Michael Domsgen | Tobias Foß: Diakonie im Miteinander (Leseprobe)
Auf dem Markt unterschiedlicher Anbieter ringt auch die Diakonie mehr denn je um ihre Erkennbarkeit, christlich verankert zu sein. Wie kann sie sich als christliche Anbieterin profilieren, wenn mehr als die Hälfte der Mitarbeitenden konfessionslos ist? Wie lässt sich ein diakonisches Profil innerhalb der eigenen Mitarbeitschaft etablieren, wenn Sozialisations- und Tradierungsabbrüche von Kirche und Christentum so deutlich hervortreten? Der vorliegende Aufsatzband versucht, sich aus diakoniewissenschaftlicher, systematisch-theologischer und empirischer Sichtweise diesen Fragen anzunähern. Unterschiedliche Akteure aus Wissenschaft, Diakonie und Kirche kommen zu Wort und setzen Impulse, wie Diakonie in einer mehrheitlich konfessionslosen Gesellschaft gestaltet und verändert werden sollte.
Auf dem Markt unterschiedlicher Anbieter ringt auch die Diakonie mehr denn je um ihre Erkennbarkeit, christlich verankert zu sein. Wie kann sie sich als christliche Anbieterin profilieren, wenn mehr als die Hälfte der Mitarbeitenden konfessionslos ist? Wie lässt sich ein diakonisches Profil innerhalb der eigenen Mitarbeitschaft etablieren, wenn Sozialisations- und Tradierungsabbrüche von Kirche und Christentum so deutlich hervortreten? Der vorliegende Aufsatzband versucht, sich aus diakoniewissenschaftlicher, systematisch-theologischer und empirischer Sichtweise diesen Fragen anzunähern. Unterschiedliche Akteure aus Wissenschaft, Diakonie und Kirche kommen zu Wort und setzen Impulse, wie Diakonie in einer mehrheitlich konfessionslosen Gesellschaft gestaltet und verändert werden sollte.
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Michael Domsgen | Tobias Foß (Hrsg.)
Diakonie im
Miteinander
Zur Gestaltung eines diakonischen Profils in
einer mehrheitlich konfessionslosen Gesellschaft
Vorwort
Diakonie ist in Bewegung. Wieder einmal, so könnte man hinzufügen. Denn
Vergewisserungen und Kurskorrekturen begleiten sie, seitdem es sie gibt. Die
Leitbegriffe, unter denen das thematisiert wird, variieren. Insofern verwundert
es auch nicht, dass der gegenwärtig so wichtige Begriff des diakonischen Profils
erst am Ende des vorigen Jahrhunderts im neueren Wohlfahrtsdiskurs auftaucht
und nicht schon immer Verwendung fand.
Oft sind es Impulse von außen, die den Anstoß dazu geben, neu nachzudenken,
um Zielrichtung und Profil eigenen Handelns zu beschreiben und umsetzen
zu können. Bei den jüngsten Entwicklungen ist das auch so und doch etwas
anders. Denn was Diakonie gegenwärtig bewegt, sind veränderte Rahmenbedingungen,
die sich nicht primär und unmittelbar aus modifizierten staatlichen
Vorgaben oder - noch grundlegender - aus dem Umbruch der Gesellschaftsformationen
ergeben.
Was Diakonie momentan deutlich mehr beschäftigt, sind die veränderten
Einstellungen der Menschen, mit denen sie es zu tun hat. Dabei geht es vor allem
um die Einstellungen in Sachen Religion. Sie zeigen sich sowohl bei denen,
die diakonische Angebote nutzen als auch bei denjenigen, die sie veranlassen
und ausführen.
Religion ist in unserer Gesellschaft eine Option, die man wählen kann, aber
nicht unbedingt sollte und schon gar nicht muss. Seinen Ausdruck findet das
auch im Feld der Kirchenmitgliedschaft. Zugleich ist es nicht darauf beschränkt.
Verbindliche Vorgaben in rebus religionis, denen sich die Einzelnen zu fügen
hätten, gibt es gesamtgesellschaftlich nicht (mehr).
Zu einem Thema der Diakonie wurde und wird das nun vor allem dort, wo
nicht nur einige wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich selbst nicht als
christlich oder religiös verstehen, sondern die Mehrheit sich so verortet. Wie ist
damit umzugehen? Wie so oft ergeben sich die größten Schwierigkeiten in den
konkreten Vollzügen. Soll, kann und darf man (überhaupt noch) auf die Kirchenmitgliedschaft
pochen? Liegt die Lösung in einzelnen christlich agierenden
Ankermenschen, die für das Gesamtprofil stehen und damit die anderen, nicht
christlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von dieser Aufgabe entlasten?
6
Inhalt
Oder brauchen wir Bildungsinitiativen, die möglichst alle zu erreichen versucht,
um sie für die diakonische Dimension zu sensibilisieren, die nach christlichem
Verständnis im Helfen liegt? Solche Fragen sind es, die in der Diskussion um das
diakonische Profil mitschwingen und beantwortet werden wollen.
Die hier vorliegenden Beiträge widmen sich dieser Aufgabe aus unterschiedlichen
Perspektiven und thematisieren wesentliche Fragen und Aspekte, die im
diakoniewissenschaftlichen Diskurs zu beachten sind. Zugleich wird hier bewusst
ein religionspädagogischer Zugriff versucht. Das liegt nicht nur daran,
dass eine Reihe von diakonischen Trägern Bildungsinitiativen gestartet und
damit das Thema religiösen Lernens ausdrücklich aufgerufen haben. Vielmehr
gilt für alle religiösen Kommunikations- und Lernprozesse, also ganz gleich, ob
sie explizit oder implizit ablaufen, dass sie nur gelingen können, wenn sie alle
Akteure gleichermaßen mit einbeziehen. Diakonie im Miteinander heißt deshalb
die anzustrebende Perspektive. Nicht, ob konfessionslose Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter diakonisch profiliert wirken können, ist die entscheidende Frage,
sondern wie und unter welchen Bedingungen. Darüber gilt es nachzudenken.
Eine Religionspädagogik, die sich von Empowerment-Diskursen inspirieren lässt,
kann dazu einige Impulse geben.
Gern hätten wir die damit verbundenen Fragen auf einer Tagung im Sommer
2020 in Halle diskutiert. Pandemiebedingt war das leider nicht möglich. So haben
wir die Reihenfolge umgedreht, legen nun zuerst ein Buch vor und hoffen,
möglichst bald in das direkte Gespräch darüber eintreten zu können.
Am Gelingen dieses Projektes haben verschiedene Personen Anteil, denen wir
besonders danken möchten.
Um die Korrektur der Manuskripte haben sich die studentischen Hilfskräfte
des Hallenser Lehrstuhls für Evangelische Religionspädagogik Annika Mehner,
Pia Lindner und Carsten Pahls verdient gemacht. Ihnen allen sei herzlich gedankt!
Nicht zuletzt danken wir den Autorinnen und Autoren sowie den Gesprächspartnerinnen
und -partnern, die mit ihren Ausätzen und Interviews dazu
beigetragen haben, unterschiedliche Perspektiven auf die Frage des diakonischen
Profils zu entdecken, sie zu interpretieren und von dort her handlungsorientierende
Überlegungen anstellen zu können.
Halle, im April 2021
Michael Domsgen/Tobias Foß
Inhalt
Einführung
Michael Domsgen/Tobias Foß
Was Diakonie herausfordert ............................................................. 11
Grundlagen
Tobias Foß
»Veränderung im Diesseits« -- Konfessionslosigkeit und
diakonisches Profil in empirischer Perspektive ................................ 19
Cornelia Coenen Marx
Gesicht zeigen .................................................................................... 33
Michael Bartels/Johannes Eurich
Diakonisches Handeln und Konfessionslosigkeit ............................ 47
Ulrich H. J. Körtner
»Suchet der Stadt Bestes!« ............................................................... 65
Thorsten Moos
Diakonische Kultur unter den Bedingungen von
Ökonomisierung und Säkularisierung .............................................. 79
Exemplarische Vertiefungen
Michaela Gloger/Harald Wagner
Diakonisches Profil durch Bildung? .................................................. 97
Sabine Blaszyk
»Müssen wir jetzt beten?« .............................................................. 113
Christian Frühwald
Diakonische Kultur versus Diakonisches Profil .............................. 127
Ulf Liedke
Forum Profil...................................................................................... 139
8
Inhalt
Klaus Scholtissek
Wenn Theologie auf Praxis trifft .................................................... 155
Positionen
Interview mit Friedrich Kramer
Der diakonische Blick erkennt im Nächsten Christus .................... 175
Interview mit Ulrike Petermann
Diakonie im Hier und Jetzt -- eine Chance für christliche
Perspektiven ..................................................................................... 181
Interview mit Christoph Stolte
Diakonie und die kleinen alltäglichen Formen .............................. 189
Ausblick
Michael Domsgen/Tobias Foß
Den Herausforderungen begegnen ................................................ 199
Biogramme ....................................................................................... 211
Einführung
Michael Domsgen/Tobias Foß
Was Diakonie herausfordert
Beobachtungen im Kontext mehrheitlicher
Konfessionslosigkeit
Diakonische Einrichtungen stehen unter Druck. Sie müssen sich beweisen auf
dem Markt der Wohlfahrtspflege, nach Fallpauschalen rechnen und unter marktwirtschaftlich-neoliberalen
1
Bedingungen ihre Arbeit organisieren. Wohlfahrt
muss sich rechnen. Hinzu kommen Herausforderungen einer sich wandelnden
Gesellschaft. Vielfalt tritt in unterschiedlichen Ebenen und in den verschiedenen
Handlungsfeldern hervor. Heterogenitäten werden sichtbar und zeigen sich nicht
zuletzt in Sozialisationserfahrungen, kulturellen Verwurzelungen und Weltanschauungen.
Dazu kommen deutlich wahrnehmbare Ablöseprozesse von christlich
geprägten Traditionen. All das stellt Kirche und Diakonie vor großen Herausforderungen.
Es ist nicht (mehr) selbstverständlich, Mitglied einer Kirche zu
sein und, wie Hochrechnungen zeigen, wird sich das zukünftig auch nicht ändern.
Im Gegenteil: In den nächsten 30 Jahren wird sich die Kirchenmitgliedschaft
in ganz Deutschland (mindestens) halbieren. 2 Damit verändern sich religiöse
Kulturlandschaften. Die »Zugehörigkeitskultur zur Kirche« verliert an
Prägekraft, währenddessen die »Kultur der Konfessionslosigkeit« 3 stärker hervortritt.
Dass dabei schlagwortartige Zuschreibungen problematisch sind, zeigt nicht
zuletzt der Vergleich zwischen Ost und West. Während Konfessionslosigkeit in
den ostdeutschen Bundesländern mehrheitlich und transgenerational in Erscheinung
tritt, verhält sich das in den westdeutschen Bundesländern etwas
anders. Sie umfasst nicht nur einen kleineren Teil der Bevölkerung, sondern ist
mehrheitlich frisch erworben und geht auf eigene Entscheidungen zum Kirchen-
1
Unter Neoliberalismus wird nicht nur eine seit den 1970er und -80er Jahren einseitige
Tendenz des Wirtschaftens verstanden (Deregulierung des Marktes, voranschreitende
Privatisierung), sondern darin »ein Rationalisierungsprinzip […], das die gesellschaftliche
Wirklichkeit entscheidend strukturiert« (Lis, Solidarische Subjektwerdung, 121) und
unser gesellschaftliches Zusammenleben bestimmt.
