Festspielzeit Sommer 2022
Das Magazin der Bregenzer Festspiele
Das Magazin der Bregenzer Festspiele
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DAS MAGAZIN DER<br />
BREGENZER FESTSPIELE<br />
FESTSPIEL<br />
ZEIT<br />
AUSGABE 3 | BREGENZER FESTSPIELE 20. JULI – 21. AUGUST <strong>2022</strong><br />
»DIESE BÜHNE<br />
IST EIN GESCHENK«<br />
Kostümbildner Antony<br />
McDonald im Interview<br />
über Madame Butterfly<br />
EIN KOMPONIST ABSEITS<br />
TOURISTISCHER ROUTEN<br />
Regisseur Vasily<br />
Barkhatov über Umberto<br />
Giordanos Sibirien<br />
ZWISCHEN REALITÄT<br />
UND TRAUMWELT<br />
Kapitän Nemos Bibliothek –<br />
eine Oper sucht die<br />
Grenzen des Erinnerns
4<br />
»Diese Bühne ist<br />
ein Geschenk für<br />
die Kostüme«<br />
16<br />
Fit für die Zukunft<br />
Das Festspielhaus Bregenz wird<br />
bis 2024 umfassend saniert<br />
Kostümdesigner Antony<br />
McDonald über mutige Entwürfe<br />
für Madame Butterfly<br />
INHALT<br />
9<br />
Ein Bild entsteht<br />
8<br />
Mehr als Nadel<br />
und Faden<br />
Ein Blick in die Kostümwerkstatt<br />
der Bregenzer Festspiele<br />
Schneebrille, Malerpinsel und<br />
Farbrolle – das Kaschurteam<br />
der Seebühne bei der Arbeit<br />
12<br />
Ein Komponist abseits<br />
der touristischen<br />
Routen<br />
Vasily Barkhatov über seine<br />
Inszenierung von Umberto<br />
Giordanos Sibirien<br />
17<br />
Spannende Lektüre<br />
Das Textbuch zu Sibirien<br />
neu im Festspielshop<br />
18<br />
Programmübersicht<br />
Das Programm der Bregenzer<br />
Festspiele <strong>2022</strong> im Überblick<br />
2
20<br />
Zwischen Realität<br />
und Traumwelt<br />
Ein Musiktheater rund um<br />
die Suche nach dem Selbst:<br />
Kapitän Nemos Bibliothek<br />
28<br />
Hybrid durch<br />
die Jahrhunderte<br />
Melencolia, eine Show gegen die<br />
Gleichgültigkeit des Universums<br />
34<br />
Kartenübersicht<br />
Kartenkategorien und Preise<br />
INHALT<br />
Impressum<br />
BREGENZER FESTSPIELE GMBH<br />
Platz der Wiener Symphoniker 1<br />
6900 Bregenz | Austria<br />
T +43 5574 407-5<br />
www.bregenzerfestspiele.com<br />
Herausgeber Bregenzer Festspiele GmbH<br />
24<br />
Eine eigene Sprache für<br />
zwei Stunden Theater<br />
30<br />
»Jeder Takt steckt<br />
voller verborgener<br />
Juwelen«<br />
Intendantin Elisabeth Sobotka<br />
Redaktion Kathrin Grabher, Lisa Kloos,<br />
Axel Renner, Olaf A. Schmitt<br />
Gestaltung moodley brand identity |<br />
Bregenzer Festspiele – Kathrin Grabher<br />
Druck Buchdruckerei Lustenau<br />
Lektorat Thorsten Bayer Text<br />
Tex te Julia Decker (S. 4 ff.) | Arno Miller (S. 8) |<br />
Jutta Berger (S. 9 ff.) .) | Olaf A. Schmitt (S. 12 ff.,<br />
S. 24 ff., S. 28 f.) | Ö1 (S. 17 u.) | Christiane Plank-Baldauf /<br />
red. (S. 20 ff.) | SWR4 (S. 23) | Dallmayr (S. 27 r.) |<br />
Elisabeth Merklein (S. 30)<br />
Abbildungsnachweise Anja Köhler (Titelbild – Arbeiten<br />
Neue Wege für Shakespeares<br />
Sturm: Regisseur Jan Bosse<br />
und Übersetzer Jakob Nolte<br />
im Gespräch<br />
Dirigent Jonathan Brandani<br />
auf Entdeckungsreise im<br />
Opernstudio<br />
am Bühnenbild Madame Butterfly, S. 2 m. o., S. 10, S. 11, S. 31,<br />
S. 34) | Karl Forster (S. 2 l. o., S. 3 r. m., S. 4, S. 6, S. 30, S. 33) |<br />
Antony McDonald (S. 2 l. u., S. 7) | Bernd Uhlig (S. 2 m. u.,<br />
S. 13) | Tim Pusnik (S. 2 r. o., S. 16) | Lisa Mathis (S. 2 r. u.,<br />
S. 32) | SWR / Elmar Witt (S. 3 l. o., S. 20, S. 22) | moodley<br />
brand identity (S. 3 l. u., S. 3 r. o., S. 14) | Dietmar Mathis<br />
(S. 8, S. 9) | Ö1 (S. 17 u.) | SWR4 (S. 23) | Armin Smailovic (S. 24) |<br />
Bettina Stoess (S. 26 l. ) | Rachel Israela (S. 26 r. ) | Dallmayr<br />
(S. 27) | echofactory (S. 28, S. 29)<br />
Erschienen im Juni <strong>2022</strong>. Es gelten<br />
die AGB sowie die Datenschutzerklärung<br />
der Bregenzer Festspiele GmbH.<br />
Änderungen vorbehalten.<br />
Wir möchten darauf hinweisen, dass uns alle<br />
Geschlechter gleich wichtig sind, selbst wenn<br />
es uns manchmal nicht gelingen sollte, dies<br />
auch schriftlich auszudrücken.<br />
3
SPIEL AUF DEM SEE<br />
4
»DIESE BÜHNE IST<br />
EIN GESCHENK FÜR<br />
DIE KOSTÜME«<br />
MADAME BUTTERFLY<br />
Der britische Kostümbildner Antony McDonald erzählt im Interview,<br />
was ihm bei seinen Entwürfen wichtig ist, warum Kostüme auch mal<br />
mutig sein müssen und welche besonderen Herausforderungen die<br />
Arbeit für die Seebühne stellt.
Wie entstehen die Ideen zu<br />
Ihren Kostümen: Orientieren<br />
Sie sich an der Musik<br />
oder am Inhalt des Librettos?<br />
Antony McDonald: Ich höre mir<br />
die Oper an und lese parallel das<br />
Libretto. Der allererste Eindruck<br />
eines Stückes ist immer besonders<br />
wichtig, denn auf den folgt die<br />
wahrhaftigste und ehrlichste Reaktion<br />
– so entstehen die guten Ideen.<br />
SPIEL AUF DEM SEE<br />
Schauen Sie sich auch andere<br />
Inszenierungen an?<br />
Tatsächlich habe ich bisher nur<br />
sehr wenige Inszenierungen von<br />
Madame Butterfly gesehen.<br />
Antony McDonald (r.) stimmt seine Entwürfe mit Bühnenbildner Michael Levine ab.<br />
Nur im Zusammenspiel aller künstlerischen Bereiche funktioniert die Inszenierung.<br />
Obwohl es so eine beliebte Oper ist?<br />
Ja, das stimmt. Ich erinnere mich<br />
gut, als ich die Oper vor Jahrzehnten<br />
das erste Mal gesehen habe:<br />
die gefeierte Inszenierung des<br />
Regisseurs Joachim Herz für die<br />
Welsh National Opera. Unter seiner<br />
Regie ist es gelungen, auf allzu<br />
exotische, bilderbuchhafte japanische<br />
Verkleidungen zu verzichten.<br />
Es war eine ganz zurückhaltende<br />
Aufführung, die Kostüme in<br />
monochromen Brauntönen.<br />
Für welche Farben haben Sie sich<br />
bei den Kostümen für die Bregenzer<br />
Festspiele entschieden?<br />
Wir verwenden die Farben der untergehenden<br />
Sonne: Schattierungen<br />
von Rot und Rosa bis hin zu einem<br />
tiefen Burgunderrot. Auch ein leuchtendes<br />
Gelb und Gold kommen vor.<br />
Genau die Farben, die man sieht,<br />
wenn die Sonne abends hinter der<br />
Bühne im See versinkt.<br />
Genau. Und so stellen wir auch<br />
noch einen Bezug zu Japan her.<br />
Die Sonne ist in Japan ein wichtiges<br />
Symbol. Bei der Gruppe der<br />
Angehörigen kommen die Farben<br />
Schwarz und Grün zum Einsatz. Mir<br />
ist es wichtig, verschiedene Farben<br />
für die einzelnen Personengruppen<br />
zu verwenden, damit sie für das<br />
Publikum leicht wiederzuerkennen<br />
und zuzuordnen sind. Die Kostüme<br />
sollen helfen, sich in der Geschichte<br />
zu orientieren, und die Handlung<br />
der Oper unterstützen.<br />
Sie haben sich bewusst gegen eine<br />
Rekonstruktion japanischer Kostüme<br />
entschieden. Warum?<br />
Die wichtigen und liebevollen<br />
Details einer traditionellen japanischen<br />
Kleidung würden auf der<br />
Seebühne nicht funktionieren:<br />
Von der Tribüne aus, mit größerer<br />
Entfernung, würde man sie gar<br />
nicht wahrnehmen.<br />
Welchen speziellen Herausforderungen<br />
muss man sich stellen, wenn man<br />
für die Seebühne entwirft?<br />
Die Wahl des Stoffes ist natürlich<br />
entscheidend, die Materialien<br />
müssen den verschiedenen<br />
Wetterbedingungen standhalten.<br />
Von enormer Bedeutung ist das<br />
Schuhwerk – die Sängerinnen<br />
und Sänger müssen sichere und<br />
feste Schuhe tragen, damit sie sich<br />
6<br />
bei ihren Auftritten auf das Singen<br />
konzentrieren können und nicht<br />
auf ihre Schritte auf dem unsicheren<br />
Untergrund. Deshalb muss<br />
auch die ganze Bühne rutschfest<br />
sein. Und einige der Kostüme sind<br />
wasserdicht.<br />
Das Wichtigste für die Seebühne<br />
ist aber, dass die Kostüme aus<br />
der Ferne »gelesen« werden, daher<br />
müssen sie in gewisser Weise eine<br />
grafische Qualität haben. Die Umrisse<br />
der Kostüme, die Silhouetten<br />
sind auf der Seebühne wesentlich –<br />
man muss sich bei den Formen auch<br />
ein bisschen was trauen. Und ich<br />
glaube, wir waren mutig.<br />
Welche Figur in Madame Butterfly<br />
liegt Ihnen besonders am Herzen?<br />
Ich bemühe mich, allen Figuren<br />
die gleiche Aufmerksamkeit zu<br />
schenken und nicht zum Beispiel<br />
die Hauptrollen mehr zu beachten<br />
als die Nebenrollen. Denn für das<br />
Stück ist die Summe aller Figuren,<br />
ihr Zusammenspiel, wichtig.<br />
Die Bühne wirkt in diesem Jahr<br />
sehr zart: ganz hell und riesengroß.<br />
Welche Bedeutung hat so eine konzentrierte<br />
Kulisse für die Kostüme?
