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Muelheimia_Quarterly_#1 2022

Liebe Leser*innen! »Eine Erfolgsstory«, so beschreibt Bezirksbürgermeister Norbert Fuchs die Entwicklung des Mülheimer Nordens auf dem ehemaligen Güterbahnhof. Und meint weiter: »Das lässt der Mülheimer Süden zur Zeit zu wünschen übrig«. Als Nachbarin im Nord-Quartier bin ich erstaunt wie hier die Häuser in den Himmel wachsen. Doch werden sich die Planungen trotz »Zeitenwende«, Inflation, Baustoffmangel, Energiekrise, Krieg – noch erfüllen können? Die Viertel erfahren zur Zeit eine enorme Dynamik: Auf der Berliner Straße gibt es neue Ladenlokale, der Kulturbunker bietet ein vielfältiges Programm und zieht Menschen allen Alters und und aus allen Stadtteilen an. Bei ID/Cologne wird nun auch der Campus bebaut. Es zieht, in das ehemalig für die IHK gebaute Haus, als neuester Mieter die Stadtverwaltung (Abteilungen des Wohnungs- und Schulamtes) ein. Auf die Ecke Keup-/Schanzenstraße wird das NSU Denkmal, so wie seinerzeit juriert, verwirklicht werden. Allerdings als Schlussstein der gesamten Neubebauung an der Keupstraße mit Ladenlokalen, Lebensmittelgeschäft und Wohnungen in den Obergeschossen. Der hinter der Keup- und Genovevastraße gelegen Genovevahof ist noch ein zartes Pflänzchen der Begegnung für die Menschen aus dem Keupviertel und der Genovevastraße. Noch kämpft die Initative Hallo Nachbar gegen wilden Müll und Drogenkonsum. Insgesamt wagen wir es, die Quartiere an Berliner-, Schanzen- und Keupstraße »Neue Mitte Mülheim« zu nennen. Dies geschieht auch in der Hoffnung, dass sie gut zusammenwachsen und ein gemeinsames Gefühl entwickeln. Denn wie schon gesagt: Hier geht (im Vergleich) die Post ab.» Ihre Herausgeberin Eva Rusch

Liebe Leser*innen! »Eine Erfolgsstory«, so beschreibt Bezirksbürgermeister Norbert Fuchs die Entwicklung des Mülheimer Nordens auf dem ehemaligen Güterbahnhof. Und meint weiter: »Das lässt der Mülheimer Süden zur Zeit zu wünschen übrig«. Als Nachbarin im Nord-Quartier bin ich erstaunt wie hier die Häuser in den Himmel wachsen. Doch werden sich die Planungen trotz »Zeitenwende«, Inflation, Baustoffmangel, Energiekrise, Krieg – noch erfüllen können? Die Viertel erfahren zur Zeit eine enorme Dynamik: Auf der Berliner Straße gibt es neue Ladenlokale, der Kulturbunker bietet ein vielfältiges Programm und zieht Menschen allen Alters und und aus allen Stadtteilen an. Bei ID/Cologne wird nun auch der Campus bebaut. Es zieht, in das ehemalig für die IHK gebaute Haus, als neuester Mieter die Stadtverwaltung (Abteilungen des Wohnungs- und Schulamtes) ein. Auf die Ecke Keup-/Schanzenstraße wird das NSU Denkmal, so wie seinerzeit juriert, verwirklicht werden. Allerdings als Schlussstein der gesamten Neubebauung an der Keupstraße mit Ladenlokalen, Lebensmittelgeschäft und Wohnungen in den Obergeschossen. Der hinter der Keup- und Genovevastraße gelegen Genovevahof ist noch ein zartes Pflänzchen der Begegnung für die Menschen aus dem Keupviertel und der Genovevastraße. Noch kämpft die Initative Hallo Nachbar gegen wilden Müll und Drogenkonsum. Insgesamt wagen wir es, die Quartiere an Berliner-, Schanzen- und Keupstraße »Neue Mitte Mülheim« zu nennen. Dies geschieht auch in der Hoffnung, dass sie gut zusammenwachsen und ein gemeinsames Gefühl entwickeln. Denn wie schon gesagt: Hier geht (im Vergleich) die Post ab.» Ihre Herausgeberin Eva Rusch

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Sommer <strong>2022</strong><br />

Mülheimia<br />

Mit<br />

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»Neue Mitte<br />

Mülheim«


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Impressum<br />

Redaktion: Eva Rusch, Vera Sturm<br />

Kulturbunker Köln-Mülheim, Eva Rusch<br />

Anzeigen: anzeigen@muelheimia.koeln<br />

Weitere Autor*innen dieser Ausgabe:<br />

Illustrationen: Eva Rusch, Raven Rusch<br />

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Herausgeberin: icon Kommunikation für<br />

Magdalene Busse und Silke Grimm,<br />

Nachdruckrechte/Lizenzen für Texte, Fotos,<br />

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Inhaberin: Eva Rusch<br />

Marita Odia, Rainer M. Schäfer,<br />

licher Genehmigung der Herausgeberin.<br />

Berliner Straße 67<br />

Charlotte Zapf<br />

Auflage: 1.000, ePaper, Poster<br />

51063 Köln<br />

Cover: Eva Rusch<br />

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V. i. S. d. P.: Eva Rusch<br />

Fotos: Magdalena Busse, Silke Grimm,<br />

Redaktion: redaktion@muelheimia.koeln


3 <strong>#1</strong> <strong>2022</strong> Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales<br />