2
Die Mitgliedervorausberechnung »Projektion 2060« geht davon aus, dass sich die Kirchenmitgliedszahlen
in den nächsten 40 Jahren halbieren werden. Vgl. Gutman/Peters,
German Churches.
3
Pickel, Konfessionslose, 207 (im Original hervorgehoben).
12
Michael Domsgen/Tobias Foß
austritt zurück. Konfessionslosigkeit ist also nicht gleich Konfessionslosigkeit.
Sie bezeichnet vielmehr ein hochplurales Spektrum unterschiedlicher Positionierungen
und Einstellungen, das nur formaljuristisch auf einen Nenner zu bringen
ist. Mit Blick auf kirchliches und diakonisches Handeln geht es primär nicht um
den formalen Zustand der (Nicht-)Kirchenmitgliedschaft. Vielmehr zeigt sich,
dass Konfessionslosigkeit verstärkt mit Distanzierungsprozessen zu christlichreligiösen
Kommunikationszusammenhängen einherzugehen scheint. Das
Stichwort der »religiösen Indifferenz« bringt genau das auf den Punkt. Es geht
um Fremdheit gegenüber traditionell christlichen Interpretationsmustern und
Riten,
»wobei diese Fremdheit oft mit Gleichgültigkeit gekoppelt ist. Es ist mehrheitlich
keine trotzige Gleichgültigkeit, sondern vielmehr eine gewohnheitsmäßige. Religion
erregt viele nicht mehr, weil sie in einer anderen Welt zu existieren scheint, die mit
der eigenen nichts zu tun hat.« 4
Inmitten einer Optionsgesellschaft 5
ist auch Religion vom Grundsatz her zur
Option geworden. De facto jedoch wird das für viele dadurch neutralisiert, dass
Religion für sie selbst gar keine Option darstellt, zumindest nicht aus ihren alltäglichen
Lebensvollzügen heraus. Diese Ausgangslage hinterlässt auch in diakonischen
Einrichtungen ihre Spuren. Bekannte Traditionen scheinen zu verblassen,
Vertrautes wird unvertraut, Selbstverständlichkeiten werden fremd. Auf
der Suche nach neuen Möglichkeiten verändert sich diakonisches Handeln in
der inner-organisatorischen Perspektive. Damit zeigen sich ebenso in der Außenperspektive
Herausforderungen. Auf dem Markt der verschiedenen Anbieter
drängt sich die Frage nach Erkennbarkeit auf: Wie lässt sich ein erkennbares
diakonisches Profil und damit eine diakonische Identität unter den Mitarbeitenden
in Anbetracht der oben beschriebenen Sozialisationsumwälzungen erreichen?
Wie sollten diakonische Profilbemühungen gestaltet werden und wo liegen
neue Chancen? Wohin können neue Wege für diakonische Unternehmen und
ihre christliche Verankerung gehen? All das sind mehr denn je drängende Aufgaben
in einem konfessionslosen Kontext, denen sich dieser Aufsatzband widmen
möchte --- wohl wissend, dass die hier vorgestellten Perspektiven den bestehenden
Diskurs zwar bereichern aber nicht zum Abschluss bringen werden.
Der Sammelband ordnet die Beiträge in vier Schritten. Zunächst werden
»Grundlagen« zum Themenfeld Diakonie und Konfessionslosigkeit in empirischer
und systematisch-theologischer Hinsicht zur Sprache gebracht.
Im ersten Beitrag präsentiert Tobias Foß grundlegende Ergebnisse seiner
empirisch-qualitativen Untersuchung über konfessionslose Mitarbeitende im
Raum Sachsen-Anhalt. Er macht deutlich, dass trotz zahlreicher Distanzierungsprozesse
eine grundsätzliche Erwartungshaltung an diakonische Unternehmen
4
Domsgen, Konfessionslosigkeit, 14.
5
Vgl. Taylor, Säkulares Zeitalter, 25---34; Domsgen, Religionspädagogik, 194---200.
Was Diakonie herausfordert 13
vorhanden ist: Diakonie und Kirche sollen sich für Patienten und Mitarbeitende
einsetzen im Sinne von Helfen, Solidarität, Gemeinschaftsstiftung und einem
Festhalten an Normen und Werten, die das Leben lebenswerter machen. Demnach
werden gerade für den konfessionslosen Kontext theologische und religionspädagogische
Modelle relevant, die ihrer gesellschaftlichen Verantwortung
gewahr werden. Christliche Lebenspraxis, so Foß, muss eine Relevanz im Arbeitsalltag
aufweisen. Was das für einzelne diakonische Unternehmen und die
Verbandsebene bedeutet, markiert dieser Text.
Ausgehend von Pluralitätsprozessen in Gesellschaft in Diakonie, stellt Cornelia
Coenen-Marx in ihrem Beitrag gegenwärtige handlungsorientierende Perspektiven
für diakonische Unternehmen dar. Ihr geht es um ein »Gesicht-Zeigen«:
Die Subjektivität der Mitarbeitenden steht im Vordergrund. Coenen-Marx macht
deutlich, dass Mitarbeitende eingeladen werden sollen --- unabhängig von Konfessionsgrenzen
--- ihre Interpretationen und biografischen Erfahrungen im
christlich geprägten Kommunikationsraum zur Sprache zu bringen. »Gesicht-
Zeigen« gilt für Coenen-Marx auch in Bezug auf »Ankermenschen«. Sie sind es,
die ihre spirituellen Erfahrungen im Arbeitsalltag lebensdienlich transparent
machen. Hierbei bedarf es laut Coenen-Marx eines Raums zum Austausch und
vor allem eines Engagements für eine gemeinsame Sache: Nur von Behaving
über Belonging komme man zu einem eventuellen Believing.
Der Text von Michael Bartels und Johannes Eurich begibt sich auf einen
Suchprozess, wie diakonisches Handeln in Anbetracht von Konfessionslosigkeit
gestaltet werden kann. Ausgehend von der These, dass Indifferenz als »Nicht-
Wahrnehmen« zu verstehen ist, kommen sie zur Schlussfolgerung, dass zwischen
religiöser Kommunikation innerhalb und außerhalb der Kirche unterschieden
werden muss. Letztere ist davon geprägt, dass in einem konfessionslosen
Kontext primär Sozialisationsimpulse vonnöten sind. Genau das kann laut
der Autoren Diakonie leisten, worin eine religiöse Sozialisation angebahnt werden
kann.
Ulrich Körtner setzt in seinem Beitrag diakonische Theologie mit öffentlicher
Theologie in Verbindung. Diakonie ist Ort und Akteur theologischer Reflektion
und zwar in Bezug auf ihre Wirkweisen in die Gesellschaft. Gerade darin sieht
Körtner eine zentrale Aufgabe für Diakonie und Kirche in einer konfessionslosen
Mehrheitsgesellschaft: Eine Theologie der Diaspora habe sich demnach als öffentliche
Theologie, als Engagement für die Gesellschaft, zu beweisen.
Der Beitrag von Thorsten Moos behandelt Ökonomisierung und Säkularisierung
als grundlegende Herausforderungen diakonischer Einrichtungen im Zeitalter
der Moderne. Moos stellt hierbei die These auf, dass beide Transformationsprozesse
einer diakonischen Kultur inhärent seien. Jedoch können sich
destruktive Dynamiken einstellen, die eine wesensmäßige Ökonomisierung und
Säkularisierung diakonischen Handelns verzerren und gefährden. Dieser Gefahr,
so Moos, sollte mit einem »Überschussmoment« diakonischer Einrichtungen
begegnet werden.
14
Michael Domsgen/Tobias Foß
Im zweiten Themenfeld dieses Aufsatzbandes werden spezifische Perspektiven
diakonischen Handelns im konfessionslosen Raum exemplarisch vertieft.
Es wird eröffnet mit dem Beitrag von Michaela Gloger und Harald Wagner,
die der Frage nachgehen, welche Bedeutung Bildung für diakonische Profilbildungsprozesse
hat. Ausgehend von ihrer Feststellung, dass sich Bildung am
konkret-sozialen, konfessionslosen Rahmen bewähren muss, wird das Projekt
»Wissen!Warum« − Bildungsinitiative für Diakonie und Gemeinde der Diakonie
Mitteldeutschland vorgestellt, das von Gloger und Wagner wissenschaftlich begleitet
und evaluiert wurde. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass diakonische
Profilbildungsbemühungen ohne Erwachsenenbildung nicht gelingen werden.
Diese müssen jedoch vom Unternehmen getragen und in den jeweiligen Einrichtungen
strukturell eingebettet sein.
Sabine Blaszcyk schildert in ihrem Text zentrale Zusammenhänge ihrer ethnografischen
Untersuchung einer Kindertagesstätte in Sachsen-Anhalt, die im
Zuge von Umstrukturierungen in evangelische Trägerschaft gewechselt ist. Wie
innerhalb eines konfessionslosen Kontextes christliche Bezüge und Bildungsangebote
in der Kita etabliert werden, beschreibt sie als Doing Protestantism als
Epithese. Sie kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass vor allem die organisatorischen
Strukturen, in denen Mitarbeitende agieren, religionspädagogisch
reflektiert werden müssen, und sieht im Ansatz der komparativen Theologie eine
Chance, Lernprozesse mit Differenzen initiieren zu können.
Der Text von Christian Frühwald hat zum Ziel, Leitungspersonen diakonischer
Unternehmen darin zu bestärken, ihre Verantwortung für das ›Diakonische‹
vor Ort wahrnehmen zu können. Als Interimsmanager für diakonische und
caritative Unternehmen gibt Frühwald zahlreiche Einblicke in Praxisbezüge.
Wichtig ist für ihn eine Unterscheidung zwischen diakonischem Profil (Erkennbarkeit
nach Außen) und diakonischer Kultur (mehrdimensionale gelebte Innenansicht).
Im letzterem Modell sieht Frühwald zahlreiche Chancen und plädiert
für eine gelebte Haltung, für die Führungskräfte Möglichkeiten zur Entfaltung zu
schaffen haben.
Ulf Liedke untersucht in seinem Beitrag, welche Rolle Theologie in diakonischen
Unternehmen haben kann. Er stellt fest, dass innerhalb diakonischer Organisationsprozesse
multirationale Perspektiven vorherrschen. Die Theologie
reiht sich in diese Arenen der Diskursivität als Partnerin auf Augenhöhe ein ---
gerade in einem konfessionslosen Kontext. Liedke votiert für ein inklusives
Konzept von Theologie, die als Anwältin für das Unabgeschlossene eintritt und
Diskursräume eröffnet.
Aus der Perspektive diakonischer Geschäftsführung beschreibt Klaus Scholtissek
zahlreiche Erfahrungen und plädiert dafür, die Komplexität professionellen
Handelns in der Wohlfahrtspflege anzuerkennen und konstruktiv zu gestalten.
Gerade diakonische Unternehmen seien als multirationale Organisationen
zu verstehen. Komplexität, so Scholtissek, fordert gegenseitiges Angewiesen-
Sein. Diakonie müsse sich für eine gelebte Inklusion --- gerade in einem konfessionslosen
Kontext --- einsetzen, was Scholtissek neutestamentlich untermauert.
