flip-Joker_2022-07-8
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38 KULTUR JOKER Interview
und damit ist er für uns die Nummer
eins. Wir respektieren ihn
alle. Er ist in einem gewissen
Alter und hat eine gewisse Erfahrung.
Bob ist ein Maestro hinsichtlich
vieler Fähigkeiten, die
von einem Produzenten verlangt
werden, technisch, musikalisch
und sozial. Er ist nicht aufdringlich
und kommt immer erst dann
dazu, wenn wir die Songs so
gut wie geschrieben haben und
bereits an den Arrangements arbeiten.
Da es bei Deep Purple
keinen Boss gibt, verbringen wir
viel Zeit mit den Arrangements:
Lasst uns hier einen Abschnitt
ausprobieren, eine Tonart wechseln
oder in den Halbtakt gehen.
Da wir niemanden in der Band
verärgern wollen, probieren wir
immer alles aus.
Kultur Joker: Mit welchem Effekt?
Gillan: Bei den ersten drei Alben,
die wir mit Bob gemacht haben,
hat er uns wahrscheinlich drei
Monate im Studio oder in der
Schreibwerkstatt erspart. In dieser
Hinsicht ist er also sehr wertvoll.
Außerdem hat er einen großartigen
Sinn für Humor. Er sagt,
was er denkt, und das respektiere
ich. Roger begann in den Sechzigern
mit dem Songschreiben
und inspirierte mich. Wir haben
tagelang geschrieben. Unser Lied
„Apanesa“ zum Beispiel hatte 17
lange und langweilige Strophen.
Es war eine Schufterei. Ich sagte
zu Roger: „Ich dachte, es gefällt
dir“, und er meinte: „Und ich
dachte dasselbe von dir!“ Also
haben wir beschlossen, dass das
Ganze Unsinn ist und wir diese
Idee nicht weiterverfolgen
sollten. Und heute haben wir Bob,
der für uns sehr wertvoll geworden
ist.
Kultur Joker: Haben Sie das Album
augenzwinkernd „Turning
To Crime“ (kriminell werden)
genannt, weil das Covern lange
Zeit von der „Rockpolizei“ und
den Puristen als uncool angesehen
wurde?
Gillan: Ich würde nicht sagen,
dass das Covern früher als uncool
galt. Eine Sache, die wir in den ersten
Tagen gelernt haben, ist, Moden
um jeden Preis zu vermeiden.
Bloß keinem Trend folgen! Wenn
du heute hip bist, bist du morgen
out. Bleib also dir selbst treu und
tue, was sich natürlich anfühlt.
Du wirst dabei nicht immer mit
dem Massengeschmack übereinstimmen,
aber du musst tiefer in
deine musikalischen Werte und
Freundschaften eindringen.
Glover: Was in den 1970ern uncool
war, waren Live-Alben. Sie
galten als ein Billig-Ding, das
man machte, wenn man nichts anderes
zu bieten hatte. Wir hatten
damals eigentlich besseres zu tun
als ein Live-Album wie „Made In
Japan“ zu machen. Wir wurden ja
genug gebootlegt. Aber wir haben
unsere Meinung geändert und mit
„Made In Japan“ ein cooles Live-
Album produziert. Aber wir suchen
nie bewusst nach dem, was
cool ist.
Kultur Joker: Sie haben jetzt
auch Creams Klassiker „White
Room“ aufgenommen. Hat diese
legendäre Band Sie dazu gebracht,
später selber härtere
Rockmusik zu spielen?
Glover: In den frühen Sechzigern
gab es die Beatles und die Rolling
Stones. Als dann Cream und
Hendrix kamen, wurde die Musik
etwas lauter, schwerer und wilder.
Ein natürlicher Prozess, von dem
Led Zeppelin, Black Sabbath und
Deep Purple ein Teil waren und
keine Modeerscheinung. Wenn
man einmal lauter geworden ist,
ist es sehr schwierig, wieder leiser
zu werden. Das Equipment
wurde größer, lauter und aufregender.
Ich erinnere mich an das
Gefühl, als wir „Deep Purple in
Rock“ aufnahmen. Die Musiker
missbrauchten ihre Instrumente
und wollten mehr aus ihnen herausholen,
als für sie vorgesehen
war. Auch die Studios wurden
missbraucht, indem wir den Pegel
in den roten Bereich trieben. Das
war nicht gerade höflich.
Kultur Joker: Unter welchen Bedingungen
haben Sie in den frühen
Sechzigerjahren gearbeitet?
Gillan: Du sollst keine eigenen
Songs schreiben, du sollst nur
die B-Seiten machen – diese Art
von Einschränkungen gab es für
Bands in den frühen Sechzigern.
Die Kinks, die Beatles und die
Small Faces haben sie schließlich
durchbrochen. All diese kleinen
Dinge wurden nach und nach abgetragen
wie die Berliner Mauer,
bis wir irgendwann künstlerische
Freiheit hatten. Auch die Plattenfirmen
und das Musikbusiness
wurden missbraucht und die
Verlage ignoriert. Es war wie ein
Vulkan, der jahrelang brodelte.
