten,
sowie die Matrix für vielschichtige
Lebensentwürfe und urbane Mischungen. Der Blick
auf die Zentren unserer Stadt zeigt, wie sich die aktuellen
Themen von Dichte zu Aufenthaltsqualität,
Anziehungskraft zu Nutzungsmix in allen Ebenen
verändern. Dabei war Corona wie ein Brennglas auf
diese Situation. Die derzeitigen Wandlungs aspekte
und deren Konsequenzen lehren uns, was wir bereits
wissen und nun beschleunigt und vergewissert umsetzen
müssen. Wir erleben eine Zeit der notwendigen
Leitbilder und Gesamtkonzepte, wie ebenso
der beschleunigten und dynamischen Projektkulissen,
beides gehört im nachhaltigen Städtebau eng
zusammen und bedenkt die Gleichzeitigkeiten der
Herausforderungen ebenso wie die Erfüllung der
damit verbundenen Projektausrichtungen, -qualitäten
und des returns to public bei allen Genehmigungsvorgängen
für die gesamte Stadt. Diese aktuellen
Herausforderungen geben uns den Blick auf
die Vielschichtigkeit der integrierten Stadt zurück.
Viele Jahre galt die »Einkaufscity« zunächst als erfolgsversprechendes
Paradigma, dann Erlebniseinkaufsort
als die zentrale Lebensader der Innenstädte
und als deren Hauptattraktivität. Wir haben dabei
manchmal aus diesen »goldenen Verwertungskulissen«
heraus vergessen, dass Stadt und Urbanität viel
57
Christoph Mäckler, Jürgen Odszuck, Arnold Bartetzky
Digital: Cornelia Zuschke
die sich überhaupt nicht vorstellen können, die bauliche
Verdichtung voranzutreiben, aber am Ende
erwarten, dass die Stadt auch außen nicht weiterwächst.
Da ist eine Diskussion erforderlich, die den
Weg in genau diese Richtung geht.
Für Grünau kann ich mir das in der Weise nicht
vorstellen, da gibt es eine ganz andere typologische
Situation. Dort muss man sicherlich auch anders
r eagieren. Aber für die sehr nahen Bereiche kann
man sich unter bestimmten Voraussetzungen eine
Nutzungsmischung und eine auch temporär und
zeitlich parallele Qualifizierung der öffentlichen
Räume sehr gut vorstellen.
Mäckler Sie sprachen von den Quartieren des
19. Jahrhunderts. Kann man sich denn heute so
etwas vorstellen? Können Sie sich vorstellen, wenn
Sie dürften, so wie Sie wollten, dass Sie neue polyzentrische
Systeme im Stadtbereich von Leipzig entwickeln?
Ist so etwas Ihrer Meinung nach möglich
und wenn ja, warum machen wir es eigentlich nicht?
Dienberg Ich glaube, dass es möglich ist. Aber Sie
müssen natürlich an bestimmte Strukturen andocken,
aber wir haben viele freie Bereiche und Räume,
die wir bebauen können. Für eine deutsche
Großstadt sind wir hier in einer einzigartig komfortablen
Lage.
Sonne Ich würde Frau Zuschke gern etwas zu
Düssel dorf fragen. Im Unterschied zu den beiden
anderen Städten, die wir gesehen haben, ist in
Düssel dorf die Innenstadt oder vielleicht sogar die
Altstadt vom restlichen Stadtgebiet kaum abgegrenzt.
Das geht so weit, dass man gar nicht sagen
kann, wo die Grenze ist. Das heißt auch, dass es für
den Stadtbesucher nicht wirklich wahrnehmbar ist,
dass es nur ein monofunktionales Einkaufszentrum
gibt. Jetzt stärken Sie mit dem blaugrünen Ring die
Aufenthalts- und Erholungsqualität, die wiederum
gerade für das Wohnen so wichtig ist. Das, was wir
in der jetzigen Krise gelernt haben, ist, dass ich mit
einem solchen Park kurz aus dem Haus gehen, mich
erholen und dann zurück in meine Wohnung gehen
kann. Welche Rolle wird Wohnen in Zukunft in der
Innenstadt von Düsseldorf spielen? Ist es dort nötig,
etwas zu tun, damit mehr Wohnen angesiedelt wird?
Was haben Sie diesbezüglich vor?
Zuschke Wohnen wird (hoffentlich) immer eine
Rolle spielen, aber wir müssen in diesem Zuge auch
das Partygeschäft regeln, weil dies in der Düsseldorfer
Altstadt ganz besonders ausgeprägt ist. Sie
haben mir, Herr Prof. Sonne, gerade aus der Seele
gesprochen. Wir haben diesen halbmondartigen
Umgriff um Altstadt und Zentrum. Das ist die verdichtete
und erweiterte Kernstadt, die in der Tat
traditionell von einer unglaublichen Dichte und
74 Erfahrungen aus der Bau- und Planungspraxis 2
heterogenen Nutzungsmischung geprägt ist und die
ich als besonderen Wert, die Altstadt und City umgebend,
betrachte. Dieser Halbmond als »dritte Stadt«
ist der Raum, der sowohl Beharrungs- als auch
Wandlungsbereich bedeutet und stark mit den Qualitäten
der blaugrünen Infrastruktur korrespondiert
und weiter durchnetzt werden muss. Uns ist es ein
Anliegen, diese Dichte verträglich fortzuschreiben
und zu verbessern, auch dadurch, dass wir die grünen
Achsen und Räume vernetzen zwischen diesen
Orten, dem Rhein, aber auch darüber hinaus, um
genau die Qualitäten eines jeweiligen Erholungsraumes
in der dichten Stadt zu halten. Ich glaube,
dass die Düsseldorfer gewachsene, hohe Dichte eine
Qualität hat und weiterhin haben kann, wenn wir
für lebenswerten Ausgleich sorgen, nämlich in wenigen
Minuten immer am grünen Rand zu sein. Das
Thema ist bereits oft zitiert worden: Den »Waldrand«
am integrierten Quartier brauchen wir seit der Pandemie
und auch die besser organisierte und selbstverständliche
Nähe von Arbeiten und Wohnen. Düsseldorf
hat in der Tat durch unsere polyzentrische
Ausgangsstruktur mit individuellen Quartieren und
lebendigen Stadtteilen sehr gute Bedingungen, diese
Stadt der kurzen Wege und lebenswerten Zentren
nachhaltig weiterzuentwickeln.
Ettinger-Brinckmann Ich habe auch eine Frage
an Frau Zuschke. Sie hat ein Plädoyer für das
Experiment angesprochen. Wie sieht das konkret
aus? Welche Vorschläge gibt es? Ich frage das im
Zusammenhang mit der Düsseldorfer Erklärung, die
auch Grenzen unserer Baunutzungsverordnung aufgezeigt
hat. Hier kommen wir nicht weiter mit der
Durchmischung, die wir viel stärker unterstützt haben
wollten. Geht das Experiment in diese Richtung?
Zuschke Das »Experiment« ist eigentlich kein »Nur-
Experiment«. Das Wesentliche des Zusammenspiels
von Planen, Beteiligen und erfolgreicher Anwendungen
ist ein »Baukasten«, mit dem man dann Neues
oder Experimente als 1:1 Beteiligung oder Plausibilisierung
für eine künftige Situation implementieren
kann, wenn es denn ein Erfordernis zum sofortigen
Handeln oder ein weiterführendes Planungserfordernis
gibt. Das Experiment zum Beispiel fängt an
bei der übergangsweisen Umgestaltung einer Straße,
deren neue Nutzung man temporär einfach
ausprobiert, wie wir das in der Innenstadt mit der
unmittelbar dem Burgplatz benachbarten Mühlenstraße
getan haben. So kann Tragfähigkeit für Planungsprozesse
entstehen. Alternative Mobilität und
neue Aufenthaltsqualität – und schon kommen die
Hausbesitzer dort zurück, die ursprünglich gesagt
haben: »Dort wird es nur Spielhallen geben und die
Obergeschosse bleiben leer.« Sie kommen zurück
und würdigen die neue Qualität, indem sie ihre Häuser
wieder zu Wohn- und Geschäftsorten umbauen.
75
Wolfgang Sonne, Jürgen Odszuck
Digital: Markus Bradtke, Börries Butenop, Olaf Bischopink
bezeichnet hat, dann hat sich aus den Vorträgen
ergeben, dass den Städten sehr bewusst ist, dass sie
diesen Transformationsprozess von der monofunktional
strukturierten Einkaufsinnenstadt zu der
stärker durchmischten Innenstadt angehen müssen
und dass dabei insbesondere auch der Nutzungsart
Wohnen zur Wiederbelebung der Innenstädte
eine besondere Bedeutung zukommt. Ich habe den
Eindruck, dass man gerade in den rechtlichen Rahmenbedingungen
und insbesondere in der BauNVO
das größte Hemmnis für diese Entwicklung sieht.
Frau Scharrenbach, die ich selbst nicht gehört habe,
sagte wohl, dass man die BauNVO völlig neu fassen
müsse. Herr Sonne hat die TA Lärm angesprochen
und Herr Mäckler hat die Frage aufgeworfen, ob
man ähnlich dichte Gebiete wie sie in der Leipziger
Innenstadt zu finden sind nicht auch neu planen
könne, wenn es denn die BauNVO zulassen würde.
