flip-Joker_2022-07-8
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6 KULTUR JOKER Theater
Die Welt in einem stimmungsvollen Bilderreigen
Mit „Der Tod und das Mädchen“ feierten Graham Smith und seine „School of Life and Dance“ im voll besetzten
Großen Haus des Theater Freiburg Premiere
Fünfzig Tänzerinnen und
Tänzer zwischen acht und
achtzig Jahren, mitreißende
Choreografien und ein fantastisches
Bühnenbild – nach
Pandemie-bedingter Pause
feierten jetzt Graham Smith
und seine „School of Life and
Dance“ (SoLD) im voll besetzten
Großen Haus des Theater
Freiburg rauschende Premiere.
Der Tod trägt rot. Mit sanfter
Hand streicht er über Köpfe,
geschmeidig streift er durch
die Tanzenden. Dann fallen sie
wie gemähtes Korn. - Gestorben
wird viel und ständig auf
der Bühne, vor allem aber gelebt,
geliebt und gefeiert. Und
so ist die Inszenierumng des
partizipativen Großprojekts
„Der Tod und das Mädchen“
(Regie und Choreografie: Graham
Smith) ein prallbuntes
Fest der Endlichkeit im Schatten
von Corona und Ukraine-
Krieg.
Dabei beginnt es melancholisch:
Weißer Spot in samtenem
Dunkel, romantische
Klaviermusik, jäh bricht der
Spieler ab und knallt den Deckel
zu. Drumherum dreht sich
die Welt in einem stimmungsvollen
Bilderreigen: immer
neue Guckkasten-Schachteln
und Glasboxen mit und ohne
Stelzen ziehen zu Schuberts
gleichnamigem Streichquartett
Ein Tanz Macabre mit der School of Life and Dance Foto: Marc Doradzillo
vorbei – und damit das ganze
Leben: Ein Kinder-Geburtstag
mit Torte und rosa Luftballons
in einem Wohnzimmer mit der
Patina eines vergilbten Fotos,
ein intimer Pas de deux der
Hände eines jungen Paares,
eine Frau im goldenen Kleid
ganz allein, hoch oben in
einem gläsernen Kokon. Dazwischen
Brücken und eine
Freitreppe.
Das Bühnenbild von Viva
Schudt bietet dieser knapp
einstündigen Inszenierung
ganz großes Theater: Blitzschnelle
Auf- und Abgänge,
rasante Umbauten, vielschichtige
und detailfreudige Dreidimensionalität,
aus der sich
surreale Szenen schälen. Denn
zu gucken gibt es unendlich
viel nicht nur auf den Mini-
Bühnen: Es gibt Soli, Duos
und komplexe, energiegeladene
Gruppenchoreografien
in fantasievollen Kostümen
(Viva Schudt), dazu Gesang
und Theater. Großartig – und
kaum zu glauben, dass hier
alle Laien sind, unglaublich,
wie Smith und sein Team ihre
vier Gruppen aus der „School
of Live and Dance (SoLD) mit
wenig Präsenzproben zu solch
Höchstleistungen motivierten.
Eine Handlung gibt es in
diesem Totentanz nicht, geredet
wird kein Wort, ausdrucksstark
erzählen die Körper: Von
Partys und Einsamkeit, von
Krankheit und Begehren, von
Angst und Lebenslust. Das bewegt
sich nach dem poetischen
Schubert-Einstieg zur Musik
von Anna von Hauswolff, Yael
Cremonesi (live mit ihrem tollen
Song „Moonlight“), Tom
Waits und The Dead Brothers
zwischen dystopisch-bombastischer
Rockoper und Musical
im schaurig-schräg-schönen
Stil der Tiger Lillies: Ein skurriles
Zirkus-Spektakel mit viel
Theaternebel und mexikanischen
Totenkopf-Masken,
vor allem aber mit pulsierender
Dynamik: Immer schneller
dreht sich die Bühne, immer
ausgelassener feiern die Tanzenden.
Da wirbelt eine im Parkour
über einen kleinen Pick-up,
der plötzlich auf der Bühne
steht, wiegt sich eine Gruppe
in Cocktailkleidern wie
beim Nachmittagstee auf der
Titanic zu chilligem Salsa,
es gibt Stummfilm-Komik,
Skateboard- und Trampolin-
Einlagen, wilde Freude und
eine Botschaft: „Mach dir keine
Sorgen, es ist bald vorbei!“
ist auf der Laufschriftanzeige
über der Bühne zu lesen. Denn
gestorben wird sicher, aber
vorher wird gelebt! Tanzen
hilft… Standing Ovations.