Editorial<br />

Inhalt<br />

Neue Gastroattraktion im Stadtgarten<br />

Goldene Zeiten? Die Geschichte<br />

der Berliner Straße Seite 4<br />

Keine Bagatelle<br />

Marktplatz der Ideen Seite 5<br />

Liebe Leser*innen!<br />

Marktplatz der Ideen Seite 5<br />

»Eine Erfolgsstory«, so beschreibt<br />

Bezirksbürgermeister Norbert Fuchs<br />

die Entwicklung des Mülheimer<br />

Nordens auf dem ehemaligen Güterbahnhof.<br />

Und meint weiter: »Das<br />

lässt der Mülheimer Süden zur Zeit zu<br />

wünschen übrig«. Als Nachbarin im<br />

Nord-Quartier bin ich erstaunt wie hier<br />

die Häuser in den Himmel wachsen.<br />

Doch werden sich die Planungen trotz<br />

»Zeitenwende«, Inflation, Baustoffmangel,<br />

Energiekrise, Krieg – noch<br />

erfüllen können? Die Viertel erfahren<br />

zur Zeit eine enorme Dynamik: Auf der<br />

Berliner Straße gibt es neue Ladenlokale,<br />

der Kulturbunker bietet ein<br />

vielfältiges Programm und zieht Menschen<br />

allen Alters und und aus allen<br />

Stadtteilen an. Bei ID/Cologne wird nun<br />

auch der Campus bebaut. Es zieht, in<br />

das ehemalig für die IHK gebaute Haus,<br />

als neuester Mieter die Stadtverwaltung<br />

(Abteilungen des Wohnungs- und<br />

Schulamtes) ein.<br />

Auf die Ecke Keup-/Schanzenstraße<br />

wird das NSU Denkmal, so<br />

wie seinerzeit juriert, verwirklicht<br />

werden. Allerdings als Schlussstein<br />

der gesamten Neubebauung an der<br />

Keupstraße mit Ladenlokalen,<br />

Lebensmittelgeschäft und Wohnungen<br />

in den Obergeschossen. Der<br />

hinter der Keup- und Genovevastraße<br />

gelegen Genovevahof ist noch ein<br />

zartes Pflänzchen der Begegnung für<br />

die Menschen aus dem Keupviertel und<br />

der Genovevastraße. Noch kämpft die<br />

Initative Hallo Nachbar gegen wilden<br />

Müll und Drogenkonsum.<br />

Insgesamt wagen wir es, die Quartiere<br />

an Berliner-, Schanzen- und<br />

Keupstraße »Neue Mitte Mülheim«<br />

zu nennen. Dies geschieht auch in der<br />

Hoffnung, dass sie gut zusammenwachsen<br />

und ein gemeinsames Gefühl<br />

entwickeln. Denn wie schon gesagt:<br />

Hier geht (im Vergleich) die Post ab.»<br />

Ihre<br />

Ideas for Cologne Seite 6<br />

Neue Mitte Mülheim, Stadtplan<br />

zum Herausnehmen Seite 8<br />

Kultur für den Stadtteil –<br />

Kulturbunker Köln-Mülheim<br />

Seite 10<br />

Neue Straßennamen braucht<br />

das Land! Seite 13<br />

Keupstraße 2.0 Seite 14<br />

Carslwerk ausgebucht Seite 15<br />

Ansichtssache Quartier Seite 16<br />

Geschichtsträchtig – Jamestown<br />

@ F & G Seite 18<br />

Mülheim: Lasst uns (nicht nur)<br />

über Müll reden. Seite 22<br />

Mülheim: Lasst uns (nicht nur)<br />

über Müll reden. Seite 22<br />

24 h-Müllem-Gastro-Rundgang<br />

Seite 24<br />

von Rainer M. Schäfer<br />

… sondern eine Bereicherung. Das ist<br />

ja mal eine Nachricht gewesen, dass<br />

die Bagatelle aus der Südstadt eine<br />

Freiluftdependance am Mülheimer<br />

Stadtgarten eröffnen wollte. Trotz<br />

Personalengpässen in der Gastronomie<br />

und dem innewohnenden Skepsis<br />

der Mülheimer*innen gegenüber vermeintlichen<br />

Schickiemickie von der<br />

anderen Rheinseite. Und das allerschönste<br />

an dieser Meldung ist,<br />

– es hat geklappt.<br />

Das gastronomische Konzept der<br />

Bagatelle ist ausgeklügelt. Getränke<br />

werden im Selfservice abgeholt, das<br />

Essen an einem Schalter geordert<br />

und an den Tisch gebracht. Es gibt<br />

alles was das Herz begehrt. Leckere<br />

Drinks und bodenständige Speisen<br />

mit Pfiff. Auch ein Sonntagsbrunch<br />

ist im Angebot,- mit Vorbestellung<br />

und kundenfreundlicher Erstattung<br />

bei Regenwetter. Denn die Bagatelle<br />

in Mülheim ist eine Freiluftveranstaltung<br />

mit lauschigen Schattenplätzen<br />

und Blick auf den Mülheimer<br />

Stadtgarten.<br />

Ach, könnte dieser Mülheimer Sommer<br />

doch über den kalendarischen<br />

Eintrag hinaus stattfinden. Es fehlt<br />

doch an vielen Stellen an beherzten<br />

Initiativen zur Bespielung von<br />

öffentlichem Raum auf Plätzen oder<br />

in leerstehenden Ladenlokalen in<br />

Erdgeschossen. Das könnte doch so<br />

schön sein und würde den Sprung<br />

über den Rhein in populäre Szeneviertel<br />

überflüssig machen. Danke<br />

Bagatelle und weiter viel Erfolg in<br />

Mülheim!»<br />

> www.muelheimia.koeln/bagatelle<br />

Ich zeig dir was. Kunstworkshops<br />

Herausgeberin<br />

für Kinder Seite 26


Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales<br />

<strong>#1</strong> <strong>2022</strong> 4<br />

Geschichte der Berliner Straße<br />

Goldene Zeiten?<br />

Die Kundschaft<br />

von Kioskbesitzer<br />

Karadin hängt so sehr<br />

an der goldenen Decke,<br />

dass Karadin doch<br />

nicht renovierte.<br />

von Vera Sturm<br />

Fotos: Eva Rusch<br />

Als ich das erste Mal auf der Berliner<br />

Straße für eine Wohnungsbesichtigung<br />

Seit einem Jahr wohne und arbeite ich<br />

hier und der hohe Altbaubestand hat mich<br />

neugierig gemacht. Wie war Mülheim, als<br />

diese Häuser erbaut wurden? Wer lebte<br />

hier? Die Altbauten veranlassen uns gerne<br />

am Rhein zu Preußens gehörte, benannte<br />

man die Straße nach der Reichshauptstadt.<br />

Unvorstellbar ist es heute, dass früher eine<br />

Straßenbahn über die Berliner Straße fuhr,<br />

an manchen Häusern kann man noch die<br />

war, hatte ich das Gefühl eine Zeitreise ge-<br />

zum Träumen, dabei lebten um die Berliner<br />

alten Befestigungen davon sehen.<br />

macht zu haben. Die breiten Bürgersteige<br />

Straße viele Arbeiter*innen, während die<br />

und die alten Häuser gaben mir das Gefühl<br />

Fabrikbesitzer sich eher auf der Düssel-<br />

Ende des 19. Jahrhunderts wurden auf der<br />

nicht mehr im beengten Köln, sondern in<br />

dorfer Straße eine Villa bauten. Höchst-<br />

Berliner Straße die ersten Häuser gebaut.<br />

einer Großstadt zu Beginn des 20. Jahr-<br />

wahrscheinlich war damals die Luft durch<br />

Die meisten von ihnen sind klassische<br />

hunderts, zu sein. Immer wieder höre ich,<br />

die Fabrik auf der Schanzenstraße oder das<br />

Drei-Fenster-Häuser, die in dieser Form<br />

was es auf der Berliner Straße früher für<br />

Walzwerk am Clevischen Ring schlecht,<br />

erbaut wurden, da ihr Grundriss den Er-<br />

Geschäfte gab und wie stolz die Menschen<br />

das Leben um einiges unhygienischer und<br />

bauer von der Steuer befreite. Auch in<br />

in Mülheim-Nord auf ihr Quartier mit der<br />

der Güterbahnhof an der Markgrafenstraße<br />

anderen ehemaligen Arbeitervierteln wie<br />

großen Kaserne an der Hacketäuerstraße<br />

war nicht zu überhören.<br />

Ehrenfeld oder Nippes findet man diese<br />

waren. Momentan kann man zwischen<br />

Häuser, man könnte sie fast als Reihen-<br />

Friseur, Kiosk und Spielhalle wählen.<br />

Mülheim am Rhein, was war das über-<br />

häuser bezeichnen.<br />

haupt für eine Stadt? 1914 wurde Mülheim<br />

erst ein Teil von Köln und war vorher<br />

Die Recherche für diesen Artikel hat mich<br />

eine eigenständige Stadt, die auf eine fast<br />

zu den Grevens Adressbüchern geführt,<br />

1000jährige Geschichte zurückblicken<br />

die digital einsehbar sind und in denen es<br />

konnte und immer eine große Konkurren-<br />

ein Straßenregister mit Einwohner*innen<br />

tin für Köln war. Im Gegensatz zu Köln<br />

gibt. Teils haben diese Bücher über 1000<br />

gab es dort Religionsfreiheit und später<br />

Seiten, weshalb die Freude um so größer<br />

genügend Platz für die Fabriken, die Mül-<br />

ist, wenn der passende Eintrag gefunden<br />

heim zu einer reichen Stadt machen sollten.<br />

wurde. Wer lebte im 20. Jahrhundert auf<br />

Durch die wachsende Industrie verzehn-<br />

der Berliner Straße? Welche Geschäfte<br />

fachte sich die Stadt von 1850 bis 1914 auf<br />

gab es? Die Mülheimia ist heute in einem<br />

56 000 Einwohner*innen.<br />

Drei-Fenster-Haus in der Nr. 67 beheimatet<br />

und meine Recherche zeigte, dass dort über<br />

Auch damals gab es schon nicht genügend<br />

30 Jahre lang eine Bäckerei war, was man<br />

Wohnraum, weshalb man die Altstadt, die<br />

auch heute noch an der Durchreiche er-<br />

zwischen Rhein und Clevischem Ring liegt,<br />

kennen kann. Direkt neben der Mülheimia<br />

durch die Neustadt-Ost an der Frankfur-<br />

ist heute der Bürgerpark Mülheim, wo vor<br />

ter Straße und die Neustadt-Nord an der<br />

dem Krieg eine Schule stand, was die Form<br />

Berliner Straße erweiterte. Die Berliner<br />

des kleinen Parks erklärt.<br />

Straße war, bevor man mit der Bebauung<br />

anfing, eine Handelsstraße, die bis nach<br />

Kinos waren, bevor man zuhause einen<br />

Dreikaiserhaus auf der<br />

Berliner Straße<br />

Wermelskirchen führte und deshalb Wermelskirchener<br />

Straße hieß. Da Mülheim<br />

Fernseher hatte, sehr beliebt, weshalb<br />

es in der Berliner Straße Nummer 27–29


5 <strong>#1</strong> <strong>2022</strong> Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales<br />

