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Pico della Mirandola (Herausgegeben und kommentiert von Jörg Lauster): Über die Würde des Menschen (Leseprobe)

»Phönix der Geister« nannten ihn seine Zeitgenossen, von einem Mozart für Philosophen spricht einer seiner besten Kenner in der Gegenwart. Pico della Mirandola wurde in seinem kurzen Leben vor allem für eine Rede berühmt, die ihn der Papst nie halten ließ, die »Oratio de hominis dignitate«. Sie gilt als ein Glanzpunkt des Menschenverständnisses der Renaissance, das tief in der christlichen Tradition wurzelt. Pico interpretiert die Erschaffung zur Gottebenbildlichkeit als Auftrag, das Menschsein in freier Selbsttätigkeit als Angleichung an Gott zu gestalten. Seine Einsichten zu Menschenbild und idealer Lebensführung stützt er auf ein umfassend philosophisch-theologisches Programm, das nicht nur Christentum, antike Philosophie und Weisheitstraditionen, sondern auch Christentum und Judentum miteinander versöhnen will.

»Phönix der Geister« nannten ihn seine Zeitgenossen, von einem Mozart für Philosophen spricht einer seiner besten Kenner in der Gegenwart. Pico della Mirandola wurde in seinem kurzen Leben vor allem für eine Rede berühmt, die ihn der Papst nie halten ließ, die »Oratio de hominis dignitate«. Sie gilt als ein Glanzpunkt des Menschenverständnisses der Renaissance, das tief in der christlichen Tradition wurzelt.
Pico interpretiert die Erschaffung zur Gottebenbildlichkeit als Auftrag, das Menschsein in freier Selbsttätigkeit als Angleichung an Gott zu gestalten. Seine Einsichten zu Menschenbild und idealer Lebensführung stützt er auf ein umfassend philosophisch-theologisches Programm, das nicht nur Christentum, antike Philosophie und Weisheitstraditionen, sondern auch Christentum und Judentum miteinander versöhnen will.

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Erläuterungen<br />

entscheiden<strong>des</strong> Diktum geprägt: „Die Philosophie <strong>des</strong> Quattrocento<br />

ist <strong>und</strong> bleibt, gerade in ihren bedeutendsten <strong>und</strong><br />

folgenreichsten Leistungen, wesentlich Theologie.“ 16 Es dauerte<br />

lange, bis Cassirers Diktum Gehör fand <strong>und</strong> Pico nicht<br />

nur als Philosoph, sondern als Theologe Interesse auf sich zog.<br />

Ein <strong>und</strong>ergraduate-Student, aber immerhin aus Harvard,<br />

brachte den Stein der spezifisch theologischen Erforschung<br />

<strong>von</strong> Picos Schriften ins Rollen. Avery Dulles, der Sohn <strong>des</strong> späteren<br />

US-Außenministers John Foster Dulles, entstammte einer<br />

einflussreichen protestantischen Familie, konvertierte jedoch<br />

während seines Studiums zum Katholizismus, trat später<br />

den Jesuiten bei <strong>und</strong> wurde schließlich zum Kardinal<br />

ernannt. Als junger Student beschäftigte er sich im Umfeld<br />

seiner Konversion mit Pico. Sein preisgekrönter Essay lenkte<br />

den Blick auf etwas scheinbar Offensichtliches, das aber in der<br />

Forschung lange übersehen wurde: Picos Interesse an der<br />

Scholastik. 17 Vermutlich fügte sich <strong>die</strong>se Seite in Pico nicht<br />

gut in das Bild, das seit Jacob Burckhardt <strong>von</strong> der Renaissance<br />

als Gegenbewegung gegen das Mittelalter gezeichnet wurde.<br />

Aber schon seinen Zeitgenossen war es ja keineswegs entgangen,<br />

dass Pico gegenüber einem Humanisten wie Ermolao<br />

Barbaro <strong>die</strong> Vorzüge der scholastischen Methode pries, sich<br />

zur Vorbereitung seiner 900 Thesen noch einmal eigens nach<br />

Paris begab <strong>und</strong> für <strong>die</strong> geplante Zusammenkunft in Rom <strong>die</strong><br />

dialektische Methode scholastischer Debatten vorschlug.<br />

Dulles mochte <strong>die</strong> scholastische Seite zu stark betont <strong>und</strong> Picos<br />

Theologie zu stark systematisiert haben, seine Gr<strong>und</strong>einsicht<br />

hatte jedoch Bestand <strong>und</strong> wurde auch in der Pico-Forschung<br />

rasch <strong>von</strong> Größen wie Eugenio Garin anerkannt.<br />

16 Cassirer, Individuum <strong>und</strong> Kosmos, 4<br />

17 Dulles, Princeps Concordiae.<br />

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