Das veranlasst mich, eine Lanze für die BauNVO
zu brechen. Ich bin sicher, dass vielfältige, städtebauliche
Situationen mit dem heutigen rechtlichen
Instrumentarium gut in den Griff zu bekommen
sind, erst recht, wenn man stärker, als es in der Praxis
tatsächlich der Fall ist, vom urbanen Baugebietstyp
Gebrauch machen würde. Ich stelle diesbezüglich in
meiner Praxis eine gewisse Zurückhaltung der Städte
fest. Es ist häufig bei neuen Instrumenten so, dass
man sich nicht so recht zutraut, diese auch einzusetzen.
Meiner Meinung nach müsste man dort mutiger
sein. Sobald zudem mit dem bereits im Bundestag
beschlossenen Baulandmobilisierungsgesetz die
früheren Höchstwerte für die städtebauliche Dichte
in § 17 BauNVO in Orientierungswerte umgewandelt
werden, steht die Baunutzungsverordnung auch
einer höheren Dichte nicht (mehr) entgegen.
Was ich allerdings nach wie vor vermisse und wofür
man auch seitens des Instituts und im Kreis der
hier Interessierten stärker streiten sollte, ist eine
Änderung des Baugebietstyps »Kerngebiet«. Auch
in vielen der Großstädte, über die wir heute gesprochen
haben, erst recht aber in mittelgroßen Städten
94 Erfahrungen aus der Bau- und Planungspraxis 3
Elisabeth Merk
und Kleinstädten wird man in der Innenstadt regelmäßig
eine Mischung aus (auch groß flächigem)
Handel und Wohnen über die Kerngebiets-Festsetzung
erreichen wollen. Für Kerngebiete ist aber
die Wohnnutzung in der Zweckbestimmung nach
§ 7 Abs. 1 BauNVO nicht erwähnt. Ich bin der Auffassung,
dass der § 7 Abs. 1 BauNVO überarbeitet werden
und die Zweckbestimmung des Kern gebietes
um das Wohnen ergänzt werden sollte. Im Weiteren
könnte es dann dabei bleiben, dass Wohnnutzungen
in Kerngebieten nur nach Maßgabe der (weiteren)
Festsetzungen des Bebauungsplans zulässig
sein sollen. Es würde dann den Städten obliegen,
das verträglich und städtebaulich gewünschte Maß
an Wohnnutzungen im Kerngebiet bauleitplanerisch
zu steuern.
beneiden Münster um die Tätigkeit des Gestaltungsbeirats
und um die Qualität, die dadurch auch in
der hochbaulichen Architektur in Münster entsteht.
Der Einfluss des Gestaltungsbeirats bei der hochbaulichen
Beplanung von Grundstücken, für die das
Baurecht schon besteht, ist natürlich juristisch begrenzt,
aber gerade bei Projekten, für die das Baurecht
in der Bauleitplanung erst geschaffen werden
muss, ist die frühzeitige Beteiligung eines Gestaltungsbeirats
häufig sachgerecht. Dieser kann durchaus
ausgleichend zwischen der Verwaltung und den
Architekten der Investoren oder den Investoren
selbst wirken. Von daher bin ich der Auffassung,
dass der Einsatz des Instruments Gestaltungsbeirat
zur Steigerung der hochbaulichen Qualität der
Architektur durchaus begrüßenswert ist.
Schließlich noch einige Bemerkungen zu den angesprochenen
Gestaltungsbeiräten: Münster hat einen
durchaus erfolgreich agierenden Gestaltungsbeirat.
Viele Städte, in denen ich sonst beratend tätig bin,
Bartetzky Herzlichen Dank, Herr Bischopink, für
diesen kurzen Beitrag, in dem Sie bewundernswert
situativ auf den Verlauf dieser Tagung reagiert haben
und der für mich als Laien im juristischen Bereich
95
Erfahrungen
aus der Bau- und
Planungspraxis 4
[2]
zumindest teilweise unterstützen. Wir haben also,
ähnlich wie Städtebauförderung, jetzt für andere
Sanierungsgebiete die Möglichkeiten, auch etwas
auszuprobieren. [1]
Die »Stadt für alle« wurde vorhin schon einmal erwähnt.
Das ist nicht nur eine Frage unserer guten
Konzepte, sondern auch eine Frage des Bodens, der
Bodenrichtwerte und des Bodenpreises. Diese sind
wirklich ganz entscheidend für unsere Themen und
auch in den zentralen Lagen. Für München kann ich
diesbezüglich noch keine Entwarnung geben, da gerade
viel gekauft wird aufgrund der verbesserten Lage.
Ich habe die drei Themen Klima, Ökonomie und Gemeinwohl
zusammengefasst, weil ich glaube, dass
sie zusammengehören und auch bei den Innenstadtprojekten
zusammen und nicht als ein Einzelaspekt
gedacht werden müssen. [2] Jedes Projekt, das wir
zulassen, sollte für diese Themen etwas mitbringen.
Außerdem gibt es den Aspekt der Gestaltqualität
und Baukultur. Ein Beispiel ist der Jakobsplatz im
Zentrum der Stadt München mit dem jüdischen Zentrum,
der Synagoge und einem Museum. Vielleicht
etwas unkonventionell an so einer heterogenen Altstadtstelle,
aber trotzdem sehr gelungen. Das liegt
daran, dass der Maßstab der alten Stadt und die verschiedenen
Blickperspektiven recht gut respektiert
worden sind und eine hervorragende Materialität
vorhanden ist. [3]
Und dann gibt es auch wiederholt kurzfristige Intervention.
Im vergangenen Jahr 2020 konnten wir
dank Corona endlich vieles umsetzen, was schon
lange in der Schublade lag. »Pop-up-Bikelines« oder
»Summer Streets« [4], einfach mal eine Straße sperren
wie zum Beispiel die Allee zum Nymphenburger
Schloss. Normalerweise fahren dort nur Autos, und
plötzlich konnten den ganzen Sommer lang hier die
Kinder spielen. Ich glaube, man muss die langfristigen
Strategien mit den kurzfristigen verbinden.
Noch ein anderes Beispiel für die kurzfristige Strategie
waren die kleinen grünen Zimmer, die entstanden
sind, indem man immer drei Parkplätze sperrte.
110 Erfahrungen aus der Bau- und Planungspraxis 4
[3]
[4] [5]
Vor Corona gab es dazu schon ein Jahr Debatten im
Bezirksausschuss, während der Pandemie wollte
man das dann ausprobieren, und auch das Baureferat
hatte die Kübel, die die Straßenräume voneinander
trennen sollten, innerhalb von zwei Monaten
aufgestellt. Diese »grünen Zimmer« waren in
gewisser Weise konsumfrei, man konnte sich hinsetzen,
wenn man wollte, gleichzeitig profitierten
aber die kleineren Läden in diesen Straßen trotz
Corona sogar davon. [5] Deswegen ist mein Plädoyer,
eine Mischung überall zu haben, aber vielleicht
in unterschiedlichen Verhältnissen. Der jeweilige
Ort muss das hergeben, die Innenstadt ist auch
anders als andere Stadtquartiere wie zum Beispiel
Neuperlach. Dort haben wir ein Sanierungsgebiet
und bauen die Strukturen um, ähnlich wie vielleicht
damals für Halle Neustadt, das heißt Konzepte, die
sehr groß angelegt sind, aber im Kleinen mit Kultur,
Sport und Sozialem arbeiten.
Man muss sich immer fragen: Warum kommen die
Leute überhaupt in die Stadt oder warum sollte man
111
Diskussion
Erfahrungen
aus der Bau- und
Planungspraxis 4
Arnold Bartetzky – Moderation
Peter Köddermann
Christoph Mäckler
Elisabeth Merk
Reiner Nagel
Christof Nolda
Wolfgang Sonne
Jörn Walter
118 Erfahrungen aus der Bau- und Planungspraxis 4
Jörn Walter, Christoph Mäckler, Reiner Nagel, Arnold Bartetzky, Elisabeth Merk,
Barbara Ettinger-Brinckmann, Wolfgang Sonne, Jürgen Odszuck
Digital: Julius Mihm, Peter Köddermann, Christof Nolda
Bartetzky Vielen Dank, Herr Mihm, für Ihren
Beitrag. Sie haben das Zauberwort Pop-up aufgegriffen
und aufgezeigt, dass dies durchaus eine
Initialzündung mit einer langfristigen Perspektive
sein kann.
Köddermann Herzlichen Dank für diesen tollen
Tag, an dem ich lernen konnte, dass es in vielen
Städten toll läuft und so viele großartige Projekte
auf den Weg gebracht werden. Das freut mich
außerordentlich. Ich habe auch mit Freude zur
Kenntnis genommen, dass immer häufiger davon
gesprochen wird, dass Experimente und Reallabore
Stadtgestaltungsprozesse bereichern können.
Oft ist auch der Begriff »auf Augenhöhe« bezüglich
Stadtgestaltungsprojekten genannt worden und ich
habe sehr gute Ansätze gesehen, wie man die sogenannte
Stadtgesellschaft in die Planungen einbinden
kann. Verzeihen Sie mir deshalb, wenn ich für
einen kleinen Moment eine Schorle aus dem Wein
machen möchte. Wir diskutieren bei Baukultur
Nordrhein-Westfalen häufig Gestaltungsprozesse in
den Städten, bei denen das so nicht funktioniert. Wo
der Kontakt zwischen Verwaltung, Planung und Bürgerschaft
eher als »problem behaftet« wahrgenommen
wird. Das verwundert uns, wissen wir alle doch
schon seit Jahrzehnten, was die Fragestellungen und
Probleme der Stadtentwicklung sind und kennen
die Instrumente, die es möglich machen wirklich
lebendige und nachhaltige Stadtgestaltung zu initiieren.