Das Bühnenbild ist ein absolutes<br />
Geschenk für die Kostüme. Wir<br />
haben es bei Madame Butterfly mit<br />
ganz unterschiedlichen Personengruppen<br />
zu tun. Zum Beispiel die<br />
Geister, die ganz mit dem Hintergrund<br />
verschmelzen sollten. Völlig<br />
anders die Geishas, die sollen sich<br />
unbedingt vom Hintergrund abheben,<br />
deshalb sind ihre Kostüme<br />
sehr farbig gestaltet.<br />
»Die Kostüme sollen<br />
dem Publikum helfen,<br />
sich in der Geschichte<br />
zu orientieren.«<br />
Wie sah Ihre Zusammenarbeit<br />
mit dem Bühnenbildner Michael<br />
Levine aus?<br />
Die Bühne bildet die Umgebung,<br />
die Einfassung meiner Arbeit,<br />
meine Entwürfe funktionieren nur<br />
mit dem Bühnenbild, die Zusammenarbeit<br />
ist für mich deshalb<br />
sehr wichtig. Ich kam zu diesem<br />
Projekt, nachdem das Bühnenbild<br />
bereits entworfen war – es gab<br />
also einen Rahmen, innerhalb<br />
dessen ich mit meiner Arbeit<br />
beginnen konnte. Aber ich arbeite<br />
ja nicht nur mit dem Bühnenbildner<br />
zusammen: Auch die Perückenmacherinnen<br />
und Maskenbildner<br />
gehören zum Designteam, um<br />
den richtigen »Look« der Figuren<br />
zu kreieren.<br />
Wie wichtig ist Ihnen Handwerk?<br />
Gutes Handwerk und auch Handarbeit<br />
bildet für mich die Grundlage<br />
von allem. Auch wenn ich<br />
selbst nicht Maschinennähen kann.<br />
Sie haben zuletzt vor 20 Jahren für<br />
die Seebühne gearbeitet und gemeinsam<br />
mit Richard Jones La Bohème<br />
realisiert. Was hat sich verändert?<br />
Es gibt nun seit einem Jahr eine<br />
eigene Kostümwerkstatt im Haus<br />
und es macht einen großen Unterschied,<br />
wenn man die Werkstätten<br />
vor Ort hat. Das erleichtert die<br />
Arbeit ungemein.<br />
ANTONY MCDONALD<br />
MADAME BUTTERFLY<br />
Die Kostüme werden in Bregenz<br />
gefertigt. Wie oft besuchen Sie<br />
die Kostümwerkstatt während<br />
der Produktionsphase?<br />
Was unterscheidet Ihre Entwürfe<br />
von heute von Ihren Entwürfen von<br />
vor 20 Jahren?<br />
Ich war in den vergangenen Monaten<br />
oft dort, wir haben gemeinsam<br />
an Prototypen gearbeitet. Allein<br />
in der Kostümwerkstatt arbeiten<br />
ganzjährig sechs Leute. Alle hochqualifiziert<br />
und sehr kreativ.<br />
Wir haben die Stoffe ausgewählt<br />
und uns über wirklich alles ausgetauscht:<br />
von der Wahl der passenden<br />
Schuhe bis hin zur Unterwäsche.<br />
Ungefähr zwei Monate<br />
vor der Premiere passen wir dann<br />
die Kostüme mit den echten<br />
Stoffen an die Darstellerinnen<br />
und Darsteller an.<br />
Ich bin im Grunde meines Herzens<br />
derselbe Designer, nur älter. Meine<br />
Entwürfe sind nicht gesetzter,<br />
ruhiger oder gar gewagter. Aber<br />
vielleicht können das andere<br />
besser beurteilen als ich selbst.<br />
Haben Sie Veränderungen in<br />
Bregenz wahrgenommen?<br />
Ja, ich habe zu meiner Freude<br />
festgestellt: Es gibt jetzt viel<br />
mehr charmante Restaurants in<br />
der Stadt.<br />
Figurine<br />
für eine der<br />
Geishas<br />
7
MEHR ALS<br />
NADEL UND FADEN<br />
EIN BLICK IN DIE KOSTÜMWERKSTATT DER BREGENZER FESTSPIELE<br />
SPIEL AUF DEM SEE<br />
Bei jedem Satz spürt man,<br />
wie sehr Lenka Radecky für<br />
ihr Metier brennt. Wenn sie<br />
Details von bedruckten Stoffen<br />
schildert, die Verzahnung von<br />
Herren- und Damenschneiderei,<br />
Modisten, Schuhmacherinnen und<br />
verschiedenen Kunstgewerben<br />
begreiflich macht, dann fasziniert<br />
sie Außenstehende. Auch bei Erklärungen,<br />
was Ankleider tun oder<br />
wofür eine Gewandmeisterin verantwortlich<br />
ist, hinterlässt sie beim<br />
Laien Eindruck und Respekt vor<br />
der jeweiligen Profession.<br />
Lenka Radecky kam im Herbst<br />
2018 zu den Bregenzer Festspielen.<br />
Sie übernahm als Leiterin die<br />
Aufgabe, die Kostümabteilung von<br />
einem Saison- in einen Ganzjahresbetrieb<br />
zu transformieren. Das<br />
ist gelungen. Einen Gutteil der<br />
Arbeit übers Jahr zu verteilen, sei<br />
nicht nur stressfreier, »wir sparen<br />
uns auch einen Batzen Geld«.<br />
Beim »Batzen«, den sie nicht näher<br />
beziffert, blitzt ihre Schweizer<br />
Heimat durch.<br />
Die neuen Strukturen sind jetzt<br />
besser an die langen Vorlaufzeiten<br />
angepasst und daran, dass immer<br />
parallel an verschiedenen Produktionen<br />
und Saisonen gearbeitet<br />
wird. Blicken wir aus Radeckys<br />
Sicht auf das diesjährige Spiel auf<br />
dem See: »Bei Madame Butterfly<br />
sind es 120 Kostüme, jedes Kostüm<br />
hat in sich noch fünf bis zehn Teile,<br />
also insgesamt etwa 1.000 Teile.«<br />
Pro Aufführung auf der Seebühne<br />
sind 18 bis 20 Mitarbeitende damit<br />
beschäftigt, allen Darstellenden zur<br />
richtigen Zeit und am richtigen Ort<br />
in ihr – vollständiges – Kostüm zu<br />
helfen. Dazu muss jedes Teil nicht<br />
nur passen, jeder Gürtel, jeder<br />
Schuh muss auch exakt zugeordnet<br />
und beschriftet sein.<br />
Eine Kostümabteilung zu leiten,<br />
das ist eine logistische Herausforderung<br />
und beginnt bei der<br />
Beschaffung. Für Rigoletto 2019<br />
stammte beispielsweise vieles aus<br />
Großbritannien. »Durch den Brexit<br />
wäre das heute gar nicht mehr<br />
möglich und bezahlbar«, bedauert<br />
Lenka Radecky. Für Madame<br />
Butterfly wiederum kommen die<br />
meisten Stoffe aus Augsburg. Erst<br />
recht ist logistisches Verständnis<br />
mit Probenbeginn gefragt. Es<br />
gleicht einem großen Staffellauf:<br />
»Wir beginnen Anfang Juni mit<br />
einem rund 30-köpfigen Team und<br />
wenn am 4. Juli die letzten zehn<br />
zu uns stoßen, gehen die ersten<br />
schon wieder.«<br />
Durch die Hände von Lenka Radecky und ihrem Team wandern allein für<br />
Madame Butterfly rund 1.000 Kostümteile.<br />
Zwischen dem Probenbeginn im<br />
Juni und der letzten Aufführung<br />
im August wächst ihr Stab auf bis<br />
zu 55 Profis an. Den Rest des Jahres<br />
sind es mit ihr sechs Personen.<br />
Die aktuell bereits die Kostüme von<br />
2023 und 2024 im Kopf haben …<br />
8
EIN BILD<br />
ENTSTEHT<br />
In luftiger Höhe der Seebühne erschaffen Kascheurinnen und Kascheure<br />
eine japanische Berglandschaft. Noch nie waren die Malarbeiten für ein<br />
Bühnenbild so großflächig und herausfordernd.<br />
MADAME BUTTERFLY<br />
Wie ein zerknittertes Blatt<br />
Papier, das im Wasser<br />
treibt, sieht die Seebühne<br />
für Puccinis Oper Madame<br />
Butterfly aus. Alles scheint leicht und<br />
zurückhaltend, die Bühne wirkt trotz<br />
ihres Gewichts von 300 Tonnen<br />
schwerelos. Nicht Effekte und Action<br />
stehen im Vordergrund des Spiels<br />
auf dem See, sondern Stimmung und<br />
Emotion. Passend zur ergreifenden<br />
Geschichte der jungen Cio-Cio-San,<br />
genannt Butterfly – Schmetterling.<br />
Auf der 1.340 Quadratmeter<br />
großen weißen Fläche, die das<br />
Papier symbolisiert, entsteht seit<br />
mehreren Wochen eine japanische<br />
Landschaft. Berge, ein großer Baum<br />
und Wasser bilden den Rahmen für<br />
die traurige Erzählung. »Leicht und<br />
luftig wie eine asiatische Tuschzeichnung«<br />
soll das Bühnenbild<br />
anmuten, sagt Ausstattungsleiterin<br />
Susanna Boehm.<br />
Drei Wochen lang arbeiten Frank<br />
Schulzes Firma La Mimesi und das<br />
Kaschurteam der Bregenzer Festspiele<br />
an der Verwirklichung des<br />
Landschaftsbildes. »Seit Tosca hatten<br />
wir kein Bühnenbild mehr mit<br />
so viel klassischer Theatermalerei«,<br />
erzählt Susanna Boehm. Als Vorlage<br />
Ausstattungsleiterin Susanna Boehm und Kascheur Robert Grammel sind<br />
für Madame Butterfly auf der Suche nach der perfekten Papier-Optik.<br />
diente dem fünfköpfigen Team eine<br />
Zeichnung von Bühnenbildner<br />
Michael Levine im A1-Format, die<br />
an traditionelle asiatische Landschaftsdarstellungen<br />
erinnert.<br />
Auf das Bühnenmaß übersetzt<br />
wurde der Entwurf auf den 117<br />
vorgefertigten Bühnenelementen,<br />
erklärt Boehm.<br />
Robert Grammel, seit 2013<br />
Kascheur für die Bregenzer Festspiele,<br />
beschreibt den Beginn<br />
der Malarbeiten: »Wir haben das<br />
Malbuch, das Michael Levine für<br />
uns erstellt hat, in Detailaufnahmen<br />
segmentiert und auf A3-Blätter<br />
ausgedruckt.« Das für den jeweiligen<br />
Arbeitsschritt benötigte Blatt<br />
nehme man dann mit hinaus auf die<br />
Bühne, erklärt Grammel. Begonnen<br />
wurde die Arbeit am großen Landschaftsbild<br />
nicht mit dem Pinsel,<br />
sondern mit dem Klebeband.<br />
»Wir haben die Silhouetten der<br />
Berge mit dem Klebeband quasi<br />
9
vorgemalt, der Assistent von<br />
Michael Levine hat uns von der<br />
Tribüne aus über Funk angeleitet.«<br />
SPIEL AUF DEM SEE<br />
Während zwei Kascheurinnen am<br />
Boden die Landschaft gestalten,<br />
arbeiten Robert Grammel und sein<br />
Kollege Matthias Trostberger in<br />
luftiger Höhe. Bis zu 23 Meter<br />
hinauf müssen sie, um die Berglandschaft<br />
zu erschaffen. Auf<br />
Schaukeln sitzend hängen sie an<br />
Seilen, tragen Schicht für Schicht<br />
auf. Eines der zwei Seile ist das<br />
Sicherungsseil. »Würde ein Seil<br />
beschädigt, könnte uns das andere<br />
abfangen«, erklärt Grammel.<br />
Gearbeitet wird immer zu zweit,<br />
das sei Grundvoraussetzung für<br />
die Höhenarbeit am Seil: »Weil im<br />
Ernstfall ein Partner den anderen<br />
bergen müsste.«<br />
Die wirkliche Herausforderung<br />
für die beiden stellt aber nicht die<br />
Höhenarbeit dar, dafür sind sie als<br />
ausgebildete Industrie-Kletterer<br />
und begeisterte Hobby-Kletterer<br />
trainiert, sondern die für Madame<br />
Butterfly geforderte Maltechnik.<br />
Robert Grammel: »Wir imitieren<br />
ja die lasierende Technik einer<br />
Tuschzeichnung. Das ist in der<br />
Senkrechten nicht einfach. Schließlich<br />
soll die Farbe ja nicht die steile<br />
Bühnenwand hinunterrinnen.«<br />
Um ein schönes Ineinanderfließen<br />
zu ermöglichen, wird nicht mit<br />
dem Pinsel, sondern mit der<br />
kleinen Malerrolle gearbeitet.<br />
Als seine schwierigste Aufgabe<br />
sieht Grammel, »die Leichtigkeit<br />
der Darstellung glaubhaft zu erzählen,<br />
beispielsweise, dass Nebel<br />
aus den Tälern aufsteigt«.<br />
Gearbeitet wird jeweils an zwei<br />
Abschnitten der Kulisse, die immer<br />
wieder getauscht werden. Einmal<br />
arbeitet Grammel links, dann wieder<br />
Trostberger. »Wir sind ja keine<br />
Maschinen, jeder hat seine eigene<br />
Handschrift«, erläutert Robert<br />
Grammel, »diese Handschrift soll<br />
aber nicht sichtbar werden, deshalb<br />
arbeiten wir abwechselnd am<br />
gleichen Abschnitt, um ein einheitliches<br />
Bild entstehen zu lassen.«<br />
10
Kascheur Frank Schulze (links) und Bühnenbildner Michael Levine gleichen das<br />
Ergebnis der Malarbeiten auf der Seebühne mit der Vorlage auf dem Papier ab.<br />
Zum Schutz gegen das Sonnenlicht, das von der hellen Bühnenfläche reflektiert<br />
wird, tragen Schulze und sein Team bei der Arbeit Gletscherbrillen.<br />
