Kaviar Geschichten
Wussten Sie schon, dass noch in den 50er Jahren kaspische Fischer Kaviar unter ihre Mahlzeiten rührten, weil der eiweißreiche Fischrogen eine billige und sättigende Komponente war? Heutzutage gehört Kaviar zu den edelsten Lebensmitteln, um das sich viele Mythen und Geschichten ranken. Christoph Moeskes, Journalist und Autor, widmet sich in seinem neuen Buch kurzweilig und informativ der Welt des Kaviars - angefangen beim Weltmarkt und Monopolen über Wilderei und Schmuggel bis hin zu Schutz und Zucht.
Wussten Sie schon, dass noch in den 50er Jahren kaspische Fischer Kaviar unter ihre Mahlzeiten rührten, weil der eiweißreiche Fischrogen eine billige und sättigende Komponente war? Heutzutage gehört Kaviar zu den edelsten Lebensmitteln, um das sich viele Mythen und Geschichten ranken. Christoph Moeskes, Journalist und Autor, widmet sich in seinem neuen Buch kurzweilig und informativ der Welt des Kaviars - angefangen beim Weltmarkt und Monopolen über Wilderei und Schmuggel bis hin zu Schutz und Zucht.
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Christoph Moeskes
Kaviar
Geschichten
Inhalt
5 Prolog
11 Der Stör
Von Schlünden, Gier und schwerem Laich
27 Russland
Von Zaren, Feiertagen und einem beherzten Griechen
45 Früher Weltmarkt
Von Stülpdosen, Meeresbrisen und billigen Sandwiches
67 Sowjetunion
Von Monopolen, Staudämmen und schönem Leben
87 Iran
Von Schuppen, Hunden und einem weisen Ajatollah
105 Wilderei und Schmuggel
Von Supermärkten, Aktenkoffern und kleinen Fischen
123 Schutz und Zucht
Von Kreisläufen, Quoten und späten Ein sichten
141 Epilog
145 Anhang
Kaviar in Kürze
149 Anmerkungen
155 Bibliographie
159 Danksagung
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Der Stör
Von Schlünden, Gier und schwerem Laich
Ein merkwürdiger Fisch ist das, der da im holzvertäfelten Büro bei
Dieckmann & Hansen hängt. Eigentlich hässlich mit seinem kleinen
Kopf und den Knochenplatten, die sich entlang des schweren Körpers
ziehen. So sehen Dinosaurier aus. Und tatsächlich ist der Stör auch so
etwas wie ein Dinosaurier, nur viel älter. Er schwamm bereits in den
Meeren der Nordhalbkugel, als es die Riesenechsen noch gar nicht gab:
vor mehr als 200 Millionen Jahren. Der Stör überlebte Meteoriteneinschläge,
Klimawechsel, Kontinentalverschiebungen, Vulkanausbrüche,
Eiszeiten, Dürren – und eben auch die Dinosaurier. Paläontologen sind
immer wieder verblüfft, wie wenig sich dieser urtümliche Fisch im Laufe
der Evolution verändert hat. Ein fossiler Stör sieht kaum anders aus als
ein heutiger. Das gilt nicht für viele derart große Tiere, die seit Urzeiten
die Erde bewohnen.
Und groß ist dieser Fisch! Beluga-, Kaluga- und Weißstör können
über 5 Meter lang und über eine Tonne schwer werden. Jackpot, wenn
einem solch ein Exemplar ins Netz geht: Der Rogen kann rund 10 Prozent
des Körpergewichts ausmachen, also gut und gerne 100 Kilo. Das
reicht, um die Gäste eines Kreuzfahrtschiffs eine Saison lang mit Kaviar
zu versorgen. Um ihn zu gewinnen, ist allerdings Eile geboten. Kaviar
ist ein empfindliches Lebensmittel, er verdirbt schnell an der Luft. Sauber
muss es auch zugehen, Keime und Bakterien dürfen nicht in den
Rogen gelangen.