Viele Förder instrumente wurden zum Beispiel
so ausgerichtet, dass offenere Beteiligungsprozesse
möglich sind. Ich sehe aber auch, dass Städte zum
Teil schon vor alternativen Stadtgestaltungsprozessen
zurückschrecken, weil sie diese zu aufwändig,
zu arbeitsintensiv oder als Mehr belastung empfinden.
Dies ist aus meiner Perspektive kein Problem
fehlender Mittel oder unterbesetzter Verwaltungen,
sondern eher als Ergebnis tradierter Planung die
keine zeitgemäßen Bezüge beinhaltet, weil sie zum
Beispiel den immer zentraleren Wert von Kommunikation
in der Planung unterschätzt.
119
Reiner Nagel, Elisabeth Merk
Digital: Peter Köddermann
arbeiten uns daran ab. Mit Frau Wartzeck, der Präsidentin
des BDA, durfte ich als Präsidentin der Deutschen
Akademie für Städtebau und Landesplanung
das gelbe Heft vom Wert der Planung vorstellen.
Die HOAI hilft diesbezüglich leider nicht, und es ist
wirklich schwierig, dem Stadtrat zu vermitteln, dass
das auch noch Geld kostet, obwohl nur geredet wird.
Wir müssen dafür werben, dass dies einen Wert für
die Projekte hat und Qualität verspricht, so mühsam
es auch ist. Nur durch Reden und Kommunikation
allein entsteht keine schöne Stadt. Das muss ich leider
ernüchternd noch hinzufügen. Das macht das
Geschäft mit der Politik nicht einfacher.
Bartetzky Vielleicht kommen wir von dieser treffenden
Feststellung auch noch mal zurück zu Gestaltungsfragen.
Ich würde gerne eine Frage aus
der letzten Runde aufgreifen. Prof. Klaus Schäfer
von der Hochschule Bremen meldet sich mit einer
Frage, von der ich aus Zeitgründen nur die Hälfte
vorlese: »Den Stadtpark auf dem Dach des Kulturgebäudes
in Bochum halte ich für eine Überfrachtung
und Greenwashing. Haben wir es vielleicht auch bei
anderen Projekten mit Greenwashing zu tun? Kann
man Ähnliches vielleicht auch dem Projekt in Kassel
vorwerfen oder vielleicht der Vision des dachbegrünten
Münchens? Ist das ein substanzieller Beitrag
zum Klimaschutz? Ist das eine ökologische Maßnahme,
oder handelt es sich dabei um Greenwashing?«
Mäckler Ich stimme dem überhaupt nicht zu. Das
ist ein schönes Bild und wahrscheinlich fast ironisch
gemeint. Ich möchte deutlich machen, dass
die Fassadenbegrünung, die so propagiert wird,
absolute Augenwischerei ist. Wir müssen dafür sorgen,
dass wir städtische Parks bauen, in denen großkronige
Bäume wachsen können und Alleen planen.
Es gibt wunderbar geschlossene Fußgängerzonen.
Reißt sie auf, pflanzt Bäume und beendet diese Fassadenbegrünung!
Das ist wieder so ein typischer
Hype, vorher war es die resiliente Stadt. So funktioniert
Städtebau nicht. Wir müssen vernünftig sein
und versuchen, die verschiedenen Bedürfnisse, die
unsere Bevölkerung in der Stadt hat, zu befriedigen.
Und da helfen uns solche begrünten Fassaden,
selbst wenn sie von Christoph Ingenhoven kommen,
überhaupt nicht.
Bartetzky Danke für dieses ehrlicherweise nicht ganz
unerwartete Statement von Dir. Ich möchte nur eine
122 Erfahrungen aus der Bau- und Planungspraxis 4
Peter Köddermann
kurze Rückfrage stellen. Du sprichst nur von Fassaden-,
aber nicht von Dachbegrünungen. Wir haben
hier eine Dachbegrünung gesehen. Ist das für Dich
das Gleiche, die gleiche Augenwischerei? Oder hat die
Dachbegrünung vielleicht doch etwas mehr Potenzial?
Mäckler Letztere hat dort etwas mehr Potenzial, wo
es Flachdächer gibt. Man sollte aber auch wieder anfangen,
Satteldächer zu bauen und Dächer als Raum
zu begreifen. Bei Flachdächern halte ich viel von einer
Begrünung. Allerdings muss man sagen, dass es
noch andere Elemente gibt, zum Beispiel Photovoltaik.
Diese ist sogar noch wichtiger als die Dachbegründung
auf dem Flachdach.
Merk Ich hatte eigentlich gedacht, ich hätte dies zuvor
erklärt. Das Bild steht bei mir nicht in erster Linie
für Fassadenbegrünung. Es steht für die Themen Klima,
Ökologie und mehr Grün in der Stadt. Wir haben
ein Innenstadt-Quartierskonzept für die Freiräume.
Das Bild ist mehr eine Metapher. Ich bin ebenfalls
gegen das Greenwashing. Aber wenn die vielen ungenutzten
Dachflächen, die es in München gibt, begrünt
wären, würde dies durchaus positiv wirken.
Man muss diesbezüglich differenzieren. Trotzdem
kann man an vielen Stellen mit kleinen Maßnahmen
etwas verändern. Christoph Mäckler hat natürlich
recht: Wenn es uns gelingt, in der Mitte jeden Hofes
so viel Freiraum zu lassen, dass ein vernünftig großer
Baum wachsen kann, haben wir mehr getan, das
ist unbestritten. Es ist wichtig, dies von Anfang an im
Städtebau, aber auch in der Architektur mitzudenken;
dann können gute Konzepte entstehen.
Nolda Frau Merk hat dies wunderbar formuliert. Es
geht um eine dichte Stadt, um ein Zusammen rücken
in der Effizienz, und dazu gehört qualifiziertes Grün.
Qualifiziertes Grün meint Lebensbedingungen, die
wirklich Qualität haben. Ein Platz wie der Grimm-
Platz, eine größere Fläche mit Baumpflanzungen,
die klimaresistent sind, halte ich für eine nachhaltige
Maßnahme: Es ist städtisches Grün in städtischer
Qualität. Wir müssen diesbezüglich, genauso wie
bei der Architektur, auf Qualität und Nachhaltigkeit
achten, damit es uns auf Dauer in den Städten zur
Verfügung steht.
Nagel Ich möchte nochmal das Bochumer Projekt
verteidigen. Natürlich haben wir es vielfach mit
Greenwashing oder mit zertifizierten Angeboten
123
wunderschöne große Platanen, der Boden ist nicht
versiegelt, es gibt keine Tiefgaragen. Solche Höfe sind
möglich und müssen nicht aussehen, als stammten
sie aus dem 1 Jahrhundert. Das ist mir sehr wichtig.
Biesler Die Stadt ist komplex. Ich würde gern an das
Thema des Ausprobierens anknüpfen. Herr Nagel,
hat das System, zu dem die Verwaltung, die Politik,
die Immobilienwirtschaft und die Architekt*innen
gehören, nicht bemerkt, was mit der Innenstadt in
den letzten Jahren passiert ist, und erst eine Coronapandemie
kommen musste, um dies zu verändern?
Nagel Ja, es ist so dramatisch und man hat vorher
gewusst, dass es so kommen wird. Wir arbeiten
schon länger daran, dass das Thema Nutzungsmischung
gefördert werden muss. Das klingt sehr abstrakt,
aber nach dem deutschen Planungsrecht
werden Innenstädte als sogenannte Kerngebiete
ausgewiesen. Der Begriff ist sperrig und nicht sehr
sprechend. In Kerngebieten sind Handelsflächen
und Büros zulässig, Verwaltung, Kultur und andere
zentrale Angebote und Hausmeisterwohnungen.
Dies folgt dem amerikanischen Vorbild, der CBDs,
der Central Business Districts, und passt nicht zur
europäischen Stadt. Wenn neue Bauflächen in der Innenstadt
ausgewiesen werden, ist Wohnen dort nur
ausnahmsweise möglich. Eigentlich müssen wir uns
aufraffen, und unser Planungsrecht konsequent auf
Mischung mit Wohnen umstellen. Bis dahin können
wir die Ausnahmemöglichkeiten, die die Innenstädte
bieten, nutzen. Wir haben den Vorteil, dass der öffentliche
Raum, die Straßen, Plätze, Wege und Grünanlagen
den Städten immer noch weitgehend selbst
gehören und dort privatrechtlich gesteuert werden
kann. Jede Ratssitzung kann folglich neu über Sondernutzungen,
Außengastronomie oder Grüngestaltung
kurzfristig entscheiden. Das haben wir in der
Pandemie gemerkt. Plötzlich gab es in den Fußgängerzonen
Bänke, Baumkübel, Gastronomiezonen
oder Außenverkauf. Dies hatte zur Folge, dass der
Raum anders genutzt wurde. Die Flexibilität anderer
Nutzungen, raum-, nutzungs- oder bedarfsbezogen,
müssen wir uns ins Bewusstsein rufen. Dann kann
man wie zum Beispiel in Regensburg sehr schnell die
Qualität der Innenstadt neu gestalten und das Experiment
hierfür nutzbar machen.
