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Katharina Will: Stiftungen und Reformation (Leseprobe)

Die Stiftungsurkunden und Testamente des 16. und frühen 17. Jahrhunderts bieten einen bedeutenden Einblick in die Rezeption der reformatorischen Veränderungen und das erstarkende Selbstbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger im Sinne des »Priestertums aller Getauften«. Anhand dieses Quellenmaterials setzt sich die vorliegende Studie mit der Transformation des Stiftungswesens unter Berücksichtigung der Vielfalt der Reformation auseinander. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den religiösen Argumentationsmustern und der Frage, inwiefern sich Stiftungen als Gaben verstehen lassen.

Die Stiftungsurkunden und Testamente des 16. und frühen 17. Jahrhunderts bieten einen bedeutenden Einblick in die Rezeption der reformatorischen Veränderungen und das erstarkende Selbstbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger im Sinne des »Priestertums aller Getauften«. Anhand dieses Quellenmaterials setzt sich die vorliegende Studie mit der Transformation des Stiftungswesens unter Berücksichtigung der Vielfalt der Reformation auseinander. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den religiösen Argumentationsmustern und der Frage, inwiefern sich Stiftungen als Gaben verstehen lassen.

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1. N/rnberger Stiftungswesen <strong>und</strong> die mittelalterlichen Messstiftungen 59<br />

im Lob Gottes <strong>und</strong> dem Nutzen des Nächsten bestanden, sondern primär in einem<br />

Beitrag für die Seligkeit <strong>und</strong>erst sek<strong>und</strong>ärinder Vermehrung des Gottesdienstes<br />

<strong>und</strong> dem Wohl der Nächsten. In ihrer Argumentation richteten sich die Juristen<br />

<strong>und</strong> Prediger also nicht wörtlich nach der Stiftungsurk<strong>und</strong>e, sondern interpretierten<br />

diese im Sinne ihres von reformatorischer Theologie geprägten Verständnisses.<br />

Dabei maßen sie dem Ziel, dem Nächsten zu dienen, eine stärkere<br />

Bedeutung bei, als in der Stiftungsurk<strong>und</strong>e beschrieben. Die Juristen <strong>und</strong> Prediger<br />

interpretierten den <strong>Will</strong>en des Stifters so, dass dieser beabsichtigt habe,<br />

Gott mit seiner Stiftung zu loben.Damit übersahen die Juristen <strong>und</strong>Prediger die<br />

zentrale Motivation des Stifters: die Sorge für seine Seligkeit.<br />

Schon im Januar 1525 hatte der Rat provisorisch entschieden, die sechs<br />

Prediger im Spital, die sich »nach ewangelischer ordnung« richteten, aus den<br />

Zinsen der Jahrtagsstiftungen zu entlohnen. Diese Regelungwar zunächst auf ein<br />

Jahr beschränkt. 39 Das Vorgehen war mit der Stiftungsurk<strong>und</strong>e zum Teil vereinbar.<br />

Die Urk<strong>und</strong>e besagte, dass die sechs Prediger den Bewohnern <strong>und</strong> Mitarbeitern<br />

des Spitals die Sakramente spenden <strong>und</strong> sie im Todesfall kostenlos<br />

beerdigen sollten; daneben gehörten Messen zum Zweck der Seligkeit zu den<br />

Aufgaben der Prediger. 40 Dieses Predigeramt wurde als Amt beibehalten, jedoch<br />

mit anderen Aufgaben versehen.<br />

Bemerkenswert ist schließlich noch Folgendes: Am Ende der Stiftungsurk<strong>und</strong>e<br />

bekräftige der Stifter, dass seine Stiftung durch kein Recht, weder<br />

geistliches noch weltliches, verändert werden dürfe. 41 Dieses Verbot wurde 1525<br />

nicht eingehalten. Die Juristen <strong>und</strong> Prediger waren gerade zum gegenteiligen<br />

Schluss gelangt, indem sie zum Ausdruck brachten, dass die Modifizierungen der<br />

Stiftung mit dem Recht konform seien.<br />

Inzwischen hatten mindestens zwei Prediger im Spital ihre Pfründen verlassen<br />

<strong>und</strong> waren im Einzelfall dafür vom Rat entschädigtworden. 42 Die Juristen<br />

waren sich nichteinig darüber, ob diese Entschädigungengezahltwerden sollten<br />

oder nicht, sahen jedoch die Möglichkeit, die entsprechenden Pfründen nun<br />

entwederneu zu besetzen oder das Geld dem Gemeinen Kasten einzuverleiben. 43<br />

Mit den Veränderungen, die der Rat im Rahmen des Diskurses um die Spitalstiftung<br />

vollzog, wurde er selbst zum Akteur <strong>und</strong> beendete seine abwartende<br />

39<br />

Pfeiffer (Hg.), Quellen, 38; vgl. Knefelkamp, Heilig-Geist-Spital, 119.134. Nach Knefelkamp<br />

bestand der wesentliche Unterschied zwischen der Zeit vor <strong>und</strong> nach der Einführung<br />

der <strong>Reformation</strong> in Nürnberg darin, dass der Rat die Prediger im Spital seitdem einsetzte <strong>und</strong><br />

bezahlte – ohne Rücksprache mit dem Bamberger Bischof (vgl. Knefelkamp, Heilig-Geist-<br />

Spital, 50f.). Allerdings hat sich gezeigt, dass dies nicht die einzige Neuerung war.<br />

40<br />

Löhlein, Gründungsurk<strong>und</strong>e, 69.<br />

41<br />

A.a. O., 78.<br />

42<br />

Pfeiffer (Hg.), Quellen, 43 f.48.<br />

43<br />

A.a. O., 216 f.

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