Was Diakonie herausfordert 15
Der dritte Teil dieses Bandes beinhaltet Positionen von kirchlichen bzw. diakonischen
Leitungspersonen. Der Landesbischof der Evangelischen Kirche in
Mitteldeutschland, Friedrich Kramer, der theologische Vorstand im Diakonieverein
e. V. Bitterfeld-Wolfen-Gräfenhainichen, Ulrike Petermann, sowie der Vorstandsvorsitzende
der Diakonie Mitteldeutschland, Christoph Stolte, beantworten
Interviewfragen, markieren Chancen und Herausforderungen diakonischen
Handelns und skizzieren ihre Vorstellungen einer zukünftigen Diakonie.
Abschließend fassen Michael Domsgen und Tobias Foß grundsätzliche handlungsorientierende
Perspektiven zusammen, die in der Gesamtschau der Beiträge
deutlich geworden sind. Sie plädieren für eine umfassende Reflexion der
Herausforderungen und sehen nicht zuletzt in der Zusammenschau diakonischer
Profilbildungsprozesse und gesellschaftlicher Verantwortlichkeit eine wesentliche
Zukunftsaufgabe kirchlichen und diakonischen Handelns.
Literaturverzeichnis
Domsgen, Michael: Konfessionslosigkeit. Annäherungen über einen Leitbegriff in Ermangelung
eines besseren, in: Ders./Evers, Dirk (Hg.): Herausforderung Konfessionslosigkeit.
Theologie im säkularen Kontext, Leipzig 2014, 9---25.
Ders.: Religionspädagogik (LETh 8), Leipzig 2019.
Gutmann, David/Peters, Fabian: German Churches in Times of Demographic Change and
Declining Affiliation: A Projection to 2060, in: Comparative Population Studies, Vol.
45, 2020, 3---34. Unter: https://www.comparativepopulationstudies.de/index.php/
CPoS/article/view/313/291 [15.01.2021].
Lis, Julia: Solidarische Subjektwerdung in Zeiten neoliberaler Subjektproduktion. Zur
Kritik des Subjektbegriffs in der postpolitischen Theologie, in: Geitzhaus, Philipp/Ramminger,
Michael (Hg.): Gott in Zeit. Zur Kritik postpolitischer Theologie
(Edition ITP-Kompass, Bd. 28), Münster 2018, 119---154.
Pickel, Gert: Konfessionslose in Ost- und Westdeutschland --- ähnlich oder anders?, in:
Pollack, Detlef/Pickel, Gert (Hg.): Religiöser und kirchlicher Wandel in Ostdeutschland
1989---1999, Opladen 2000, 206---235.
Taylor, Charles: Ein säkulares Zeitalter, Frankfurt a.M. 2009.
Grundlagen
Tobias Foß
»Veränderung im Diesseits« --
Konfessionslosigkeit und
diakonisches Profil in empirischer
Perspektive
1. Konfessionslosigkeit als Herausforderung
diakonischen Handelns
Die Organisation der Diakonie steht derzeitig vor großen Herausforderungen. Ein
wesentlicher Grund dafür liegt in Entkirchlichungsprozessen, die sich in ganz
Deutschland bemerkbar machen und in einigen Regionen besonders deutlich
hervortreten. 1
Ȁhm, ja und jetzt beim evangelischen Glauben. Da blick ich nicht so durch. Ich hab
erst vor drei, vier Jahren überhaupt mitbekommen, dass es da auch irgendwie ’ne
oberste Chefin, glaub ich, ist das ja, gibt. Ähm, weil die sich mal zu irgendwas geäußert
hat. Ich hab keine Ahnung, wie das überhaupt organisiert ist, die evangelische
Kirche, wenn ich ehrlich bin (lachend).« 2
Mit solchen Veränderungen drängt sich die Frage auf, wie eine Organisation, die
sich als »Wesens- und Lebensäußerung der Kirche« versteht, eine christlichkirchliche
Erkennbarkeit umsetzen kann. Begrifflich wird das seit einiger Zeit
unter dem Schlagwort des »diakonischen Profils« bzw. der »diakonischen Kultur«
gefasst.
Für diakonische Profilbildungsprozesse spielen Mitarbeitende eine konstitutive
Rolle. Sie sind es, die ein christlich-diakonisches Profil tagtäglich prägen,
umsetzen und erzeugen. Anders ausgedrückt: Die Identität von Mitarbeitenden
korrespondiert mit dem Profil eines diakonischen Unternehmens. 3
1
57 % der Mitarbeitenden der Diakonie in Sachsen-Anhalt sind konfessionslos. Sie bilden
demnach die absolute Mehrheit der Mitarbeiterschaft (Diakonie Mitteldeutschland, Diakonie
info, 6). Zu den Entkirchlichungsprozessen deutschlandweit vgl. Gutmann; Peters
German Churches, 20‒22.
2
Foß, Relevanz im Arbeitsalltag, 114 [Zitat aus einem Interview].
3
Vgl. Arnold et al., Perspektiven, 52f.
20
Tobias Foß
Umso erstaunlicher ist es, dass im gegenwärtigen diakoniewissenschaftlichen
Diskurs Umgangsweisen von Mitarbeitenden mit dem diakonischen Profil
zu wenig untersucht worden sind. Der Eindruck erhärtet sich, dass Profilbildungsprozesse
immer noch verstärkt im Sinne eines »Top-Down-Modells« gedacht
und konzipiert werden. Dass damit Suchbewegungen nach der Frage des
diakonischen Profils an der Wirklichkeit von Mitarbeitenden vorbeizugehen
droht, liegt auf der Hand. Von einer gemeinsamen Basis zwischen Mitarbeitenden
und Leitung im Umgang mit christlicher Sprache, christlichen Traditionen
und Riten kann gerade nicht automatisch ausgegangen werden. Insbesondere
wenn ein wachsender Teil der Mitarbeiterschaft immer weniger Bezüge zu
christlichen Kommunikationsräumen aufweist, müssen Profilbildungsprozesse
anders gedacht werden --- sie müssen »auf den Kopf gestellt werden«. Ein »Buttom-Up-Modell«
setzt hingegen die Sichtweisen der Mitarbeitenden selbst ins
Zentrum, um Profilbildungsprozesse zu initiieren und zu gestalten. Erst in den
letzten Jahren scheinen sich diakoniewissenschaftliche Diskussionen darauf
vermehrt zu konzentrieren, was sich etwa in der Durchführung empirischer
Untersuchungen niederschlägt. Der konfessionslose Kontext spielt jedoch eine
untergeordnete Rolle. 4 Eine abgeschlossene empirische Arbeit über konfessionslose
Mitarbeitende liegt nicht vor. 5 Auch ist der Fokus der empirischen Untersuchungen
verstärkt auf die alten Bundesländer gerichtet. Jedoch macht es einen
Unterschied, ob Menschen aus der Kirche frisch ausgetreten sind oder Konfessionslosigkeit
eine transgenerationale und mehrheitliche Erscheinung ist, wie es
in den neuen Bundesländern beobachtet werden kann. Gert Pickel unterscheidet
demnach zwischen einer »Kultur der Konfessionszugehörigkeit« und einer »Kultur
der Konfessionslosigkeit«. 6 Die Fragen drängen sich auf: Wie können angesichts
der Perspektiven von Mitarbeitenden, die sich bereits in einer zweiten
oder dritten Generation einer solchen »Kultur der Konfessionslosigkeit« befinden,
diakonische Profilbildungsprozesse gestaltet werden? Wie sehen Sichtweisen,
Erwartungshaltungen und Vorstellungen von konfessionslosen Mitarbeitenden
in Ostdeutschland aus?
Solche Fragestellungen bedürfen einer weiteren Profilierung: Auch wenn die
Kategorie des diakonischen Profils vielfältig und komplex ist, 7 gilt, dass sie (wie
auch immer das im Konkreten aussehen mag) christlich konnotiert ist. In diesem
Sinne bildet die christliche Bezugnahme einen konstitutiven Bestandteil des
diakonischen Profils. 8
4
Vgl. Foß, Relevanz im Arbeitsalltag, 40---50.
5
Vgl. a. a. O.
6
Vgl. Pickel, Konfessionslose, 15.
7
Vgl. Arnold et al., Perspektiven, 54---65.
8
Vgl. Foß, Relevanz im Arbeitsalltag, 13f. Gegenwärtig finden sich auch Ansätze, die statt
von einem »diakonischen Profil« von einer »diakonischen Kultur« sprechen (vgl. Moos
2018). Für meine Fragestellung bringt eine solche Begrifflichkeit jedoch keine größeren
Vorteile mit sich. Auch wenn »diakonische Kultur« eine umfassende Größe ist, zeigt sie
Konfessionslosigkeit und diakonisches Profil in empirischer Perspektive 21
Eine solche Bezugnahme lässt sich mit der komplexen Begrifflichkeit der
»christlichen Lebensform« auf den Punkt bringen. Sie umfasst einen sozialen,
kontextspezifischen und dynamischen Raum im Sinne eines vielfältigen, christlich
geprägten Kommunikations- und Praxiszusammenhangs. Von diesem Kommunikationsraum
sind Individuen in ihren Interpretationsvollzügen einerseits
bestimmt und werden durch ihn stimuliert. Andererseits geben sie ihm in biografisch-individueller
Weise einen spezifischen Sinn und stellen ihn her. 9
Die forschungsleitende Frage in Hinblick auf diakonische Profilbildungsprozesse
und Konfessionslosigkeit im ostdeutschen Raum lautet demnach: Wie
gehen konfessionslose Mitarbeitende mit christlicher Lebensform um? Und weiter:
Wo und wie zeigen sich intensive Relevanzsetzungen (Zugänge) im Zusammenhang
christlicher Praxis- und Kommunikationszusammenhänge (christliche
Lebensform) bzw. wo und wie vollziehen sich Ablehnungs- und Distanzierungsprozesse
(Widerständigkeiten)? Solche Fragen drehen sich um die von den konfessionslosen
Mitarbeitenden vollzogenen Relevanzsetzungen, die verschiedene,
teils hybride Formen von Zugängen und Distanzierungen zur Folge haben. Die
Setzungen finden relevanztheoretisch in zirkulären Relevanzsystemen statt. 10
Anders ausgedrückt: Etwas, was einmal in einer bestimmten Hinsicht wichtig
war, ist es höchstwahrscheinlich in einer ähnlichen Situation wieder. Im Einklang
mit qualitativer Sozialforschung lassen sich diese Relevanzsysteme im
Datenmaterial als kohärente Wiederholungen von Zusammenhängen rekonstruieren.