Biesler Sie haben in München ebenfalls Bänke und
Kübel aufgestellt, Frau Merk. Was genau sind die
Beharrungstendenzen, die so etwas verhindern?
Oder gab es vorher diesbezüglich keinen Bedarf?
Merk Ich muss nun widersprechen. Es gibt seit
50 Jahren Städtebauförderung. Die Städte sind
heute nicht auf dem Stand von früher, sondern verändern
sich in einem ständigen Transformationsprozess.
Um die 2000er Jahre wurden die Innenstädte,
auch die zentralen Lagen und Plätze, recht
gut erneuert auf dem damaligen State of the Art.
Ich erinnere mich noch an einen Vortrag von Renzo
Piano, dass die Innenstädte revitalisiert seien und
wir uns um die Peripherie kümmern müssten. Nun
geht es wieder um die Innenstadt. Das sind Zyklen.
Jede Gesellschaft hat in ihrer Transformation andere
Wünsche. Man kann nicht sagen, dass es in
München vor der Pandemie keine Sitzgelegenheiten
gegeben hätte. Trotzdem gibt es viele Regeln,
die das eingeschränkt haben. Man muss nur andere
Rahmenbedingungen generieren, ganz einfach ist
das aber nicht. In Augsburg herrscht große Aufruhr,
weil die Innenstadt überfrachtet ist mit Lärm, Dreck
und Müll. Man muss einen Rahmen für jede Stadt
setzen. Selbst in meinem geliebten Regensburg hat
man mit dem Argument der steinernen, mittelalterlichen
Stadt in der Achse vom Hauptbahnhof in die
Altstadt keinen einzigen Baum gepflanzt. Das würde
man heute nicht mehr machen. Das war ästhetisch
und ökologisch falsch. Wenn ich an die großen Versorgungachsen
denke, haben wir genug Platz in der
Stadt. Man muss einen Mittelweg finden zwischen
kleinen Oasen, Luftschneisen mit übergeordneten
klimatischen Grün- und Freiraumkonzepten und
den klassischen Parks und Höfen. Ich sehe das auf
134 Podiumdiskussion
drei Maßstabsebenen. Es müssen Räume sein, die
sich gut miteinander vernetzen lassen, ein wenig wie
in einer mittelalterlichen Stadt. Der wunderschöne,
dreieckige Haidplatz in Regensburg beispielsweise
war einst ein Grasplatz. Das könnte er vielleicht wieder
werden.
Biesler Vieles ist möglich, es gibt Pendelbewegungen.
Im Augenblick erkennen wir aber die Innenstadt
als ein starkes Problem und es werden Aushandlungsprozesse
zwischen den Akteuren*innen
stattfinden müssen. Reiner Nagel hat gerade gesagt,
dass vieles den Kommunen gehöre, die dann
entscheiden können. Den Kommunen gehört aber
nicht alles in der Stadt, gerade die Immobilien gehören
den Kommunen zumindest nicht zum großen
Teil. Frau Gebhard, Sie moderieren solche Aushandlungsprozesse.
Wenn eine Stadt neu modifiziert werden
soll, wie überzeugen Sie die Eigentümer davon?
Gebhard Die positive Entwicklung für die soziale
Struktur einer Stadt muss dargestellt werden. Der
Titel der Biennale in Venedig 2021 lautet »How will
we live together?«. Diese Frage »Wie wollen wir zusammenleben?«
muss man allen immer wieder stellen.
Wie können sich auch die Immobilien weiterentwickeln?
Wir sprechen auf der einen Seite nicht
über die großen Immobilienbesitzer. In den kleinen
Städten geht es zum Beispiel darum, ein mittelalterliches
Haus zu erhalten. Dort brauchen die
Menschen die Mieten durch die dortigen Läden. Es
gibt nun mehr Wohnungen, sodass damit ein Haus
erhalten werden kann. Man braucht dafür eine sehr
differenzierte Herangehensweise und Haltung. Das
ist in München ganz anders als in Nördlingen oder
Lüneburg oder in anderen Städten. Ich möchte noch
etwas zur Freiraumstruktur in der Stadt sagen. Wir
haben Flächen in der Stadt gesucht, die Potenzial
für Aufenthaltsqualitäten bieten und dafür einen
Namen gefunden: Mikroplätze. Gemeint sind kleine
Flächen, die aufgrund der baulichen und verkehrlichen
Struktur an Kreuzungen entstanden sind. Wie
können die Straßen dort geführt werden, sodass auf
der einen Seite eine kleine Grünfläche entsteht? Genauso
wichtige und wunderbare Oasen für die Menschen,
die in der Stadt wohnen, sind natürlich die
Dächer. Wir haben es nicht nur mit Satteldächern in
den Innenstädten zu tun, sondern auch mit Flachdächern.
Dachterrassen mit großen begrünten Flächen
bilden hervorragende Situationen. Das sieht
man auch in den Immobilienzeitschriften: Dachgeschosswohnungen
sind sehr begehrt. Wie können
wir es schaffen, dass jedes Gebäude, das wir neu
planen, auch den Artenschutz berücksichtigt? Beispielsweise
dadurch, dass Dachflächen mit begrünten
Flächen und einem gewissen Substrataufbau von
20 Zentimetern angelegt werden. Ich saß kürzlich in
einem Haus einer mittelalterlichen Stadt, in dessen
Hof viele Vögel im Efeu Nahrung und Unterschlupf
fanden. Es geht immer um die Einzelbetrachtung
der Situation, der Entwicklungen, aber auch der
grundlegenden Zusammenhänge. Wir müssen die
Stadt anders betrachten. Wie viele Freiflächen brauchen
die Menschen in unmittelbarer Nähe? Wie viel
kann in weiterer Nähe entwickelt werden? Mit den
Antworten auf diese Fragen konnten wir für Regensburg
wir ein System entwickeln: Wenn baulich
verdichtet wird, muss es auf anderen Flächen große
Parks geben. Ein Park wie der Englische Garten
ist damals entstanden, als München eine kleine
Stadt war. Genau solche Ideen müssen wir weiterentwickeln.
Wenn wir verdichten, brauchen wir
sieben Quadratmeter pro Mensch an einer anderen
Stelle im großen Stadtpark. Dann entstehen immer
mehr lebenswerte Städte. Sie sind jetzt schon vielfach
lebenswerter, da muss ich Elisabeth Merk absolut
recht geben. Es gibt so viele schöne Orte in unseren
Städten. Es gibt schwierige Fälle, die man sich
genau anschauen muss, aber es gibt auch sehr schöne
Situationen, die man weiterentwickeln sollte.
Noch einmal der starke Appell meinerseits als derzeitige
Präsidentin der Bundesarchitektenkammer,
dass sich alle, Stadtplaner, Architekten und Landschaftsarchitekten,
dies genau anschauen sollten.
135
[2]
großen Versuche, Handel anzusiedeln, an den Rändern
der Stadt, sind immer abgeblockt worden.
Das sind die Regulierungen außen, und gleichzeitig
gehörten Regulierungen innen dazu. Wir haben in
den 1980er Jahren einen Bebauungsplan Altstadt
gemacht, der auch heute noch zulässig ist. Er geht
in seiner Nutzungsregulierung sehr weit und verbietet
zum Beispiel die Ansiedlung neuer gastronomischer
Betriebe. Auch darf oberhalb des ersten
Obergeschosses keine gewerbliche Nutzung stattfinden,
nur Wohnnutzung. An anderer Stelle wird auch
versucht zu verhindern, dass weitere Sitzplätze eingerichtet
werden und damit weitere Eventisierung
stattfinden würde. Der Bebauungsplan versucht, das
Nutzungsgefüge sehr konservativ zu bewahren mit
all seinen Herausforderungen und Problemen. [2]
Zu den Herausforderungen: Das sind vier große Felder,
mit denen wir uns beschäftigen, und das nicht
erst seit der Coronapandemie, sondern schon in den
letzten Jahren sehr intensiv. Ich beginne mit dem
letzten Punkt, mit der Frage der Nutzungsvorgaben.
Dieser historische Bebauungsplan der Tübinger
Altstadt und Innenstadt hat ohne Zweifel große
Verdienste, weil er dazu geführt hat, dass wir keinen
McDonald’s am Marktplatz haben, dass die Filialendichte
sehr gering ist in der Innenstadt und weil
er auch dazu geführt hat, dass diese Mischung aus
Wohnen und Gewerbe vorhanden ist. Er hat auch
dazu geführt, dass sich im Bereich der Gastronomie
keine Imbisse in größerem Maße angesiedelt haben.
Es gibt zwar ein paar akzeptierte, geduldete Varianten
aus den 1980er Jahren, die sich ein wenig weiterentwickelt
haben, aber es gibt keine »Fressgasse«.
Die gibt es, und das zeigt die Herausforderung dafür
inzwischen, an den Grenzen der Altstadt, weil der
Bedarf und der Markt da sind, und sich das Thema
Essen sehr stark verändert hat. Das ist auch Teil
einer größeren Diskussion, die wir gerade führen,
nämlich inwieweit wir in Zukunft den Bebauungsplan
liberalisieren. Wie gut sind wir gefahren mit
diesen sehr starren Regulierungen? Eine Wahrnehmung
der letzten Jahre ist, dass das Leben und mit
154 Erfahrungen aus der Bau- und Planungspraxis 5
[3]
ihm die Kaufleute sich ihre Nischen und Möglichkeiten
suchen. [3]
Meine Position in dieser Diskussion ist tatsächlich,
eher den Weg in die Liberalisierung zu versuchen
und die Regulierung der 1980er Jahre zu überwinden.