das Kino „Moderne Theater“ gab. Auch der<br />

Schützenverein, der in Mülheim eine lange<br />

Tradition hat, prägte die Berliner Straße. Von<br />

ihr geht die Schützenhofstraße ab und in<br />

den Neubauten, wo heute der Rossmann drin<br />

ist, hatten sie früher ihre Festhalle. Auch der<br />

Marktplatz findet sich in einem Verzeichnis<br />

der Wochenmärkte der Stadt Köln als<br />

„Schützenplatz“. Im Digitalen Historischen<br />

Archiv Köln finden sich Dokumente, aus<br />

denen zu entnehmen ist, dass dort einst eine<br />

Turnhalle mit Gastronomie stand, die die<br />

Stadt von dem Verein erwarb.<br />

An die Zugehörigkeit zur preußischen Rheinprovinz<br />

erinnert auch die Fassade des „Drei<br />

Kaiser Hauses“, Berliner Straße Nr. 46. Vermutlich<br />

wurde das Haus um das Drei Kaiser<br />

Jahr 1888 erbaut, da die drei Kaiser Wilhelm<br />

I., Kaiser Friedrich III. und Kaiser Wilhelm<br />

II. (von unten nach oben) in der Fassade<br />

verewigt sind. Alte Fotos des Hauses zeigen,<br />

dass sich früher im Erdgeschoss eine<br />

Zuckerwarenhandlung befand, die „Gala<br />

Peter“ verkaufte, eine der ersten Vollmilchschokoladen,<br />

die das Milchpulver von Nestlé<br />

verwendete. Heute befindet sich dort schon<br />

lange ein Kiosk, dessen besondere goldene<br />

Decke irgendwie immer noch an Schokolade<br />

erinnert oder eher an Willy Wonka.<br />

Heute verbinden die Kölner*innen mit der<br />

Berliner Straße insbesondere den Kulturbunker,<br />

der als Hochbunker 1943 mitten im<br />

Zweiten Weltkrieg von sowjetischen Zwangsarbeiter*innen<br />

erbaut wurde. Nach dem Krieg<br />

gab es große Unsicherheit, wie mit Bunkern<br />

umgegangen werden sollte, da noch nicht<br />

abzusehen war, ob es bald einen weiteren<br />

Krieg geben würde. In Bunkern lebten deshalb<br />

häufig Obdachlose. Ab 1948 wurde der<br />

Hochbunker ein Hotel mit Gastronomie und<br />

einem großen Saal für Veranstaltungen. Der<br />

Verein Kulturbunker Mülheim e. V. setzte<br />

sich 2000 für seine Erhaltung und Umbau<br />

ein, weshalb er heute unter Denkmalschutz<br />

steht und ein wichtiger Ort für die Mülheimer<br />

Kulturszene ist.»<br />

Kulturbunker Köln-Mülheim<br />

während eines Sommerkonzertes<br />

im Biergarten.<br />

www.muelheimia.koeln/geschichteberlinerstrasse<br />

Ideenwettbewerb<br />

Marktplatz der Ideen<br />

Der Platz an der Berliner Straße heißt Schützenhofplatz<br />

(siehe Artikel). Wir finden den Namen<br />

veraltet und rufen daher zum Namensideenwettbewerb<br />

auf. Und wo wir schon mal dabei sind: Habt<br />

ihr auch Ideen für die Belebung des Platzes, der im<br />

vorderen Teil autofrei ist (oder sein sollte, wenn<br />

das Parkverbot eingehalten werden würde). Also<br />

Raum für deine Ideen. Mach mit!<br />

1. Wie soll der Marktplatz an der<br />

Berliner Straße heißen?<br />

2. Welche Aktivitäten wünscht du dir auf dem<br />

Marktplatz? Wie wird er einladender?<br />

Wir werten eure Einsendungen aus und stellen sie<br />

in der nächsten Ausgabe vor.<br />

Wie wäre es zum<br />

Beispiel mit mobilen<br />

Bäumen mit Sitzgelegeheiten?<br />

Sendet eine E-Mail mit Vorschlägen an:<br />

berliner@muelheimia.koeln<br />

oder besucht unsere Website mit Fragebogen<br />

unter www.muelheimia.koeln/marktplatzideen


Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales<br />

<strong>#1</strong> <strong>2022</strong> 6<br />

Ehemaliger Güterbahnhof wird Zentrum für »New Work«<br />

Ideas for Cologne<br />

In kurzer Zeit wurden<br />

Bauten zwischen<br />

Markgrafenstraße<br />

und Schanzenstraße<br />

fertiggestellt. Der<br />

Schanzenplatz bildet<br />

das Herzstück des<br />

neuen Quartiers.<br />

von Eva Rusch<br />

Zufrieden und auch ein wenig stolz blicken<br />

die beiden Immobilien-Projektentwickler<br />

Holger Kirchhof (Vorstandsmitglied<br />

Osmab Holding AG und Geschäftsführer<br />

der Art-Invest OSMAB Projekt GmbH) und<br />

der Bahn AG. Seitdem kümmert sich Holger<br />

Kirchhof um die Entwicklung des Standortes<br />

zwischen Markgrafenstraße und<br />

Schanzenstraße.<br />

Bürgerinitiativen heckten zuvor und<br />

gleichzeitig Pläne von Quartieren mit<br />

Die von Art-Invest/OSMAB vorgelegten<br />

Ideen zur Quartiersentwicklung sind sicherlich<br />

spannender als ein Hochregallager.<br />

Spricht man jedoch mit Studierenden, so<br />

wünschen sie sich bezahlbaren Wohnraum<br />

und sind mit ihrem Wunsch nicht alleine.<br />

Ein Konflikt der Nutzungsbestimmung, der<br />

Simon Weber (Art-Invest Real Estate) aus<br />

Wohnen und Arbeiten in verschiedenen<br />

immer wieder aufkeimt, wenn man sich<br />

dem Fenster ihrer »Vermarktungslounge«<br />

Werkstattverfahren und Workshops aus.<br />

mit den Planungen an der Schanzenstra-<br />

im 7. Stock. Aus einem roten Bürogebäude<br />

Höhepunkt des bürgerschaftlichen En-<br />

ße beschäftigt. Denn das Gewerbegelände<br />

an der Schanzenstraße gaben die beiden<br />

gagements war die Gegenwehr gegen die<br />

befindet sich zwischen gründerzeitlichen<br />

Auskunft über den Status des ID/Cologne<br />

vorgelegte ZURICH Planung: NO ZURICH.<br />

Wohnquartieren und ehemaligem Indust-<br />

vis à vis und die weiteren Planungen zum<br />

Das darauffolgende Werkstattverfahren rief<br />

riegebiet. Die Transformation vom Indust-<br />

entstehenden Campus mit dem zentralen<br />

2015 Bürger*innen auf den Plan, die sich<br />

rie- zum urbanen Dienstleistungsstandort<br />

Treff »Am alten Güterplatz«.<br />

weiterhin für ein Mischgebiet von Wohnen<br />

ist in den letzten Jahrzehnten vorange-<br />

und Arbeiten einsetzten. Die im Carlswerk<br />

trieben worden. Damals war Wohnungsnot<br />

Blick zurück: Hervorgegangen ist die Pla-<br />

ansässige Industrie (Drahtwerke), aber<br />

noch kein Thema. Nahezu im Stillen haben<br />

nung des ID/Cologne Geländes aus einem<br />

vermutlich auch die Eventlocations an der<br />

Pioniere wie Bernd Odenthal oder Gottfried<br />

städtebaulichen Werkstattverfahren 2015.<br />

Schanzenstraße, wie Palladium und<br />

Eggerbauer gründerzeitliche Industrie-<br />

Bereits zuvor schlossen sich OSMAB und<br />

E-Werk, befürchteten eine Beeinträch-<br />

gebäude zu hippen Büroadressen, Medien-<br />

Art-Invest zusammen, um sich für die<br />

tigung ihrer Geschäftstätigkeit. Es blieb<br />

produktionsstätten oder Eventlocations<br />

Ansiedlung der ZURICH Versicherung zu<br />

bei einer rein gewerblichen Nutzungs-<br />

umgewandelt. Später kam die BEOS mit<br />

bemühen. Der Versicherungskonzern ent-<br />

bestimmung. Aus dem Werkstattverfah-<br />

dem Carlswerk hinzu.<br />

schied sich jedoch für die MesseCity Köln,<br />

ren, damals noch unter dem baukulturell<br />

das Joint Venture blieb bestehen und so<br />

ambitionierten Baudezernenten Franz-Jo-<br />

Heute blicken die Bürger*innen gebannt<br />

entschloss man sich gemeinsam das zur-<br />

sef Höing ausgeführt, ist die heute ver-<br />

auf das hochschnellende ID/Cologne, den<br />

zeit größte Bauvorhaben Kölns für Dienst-<br />

wirklichte Planung »ID/Cologne« entstan-<br />

entstehenden Campus, sowie die Bebauung<br />

leistungsimmobilien anzugehen.<br />

den. Was die Bürgerinitiativen erst später<br />

entlang der Keupstraße. Trotz Corona sind<br />

realisierten: Das weitaus größere Gelände<br />

die fertiggestellten Büros, laut Auskunft von<br />

Holger Kirchhof ist seit Anfang an dabei:<br />

im Norden Mülheims erwarb die OSMAB/<br />

ID/Cologne, nahezu vollvermietet. Die Nach-<br />

»Das ist einfach mein Baby.« Bereits 2013<br />

Art-Invest vom Stahlhändler Drösser, der<br />

frage sei in Köln insgesamt sehr groß, es<br />

kaufte die OSMAB das ehemalige Bahnge-<br />

dort ursprünglich sein Hochregallager ge-<br />

gäbe tatsächlich sogar einen Büroplatzman-<br />

lände von der Aurelis GmbH, einer Tochter<br />

plant hatte.<br />

gel in moderner Qualität, so Simon Weber.


7 <strong>#1</strong> <strong>2022</strong> Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales<br />

Simon Weber kennt<br />

die Planung aus dem<br />

Effeff. Er zeichnet für<br />

uns die bereits realisierten<br />

und geplanten<br />

Gebäude in die<br />

mitgebrachte Karte<br />

ein. Diese wird als<br />

Vorlage nocheinmal<br />

eine Rolle spielen.<br />

Siehe Seite 14-17.<br />

Holger Kirchhof<br />

und Simon Weber<br />

blicken auf den Platz<br />

mit 3D-ID/Cologne<br />

Schriftzug.<br />

Was die Entwickler*innen von ID/Cologne<br />

auszeichnet, ist das Streben nach baulicher<br />

Qualität und Energieeffizienz (LEED-Zertifizierung<br />

mindestens Gold u.ä.) und ein<br />

Bemühen um Aufenthaltsqualitäten. Ein<br />

lebendiges urbanes Quartier soll entstehen,<br />

das auch die Anwohner*innen und<br />

Besucher*innen der Eventlocations nach<br />

Veranstaltungsende anziehen soll. Dafür<br />

lassen sich die Immobilienentwickler*innen<br />

einiges einfallen: Zwei große Plätze<br />

und kleinere Platzsituationen, immer wird<br />

Grün mitgeplant; darüberhinaus eine Pizzeria,<br />

ein Bäckerei Café. Über Asiatisches<br />

bis zum Brauhaus, welches sich Holger<br />

Kirchhof »selbst versprochen hat«, werden<br />

alle Wünsche erfüllt. Spannend ist die<br />

vor kurzem eröffnete Bar im grün verklinkerten<br />

Moxy Hotel (ein echter Hingucker),<br />

die an die Industriegeschichte des Ortes<br />

erinnern möchte.<br />

Auch ist Sport ist wichtiges Thema im<br />

neuen Quartier. Ein modernes Sportstudio<br />

soll kommen und eine Joggingstrecke<br />

rund um den »Am Alten Güterplatz« wird<br />

angelegt. Dieser Platz erhält auch eine<br />

größere Wasserfläche mit Brunnen. Freuen<br />

dürfen sich die Zauneidechsen, deren Fortbestand<br />

durch ein 5 000 m 2 großes Habitat<br />

im hohen Norden des Geländes gesichert ist.<br />

Wie die Bewohner*innen der angrenzenden<br />

Wohnquartiere den neuen Ort als Freizeitangebot<br />

annehmen werden, bleibt zu beobachten.<br />

Umgekehrt hat man den ein oder<br />

anderen Geschäftsmann schon im Rossmann<br />

auf der Berliner Straße gesehen. Beliebt bei<br />

Manager*innen und Student*innen ist der<br />

kleine ASIA HOANG auf der Berliner. Auch<br />

wurde eine Gesellschaft von Siemens<br />

Mitarbeiter*innen im Biergarten des Kulturbunker<br />

gesichtet, die ihr Business Lunch im<br />

mediterranen Café-Restaurant Toré<br />

abgehalten hat.<br />

Zu wünschen ist, dass der ehemalige<br />

Güterbahnhof seiner Scharnierfunktion<br />

für den Mülheimer Norden gerecht werden<br />

wird. Das hängt in erster Linie auch von<br />

den Menschen, die sich trauen, ihr eigenes<br />

Quartier einmal zu verlassen, um das<br />

andere zu entdecken, ab. Hierbei gilt auch,<br />

dass beide Quartiere etwas zu bieten haben<br />

für das jeweilig andere »Klientel« und<br />

keine Verdrängung, sondern Begegnung<br />

stattfindet.<br />

> www.muelheimia.koeln/idcologne<br />

> www.i-d.cologne<br />

Modellbebauung auf dem ehemaligen Güterbahnhof Köln-Mülheim.


Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales<br />

<strong>#1</strong> <strong>2022</strong> 8<br />

Straßen<br />

Landstraßen<br />

ÖPNV Straßenbahn<br />

ÖPNV Bus<br />

Grünflächen<br />

In Planung befindliche Bauten<br />

Gründerzeitliches Wohnen<br />

Industriehistorische Bauten 19. Jhd.<br />

Industriebauten ca. 1970er Jahre<br />

Siedlungsbauten ab 1970er<br />

Historisches Carlswerk<br />

> www.muelheimia.koeln/neuemittemuelheim


9 <strong>#1</strong> <strong>2022</strong> Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales


Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales<br />

<strong>#1</strong> <strong>2022</strong> 10<br />

Kulturbunker Köln-Mülheim<br />

Kultur für den Stadtteil<br />

Sevgi Demirkaya<br />

von Berivan Kaya<br />

Sevgi Demirkaya ist Programmleitende<br />

des Kulturbunkers Köln. Wir trafen sie, um<br />

mit ihr über die Reputation, Herausforderungen<br />

und Rolle des Kulturhauses für den<br />

Stadtteil zu sprechen.<br />

Wer steckt hinter dem Kulturbunker? Wer<br />

stellt das kulturelle Programm auf und<br />

welche Kriterien sind dabei entscheidend?<br />

Ich bin für die Programmgestaltung verantwortlich,<br />

aber nehme auch Vorschläge<br />

aus dem Team und dem Vorstand auf. Bei<br />

der Zusammenstellung des Programms<br />

ist neben der Vielfältigkeit das wichtigste<br />

Kriterium, dass nicht nur etablierte Künstler*innen,<br />

sondern auch Newcomer*innen<br />

die Möglichkeit eines Auftrittes bekommen.<br />

Unser Programm soll offen, demokratiefördernd,<br />

zielgruppengerecht und anspruchsvoll<br />

sein.<br />

Künstler*innen, eine Beziehung auf Augenhöhe<br />

aufzubauen. Unser Programm bildet<br />

die Vielfältigkeit der Gesellschaft ab. Somit<br />

fühlt sich keiner ausgeschlossen. Das erzeugt<br />

eine positive Atmosphäre im ganzen<br />

Haus, was sich auf alle überträgt. Unsere<br />

neuen Pächterinnen im Café tragen viel zu<br />

der positiven Atmosphäre im Haus bei. Sie<br />

sind gute Gastgeberinnen, die versuchen,<br />

die kulinarischen Wünsche der Besucher*innen<br />

und Künstler*innen zu erfüllen.<br />

Berivan Kaya<br />

Der Kulturbunker ist ein gemeinnütziger Verein,<br />

der sich nach mehreren Anläufen in den<br />

90ern zum heutigen Kulturbunker Köln-Mülheim<br />

e. V. entwickelt hat. Entstanden ist der<br />

Kulturbunker aus einer Nachbarschaftsinitivative.<br />

Es gibt einen ehrenamtlichen Vorstand<br />

und nur drei feste Mitarbeiter*innen – meist<br />

in Teilzeit. Die Anforderungen an das Haus<br />

sind mittlerweile mit dem bestehenden Team<br />

kaum zu leisten. Deshalb sind wir dabei neue<br />

interne Strukturen zu entwickeln.<br />

Mülheim ist der größte Stadtteil Kölns, die<br />

Bevölkerung ist sehr vielfältig. Bisher ist<br />

der Kulturbunker das einzige soziokulturelle<br />

Zentrum mit ausschließlich kulturellen<br />

Angeboten. Daher ist es uns wichtig, die<br />

Vielfalt der Gesellschaft in unserem Programm<br />

abzubilden. Beispielsweise kommen<br />

die Musiker*innen und Künstler*innen aus<br />

verschiedenen Genres und haben internationale<br />

Hintergründe.<br />

Der Kulturbunker ist ein Ort von überregionaler<br />

Reputation. Selbst Altın Gün,<br />

die weltweit auf den größten Festivals<br />

spielen, waren vom Charme dieses Ortes<br />

überwältigt und gaben in einer für sie äußerst<br />

kleinen Halle ein exklusives Konzert.<br />

Welche Eigenschaften des Kulturbunkers<br />

überzeugen bekanntere Künstler*innen,<br />

dort aufzutreten, obwohl es in Mülheim<br />

mehrere Veranstaltungshallen gibt, die<br />

mehrere Tausend Besucher*innen fassen?<br />

Wir hören in letzter Zeit immer häufiger<br />

vom Publikum und von den Künstler*innen,<br />

dass sie gerne hier auftreten bzw. Konzerte,<br />

sowie andere Kulturveranstaltungen<br />

bei uns besuchen. Das freut uns natürlich<br />

sehr, weil das eine Anerkennung unserer<br />

Arbeit ist und es uns motiviert, weiterzumachen.<br />

Ich denke der Grund dafür ist, dass<br />

wir es inzwischen geschafft haben, sowohl<br />

mit den Besucher*innen als auch mit den<br />

Im Frühjahr organisierte der Kulturbunker<br />

erstmalig ein alternatives Newroz-<br />

Fest – das Frühlings- und Neujahrsfest<br />

in vielen Regionen des nahen Ostens. Wie<br />

kam die Idee zustande und wie lief es?<br />

Die Idee, im Kulturbunker ein Newroz-Fest<br />

zu feiern, ist spontan mit einigen Künstler*innen<br />

und Besucher*innen entstanden.<br />

Dazu haben wir uns mit freiwilligen Unterstützer*innen<br />

getroffen und innerhalb weniger<br />

Wochen ein alternatives Programm<br />

aufgestellt. Es gab ein Bühnenprogramm<br />

mit Konzerten, Lesungen und einem<br />

Büchertisch. Das Newroz-Feuer durfte<br />

natürlich auch nicht fehlen. Es war ein<br />

rundum gelungenes Fest, an dem Menschen<br />

verschiedenster Kulturen und Hintergründe,<br />

aus Köln und Umgebung, bei schönem<br />

Wetter im Biergarten unseres Cafés<br />

mit traditionellen Gerichten aus den entsprechenden<br />

Regionen teilnahmen.


11 <strong>#1</strong> <strong>2022</strong> Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales<br />

Es tanzten Menschen in Trachten mit<br />

Hipster*innen Hand in Hand Halay, den<br />

türkischen Volkstanz.<br />

Der Kulturbunker bietet ein buntes und<br />

diverses Programm. Kommt es mal vor,<br />

dass Einigen das Programm „zu bunt“ ist?<br />

Wie sind die Reaktionen des Publikums?<br />

Gab es Konflikte bei der Neugestaltung des<br />

Programms?<br />

Das Programm des Kulturbunkers war nie<br />

vielfältiger und diverser als jetzt und wir<br />

hatten noch nie so viel Zuspruch und Publikum<br />

wie aktuell. Das zeigt, dass wir auf dem<br />

richtigen Weg sind. Gerade jetzt versuchen<br />

alle Organisationen mit großem Aufwand<br />

diverser zu werden – wir sind es bereits.<br />

Die Kulturpolitik von Kommune, Land<br />

und Bund, die Dachverbände, wie zum<br />

Beispiel der Bundes- und Landesverband<br />

der Soziokultur oder die kulturpolitische<br />

Gesellschaft, fördern die Diversität und die<br />

Vielfalt in den Kulturzentren. Es ist für viele<br />

Kulturhäuser schwierig, ihr bestehendes<br />

Programm zu ändern und an die gesellschaftlichen<br />

Entwicklungen anzupassen.<br />

Um die Vielfalt der Gesellschaft abzubilden,<br />

ist die Diversität im Teams wichtig. Ausschlaggebend<br />

ist aber die Diversität der<br />

Menschen in Entscheidungs- und Gestaltungspositionen.<br />

Der Kulturbunker ist, was<br />

die Mitarbeiter*innen angeht, ein kleines<br />

Zentrum. Allerdings hat sich das Programm<br />

und Publikum in den letzten sechs Jahren<br />

entwickelt und vervielfältigt. Daher benötigen<br />

wir dringend Verstärkung im Team.<br />

Meine Migrationsgeschichte als Programmleiterin<br />

und Vorstandsmitglied hat<br />

für viele Veranstalter*innen und Künstler*innen<br />

die Türen geöffnet. Ich kann inzwischen<br />

sagen, dass Diversität die Grundlage<br />

unserer Arbeit auf fast allen Ebenen ist.<br />

Und ja, es gab Konflikte, weil das Programm<br />

sowie Publikum sehr bunt und<br />

divers geworden ist. Einige alteingesessene<br />

Mülheimer*innen und Mitglieder haben<br />

sich daran gestört gefühlt und sich bei der<br />

Stadt beschwert. Der Schlichtungsprozess<br />

hat uns viel Kraft gekostet, die wir lieber in<br />

unsere Weiterentwicklung gesteckt hätten.<br />

Glücklicherweise haben uns in dieser Sache<br />

Kommune und Dachverbände Rückendeckung<br />

gegeben. Auf dieser Basis konnten<br />

wir unsere Arbeit fortsetzen.<br />

Ein Großteil der Veranstaltungen (z. B.<br />

die Sommerkonzerte) kann man kostenlos<br />

besuchen. Ich denke, dass dies auch<br />

zur Sozialstruktur des Veedels passt. Der<br />

Kulturbunker wird zwar von der Kommune<br />

gefördert, jedoch hört sich das nach<br />

schwierigen Bedingungen an. Wie schafft<br />

der Kulturbunker das?<br />

Als soziokulturelles Zentrum ist es unser<br />

Ziel und unsere Aufgabe, Kunst und Kultur<br />

für alle Menschen im Stadtteil zugänglich<br />

zu machen. Viele Menschen aus dem Stadtteil<br />

können es sich finanziell nicht leisten,<br />

Kulturveranstaltungen zu besuchen.<br />

Gerade für diese Menschen ist es wichtig,<br />

niederschwellige Veranstaltungen anzubieten,<br />

auch wenn dies aktuell für uns eine<br />

finanzielle Herausforderung darstellt. Die<br />

politische Entwicklung zeigt, wie wichtig<br />

Kunst und Kultur für die Demokratiebildung<br />

und den Zusammenhalt in der Gesellschaft<br />

sind.<br />

Das Haus und die Betriebskosten werden<br />

glücklicherweise von der Kommune übernommen.<br />

Die Kosten für das Personal und<br />

das Programm erwirtschaften wir selbst.<br />

Das sind zwei Drittel der Gesamtausgaben<br />

und somit eine enorme Herausforderung.<br />

Die Summe, die wir selbst erwirtschaften<br />

müssen, ist sehr hoch und abhängig<br />

davon, welche Fördergelder wir beantragen<br />

können. Ein Teil unserer Kosten decken<br />

wir über Vermietungen und Verpachtungen.<br />

Den Hauptteil finanzieren wir über<br />

Projektgelder, die jedes Jahr neu beantragt<br />

werden müssen. Das führt dazu, dass die<br />

Mitarbeiter*innen nicht tariflich bezahlt<br />

werden und die Künstler*innen keine<br />

marktüblichen Honorare bekommen, welche<br />

wichtig für ein gutes, ausgewogenes<br />

Programm sind. Daher stellen wir immer<br />

wieder Projektanträge auf Fördergelder.<br />

Erst nach Bewilligung können wir das<br />

Programm zusammenstellen, weshalb wir<br />

keine Planungssicherheit haben, welche ich<br />

mir jedoch sehr wünschen würde.<br />

Welchen Herausforderungen hat sich der<br />

Kulturbunker erfolgreich gestellt und mit<br />

welchen ist er aktuell konfrontiert?<br />

Wir sind in den letzten Jahren, trotz<br />

finanziellen und personellen Engpässen,<br />

vom Nachbarschaftsverein zu einem<br />

vielbeachteten soziokulturellen Zentrum<br />

gewachsen. Die Zahl der Veranstaltungen<br />

und der Besucher*innen hat sich trotz fast<br />

gleichbleibender Bezahlung und Teamgröße<br />

vervielfältigt. Die schlechte Bezahlung<br />

stellt für das Team eine große Herausforderung<br />

dar, da es dadurch schwierig<br />

ist, qualifizierte Mitarbeiter*innen zu<br />

finden.


Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales <strong>#1</strong> <strong>2022</strong> 12<br />

Und leider sind es immer Frauen, die<br />

schlecht bezahlte Arbeit in den Kulturzentren<br />

annehmen, obwohl diese Zentren teilweise<br />

mehr Menschen erreichen, als die großen<br />

Kultur-Institutionen, wo die Leitung meist<br />

männlich besetzt und entsprechend bezahlt<br />

ist. Einmal mehr führt uns dies die ungleiche<br />

Behandlung und Bezahlung von weiblicher<br />

und männlicher Arbeit vor.<br />

Inzwischen können wir das Aufkommen<br />

der Veranstaltungen und das Interesse vom<br />

Publikum und den Künstler*innen, mit<br />

dem bestehenden Team, kaum mehr bewältigen<br />

und brauchen dringend monetäre<br />

Unterstützung von der Stadt.<br />

Was steht demnächst auf dem Programm<br />

des Kulturbunkers? Welche neuen,<br />

spannenden Projekte wird es geben?<br />

Neben regelmäßigen Konzerten – wie<br />

Sommerkonzerte im Biergarten - mit<br />

Künstler*innen und Bands aus verschiedenen<br />

Genres und Hintergründen, haben<br />

wir Performance-Kunst von lokalen bis<br />

internationalen Künstler*innen. Zuletzt<br />

sind sich im Rahmen von Black Kit – International<br />

Performance Art Archive – auf<br />

dem Marktplatz und anschließend im Saal<br />

zwei Künstler*innen aus Kanada und USA<br />

erstmalig begegnet. Wir haben regelmäßig<br />

Theateraufführungen von freien Ensembles,<br />

die u. a. in Deutsch, Kurdisch, Türkisch,<br />

Armenisch und Bulgarisch stattfinden.<br />

Wir haben auch längerfristige partizipative<br />

Projekte und Projekte für kulturelle<br />

Bildung, wie zuletzt:<br />

· Mülheimer Heimatministerium<br />

· Dein Traum Mülheim (Theater Projekt für<br />

junge Erwachsene)<br />

· Schlag auf Schlag (Jugend Tanzprojekt)<br />

· Urban Gardening (Nachbarschaftsprojekt)<br />

· Schreibwerkstatt<br />

· Dramaturgisches Schreiben (Digitales<br />

Schreibprojekt für junge Erwachsene)<br />

Aktuell läuft unter anderem das vom Bund<br />

geförderte Projekt „Art Base Cologne“ für<br />

Künstler*innen, die bisher wenige Auftrittsmöglichkeiten<br />

und Kontakte im Kulturbetrieb<br />

hatten. Schon jetzt unterstützen<br />

wir viele Künstler*innen, denen unser<br />

Netzwerk und Know How sehr hilft.<br />

Wir haben ein weiteres Projekt in Kooperation<br />

mit Interkultur e. V zur Strukturbildung<br />

innerhalb der Zentren. Hier wollen wir<br />

mit externen Berater*innen, die steigenden<br />

Ansprüche und Herausforderungen an das<br />

Haus und die Mitarbeiter*innen evaluieren<br />

und die Kompetenzen und Verantwortungsbereiche<br />

neu verteilen. Ein weiterer<br />

Themenbereich soll die Vereinsarbeit hinsichtlich<br />

Transparenz und Partizipation<br />

sein. Gemeinsam wollen wir die Stärken<br />

und Kompetenzen beider Häuser schärfen<br />

und bündeln, um für den Stadtteil bedarfsorientierter<br />

handeln zu können.<br />

Im September findet „Beewarenes“ als<br />

Bienenprojekt für Groß und Klein statt.<br />

In verschiedenen Vorträgen, Filmen und<br />

Bastelworkshops wollen wir die Teilnehmer*innen<br />

für die immense Bedeutung der<br />

Biene für unser Ökosystem informieren<br />

und sensibilisieren. Die Idee des Projektes<br />

kam von einem engagierten Vereinsmitglied<br />

und wird durch bezirksorientierte<br />

Mittel finanziert.<br />

Was siehst du als größte Herausforderung<br />

in der nächsten Zeit?<br />

Die größte Herausforderung steht uns<br />

mit der umfänglichen Sanierung des<br />

Kulturbunkers bevor. 2019 haben wir mit<br />

der Kommune ein Sanierungsantrag im<br />

Rahmen des integrierten Stadtentwicklungskonzeptes<br />

„Starke Veedel – Starkes<br />

Köln“ beim Land gestellt. 2020 sollten die<br />

Sanierungsplanungen beginnen und <strong>2022</strong><br />

eigentlich schon beendet sein, aber dann<br />

kam Corona... Ich denke, den Rest muss ich<br />

nicht ausführen. Seitdem warten wir auf die<br />

Sanierung, die sich aufgrund der aktuellen<br />

Situationen immer weiter verzögert. Das<br />

erschwert nochmal unsere Planung.<br />

Wo siehst du den Kulturbunker in zehn<br />

Jahren?<br />

Ich sehe ein modernes, soziokulturelles<br />

Zentrum, wo die Menschen sich auf Augenhöhe<br />

begegnen, Kunst und Kultur genießen,<br />

gestalten, produzieren und sich repräsentieren<br />

können.<br />

Zudem sehe ich hohe Wertschätzung und<br />

ein ausreichendes Budget für die wichtige<br />

Arbeit der Kulturzentren in den Stadtteilen<br />

– nicht zuletzt faire Bezahlung für Mitarbeiter*innen<br />

und Künstler*innen.»<br />

> www.muelheimia.koeln/kulturbunker


13 <strong>#1</strong> <strong>2022</strong><br />

Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales<br />

Umwidmung<br />

Neue Straßennamen braucht das Land!<br />

von Vera Sturm<br />

Kritischer Umgang mit der europäischen Vergangenheit<br />

ist schon lange ein wichtiges Thema.<br />

Häufig braucht es einen gewissen zeitlichen<br />

Abstand, um schwierige Themen gesellschaftlich<br />

aufzuarbeiten. Erst im Juli <strong>2022</strong> wurde entschieden,<br />

dass Kunstobjekte, die Ende des 19. Jahrhunderts<br />

in Nigeria gestohlen wurden und sich<br />

seitdem in Berlin befanden, wieder nach Afrika<br />

zurückkehren.<br />

Besonders Straßennamen und Denkmäler zeugen<br />

bis heute von Imperialismus, Kolonialisierung<br />

und stammen aus der Zeit der Industrialisierung.<br />

Viele Menschen können die Straßennamen nicht<br />

zuordnen und wahrscheinlich interessiert es sie<br />

auch nicht weiter. Und so leben manche unbemerkt<br />

in Straßen, die nach brutalen Feldherren<br />

benannt sind. In Ehrenfeld betrifft das die Wißmannstraße,<br />

die nach Hermann von Wissmann<br />

benannt ist, der im 19. Jahrhundert als Afrikaforscher<br />

einen Aufstand in Ostafrika niederschlug.<br />

Dort gibt es eine Initiative zur Umbenennung und<br />

die Chancen stehen gut, da Berlin und Bochum<br />

ihre Wissmannstraßen bereits losgeworden sind.<br />

Wie sieht das in unserem schönen Mülheim am<br />

Rhein aus? Es fällt auf, dass viele Straßen nach<br />

Städten und Stadtteilen benannt sind und häufig<br />

auch zum beschriebenen Ort führen wie z.B. die<br />

Deutz-Mülheimer Straße einen entweder nach<br />

Deutz oder Mülheim bringt. Ein vielleicht problematischer<br />

Name ist der Wiener Platz, der 1938<br />

umbenannt wurde und vorher Oskar Platz hieß,<br />

nach dem Landrat Oskar Danzier, an den heute<br />

mit der Danzierstraße erinnert wird. Zufälligerweise<br />

nahmen 1938 die Nazis Österreich ein. Ein<br />

anderer Erklärungsansatz möchte den Wiener<br />

Platz mit dem Wiener Kongress 1814 in Verbindung<br />

setzen, auf dem Europa nach dem Sieg<br />

über Napoleon neu sortiert wurde. Naheliegender<br />

wäre noch die engen Handlungsbeziehungen des<br />

Seiden- und Samtstoff Unternehmen der Familie<br />

Andreae aus Mülheim zu Wien. Nichtdestotrotz<br />

hat der Wiener Platz bestimmt manchen Erstbesucher*innen<br />

des Platzes ein wenig Freude bereitet,<br />

als er oder sie feststellte, dass der Wiener<br />

Platz nicht ganz so viel Charme versprüht, wie<br />

die österreichische Hauptstadt, aber das liegt<br />

natürlich auch im Auge des Betrachtenden. Vielleicht<br />

sollte der Platz deshalb auch seinen Namen<br />

behalten, da dieser wahrscheinlich sein kleinstes<br />

Problem ist.<br />

Der brisanteste Straßenname, den wir in<br />

Mülheim haben, ist die Fritz-Lehmann-Straße<br />

in Mülheim-Nord, die vom Clevischen Ring<br />

Richtung Rhein verläuft. Eigentlich wäre es<br />

höchste Zeit einen Antrag auf Namensänderung<br />

zu stellen, da Fritz Lehmann neben seiner<br />

Position als Generaldirektor bei Felten & Guilleaume,<br />

auch Wehrwirtschaftsführer der NSDAP<br />

war und 1941/42 für die Partei im Mülheimer<br />

Rat saß. Ich schlage vor die Straße nach Erwin<br />

Schild zu benennen. Der 102-jährige Rabi wurde<br />

1920 in Mülheim geboren und konnte aus dem<br />

Konzentrationslager in Dachau nach England<br />

fliehen. Dort wurde er erneut verhaftet und nach<br />

Kanada deportiert, wo er schließlich sein Studium<br />

abschloss und seit 1947 als Rabi tätig ist. Schild<br />

schrieb Bücher, lehrte an Universitäten und setzt<br />

sich für den Austausch zwischen den Religionen<br />