Weitere Vorstellung: 3. Juli,
18 Uhr. Theater Freiburg. Ab
12 Jahren.
Marion Klötzer
Trubeliger Rollator- und
Rollstuhlverkehr vor dem Einlass
zum Veranstaltungsraum
des Wohnstifts in der Freiburger
Rabenkopfstraße, das
Publikumsinteresse ist groß.
Auf der Bühne sitzen schon
Auslagern
Aufbewahren
Abstellen
blau = C:100 | M:20 | Y:0 | Y: 0 | K: 0
Gelb = C:0 | M:10 | Y:100 | K:0
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24h
Zugang
Oral History statt nackter Fakten
Theater- und filmpädagogisches Zeitzeugen-Projekt „Nemory“
sechs Jugendliche mit braven
Zöpfen, Blusen und Röcken
bereit. „Aufstehen! Setzten!
Aufstehen!“ brüllt einer im
braunen Hemd, die Gruppe reagiert
zackig und mit starrem
Blick. – So war das also mit
Drill und Gehorsam... – „Nemory“,
so der Titel des vom
Kulturamt geförderten theater-
und filmpädagogischen
Zeitzeugen-Projektes, dessen
Bühnenperformance jetzt einmal
im Wohnstift, einmal im
Haus der Jugend in der Uhlandstraße
Premiere feierte.
Seit November letzten Jahres
besuchten zehn Jugendliche
regelmäßig zwölf Menschen
zwischen 85 und 103 Jahren.
Zur Zeit des Nationalsozialismus‘
waren sie noch Kinder
oder Teenager. Ihre Erinnerungen
sollen nicht vergessen
werden: Oral History statt
nackter Fakten aus den Geschichtsbüchern,
Generationenaustausch
live – das wird es
nicht mehr lange geben. Petra
Gaus, Britta Büttner, Raimund
Schall und Joe Killi begleiteten
diese zunehmend vertrauten
Begegnungen mit ganz unterschiedlichen
künstlerischen
Schwerpunkten, jedes Interview
wurde mitgefilmt und damit
konserviert. Aus den mehr
als zwanzig Stunden Material
soll nun eine Dokumentation
entstehen, einzelne Themenkomplexe
können dann auch
im Unterricht eingesetzt werden.
– Und die Gruppe möchte
weiter interviewen, das Bedürfnis
nach Verstehen-wollen
ist groß: „Eine unsichtbare
Mauer scheint in den Gesprächen
gebrochen zu sein: es darf
gefragt werden, es darf erzählt
werden, um die Vergangenheit
besser verarbeiten zu können“,
so Petra Gaus.
In der einstündigen Bühnenperformance
erzählen die
Jugendlichen dann in kleinen
Szenen von ihren Erlebnissen:
Wie waren ihre Gespräche mit
den Zeitzeug*innen, was hat
sie besonders beeindruckt?
Warum wollen sie etwas über
die Zeit des Nationalsozialismus
erfahren? Das passende
Filmmaterial wird eingeblendet,
jetzt erzählen die Alten:
Von Flucht, Sirenen und
Bunkernächten, von Kriegs-
Kinder-Alltag zwischen Schule,
HJ und Einberufung. Mal
geht es um Geländespiele im
Sternwald als Pimpf im Deutschen
Jungvolk, mal um das
Reichssportfest oder die beste
Freundin, die mit ihrer Familie
in einem vollgestopften Zug
ins Nirgendwo muss. Wie war
es, sich als Halbjüdin ständig
unsichtbar zu machen? Tagebuch-Einträge
eines Kriegsbegeisterten
Jugendlichen
werden verlesen, genauso wie
stereotype Traueranzeigen.
Es sind ganz unterschiedliche
Schiksale, immer wieder sind
die Erinnerungen sehr lebendig:
So wie die Erzählung von
den beiden Jagdbomben „Max
und Moritz“, die jeden Morgen
den Schulweg bedrohten und
beim Rennen über den alten
Messplatz zu Akteuren eines
Räuber-und Gendarm-Spiels
wurden…Die theatralen Bühnenmomente
dazwischen bleiben
da etwas hölzern und allzu
pädagogisch, atmosphärisch
dicht dagegen die Live-Musik,
die eine Brücke zwischen dem
Heute und dem Damals spannt.
Marion Klötzer