MADAME BUTTERFLY<br />
Gute Kondition erfordert nicht<br />
nur die Malerei in der Höhe. Für<br />
deren Kontrolle lege er täglich<br />
mehrere Kilometer zu Fuß zurück,<br />
sagt Grammel: »Wer nur 50 Zentimeter<br />
vom Bild entfernt malt, sieht<br />
ja nur einen kleinen Teilbereich. Die<br />
Perspektive bekommt man erst,<br />
wenn man das Gemalte von der<br />
Tribüne aus betrachtet.« Mehrmals<br />
täglich wird deshalb das Werk aus<br />
der Entfernung kontrolliert, mit<br />
dem Bühnenbildner abgestimmt.<br />
Das heißt: hinunterklettern, über<br />
Hinterbühne und Steg auf die Tribüne<br />
gehen, das Geschaffene aus<br />
der Ferne betrachten. »Da macht<br />
man schon einige Kilometer.«<br />
Besonders sind auch die Arbeitsbedingungen<br />
auf der riesigen<br />
weißen, das Sonnenlicht reflektierenden<br />
Fläche. »Eigentlich sind es<br />
Herausforderungen wie auf einem<br />
Gletscher«, vergleicht Grammel,<br />
»deshalb tragen wir auch Gletscherbrillen,<br />
Kopfbedeckung und brauchen<br />
Sonnenschutzfaktor 50.«<br />
Die Farben des Landschaftsbildes<br />
auf der Bühne sind fast<br />
monochrom. Grau- und Schwarztöne<br />
dominieren, aufgelockert<br />
durch etwas Grün eines großen<br />
Baumes und leichtes Blau, dort<br />
wo der See das Blatt bedecken<br />
darf. Zum Leben erweckt wird<br />
die stille Landschaft beim Spiel<br />
auf dem See durch die Bühnenbeleuchtung,<br />
Videoprojektionen.<br />
»Das durchscheinende Weiß des<br />
Papierblatts, seine Falten und<br />
Wellen entwickeln durch das Licht<br />
eine magische Wirkung, die<br />
prachtvollen Kostüme werden<br />
vor diesem Hintergrund toll zur<br />
Geltung kommen«, schwärmt<br />
Susanna Boehm.<br />
Nach den ersten Beleuchtungsproben<br />
Ende Juni werden die<br />
Kascheurinnen und Kascheure<br />
ihre Malarbeiten beenden, erst<br />
im Bühnenlicht wird man sehen,<br />
was noch nachgebessert werden<br />
muss, um die Magie für Madame<br />
Butterfly perfekt zu machen.<br />
SPIEL AUF DEM SEE<br />
MADAME BUTTERFLY<br />
Giacomo Puccini<br />
Oper in drei Akten (1904) |<br />
Libretto von Luigi Illica und<br />
Giuseppe Giacosa | In italienischer<br />
Sprache mit deutschen<br />
Übertiteln<br />
Premiere<br />
20. Juli <strong>2022</strong> – 21.15 Uhr<br />
Vorstellungen<br />
Alle Spieltermine finden<br />
Sie in der Heftmitte.<br />
Das Spiel auf dem See wird<br />
präsentiert von<br />
Die Festspiel-Kascheure<br />
in Aktion – hier geht’s<br />
zum Video:<br />
11
OPER IM FESTSPIELHAUS<br />
EIN KOMPONIST<br />
ABSEITS DER<br />
TOURISTISCHEN<br />
ROUTEN<br />
DER REGISSEUR VASILY BARKHATOV ÜBER SEINE INSZENIERUNG<br />
VON UMBERTO GIORDANOS SIBIRIEN
13<br />
SIBIRIEN
OPER IM FESTSPIELHAUS<br />
Die beiden Opern Sibirien und<br />
Madame Butterfly sind auf<br />
besondere Weise miteinander<br />
verknüpft: Sibirien wurde anstelle<br />
von Puccinis geplanter Oper 1903 in<br />
Mailand uraufgeführt, da dieser die<br />
Komposition noch nicht beendet hatte.<br />
Sie haben Madame Butterfly 2019<br />
in Basel inszeniert, nun folgt<br />
Giordanos Sibirien in Bregenz.<br />
Gibt es für Sie eine Verbindung<br />
dieser beiden Werke?<br />
Vasily Barkhatov: In dieser Zeit<br />
war es vielleicht naheliegend, den<br />
einen »exotischen« Stoff durch<br />
einen anderen zu ersetzen, russisch<br />
statt japanisch, komponiert von<br />
einem ebenso populären Komponisten<br />
wie Puccini zu dieser Zeit.<br />
Und natürlich war Luigi Illica der<br />
Librettist beider Opern. Zunächst<br />
wirken beide Opern ähnlich, weil sie<br />
aus derselben Zeit stammen, aber<br />
bei genauerem Hinhören entdeckt<br />
man große Unterschiede, vor allem<br />
in der Art, wie die Handlung in<br />
Musik gesetzt wird. Puccini ist berechnender,<br />
Giordano emotionaler.<br />
Damit möchte ich nicht sagen, dass<br />
Puccini nicht emotional ist, aber aus<br />
heutiger Perspektive betrachtet<br />
arbeitet er wie ein sehr guter Hollywood-Komponist.<br />
Er weiß genau,<br />
wann er das Publikum zum Weinen<br />
und nah an Selbstmordgedanken<br />
bringt wegen der grausamen Tragödie<br />
auf der Bühne. Dann erlaubt<br />
er den Tränen auch mal eine Pause.<br />
Natürlich ist Puccini emotional, aber<br />
er komponiert rational, im guten<br />
Sinn. Seine Musik wirkt sehr professionell<br />
konstruiert. Giordano folgt<br />
in meiner Wahrnehmung eher dem<br />
entstehenden Gefühl in der Musik.<br />
Er hat weniger Angst davor, einen<br />
dramaturgischen Fehler zu machen,<br />
und folgt einfach seiner Intuition.<br />
Aber das Stück hat nichts mit dem<br />
Roman zu tun. Entscheidend ist die<br />
Geschichte im sibirischen Gefängnis.<br />
Die wichtigsten Themen sind<br />
für mich Verzeihung und Rechtfertigung.<br />
Der Protagonist in Sibirien<br />
tut das, wozu Alfredo in La traviata<br />
der Mut fehlt: Violetta in all ihren<br />
Facetten, mit ihrem Hintergrund zu<br />
akzeptieren. Vassili – witzig, dass<br />
wir beide denselben Namen haben –<br />
tut dies zweimal: zum ersten Mal,<br />
als er begreift, dass Stephana die<br />
Mätresse des reichen Mannes ist und<br />
es vor ihm andere gab – sie hat also<br />
den gleichen Beruf wie Violetta –,<br />
und zum zweiten Mal Jahre später<br />
im sibirischen Gefängnis. Hier gibt<br />
es den schönen Moment in der<br />
Oper, wenn Gleby vor allen die<br />
Wahrheit über Stephana verkün-<br />
det. Zunächst wird Vassili wütend<br />
und eifersüchtig – verhält sich also<br />
genauso wie Alfredo –, doch dann<br />
tut es ihm leid und er akzeptiert<br />
es als seinen Fehler. Es ist sein<br />
Problem, dass er ihre Persönlichkeit<br />
und Vergangenheit nicht akzeptiert.<br />
Schließlich bittet er um Verzeihung.<br />
Um es kurz zu sagen: Für mich steht<br />
Sibirien zwischen Leoš Janáčeks<br />
Aus einem Totenhaus und Giuseppe<br />
Verdis La traviata.<br />
Welche Auswirkungen hat das für<br />
die Erzählweise der Inszenierung?<br />
Die Geschichte, die ich auf der Bühne<br />
erzählen möchte, basiert auf<br />
Giordanos Musik. Wenn man sich<br />
dasselbe Libretto in einer Komposi-<br />
»Ich habe<br />
mich von Anfang<br />
an in diese Oper<br />
verliebt.«<br />
Worum geht es in Giordanos<br />
Sibirien besonders? Wie lässt sich<br />
der Inhalt beschreiben?<br />
Es wird oft gesagt, dass das Libretto<br />
auf Lew Tolstois Roman Auferstehung<br />
beruht, vielleicht weil am Ende<br />
der Oper dieser Tag gefeiert wird.<br />
14
tion von Leoš Janáček oder Dmitri<br />
Schostakowitsch vorstellt, wäre es<br />
eine harte, gewaltsame Oper. In der<br />
Handlung gibt es sämtliche Zutaten:<br />
Gefängnis, sibirisches Lager, Liebe,<br />
Betrug, Hass … Doch Giordanos<br />
etwas zu schöne Musik verwandelt<br />
sie wie in einen französischen Film<br />
aus den 1960er-Jahren, wo selbst die<br />
schrecklichsten Taten und Verhältnisse<br />
gut aussehen. Die Oper wirkt<br />
ohnehin sehr romantisch und schön.<br />
Die Idee ist, dass die beiden Hauptfiguren<br />
ihre Liebe sogar in dieser von<br />
Tod und Kälte bestimmten Wüste in<br />
Sibirien finden können. Einerseits<br />
steht Sibirien für Kälte und Tod,<br />
andererseits für herrlich weite Natur<br />
in einer endlosen Schneelandschaft.<br />
Diese Assoziation an einen französischen<br />
Film war für mich sehr<br />
bedeutsam. Ich erinnere mich, dass<br />
sich meine Mutter zehnmal heimlich<br />
aus der Schule geschlichen hat, um<br />
immer wieder Die Regenschirme von<br />
Cherbourg im Kino anzuschauen,<br />
diesen Musicalfilm von 1964 mit<br />
Catherine Deneuve. Diese Geschichte<br />
ist brutal, wird aber durch die<br />
Musik sanfter und sogar schön:<br />
erste Liebe, er muss als Soldat in<br />
den Krieg, sie ist schwanger; als er<br />
zurückkommt, lebt sie mit ihrem<br />
Kind und einem reichen Mann …<br />
Wenn man sich diese Handlung als<br />
Oper von Schostakowitsch vorstellt,<br />
klänge sie wohl wirklich hart …<br />
Interessant ist, dass die Epoche um<br />
Puccini und Giordano Verismo genannt<br />
wird, in der es den Komponisten<br />
auch um eine Wahrhaftigkeit in<br />
der Musik ging …<br />
Diese Handlung in der musikalischen<br />
Sprache Giordanos kollidiert mit den<br />
realen Bedingungen der Geschichte.<br />
Die Verbrechen, das Gefängnis,<br />
diese Liebe in Sibirien, erzählt in<br />
italienischer Sprache, erzeugt eine<br />
Distanz zwischen mir und den Gefühlen.<br />
Wie im französischen Film<br />
wirkt es realistisch, aber auch ein<br />
bisschen märchenhaft. Daher habe<br />
ich entschieden, eine Protagonistin<br />
zu erfinden, die nicht in der Partitur<br />
steht, und sie wurde eine Hauptfigur.<br />
Sie singt die Worte einer kleinen<br />
Rolle und einige Zeilen Stephanas.<br />
Giordanos warmherzige Erzählweise<br />
einer furchtbaren Handlung brachte<br />
mich auf die Idee, dass es um eine<br />
Person geht, die ihre Geschichte<br />
entdeckt. Wir erzählen dies nicht im<br />
dokumentarischen Sinn, sondern<br />
als Geschichte einer italienischen<br />
Frau mit russischen Wurzeln, die<br />
Schritt für Schritt ihre Vergangenheit<br />
kennenlernt, weil sie seit ihrer<br />
Kindheit nicht mehr in Russland<br />
war. Sie entdeckt die Wurzeln ihrer<br />
Familie. Dies erlaubt uns, eine heutige<br />
Perspektive einzunehmen, aus<br />
der die Dame rekonstruiert, was vor<br />
über hundert Jahren passiert ist.<br />
Und solange sie es mit einer starken<br />
und warmherzigen Haltung tut, wird<br />
die Geschichte mehr und mehr zu<br />
einem historischen Disney-Film, in<br />
dem jeder Mensch schöner als in<br />
Wirklichkeit wirkt …<br />
Wie hat die russische Kultur, die<br />
Giordano und Illica selbst nicht<br />
persönlich kannten, diese Oper<br />
beeinflusst?<br />
Zu dieser Zeit war die russische<br />
Kultur eine Art Modeerscheinung.<br />
Selbst Giordano spielte in Fedora,<br />
der Oper vor Sibirien, mit diesem<br />
»Parfum«. In Sibirien benutzt er<br />
einige russische Volkslieder, was<br />
sehr gut gemacht ist. Ich habe mich<br />
von Anfang an in diese Oper verliebt,<br />
denn als erster Klang ist der A-cappella-Gesang<br />
des Chors im Stil der<br />
russisch-orthodoxen Kirche zu hören.<br />
Es hat nichts mit einem tatsächlich<br />
existierenden Gebet zu tun, aber<br />
derartig komponierter italienischer<br />
Chorgesang ohne Begleitung erzeugt<br />
unmittelbar eine Atmosphäre für<br />
dieses Stück. Das Publikum wird in<br />
die richtige Stimmung gebracht.<br />
Im zweiten Akt ist kurz die Melodie<br />
eines ukrainischen Volkslieds zu<br />
hören, das ich seit meiner Kindheit<br />
auch aus dem russischen Fernsehen<br />
kenne. Auch der Chorgesang im<br />
sibirischen Gefängnis beruht auf<br />
einem russischen Lied. Dieses Lied<br />
der Wolgaschlepper machte der<br />
Sänger Fjodor I. Schaljapin in Europa<br />
bekannt. Es ist eines seiner meistgesungenen<br />
Lieder. Ich versuche,<br />
in der Inszenierung diese etwas zu<br />
klischeehaften Elemente abzumildern<br />
– etwa wie Matroschkapuppe,<br />