ein. Er ist nicht nur Mitglied der Order of Canada,<br />

sondern erhielt auch eine Ehrendoktorwürde<br />

der Universität Osnabrück und das Bundesverdienstkreuz<br />

1. Klasse. Seinen Bezug zu Mülheim<br />

verlor er nie, ging er doch mit dem leidenschaftlichen<br />

Mülheim-Sammler Heinz-Otto Nickolay<br />

zur Schule und besuchte ihn während seiner<br />

Deutschlandbesuche in Mülheim. Auch mit der<br />

Mülheimer Geschichtswerkstatt hat er zusammen<br />

gearbeitet und neben seinen Erinnerungen auch<br />

Fotos bereit gestellt.<br />

Ansonsten erinnern einige Straßennamen an<br />

die gute alte Zeit, als Mülheim noch eine unabhängige<br />

Stadt war und man sich sonntags im<br />

Schützenverein traf und Soldat noch für viele eine<br />

Berufsoption war. Die Hacketäuerstraße, benannt<br />

nach dem Infanterieregiment der Hacketäuer,<br />

die wiederrum eine legendäre Einheit des<br />

preußischen Offizier Otto Christoph von Sparr<br />

war, könnte auch einen neuen Namen vertragen.<br />

Die Legende der Hacketäuer erzählt, dass sie mit<br />

ihren Gewehren auf die Franzosen 1813 eingeschlagen<br />

haben sollen, als die Gewehre durch<br />

Regen unbrauchbar wurden. Dabei riefen sie „Hacke<br />

tau!“ – et geit fort Vaterland“, was so viel wie<br />

„Schlag zu – es geht ums Vaterland“ heißt und<br />

sie zum Sieg geführt haben soll. 1894- 97 erbaute<br />

man in Mülheim-Nord eine 70 000 qm große<br />

Kaserne, in der die Hacketäuer einzogen.<br />

In Mülheim verlor die Kaserne und die Hacketäuer<br />

schnell ihre Bedeutung, als von 4 402 Hacketäuern<br />

gerade mal 200 den Ersten Weltkrieg überlebten.<br />

Mir ist bewusst, dass unsere romantisierten<br />

Industriequartiere und Gründerzeithäuser aus<br />

genau dieser Zeit stammen, als man Feldherren<br />

noch cool fand und gerne an dieses Erbe anschließen<br />

wollte. Heute sind sie nicht mehr Teil<br />

des allgemeinen Geschichtswissens und auch in<br />

der Schule werden sie kaum erwähnt, dabei wäre<br />

Aufklärung über die deutsche Kolonialgeschichte<br />

sehr wichtig, da so rassistische Stereotypen weiter<br />

verbreitet wurden. Vielleicht ist jetzt der richtige<br />

Zeitpunkt sich von diesen Namen zu lösen<br />

und die Stadt ein Stück weit in die heutige Zeit zu<br />

übertragen und einer aufgeklärten Generation zu<br />

übergeben.<br />

Welche Namen könnten die Straßen alternativ<br />

tragen? Euphorisch habe ich meinen Artikel begonnen<br />

und merke, dass das gar nicht so einfach<br />

ist. Ich frage andere Mülheimerinnen und eine<br />

Sammlung entsteht: Hülya Sahin, Box-Weltmeisterin,<br />

Theophanu, byzantische Kaiserin und Köln-<br />

Liebhaberin oder Angelika Hoerle, Dadaistin und<br />

Grafikerin? An dieser Stelle komme ich<br />

nicht weiter und freue mich über Vorschläge<br />

und Anregungen.<br />

Abschließend möchte ich die spanische Dokumentation<br />

„El silencio de otros“ (dt. „Das<br />

Schweigen der Anderen“) empfehlen, die zeigt,<br />

dass Straßennamen alles andere als trivial sind.<br />

Konkret geht es um Menschen, die während der<br />

Diktatur Francos gefoltert und gefangen genommen<br />

wurden und nun in direkter Nähe einer<br />

Madrilener Straße leben, die nach ihrer/m Peiniger*in<br />

benannt ist.»<br />

www.muelheimia.koeln/strassennamen


Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales<br />

#2 <strong>2022</strong> 14<br />

Geschäfte, Wohnungen und NSU Denkmal<br />

Keupstraße 2.0<br />

18.1.2019, Keupstraße.<br />

Der Künstler Ulf Aliminde<br />

zeichnet mit pinkfarbener<br />

Sprühfarbe die<br />

Umrisse des von ihm<br />

entworfenen Denkmals<br />

auf der Keupstraße/Ecke<br />

Schanzenstraße nach.<br />

Foto: Eva Rusch<br />

von Tim Lücke<br />

Der Stadtteil Mülheim ist in Bewegung, soviel<br />

steht fest. Zumindest trifft das auf die baulichen<br />

Maßnahmen in Mülheim zu. Das Carlswerk ist<br />

bereits voll ausgelastet und das I/D Cologne<br />

Gelände nimmt zügig Form an. Firmen, wie<br />

Design Offices oder das Tech-Unternehmen<br />

Cancom haben sich bereits dort angesiedelt. Auf<br />

dem schickem Vorplatz mit Restaurants und<br />

Springbrunnen trifft sich die neue Tech-Elite<br />

Kölns. E-Werk, Palladium und Club Volta sind<br />

direkt um die Ecke und laden dazu ein sich die<br />

strahlend weißen Turnschuhe mal so richtig<br />

schön abzurocken.<br />

südlichsten Teil des ehemaligen Güterbahnhof<br />

Geländes bebauen wird.<br />

Bis spätestens Anfang 2026 soll an der Ecke<br />

Keupstraße/Schanzenstraße ein Gebäudekomplex<br />

entstehen, den Michael Krause, geschäftsführender<br />

Gesellschafter bei Gentes, als »Auftakt« zum<br />

Schanzenviertel, aber auch als „Übergang“ zum<br />

Keupviertel, beschreibt. Eine großzügig geschnittene<br />

Querachse wird die Haltestelle Keupstraße<br />

direkt mit dem Vorplatz des I/D Cologne verbinden.<br />

Geplant ist außerdem, die Mauer, die die Ecke<br />

Keupstraße/Schanzenstraße umgibt, zu entfernen,<br />

um dort zusätzlichen Raum für Fußgänger zu<br />

schaffen.<br />

Ein paar Meter weiter, auf der Keupstraße, sieht<br />

es dann schon wieder ganz anders aus. Auch hier<br />

gibt es viele weiße Turnschuhe, dem anscheinend<br />

universell verbindenden Statussymbol, das<br />

sowohl von Christian Lindner als auch von vierzehnjährigen<br />

Jungs und Mädels auf der »Keup«<br />

geschätzt wird. Aber der Kontrast zwischen dem<br />

neu entstehenden Gelände im Schanzenviertel<br />

und dem Keupviertel ist nur schwer zu leugnen.<br />

Während das Schanzenviertel von Startups,<br />

Franchise Unternehmen und Konzernfilialen<br />

dominiert wird, ist die Keupstraße berühmt für<br />

seine hervorragenden türkischen Restaurants,<br />

sowie eine Vielzahl an Juwelieren und Einzelhandelsgeschäften.<br />

Zudem ist das Keupviertel in<br />

erster Linie ein Wohnviertel.<br />

Aber vielleicht gibt es die Möglichkeit, die beiden<br />

Gebiete zu verbinden und sogar ein konstruktives<br />

Miteinander zwischen diesen zwei doch sehr<br />

unterschiedlichen Quartieren anzustoßen. Genau<br />

das ist das Ziel der Gentes Gruppe, die nun den<br />

Im Erdgeschoss der beiden Gebäude werden Räume<br />

für den Einzelhandel und einen Supermarkt<br />

geschaffen, der die Nahversorgung der Menschen<br />

im umliegenden Gebiet verbessern soll. Der Übergang<br />

zum Keupviertel wird aber vor allem durch<br />

den Bau von zirka 320 neuen Wohnung geschaffen.<br />

Dadurch soll dringend benötigter Wohnraum<br />

entstehen für die Menschen, die in den umliegenden<br />

Gebieten arbeiten, was wiederum zu einer<br />

Verringerung des ohnehin sehr hohen Verkehrsaufkommens<br />

führen soll. Außerdem wird es laut<br />

Michael Krause dazu beitragen, dass auch das<br />

Schanzenviertel nach Geschäftsschluss mit Leben<br />

gefüllt bleibt.<br />

Mit dem Satz: »Im Spiegel der Symbolkraft des<br />

Ortes, gewachsen am Diskurs mit der Nachbarschaft.«<br />

bewirbt die Gentes Gruppe dieses Vorhaben<br />

auf ihrer Webseite. Hört sich erstmal nach<br />

einem schönen Werbeslogan an. Aber tatsächlich<br />

hat sich die Gentes Gruppe mit den Menschen<br />

und der Geschichte der Keupstraße auseinandergesetzt.<br />

Das Ergebnis dieses Austauschs ist, dass<br />

Keupstraße/Schanzenstraße: Es sollen im Erdgeschoss<br />

Ladenlokale, darüber Wohnungen, entstehen. Auf der<br />

Ecke wird das NSU Denkmal Platz finden. Grafik: Gentes<br />

Gentes einen Teil seines Geländes für die Errichtung<br />

des Mahnmals des Nagelbombenattentats<br />

von 2004 auf der Keupstraße zur Verfügung<br />

gestellt hat. Laut Beschluss der Bezirksvertretung<br />

wird dieser Ort als öffentlicher Raum unter dem<br />

Namen »Birlikte Platz« umgewidmet. Die Besucher<br />

können sich dort über ein öffentliches WLAN<br />

wechselnde dokumentarische Filme zum Attentat<br />

und der Problematik von Rassismus in unserer<br />

Gesellschaft anschauen.<br />

Ob das Konzept der Gentes Gruppe aufgeht, wird<br />

sich zeigen müssen. Aber eines ist sicher: Man hat<br />

sich Gedanken gemacht, die Idee ist gut und das<br />

Konzept hat Potential. Nicht nur für das Schanzenviertel,<br />

sondern auch für die Keupstraße und ihre<br />

Umgebung.»<br />

> www.muelheimia.koeln/keup-2-0


15 #2 Oktober 2020 Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales<br />