Ein weiteres Thema, das vor fünf bis zehn Jahren
noch relevanter war, ist die Frage Aufenthaltsqualität
versus Verkehr. In den Anfängen der
2010er Jahre haben wir in Tübingen noch sehr intensive
Diskussionen darüber geführt, ob es den Handel
zugrunde richtet, wenn wir jetzt noch die Stellplätze
herausnehmen. Das ist eine Diskussion, die
sich heute im Verhältnis von 90 zu 10 eigentlich erledigt
hat. Fast alle Händler gehen den Weg mit, den
wir gegangen sind, erstens: die Aufenthaltsqualität
im öffentlichen Raum massiv zu erhöhen und zweitens,
die Stellplätze herauszunehmen und auf eine
andere Mobilität zu setzen. In der politischen Förderungskultur
tragen das alle mit dem Satz: Autos kaufen
nicht ein, sondern Menschen. Die Verbesserung
der Aufenthaltsqualität in der Altstadt, die sich mit
der Umgestaltung der öffentlichen Räume, der Wegnahme
des Verkehrs und dem Ausbau der Fahrradund
Fußgängerwege verbessert hat, zeigt sich auch
in den Kassen der Einzelhändler. Es bleibt trotzdem
eine lebendige Diskussion, weil unser erklärtes Ziel
in der Stadtpolitik ist, die Innenstadt größtenteils
und die Altstadt autofrei werden zu lassen. Auch der
Durchgangsverkehr soll verhindert werden, um die
Innenstadt zu einem mehr oder weniger autofreien
Raum zu machen. [4]
Die dritte Herausforderung ist bei Altstadt und
Innenstadt in Tübingen der Umgang mit unserem
historischen Erbe. Tübingen hat eine herausragende
Bausubstanz. Wir haben nun eine Gesamtanlagenschutzverordnung
erlassen, um die Qualität zu erzeugen,
und trotzdem stellt sich natürlich immer wieder
die Frage, wie wir mit neuen Bauvorhaben umgehen.
Das macht Tübingen bislang sehr vorsichtig, zumindest
im Bereich der historischen Altstadt. Wir haben,
wie viele Kommunen, einen Gestaltungsbeirat, der
uns sehr viel hilft, und wir nähern uns vorsichtig an.
155
Impuls 2
Christine Schimpfermann, Regensburg
158 Erfahrungen aus der Bau- und Planungspraxis 5
Ein wesentliches Augenmerk der Stadtentwicklung
liegt in Regensburg auf der Altstadt. Die große
Herausforderung besteht darin, einerseits die städtebaulichen
Qualitäten des Weltkulturerbes unter
Berücksichtigung denkmalpflegerischer Aspekte
zu erhalten, andererseits aber auch die Altstadt mit
Blick auf die Anforderungen des 21. Jahrhunderts
weiterzuentwickeln. Im Folgenden sollen einige
ausgesuchte Aspekte dieses Handlungsfelds erläutert
werden.
Das Einzelhandels- und Zentrenkonzept
Das Einzelhandels- und Zentrenkonzept der Stadt
Regensburg ist die Richtschnur für Entwicklungsmöglichkeiten
und -grenzen der Altstadt und ist für
den Zeitraum bis 2030 angelegt. Das Leitziel dieses
Konzeptes besteht in der klaren Aussage, die Altstadt
als dominierende, attraktive und lebendige
Einkaufslage weiter zu stärken. Wichtige Elemente
der Strategie zur Erreichung dieses Leitziels sind die
Sicherung der Altstadt als zentralen Einzelhandelsstandort
mit dem größten Angebot an zentrenrelevanten
Sortimenten, einer ausgewogenen Balance
aus individuellen inhabergeführten Fach- und
Spezial geschäften sowie bekannten Markenlabels
und Filialisten und nicht zuletzt einer leistungsstarken
Mischung aus Warengruppen, Betriebsgrößen
und -typen. Feste Bestandteile einer lebendigen und
vielfältigen Altstadt sind neben dem Einzelhandel
zum Beispiel Gastronomie, Kulturangebote und
Bildungseinrichtungen, durch deren Verknüpfung
untereinander Synergieeffekte generiert werden
können. In einzelnen Straßen und Quartieren wird
eine gezielte Profilbildung oder die Forcierung eines
Einzelhandels-Clusters angestrebt. Als Best-
Practice-Beispiel sei an dieser Stelle das Kultur- und
Kreativzentrum Das Degginger erwähnt, das die
Stadt Regensburg selbst betreibt. Dafür wurden
Räumlichkeiten in einem ehemaligen Leerstand
angemietet und eine vielfältige Mischung aus Gastronomie
(Café, Bar und moderne Küche), Co-Working-Space
und Ausstellungs- beziehungsweise
Veranstaltungsräumen für verschiedenste kulturelle
Nutzungen eingerichtet. Neben diesen klassischen
Standortfunktionen bietet die Altstadt aber
auch ein wichtiges Experimentierfeld für moderne
Shop-Konzepte und Pop-up-Stores und wird im
Bereich der digitalen Infrastruktur laufend weiterentwickelt,
um ein smartes Einkaufs- und Serviceangebot
erlebbar machen zu können. Diese Aspekte
sollen auch im Rahmen des Projekts »R-Next« vorangetrieben
werden. Eingebettet in diese SmartCity-
Strategie werden Themen wie öffentliches WLAN,
Mobility Hubs, ein aktives Leerstandsmanagement
und weitere digitale Angebote entwickelt und zur
Umsetzung vorbereitet.
Das ISEK Zentrale Altstadt
Das Integrierte städtebauliche Entwicklungskonzept
zentrale Altstadt ist ein wichtiger Baustein der
Stadtentwicklung in diesem Bereich. Ausgehend
vom Status quo wird die Zukunftsfähigkeit der Altstadt
gestaltet. Dabei wird die Altstadt als Ganzes
betrachtet, um die Schaffung von städtebaulichen
und planerischen Leitgedanken und Handlungsansätzen
sowie die Einordnung bestehender und
aktualisierter (Fach-)Konzepte integriert bearbeiten
zu können. Wichtig sind dabei selbstverständlich
ein intensiver Beteiligungsprozess sowie eine breit
angelegte Öffentlichkeitsarbeit.
Die Verkehrsberuhigung der Altstadt
Am 03. Dezember 2019 wurde im Stadtrat der Beschluss
zur Verkehrsberuhigung der Altstadt und der
Veränderung der Verkehrsführung im Kernbereich
gefasst. Demnach soll Schritt für Schritt ein Verkehrsnetz
ausgebaut werden, das den ÖPNV sowie den
Fuß- und Radverkehr priorisiert und dadurch zu einem
Zugewinn an Aufenthaltsqualität führt. Bei der
Erarbeitung dieser Planungen wird bereits frühzeitig
großer Wert auf die Kooperation mit Interessensverbänden,
Gewerbetreibenden und der Bürgerschaft
gelegt, um einen Konsens über die Ziele und die damit
verbundenen Maßnahmen finden zu können.
159
Christoph Mäckler, Jürgen Odszuck, Matthias Alexander, Hilmar von Lojewski,
Barbara Ettinger-Brinckmann, Wolfgang Sonne, Jörn Walter
Digital: Christine Schimpfermann, Cord Soehlke, Michael Berkhahn
Insofern hat sich durch 20 bis 25 Jahre gezielter
Investitionen der Wohnstandort etabliert, sodass
die Menschen diesen einzigartigen Standort wiederentdeckt
haben. Das ist aber kein Selbstläufer,
das Zusammenspiel der Funktionen muss immer
wieder neu ausverhandelt werden. Ich habe Ihnen
schon von den vielen Gesprächsrunden und Quartiersrunden
berichtet, in denen das immer wieder
Thema ist. Uns gelingt es bisher jedoch nicht, Familien
in die Altstadt bringen. Sie ist folglich kein
Familienwohnstandort, sondern ein Wohnort vor
allem für Single- oder Zwei-Personen-Haushalte
aus allen Altersschichten. Insbesondere Studierende
und Senioren schätzen die Zentralität der Altstadt
sehr. Planungsrechtlich ist der Innenbereich
Regensburgs zum größten Teil ein 34er-Bereich. Es
gibt nur einen sehr kleinen Bereich, in dem in den
90ern ein Kerngebiet ausgewiesen worden ist, aber
das ist wirklich nur ein Bruchteil der Altstadt. Insofern
wird im Hinblick auf die Genehmigungsfähigkeit
alles nach § 34 BauGB entschieden.
Ettinger-Brinckmann Meine Frage führt in dieselbe
Richtung. Im Grunde genommen gibt es so ein
Baugebiet nach der Baunutzungsverordnung gar
nicht, so wie Sie es in Ihren Altstädten haben. Wer
wohnt da? Wie ist die Eigentümerstruktur und gibt
es nicht auch dort Konflikte mit neuem Wohnbedarf
und dem Denkmalschutz? Sie sagten, dass es dort
auch Seniorenwohnen gibt. Das Thema Inklusion,
Barriere freiheit ist ein schwieriges Thema, da es den
Konflikt mit dem Denkmalschutz und auch den Konflikt
mit den Parkplätzen auslöst. Das ist sicherlich
nicht unproblematisch. Wie gehen Sie damit um?