Balalaika und Wodka … Giordano hat<br />
zwar die russische Kultur nicht in<br />
ihrer Tiefe entdeckt, aber durch die<br />
Auswahl und Verarbeitung der Melodien<br />
kam er der Mentalität sehr nah.<br />
Es ist ein bisschen, wie wenn man<br />
sich an einem unbekannten Ort einmal<br />
abseits der touristischen Routen<br />
bewegt, um den Geist einer Stadt<br />
oder eines Landes wirklich zu finden.<br />
Während des Kompositionsprozesses<br />
startete Giordano als Tourist,<br />
verließ aber die bekannten Routen<br />
für einige Momente, die besonders<br />
bewegen und berühren.<br />
OPER IM FESTSPIELHAUS<br />
SIBIRIEN<br />
Umberto Giordano<br />
Tragödie in drei Akten (1903) |<br />
Libretto von Luigi Illica |<br />
In italienischer Sprache mit<br />
deutschen Übertiteln<br />
Premiere<br />
21. Juli <strong>2022</strong> – 19.30 Uhr<br />
Vorstellungen<br />
24. Juli – 11.00 Uhr<br />
1. August – 19.30 Uhr |<br />
Festspielhaus<br />
Koproduktion mit dem Theater Bonn<br />
WERKSTATTGESPRÄCH<br />
Künstlerinnen und Künstler geben<br />
Einblicke in die Arbeit an Umberto<br />
Giordanos wenig gespielter Oper.<br />
4. Juli <strong>2022</strong> – 20.00 Uhr |<br />
Festspielhaus<br />
Eintritt kostenlos, es wird<br />
dennoch eine Karte benötigt.<br />
SIBIRIEN<br />
15
FIT FÜR DIE<br />
ZUKUNFT<br />
Das Festspielhaus Bregenz wird bis 2024 umfassend saniert.<br />
SANIERUNG FESTSPIELHAUS<br />
Seit Anfang <strong>2022</strong> sind am<br />
Festspielhaus die Arbeiten<br />
zur dritten Baustufe in<br />
vollem Gange. Bis 2024 sollen das<br />
Gebäude, die Seebühne sowie die<br />
Seetribüne modernisiert und erneuert<br />
werden. Besucherinnen und<br />
Besucher erfahren daher zukünftig<br />
noch mehr Komfort und Qualität.<br />
Das Projekt der Stadt Bregenz<br />
umfasst neben einem Zubau zur<br />
Werkstattbühne auch die Flachdächer<br />
und Fassaden des Bestandes,<br />
außerdem die bühnen- und<br />
haustechnische Infrastruktur sowie<br />
die Küche und die Gastronomie.<br />
Auch die Räume im Bereich der Seebühne<br />
und die aus Beton-Elementen<br />
gebaute Außentribüne werden<br />
saniert bzw. komplett erneuert.<br />
Neben der Werkstattbühne wird das<br />
Haus um einen neuen Gebäudetrakt<br />
erweitert. Darin sollen Büros und<br />
Werkstätten unterkommen sowie<br />
eine Montagehalle für die Herstellung<br />
der Bühnenbilder. Auch das<br />
Heizungs- und Energiekonzept wird<br />
zukunftsfit gemacht.<br />
Entwickelt und begleitet wird das<br />
Bauvorhaben durch das Architekturbüro<br />
Dietrich | Untertrifaller,<br />
Das Festspielhaus Bregenz wird erweitert und auf den neuesten Stand der<br />
Technik gebracht. Auch die Seebühne, deren Kern noch aus den 1970er-Jahren<br />
stammt, wird umfassend saniert.<br />
das bereits an den ersten beiden<br />
Baustufen beteiligt war. Die Kosten<br />
teilen sich die Subventionsgeber<br />
Bund, Land und Stadt sowie die<br />
Bregenzer Festspiele.<br />
In der jüngeren Geschichte des<br />
Hauses gab es bereits zweimal<br />
große bauliche Veränderungen.<br />
1995 bis 1997 wurde die Werkstattbühne<br />
samt Seefoyer und Seestudio<br />
errichtet, 2005 und 2006 das<br />
Hauptgebäude neu gestaltet.<br />
Der Großteil der bestehenden<br />
Infrastruktur stammt allerdings<br />
noch aus der Bauzeit um 1980, als<br />
das Festspiel- und Kongresshaus<br />
erstmals eröffnet wurde. Seither<br />
prägten nicht nur die Bregenzer<br />
Festspiele, sondern auch unzählige<br />
Kongresse, Tagungen, gesellschaftliche<br />
und kulturelle Veranstaltungen<br />
das Haus als Ort der Begeisterung<br />
und Begegnung.<br />
16
SPANNENDE LEKTÜRE<br />
DAS TEXTBUCH ZU SIBIRIEN NEU IM FESTSPIELSHOP<br />
Bei der Frage, ob und wie man<br />
sich auf einen Opernbesuch<br />
vorbereiten soll, scheiden<br />
sich die Geister. Meist in fremder<br />
Sprache gesungen, reicht die Inszenierung<br />
im besten Fall dennoch<br />
aus, der Handlung auf der Bühne zu<br />
folgen. Wenn nicht, helfen die während<br />
der Aufführung eingeblendeten<br />
Übertitel. Aber was, wenn man<br />
es ganz genau wissen möchte?<br />
Die textliche Grundlage eines<br />
Werks mit Rollen, Dialogen und<br />
Regieanweisungen nennt sich in<br />
der Oper Libretto, zu Deutsch Textbuch.<br />
Üblicherweise geht einem<br />
Musiktheaterwerk der Text voraus,<br />
die Musik verleiht Anweisungen<br />
wie »wehklagend« oder »in wilder<br />
Begeisterung« einen emotionalen<br />
Ausdruck.<br />
Obwohl die Worte und damit die<br />
Handlung einer Oper von so großer<br />
Bedeutung sind, sind Librettisten<br />
meist weit weniger bekannt als<br />
Komponisten, welche die Musik<br />
zu einem Opernwerk beisteuern.<br />
Oder wüssten Sie, wer die Texte<br />
für Giacomo Puccinis wohl bekannteste<br />
Opern La Bohème, Tosca und<br />
Madame Butterfly geschrieben hat?<br />
Das war – in diesen Fällen gemeinsam<br />
mit Giuseppe Giacosa – jener<br />
Mann, der auch für das Libretto<br />
der Oper im Festspielhaus Sibirien<br />
verantwortlich zeichnet: Luigi Illica.<br />
Spannend bis zur letzten Seite<br />
schildert er in drei Akten die tragische<br />
Liebesgeschichte von Stephana<br />
und Vassili. Am 21. Juli <strong>2022</strong> feiert<br />
Sibirien, komponiert von Umberto<br />
Giordano, Premiere.<br />
Und wenn Sie die Geschichte<br />
schon vorab ganz genau wissen<br />
möchten: Im praktischen Handtaschenformat<br />
gibt es das<br />
Libretto in<br />
einer eigens erstellten<br />
Übersetzung<br />
im Shop<br />
der Bregenzer<br />
Festspiele<br />
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bis zum Liederabend, von<br />
World Music bis Kammermusik,<br />
von Uraufführung bis historische<br />
Aufführungspraxis. Mehr als 160<br />
Übertragungen von über 30 österreichischen<br />
Festivals stehen heuer<br />
auf dem Programm von Ö1, darunter<br />
fünf Konzertmitschnitte von den<br />
Bregenzer Festspielen.<br />
Am 21. Juli um 19.30 Uhr bringt<br />
Ö1 Umberto Giordanos Sibirien live<br />
aus dem Festspielhaus Bregenz.<br />
Mit den Wiener Symphonikern,<br />
Dirigent Valentin Uryupin, dem<br />
Prager Philharmonischen Chor<br />
und unter anderem den Sängerinnen<br />
und Sängern Ambur Braid,<br />
Frederika Brillembourg, Clarry<br />
Bartha, Alexander Mikhailov.<br />
Eine Übersicht aller Übertragungen<br />
finden Sie unter oe1.ORF.at.<br />
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Ö1 CLUB-MITGLIED!<br />
Ö1 Club-Mitglieder besuchen die<br />
Veranstaltungen der Bregenzer<br />
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DER FESTSPIEL-SOMMER<br />
IM ÜBERBLICK<br />
JUNGE FESTSPIELE<br />
VERGISSMEINNICHT<br />
Inszenierung Sara Ostertag<br />
Die Schurken<br />
Für Schulklassen: 20. & 21. Juni –<br />
9.00 Uhr und 10.30 Uhr<br />
Für Familien: 19. Juni – 10.30 Uhr<br />
SPIEL AUF DEM SEE<br />
MADAME BUTTERFLY<br />
Giacomo Puccini<br />
Musikalische Leitung Enrique Mazzola,<br />
Yi-Chen Lin<br />
Inszenierung Andreas Homoki<br />
20., 22., 23., 24., 26., 27., 28., 29.,<br />
30. und 31. Juli – 21.15 Uhr<br />
2., 3., 4., 5., 6., 7., 9., 11., 12., 13., 14., 16.,<br />
17., 19., 20. und 21. August – 21.00 Uhr<br />
SPIELPLAN <strong>2022</strong><br />
OPERNSTUDIO AM KORNMARKT<br />
DIE ITALIENERIN IN ALGIER<br />
Gioachino Rossini<br />
Musikalische Leitung Jonathan Brandani<br />
Inszenierung Brigitte Fassbaender<br />
8., 10. und 12. Juli – 19.30 Uhr<br />
OPER IM FESTSPIELHAUS<br />
SIBIRIEN<br />
Umberto Giordano<br />
Musikalische Leitung Valentin Uryupin<br />
Inszenierung Vasily Barkhatov<br />
21. Juli und 1. August – 19.30 Uhr<br />
24. Juli – 11.00 Uhr<br />
PFARRKIRCHE HERZ-JESU<br />
FESTMESSE<br />
17. Juli – 10.00 Uhr<br />
Dirigent Leo McFall<br />
Chorleitung Wolfgang Schwendinger<br />
Kirchenchor Herz-Jesu<br />
Kirchenchor Hohenems St. Karl<br />
Symphonieorchester Vorarlberg<br />
Joseph Haydn Theresienmesse<br />
THEATER AM KORNMARKT<br />
DER STURM<br />
William Shakespeare<br />
Inszenierung Jan Bosse<br />
23., 25. und 26. Juli – 19.30 Uhr<br />
WERKSTATTBÜHNE<br />
KAPITÄN NEMOS BIBLIOTHEK<br />
Johannes Kalitzke<br />
Musikalische Leitung Johannes Kalitzke<br />
Inszenierung Christoph Werner<br />
27. und 29. Juli – 20.00 Uhr<br />
FESTSPIELHAUS<br />
FRÄULEIN ELSE<br />
Musicbanda Franui | Maschek<br />
Remake des Stummfilms Fräulein Else<br />
nach Arthur Schnitzlers Novelle<br />
3. August – 17.00 Uhr
OPERNSTUDIO AM KORNMARKT<br />
ARMIDA<br />
Joseph Haydn<br />
Musikalische Leitung Jonathan Brandani<br />
Inszenierung Jörg Lichtenstein<br />
15., 17. und 19. August – 19.30 Uhr<br />
WERKSTATTBÜHNE<br />
MELENCOLIA<br />
Brigitta Muntendorf | Moritz Lobeck<br />
Komposition Brigitta Muntendorf<br />
Ensemble Modern<br />
18. und 20. August – 20.00 Uhr<br />
SEESTUDIO | FESTSPIELHAUS<br />
MUSIK & POESIE<br />
24. Juli – 19.30 Uhr<br />
SCHMETTERLINGSEFFEKTE<br />
Mitglieder des Ensemble Modern<br />
Lesung Miki Sakamoto<br />
Werke von Malika Kishino, Yu Kuwabara u. a.<br />
31. Juli – 19.30 Uhr<br />
INNENWELTEN<br />
Gesang Marlis Petersen<br />
Klavier Stephan Matthias Lademann<br />
Erzähler Ulrich Reinthaller<br />
7. August – 19.30 Uhr<br />
FLY GANYMED<br />
Erzähler Nikolaus Habjan<br />
Musik Kyrre Kvam<br />
ORCHESTERKONZERTE<br />
WIENER SYMPHONIKER<br />
25. Juli – 19.30 Uhr<br />
Dirigent Enrique Mazzola<br />
Peter I. Tschaikowski Der Sturm. Fantasie nach<br />
William Shakespeare op. 18<br />
Malika Kishino Konzert für Koto und Orchester<br />
Dmitri Schostakowitsch Symphonie Nr. 10 e-Moll<br />
31. Juli – 11.00 Uhr<br />
Dirigentin Karina Canellakis<br />
Ludwig van Beethoven Leonore-Ouvertüre Nr. 3<br />
Richard Wagner Siegfried, dritter Aufzug<br />
8. August – 19.30 Uhr<br />
Dirigentin Marie Jacquot<br />
Peter I. Tschaikowski Romeo und Julia.<br />
Fantasie-Ouvertüre nach William Shakespeare<br />
Dmitri Schostakowitsch Konzert für Violoncello<br />
und Orchester Nr. 1 Es-Dur<br />
Nikolai Rimski-Korsakow Scheherazade op. 35<br />
ORCHESTERKONZERT<br />
ORCHESTERAKADEMIE<br />
14. August – 11.00 Uhr<br />
Dirigent Daniel Cohen<br />
Mitglieder der Orchesterakademie Bregenz <strong>2022</strong><br />
Herbert Willi DSONG für Orchester – Auszug<br />
in drei Sätzen (<strong>2022</strong>), Uraufführung<br />
Joseph Haydn Konzert für Trompete und<br />
Orchester Hob. Es-Dur VIIe:1<br />
Dmitri Schostakowitsch Symphonie Nr. 5<br />
d-Moll op. 47<br />
SPIELPLAN <strong>2022</strong><br />
KUNSTHAUS BREGENZ<br />
KONZERT IM KUB<br />
Mit Éna Brennan sowie Mitgliedern des<br />
Symphonieorchester Vorarlberg<br />
9. August – 21.00 Uhr<br />
ORCHESTERKONZERT<br />
SYMPHONIE ORCHESTER VORARLBERG<br />
21. August – 11.00 Uhr<br />
Dirigent Leo McFall<br />
Igor Strawinski Chant funèbre<br />
Sergej Prokofjew Konzert für Violine und<br />
Orchester Nr. 1 D-Dur op. 19<br />
Peter I. Tschaikowski Symphonie Nr. 5<br />
e-Moll op. 64<br />
Das ausführliche Programm der Bregenzer Festspiele <strong>2022</strong> finden Sie auf www.bregenzerfestspiele.com.