Hat man ein trächtiges Störweibchen gefangen, wird es meist mit
einem Schlag auf den Kopf getötet. Dann schlitzt man ihm den Bauch
auf und entnimmt die beiden Eierstöcke. Die blutig-schwarzen Batzen
werden durch ein feines Sieb gedrückt, das die einzelnen Eier von der
Haut trennt. Anschließend werden die Körner gewaschen und gesalzen.
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Russland
Von Zaren, Feiertagen und einem beherzten Griechen
Der Stör war überall verbreitet, im Atlantik, im Pazifik, in Nord- und Ostsee,
im Mittelmeer. Störmännchen und Störweibchen schwammen in
der Gironde, im Po, in der Seine, im Rhein, in der Elbe, im Mississippi, in
der Weichsel, im Yangtse, in der Themse, im Amur, in der Donau. Regelrecht
schwindelig kann einem werden bei all den Flussnamen – und das
sind längst nicht alle. Dnepr, Don und Ural (auch das ist ein Fluss), vor
allem aber die Wolga gehören unbedingt dazu – allesamt russische oder
zumindest zum Teil russische Ströme. Elf der 29 Störarten lebten und
leben in russischen Gewässern. Rekord! Russland, so kann man mit Fug
und Recht behaupten, ist Störland.
Der Fisch liebt diese Gewässer, besonders die südlichen. 90 Prozent
aller Störe weltweit lebten 1991 im Kaspischen und im Asowschen Meer,
einem brackigen, fast abgeschlossenen Teil des Schwarzen Meeres. Von
dort verschifften bereits die griechischen Kolonisten Störfleisch nach
Athen. »Brackig« bedeutet nicht etwa »abgestanden, moderig«, sondern
»salzarm«. Brackwasser gefällt dem Stör offenbar, muss er darin seinen
Salzhaushalt doch nicht groß anpassen, wenn er zum Laichen in die
Flüsse zieht. Salz- und Süßwasser haben unterschiedliche osmotische
Druckverhältnisse in den Zellen zur Folge. Von Meer- auf Flusswasser
umzuschalten fordert den Fischen einiges ab.
Ist das Asowsche Meer ein gutes Habitat für den Stör, so ist das Kaspische
Meer ein wahres Paradies: zwei- bis dreimal weniger salzig als
die Ozeane und dennoch groß wie ein Meer; flach im Norden, tief im
Süden; lieblich im Sommer, stürmisch im Winter. Rund 130 kleine und
große Flüsse speisen das größte Binnengewässer der Welt. Sie tragen
für uns fremdartige, märchenhaft anmutende Namen: Kura (Aserbaidschan),
Terek (Russland) oder Sefidrud (Iran). Die große Gebieterin des
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Früher Weltmarkt
Von Stülpdosen, Meeresbrisen und billigen Sandwiches
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der russische Kaviar über zwei
Hauptwege exportiert. Die traditionelle Südroute wurde von Kara -
wanen genutzt und führte diese von Astrakhan ans Schwarze Meer,
von wo aus der Presskaviar zunächst nach Istanbul verschifft und dann
weiter gehandelt wurde. Abnehmer waren zumeist orthodoxe Christen
– Griechen, Armenier, Auslandsrussen. Die muslimischen Osmanen
ließen eher die Finger von der ihrem Glauben nach unreinen Speise.
Lieber aßen sie Lachs, der im alten Byzanz noch ein Arme-Leute-Essen
gewesen, nun aber so rar war, dass sein Rogen als Delikatesse galt. Noch
heute sind manch türkische Vorspeisen mit dem sogenannten Keta
garniert.
Die Nordroute hingegen verlief über Wolga und Ostsee bis nach
Hamburg. Einmal von Belkens und Ferporten etabliert, hatte sie der
Südroute zunehmend den Rang abgelaufen. Im 18. Jahrhundert hatte
Russland verfügt, dass Kaviar und Isinglas nur mit Erlaubnis der Handelskammer
exportiert werden durften. Der Kaviar musste in Nizhny
Novgorod an der nördlichen Wolga abgenommen werden; die wertvolle
Schwimmblase des Störs hingegen in Moskau. Für den Weitertransport
beider Artikel nach St. Petersburg waren die Importeure verantwortlich,
die die Ware dann über Hamburg nach Paris, London oder
Wien beförderten.