Schimpfermann Ja, das ist richtig. Sie haben zwei
wichtige Punkte angesprochen. Wir haben durch
langjährige Diskussionen mit der Denkmalpflege,
nicht nur mit der städtischen, sondern auch mit der
Landesdenkmalpflege, viele Lösungen bei Einzeldenkmalen
gefunden, um moderne Wohnstandards
umsetzen zu können. Unsere Gebäude in der Altstadt
stammen zum größten Teil aus der Gotik, zum
Teil aus der Romanik. Regensburg hat wenig Gebäudesubstanz
aus dem Barock oder der Renaissance,
weil es der Stadt zu dem Zeitpunkt wirtschaftlich
sehr schlecht ging und daher die alten Gebäude
nicht abgerissen wurden. Der heute vorhandene Bestand
aus der Gotik und Romanik wurde aus einem
städtebaulichen Missstand in unsere Zeit gerettet.
178 Erfahrungen aus der Bau- und Planungspraxis 5
Wir versuchen immer wieder, zum Teil in zähen Einzelverhandlungen,
barrierefreie Situationen in alten
Denkmälern zu etablieren, und wir haben zum Beispiel
über zwölf Jahre lang mit der Denkmalpflege
verhandelt und eine Lösung gefunden, um auch das
Alte Rathaus, ein Gebäude aus der Gotik, mit einem
Aufzug behindertengerecht zu erschließen. Wir
gehen als Stadt vorbildhaft damit um, indem wir
versuchen, bei städtischen Anwesen Lösungen zu
finden, die dann auch auf private Gebäude übertragbar
sind. Wir haben einen Inklusionsbeauftragten,
der sich nicht nur um die städtischen Liegenschaften
kümmert, sondern auch Private berät, wenn sie
zum Beispiel in der Altstadt barrierefrei bauen wollen.
Insofern ist das ein Thema, das automatisch
mitbehandelt wird.
Das Thema Stellplätze ist in der Tat ein Problem.
Wir haben bei Neubauten oder Sanierungen in der
Altstadt – Neubauten gibt es dort kaum – teils keine
Stellplätze errichtet. Die Stellplätze werden in
den Parkierungsanlagen und Parkhäusern am Innenstadtrand
nachgewiesen und zum Teil einfach
abgelöst. Wer in die Altstadt zieht, hat nicht unbedingt
einen Stellplatz. Wir haben allerdings in der
Altstadt noch eine ganze Reihe von sogenannten
Anliegerstellplätzen im öffentlichen Raum, die
ich gerne noch weiter reduzieren möchte, um insbesondere
den anderen Mobilitätsformen mehr
Raum zu gehen, weil dort die Fahrzeuge eigentlich
den ganzen Tag nur stehen. Als attraktives Angebot
gibt es seit Anfang Juni 2021 eine neue Möglichkeit:
unseren Altstadt-Bus. Dabei handelt es sich
um einen elektrobetriebenen Bus, der kostenlos in
der Altstadt fährt und die Parkhäuser und wesentlichen
Ziele in der Altstadt miteinander verbindet.
Wer in der Altstadt wohnt, kann diesen Altstadt-
Bus kostenlos nutzen und seine Mobilität auf diese
Weise verbessern. Das sind kleine Maßnahmen,
mit denen wir versuchen, die Mobilität in der Altstadt
für diejenigen sicherzustellen, die nicht so
gut zu Fuß sind.
Alexander Ich muss die Diskussion hier leider abbrechen.
Ich danke Ihnen sehr für Ihre spannenden
Beiträge.
179
[2] Impression aus der »City A«
14 Jahren schon wieder abgerissen – nämlich das Rathaus.
Brandschutzmängel und bauliche Mängel haben
dazu geführt, dass ein Abriss mehr oder weniger
unumgänglich war. Übrigens musste dafür das Rathaus
aus der Gründungszeit von Leverkusen weichen.
Das hätte man jetzt eigentlich gerne wieder und politisch
wird gerade darüber diskutiert, eine alte Schule
in der Nähe, die nicht unter Denkmalschutz steht,
aber so anmutet, als Rathaus zu nutzen, um zukünftig
wieder ein identitätsstiftendes Gebäude als Rathaus
zu haben. Zurzeit ist unser Rathaus Teil eines
Einkaufszentrums, schwebt sozusagen darüber, und
ist Gelenk innerhalb der Fußgängerzone. Rechts des
Rathauses befindet sich die »City C«, und am anderen
Ende der Fußgängerzone die »City A«. Sowohl die
»City A« als auch die »City C« sind mittlerweile in eine
städtebauliche und ökonomische Schieflagen geraten
und sind geprägt von unter anderem Leerständen,
hoher Anbieter-Fluktuation und einer unzeitgemäßen
baulichen und funktionalen Struktur wie die
nebenstehenden Fotos verdeutlichen. [2 / 3] Dabei ist
die Problemlage in der »City C« noch prekärer. Wir
haben insgesamt auch zu viele Einkaufsflächen innerhalb
dieser Innenstadt. Dazu kommen bei uns
Herausforderungen wie die Seveso II- beziehungsweise
mittlerweile Seveso-III-Richtlinien, da wir uns
in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Bayerwerkes,
dem heutigen »CHEMPARK« befinden.
[3] Impression aus der »City C«
und im Interview diese Planung in höchsten Tönen
gelobt haben. Im oberen Bereich des Bildes [1] kann
man diese bis heute erhaltenen kleinteiligen Strukturen
gut erkennen, die sich vorher auch im Bereich der
sogenannten City gefunden haben, und die von vielen
heute tatsächlich schmerzlich vermisst werden.
Das also in aller Kürze zur Historie. Und nun dazu,
was aus diesen drei Bereichen der City geworden ist.
Das, was als letztes 1977 entstanden ist, ist bereits seit
Diese Problematiken gab es natürlich schon vor
Corona. Wir haben auch schon vor Corona gestartet,
aber es hat sich natürlich jetzt noch sehr viel weiter
verschärft – das ist in den vorherigen Vorträgen auch
jedes Mal deutlich geworden. Wie also sieht unsere
Strategie aus? Wie sind wir gestartet? Wir haben ein
integriertes Handlungskonzept für Wiesdorf aufgestellt.
Die Themen waren und sind: Verkehr neu
denken, Bildung, Integration und Kultur stärken
und urbane Entwicklung auch durch Wohnungsbau
fördern. Das ist ein Masterplan für die nächsten
zehn bis 15 Jahre. Wir haben 48 Maßnahmen identifiziert,
die wir in den nächsten Jahren als Stadt,
190 Erfahrungen aus der Bau- und Planungspraxis 6
[4] Einweihung Funkenplätzchen 2018
als Stadt mit Dritten oder aber auch von Investoren
umsetzen lassen wollen. Eine erste Maßnahme war
der Umbau des Zentralen Omnibusbahnhofs. Auch
dieser war in die Jahre gekommen und wir mussten
Flächen für den RRX-Gleisausbau abgeben. In einem
Wettbewerbsverfahren ist der Entwurf mit einer
Membran als Dach und einer sehr leichten Stahlkonstruktion
entstanden. Nach einer nicht ganz so
einfachen Bauphase konnte der Busbahnhof aber
bereits Anfang 2020 eröffnet werden. Wir wollen in
der Innenstadt nach und nach Aufenthaltsqualitäten
steigern – als Beispiel dafür das sogenannte Funkenplätzchen.
[4] Dort wollten wir zum einen zwei große
raumbildende Platanen absichern, indem wir das
Beet mit den zum Teil schon gesprengten Einfassungen
erneuerten und vergrößerten. Gleichzeitig sollte
das neue Holzplateau, das entstanden ist, als Bühne,
Liegefläche oder zum Sitzen dienen. Zu sehen ist
auch der Schriftzug der Karnevalsgesellschaft »Rote
Funken«. Wir sind hier im Rheinland – das deutet
schon darauf hin, dass die Bühne und der Platz auch
zum Karneval wieder stark genutzt werden soll.
Neben den Städtebaufördermitteln, die wir hier
eingesetzt haben, haben wir auch Mittel für das Sofortprogramm
Innenstadt 2020 generiert. Die Mittel
aus dem Sofortprogramm werden schwerpunktmäßig
in die westliche Innenstadt mit den hier befindlichen
Luminaden – die »City A« – fließen. Ich
möchte kurz erläutern, dass es hier nicht nur darum
geht, die Gebäudestrukturen der Luminaden zu ändern,
sondern sie in einen Kontext mit dem Umfeld
zu setzen und auch mit den Eigentümern aus dem
Umfeld gemeinsam zu diskutieren und zu planen.