WERKSTATTBÜHNE
ZWISCHEN REALITÄT<br />
UND TRAUMWELT<br />
Kapitän Nemos Bibliothek erzählt die Geschichte zweier Kinder, deren bisheriges<br />
Leben per Gericht als »falsch« beurteilt wird. Der Wechsel in ihr »richtiges«<br />
Leben stürzt die beiden in Unglück und Wahnsinn. Alle Vertrautheit ist verloren,<br />
Erinnerungen und Erfahrungen erscheinen in neuem Licht. In der unerträglichen<br />
Situation wird Literatur zu ihrem Anker.<br />
Zwei Jungen werden in einem<br />
kleinen schwedischen Dorf<br />
kurz nach ihrer Geburt<br />
vertauscht. Als sie sechs Jahre alt<br />
sind, wird entschieden, dass sie nun<br />
bei der jeweils anderen Mutter leben<br />
müssen. Für die Erwachsenen dieser<br />
pietistischen Gemeinde ist mit dem<br />
Rücktausch der Kinder die Ordnung<br />
»nach Gottes Plan« wiederhergestellt.<br />
Für die beiden Jungen allerdings<br />
beginnt mit diesem Zeitpunkt<br />
die Suche nach einem sinnvollen<br />
Zusammenhang der Ereignisse.<br />
Ihre ungleichen Erfahrungen von<br />
Einsamkeit, Angst, Liebe und Hoffnung<br />
und ihre unterschiedliche Sicht<br />
auf das Geschehen verhindern eine<br />
eindeutige Beantwortung der Frage<br />
nach Schuld und Verantwortung und<br />
stellen die Freundschaft der Jungen<br />
auf eine harte Probe.<br />
Das Ringen um die Wahrhaftigkeit<br />
der Erzählung ist ein zentrales Motiv<br />
in Per Olov Enquists Roman Kapitän<br />
Nemos Bibliothek. Erzählt wird aus<br />
der Perspektive des erwachsenen<br />
ICHs, das sich aus zeitlicher Distanz<br />
mit den eigenen Erinnerungen und<br />
den Aufzeichnungen seines Freundes<br />
Johannes konfrontiert. Aufgrund<br />
dieser verschiedenen Perspektiven<br />
entstehen unterschiedliche<br />
Deutungen der Ereignisse, die den<br />
ICH-Erzähler auch noch als Erwachsenen<br />
irritieren und verunsichern.<br />
VOM ROMAN ZUR OPER<br />
»Ich wollte schon immer einmal<br />
eine Oper für Puppen schreiben«,<br />
sagt der Komponist und Dirigent<br />
Johannes Kalitzke. Im Zuge der<br />
Anfrage der Schwetzinger SWR<br />
Festspiele, eine Kammeroper für<br />
das Ensemble Modern zu schreiben,<br />
habe er sich auf der Suche nach<br />
einem geeigneten Stoff an Enquists<br />
Roman erinnert. Die Bibliothek auf<br />
Nemos legendärem U-Boot Nautilus<br />
wird darin zum Zufluchtsort der<br />
beiden Kinder. »Die Kinder entwickeln<br />
in den Büchern das tröstliche<br />
Bewusstsein von Erfahrung, Schönheit<br />
und Ästhetik – das war für mich<br />
der entscheidende Zugriff auf diesen<br />
Stoff«, so Kalitzke. »An diesem<br />
Ort reift in ICH und Johannes die<br />
Erkenntnis, dass sich Erfahrungen<br />
unendlich oft wiederholen und man<br />
trotzdem Hilfe daraus erfahren<br />
kann. Deshalb lesen wir Literatur.<br />
Um uns mit Menschen zu vergleichen,<br />
die das, was wir erfahren<br />
haben, auch schon erlebt und bewältigt<br />
haben.«<br />
Durch die Verwendung von wiederkehrenden<br />
Worten, Motiven und<br />
Assoziationen sei der Roman einer<br />
musikalischen Struktur sehr nahe,<br />
erklärt Kalitzke. »Die Grundkonstruktion<br />
der Oper basiert auf einer<br />
Intervallfolge, die sich verhält wie<br />
eine Möbius-Schleife, wie ein Loop.<br />
Der sich immer wiederholende<br />
Kreislauf dieser Intervalle durchzieht<br />
die gesamte Komposition,<br />
vergrößert und verkleinert, staucht<br />
bzw. dehnt sich … auf diese Weise<br />
findet eine kontinuierliche Vertauschung<br />
von Innen- und Außenwelt<br />
statt. Was am Anfang nur musikalische<br />
Kernsubstanz war, wächst<br />
an und umschließt am Ende wie eine<br />
Sphäre alles andere. Dennoch soll<br />
sich beim Hören das Gefühl einer<br />
logischen Struktur und formalen<br />
Schlüssigkeit einstellen.«<br />
FREUDE AN DER ILLUSION<br />
Christoph Werner, Regisseur<br />
und Intendant des Puppentheaters<br />
Halle, entwickelte für Kapitän<br />
Nemos Bibliothek das szenische<br />
Konzept – ein langer Prozess, wie<br />
er sagt: »Wir haben anhand des<br />
Librettos diskutiert, was möglich<br />
und sinnvoll wäre, und haben uns<br />
entschieden, nur die Kinder im<br />
Stück mit Puppen darzustellen.<br />
ICH und Johannes blicken als Erwachsene<br />
auf die Ereignisse von<br />
KAPITÄN NEMOS BIBLIOTHEK<br />
21
WERKSTATTBÜHNE<br />
damals zurück und finden sich<br />
selbst als Kinder wieder. Diese<br />
Konfrontation der beiden Jungen<br />
mit dem eigenen Kind lässt sich<br />
mit Puppen sichtbar und lebendig<br />
machen.« Während des Stücks<br />
kann das Publikum sehen, wie die<br />
Puppenspieler und -spielerinnen die<br />
Figuren lebensecht animieren, und<br />
blendet das doch irgendwann aus.<br />
»Als Zuschauer hat man große<br />
Freude an dieser Illusion und lässt<br />
sich von diesem Spiel verführen.<br />
Es ist Theater in seiner reinsten<br />
Erscheinungsform«, so Werner.<br />
SCHICKSALE VERSCHMELZEN<br />
Enquist spielt in seinem Roman<br />
mit den aufgespaltenen Identitäten<br />
seiner Figuren. ICH und Johannes<br />
sind auf der realistischen Ebene des<br />
Textes zwei voneinander verschiedene<br />
Menschen, wobei Johannes<br />
als eine Art Doppelgänger des<br />
ICH-Erzählers fungiert, als dessen<br />
lichte Gegengestalt, geliebt<br />
von allen und »nettig«. Auf der<br />
Ebene der inneren Suche nach den<br />
»verborgenen Schmerzpunkten«<br />
beginnen sich jedoch die Identitäten<br />
beider Jungen aufzulösen und der<br />
Leser kann sich nicht mehr sicher<br />
sein, ob es in dem Roman wirklich<br />
um zwei verschiedene Schicksale<br />
geht. Der ICH-Erzähler verschweigt<br />
seinen Namen und auch in Johannes’<br />
geschriebenen Notizen wird sein<br />
Name nicht erwähnt, seine Existenz<br />
ist unsicher. ICH und Johannes sind<br />
Doppelfiguren, die wechselseitig<br />
ihre Existenz akzeptieren oder<br />
ignorieren. Im Laufe der Erzählung<br />
verschmelzen beide Persönlichkeitsanteile<br />
miteinander, wodurch<br />
Enquist den Prozess ihres Erwachsenwerdens<br />
andeutet.<br />
AUF DER SUCHE NACH DEM SINN<br />
Innerhalb der Dorfgemeinschaft<br />
interessiert sich keiner der Erwachsenen<br />
dafür, wie die Kinder mit ihrer<br />
neuen Lebenssituation zurechtkommen.<br />
Eine Möglichkeit sich gegen die<br />
Entscheidungen der Erwachsenen<br />
Mit Puppen verkörpert das Regieteam die Kindheitserinnerungen von Johannes<br />
und dem ICH-Erzähler. Um möglichst realistisch zu wirken, wurden sie nach<br />
Kinderfotos der zwei Darsteller gefertigt.<br />
zu wehren, haben sie nicht. Durch die<br />
Einbeziehung narrativer Passagen<br />
aus dem Roman in die Dialoge werden<br />
die inneren Gedanken- und Bewusstwerdungsvorgänge,<br />
von jeher ein<br />
besonderes Merkmal der Oper,<br />
herausgestellt und so die Isolation<br />
der beiden Jungen innerhalb der<br />
Dorfgemeinschaft betont. Anders<br />
als der Roman setzt die Opernhandlung<br />
mit dem Rücktausch ein<br />
und erzählt ab diesem Zeitpunkt die<br />
darauffolgenden Ereignisse nahezu<br />
chronologisch. Der erkenntnis- und<br />
identifikationsstiftende Prozess,<br />
dem sich ICH und Johannes in Nemos<br />
Bibliothek stellen, endet mit der<br />
Erkenntnis, »dass alles einen Sinn<br />
gehabt hat«: Die Jungen schaffen<br />
es, das Menschliche in ihrem Leben<br />
wieder zu erkennen und einen Umgang<br />
mit dem Verlust zu finden.<br />
Ab diesem Moment ist es ihnen<br />
möglich, mit dem Vergangenen abzuschließen<br />
und ihre Gedanken loszulassen:<br />
»Ich öffnete die Schleusen<br />
der Wassertanks, und stieg ins Boot.<br />
Alle Lichter der Nautilus brannten.<br />
Drinnen in der Bibliothek lag Johannes<br />
auf der Küchenbank und sah<br />
nettig aus, und war tot … Ich ruderte<br />
hinaus, und war frei. Dorthinaus<br />
musste ich ja zurück, obgleich frei.«<br />
WERKSTATTBÜHNE<br />
KAPITÄN NEMOS<br />
BIBLIOTHEK<br />
Johannes Kalitzke<br />
Oper (2021) | Libretto von<br />
Julia Hochstenbach | Nach dem<br />
gleichnamigen Roman von<br />
Per Olov Enquist |<br />
Österreichische Erstaufführung |<br />
In deutscher Sprache<br />
Premiere<br />
27. Juli <strong>2022</strong> – 20.00 Uhr<br />
Vorstellung<br />
29. Juli – 20.00 Uhr |<br />
Werkstattbühne<br />
Kompositionsauftrag und<br />
Koproduktion mit den<br />
Schwetzinger SWR Festspielen<br />
Gefördert von der Kulturstiftung<br />
des Bundes (Deutschland)<br />
22
MIT DER SWR4 APP<br />
ALLES AUF EINEN KLICK<br />
SIE MÖCHTEN IHRE LIEBLINGSLIEDER AUS DEM RADIO IMMER<br />
WIEDER HÖREN? ODER IN EINER LIVE-SENDUNG EINFACH MAL<br />
ZURÜCKSPULEN? DIE SWR4 APP MACHT'S MÖGLICH!<br />
Ab jetzt können Sie Ihre Lieblingslieder<br />
aus dem SWR4<br />
Programm immer wieder<br />
hören – auch wenn Sie gar nicht<br />
online sind. Sie haben den Anfang<br />
eines Beitrags verpasst oder möchten<br />
das gerade gehörte Lied nochmal<br />
genießen? Dann spulen Sie einfach<br />
das Radioprogramm zurück!<br />
Bestimmte Sendungen aus<br />
dem SWR4 Programm können<br />
Sie jetzt in Dauerschleife hören,<br />
wann und wo Sie wollen. Unsere<br />
Webchannels zum Sonntagskonzert,<br />
zur ChartShow und Big Band &<br />
Gäste machen es möglich.<br />
Ob unterwegs übers Mobilfunknetz<br />
oder zuhause über WLAN:<br />
Sie können mit der App jederzeit<br />
das Radioprogramm von SWR4<br />
hören – und zwar aus der Region,<br />
in der Sie zuhause sind. Ob in<br />
Friedrichshafen, Heilbronn,<br />
Karlsruhe, Mannheim, Stuttgart,<br />
Tübingen, Ulm oder Kaiserslautern,<br />
Ludwigshafen, Mainz, Trier,<br />
Koblenz: Wählen Sie einfach Ihr<br />
Lieblingsstudio aus und hören<br />
Sie den ganzen Tag Ihre Lieblingsmusik<br />
mit allen Informationen<br />
zum laufenden Programm und<br />
den wichtigsten Nachrichten aus<br />
Ihrer Heimat.<br />
Haben Sie den Morgengedanken,<br />
die neueste Folge von Die Ähn un die<br />
Anner oder den SWR4 Gartentipp<br />
verpasst? Möchten Sie das Neueste<br />
aus Annelies Royaler Welt hören oder<br />
die musikalischen Raritäten, die extra<br />
für Sie ausgegraben werden? Kein<br />
Problem – Podcast macht’s möglich!<br />
Und wenn Sie nichts verpassen<br />
möchten, aktivieren Sie einfach<br />
die Eilmeldungen in den Einstellungen.<br />
Damit werden Sie auf Wunsch<br />
