flip-Joker_2022-07-8
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4 KULTUR JOKER THEATER Theater
Companhia de Danças mit
„Encantado“
Foto: Sammi Landweer
Erzählungen für diese Zeit
Vom 24. August bis zum 4. September wird Basel
beim Festival zur Bühne
Es werden andere Narrative
sein, als die, die derzeit unsere
Nachrichten beherrschen,
verspricht das Programm des
Theaterfestival Basel 2022,
das alle zwei Jahre stattfindet.
Sandro Lunin, der noch ein
Jahr die Kaserne Basel leiten
wird, hat die Programmgruppe
mit Kuratorinnen und
Kuratoren aus Indien, Japan
und Südafrika und den Dramaturginnen
vom Theater
Nein, das ist wohl kein Abdruck
eines Rotweinglases. Der
offene Kreis, der mit Tüchern
ausgelegt ist, die erst breit sind
und sich dann verjüngen, führt
auf der Bühne des Südufers
schon gleich zum Thema. Es
geht in „Red Moon“ um die
Menstruation, wobei diese auf
dem Flyer der Produktion von
twOne Company noch nicht
einmal benannt wird. Rot für
Roxy Katharina Germo und
Angela Osthoff vom Theater
Basel deutlich erweitert und
internationalisiert. 17 Produktionen
haben sie ausgewählt,
die vom 24. August bis zum 4.
September in Basel zu sehen
sein werden. Doch nicht nur
dort. Neben der Kaserne sowie
dem jungen theater, dem Roxy
und dem Theater Basel werden
auch das Theater Dornach, das
Vorstadt Theater und erstmals
Dem Blut folgen
„Red Moon“ sucht in komplizierten Zeiten Heil im weiblichen Zyklus
Blut und der Mond für die zyklische
Struktur der Periode.
Am Anfang dieser gut 45-minütigen
Performance sitzt Belinda
Winkelmann mit gespreizten
Beinen auf dem weißen Tanzboden
und atmet hörbar, Ewelina
Kotwa hingegen liegt in Embryostellung
mit dem Rücken
zum Publikum links von ihr.
Fast zeitgleich mit der Premiere
wurde in den USA die
das nahe Théâtre La Coupole
in Saint Louis zur Spielstätte.
In Saint Louis werden
Maroussia Diaz Verbèke und
Instrumento de Ver mit ihrer
ganz eigenen Interpretation
von zeitgenössischen Zirkus
gastieren, die die Zerstörung
natürlicher Ressourcen aufgreift.
Andere Narrative bedeutet
nicht unpolitische Erzählungen.
So ist im Theater
Abtreibungsfreiheit gekippt,
selbst Vergewaltigte oder Opfer
von Inzest sowie Frauen, deren
Gesundheit durch die Schwangerschaft
oder Geburt gefährdet
wird, sollen das Kind austragen
müssen. In Spanien wurde im
Frühjahr intensiv darüber diskutiert,
ob Regelschmerzen
ein Grund für Krankheitstage
sind. Es wird über drei bis fünf
Tage im Monat debattiert. Kritiker
wenden ein, dies könnte
sich zum Wettbewerbsnachteil
für Frauen auswirken. Und der
Streit um Joanne K. Rowlings
Tweed über „menstruierende
Menschen“ brachte nicht nur
der Autorin Shitstorms wegen
vermeintlicher Transfeindlichkeit
ein, er zeigte auch, dass es
gar nicht so leicht ist, Weiblichkeit
zu definieren und dass der
weibliche Körper auch für die
Identitätspolitik instrumentalisiert
wird. Da ist es einerseits
verständlich, sich auf die Monatsblutung
zurückzuziehen.
Andererseits ist es auch ein
bisschen naiv, werden Männer
und Frauen doch noch immer
nicht gleich bezahlt und das viel
beschworene Zyklische ist auch
kein Antidot gegen die Linearität
des Lebens. Auch Menschen,
die menstruieren oder menstruiert
haben, sterben.
Dornach etwa das australische
inklusive Back to Back
Theatre zu sehen und die niederländischen
Tänzerin und
Choreografin Cherish Menzo
setzt sich in „Jezebel“ mit
dem Frauenbild in der Black
Hiphop-Bewegung auseinander.
Während das Puppentheater
Ljubljana Kriegserfahrung
auch für Kinder verständlich
macht, hat die brasilianische
Choreografin Lia Rodrigues
Winckelmann und Kotwa
tragen haut-, beziehungsweise
pinkfarbene Panties, dazu
jeweils Shorts in der anderen
Farbe. Rote Streifen ziehen sich
über das Auge zum Haaransatz,
den Vorwurf farbenblind
zu sein wie etwa einschlägige
Werbung für Menstruationsprodukte,
will man sich sichtlich
nicht einhandeln (Kostüme:
Bianka Heck, Stefanie
Wyen). Die Hosen betonen den
Unterleib. Belinda Winkelmann
sitzt fast im Spagat und
lässt die Beine auf den Boden
aufschlagen. Einmal legt sie
die Hände auf die Scham. Sind
das Krämpfe? Manchmal muss
man bei den Körperbildern, die
die beiden Frauen schaffen, an
anatomische Zeichnungen denken,
doch vieles bleibt unscharf.
Maroussia Diaz
Verbèke mit
„Instrumento de Ver:
23 fragments de ces
derniers jours“
Foto: Bruno Trachsler
Encantado aufgegriffen. Jene
Zwischenwesen, die weder
Mensch noch Tier sind, zwischen
Himmel und Erde sowie
Sanddünen und Felshöhlen leben
und in der Lage sind, alles
zu beleben. Das verspricht widerständiges
Theater jenseits
fester Zuordnungen. Infos &
Tickets: www.theaterfestival.
ch
Annette Hoffmann
Fiona Comboschs Komposition,
bei der Tropfen herauszuhören
sind, ist da deutlicher. Mit dem
Rücken zum Publikum, lassen
die beiden Tänzerinnen die
Füße sprechen. Ihre Körperbeherrschung
ist beeindruckend.
Dann bewegen sie sich wie
Kopffüßler. Später formieren sie
einen Kreis, führen die gleiche
Schrittfolge ein, in die kleine
Hüpfer eingebaut sind, später
schleichen sich kleine Störungen
ein. twOne Company
nimmt die Menstruation zum
Sinnbild für einen Körper, der
Schwankungen unterliegt. Doch
um diese zu konkretisieren und
den ganzen Bogen zwischen
Euphorie und Niedergeschlagenheit
zu benennen, braucht es
dann doch die Sprache: hitzig,
aufgewühlt, happy, angry sind
nur einige der Beschreibungen,
die zu hören sind. Sie werden
mit den Jahreszeiten verbunden.
„Red Moon“ will politisch sein,
lediglich, indem man sich des
weiblichen Zyklus annimmt,
bleibt aber unberührt von der
politisch-gesellschaftlichen Diskussion.
Und so ist „Red moon“
vor allem eskapistisch.
Annette Hoffmann