Sie bilden die Grundlage, um ein »Buttom-Up-Modell« bzw. eine gegenstandsverankerte
Theorie für diakonische Profilbildungsprozesse aufstellen zu
können. Wie sie für den Raum Sachsen-Anhalt aussehen, möchte ich im Folgenden
darstellen. Zwölf offene Leitfadeninterviews habe ich in biografischnarrativer
Ausrichtung mit konfessionslosen Mitarbeitenden mittels der Grounded
Theory durchgeführt und analysiert. 11 Dies geschah an sieben diakonischen
gerade in Hinblick auf Motivationslagen von Mitarbeitenden viele Familienähnlichkeiten
zum Terminus des »diakonischen Profils« auf. Hier stehen beide Begriffe in einer großen
Nähe zueinander (vgl. Moos 2018, 12). Ebenso weist die Konzeption der »diakonischen
Kultur« eine christliche Bezugnahme auf, um die es im Folgenden vordergründig gehen
soll. »›Diakonische Kultur‹ soll also von verschiedenen Disziplinen her begrifflich präzisiert
werden, sodass jeweils bestimmte Beschreibungshinsichten auf das organisierte
Helfen im christlichen Kontext benannt werden.« (Moos, Diakonische Kultur, 19 [Hervorhebung
T. F.]).
9
Zum Begriff der christlichen Lebensform in soziologischer, sprachphilosophischer und
theologischer Hinsicht vgl. Foß, Relevanz im Arbeitsalltag, 18---32.
10
Relevanz »besitzt einen biografisch-situativen Doppelvektor. Worauf wir aufmerken,
wie wir die ›Dinge‹ sehen, was unsere Lebensführung leitet, konstituiert sich in zirkulären
Bewegungen zwischen sedimentierten Erfahrungen und aktuellen Situationen, in deren
Verlauf sich Relevanzsysteme verfestigen, die ihrerseits wieder situativ aktualisiert und
weitergeformt werden. […] Was in einer Situation als relevant hervorsticht, bestimmt sich
über die geronnenen Relevanzsysteme mit.« (Stetter, Relevanz, 212 [Hervorhebung T. F.]).
11
Zur Methodologie und Methodik vgl. Foß, Relevanz im Arbeitsalltag, 51---89.
22
Tobias Foß
Einrichtungen im Raum Sachsen-Anhalt. Sie umfassen zwei Krankenhäuser,
zwei Kindertagesstätten, zwei Altenpflegeheime und eine weitere soziale Einrichtung.
12
2. Diakonisches Profil in der Perspektive von
konfessionslosen Mitarbeitenden
Unter konfessionslosen Mitarbeitenden im Raum Sachsen-Anhalt ist eine selbstverortete
Distanz gegenüber christlichen Kommunikationspraktiken zu beobachten.
Diese kann so weit gehen, dass christliche Lebensform als Parallelgesellschaft
wahrgenommen wird. 13
Eine solche Distanz meint zunächst, dass die Institution der Kirche verstärkt
negativ verortet wird. Kirche wird z. B. mit Missbrauch ihrer Macht und mit
Widersinnigkeiten zur jetzigen Gesellschaft in Beziehung gesetzt. Dabei fällt auf,
dass ein sozialisatorischer Kontakt mit christlichen Denominationen bzw. mit
Menschen, die sich als christlich verstehen, kaum gegeben ist. Aufgrund eines
solchen distanzierten Ausgangsverhältnisses bilden primär Medien --- und nicht
etwa Mitmenschen --- die »Kontaktfläche« zur Kirche. Vor allem mediale kritischnegative
Darstellungen des ›Christlich-Kirchlichen‹ bleiben in Erinnerung und
werden an gesellschaftlich tief verankerte Vorstellungen von Kirche angeknüpft.
Die Distanz beschränkt sich dabei nicht nur auf die Institution der Kirche im
engeren Sinne. Auch die mannigfaltige Welt der Bibel, christliche Traditionen
oder christliche Praktiken sind eher unbekannt bis nicht nachvollziehbar.
Christliche Kommunikationskonstellationen werden in den Interviews immer
wieder in einem Horizont der Fremdheit verortet. Anhand zweier Interviewsequenzen
möchte ich diese Beobachtungen veranschaulichen:
»Es gibt ja auch irgendwie auch ein’ Gottesdienst, sonntags. Mein einer Kollege geht
da wohl tatsächlich auch immer mal hin. Manchmal wird man per, ähm, Ansage am
Wochenende darauf hin/ ich glaub IMMER. Vielleicht krieg ich’s nur nicht immer
mit. Also immer sonntags ist da irgendwie Gottesdienst. War ich noch nie. Ähm (lachend).
Ähm, ja, und irgendwie zum Beispiel, ich weiß gar nicht mehr, was das war.
Irgendwie waren da Mitarbeiter, und da sollte jemand/ wurde verabschiedet, oder
jemand kam neu oder irgendwie. Und da wurde/ Ach, ich glaub, der Geschäftsführer.
Und da gab’s so ne SEGNUNG für den. Das fand ich auch sehr komisch. Also da stellten
sich nun alle dar, die irgendwie Rang und Namen so hatten von der Personalführung,
stellten sich nun im Kreis und legten ihre Hand auf sein Haupt. Ähm, was jetzt
für mich schon sehr unangenehm wär, weil ich’s nicht leiden kann, wenn mich frem-
12
Zum Sample vgl. a. a. O. 78---86.
13
Vgl. Foß, Relevanz im Arbeitsalltag, 99---125.
Konfessionslosigkeit und diakonisches Profil in empirischer Perspektive 23
de Leute anfassen, insofern war ich sehr froh, dass ich das nicht musste. Ähm, und
segneten ihn irgendwie.« 14
Ȁhm ja und also so mit all diesen ganz PRAKTISCHEN Glaubensdingen kann ich irgendwie/
da hab ich keinen Bezug dazu, ne. Ich hab ja auch noch nie jemanden beten
sehen. Ich hab keine Vorstellung davon/ Ähm, wahrscheinlich werden die meisten
auch sich nicht dauernd hinknien und die Hände falten, wenn sie beten, aber/ Wie
gesagt, weil ich eben, auch in der Familie, ich hab da NULL Bezug dazu, ne. Und
deswegen ist das glaub ich für mich alles auch so fürchterlich abstrakt, ähm und irgendwie
auch dadurch emotional so GAR nicht greifbar, weil ich das quasi (.)/ Ich
kenne einfach niemanden eng genug, dass ich ihn mal in seinem aktiven Glauben erleben
würde, […]. Ähm aber ja wie soll man da auch noch einen Bezug dazu kriegen?«
15
Als Plausibilisierung für eine solche Distanz wird insbesondere das Erleben der
DDR-Zeit bzw. das »Hineingeboren-Werden« in familienspezifische Verhältnisse
genannt. Sie gehen einher mit einer kirchlich-distanzierten Erziehung. Ob man
also Christ ist oder nicht, wird als »schicksalsähnlich« verstanden, als etwas, das
vorrangig von externen sozialen Bedingungen abhängig ist. Die Distanz zu
christlichen Kommunikationsformen und zur Kirche wird als gesellschaftliche,
sozialisatorisch bedingte »Normalität« erlebt. Sie wird teilweise bewusst, teilweise
unbewusst familiär weiter tradiert.
Innerhalb dieser selbstverorteten Distanz werden in den Interviews spezifische
relevante Perspektivierungen auf christliche Zusammenhänge hergestellt.
Eine Zugänglichkeit zwischenmenschlicher Art kann festgestellt werden. Es lässt
sich eine tiefverankerte Erwartungshaltung beobachten. Sie ist davon geprägt, dass
ein diakonisches Unternehmen aufgrund seiner christlichen Bezogenheit zwischenmenschliche
Handlungsvollzüge für die Besucherinnen und Besucher und für die
Mitarbeitenden in verantwortungsvoller Hinsicht umzusetzen hat. Dies wird im
Sample 16 mit Stichwörtern wie »Nächstenliebe« und »Mitmenschlichkeit« auf den
Punkt gebracht. Eine solche Erwartung kann befriedigt oder massiv enttäuscht
werden. Der Umgang des Trägers mit dieser Erwartungshaltung ist richtungsweisend
dafür, inwiefern sich Zugänglichkeiten bei den Mitarbeitenden einstellen können.
In organisatorisch-struktureller Hinsicht lassen sich hier zwei elementare
Widerstandsmomente feststellen:
Christliche Kommunikationszusammenhänge im Kontext eines diakonischen
Unternehmens stehen vor der Problematik einer wahrgenommenen arbeitsalltäglichen
»Nichterkennbarkeit« und einer Verflechtung in hegemoniale Verstrickungen. 17
14
A. a. O., 103 [Zitat aus einem Interview].
15
A. a. O., 104 [Zitat aus einem Interview].
16
Der Begriff »Sample« bezeichnet die Gesamtmenge meines Datenmaterials.
17
Vgl. Foß, Relevanz im Arbeitsalltag, 152---186.
24
Tobias Foß
Der erste Aspekt, die »Nichterkennbarkeit«, hebt hervor, dass christliche Sinnzusammenhänge
von den entsprechenden interviewten Personen in ihrer Arbeitswelt
nicht wahrgenommen und als »nicht vorhanden« interpretiert werden.
Dies zeigt sich bereits bei diversen Raumgestaltungen, bei denen »typische«
christliche Symbole fehlen (wie etwa Bibelzitate und Kreuze). Auch bleiben zahlreiche
Praktiken aus, die mit christlichen Bezugssystemen in einen Zusammenhang
gebracht werden, (wie etwa Möglichkeiten von Tischgebet, Supervision
oder Seelsorge). Der teilweise als prekär erlebte Arbeitsalltag steht somit kontaktlos
zu den Erwartungen an einen christlichen Träger. Die zweite Widerständigkeit
ist darin zu sehen, dass christliche Lebensform als Teil eines Arbeitsverhältnisses
wahrgenommen wird --- eine Konstellation, die von »hegemonialen
Verstrickungen« geprägt ist. Der christliche Kommunikationsraum wird als
Charakteristikum eines »Dienstherrn« erlebt, der Macht über seine Mitarbeitenden
innehat und ausübt. Hierin lässt sich die Gefahr beobachten, dass christliche
Lebenspraxis, als bloße Arbeitsaufgabe verstanden wird, die »von denen da
oben« oktroyiert wird. Christ-Sein wird so in einen Zusammenhang einer
Zwangsanforderung des Arbeitgebers gebracht. Sind dabei massive zwischenmenschliche
Missstände im diakonischen Träger gegeben, dann wird eine weitere
Beschäftigung ad absurdum geführt. Dies verdeutlichen folgende Interviewsequenzen:
»[N]ach der Stiftsfeier äh wurde quasi [in] unsere Teamsitzung rein getragen von etwas
höherer Position, dass es doch sehr enttäuschend war, dass […] so gut wie keiner
von den Mitarbeitern des Hauses vertreten war. Und äh ja dass sie [= die Leitung]
doch alle daran erinnert, […] dass wir in einem kirchlichen Haus arbeiten und das
doch nicht mehr vergessen sollen und bisschen mehr Engagement zeigen möchten.
Und ähm, wo ich dann aber sage: Die Frage müsste man sich doch erst mal selber
stellen: WARUM möchte da niemand hin privat? WARUM hat keiner LUST, privat
dorthin in seiner Freizeit Zeit zu verbringen?« 18
»Warum? Warum soll ICH für meinen Arbeitgeber oder was, was einbringen, mich
damit näher beschäftigen, wenn umgedreht nur verlangt wird?« 19
Werden diese Widerständigkeiten organisatorisch-struktureller Art überwunden,
dann ist es gerade das Feld der zwischenmenschlichen Handlungsvollzüge, in
dem sich intensive Zugänge zu christlichen Bezugnahmen einstellen können.