Ein Song musste auf einmal 20
Minuten und 20 Sekunden lang
sein und so und so klingen. Damals
übernahmen die Künstler
die Leitung. Das Pendel schwingt
immer hin und her und ist jetzt
wieder da, wo alles begann.
Kultur Joker: Wie sah Ihr erster
Plattenvertrag aus?
Gillan: Bei unserem ersten Plattenvertrag
mit Pye International
hatten wir sechs Leute in der
Band und unseren Manager zur
Unterstützung. Die Tantiemen
betrugen 0,75 Prozent der Nettoeinnahmen,
was bedeutet, dass
wir so gut wie kein Geld verdienten.
Der Vertrag war nur eine
Geste. Aber dann änderte sich die
Situation, und die Autoren in den
Gruppen wurden anerkannt, und
die cleveren Manager begannen,
sich zu engagieren. Diese Entwicklung
wurde nicht künstlich
von den Produzenten, dem Label,
den Studios oder den Radiostationen
ausgelöst, sondern von
der kreativen Quelle innerhalb
der Bands. Nach und nach verbesserten
sich die Verträge, die
Radiosender spielten eine andere
Art von Musik und die Kreativen
erhielten mehr Geld. Ein Schneeball
kam ins Rollen und veränderte
das Business für ein paar
Jahrzehnte.
Kultur Joker: Welche Rolle spielten
die Medien bei dieser Entwicklung?
Gillan: Die Piratensender begannen,
Musik zu spielen, die die
BBC und Radio Luxemburg nie
anfassen würden. Wir hörten sie
nachts heimlich unterm Kissen.
Das Radio wurde sehr wichtig
für diesen neuen Sound. Plötzlich
hatten Bands wie wir eine
internationale Verbindung und
unsere Musik wurde in Japan und
Amerika gespielt. Unsere Musik
war während der Sowjetunion
verboten.
Kultur Joker: Wurden Deep Purple
in der Sowjetunion trotzdem
gehört?
Gillan: Sie hatten dort einen Musikclub.
Wollte man eine Deep
Purple-Platte hören, musste man
sie erst aus einem abgesperrten
Schrank herausholen, um sie dann
in der Klasse in Anwesenheit des
Lehrers abzuspielen. Die Schüler
durften die Musik analysieren
und sich Notizen machen, aber
es war ihnen verboten, sie zu genießen.
Ich habe persönlich zwei
Menschen in Ostdeutschland kennengelernt,
die zwei Jahre lang im
Gefängnis saßen, weil sie damals
eine Deep Purple-Platte besaßen.
Das war die Revolution, die im
Untergrund stattgefunden hat,
und wir waren ein Teil von ihr.
Das ging so lange, bis die Rockmusik
keinen Stachel mehr hatte
und an ihre Stelle etwas Neues
trat.
Glover: Die Fünfziger waren
schwarz-weiß und die Sechziger
wurden zu Technicolor.
Kultur Joker: Die Sixties waren
das Jahrzehnt von Bob Dylan.
Wie fühlt es sich an, sein „Watching
The River Flow“ zu singen?
Glover: Ich bin ein großer Fan
von ihm. Das Album „The Freewheelin’
Bob Dylan” hörte ich
das erste Mal mit 18. Es hat mein
Leben verändert. Die Sechziger
waren eine Erschütterung. Dylan
war nicht auf der Suche nach
Ruhm und Erfolg. Er schrieb einfach,
worauf er Lust hatte, großartiges
Zeug. Ich glaube nicht, dass
er wirklich darauf vorbereitet
war, so behandelt zu werden, wie
er es dann wurde. Als er schließlich
anfing, elektrische Gitarre zu
spielen, fanden viele, man sollte
ihm das verbieten.
Kultur Joker: Kulturkritiker behaupten,
dass seit den Achtzigern
in der Pop- und Rockmusik nichts
Neues mehr entstehe. Wie sehen
Sie das?
Gillan: Musiker denken eigentlich
nicht so. Man hat seine Einflüsse
und findet dann nach vielen
Jahren des Übens und der Zusammenarbeit
mit anderen seine
eigene Stimme. Ich betrachte das
nicht auf diese Weise.
Glover: Nichts ist original, alles
kommt von etwas anderem. Was
auch immer man sich ausdenkt,
irgendjemand hat es schon einmal
gemacht. Ich würde nicht sagen,
dass die Entwicklung der Popmusik
in den Achtzigerjahren aufgehört
hat, das ist lächerlich und
macht überhaupt keinen Sinn. Sie
ist immer noch im Gange.
Kultur Joker: Vielen Dank für
das Gespräch!
Am 24. Juli ist Deep Purple
auf dem STIMMEN-Festival in
Lörrach zu sehen.