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Katharina Will: Stiftungen und Reformation (Leseprobe)

Die Stiftungsurkunden und Testamente des 16. und frühen 17. Jahrhunderts bieten einen bedeutenden Einblick in die Rezeption der reformatorischen Veränderungen und das erstarkende Selbstbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger im Sinne des »Priestertums aller Getauften«. Anhand dieses Quellenmaterials setzt sich die vorliegende Studie mit der Transformation des Stiftungswesens unter Berücksichtigung der Vielfalt der Reformation auseinander. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den religiösen Argumentationsmustern und der Frage, inwiefern sich Stiftungen als Gaben verstehen lassen.

Die Stiftungsurkunden und Testamente des 16. und frühen 17. Jahrhunderts bieten einen bedeutenden Einblick in die Rezeption der reformatorischen Veränderungen und das erstarkende Selbstbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger im Sinne des »Priestertums aller Getauften«. Anhand dieses Quellenmaterials setzt sich die vorliegende Studie mit der Transformation des Stiftungswesens unter Berücksichtigung der Vielfalt der Reformation auseinander. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den religiösen Argumentationsmustern und der Frage, inwiefern sich Stiftungen als Gaben verstehen lassen.

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100 II. Die Transformation des Stiftungswesens<br />

der Abschaffung der Messe wurden zahlreiche Altäre aus dem Münster entfernt.<br />

200 Beide Ereignisse betrafen mittelalterliche Messstiftungen <strong>und</strong> Pfründen<br />

– insbesondere am Ulmer Münster –, die vermögende Ulmer Familien eingerichtet<br />

hatten. Damit hatte die Reichsstadt Ulm ein zentrales Element<br />

reformatorischer Veränderungen, wie es später von den Verfassern der reichsweiten<br />

Gutachten zur Kirchengüterfrage von 1537 oder 1540 sowie 1538 formuliert<br />

wurde, umgesetzt. 201<br />

Kurz nach der Abschaffung der Messe lassen sich bereits einige Umwidmungen<br />

von Ulmer <strong>Stiftungen</strong> beobachten, wie das Beispiel der Familie Gregg<br />

zeigt. 202 Die Familie war bereits seit der Stadtgründung in Ulm ansässig 203 <strong>und</strong> im<br />

Besitz von vier mittelalterlichen Messstiftungen. 1532 wurde in der Familie<br />

entschieden, die Priester, die die Messen versahen,zunächst auf ihren Pfründen<br />

zu belassen, die Zinsen der <strong>Stiftungen</strong> jedoch nach deren Todandie Familie zu<br />

übergeben, damit diese sie für Almosen <strong>und</strong> Stipendien verwenden könne. Als<br />

Stiftungsempfänger sollten Familienmitglieder bevorzugt werden. 204 Der Ulmer<br />

Rat war laut Urk<strong>und</strong>e nicht in die Entscheidung involviert.<br />

Im Jahr 1533 wurde auch eine Messstiftung der Familie Gienger 205 umgewidmet,<br />

dabei jedoch ein Teil der Zinsen an die Erben <strong>und</strong> ein Teil an das<br />

Pfarrkirchenbaupflegamt übergeben. 206 Das Pfarrkirchenbaupflegamt verwaltete<br />

das kirchliche Vermögen, insbesondere des Ulmer Münsters bereits seit dem<br />

14. Jahrh<strong>und</strong>ert. 207 1529 war ihm die Administration der Ratspfründen in der<br />

Stadt Ulm überantwortet worden. 208 Die Quelle wies zudem darauf hin, dass die<br />

Abschaffung der Messe auf der Bibel <strong>und</strong> dem Befehl Gottes beruhe.<br />

200<br />

Vgl. Schenk, Einführung, 37 f. Diese Ereignisse wurden in der älteren Forschung<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich als »Bildersturm« gewertet. In der neueren Forschung wird hingegen zwischen<br />

verschiedenen Umgangsweisen mit Bildern <strong>und</strong> sakralen Gegenständen differenziert. In Ulm<br />

durften die Altäre, Bilder <strong>und</strong> Tafeln von ihren Stifterinnen <strong>und</strong> Stiftern abgeholt werden. Die<br />

übrigen Gegenstände wurden vom Rat verwahrt. Von einem gewaltsamen »Bildersturm«<br />

konnte nicht die Rede sein (vgl. Litz, Bilderfrage, 112 f.).<br />

201<br />

Vgl. S. 90–92.<br />

202<br />

StadtA Ulm AUrk. 1532 März 18.<br />

203<br />

Zur Familie Gregg vgl. S. 339 f..<br />

204<br />

Dieses Vorgehen ließ sich auch in Nürnberg beobachten (vgl. S. 86).<br />

205<br />

Zur Familie Gienger vgl. S. 339.<br />

206<br />

StadtA Ulm A[3706].<br />

207<br />

Außerdem gehörten die Durchführung baulicher Maßnahmen an Kirchen <strong>und</strong> Schulen,<br />

die Besetzung vakanter Pfarr- <strong>und</strong> Lehrstellen sowie die Aufsicht über die Kirchen- <strong>und</strong><br />

Schulordnungen zu den Aufgaben des Pfarrkirchenbaupflegamts (vgl. Kremmer, Ulm, 11;<br />

Specker [Hg.], Bestände, 161).<br />

208<br />

Vgl. Trostel, Kirchengut, 121.

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