Alle Relevanzsetzungen dieser Art sind von einem intersubjektiven Charakter
gekennzeichnet und weisen verschiedene Schwerpunktsetzungen auf, die ineinander
verschränkt vorliegen. Zusammenfassend möchte ich festhalten: Christliche
Bezüge sind vor allem in Hinblick auf zwischenmenschliche Handlungsvollzüge
relevant. Diese erleichtern und unterstützen den Arbeitsalltag für die Mitarbeiten-
18
A. a. O., 180 [Zitat aus einem Interview].
19
A. a. O., 183 [Zitat aus einem Interview].
Konfessionslosigkeit und diakonisches Profil in empirischer Perspektive 25
den ‒ und zwar durch den praktischen Vollzug des Helfens, durch Solidarität mit
den Schwächsten, durch eine sich gegenseitig stärkende Gemeinschaft und durch
eine Verhaltensorientierung an Werten und Normen für einen verantwortungsvollen
zwischenmenschlichen Umgang. 20 Diese vier zwischenmenschlichen Zugänge sind
»niedrigschwellig«. Sie knüpfen an Relevanzsetzungen der Arbeitswelt der interviewten
Personen an und haben für den Arbeitsalltag eine gewinnbringende
Bedeutung. Die Interviewten betrachten sich so z. B. als Arbeitspartner oder als
Umsetzerin dessen, was der christliche Kommunikationsraum in ihren Perspektivierungen
ist bzw. sein sollte. So ist eine Offenheit vorhanden, sich mit christlichen
Kommunikationsformen weiter auseinanderzusetzen. Ein kritischer Vorbehalt
bleibt allerdings gegenüber der Kirche tendenziell weiter bestehen.
Ferner lässt sich ein zweiter Schwerpunkt der Zugänglichkeit feststellen. Ich
konnte beobachten, dass im Sample Bezüge zu einer eigenständigen und menschlich-unverfügbaren
Wirklichkeit konstruiert werden. Diese wird als handelnd
erlebt. Vor allem in prekären Lebenssituationen ist eine vorsichtige Offenheit für
eine solche Bezugnahme vorhanden. So ist z. B. von einem »höheren Sinn« oder
einem »höheren Grund« die Rede, der »uns so ein bisschen unterstützt, oder uns
auch mal vor das Schienbein tritt« 21 .
Diese Beobachtungen habe ich mit der Kategorie der Transzendenz verbunden.
Sie scheint mir besonders geeignet zu sein, die im Sample wahrgenommenen
binären Beziehungen einzufangen und in einen Vergleichszusammenhang
zu bringen, 22
was wiederum das Datenmaterial abverlangt. Die transzendente
Bezugnahme wird im Sample einerseits, wie eben angedeutet, inhaltlich offengelassen.
Anderseits wird sie in Hinblick auf christliche Zusammenhänge primär
mit der Begrifflichkeit »Gott« verbunden. Der christliche Transzendenzbezug,
Gott, wird als das charakteristische Merkmal von Christentum und Kirche gesehen.
Dabei gilt, dass die Zugänglichkeit transzendenter Art auf intensivere Widerständigkeiten
stößt als die Zugänglichkeit zwischenmenschlicher Art. 23
So ist es z. B. möglich, dass christliche Bezüge vordergründig durch das Raster
eines Glaubens an einer christlichen Transzendenz betrachtet werden. Ein
Transzendenzbezug wird dabei jedoch grundsätzlich als irrelevant und wider-
20
Vgl. a. a. O., 188---249.
21
A. a. O., 295 [Zitat aus einem Interview].
22
Die Kategorie der Transzendenz bzw. der transzendenten Bezüglichkeit habe ich benutzt,
um die forschungsanalytische Wahrnehmungsperspektive auf das Sample zu vergrößern
und damit größere Vergleichsheuristiken zu gewinnen, was wiederum das Datenmaterial
abverlangt. Ich verwende sie nicht essentialistisch. In diesem Sinne geht es
lediglich (aber immerhin) »um die Erstellung einer brauchbaren Arbeitshypothese, mit
der sich empirisch und historisch arbeiten lässt und die es erlaubt, mehr zu sehen, als
man ohne sie sieht.« (Pollack, Zur Differenz, 30). Die Kategorie der Transzendenz dient so
als ein konstruiert heuristisches Werkzeug, sodass Vergleichszusammenhänge hergestellt
werden können. Zum Problem eines essentialistischen Transzendenz- bzw. Religionsverständnisses:
Vgl. Foß, Relevanz im Arbeitsalltag, 32f. [besonders Fußnote 97].
23
Vgl. Foß, Relevanz im Arbeitsalltag, 144---152.
26
Tobias Foß
sinnig interpretiert. Christliche Lebensform trifft in einer solchen Sichtweise per
se auf Ablehnung. Andere Zugänge finden ebenso nicht statt. Folglich werden
auch christliche Vollzüge im diakonischen Arbeitsalltag (wie etwa Singen oder
Beten) abgelehnt, auch wenn dies mit einer möglichen Konfrontation mit der
Leitung einhergeht. 24
Eine solch intensive Ablehnung kann auch abgemildert sein. Eine christliche
Gottesbezüglichkeit kann als außergewöhnliches exotisches Faszinosum erscheinen,
das Neugierde weckt. Gleichzeitig ist diese Bezogenheit in Widersinnigkeit
verhaftet. Zu viele Widersprüche zu diesseitsorientierten Interpretationshorizonten
werden festgestellt, sodass der christliche Transzendenzbezug
kaum produktive Bezüge zum Lebensalltag aufweisen kann. 25
Auch ist es möglich, dass sich in Anbetracht von Krisensituationen ein Verständnis
dafür einstellt, dass Menschen, insbesondere Patientinnen und Patienten,
irgendeinen Halt (z. B. Gott) benötigen. Mit einem solchen transzendenten
Halt kann man sich beschäftigen; man muss es aber nicht notwendigerweise.
Christliche Kommunikationspraktiken erfahren unter dieser transzendenten
Betrachtungsweise eine gleiche Gültigkeit wie andere Freizeitbeschäftigungen.
Für den persönlichen Lebens- und Arbeitsalltag spielen sie kaum eine Rolle, da
man eher anderen Unternehmungen nachgeht. Christentum ist in seinem Transzendenzbezug
optional. 26
Schließlich können im Sample auch stärkere Relevanzsetzungen festgestellt
werden. 27
Die Befragten schildern Erfahrungen, die sich als Berührungspunkte
mit christlicher Transzendenz interpretieren lassen. Dazu gehören beispielsweise
existentielle Krisensituationen, vor allem aber positive Krafterfahrungen. Die
Kategorie der Kraft ist ein sogenannter In-vivo-Code. Das bedeutet, ich habe sie
eins zu eins wortwörtlich aus dem Datenmaterial übernommen. Sie kommt an
zahlreichen stellen im Sample vor und beinhaltet Aspekte wie Ruhe, Stärke und
Motivation. Diese Krafterfahrungen haben unmittelbare Auswirkungen auf den
Arbeitsalltag. Sie werden als Voraussetzung für einen verantwortungsvollen zwischenmenschlichen
Umgang interpretiert und hängen so mit den bereits dargestellten
Zugängen zwischenmenschlicher Art zusammen.
Bei all dem sind Menschen wichtig, die in erkennbarer Weise mit christlichen
Traditionen und Vollzügen vertraut sind, diesen positiv gegenüberstehen
und gleichzeitig in die arbeitsalltäglichen Prozesse involviert sind. Sie bezeichne
ich als »Marker«. Ihre Erfahrungen und ihre Lebensgeschichten können christli-
24
Vgl. a. a. O., 128---144.
25
Vgl. a. a. O., 256---270.
26
Vgl. a. a. O., 270---282.
27
Vgl. a. a. O., 283---312.
Konfessionslosigkeit und diakonisches Profil in empirischer Perspektive 27
che Zusammenhänge in einen differenzierteren und relevanteren Horizont stellen.
28
3. Diakonie und Konfessionslosigkeit -- Ein Ausblick
In Anbetracht der von mir am Gegenstand generierten Theorie komme ich zum
abschließenden Ergebnis, dass christliche Vollzüge, Ausprägungen und Haltungen
eine arbeitsalltägliche Relevanz aufzeigen müssen. Diese Ausrichtung von diakonischen
Profilbildungsprozessen verstehe ich als conditio sine qua non. Gewiss
geht es hierbei nicht darum, dass Kommunikationsbemühungen des Evangeliums
einseitig unter das Joch der Funktionalität gespannt werden. Eine Gottesbeziehung
reißt den Rahmen eines Nutzenkalküls auf --- Glaube hat immer einen
Überschuss. Auch in relevanztheoretischer Perspektive ist es wichtig, dass
christliche Interpretationskonstellationen immer auch als Bezugsgrößen wahrgenommen
werden, die different zum Alltag sind. Ansonsten werden sie übersehen
und schlichtweg nicht bemerkt. 29
Dabei ist es jedoch nötig --- und hier sehe ich die grundlegende Ausrichtung
für diakonische Profilbildungsprozesse ---, dass gleichzeitig eine produktive Bezogenheit
auf den Arbeitsalltag der Mitarbeitenden vorhanden ist. 30 Ich bezeichne
das als »lebensdienlichen Gewinn«, was mit den Worten Helmut Gollwitzers
als lebensbringende »Veränderung im Diesseits« betitelt werden kann. 31 Theologisch
gesehen sind Modelle nötig, die die produktive Beziehung von christlicher
Lebensform mit unterschiedlichen Lebenszusammenhängen (vor allem im diesseitigen,
materialistischen und gesellschaftlichen Sinne) zusammendenken. Dies
hat die gegenstandsverankerte Theorie deutlich gemacht. Etwas zu dem aufgrund
des sozialisatorisch bedingten Kontextes eine Distanz vorherrscht, kann
tendenziell nur dann relevant sein, wenn es sich als lebensdienlich und unterstützend
im Arbeitsalltag erweist. Dies gilt laut Sample auch für eine christliche
Gottesbezogenheit. Demnach werden in den Interviews genau dann intensive
Relevanzsetzungen vollzogen, wenn christliche Bezugsgrößen und Kommunikationszusammenhänge
den Arbeitsalltag durch zwischenmenschliche Handlungsvollzüge
oder durch Krafterfahrungen erleichtern. Es ist der zwischen-
28
Vgl. Foß, Relevanz im Arbeitsalltag, 313---319; 346---348. Dies lässt sich leicht an die
empirischen Beobachtungen von Hofmann knüpfen, die von »Ankermenschen« spricht.
Vgl. Hofmann, Konsequenzen, 223‒229.
29
»Tatsächlich dürften wir Gegenstände, die unseren situativ zugänglichen Wissensvorrat
lediglich duplizieren, kaum für erheblich erachten.« (Stetter, Relevanz, 215)
30
Relevanztheoretisch argumentiert: »Der Gegenstand muss zum einen auf irgendeine
Weise mit ihm [= dem Subjekt] ›zu tun haben‹: er muss in irgendeiner Form auf meine
Situation bezogen sein. Zum anderen muss der Bezug so geartet sein, dass die Verarbeitung
des Gegenstandes das System produktiv beeinflusst.« (Stetter, Relevanz, 213).