noch schneller und in aller Kürze<br />
über die wichtigsten Geschehnisse<br />
aus aller Welt informiert.<br />
Wie das Wetter an Ihrem Wohnort<br />
wird, zeigt Ihnen die SWR4 App<br />
natürlich auch. Und wenn sich auf<br />
Ihrer Autobahn etwas zusammenstaut,<br />
erhalten Sie die Nachricht in<br />
den Verkehrsmeldungen.<br />
Auch die Bregenzer Festspiele<br />
haben einen festen Platz im Programm<br />
von SWR4 Baden-Württemberg.<br />
In der Sendung Kultur aus<br />
Baden-Württemberg wird Neues und<br />
Wissenswertes über das aktuelle<br />
Spiel auf dem See Madame Butterfly<br />
zusammengefasst. In der Sendung<br />
Sonntagskonzert können Sie Ausschnitte<br />
aus der Oper hören. Als<br />
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Festspiele verlost SWR4 Baden-<br />
Württemberg einen unvergesslichen<br />
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Württemberg und unter SWR4.de.<br />
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PARTNER DER BREGENZER FESTSPIELE<br />
In der Playlist können Sie jederzeit<br />
nachschauen, welche Musiktitel<br />
gerade im SWR4 Programm gelaufen<br />
sind.<br />
23
THEATER AM KORNMARKT<br />
24
EINE EIGENE<br />
SPRACHE FÜR ZWEI<br />
STUNDEN THEATER<br />
Für Jan Bosses Inszenierung von William Shakespeares Der Sturm hat der<br />
Autor Jakob Nolte eine neue, besondere Übersetzung dieses faszinierend<br />
rätselhaften Textes angefertigt. Im Gespräch gewähren der Übersetzer und<br />
der Regisseur Einblicke in ihre Ideen und Arbeitsweisen.<br />
DER STURM<br />
Worum geht es eigentlich<br />
in William Shakespeares<br />
Sturm?<br />
Jakob Nolte: Es hat eine Weile<br />
gebraucht, bis ich diese Frage<br />
einigermaßen für mich beantworten<br />
konnte, weil ich es für ein doch<br />
unübersichtliches Stück halte.<br />
Jetzt würde ich sagen, dass es für<br />
mich um Verrat geht, um die Folgen<br />
von Verrat und eine Welt, die auf<br />
Verrat beruht. Der Auslöser ist der<br />
Verrat des Bruders am Bruder.<br />
Bei Shakespeare steht er noch in<br />
königlichen Kontexten, weswegen<br />
die Folgen auch internationale<br />
Auswirkungen haben. Die Usurpation,<br />
die Sehnsucht nach Macht,<br />
der Wunsch nach oben zu kommen –<br />
das wären Beschreibungen für andere<br />
thematische Schwerpunkte.<br />
Aber im »Machthunger« gibt es<br />
immer wieder den Verrat oder die<br />
Angst davor, hintergangen zu werden,<br />
und andersherum natürlich<br />
das Vertrauen. Ariel vertraut<br />
lange, dass Prospero ihn irgendwann<br />
befreit. Miranda vertraut ihrem<br />
Vater, sie, die noch nie Männer<br />
gesehen hat und von ihrem Vater<br />
über den schönen Mann, den sie<br />
sieht, hört, es gebe noch viel bessere.<br />
Das Vertrauen in diesem sozialen<br />
Gefüge ist von Grund an gestört,<br />
weil es auf einem Verrat basiert.<br />
Wie kam es zur Entscheidung,<br />
Shakespeares Sturm für diese Inszenierung<br />
neu übersetzen zu lassen?<br />
Jan Bosse: Wir dachten, wir brauchen<br />
einen starken poetischen<br />
Zugriff eines Autors oder einer<br />
Autorin, um für die Fremdheit, die<br />
25<br />
in dieser Welt beschrieben wird,<br />
einen Ausdruck in der Sprache zu<br />
finden. Die Erfahrung mit Jakob<br />
Nolte bei Don Quijote, der auch<br />
bei den Bregenzer Festspiele zur<br />
Premiere kam, war sehr positiv.<br />
Das war ja keine Übersetzung,<br />
sondern eine kluge und kraftvolle<br />
Bearbeitung von Cervantes’ Text.<br />
Ich war verliebt in diese Art der<br />
Sprache und konnte mir den Sturm<br />
mit ihm gut vorstellen.<br />
Welches Thema bot den Ausgangspunkt<br />
für das Inzenierungskonzept?<br />
Bosse: Mich hat am meisten interessiert,<br />
dass das Stück auf einer<br />
Insel spielt. Die Vorgeschichte<br />
ist zwölf Jahre her, es geht viel<br />
um Erinnerung, aber nicht in<br />
einem psychologischen, sondern
THEATER AM KORNMARKT<br />
JAN BOSSE (LINKS)<br />
studierte erst Theaterwissenschaft,<br />
Germanistik und Kunstgeschichte,<br />
dann Schauspielregie.<br />
Als freier Regisseur fordert er sich<br />
in der Wahl seines Bühnenstoffs<br />
gerne selbst heraus. Seine Inszenierung<br />
von Cervantes’ Don Quijote<br />
2019 bei den Bregenzer Festspielen<br />
begeisterte das Publikum.<br />
JAKOB NOLTE (RECHTS)<br />
studierte in Berlin Szenisches<br />
Schreiben und arbeitet als Autor<br />
für Romane, Theaterstücke und<br />
Hörspiele. Schon für Jan Bosses<br />
Don Quijote lieferte er eine eigene<br />
Bearbeitung, in der »die Worte<br />
funkeln, dass es eine Pracht ist«.<br />
(Süddeutsche Zeitung)<br />
in einem archaischen Sinn. Es ist<br />
alles schon passiert, wenn das<br />
Stück beginnt. Mit dem Sturm<br />
werden die Figuren und damit auch<br />
die Vergangenheit auf diese Insel<br />
gespült, zwischen Zufall, Schicksal<br />
und Manipulation. Es wird zwar<br />
Zufall genannt, aber der Sturm ist<br />
von Prospero und Ariel inszeniert,<br />
als dieses Schiff zufällig vorbeifährt.<br />
Das ist eine typische Shakespeare-<br />
Konstruktion, an der gar nichts<br />
Zufall ist. Natürlich ist immer schon<br />
etwas und jemand da, wenn eine<br />
Insel entdeckt wird, Menschen oder<br />
Wesen, in diesem Fall Geister und<br />
sogenannte Monster. Und Prosperos<br />
Behauptung »Das ist jetzt mein<br />
Reich und ich erfinde die Welt neu«<br />
basiert automatisch auf Unterdrückung<br />
und ist auch zwölf Jahre<br />
her. Die Verhältnisse auf dieser<br />
Insel, die wir im Urzustand gar<br />
nicht erleben, sind schon kaputt,<br />
sobald dieses Stück beginnt.<br />
Wie lässt sich der Prozess der<br />
Übersetzung beschreiben?<br />
Nolte: Bei Shakespeare stellt sich<br />
bei mir das Gefühl der Fremdheit<br />
mit jedem Stück ein. Ob bei Romeo<br />
und Julia oder Hamlet: Es bleibt<br />
beim Lesen ein 400 Jahre alter<br />
Schleier, den man auch nicht mehr<br />
verschwinden lassen kann. Ob das<br />
dem englischen Leser auch so geht?<br />
Wahrscheinlich schon. Ich habe den<br />
Versuch gestartet, es wirklich Wort<br />
für Wort zu übersetzen, weil ich<br />
Kunstsprachen mag, die eine Verortung<br />
in der Wirklichkeit haben.<br />
Wir bewegen uns auf eine Welt zu,<br />
in der Übersetzen selbstverständlich<br />
wird. Ich habe in China, als die<br />
andere Person kein Englisch konnte<br />
und ich kein Chinesisch, meine<br />
Bestellung einfach ins Smartphone<br />
gesprochen. Wir haben die technischen<br />
Möglichkeiten, digital simultan<br />
zu übersetzen mit Apps, die auf<br />
dem Bildschirm oder sprechend<br />
übersetzen. Wie verändert sich<br />
gerade die Aufgabe des Übersetzers<br />
und der Übersetzerin? Es gibt<br />
im Italienischen die Redewendung<br />
»Traduttore, traditore« (»Übersetzer,<br />
Verräter«) womit wir wieder<br />
beim Verrat wären. Gilt diese<br />
Warnung nicht auch für Übersetzungs-Apps?<br />
Für mich hat diese<br />
Sprache etwas, als wäre sie aus einem<br />
zu kleinen Genpool entstanden<br />
und ein bisschen verknorpelt, etwas<br />
Fälschliches, aber voller Schönheit.<br />
Es gibt sie nur im Verhältnis<br />
zu Shakespeare. Nur für diese zwei<br />
Stunden.<br />
Alle Darstellenden spielen und<br />
verheddern sich auch immer<br />
wieder in den Seilen, die das<br />
Bühnenbild ausmachen. Wie kam<br />
es zu dieser klaren und dennoch<br />
verstrickten Bildidee?<br />
Bosse: Die Seile auf der Bühne<br />
sind Theater pur, weil – wie unser<br />
Bühnenbildner Stéphane Laimé<br />
erklärt hat – die Seiltechnik<br />
der Theaterzüge, die Handzüge,<br />
tatsächlich aus der Schifffahrt<br />
kommt. Die Theater haben<br />
die Technik übernommen und<br />
daraus gelernt. Deswegen verwenden<br />
wir auch keine Gummiseile<br />
oder Stangen, sondern<br />
26
Lebenselixier<br />
Hanf, also verarbeitetes Naturmaterial.<br />
Wir haben ursprünglich<br />
nach einem konkreten Element<br />
gesucht, das trotzdem durch die<br />
Vervielfältigung eine Abstraktion<br />
ermöglicht. In der ersten Szene<br />
im Sturm wird komischerweise<br />
eines dieser Schiffsseile, die nicht<br />
verhindern können, dass alle<br />
umkommen, »rope of destiny«,<br />
Schicksalseil, genannt. Der Seemann,<br />
der vielleicht für die Verfluchung<br />
des Königs gehängt wird,<br />
ist jetzt wichtiger als jeder König<br />
auf Erden, weil er der Einzige<br />
ist, der uns im Sturm mit seinem<br />
Schiffstau retten kann. Eigentlich<br />
ist das ganze Stück wie ein Sturm,<br />
der anfängliche Sturm aber schon<br />
vorbei, und gleichzeitig ist es ein<br />
innerer Sturm, der alle diese Figuren<br />
herumwirbelt.<br />
Es gibt eine weitere Ebene mit<br />
den Songs, welche die Musik zur<br />
eigenen Sprache werden lassen.<br />
Bosse: Ich habe mich so darauf<br />
gestürzt, dass wir Songs im<br />
Originalenglisch aufführen können,<br />
nur ganz leicht adaptiert,<br />
um der völligen Unverständlichkeit<br />
zu entkommen. Ich finde<br />
es gut, wenn zur deutschen Übersetzung,<br />
dieser Nolte’schen<br />
Shakespeare-Sprache, dieses<br />
ebenso kryptische Englisch<br />
kommt. Man kommt von der<br />
einen seltsamen Sprache in<br />
die andere.<br />
Dann wird es fast psychedelisch.<br />
Es gibt wohl kein Stück mit so vielen<br />
Aufwachenden und Schlafenden,<br />
ständig ist jemand entweder<br />
gerade am Aufwachen oder am<br />
Einschlafen und es wird sehr viel<br />
über Traum und Realität geredet,<br />
das alte große Thema. Und die<br />
Träume sind manchmal stärker<br />
und vielleicht sogar intensiver als<br />
das Eigentliche …<br />
THEATER AM KORNMARKT<br />
DER STURM<br />
William Shakespeare<br />
Übersetzung von<br />
Jakob Nolte | Erstaufführung<br />
dieser Übersetzung<br />
Ist Kaffee auf Dauer giftig?<br />
Diese Frage trieb im 18. Jahrhundert<br />
den schwedischen König<br />
Gustav III. um. Er war den schönen<br />
Künsten, dem Theater sehr zugetan,<br />
aber in puncto Bohne verstand<br />
er keinen Spaß. So ordnete er ein<br />
Experiment an, um die schädliche<br />
Wirkung von Kaffee zu beweisen:<br />
Zwei zum Tode Verurteilte sollten<br />
möglichst viel Kaffee bzw. Tee zu<br />
trinken bekommen. Damit wollte<br />
er herausfinden, welcher schneller<br />