Es war ein langsames Geschäft. Varvakis’ Lindenholzfässer waren
oft monatelang, wenn nicht gar Jahre unterwegs, bis ihr Inhalt die Bankette
zierte. Zwar beschleunigten die ersten Dampfschiffe ab Ende des
18. Jahrhunderts den Transport. Doch noch immer standen die Händler
vor einem großen Problem: Wie ließ sich der Kaviar so konservieren,
dass er möglichst frisch in Europa eintraf ?
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Sowjetunion
Von Monopolen, Staudämmen und schönem Leben
Kaviar war wieder dort, von wo aus er seinen Siegeszug in die Salons
und Restaurants, auf Bankette und Kreuzfahrtschiffe der Welt angetreten
hatte. Welch ein Glück für die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken:
Kaviar, diese vielleicht russischste aller Speisen, war wieder
russisch. Amerika und Europa waren leergefischt; allenfalls an der französischen
Gironde und im rumänischen Donaudelta gab es noch eine
Handvoll Störfischer. Der Norden des Schwarzen Meers und fast das
gesamte Kaspische Meer waren sowjetisch. Die UdSSR besaß, wovon
jeder Kapitalist nur träumen kann: das nahezu uneingeschränkte Monopol
auf eine der begehrtesten Waren überhaupt.
Außer den zentralen Plan- und Leitungsstellen durfte niemand sonst
über die Ressource Stör verfügen. Private Fischereiunternehmen waren
verboten. Großen Kaviarhändlern wie den Sapozhnikovs wurden nicht nur
die Gemälde genommen – ihr gesamter Besitz wurde verstaatlicht. Händler
wie Kattus oder Dieckmann & Hansen, denen der Zar gegen gutes
Geld erlaubt hatte, eigene Fischereistationen in Astrakhan zu betreiben,
mussten weichen. Sie hatten allerdings bereits vor Ausbruch des
Ersten Weltkriegs das Weite gesucht. Der Vorhang war gefallen. Das Spiel
konnte neu beginnen. Die Sowjetunion hielt alle Trümpfe in der Hand.
Sie spielte die Karten – wie es sich für einen Monopolisten gehört –
gelassen aus. Kaviar war eines der wenigen sowjetischen Produkte von
Weltrang, ein Markenartikel ähnlich wie die Kalaschnikow: vollendet, raffiniert
und einfach zugleich. Mit Kaviar konnte die Sowjetunion der Welt
beweisen, dass Qualität und Kommunismus einander nicht ausschließen
mussten. Er war der schillernde Botschafter eines ansonsten völlig unglamourösen
Systems und auf mehr Empfängen und Gesellschaften dabei,
als die UdSSR je auszurichten vermochte. Was auch immer man von den
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Iran
Von Schuppen, Hunden und einem weisen Ajatollah
Das Elburs-Gebirge trennt in einem gewaltigen Bogen die iranische
Küste entlang des Kaspischen Meers vom Rest des Landes. Über die
gewundenen Pässe, auf denen selbst im Sommer Schnee liegt, quälen
sich täglich Kolonnen von Lastwagen und Autos hinauf. Dann endlich,
wenn die Fahrzeuge den höchsten Punkt erreicht haben, rollen sie hinab
in den »shomal«, den Norden, wie die Iraner das Gebiet am Kaspischen
Meer nennen. Es ist ein Hinübergleiten in eine andere Welt: grün, offen,
dicht bevölkert. Der »shomal« hat so gut wie nichts mit dem übrigen
Iran gemeinsam. Nieselregen benetzt die Teefelder. In den Garküchen
dampft Rote Bete. Irgendwie scheint Russland nicht weit zu sein. Das
Kaspische Meer plätschert milde. Weit draußen schwimmen die Störe.