Parallel haben sich tatsächlich aufgrund der ganzen
Diskussion um das integrierte Handlungskonzept
191
Impuls 1
Ludger Wilde, Dortmund
210 Erfahrungen aus der Bau- und Planungspraxis 7
[1] City Konzept 2030
Dortmund ist mit seinem vielfältigen Angebot an
Einzelhandel, Dienstleistungen, Gastronomie, Kultur-
und Freizeiteinrichtungen und Veranstaltungen
das regional bedeutsame Oberzentrum im östlichen
Bereich der Ruhrmetropole. In den vergangenen Jahren
sind bezogen auf den Handelsplatz auch in Dortmund
die Auswirkungen des Onlinehandels und das
geänderte Konsumverhalten der Verbraucher*innen
deutlich spürbar. Die Funktion der City wandelt
sich. Die Pandemie und die temporäre Schließung
des Handels und der Gastronomie beschleunigen
diesen Wandlungsprozess. Ein vollständiges Bild
wird sich erst nach und nach zeigen, eine verlässliche
Prognose »der Zeit nach Corona« ist schwer
möglich. Sicher ist, dass eine strukturelle Neuorientierung
der City erforderlich ist. Es gibt Chancen,
die es für die Stadt und Akteure zu heben gilt. Ganz
im Sinne des City Konzeptes 2030, welches die Cityentwicklung
als dynamischen Prozess sieht und sich
immer wieder auf neue Rahmenbedingungen ausrichten
muss. [1]
Das prägende Gesicht und das Herz der Dortmunder
City sind die zentralen Bereiche innerhalb des
Wallrings rund um Hellweg und Kampstraße. Die
zahlreichen Plätze bilden nach wie vor das Rückgrat
künftiger städtebaulicher Entwicklungen mit Qualität,
Vielfalt und Attraktivität. Die Gestaltqualität
des öffentlichen Raums ist ein wesentlicher Faktor
für die Attraktivität der City und setzt sie in vielfältiger
Hinsicht in der Wahrnehmung der Menschen
in Szene.
211
[3] Holstenfleet, langes Becken in den Abendstunden mit Blick zum Kleinen Kiel
[4] Holstenfleet, Blick über das große Becken
218 Erfahrungen aus der Bau- und Planungspraxis 7
[5] Visualisierung Holstenplatz mit seinem Baumbestand und
der geplanten Umwelttrasse für den öffentlichen Nahverkehr in der Andreas-Gayk-Straße
[6] Visualisierung nördlicher Holstenplatz mit Blick über den geplanten »Seebrunnen« zum Fährhafen
219
Reiner Nagel, Barbara Ettinger-Brinckmann
Digital: Alexander Rychter, Doris Grondke, Holger Matthäus, Ludger Wilde
um in der Kommune nicht ausgebremst zu werden.
Ich muss ein bisschen provozieren, weil ich glaube,
dass wir diese Thematik (vielleicht auch an anderer
Stelle?) unbedingt diskutieren sollten. Was braucht
man an Unterstützung, auch vom Bund, bei der
Erleichterung, Verschlankung von Verfahren, aber
auch an finanziellen Mitteln? Beispielsweise haben
wir bei uns in Kiel im Bereich der Innenstadt viele
große Gebäudestrukturen aus der Nachkriegszeit
und Investor*innen aus Benelux, die wir einfach
nicht an den Tisch bekommen. Vorhin wurde die
Frage gestellt, ob man in Kiel einen großen Strukturwandel
hinbekommt. Ich kann mir das sofort
vorstellen, aber wir brauchen eine entsprechende
Finanzausstattung. Wir haben das im Kleinen versucht,
kommen allerdings nicht weiter, weil der Verkehrswert,
der von städtischer Seite zugrunde gelegt
wird, rückwärtsgewandt ist. Wir müssen, wenn wir
über Geld und Geldausstattung sprechen, über Wohnungsfonds
reden, die in die Zukunft gerichtet sind
und mit Angeboten von Projektentwicklern mithalten
können. Das war zwar nicht die eigentliche Frage,
aber ich wollte die Gelegenheit nutzen, für dieses
Thema zu werben.
Wilde Die Stadt hat sich Umbauziele gesetzt. Ich
habe das City Konzept 2030 vorgestellt, aber wir
haben uns auch eine Ziel-Zahl gesetzt. Diese lautet
2027. 2027 sind wir Teil der Internationalen Gartenausstellung
hier im Ruhrgebiet, die der Regionalverband
Ruhr (RVR) erfolgreich beworben hat. In
Dortmund liegt ein sogenannter Zukunftsgarten,
der ist zwar nicht Teil der City, sondern liegt etwas
außerhalb. Wir haben uns vorgenommen, nicht nur
diesen Zukunftsstandort, sondern auch die City
entsprechend mit nachhaltigen Grünformaten zu
präsentieren. Daran wird aktuell gearbeitet. Der
Startschuss ist in diesem Jahr gefallen. Ziel ist es,
in den nächsten Jahren immer ein bisschen mehr
an »Grün« zu realisieren, um 2027 auch mit der
City als grüne Stadt wahrgenommen zu werden.
Wie geht Dortmund mit dem Thema Wohnen um?
Wir sind eine Stadt mit 50.000 Studierenden, in der
City haben keine 100 von ihnen ihren Wohnort. Sie
wohnen rund um die Innenstadt. Aber es gibt aktuell
ein sehr interessantes Neubauprojekt in der City,
welches im kommenden Jahr fertiggestellt wird,
mit rund 400 Studierendenwohnungen. Es ist eine
gemischte Immobilie: Im Erdgeschoss und im Souterrain
Handel, darüber Wohnen, im Dachgeschoss
232 Erfahrungen aus der Bau- und Planungspraxis 7
Hotel und Gastronomie. Ich glaube, dass das die Zukunft
sein wird, und dass man solche Angebote machen
muss. Auch wenn nicht alle Studierenden sich
das leisten können. Für junge Familien haben wir im
Augenblick kein wirklich gutes Angebot in der City.
Ich würde mir wünschen, das stärker auszubauen.
Denn je attraktiver die City und die Innenstadt mit
Auto-Freiheit, Spielmöglichkeiten und Grün ist, desto
interessanter wird sie für Familien mit Kindern.
Vielen Dank.
Alexander Herr Matthäus, ich würde gern ein Thema
ansprechen, auf das Frau Grondke in ihrem Beitrag
eingegangen ist: Das Thema Baukultur, für welches
sie einen Verein gegründet hat, der offenkundig in
Kiel auf große Resonanz gestoßen ist. Wie verhält
sich dies in Rostock? Gibt es ein Interesse in der
Bevölkerung an dem, was in der Kommune passiert?
Oder sind solche Diskussionen, die wir hier führen,
elitär, abgehoben und nicht transportierbar in viele
Bevölkerungskreise? Wie nehmen Sie die Qualitätsdebatten
wahr, die wir führen?
Matthäus Ein klares Nein, das ist im Volk verankert.
Eigentlich gab es bei jedem Bauprojekt viel Kritik.
Wir haben seit sechs Jahren einen Gestaltungsbeirat,
in dem alle wichtigen Objekte, die in der Stadt gebaut
werden, vorgestellt werden, in dem sich die Architekten
verteidigen müssen. Auch gibt es entsprechende
Hinweise, aufgrund derer Architekten entsprechend
umsteuern müssen; dies spiegelt sich in den Baugenehmigungen
wider. Das Interesse der Bevölkerung
an guter Qualität, an vorzeigbaren Häusern und
Fassaden, die interessant sind, ist gegeben.
Alexander Frau Grondke wie setzt sich Ihr Verein
zusammen? Sind Personen Mitglieder, die auch zu
Planungswerkstätten kommen und kritisieren würden
oder Personen, die ein produktives Verhältnis
zu stadtplanerischen Debatten haben?
Grondke Es gibt dort ganz unterschiedliche Personen
in dem Verein für Baukultur, und darüber bin
ich sehr froh. Gegründet wurde der Verein komischerweise
mit einem Abbruchunternehmer. Der
Gründungsverein besteht aus 120 Personen, die von
sich aus gesagt haben, dass sie dabei sein wollen;
aufgrund der Pandemie gab es dann leider einen Einbruch.
Es gibt die Kritiker und solche, die wirklich
Interesse haben, die Stadt nach vorne zu bringen.
233
gemeinsame Verantwortung auch für das jeweilige
gesamte Bahnhofsumfeld, denn ein Bahnhof
ist nicht nur ein Bahnhof. Er hat ein Umfeld, wo
umgestiegen und angekommen wird, wo man
sich verabschiedet oder in eine Stadt einsteigt, wo
Mobilitätsteilnehmende und Wohnbevölkerung oder
Arbeitende gleichberechtigt diesen Raum nutzen. Ich
finde es sehr wichtig, dass bei allen Förderprogrammen,
die aufgelegt werden, nicht nur die Städte zu
ihren Bahnhöfen und deren Umfeld in die Pflicht genommen
werden, um diese Orte so zu gestalten, dass
sie sicher und intermodal, qualitätsvoll und lebenswert
sind, sondern ich empfinde das als eine gemeinsame
Aufgabe zwischen Bahn und Städten bis hin zu
Eigentümern von Immobilien, auch Bund und Land.
Wenn wir schon emotional werden, dann lasst uns
leidenschaftlich die Bahnhofsviertel mit betrachten,
weil sie als Lebensorte und identitätsstiftende Drehscheibe
im umfassenden Sinne dazugehören.
Haack Es ist auch nicht nur das Bahnhofsumfeld.
In dem Maß, in dem wir Mobilität auf die Bahn verlagern,
kommt noch etwas für die Städte hinzu, das
viel gravierender ist. Durch die Lärmschutzmaßnahmen
werden die Städte absolut getrennt. Da fehlt das
Qualitätsdenken, da gebe ich Jörn Walter recht, aus
diesen trennenden Elementen sollten neues Kommunikationswege
gemacht werden. Große Eingriffe
in Stadtstrukturen können Städte zerstören. Nicht
nur im Bahnhofsumfeld, sondern auch entlang der
Trassen muss somit viel getan werden.
