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Katharina Will: Stiftungen und Reformation (Leseprobe)

Die Stiftungsurkunden und Testamente des 16. und frühen 17. Jahrhunderts bieten einen bedeutenden Einblick in die Rezeption der reformatorischen Veränderungen und das erstarkende Selbstbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger im Sinne des »Priestertums aller Getauften«. Anhand dieses Quellenmaterials setzt sich die vorliegende Studie mit der Transformation des Stiftungswesens unter Berücksichtigung der Vielfalt der Reformation auseinander. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den religiösen Argumentationsmustern und der Frage, inwiefern sich Stiftungen als Gaben verstehen lassen.

Die Stiftungsurkunden und Testamente des 16. und frühen 17. Jahrhunderts bieten einen bedeutenden Einblick in die Rezeption der reformatorischen Veränderungen und das erstarkende Selbstbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger im Sinne des »Priestertums aller Getauften«. Anhand dieses Quellenmaterials setzt sich die vorliegende Studie mit der Transformation des Stiftungswesens unter Berücksichtigung der Vielfalt der Reformation auseinander. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den religiösen Argumentationsmustern und der Frage, inwiefern sich Stiftungen als Gaben verstehen lassen.

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12 I. Einleitung<br />

Bürgertum setzte sich mit religiösen Fragen auseinander. 3 Dabei ist hervorzuheben,<br />

dass von Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürgern zu sprechen ist. Wie wir bei Cecilia<br />

Auer bereits gesehen haben, orientierten auch Frauen ihr Handeln an ihrem<br />

Glauben <strong>und</strong> zogen daraus die Konsequenz, <strong>Stiftungen</strong> ins Leben zu rufen. Mit<br />

den zahlreichen Stiftungsurk<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Testamenten des 16. <strong>und</strong> frühen<br />

17. Jahrh<strong>und</strong>erts sind uns bemerkenswerte Zeugnisse der theologischen Ansichten<br />

der Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger erhalten geblieben. Die Quellen zum Stiftungswesen<br />

bieten einen bedeutenden Einblick in die Rezeption der reformatorischen<br />

Veränderungen <strong>und</strong> das erstarkende Selbstbewusstsein des Bürgertums<br />

im 16. <strong>und</strong> frühen 17. Jahrh<strong>und</strong>ert. Dabei ist hervorzuheben, dass Bürgerinnen<br />

<strong>und</strong> Bürger gerade auch theologische Feinheiten wahrnahmen. 4 Um auf Cecilia<br />

Auer zurückzukommen: Oben wurde die Frage aufgeworfen,wie Auer Mt 25,31–<br />

46 als Protestantin wahrnahm. Ausgegangen sind wir dabei von einer Polarität –<br />

das Gericht nach Werken auf der einen <strong>und</strong> die Rechtfertigung allein aus Gnade<br />

auf der anderen Seite. Ein näherer Blick in die Urk<strong>und</strong>e Cecilia Auers lässt die<br />

Annahme, es habe im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert nur diese beiden Überzeugungen gegeben,<br />

als Konstrukt erscheinen. Darauf wird im Hauptteil dieses Buches zurückzukommen<br />

sein.<br />

Dass gerade ein Zitat aus Mt 25,31–46 für den Beginn dieses Buches ausgewählt<br />

wurde, ist kein Zufall. Diese – <strong>und</strong> thematisch vergleichbare – Bibelstellen<br />

wurden in Quellen zum Stiftungswesen vergleichsweise häufig zitiert.<br />

Bereits in Antike <strong>und</strong> Mittelalter wurde Mt 25,31–46 zu Rate gezogen, um den<br />

Zusammenhang zwischen Almosen <strong>und</strong> <strong>Stiftungen</strong> sowie dem ewigen Leben<br />

darzustellen. Theologen, Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger des 16. <strong>und</strong> frühen 17. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

knüpften daran an. Die Frage nach der Seligkeit stand im Zentrum der<br />

Stiftungspraxis <strong>und</strong> ihrer theologischen Reflexion. Im Mittelalter wurde den<br />

<strong>Stiftungen</strong> zugemessen, einen Beitrag zur Seligkeit zu leisten. Auf welche –<br />

3<br />

Vgl. Gury Schneider-Ludorff, Religion <strong>und</strong> Politik – Prägungen durch die <strong>Reformation</strong>szeit,<br />

geschichtliche Transformationen <strong>und</strong> Impulse, in: Doron Kiesel/Ronald Lutz (Hgg.),<br />

Religion <strong>und</strong> Politik. Analysen, Kontroversen, Fragen, Frankfurt a. M. 2015, 127.Gerade das<br />

gebildete Stadtbürgertum zeigte im Spätmittelalter reges Interesse daran, die von den<br />

Geistlichen vermittelten Glaubensinhalte zu verstehen (vgl. Volker Leppin, Die andere <strong>Reformation</strong><br />

– die neue Theologie in Oberdeutschland, in: Evangelisches Predigerseminar<br />

Wittenberg [Hg.], »… <strong>und</strong> alles, was wir erreicht haben, ist immer nur Anfang«. Johannes<br />

Calvin. Umstrittener Kirchenreformer <strong>und</strong> Vater der Moderne, Wittenberg 2009, 8f.).<br />

4<br />

In kirchengeschichtlichen Untersuchungen, welche die Schriften einzelner Bürgerinnen<br />

<strong>und</strong> Bürger im Hinblick auf die Rezeption reformatorischer Überzeugungen analysieren,<br />

erscheint es sinnvoll, besonders auf die theologischen Feinheiten zu achten (vgl. zum Beispiel<br />

Heinrich Richard Schmidt, Die Ethik der Laien in der <strong>Reformation</strong>, in: Bernd Moeller [Hg.],<br />

Die frühe <strong>Reformation</strong> in Deutschland als Umbruch. Wissenschaftliches Symposion des<br />

Vereins für <strong>Reformation</strong>sgeschichte 1996, Gütersloh 1998, 333–370).

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