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Christian Jäcklin: Was nottut (Leseprobe)

Innerhalb der Dissertation stehen zunächst die Erarbeitung, Charakterisierung und Systematisierung dreier Leitmotive im Zusammenhang mit Georg Pichts Rede von Verantwortung. Die Tragfähigkeit der drei Leitmotive »gelebte Tradition«, »Ermöglichung des Sinnes für das Zukünftige« und »Wahrnehmung dessen, was nottut« als Analyseinstrument werden im Hinblick auf ausgewählte Schriften geprüft und bieten zugleich ein Kontrastmittel, das Pichts Schulleitertätigkeit und sein religionsphilosophisches Schaffen als Philosophie im Vollzug der Verantwortung auf der Grundlage »der Magna Carta des Neuen Testaments« schärfer hervortreten lässt. Georg Pichts lebenslanges Bedürfnis, Theorie und Praxis als notwendig zu verbindende Grundlage für das menschliche Leben zu verstehen, wird damit in gleicher Weise dargestellt wie im Folgenden die Praxistauglichkeit des so genannten Dreischritts für ein Reden von Verantwortung in Hinblick auf drei konkrete Unterrichtsvorhaben für die gymnasiale Oberstufe.

Innerhalb der Dissertation stehen zunächst die Erarbeitung, Charakterisierung und Systematisierung dreier Leitmotive im Zusammenhang mit Georg Pichts Rede von Verantwortung. Die Tragfähigkeit der drei Leitmotive »gelebte Tradition«, »Ermöglichung des Sinnes für das Zukünftige« und »Wahrnehmung dessen, was nottut« als Analyseinstrument werden im Hinblick auf ausgewählte Schriften geprüft und bieten zugleich ein Kontrastmittel, das Pichts Schulleitertätigkeit und sein religionsphilosophisches Schaffen als Philosophie im Vollzug der Verantwortung auf der Grundlage »der Magna Carta des Neuen Testaments« schärfer hervortreten lässt. Georg Pichts lebenslanges Bedürfnis, Theorie und Praxis als notwendig zu verbindende Grundlage für das menschliche Leben zu verstehen, wird damit in gleicher Weise dargestellt wie im Folgenden die Praxistauglichkeit des so genannten Dreischritts für ein Reden von Verantwortung in Hinblick auf drei konkrete Unterrichtsvorhaben für die gymnasiale Oberstufe.

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2.2 <strong>Was</strong> Sitte, Wissen und Ordnung in der Praxis ermçglicht 39<br />

In den folgenden Jahren und gerade während des Krieges führten Heidegger<br />

und er zahlreiche regelmäßige Gespräche über grundsätzliche Fragen der Philosophie,<br />

das nationalsozialistische Regime und die Frage nach dem Horizont<br />

der Zeit. 73 Pichts Interesse an Platon erfuhr im Seminar ab 1940 zusätzliche<br />

Stärkung durch die Bitte Heideggers, mehrere Semester gemeinsam mit anderen<br />

Seminarteilnehmern Platon zu lesen. 74 In den daran anschließenden Gesprächen<br />

zwischen Heideggerund Picht gab es deutliche Unterschiede in Hinblick auf die<br />

Bewertungder platonischen Dialoge. Heidegger resümierte,dass das platonische<br />

Denken für ihn vollkommen dunkel bleibe und die Grunderfahrungder Wahrheit<br />

bei Platon im Schwinden begriffen sei. 75 Picht urteilte dagegen, dass auf Grund<br />

der Wahrheit, die er besonders im Höhlengleichnis (7. Buch der Politeia) wahrnähme,<br />

Platon gerade nicht dunkel und überladen sei, sondern beweglich und<br />

hell. 76 Das Höhlengleichnis 77 sei geradezu eineparadigmatische Darstellung der<br />

Philosophie und des Philosophierens.<br />

Picht wusste sich aber einig mit Heidegger, dass die platonischen Texte als<br />

Dokumente der Selbsterfahrung anzusehen seien, die den europäischen Menschen<br />

bis heute bestimmten. 78 VonHeidegger heißt es, er habe »die platonische<br />

Philosophie […] nicht als einen (womöglich defizitären) theoretischen Entwurf,<br />

sondern als lebendiges Zeugnis einer Philosophie im Vollzug« gelesen. 79 Für<br />

Picht 80 und Heidegger ist diese Erkenntnis eine absolut grundlegende: Philosophische<br />

Erfahrungen und Erkenntnisse entstammen der Lebenspraxis, sie sind<br />

geronnene Lebenserfahrung und somit die praktische Voraussetzung philosophischer<br />

Theorien und Lehrsätze.<br />

Im Bestrebendiesen Grundsatz ernst zu nehmen, »ergibt sich für Heidegger<br />

die Aufgabe, der philosophiehistorischen Destruktion des platonischen Philo-<br />

73<br />

Vgl. G. Picht: Erinnerungen an Martin Heidegger (1977).<br />

74<br />

Diese Form der Auseinandersetzung entsprach Pichts Verständnis wissenschaftlichen<br />

Arbeitens und Fragens und so initiierte er auch später am Birklehof regelmäßige Lesungen.<br />

75<br />

H. Flashar: Einführung, 12.<br />

76<br />

C. Eisenbart: Editorisches Nachwort, 302.<br />

77<br />

H. Flashar: Einführung, 12. H. Flashar hierzu: »[Nichts ist] lehrreicher als der Vergleich<br />

mit der […]Vorlesung ›VomWesen der Wahrheit‹,die Heidegger im Wintersemester 1931/32<br />

in Freiburg gehalten hat, und die Picht als Student gehört haben dürfte […] Der Vergleich<br />

lehrt, dass Pichts Interpretation [des Höhlengleichnisses] derjenigen Heideggers in mehrfacher<br />

Hinsicht überlegen ist: in der philosophischen Solidität, in der Erhellung des geistesgeschichtlichen<br />

Hintergrundes des Platontextes […], aber auch in der philosophischen<br />

Deutung. […] Die platonischen Texte gelten ihm [Picht] als ›Dokumente, aus denen die<br />

Selbsterfahrung, die den europäischen Menschen bis heute bestimmt, entsprungen ist‹.«<br />

78<br />

Vgl. G. Picht: Die Fundamente der griechischen Ontologie, 98.<br />

79<br />

B. Strobel: Wichtige Stationen der Wirkungsgeschichte, 504.<br />

80<br />

Vgl. G. Picht: Zukunft und Utopie, 75.

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