sterben würde. Beide Gefangene<br />
sollen den König überlebt haben –<br />
und übrigens auch die Mediziner,<br />
die das Experiment überwachten.<br />
So erzählt es die Legende.<br />
Wie gesund oder ungesund ist<br />
Kaffee nun wirklich? Wie überall<br />
gilt auch hier: Die Dosis ist entscheidend.<br />
Drei bis vier Tassen am Tag<br />
entfalten bei den meisten Menschen<br />
eine positive Wirkung auf den Organismus.<br />
Die Durchblutung wird<br />
angeregt und Hirnzellen werden<br />
stimuliert. Etwa eine halbe Stunde<br />
nach dem Trinken entfaltet das<br />
Koffein seine volle Wirkung. Wer<br />
also vor dem Sturm einen Kaffee<br />
genießt, erlebt die Aufführung noch<br />
wacher, noch intensiver.<br />
Dallmayr wünscht Ihnen viel<br />
Genuss und eine wunderbare<br />
<strong>Festspielzeit</strong>!<br />
PARTNER DER BREGENZER FESTSPIELE | DER STURM<br />
Neben der Live-Musik mit<br />
verschiedenen Instrumenten<br />
gibt es auch Klanginstallationen.<br />
Diese Mischung finde ich interessant,<br />
wenn es auf dieser Insel<br />
eine ganz leise elektronische<br />
Fläche gibt, und Carolina dann<br />
Gitarre spielt und noch ein Schauspieler<br />
Vogelgeräusche macht.<br />
Premiere<br />
23. Juli <strong>2022</strong> – 19.30 Uhr<br />
Vorstellungen<br />
25. & 26. Juli – 19.30 Uhr |<br />
Theater am Kornmarkt<br />
Koproduktion mit dem<br />
Deutschen Theater Berlin<br />
27
HYBRID DURCH<br />
DIE JAHRHUNDERTE<br />
MELENCOLIA AUF DER WERKSTATTBÜHNE SPIELT MIT LIVE-MUSIK,<br />
KÜNSTLICHER INTELLIGENZ UND DIGITALEN WELTEN.<br />
WERKSTATTBÜHNE<br />
Die Musikerinnen und Musiker des<br />
Ensemble Modern finden sich in<br />
Melencolia als virtuelle Avatare auf<br />
der Bühne wieder ...<br />
Ein jahrhundertealtes Wort<br />
wird auf der Werkstattbühne<br />
zum Ausgangspunkt eines<br />
verspielten, humorvollen und tiefsinnigen<br />
Musiktheaterabends, der<br />
auf virtuose Weise sämtliche technische<br />
Möglichkeiten ausschöpft,<br />
die wir in den vergangenen Jahren<br />
selbstverständlich in unseren Alltag<br />
integriert haben.<br />
Melancholie erfuhr über Jahrhunderte<br />
und Kulturen hinweg unterschiedliche<br />
und widersprüchliche<br />
Zuweisungen, sie galt als körperliche<br />
Krankheit wie auch Moment der<br />
Kontemplation, als Möglichkeit der<br />
Überwindung irdischer Leiden<br />
und als Schwester der Genialität.<br />
Albrecht Dürers rätselhafter Polyeder<br />
im ebenso rätselhaften Bild<br />
Melencolia I ist zu einem Sinnbild<br />
für diese Widersprüche und das<br />
Unlösbare inmitten menschlicher<br />
Sehnsucht nach Erlösung geworden.<br />
Ausgehend von diesen unterschiedlichen<br />
Assoziationen und Bedeutungen<br />
entwickeln die Komponistin<br />
Brigitta Muntendorf und der Dramaturg<br />
Moritz Lobeck ein hybrides<br />
Musiktheater. Live erzeugte Klänge<br />
der Solisten und Solistinnen des<br />
Ensemble Modern werden digital<br />
weitergesponnen und in virtuellen<br />
Räumen neu verortet. Die Stimmen<br />
von sechs Chorsängerinnen auf der<br />
Bühne gesellen sich zu ihren digitalen<br />
Partnern.<br />
In 3D-Audio-Landschaften begegnen<br />
14 Instrumentalsolistinnen und<br />
-solisten des Ensemble Modern virtuellen<br />
Gästen wie Saeid Shanbehzadeh,<br />
dem iranischen Virtuosen<br />
auf einer Art persischer Dudelsack,<br />
Ney-Anban, oder ihren eigenen<br />
digitalen Zwillingen. Künstliche<br />
Intelligenzen und synthetisch ge-<br />
28
MELENCOLIA<br />
... und begegnen in der von Veronika Simmering gestalteten Welt skurrilen Gästen.<br />
WERKSTATTBÜHNE<br />
MELENCOLIA<br />
Brigitta Muntendorf |<br />
Moritz Lobeck<br />
Eine Show gegen die Gleichgültigkeit<br />
des Universums | Uraufführung<br />
klonte Stimmen treffen auf digitale<br />
Bildwelten und skurrile Parallelexistenzen;<br />
ein unablässiger Strom<br />
von instrumentalen und elektronischen<br />
Klängen führt das Publikum<br />
in vertraute wie surreale Hörräume.<br />
Mitten in unserer rational entzauberten<br />
Welt zelebriert Melencolia<br />
eine musikalische Show gegen die<br />
Gleichgültigkeit des Universums.<br />
Bereits mehrere Monate vor der<br />
Uraufführung erprobte die Komponistin<br />
mit Musikern und Musikerinnen<br />
des Ensemble Modern einzelne<br />
Klänge, Melodien und Spielweisen,<br />
die sie anschließend in digitalen<br />
Prozessen weiterentwickelt – mit<br />
teilweise überraschenden, oft auch<br />
humorvollen Veränderungen. Die<br />
Mittel des Musiktheaters erfahren<br />
in Melencolia eine faszinierende<br />
Erweiterung, wenn Live-Video,<br />
künstliche Intelligenz und virtuelle<br />
Welten Teil des Kompositionsprozesses<br />
werden. Und dennoch<br />
kann auch ein spontan erinnertes<br />
Volkslied aus der eigenen Heimat<br />
ein Ausgangspunkt sein, wie es die<br />
Bratscherin Megumi Kasakawa in<br />
der Erprobungsphase für Muntendorf<br />
gespielt hat. Ob und wie dieses<br />
Lied eine Rolle in der Aufführung<br />
spielen wird, bleibt der noch<br />
anhaltenden Kompositionsphase<br />
überlassen.<br />
Melodien aus Kasakawas japanischer<br />
Heimat sind in jedem Fall bei<br />
den Schmetterlingseffekten zu hören.<br />
Kasakawa kuratierte das musikalische<br />
Programm für das Konzert<br />
im Rahmen von Musik & Poesie, bei<br />
dem Mitglieder des Ensemble Modern<br />
Werke japanischer Komponistinnen<br />
spielen, die im Wechsel mit<br />
gelesenen Texten der Autorin Miki<br />
Sakamoto zu hören sind.<br />
Premiere<br />
18. August <strong>2022</strong> – 20.00 Uhr<br />
Vorstellung<br />
20. August – 20.00 Uhr |<br />
Werkstattbühne<br />
Auftragswerk der Bregenzer<br />
Festspiele und des Ensemble Modern<br />
Gefördert von der Kulturstiftung<br />
des Bundes (Deutschland)<br />
MUSIK & POESIE<br />
SCHMETTERLINGSEFFEKTE<br />
Melodien und Literatur<br />
aus Japan<br />
24. Juli <strong>2022</strong> – 19.30 Uhr |<br />
Seestudio<br />
Mitglieder des Ensemble Modern<br />
Lesung Miki Sakamoto<br />
29
Gioachino Rossinis Die Italienerin<br />
in Algier feiert am 8. Juli, noch vor<br />
der offiziellen Festspieleröffnung,<br />
Premiere im Theater am Kornmarkt.<br />
30
»JEDER TAKT STECKT<br />
VOLLER VERBORGENER<br />
JUWELEN«<br />
Jonathan Brandani hat alle Hände voll zu tun: In dieser Saison wird er sowohl<br />
Rossinis Italienerin in Algier als auch Haydns Armida dirigieren. Gemeinsam mit<br />
den jungen Talenten des Opernstudios nimmt er die Werke genau unter die Lupe<br />
und entdeckt Erstaunliches – von Verzierungskunst bis Quantenphysik.<br />
OPERNSTUDIO<br />
Wer liebt diese Oper eigentlich<br />
nicht? Schon bei der<br />
Uraufführung in Venedig<br />
im Jahr 1813 war Die Italienerin in<br />
Algier ein riesiger Erfolg, mit einem<br />
begeisterten Publikum und einem<br />
zufriedenen Impresario hatte der<br />
erst 21-jährige Gioachino Rossini<br />
seinen Ruf als Theatermann und<br />
Komödienexperte gefestigt, und bis<br />
heute gehört die innerhalb kürzester<br />
Zeit entstandene Opera buffa – je<br />
nach Quelle ist von 27 oder sogar<br />
nur 18 Tagen die Rede – zu seinen<br />
populärsten Werken.<br />
Da geht es auch Jonathan Brandani<br />
nicht anders. »Die Italienerin in<br />
Algier ist ein Meisterwerk des<br />
italienischen Belcanto, gespickt<br />
mit wunderschönen Melodien«,<br />
schwärmt der Dirigent aus Lucca,<br />
der erst voriges Jahr sein Amt als<br />
künstlerischer Leiter der Calgary<br />
Opera in Kanada angetreten hat.<br />
»Die berauschende Musik von<br />
Rossini katalysiert das Komische in<br />
der Geschichte und fesselt den Zuhörer<br />
von den allerersten Takten der<br />
Ouvertüre bis zum Ende der Oper.«<br />
STARKE FRAUEN<br />
Die skurrile Handlung um die<br />
temperamentvolle Italienerin<br />
Isabella, die sehr genau weiß, wie<br />
man besitzergreifende Machos in die<br />
Schranken verweist, könnte sogar<br />
auf einer wahren Begebenheit beruhen:<br />
Isabellas historisches Vorbild<br />
ist möglicherweise eine Mailänderin<br />
namens Antonietta Frapolli, die sich<br />
1808 selbst aus der Gefangenschaft<br />
des Bey von Algier befreien und über<br />
Venedig in ihre Heimatstadt Mailand<br />
zurückkehren konnte. Der Stoff entsprach<br />
jedenfalls genau der Orientmode<br />
des 18. und 19. Jahrhunderts,<br />
und Rossini traf damit zielsicher den<br />
Geschmack seiner Zeit.<br />
Der Turban bleibt in der Inszenierung<br />
von Brigitte Fassbaender<br />
allerdings in der Requisitenkammer.<br />
Im Rampenlicht stehen hier ganz<br />
die schrägen Typen, starken Charaktere<br />
und die verrückte Handlung.<br />
»Sie hat einen sehr kreativen und<br />
fantasievollen Zugang zu Rossinis<br />
Oper«, lobt Brandani die Regiearbeit<br />
der großen Künstlerin. »Vor allem<br />
habe ich es geliebt, wenn sie den<br />
jungen Sängern demonstriert hat,<br />
wie man sich auf der Bühne gibt und<br />
bewegt – sie ist eine so charismatische<br />
Interpretin!«<br />
SINGENDES ORCHESTER<br />
Dass in der Oper der Gesang den<br />
Ton angibt, berücksichtigt Jonathan<br />
Brandani auch bei den Musikerinnen<br />
31<br />
JONATHAN BRANDANI<br />
und Musikern im Graben. »Ich trainiere<br />
das Orchester, zu atmen und<br />
zu singen wie ein Sänger«, erklärt<br />
er. »Wir müssen sowohl eine solide<br />
Stütze bieten als auch eine exzellente<br />
Reaktionsfähigkeit auf das Bühnengeschehen<br />
haben. Tempowechsel und<br />
dynamische Schattierungen müssen<br />
nahtlos, spontan und in Sekundenschnelle<br />
vonstattengehen – und dazu<br />
müssen wir daran arbeiten, hervorragende<br />
Begleiter zu werden.«
THEATER AM KORNMARKT<br />
Kein Problem für das bewährte<br />
Symphonieorchester Vorarlberg, das<br />
bei beiden Inszenierungen zum Einsatz<br />
kommt. »Ich glaube, zwischen<br />
uns stimmt die Chemie«, berichtet<br />
der Gastdirigent von den gemeinsamen<br />
Proben. »Es ist wirklich toll,<br />
auf einem so hohen künstlerischen<br />
Niveau Musik zu machen – und<br />
gleichzeitig Spaß zu haben!«<br />
KLAVIATUR DER GEFÜHLE<br />
Eine ganz andere Herangehensweise<br />
erfordert dagegen Armida von<br />
Joseph Haydn. Brandani dirigiert die<br />
Opera seria zum ersten Mal, in Szene<br />
gesetzt wird sie von Regisseur Jörg<br />