Am 27. September 1981 setzte sich vom »shomal« ein Kühlwagen in
Bewegung. Das Fahrzeug quälte sich über die gewundenen Pässe des
Elburs-Gebirges, passierte das staubige Teheran und hielt schließlich
vor dem vogelumzwitscherten Büro des Revolutionsführers Ajatollah
Khomeini in Ghom, dem Zentrum der schiitischen Geistlichkeit. Die
Beamten der staatlichen Fischereigesellschaft Shilat wollten Gewissheit:
Dürften sie weiter Stör fangen? Oder verstößt die Kaviarproduktion
gegen die Gesetze des Islam?
Seit zwei Jahren warteten die Beamten auf ein klärendes Wort. Nach
dem Sturz des Schahs waren die luftdicht verpackten Gebinde in ein
politisches Vakuum geraten. Die meisten Fischer und Kaviar-Meister
arbeiteten zwar weiter wie bisher. Doch der Rogen landete nicht im
staatlichen Export, sondern wurde vorsichtshalber in den Kühlhäusern
eingelagert oder auf abenteuerlichen Wegen außer Landes geschmuggelt.
Höchste Zeit zu erfahren, wie der Revolutionsführer zum Kaviar
steht. Dafür hatten die Fischereibeamten je ein Exemplar des Hausen,
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Christoph Moeskes
Kaviar
Geschichten
Über den Autor
Es sollte eine Recherche werden über das Kaspische Meer. Herausgekommen
ist dabei ein Buch über Kaviar. Christoph Moeskes, der nur
„Deutschen Kaviar (Seehasenrogen) aus der Tube“ kannte, wurde erst
im Laufe seiner Arbeit zum Liebhaber der „schwarzen Perlen“. Der Ost -
europa-Experte findet, die Geschichte des Kaviar sage auch eine Menge
aus über die Gattung Homo sapiens. Über ihre Gier, ihren Erfindungsreichtum,
ihren Wagemut und noch manch andere Eigenschaften.
In Wilhelmshaven geboren und aufgewachsen, lebt Moeskes heute
in Berlin. Er ist Herausgeber verschiedener Bücher, freier Autor der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Fotograf.
Kaviar Geschichten
von Christoph Moeskes
Herausgeber: Ralf Frenzel
© 2011 Tre Torri Verlag GmbH, Wiesbaden
www.tretorri.de
Umsetzung: CPA! Communications- und Projektagentur GmbH, Wiesbaden
www.cpagmbh.de
Die CPA! ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik und fördert
Slow Food Deutschland e.V.
Gestaltung: G. Bittner, Wiesbaden
Reinzeichnung: P. Winkelmann, Wiesbaden
Printed in Germany
ISBN: 978-3-941641-60-0
Haftungsausschluss: Die Inhalte dieses Buchs wurden von Herausgeber und Verlag sorgfältig
erwogen und geprüft. Dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Die Haftung
des Herausgebers bzw. des Verlags für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.
Wissen Sie, was ein Huso huso ist ?
Wenn Sie Beluga-Stör vermuten, liegen Sie richtig!
Aber wussten Sie auch, dass das heutige Luxus gut
Kaviar noch bis Ende des 19. Jahrhunderts eine
»Arme- Leute-Speise« war? Dass zu Zeiten des
»Kaviar- Rush« in den USA die schwarzen Störeier
wie Erdnüsse in New Yorker Kneipen kostenlos
verteilt wurden? Wie Kaviar überhaupt hergestellt
wird? Was sich hinter Osietra, Sevruga und Beluga
alles verbirgt? Dass in der Sowjetunion Menschen
wegen Kaviar hingerichtet wurden?
Christoph Moeskes’ Kaviar-Geschichten liefern
Wissens wertes und Unterhaltsames, informieren
über politische und wirtschaftliche Hintergründe.
Sie stimmen nachdenklich und amüsieren. Kurz:
Sie sind die perfekte Lektüre für Kaviar-Liebhaber
und solche, die es dadurch werden!