31
Vgl. Gollwitzer, Ich frage nach dem Sinn des Lebens, 34---64.
28
Tobias Foß
menschlich-gesellschaftliche Bereich, wo es noch hohe Erwartungen und Zugänglichkeiten
gibt.
Somit scheinen mir für die Theologie befreiungstheologische Modelle und
politisch-theologische (z. B. linksbarthianische) Ausrichtungen ein großes Potential
inne zu haben, Begegnungen mit konfessionslosen Mitarbeitenden zu schaffen,
um sich gemeinsam für Welt und Gesellschaft auf den Weg zu machen. 32 In
diesem Sinne hat bereits Gollwitzer festgestellt:
»Die Relevanz jedes Satzes unseres Glaubensbekenntnisses werden wir unseren
Zeitgenossen nur verdeutlichen können als politische und soziale, als gesellschaftlich
revolutionäre Relevanz.« 33
Die bisherigen Überlegungen haben auch Auswirkungen auf die Religionspädagogik.
So lässt sich die »Maxime der Subjektförderung« 34 weiter präzisieren. Hier
ist das Konzept des Empowerments äußerst anschlussfähig. 35
Empowerment
dient als Sammelbegriff der Assistenzbemühungen christlich-kirchlichen Handelns.
Es hat einen lebensdienlichen Fokus inne, sodass Menschen unter Inanspruchnahme
christlicher Bezüge, Lebenssituationen wahrnehmen, interpretieren,
gestalten und bewältigen können. Christliche Lebensform operiert so als
Lebensdienst. Hierbei werden nicht nur individualpsychologisch Bereiche der
Befähigung fokussiert, sondern auch Aspekte der Bevollmächtigung, 36 worin die
gesellschaftlich-strukturellen Umstände, in denen das menschliche Subjekt handelt,
bedacht werden und verändert werden sollen.
Was heißt das nun für die Diakonie? Für diakonisches Handeln möchte ich
zwei Ebenen aufzeigen, in denen ein Engagement nötig ist, um diakonische Profilbildungsprozesse
initiieren zu können. Aus Platzgründen kann ich sie hier
leider nur andeuten. Zunächst steht der gesellschaftlich-strukturelle Bereich im
Mittelpunkt, für die gerade die Verbands-Ebene der Diakonie Verantwortung
trägt. Es gilt sich gesellschaftlich für die Mitarbeitenden der Diakonie einzusetzen
und prophetisch-kritisch »das Ganze« unseres Zusammenlebens in den Blick
zu nehmen. Und dieses Ganze ist von neoliberal-kapitalistischen Ausuferungen
bestimmt, in denen Mitarbeitende leiden und ein christlich-diakonisches Profil
als »stumpf« und »hohl« erscheint (Profitmaximierung, Kosteneinsparung am
32
Das Evangelium hat in seiner bleibenden Andersartigkeit eine »Richtung und Linie«
(Karl Barth), die den Menschen im hier und jetzt in allen Dimensionen des Lebens befreien
will (pro nobis). M. a. W.: »Der ganz andere Gott will eine ganz andere Gesellschaft.«
(Gollwitzer, Ich frage nach dem Sinn des Lebens, 63).
33
Gollwitzer, Die Weltverantwortung der Kirche, 77.
34
Vgl. Schröder, Religionspädagogik, § 14.
35
Vgl. Bucher, Befähigung und Bevollmächtigung; Domsgen, Religionspädagogik, 341---
378.
36
Vgl. Bucher, Befähigung und Bevollmächtigung, 141.
Konfessionslosigkeit und diakonisches Profil in empirischer Perspektive 29
Personal, Arbeitsintensivierung). 37 Für eine bessere Arbeitswelt gilt es sich politisch
zu engagieren, ein gesellschaftlich-kritisches Handeln aufzuzeigen und
»alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes,
ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist« 38 . Hier würden sich
viele weitere Überlegungen lohnen. 39
Die zweite Ebene betrifft das einzelne diakonische Unternehmen selbst. 40
Meine empirischen Beobachtungen bedeuten für ein diakonisches Unternehmen,
dass es einen komplexen Prozess der arbeitsalltäglichen Assistenz anzuvisieren
hat. Es ist eine Art seelsorglich-diakonisches Unternehmen nötig, das als solidarischer
Partner seinen eigenen Mitarbeitenden Seelsorge, Supervision und Lebenshilfe
im Horizont des Christlichen zukommen lassen will. Diese Aspekte
gehen immer auch mit finanziellen Investitionen einher, gerade wenn sie z. B. in
Arbeitsverträgen als offenes Angebot festverankert sind. Auch wird es darum
gehen müssen, christlich motivierte Unterstützungsstrukturen zu etablieren.
Hier sind z. B. christliche Kommunikationspraktiken von Bedeutung, die eine
ganzheitlich-leibliche Perspektive einbringen. Es geht um eine Leibsorge, die
gerade in Berufen wichtig ist, bei denen der Körper einer permanenten Belastung
ausgesetzt ist. Auch der (theologische) Vorstand hat in diesem Prozess eine
hohe Verantwortung. Transparenz, gelungene Kommunikation von eigenen Fehlern,
Etablierung einer Diskussionskultur, Wertschätzung der Mitarbeitenden
und Abbau einseitiger Machtstrukturen --- kurz: eine dienende Führung --- sind
grundlegende Pfeiler, um Identifikationsprozesse von Mitarbeitenden mit dem
jeweiligen diakonischen Profil der Einrichtung initiieren zu können.
In all diesen Bemühungen können Profilbildungsprozesse am ehesten gesetzt
und so gezeigt werden: »Die Befreiungsbewegung kennt in der Bibel nur
37
Zum Aspekt des neoliberalen »Ganzen«: Vgl. Katholische Arbeiter-Bewegung in der
Diözese Trier, Das Ganze verändern; Hellgermann, kompetent, 93---111.
38
Marx, Kritik, 64. Die Verzahnung von Theologie und Kapitalismuskritik hat demnach
gegenwärtig eine sehr hohe Bedeutung, wie sie z. B. bei Gollwitzer vorgefunden werden
kann. Vgl. Gollwitzer, Die kapitalistische Revolution.
39
Die Diakonie als eine der größten Wohlfahrtsverbände hat Macht, auf den Staat Druck
auszuüben und für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen (z. B. für einen besseren
Personalschlüssel in der Altenpflege). Ließen sich hier nicht viel größere Drucksituationen
initiieren? Was wäre, wenn in der Gesellschaft die Diakonie als Verfechterin für eine
»radikale« Pflegeverbesserung erlebt werden würde? Was wäre, wenn sie als kämpfend
für eine gerechtere Pflege und durchaus von gewissen Seiten als unangenehm wahrgenommen
werden würde, da sie z. B. selbst zu Demonstrationen (oder gar Generalstreiks
im Sinne einer Notversorgung) --- gemeinsam herbeigeführt von Leitung und Mitarbeitenden
--- aufruft? In diesem Sinne müsste auch das ganze Thema des Streiks neu bedacht
werden, denn »[w]enn der Streik sozialethisch ein solidarisches Mittel für mehr Humanität
und Gerechtigkeit ist, dann sind das auch theologisch und sozialethisch bedeutende
Grundanliegen der Kirche.« (Segbers, Ökonomie, 193).
40
Vgl. Foß, Relevanz im Arbeitsalltag, 338---351.
30
Tobias Foß
eine Richtung: wie im Himmel so auf Erden!« 41
Dies gilt mit Sicherheit immer
nur im antizipierenden und bruchstückhaften Sinne.
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242.
41
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Exemplarische
Vertiefungen
Michaela Gloger/Harald Wagner
Diakonisches Profil durch Bildung?
Ergebnisse der Evaluation der Bildungsinitiative der
Diakonie Mitteldeutschland
»Seine Weltlichkeit trennt ihn nicht von Christus, und seine Christlichkeit trennt ihn
nicht von der Welt.« 1
1. Diakonisches Profil und Bildung -- Überlegungen
zum Kontext
Im vorliegenden Beitrag soll der Frage nachgegangen werden, ob das diakonische
Profil mittels Bildung gestärkt werden kann. Zur Verfolgung dieser Zielstellung
werden wir einleitend die Hauptbegriffe »diakonisches Profil« und »diakonische
Bildung« insoweit klären, wie es notwendig ist, um deren Beziehung mit
unseren Evaluationsergebnissen kontrastieren zu können.
Diakonisches Profil
Die Rede vom diakonischen Profil findet sich erst am Ende des vorigen Jahrhunderts
im neueren Wohlfahrtsdiskurs. Sie bezieht sich sowohl auf inhaltliche
Konturen diakonischer Arbeit als auch auf die Einbindung und Bewährung im
Wohlfahrtssystem. Der Begriff selbst ist im Fluss und wir können nicht von einer
allgemein anerkannten Definition ausgehen. Allerdings liegt in einem Projektbericht
einer Arbeitsgruppe der Evangelischen Hochschule Dresden (ehs) eine
einschlägige Auseinandersetzung vor. 2
Dort entwickelt Ulf Liedke die Grundlinien
dieses Begriffs zwischen den Polen: Profil und Identität. 3 Profil steht für die
Außenwirkung in der Gesellschaft bzw. am Markt, Identität hingegen zielt auf
die eigene Tradition und Sinngebung als christliche Nächstenliebe. Und es ist
genau diese Polarität, im Sinne von Zusammengehörigkeit und Spannung, die
auch unsere Fragestellung bestimmt. So erscheint das christliche Proprium von
1
Bonhoeffer, Werke, 48.
2
Vgl. Arnold u.a., Perspektiven diakonischer Profilbildung.
3
Vgl. Liedke, Diakonisches Profil, 49---66.
98
Michaela Gloger/Harald Wagner
marktwirtschaftlichen Prämissen umschlossen und mitunter kaum erkennbar.
In den einschließenden ökonomischen Bestimmungen geht es um Angebote auf
dem Markt, welche auch von den »Kunden« als besonderes Gut erkennbar sein
soll. Dieses besondere Gut ist das diakonische Profil der Einrichtungen, welches
von einer theologischen Sinnmitte aus gestaltet wird und zugleich in der Motivation
der Mitarbeitenden als christliches Angebot identifiziert werden kann. Es
besteht offenbar eine Polarität zwischen innerer Haltung, als Identität, und äußerer
Identifizierbarkeit, als Profil. Diese Polarität ist eingebunden in strukturelle
und historische Konstellationen. An der Oberfläche wird dies sichtbar, indem
diakonisches Handeln der Kirche auf dem Dienstleistungsmarkt erscheint. Ohne
in die Tiefen der Diakoniegeschichte eintauchen zu können, sollen dazu vier
relevante Momente genannt werden, die für die Erfolgsaussichten diakonischer
Bildung in Mitteldeutschland relevant sind.
(1) Historische Entstehung von Hilfesystemen: Soziales Hilfehandeln wurde
mit dem Aufkommen der Industrialisierung in Deutschland auf ein neues Anspruchsniveau
gestellt. Das Ausmaß der Not der Landbevölkerung und der Arbeiterschaft
sprengte alle Konventionen des Helfens und erforderte wesentlich
leistungsfähigere Angebote. Im 19. Jahrhundert führte dies zur expliziten Herausbildung
eines gesellschaftlichen Hilfesystems mit speziellen Institutionen
und einer eigenen Professionalität. Neben Genossenschaften und Arbeitervereinen
engagierten sich auch die Kirchen und religiösen Gemeinschaften mit vermehrten
Anstrengungen.