Lichtenstein. Das berühmte Sujet<br />
hat sich im Lauf der Operngeschichte<br />
in unzähligen Vertonungen niedergeschlagen<br />
– einige Jahre später<br />
übrigens auch bei Rossini.<br />
Das Libretto basiert auf dem rund<br />
200 Jahre älteren Versepos Das<br />
befreite Jerusalem von Torquato<br />
Tasso und erzählt die Geschichte<br />
der fatalen, aber umso leidenschaftlicheren<br />
Liebe zwischen der sarazenischen<br />
Zauberin Armida und dem<br />
eigentlich verfeindeten Kreuzritter<br />
Rinaldo: ein klassischer Zwiespalt<br />
zwischen Affekten und Pflichten,<br />
ganz in der Tradition der Opera seria.<br />
»Haydns Musik nimmt uns an die<br />
Hand und führt uns auf eine Reise<br />
durch Liebe, Hass, Verzweiflung,<br />
Magie und übernatürliche Kräfte«,<br />
beschreibt Brandani das sprudelnde<br />
Wechselbad der Gefühle.<br />
»Bestimmt werden viele im Publikum<br />
überrascht sein, wie modern<br />
und emotional diese Oper ist!«<br />
SYMPHONIE IN DER OPER<br />
Auch bei der Uraufführung 1784<br />
im Theater des Schlosses Eszterháza,<br />
dirigiert vom Komponisten<br />
höchstpersönlich, war Armida von<br />
Erfolg gekrönt. »Man sagt es seye<br />
bishero mein bestes Werk«, schrieb<br />
Haydn einige Tage später an seinen<br />
Verleger. Dann wurde es allerdings<br />
bald recht still um das Stück – was<br />
wohl auch daran liegen mag, dass<br />
»Papa Haydn« vor allem mit seinen<br />
Streichquartetten, Symphonien und<br />
Oratorien assoziiert wird. Das umfangreiche<br />
Opernschaffen war lange<br />
ein blinder Fleck seines Œuvres.<br />
Zu Unrecht: »Er verfügt über ein<br />
untrügliches Gespür für Dramatik,<br />
ein großartiges Verständnis für<br />
die menschliche Stimme und einen<br />
unglaublichen Einfallsreichtum«, erläutert<br />
Brandani. Der Symphoniker<br />
kommt bei Armida aber trotzdem<br />
zum Vorschein. »Haydns musikalisches<br />
Material ist tendenziell dichter,<br />
symphonischer gewissermaßen,<br />
selbst wenn er Gesang begleitet.<br />
Gleichzeitig vertont er das Libretto<br />
sehr raffiniert – jeder Takt steckt<br />
voller verborgener Juwelen!«<br />
AUF MUSIKALISCHER<br />
SCHATZSUCHE<br />
Die jungen Sängerinnen und Sänger von Armida bei der<br />
Meisterklasse mit Jonathan Brandani im März <strong>2022</strong><br />
Und diesen Juwelen sind die jungen<br />
Künstlerinnen und Künstler des<br />
Opernstudios, das sich seit 2015<br />
der Nachwuchsförderung bei den<br />
Bregenzer Festspielen verschrieben<br />
hat, bereits ausgiebig auf der Spur.<br />
»Für mich ist die Arbeit mit jungen,<br />
talentierten Sängern eine großartige<br />
Möglichkeit, älteren Werken<br />
neues Leben einzuhauchen«, erzählt<br />
Brandani. »Die jungen Profis gehen<br />
meistens zum ersten Mal an die<br />
32
DIE ITALIENERIN IN ALGIER<br />
Gioachino Rossini<br />
Komische Oper in zwei<br />
Akten (1813) | Libretto von Angelo<br />
Anelli | In italienischer Sprache mit<br />
deutschen Übertiteln<br />
OPERNSTUDIO<br />
Ursprünglich für 2021 geplant, kommt Die Italienerin in Algier in der lebhaften<br />
Inszenierung von Brigitte Fassbaender diesen <strong>Sommer</strong> auf die Bühne.<br />
Premiere<br />
8. Juli <strong>2022</strong> – 19.30 Uhr<br />
Vorstellungen<br />
10. & 12. Juli – 19.30 Uhr |<br />
Theater am Kornmarkt<br />
Rollen heran und bringen dabei<br />
eine Bereitschaft zum Lernen und<br />
Experimentieren mit, die man bei<br />
erfahrenen Interpreten in aller Regel<br />
nicht mehr findet. Wenn man eine<br />
Rolle schon mehrfach gesungen<br />
hat, ist man eher nicht besonders<br />
erpicht darauf, seine musikalischen<br />
Gewohnheiten zu ändern.«<br />
Im Opernstudio wird dagegen von<br />
Grund auf erforscht, wie man eine<br />
Partie am besten anlegt und dabei<br />
als Künstlerpersönlichkeit wachsen<br />
kann. »Es geht darum, viele Fragen<br />
zu stellen, immer tiefer und tiefer in<br />
das Werk vorzudringen und dabei<br />
ganz verschiedene Möglichkeiten<br />
auszukundschaften.«<br />
VON PROSODIE UND<br />
KOSMOLOGIE<br />
Ein kontinuierlicher Prozess, der<br />
freilich alles andere als einfach ist.<br />
Doch dass sich die Mühe lohnt, hat<br />
sich bereits bei einem Workshop<br />
für Armida im Februar bestätigt.<br />
Gemeinsam wurde fleißig studiert,<br />
analysiert und ausprobiert, wobei<br />
ein besonderes Augenmerk auf<br />
der Entwicklung angemessener<br />
Verzierungen und agogischer<br />
Beweglichkeit lag. »Das sind zwei<br />
grundlegende Zutaten – sie werden<br />
oft übersehen, tragen aber so viel<br />
zu Spontaneität und Frische einer<br />
gelungenen Interpretation bei«,<br />
verrät Brandani.<br />
Der Horizont endet hier aber noch<br />
lange nicht: »Wir haben über unsere<br />
Arbeit als Interpreten nachgedacht,<br />
über Probleme der Aufführungspraxis<br />
in Vergangenheit und Gegenwart,<br />
über die Eigenheiten von<br />
Haydns Musikstil, über die Beziehung<br />
zwischen geschriebenem Text und<br />
seiner Ausdeutung, über die Prosodie<br />
der italienischen Sprache … Ich erinnere<br />
mich, dass wir gelegentlich<br />
sogar über Quantenphysik, Kosmologie<br />
und die Theorie von multiplen<br />
Universen gesprochen haben!«<br />
ARMIDA<br />
Joseph Haydn<br />
Dramma eroico in drei<br />
Akten (1784) | Libretto von Nunziato<br />
Porta (?) nach Torquato Tassos<br />
Das befreite Jerusalem (1581) |<br />
In italienischer Sprache mit<br />
deutschen Übertiteln<br />
Premiere<br />
15. August <strong>2022</strong> – 19.30 Uhr<br />
Vorstellungen<br />
17. & 19. August – 19.30 Uhr |<br />
Theater am Kornmarkt<br />
Das Opernstudio<br />
wird präsentiert von<br />
Mit freundlicher Unterstützung des<br />
Internationalen Gesangswettbewerbs<br />
NEUE STIMMEN der Liz Mohn<br />
Center gGmbH<br />
33
KARTENÜBERSICHT<br />
Spiel auf dem See Madame Butterfly<br />
Kategorie 1 2 3 4 5 6 7<br />
So–Do EUR 150 138 116 88 68 54 30<br />
Fr EUR 162 150 128 100 80 66 42<br />
Sa EUR 174 162 140 112 92 78 54<br />
Premium-Ticket So–Do Fr Sa<br />
EUR 270 282 294<br />
Festspiel-Lounge So–Do Fr Sa<br />
EUR 370 382 394<br />
KARTENÜBERSICHT<br />
ABSAGE- UND UMTAUSCH-<br />
REGELUNG<br />
Die Bregenzer Festspiele sind<br />
bemüht, die Vorstellung auf der<br />
Seebühne abzuhalten, und weisen<br />
darauf hin, dass gegebenenfalls<br />
auch bei Regen gespielt wird bzw.<br />
es zur Verzögerung des Beginns<br />
kommen kann. Wir empfehlen allen<br />
unseren Gästen daher, warmer und<br />
regensicherer Kleidung den Vorzug<br />
zu geben, auf Regenschirme aber<br />
zu verzichten, da diese die Sicht<br />
beeinträchtigen. Das Spiel auf dem<br />
See wird ohne Pause gespielt.<br />
KARTEN DER KATEGORIE 1, 2,<br />
DER FESTSPIEL-LOUNGE UND<br />
PREMIUM-TICKETS<br />
sind bei Absage oder einer Spielzeit<br />
der Seeaufführung unter<br />
90 Minuten für die halbszenische<br />
Aufführung von Madame Butterfly<br />
im Festspielhaus gültig und werden<br />
nicht rückerstattet. Bei einer Verlegung<br />
der Aufführung ins Festspielhaus<br />
befinden sich die Plätze der<br />
Kategorie 1 im Parkett, die Plätze<br />
der Kategorie 2 im Rang. Auf der<br />
Seetribüne nebeneinanderliegende<br />
Plätze können aufgrund der unter-<br />
schiedlichen Reiheneinteilung im<br />
Festspielhaus getrennt sein.<br />
KARTEN DER KATEGORIE 3 BIS 7<br />
sind nur für die Aufführung von<br />
Madame Butterfly auf der Seebühne<br />
gültig. Bei einer Verlegung der Aufführung<br />
ins Festspielhaus erhalten<br />
Besitzer dieser Karten dann den<br />
Kartenwert rückerstattet bzw. können<br />
nach Verfügbarkeit auf einen<br />
späteren Termin umtauschen, wenn<br />
die Aufführung auf der Seebühne<br />
nicht bzw. kürzer als 60 Minuten<br />
gespielt worden ist.<br />
Informationen zu COVID-19<br />
Die Bregenzer Festspiele passen<br />
ihr Präventionskonzept zur Eindämmung<br />
von COVID-19 laufend<br />
den gesetzlichen Bestimmungen an.<br />
Die aktuell geltenden Informationen<br />
für den Festspielsommer <strong>2022</strong><br />
finden Sie auf unserer Website<br />
www.bregenzerfestspiele.com in der<br />
Rubrik »Besuch« – »FAQ«.<br />
Es gelten die Allgemeinen<br />
Geschäftsbedingungen der<br />
Bregenzer Festspiele GmbH.<br />
34
KARTEN UNTER:<br />
T +43 5574 407-5<br />
ticket@bregenzerfestspiele.com<br />
www.bregenzerfestspiele.com<br />
Oper im Festspielhaus<br />
Sibirien<br />
Orchesterkonzerte<br />
im Festspielhaus<br />
PREISE Wiener Symphoniker<br />
PREISE Sibirien<br />
Kategorie 1 2 3 4 5 6<br />
EUR 150 132 115 98 60 28<br />
Premierenzuschlag<br />
pro Ticket EUR 25 (Kate gorie 1 und 2).<br />
Für die Premiere gilt ein eigener Sitzplan.<br />
Kategorie 1 2 3 4 5 6<br />
EUR 88 74 58 42 28 20<br />
PREISE Symphonieorchester Vorarlberg<br />
Kategorie 1 2 3 4 5 6<br />
EUR 54 46 38 32 25 20<br />
Festspielhaus | Werkstattbühne | Seestudio | Kunsthaus Bregenz | Theater am Kornmarkt<br />
Der Sturm<br />
Theater am Kornmarkt<br />
Die Italienerin in Algier, Armida<br />
Theater am Kornmarkt<br />
Kategorie 1 2 3 4<br />
Kategorie 1 2 3 4<br />
KARTENÜBERSICHT<br />
EUR 48 38 28 18<br />
EUR 52 42 32 22<br />
Fräulein Else<br />
Festspielhaus<br />
Kategorie 1 2 3 4 5 6<br />
EUR 54 46 38 32 25 20<br />
Orchesterakademie<br />
Festspielhaus<br />
Kategorie 1 2 3<br />
EUR 32 24 16<br />
Kapitän Nemos Bibliothek,<br />
Wiener Symphoniker,<br />
Musik & Poesie<br />
Seestudio<br />
Konzert im KUB<br />
Kunsthaus Bregenz<br />
Melencolia<br />
Werkstattbühne<br />
ganz persönlich<br />
Seestudio<br />
EUR 28<br />
EUR 18<br />
EUR 35<br />
EUR 18<br />
35
Viel Vorfreude wünschen<br />
die Partner der Bregenzer Festspiele.<br />
HAUPTSPONSOREN<br />
GREEN ENERGY<br />
PARTNER<br />
PRODUKTIONSSPONSOREN<br />
GrECo International AG<br />
Hilti Foundation<br />
LIEBHERR-Turmdrehkrane<br />
Wiener Städtische Versicherung AG<br />
CO-SPONSOREN & PARTNER<br />
AGM<br />
Coca-Cola<br />
Dallmayr Kaffee<br />
Hendrick's Gin<br />
Kryolan<br />
Leica Camera<br />
Mohrenbrauerei<br />
Paul Mitchell<br />
Pfanner & Gutmann<br />
Rauch Fruchtsäfte<br />
Red Bull<br />
Ricola<br />
Römerquelle<br />
Schlumberger (Wein- und<br />
Sektkellerei)<br />
SUBVENTIONSGEBER<br />
PARTNER