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Ulrich H. J. Körtner: Theologische Exegese (Leseprobe)

Systematische Theologie und Bibelexegese gehen heute oftmals getrennte Wege. Einer der Gründe ist die Rehabilitierung des Historismus. In Teilen heutiger Systematischer Theologie spielen religionsphilosophische Reflexionen eine größere Rolle als die Texte der Bibel. Die Studien des vorliegenden Bandes begreifen Bibelexegese als theologisches Unterfangen, das historische und systematische Fragestellungen vereint, und Systematische Theologie als konsequenter Exegese. So vielstimmig, spannungsreich und bisweilen widersprüchlich die in den biblischen Schriften zu vernehmenden Stimmen auch klingen mögen, weisen sie doch über sich hinaus auf einen Konvergenzpunkt, der mit dem Wort „Gott“ benannt wird. Systematische Schriftauslegung versucht diesem Richtungspfeil der biblischen Texte zu folgen.

Systematische Theologie und Bibelexegese gehen heute oftmals getrennte Wege. Einer der Gründe ist die Rehabilitierung des Historismus. In Teilen heutiger Systematischer Theologie spielen religionsphilosophische Reflexionen eine größere Rolle als die Texte der Bibel. Die Studien des vorliegenden Bandes begreifen Bibelexegese als theologisches Unterfangen, das historische und systematische Fragestellungen vereint, und Systematische Theologie als konsequenter Exegese. So vielstimmig, spannungsreich und bisweilen widersprüchlich die in den biblischen Schriften zu vernehmenden Stimmen auch klingen mögen, weisen sie doch über sich hinaus auf einen Konvergenzpunkt, der mit dem Wort „Gott“ benannt wird. Systematische Schriftauslegung versucht diesem Richtungspfeil der biblischen Texte zu folgen.

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2 Die Platonisierung der Agape und ihre Kritik 123<br />

Es grenzte sich damit auch von allen ekstatischen Kulten seiner Umwelt<br />

ab, welche der Sexualität eine religiöse Funktion zuschrieben.<br />

Der Eros bezeichnet im antiken Griechisch die leidenschaftliche,<br />

das Sexuelle einschließende Liebe, die jemanden oder etwas anderes für<br />

sich begehrt. Der Eros ist dämonisch und sinnenfroh. Sein Rausch reißt<br />

den Menschen mit. Er treibt zur Ekstase, die in den Mysterienkulten<br />

und im Orphismus auch kultisch erlebt wird. Platons Dialog „Phaidros“<br />

hat das abendländische Verständnis des Eros entscheidend bestimmt.<br />

Der Eros reißt den Menschen über sich selbst und seine Vernunft hinaus.<br />

Im „Symposium“ (210 f.) deutet Platon den Eros, der sich an der körperlichen<br />

Schönheit entzündet, als Wegweiser zum Göttlichen, dem<br />

ewig Seienden und wahrhaft Guten. Der Eros als Grundtrieb, der alles<br />

Getrennte wiedervereinigen will, übersteigt das Sinnliche. Der Neuplatonismus<br />

Plotins hat den Eros ganz entsinnlicht und sublimiert: Im<br />

Eros manifestiert sich das Verlangen der Seele nach der Vereinigung mit<br />

Gott und der mystischen Befreiung von aller Sinnlichkeit.<br />

Der neutestamentliche Begriff der ἀγάπη beschreibt im Vergleich<br />

zum (neu)platonischen Erosbegriff jedoch eine gegenläufige Bewegung.<br />

Strebt der Eros von unten nach oben, vom Menschen zu Gott oder zum<br />

Göttlichen, so bringt das Wort ἀγάπη im Neuen Testament die Bewegung<br />

Gottes zum Ausdruck, die gewissermaßen von oben nach unten<br />

verläuft, von den himmlischen Höhen zur Niedrigkeit des menschgewordenen<br />

Logos. „Das Wort ward Fleisch“, heißt es in Joh 1,14, und Paulus<br />

beschreibt in einem Christushymnus in Phil 2,5 ff. den Weg Christi,<br />

der sich selbst erniedrigte bis zum Tod am Kreuz. Der Menschensohn –<br />

im Neuen Testament ein Hoheitstitel Christi – ist nicht gekommen,<br />

dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene (Mt 20,28). Darum gilt<br />

auch für die Christen: „Wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener“<br />

(Mt 20,27).<br />

2 Die Platonisierung der Agape und ihre Kritik<br />

Augustin hat den Versuch unternommen, zwischen Neuplatonismus<br />

und christlichem Liebesgebot – dem Doppelgebot der Gottes- und<br />

Nächstenliebe (Mk 12,30 f. par.) – eine Synthese zu schaffen und dazu<br />

den lateinischen Begriff der caritas verwendet. Liebe ist nach Augustin<br />

zwar keine menschliche Eigenschaft, sondern exklusiv göttliche Gabe,<br />

sie wird aber aufgrund des Habitus der eingegossenen, übernatürlichen

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