(2) Diakonie als ausdifferenziertes Hilfesystem der Kirche: Die historischen
Herausforderungen führten in den Kirchen auch zu tiefgreifenden strukturellen
Veränderungen. Organisatorisches Kennzeichen war die Etablierung eigenständiger
diakonischer Einrichtungen, welche die diakonische Arbeit der Ortsgemeinden
ergänzten und sich neuer Aufgabenfelder annahmen. Diese Ausdifferenzierungsprozesse
zeigten sich vermehrt in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts und führten zu erheblichen Spannungen zwischen diakonisch
orientierten Pfarrern und der Kirchenhierarchie. Ein expliziter Konfliktbereich
ergab sich nicht zuletzt durch die Stellung zur Arbeiterbewegung. Seither gab es
eine große Dynamik im Zusammenwirken von Kirche und Diakonie. Die komplementäre
Deklamation, dass Diakonie unlösbarer Teil der Kirche sei und Kirche
immer auch Diakonie, ist zumindest interpretationsoffen und mitunter mehr
Zielbestimmung als Realität. 4
(3) Säkularisierung und Hilfesysteme: Moderne Gesellschaften zeichnen sich
zuallererst dadurch aus, dass christliche Wertvorstellungen in die Gesellschaft
diffundiert sind. Dies bezieht sich sowohl auf die Sicht auf den Menschen, markant
in der Gestalt der Menschenrechte, als auch auf die Formen und Institutionen
der sozialen Hilfestellung für Bedürftige. In der Praxis kann man davon
ausgehen, dass die Maxime der Wohlfahrtsverbände und säkularen sozialen
4
https://www.diakonie-mitteldeutschland.de/blog_diakonie_ekmsynode_2018_de.html
[25.02.2021].
Evaluation der Bildungsinitiative der Diakonie Mitteldeutschland 99
Träger ein einheitliches Niveau der Professionalität erreicht haben. Da sich die
jeweiligen Träger am Markt bewähren müssen, streben alle nach Anerkennung
und sind darüber hinaus bemüht, bestimmte Zielgruppen stärker anzusprechen.
Hier ringen Diakonie und Caritas um ihren Platz bzw. um eine Sonderstellung
hinsichtlich ihres christlichen Selbstverständnisses. Im Umkehrschluss könnte
vermutet werden, dass ohne die Konkurrenz nichtkonfessioneller Anbieter auf
dem Hilfemarkt keine Notwendigkeit bestünde, ein diakonisches Profil zu entwickeln.
Es wäre in diesem Fall ausreichend gewesen, diakonische Professionalität
und diakonische Kultur interdependent zu gestalten.
(4) Latenter Atheismus als Herausforderung: In den neuen Bundesländern besteht
durch das Erbe des spezifischen DDR-Atheismus eine eigentümliche Herausforderung
in Bezug auf die Mitarbeitenden der Diakonie und natürlich auch
der Caritas. Der Atheismus in der DDR führte nicht nur zur Entfremdung von
Kirche, sondern auch dazu die christliche Lehre in einem breit angelegten Bildungskanon
als wissenschaftlich überholte und fremdbestimmte Ideologie zu
denunzieren. Aus beidem resultieren immer noch erhebliche Motivationsirritationen
innerhalb der Mitarbeiterschaft. Der Aspekt der ideologischen Fremdbestimmung
wurde durch die Erfahrung der Übernahme zahlreicher sozialer Einrichtungen
(besonders Kitas, Schulen und Altenheime) in kirchliche
Trägerschaft verstärkt.
Diese vier Momente stellen u.a. den Möglichkeitsrahmen für die Wirksamkeit
diakonischer Bildung dar. Insbesondere in Hinblick auf die Gestaltung einer
diakonischen Identität bzw. diakonischer Kultur erweisen sie sich als unabweisbar.
Wie diese Momente in der Praxis wirken und wie die Bildungsinitiative
darauf Bezug nimmt, bestimmte die Arbeit in einzelnen Forschungsetappen. Das
zentrale Element bestand darin, angemessene Formen diakonischer Bildung zu
identifizieren, ihre Wirksamkeit zu prüfen und ihre harmonische Einbindung in
die diakonische Arbeit zu erkennen.
Bildung und Sozialisation
Es ist die Sozialisation, die uns zu kompetenten Persönlichkeiten in der Gesellschaft
macht. In der primären Sozialisation, die hauptsächlich in der Familie
erfolgt, verinnerlichen wir grundlegende Werte und Handlungsweisen unseres
Herkunftsmilieus. Die sekundäre Sozialisation, die von Schule und Peergroup
geprägt ist, baut darauf auf, führt weiter bzw. verändert, was in der primären
Phase angelegt wurde. Es sind dann die Institutionen unseres Berufslebens, die
uns bis zu einem gewissen Grade in einer tertiären Sozialisation in ihr soziales
Wertesystem integrieren. Die genannte Phaseneinteilung ist nicht mechanistisch
zu verstehen, sondern als Veranschaulichung, welchen Problematiken diakonische
Bildung in der EKM begegnet: Die Werte, Weltanschauung(en) und Deutungsmuster,
die Menschen im Zuge ihrer Sozialisation kennen gelernt haben,
werden durch (diakonische) Bildung reflektiert und erweitert. Was Sozialisation
100
Michaela Gloger/Harald Wagner
--- wegen der oben genannten Konstellationen --- nicht erreicht hat, versucht Bildung
zu kompensieren.
Es bleibt ungebrochen, dass Bildung immer auf Sozialisation angewiesen ist.
Im Volksmund kursiert der Spruch »Kinder zu erziehen ist sinnlos, denn sie tun
doch, was sie sehen«. In der neueren Soziologie wird diese empirische Tatsache
an die sogenannten »elementaren sozialen Prozesse« 5
zurückgebunden. Dort
wird hervorgehoben, dass sich alles Lehren und Entscheiden an den grundlegenden
sozialen Praktiken bewähren muss. Das bedeutet, Bildung muss in den
jeweiligen sozialen Rahmen eingebettet werden; denn (Selbst-)Bildung setzt
voraus, dass die Bildungsinhalte erkennbar respektiert werden. Folglich wird
auch in der vorliegenden Erörterung zur Wirksamkeit diakonischer Bildung stets
die Einbindung in die Handlungspraxis der Diakonie beachtet werden müssen.
Noch zur Zeit Goethes wurde Bildung weithin als ein unbewusstes Sichselbst-formen
und ein kontemplatives Erkennen von Wirklichkeit und Lebenspraxis
verstanden. Erst in der Moderne entwickelte sich Bildung zu einem Reformprojekt
mit Bildungszielen und spezifischen Didaktiken. Der Erfolg von
Bildungsbemühungen wird seither heftig umstritten und es ist verwunderlich,
warum mit großem Aufwand daran festgehalten wird. Interessant ist die Frage,
warum die Gesellschaft so großen Wert auf Bildung legt. Niklas Luhmann reduziert
es auf eine knappe Formel, nämlich, dass Bildung eine wichtige »Verhaltensgrundregel
für andere« erzielen will: »Man setzt im sozialen Verkehr schlicht
voraus, dass Leute, mit denen man es zu tun hat, lesen und schreiben können« 6 .
Im Kontext diakonischer Profilbildung bezieht sich die Voraussetzung sozusagen
auf die Fähigkeit der Mitarbeitenden hinsichtlich des Lesens und Gestaltens der
diakonischen Kultur.
Vor dem Hintergrund elaborierter Modelle von Bildung, die sich seit der
griechischen Antike entwickelten, ist hervorhebenswert: Ein gehaltvoller Bildungsprozess
führt zur Reflexion der eigenen Selbst- und Weltverhältnisse, die
Teilnehmenden eignen sich neue Deutungsweisen an und erfahren dadurch eigene
Handlungspotenziale. Die Personen gehen also nicht nur kognitiv gestärkt, sondern
vor allem selbst-bewusster aus dem Bildungsprozess heraus. Aus systemtheoretischer
Perspektive kann hinzugefügt werden, dass vor allem die (Selbst-)
Lernfähigkeit als Vernetzungskompetenz entwickelt wird. 7
Die diakonische Bildung im engeren Sinne fügt sich in diesen Orientierungsrahmen
ein. Die Diakonie Mitteldeutschland bezieht sich hierbei stark auf die
Entwürfe von Beate Hofmann. 8 Diakonische Bildung orientiert sich bei ihr komplementär
am Konzept religiöser Kommunikation. Dort geht es insbesondere um
den Selbstbildungsaspekt, der einhergeht mit reflexivem Wissen zur eigenen
Arbeitseinbindung. Intendiert wird nicht vordergründig die Entwicklung des
5
Hondrich, Bildung.
6
Luhmann, Erziehungssystem der Gesellschaft.
7
Vgl. Steinhoff/Wernberger, Bildung als sozialisatorisches Geschehen.
8
Hofmann, Kurse zum Glauben.
Evaluation der Bildungsinitiative der Diakonie Mitteldeutschland 101
Glaubens, sondern die Kompetenz zur Deutungsarbeit des eigenen Erlebens und
die Sprachfähigkeit bezüglich religiöser Herausforderungen. Auch die religiöse
Bildung wird am wirkungsvollsten sein, wenn sie im praktischen Vollzug mit
authentischen Personen im Rahmen einer diakonischen Kultur erfolgt. Dieses
Miteinander durchgängig im Blick behaltend gehen wir der Frage nach, wie sich
unterschiedliche Formen der expliziten diakonischen Bildung in die alltägliche
diakonische Kultur einfügen.
2. Konturen des Forschungsprojektes
2.1 Der Rahmen
Im Jahre 2013 startete die Diakonie Mitteldeutschland das Projekt »Wissen!Warum«
− Bildungsinitiative für Diakonie und Gemeinde«. Das Zentrum für
Forschung, Weiterbildung und Beratung (ZFWB) an der ehs übernahm die wissenschaftliche
Begleitung. Entsprechend der Hauptetappen changierten die Aufgabenschwerpunkte
des Forschungs-/Evaluationsteams zwischen wissenschaftlicher
Begleitung und Evaluation. Beide Aspekte waren gleichranging: Wir
partizipierten an allen Veranstaltungen als gleichberechtigte und teilweise mitverantwortliche
Personen. Unabhängig von unserer je konkreten Aufgabe bewegten
wir uns zumeist in der Rolle teilnehmender Beobachtender und erstellten
von allen Veranstaltungen bzw. Treffen ausführliche ethnographische
Beobachtungsprotokolle bzw. sammelten alle Arten relevanter Artefakte. Unsere
Doppelrolle kündigten wir in allen Fällen an und gingen transparent damit um.
Die Arbeit des Forschungsteams wurde vor diesem Hintergrund von Jahr zu Jahr
vertraglich geregelt und von der Steuerungsgruppe koordiniert und geprüft.