Bunter Mix wird weiterausgebaut<br />

Carlswerk ausgebucht<br />

Blick aus dem<br />

Carlsgarten auf das<br />

Interim des Schauspiel<br />

Kölns. Die<br />

Blechtrapezhallen<br />

werden hoffentlich<br />

auch nach dem Wegzug<br />

des Schauspiel<br />

Kölns weiterhin eine<br />

kulturelle Nutzung<br />

erfahren.<br />

Foto: Eva Rusch<br />

von Eva Rusch<br />

Seit 2008 entwickelt die BEOS AG erfolgreich<br />

einen großen Teil des historischen Carlswerks zu<br />

einem bunten urbanen Gewerbestandort. Spätestens<br />

mit der Ansiedlung des Schauspiel Köln<br />

in einer ehemaligen Produktionshalle im Jahr<br />

2013 ist das Carlswerk auch ein Kulturort; der von<br />

Mitarbeiter*innen und Schauspieler*innen initiierte<br />

Carlsgarten ein beliebter Begegnungsort.<br />

2018 wurde die BEOS AG von der Swiss Life Asset<br />

Managers Deutschland GmbH übernommen.<br />

Die Pressestelle in Hamburg beantwortete<br />

unsere Fragen.<br />

Welche Mietersturktur ist zur Zeit im Carlswerk<br />

angesiedelt, wieviel Leerstand bzw. Möglichkeiten<br />

gibt es, weitere Unternehmen anzusiedeln?<br />

Insgesamt sind rund 60 Mieter auf den rund<br />

102.000 m 2 des Carlswerk beheimatet. Zu den<br />

Hauptmietern gehören aktuell Bastei Lübbe, Rewe<br />

Digital, die Bühnen der Stadt Köln, Alles gute Live,<br />

Stuntwerk, Poldi Base, NKT, Tesla, Data Group<br />

und Wellnest (die Flächenübergabe findet in<br />

diesem Jahr statt). Zum jetzigen Zeitpunkt liegt<br />

die Leerstandsquote bei 0 Prozent. Ab November<br />

<strong>2022</strong> wird lediglich eine 520 m 2 große Bürofläche<br />

vakant.<br />

Was ist nach dem für 2025/26 erwartenden<br />

Wegzug des Schauspiel Kölns geplant?<br />

Wie bereits in der Vergangenheit denken wir das<br />

Carlswerk laufend neu und prüfen eine Vielzahl<br />

an Möglichkeiten. Sobald hierzu etwas spruchreif<br />

ist, geben wir Ihnen gerne Bescheid.<br />

Welche Konzepte gibt es in Kommunikation mit<br />

der Nachbarschaft zu treten?<br />

Für die Mieter veranstalten wir über das Jahr<br />

verteilt verschiedenste Events und Mietermarketingaktionen,<br />

um im regelmäßigen Austausch<br />

zu bleiben und das Netzwerk weiter auszubauen.<br />

Zudem findet ein bis zweimal jährlich die Unternehmerrunde<br />

statt, damit sich die Mieter zusätzlich<br />

branchenübergreifend verknüpfen können.<br />

Ein Newsletter informiert darüber hinaus über<br />

aktuelle Themen, die die gesamte Nachbarschaft<br />

bewegen. Nachbarschaft, das sind für uns sowohl<br />

die Mieter auf dem Areal, als auch daran angrenzend<br />

und darüber hinaus. Wir selbst sind mit dem<br />

BEOS-Büro im Carlswerk ansässig und stehen daher<br />

ständig in Kontakt zu allen Stakeholdern vor<br />

Ort. Momentan tauschen wir uns mit Entwicklern<br />

in der direkten Nachbarschaft aus, um uns über<br />

Synergien und ungenutzte Potenziale am Standort<br />

zu unterhalten. Gemeinsam mit der Nachbarschaft<br />

wollen und werden wir den Stadtteil noch<br />

attraktiver und bekannter machen.<br />

Ist das Parkhaus neben dem Carlswerk Viktoria<br />

geeignet die Parkplatzsituation rund um die<br />

Keupstraße zu entlasten?<br />

Das Parkhaus ist gut ausgelastet und unserer<br />

Meinung nach für eine Beruhigung des Verkehrs<br />

nur bedingt relevant. Da wir uns bewusst für eine<br />

Öffnung des Areals entschieden haben, ist der<br />

Durchzugsverkehr eine Begleiterscheinung. Wir<br />

planen jedoch verkehrsberuhigende Maßnahmen<br />

mit kurz- bis mittelfristigem Umsetzungshorizont,<br />

um dieses Problem zu unterbinden. Nähere Infos<br />

können wir an dieser Stelle noch nicht geben.<br />

Neuer Begegnungsort mit Hochbeeten entsteht.<br />

Vor dem Purino Restaurant und Moxxa Kaffeerösterei<br />

entsteht ein neuer Platz. Können Sie<br />

näheres dazu sagen?<br />

Auf dem Platz wird eine neue Aufenthaltsfläche<br />

geschaffen, die als Identifikator des Areals<br />

fungieren und die Eingangssituation zusätzlich<br />

aufwerten wird. Farbige Ausstattungselemente<br />

werden die Aufmerksamkeit von Passantinnen<br />

und Passanten schon aus der Ferne anziehen. Der<br />

Platz wird ergänzend zum Carlspark sowohl den<br />

Mieterinnen und Mietern als auch Besucherinnen<br />

und Besuchern als Treffpunkt und Ort des<br />

Austauschs sowie der Erholung dienen. Verschiedenste<br />

Elemente sorgen dabei für eine erhöhte<br />

Aufenthaltsqualität: Ein abgestuftes Holzdeck<br />

lädt zum Verweilen ein, kleine Arbeitsbereiche<br />

mit Outdoor-Sitzgruppen eignen sich für Brainstormings<br />

im Freien, die Mittagspause oder<br />

After-Work-Treffen. Die einzelnen Nutzungen<br />

werden durch Hochbeete mit insektenfreundlichen<br />

Gräser- und Staudenbepflanzungen und<br />

einer lockeren Baumstellung leicht separiert.»<br />

> www.muelheimia.koeln/carlswerk


Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales<br />

#2 Oktober 2020 16<br />

Eine Stadtteilkarte entsteht bei der 11. Mülheimer Nacht <strong>2022</strong><br />

Ansichtssache Quartier


17 #2 Oktober 2020 Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales<br />

von Charlotte Zapfe<br />

Der Clevische Ring als laute Autorennbahn.<br />

Die bedrohten Bäume im<br />

Hinterhof meiner Wohnung, die<br />

ich ungern gegen eine Baustelle<br />

eintauschen möchte. Oder der Neptunplatz,<br />

wo wir donnerstags gerne<br />

anstoßen. So sehe ich Mülheim für<br />

gewöhnlich. Und du? — Das fragte<br />

das Team von icon design seine<br />

Passantinnen am Abend der<br />

11. Mülheimer Nacht <strong>2022</strong>.<br />

Wenn man als Zugezogene an Mülheim<br />

denkt, ist es vielleicht einfach,<br />

sich erstmal über dieses und<br />

jenes, hier Müll oder dort Lärm, zu<br />

beschweren. Aber in einer so lockeren<br />

und feierlichen Atmosphäre<br />

wie man sie in der Mülheimer Nacht<br />

erlebt, kamen mir die Besorgnisse<br />

des alltäglichen Lebens erst zum<br />

Schluss in den Sinn.<br />

Mit einem Glas Wein zur Hand und<br />

einer großen Karte im Fenster, die<br />

auch bisher unbekannte Straßenecken,<br />

Grünflächen, und Projekte<br />

offenbarte, sah ich Mülheim fast wie<br />

auf den ersten Blick.<br />

Denn wer wusste schon, dass ich<br />

bald zahlreiche Eidechsen als Nachbarn<br />

haben würde? Und nicht nur<br />

ihnen ist das Quartier ein Zuhause.<br />

Luzi brach hier ihr Fasten, Chad<br />

fand aus Kanada seinen Weg hierher,<br />

und Eva bewirtete uns alle auf dem<br />

Bürgersteig der Berliner Straße.<br />

Durch die Augen der Menschen um<br />

mich herum gesehen, ist Mülheim<br />

vielfältig, paradox, und schält sich<br />

ebenso beständig aus seiner alten<br />

Haut wie die freundlichen Reptilien<br />

von nebenan.<br />

Ich habe an diesem Abend wieder<br />

gelernt, dass Mülheim ist, was man<br />

aus Mülheim macht. Also lasst es<br />

uns nicht zur Müllhalde machen,<br />

sondern lieber zum Freibad, oder<br />

zu einem 7 qkm Habitat für tolle<br />

Menschen (und Echsen).<br />

Zum Schluss nur noch eine Erinnerung:<br />

Das schönste und wichtigste,<br />

was uns unser Mülheim zu bieten<br />

hat, ist »Das Miteinander Solidarität<br />

zeigen!!!«<br />

> www.muelheimia.koeln/mitmachmap


Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales<br />

<strong>#1</strong> <strong>2022</strong> 18<br />

F & G Verwaltungsgebäude bekommen ein Update<br />

Geschichtsträchtig<br />

Foto: Eva Rusch


19 <strong>#1</strong> <strong>2022</strong> Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales<br />

Chelsea Market, New York. Foto: Colin Miller<br />

Sebastian Kahl in der Schanzenstraße 22. Foto: Sonja Niemeier<br />

Sebastian Kahl (Jamestown) im Interview mit Eva Rusch (Mülheimia<br />

<strong>Quarterly</strong>) zum Erwerb der historischen Liegenschaften der Felten &<br />