Nagel Wir haben über Erfurt gesprochen, das ist ein
Bahnhof mit einem Bahnhofsumfeld, wo als Seilleuchten
»Kronleuchter« über dem Willy-Brand-Platz
hängen. Seilleuchten sind immer wieder ein guter
Hinweis darauf, dass die Stadt gut organisiert ist.
Und raten Sie mal, welche die fünf schönsten Einkaufs-
und Handelsstädte Deutschlands sind? Das
Institut für Handelsforschung fragt alle zwei Jahre
etwa 60.000 Passanten in 116 Städten, wie sie
zufrieden sie mit ihrer Stadt sind. Die schönsten
Wolfgang Sonne
Städte aus Sicht des Handels sind Erfurt, Trier,
Stralsund, Wismar und Leipzig, letztere mit dem aktuell
schönsten Bahnhof Europas. Bahnhöfe, Innenstadtkonsistenz
und Schönheit der Stadt tragen zur
Zufriedenheit der Menschen bei. Wir sollten nicht
nur auf die Lebendigkeit durch Menschen, sondern
auch auf die Rahmenbedingungen von Gebäuden
achten, die in Städten gegeben sind. Das ist auch
systematisch durch die Städtebauförderung in den
letzten Jahren passiert. Es kam kurz das Thema von
Verhandlungsorten auf. Wenn unsere Innenstädte
generell zu einer Zukunftsaufgabe werden, in den
nächsten fünf Jahren wird es durch die Leerstände
zu Funktions- und Attraktivitätsverlusten kommen,
dann bieten sich sogenannte Baukulturforen
an. München und Hamburg haben diese. Wolfgang
Sonne ist diesbezüglich quasi eine personifizierte
Instanz als wissenschaftlicher Leiter des Baukunstarchivs
in Dortmund. Braucht es mehr solcher öffentlicher
Baukulturzentren in der Innenstadt und
können diese einen Beitrag leisten?
Sonne Mit Sicherheit. Wir müssen natürlich aufpassen,
dass wir öffentliche Institutionen nicht
282 Schlussdiskussion
aufblähen. Welche öffentlichen Orten kann es in der
Stadt geben? Wir müssen auch Privates in die Stadt
bringen, nicht nur das Wohnen mit den Wohnungsbaugesellschaften,
sondern auch die Produktion und
das Arbeiten, wir brauchen qualifizierte Privatflächen,
Höfe, in denen Wohnen und Produktion stattfinden
können. Auch die Baukulturforen sind eine öffentliche
Angelegenheit. Das ist sehr wichtig und eine
große Chance. In Dortmund gibt es die Chance, mit
all den Ausbildungsstätten für Architektur und Stadtplanung,
einer Universität und einer Fachhochschule,
mit den verschiedenen Forschungsinstitutionen in
der Stadtgesellschaft und dem Baukunstarchiv NRW
sehr viel in Bewegung zu bringen. Die Stadt selbst hat
seit langem bereits das Forum Stadtbaukultur.
Nagel Lydia Haack, schaffen es auch kleinere Orte,
solche Baukulturzentren zu etablieren?
Haack Ich glaube, dass das nicht nur um Baukulturzentren
gehen kann. Man muss auch an den alltäglichen
Ort das Leben vital halten. Begegnungsorte
brauchen ein neues Zuhause. Vielleicht gibt
es künftig wieder den Beruf des Concierge, der die
Päckchen verteilt und so zum Treffpunkt wird. Generell
müssen wir alles, wo wir uns treffen und austauschen
können bündeln. Sei es das Einkaufen
oder der Arztbesuch. Auch Querverbindungen von
Nutzungen können hier helfen beispielsweise eine
Verbindung von Kinderbetreuung und Senioreneinrichtung.
Ich glaube, dass die Art und Weise, wie wir
miteinander umgehen und welche Toleranzschwellen
wir haben, angesprochen und überdacht werden
muss. Wir müssen unsere Strukturen des Miteinanders
verändern und damit auch die zugrunde liegenden
Normen und Regeln neu verhandeln.
Nagel Das heißt, dass sich die Nutzenden oder die
Bewohnerinnen und Bewohner engagieren müssen.
Das Bürgerengagement, zu dem jeder selbst beitragen
kann, ist überlebenswichtig, man muss zum
Beispiel nicht online bestellen und braucht dann
Lydia Haack
auch keine Lieferfahrzeuge überall in der Stadt.
Man kann auch stationär in der Kleinstadt einkaufen.
Wir haben dieses Thema Innenstadtleben nochmal
zusätzlich beleuchtet, auch bei den kleineren
Städten und auch was die Träger von Infrastruktur
betrifft, die noch erhebliche Defizite bezogen auf
integrierte Ansätze haben. Das Thema Innenstadt
hat momentan Konjunktur und es entstehen überall
Papiere zum Thema »Rettet die Innenstädte!«. Nun
wird ein Aktionsprogramm seitens des BMI aufgestellt.
Es werden Förderprogramme formuliert, die
den Innenstädten helfen sollen, meistens auf der
Software-Seite durch Quartiersmanagement, durch
kurze Belegung von Läden. Aber wir brauchen vor
allem städtebaulich eine langfristige Perspektive
für mehr Mischung, Vielfalt und Lebendigkeit.
Diesbezüglich muss man ziemlich konsequent sein.
Man darf sich nicht übersehen, dass eine Baulandbereitstellung
in Vorortbaugebieten, an anderer
Stelle ein Ventil öffnet und die Innenstädte strukturell
schwächt. Das Thema dieser 11. Konferenz
zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt ist sehr
wichtig. Diese wirft die Frage auf, wie es jetzt weitergeht.
Ich würde nun die kleine Schlussrunde öffnen.
283
[1] Perspektive
[3] Perspektive
ANERKENNUNG
Entwurfsverfasser:
Cäcilia Halbgewachs und Jakob Magg
Hochschule:
TU München
Städtische Architektur
Prof. Dietrich Fink
Betreute Semesterarbeit
»Das Berliner Stadthaus am Checkpoint Charlie« (Neuinterpretation des Berliner Blocks) stellt eine Verbindung
zwischen Berlin Mitte und Kreuzberg her. Um den Straßenraum zu fassen, wird der vorhandene Block
sinnvoll ergänzt und geschlossen sowie durch zwei Höfe gegliedert. Die Parzellierung und Kleinteiligkeit der
angrenzenden Nachbargebäude wird leider nicht übernommen. Trotz der so entstehenden Länge der Hauptfassade
erzeugt die vertikale Gliederung der Fassade in Sockel (mit öffentlicher Nutzung), Mittelteil und
oberer Abschluss einen lebendigen und bereichernden Baustein für die Stadt. Die beiden Höfe sind als erweiterter
Stadtraum interpretiert und ein Angebot an die Öffentlichkeit als Kompensation für fehlende Rückzugsorte
und Grünanlagen. Die Qualität eines privaten Berliner Innenhofes wird dadurch für die Bewohner
allerdings geopfert. Der Entwurf sieht ein Gebäude mit offener Struktur und vielseitigen Nutzungen vor.
298 Studentischer Förderpreis 2021
[1] Isometrie
[2] Perspektive [3] Perspektive
ANERKENNUNG
Entwurfsverfasser:
Tobias Thom
Hochschule:
Technische Hochschule Mittelhessen, Gießen
Städtebau und Stadttheorie
Prof. Dr. Alexander Pellnitz
Betreute Semesterarbeit
Der Entwurfsverfasser plant ein Eckgebäude, das sogenannte Dreigiebelhaus, in der Marburger Südstadt.
Charakteristisch sind die drei Giebel, die die Gebäudeeckesehr prägnant betonen. Die Architektursprache
mit dem Motiv der Giebel wird positiv bewertet. Diese Hervorhebung sowie die Setzung des Gebäudes bilden
ein städtebauliches Signal und werden dem Viertel gerecht. Das Haus fügt sich angemessen in den vorhandenen,
offenen Block ein. Vorgärten trennen den öffentlichen und den privaten Raum voneinander. Die
Ausbildung eines Hochparterres ermöglichen das Wohnen auch an einer exponierten Straßenkreuzung. Die
Grundrisse sind jedoch weniger gut entwickelt und werden der Ecksituation nur bedingt gerecht. Durch die
fehlende Adressbildung (aufgrund des Eingangs von der Blockinnenseite) wird das Potential der Ecke nicht
ausgeschöpft.
299
Impressionen
302 Impressionen
303
306 Impressionen
Elisabeth Merk
307
Jörg Biesler,
Hilmar von Lojewski,
Christoph Mäckler
Barbara Ettinger-Brinckmann, Arnold Bartetzky, Thomas Dienberg
Thomas Dienberg, Jörn Walter, Jürgen Odszuck, Arnold Bartetzky
309
Herausgeber
Christoph Mäckler und Wolfgang Sonne
Deutsches Institut für Stadtbaukunst
Konferenz zur Schönheit und
Lebensfähigkeit der Stadt
Band 11
Innenstadtleben
© 2022 by jovis Verlag GmbH
Das Copyright für die Texte liegt bei den Autoren.
Das Copyright für die Abbildungen liegt bei den
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Mitarbeit:
Gina von den Driesch
Marianne Kaiser
Henrike Wißmann
Jytte Zwilling
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Anke Tiggemann
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der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese
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über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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