Das Projekt wurde strategisch und auch inhaltlich von einer Steuerungsgruppe
getragen. Diese war am Diakonischen Amt in Halle angesiedelt und hielt
anfänglich drei-, im späteren Verlauf in der Regel zweimal im Jahr eine Sitzung
ab. Die Besetzung der Steuerungsgruppe orientierte sich an der bereits existierenden
Bildungslandschaft in der Landeskirche. Neben den Verantwortlichen
der Diakonie gehörten auch Mitglieder der Landeskirche, der großen Bildungseinrichtungen
im Raum der EKM und diakonischer Einrichtungen dieser Gruppe
an. Das ehs-Forschungsteam agierte gleichfalls beratend und stimmberechtigt in
diesem Gremium.
Eingebunden war das Projekt in vielfältige, bereits bestehende Aktivitäten
und Institutionen der diakonischen Bildung. So gab es z.T. regelmäßige Praktikertreffen;
eines im südlichen und eines im nördlichen Teil der Landeskirche.
Diese arbeiteten im Projektzeitraum selbstorganisiert und fungierten als Austauschforen
der Regionen. Sie trugen weithin Werkstattcharakter und waren
personell unmittelbar mit dem Kerngeschäft der diakonischen Bildung verbun-
102
Michaela Gloger/Harald Wagner
den. Das Forschungsteam und der Landesdiakoniepfarrer waren als Teilnehmende
stets willkommen.
Die Initiative »Wissen!Warum« im engeren Sinne, war als langfristiges Projekt
angelegt und startete 2013/14 mit insgesamt sechs Fachtagen in eine Pilotphase.
Zum einen sollten diese Initiativveranstaltungen dazu beitragen, das
Projekt in der gesamten Landeskirche bekannt zu machen, zum anderen sollten
sie für den Zusammenhang von diakonischem Profil und diakonischer Bildung
sensibilisieren. In der Anfangsphase wurde die Vertiefung der Zusammenarbeit
von Kirche und Diakonie als wichtiger Pfeiler des Projektes angesprochen und
angegangen. Im Verlauf des Projektes rückte das Interesse an der Entwicklung
der diakonischen Kultur als wesentliches Instrument für diakonische Profilentwicklung
verstärkt in den Fokus.
Ergänzt wurden die Aktivitäten der Bildungsinitiative durch übergreifende
Veranstaltungen, die sowohl eine Vernetzung nach außen und innen, als auch
eine Impulsgebung in relevante Bildungsbezüge intendierten. Hierzu gehörten:
(a) Fachtag »Neugier auf die Zukunft ---- Bildung, Kultur, Evangelium« im September
2016 in Halle. Im Hauptvortrag von Theologieprofessor John Burgess
vom Pittsburgh Theological Seminary »Neugier auf die Zukunft --- Bildung, Kultur,
Evangelium« 9
wurde die theologische Fundierung diakonischer Bildung
thematisiert und in einen globalen Zusammenhang gestellt. Das anschließende
Worldcafé diente zur Einbindung der Hauptthesen des Vortrags von Prof. Burgess
in die Praxis. Mit der Methode der Postersession konnte diese Konkretisierung
weitergeführt werden. Unter dem Titel »Der Umgang mit der kulturellen
Diversität in diakonischen Einrichtungen« stellten Praktikerinnen und Praktiker
ihre Erfahrungen zur Diskussion. Rückblickend kann diese Tagung als wichtiger
Schritt zur Verknüpfung von Identität und Profil betrachtet werden.
(b) Formatives Evaluationstreffen und Plattformbildung für innovative Projekte
in der Landeskirche auf Grundlage der bisherigen Evaluationsergebnisse (Jena,
März 2017). Eingeladen waren (1) die Teilnehmenden der Evaluation der
verschiedenen Weiterbildungsveranstaltungen im Rahmen des Diakonischen
Profils, (2) die Geschäftsführenden diakonischer Einrichtungen und (3) Praktikerinnen
und Praktiker diakonischer Bildung. Der formative Charakter der Evaluation
zeigte sich darin, dass die bisherigen Ergebnisse vorgestellt, diskutiert und
in spezifischen Gruppenübungen mit den Erfahrungen der eigenen Praxis konfrontiert
wurden. Die erreichten Lernerfahrungen waren multilateral, d.h. alle
Anwesenden --- allen voran das Forschungsteam --- konnten das Dargebotene und
Diskutierte in die eigene Praxis zurückbinden und wiederum dem Plenum vorstellen.
(c) Fachtagung Doing Culture III »Was kann diakonische Bildung eigentlich
nicht?« Fachtagung der Führungsakademie Berlin mit einem Beitrag der Diakonie
Mitteldeutschland, März 2018 in Eisenach. Die Beiträge des Forschungs-
9
Burgess: Neugier auf die Zukunft.
Evaluation der Bildungsinitiative der Diakonie Mitteldeutschland 103
teams bestanden zuerst in einer Erfahrungs- und Ergebnisvorstellung zum Thema
»Wissen!Warum« − Auswirkungen der Bildungsinitiative der Diakonie
deutschland (Michaela Gloger) und einem Theoriebeitrag zum Thema Diasche
Bildung als Koproduktion des Lernens ---- Kontext, Deutungen, Handlungs-
Handlungswissen (Harald Wagner).
(d) Workshop zu den Möglichkeiten und Grenzen wissenschaftlicher Begleitung,
März 2019 in Dresden. Im Fokus des Fachgesprächs stand die Frage, was haben
Diakonie/Bildungsträger und was hat die Wissenschaft von wissenschaftlicher
Begleitung? Die Veranstaltung fand in Kooperation mit dem Projektteam »Diakonische
Profilbildung der Diakonie Sachsen« statt. Das Format ermöglichte nicht
nur die Ergebnisse beider Forschungsprojekte mit den anwesenden Personen zu
diskutieren, sondern auch einen Austausch über Möglichkeiten und Grenzen
wissenschaftlicher (Evaluations-)Forschung und Begleitung wie deren Nutzen
für die beteiligten Einrichtungen anzuregen.
(e) 1. Diakonischer Bildungskongress des Kaiserswerther Verbands. Unter dem
Titel »Flughöhe gewinnen« waren Vertreterinnen und Vertreter diakonischer
Unternehmen eingeladen, diakonische Bildung ›neu zu denken‹. Neben Fachvorträgen,
acht verschiedenen Workshops und einer Bildungsmesse eröffnete der
Kongress Führungskräften und Schlüsselpersonen Raum für Austausch, um
über die veränderten Anforderungen diakonischer Bildung nachzudenken. Im
Workshop »W1: Geht’s auch kürzer? Neue Formate für diakonische Bildung«
stellten wir ausgewählte Ergebnisse der Evaluation diakonischer Bildungsangebote
in Mitteldeutschland vor. Die Mitwirkung erfolgte in enger Zusammenarbeit
mit der Studienleitung der Paul Gerhardt Diakonie-Akademie.
2.2 Methodologische Orientierung und Theoriebezug -- Bildung und
diakonische Kultur
Den methodologischen Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation
bilden drei Dimensionen: (1) Theoriebasiert versus theorieentwickelnd: Es wurde
eine Balance zwischen beiden angestrebt, indem geeignete Theorien zur Designentwicklung
herangezogen wurden. Komplementär dazu stand die
Theorieentwicklung aus dem empirischen Material im Fokus der Evaluation. (2)
Vorstrukturiert versus partizipativ: Die Grundhaltung war strikt partizipativ, sowohl
in der Designentwicklung als auch in der Feldforschung. (3) Formativ versus
summativ: Das Projekt war grundlegend formativ ausgerichtet, d.h. alle Evaluationsergebnisse
wurden sogleich in den weiteren Gestaltungsprozess
einbezogen. In der Folge der Phasen entstand eine stetig sich selbst evaluierende
Spirale wissenschaftlicher Empfehlungen.
Im Sinne einer theoretischen Rahmung skizzieren wir nachfolgend maßgebliche
Ansätze der für die inhaltliche Perspektive des Forschungsprojektes relevanten
Theorien:
Feldtheorie
104
Michaela Gloger/Harald Wagner
Der Fokus der ersten Phase lag auf der Erkundung der Situation diakonischer
Bildung in Diakonie und Landeskirche. Es galt die einflussreichsten institutionellen
Akteure zu identifizieren, deren Praxis zu erkunden und das Zusammenspiel
untereinander abzuwägen. Den Herausforderungen dieser sehr disparaten
Forschungsaufgabe begegneten wir mit Pierre Bourdieus Feldtheorie. Bourdieu
entwickelte schon im Jahre 1976 in einem Vortrag Ȇber einige Eigenschaften
von Feldern« die Grundlagen seiner Theorie. 10
Dort heißt es: »Der synchronischen
Wahrnehmung nach stellen sich Felder als Räume dar, die ihre Struktur
durch Positionen (oder Stellen) bekommen, deren Eigenschaften wiederum von
ihren Positionen in diesen Räumen abhängen und unabhängig von den (partiell
durch sie bedingten) Merkmalen ihrer Inhaber untersucht werden können.« 11
Bourdieu ging es darum, allgemeine Gesetzmäßigkeiten von unterschiedlichen
sozialen Feldern zu ermitteln. Als Kernelemente kristallisierten sich dabei die
Fragen nach Einfluss, Dominanz und Erhalt des jeweiligen Feldes heraus. Demnach
gibt die Struktur des Feldes »den Stand der Machtverhältnisse zwischen
den am Kampf beteiligten Akteuren oder Institutionen wieder bzw. […] den
Stand der Verteilung des spezifischen Kapitals, das im Verlauf früherer Kämpfe
akkumuliert wurde und deren Verlauf spätere Kämpfe bestimmt.« 12 Dies klingt
zwar etwas schroff, wird aber der Begriff »Kampf« durch Äquivalente wie »Konflikt«
und »Ringen um Strukturen und Ressourcen« ersetzt, spiegelt sich in diesem
Modell durchaus auch die Kommunikation in der Bildungsinitiative wider.
Diese allgemeinen Mechanismen von Feldern schärften auch unser Forschungsvorgehen
(Design, Datensammlung, Interpretation).
Bildungstheorien
In der zweiten Forschungsphase lag der Fokus der Evaluation auf der Bildungspraxis
in diversen Kursen. In der Beobachtung von Bildungsprozessen wurde
diese als selbstbestimmter und selbstorganisierter Prozess gedeutet. Systemtheoretisch
sprechen wir von autopoietischen Prozessen, d.h. das handelnde
System kann immer nur auf den je eigenen kommunikativen Voraussetzungen
aufbauen. Allerdings sind diese Systeme zugleich umweltoffen und lassen sich
von der relevanten Umwelt anregen. Das Bewusstsein eines sozialen Systems
lässt sich in besonderer Weise von Kommunikation anregen. Bezogen auf das
Lernen kann dann genauer formuliert werden: Das Bewusstsein lernt, wenn in
seiner Umgebung lernend kommuniziert wird, d.h. wenn die anderen Systeme
mit ihm zusammen lernen. Wir sprechen hier von der Koproduktion des Lernens,
das bedeutet, dass die an der Kommunikation Beteiligten es als lohnend
ansehen, sich aus der Komplexität der gemeinsamen Kommunikation das für sie
Relevante zum Aufbau ihrer eigenen Komplexität anzueignen.
10
Bourdieu, Soziologische Fragen, 107ff.
11
Ebd.
12
Ebd.
Eine Veröffentlichung der Forschungsstelle
Religiöse Kommunikations- und Lernprozesse
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