Guilleaume (F & G) an der Schanzenstraße in Köln-Mülheim<br />

Jamestown wurde 1983 vom Kölner Unternehmer Christoph Kahl gegründet<br />

und ermöglicht deutschen Privatanlegern den Erwerb von Immobilienanteilen<br />

in den USA. Seit 2019 ist Jamestown auch in Europa aktiv und hat Ende<br />

2020 die Schanzenstraße 22, 24 und 28 erworben. Es handelt sich insgesamt<br />

um knapp 35.000 Quadratmeter, in erster Linie Büroflächen. Mülheimia hat<br />

Sebastian Kahl in der Schanzenstraße 22 zum Interview getroffen.<br />

Sebastian Kahl studierte BWL und Finance an der Universität zu Köln. Nach<br />

seinem Abschluss stieg er bei Jamestown als Asset Manager für die Liegenschaften<br />

in Köln-Mülheim ein. Das Gespräch drehte sich um Pläne und<br />

Visionen auf der Schanzenstraße, aber auch um die Sorge, dass die neuen<br />

Entwicklungen am Standort die Gentrifizierung vorantreibe und die alte Bevölkerung<br />

und Geschäftsleute isoliere.<br />

ER: Guten Tag Herr Kahl. In Ihrer Unternehmensdarstellung schreiben Sie<br />

von einem Konzept, das Jamestown entwickelt hat und auch in Europa anwenden<br />

möchte. Da bin ich neugierig. Was ist damit gemeint?<br />

SK: Wir haben in den vergangenen 15 bis 20 Jahren viel Erfahrung mit Revitalisierungsprojekten<br />

in den USA gesammelt, die wir nun auch in Europa<br />

nutzen möchten. Dabei handelt es sich häufig um ehemalige Industrieareale<br />

aus der Gründerzeit oder auch Hafengebäude und Lagerhäuser. Oft liegen sie<br />

brach, weil sie zum Beispiel im städtischen Eigentum liegen und keiner eine<br />

richtige Idee hat, was man damit machen kann. Unser Ansatz ist es, diese<br />

verlassenen Gebäude neu zu entwickeln, neu zu denken und in die heutige<br />

Zeit zu überführen. Dabei reißen wir die alten Gebäude, die häufig eine bedeutende<br />

Historie haben, nicht ab. Bei vielen Objekten wäre es viel einfacher<br />

das Gebäude »platt zu machen« und neu zu bebauen. Denn da hat man<br />

eine gewisse Kostensicherheit. Wir lieben es jedoch, diesen Industriecharme<br />

wieder zum Leben zu erwecken. Im Grunde genommen muss man für solche<br />

Projekte, einen ganzheitlichen Ansatz haben. Dieser setzt sich aus verschiedenen<br />

Herangehensweisen zusammen.<br />

ER: Welche Aspekte gehörten zu diesem ganzheitlichen Ansatz?<br />

SK: Wir haben als Anspruch, nicht nur eine Aneinanderreihung von Gebäuden<br />

zu entwickeln, sondern einen lebendigen Standort zu schaffen. Dafür<br />

ist es wichtig, dass die Projekte eine Bereicherung für alle darstellen. Dazu<br />

streben wir einen individuellen Mieter-Mix an, der zum Standort passt und<br />

beziehen die Kommunen und die Nachbarschaft mit ein.<br />

Bei Chelsea Market in New York haben wir beispielsweise an Menschen aus<br />

einkommensschwächeren Nachbarschaften Praktika bei Unternehmen vermittelt,<br />

die bei uns Mieter waren. Um so den Austausch herzustellen, und<br />

soziale Barrieren abzubauen.<br />

Ein sehr wichtiger Aspekt ist außerdem die gewachsene Historie, z. B. hier<br />

die Geschichte von Felten & Guilleaume, zu berücksichtigen. Mit der muss<br />

man sich erst mal beschäftigen. Wir respektieren die Historie des Standortes<br />

und versuchen diese zu integrieren. Das äußert sich dann darin, dass<br />

wir in unseren Objekten häufig historische Elemente ausstellen. Das können<br />

z. B. alte Maschinen sein, die wir dann ausstellen, um den Mietern und Besuchern<br />

die Geschichte des Standorts zu erzählen. Die Gebäude sind ja schon<br />

wesentlich länger da als wir alle und hatten bzw. haben häufig auch eine<br />

große Bedeutung für die Nachbarschaft. Dadurch, dass man die Historie ins<br />

Konzept integriert und die Gebäude »wachküsst« bleibt bei vielen Menschen<br />

aus der Nachbarschaft die Identifikation mit den Gebäuden erhalten.<br />

ER: Sie haben eben den „Mietermix“ angesprochen. Welche Mieterschaft<br />

streben Sie an? Der Kiosk hier hat mich überrascht, der ist dann aber Teil<br />

dieses Konzepts?<br />

SK: Grundsätzlich streben wir eine gemischte Nutzung an. Das äußert sich<br />

bei uns meistens darin, dass wir im Erdgeschoss Gastronomiekonzepte und<br />

kulturelle Angebote mit einbauen. In den Geschossen darüber sind dann<br />

Büros oder auch Wohnungen angesiedelt. Dieser Mix befruchtet sich gegenseitig;<br />

die Büro- und Wohnungsmieter haben kurze Wege zu gastronomischem<br />

und kulturellem Angebot und die Betreiber der Restaurants haben<br />

einen gewissen Kundenstamm, der von vornherein im Gebäude ist. So findet<br />

ein Austausch statt und es entwickelt sich eine eigene Dynamik.<br />

Bei unseren Gebäuden in der Schanzenstraße ist das gastronomische Angebot<br />

noch sehr limitiert. Wir sind froh, dass wir zumindest den Kiosk haben, der<br />

unsere Mieter und die Nachbarschaft versorgt. Wir haben zusammen mit dem<br />

Betreiber kürzlich die Außenflächen des Kiosks neu gestaltet und mit neuen<br />

Möbeln ausgestattet. Neue Pflanzen und Lichterketten sollen bald noch folgen.<br />

ER: Was ist Ihnen bei ihren Mieter*innen aus dem gastronomischen<br />

Bereich wichtig? Wie wählen Sie sie aus?<br />

SK: Wir versuchen gerade bei den gastronomischen Angeboten nur einzigartige<br />

Konzepte zu gewinnen, was häufig über lokale und familiengeführte<br />

Gastronomien möglich ist. Bei uns im Portfolio finden Sie kaum große<br />

Gastronomieketten. Denn da wäre es völlig egal, ob ich in Köln-Mülheim<br />

oder Rio de Janeiro bin, der McDonalds sieht von innen immer gleich aus.<br />

Wir wollen Orte schaffen, die einzigartig sind. Und das kann man nur, wenn<br />

man lokale, abwechslungsreiche Konzepte integriert. Das ist ein wichtiges<br />

Puzzleteil im Gesamtkonstrukt.<br />

ER: Das es nicht ab 17 Uhr geisterhaft wird und nichts mehr los ist?<br />

SK: Genau. Das ist häufig in reinen Büroquartieren der Fall. Dann ist nachts<br />

oder am Wochenende niemand da. Wir streben eine Aktivierung an, die<br />

länger dauert als ein Bürotag. Ziel ist es, ein lebendiger Standort zu sein.


Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales<br />

Sommer <strong>2022</strong> 20<br />

Ehemalige Verwaltungsgebäude von F & G an der Schanzenstraße in Köln-Mülheim.<br />

Beliebter Treff für Mitarbeitende und Studierende an der Schanzenstraße ist das caffe kiosk. Foto:<br />

Eva Rusch<br />

ER: Nun zurück zu unserem Quartier: Was möchten Sie in der Schanzenstraße<br />

investieren? Welche Neuerungen erwarten uns? Ich habe schon gehört,<br />

dass hier hinter im Hof etwas gemacht wird.<br />

SK: Die Voreigentümer haben schon einen beeindruckenden Job gemacht<br />

und das Quartier von einem Industrieareal in ein Medienzentrum entwickelt.<br />

Wir setzen jetzt unseren Fokus darauf, dass wir unseren aktiven<br />

Managementansatz einbringen. Das bedeutet, dass ein gewisses Programm<br />

für unsere Mieter in Form von kostenlosen Yogastunden oder auch Sportstunden<br />

anbieten. Der Schanzenstraße art club ist ein weiteres Beispiel, hier<br />

organisieren wir Führungen durch die Flora oder durch Museen. Unsere<br />

Mieter können sich hier einfach anmelden und kostenlos teilnehmen. Das<br />

sehen wir als Mehrwert für unsere Mieter an.<br />

ER: Was bieten Sie ihren Mieter*innen außerdem?<br />

SK: Wir sind dabei die Allgemeinflächen neu zu gestalten. Zum Beispiel<br />

den Innenhof des Gebäudes, in der die ifs, das CGL oder Radio Köln Mieter<br />

sind. Hier kommt im Herbst ein neues Pflanzen- und Farbkonzept und wir<br />

schaffen zusätzliche Aufenthaltsflächen. Wir wollen, dass sich unsere Mieter<br />

wohl fühlen und dazu gehört eben auch, dass das nicht nur auf der eigenen<br />

Mietflächen stattfindet, sondern auch auf den Allgemeinflächen. Hier in der<br />

Schanzenstraße 22 haben wir kürzlich eine Mieterlounge eingerichtet und<br />

mit unseren »Schäl Sick Motiven« dekoriert. In den nächsten zwei bis drei<br />

Jahren werden wir in denkmalgerechte Fassadensanierung und Dachsanierung<br />

investieren. Da sind die Gebäude doch etwas in die Jahre gekommen.<br />

SK: Man kann das so und so sehen. Persönlich finde ich es wichtig, dass<br />

Eigentümer ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden und dazu gehört<br />

auch, dass man die Wohnbevölkerung nicht mit absurd hohen Mieten vertreibt.<br />

ER: Gut, da gibt es das Mittel der Sozialen Erhaltungssatzung und da gibt es<br />

auch das Mittel der Vermieter*in und der Hausbesitzer*in zu sagen: »Jetzt<br />

dreh mal nicht durch mit deinen Renditevorstellungen.«<br />

SK: Ich bin kein Fan von Extremen. Wenn man extreme Regeln fährt,<br />

dann hat man meist extreme Auswirkungen in die eine oder in die andere<br />

Richtung. Ich bin davon überzeugt, dass es nur miteinander geht. Am Ende<br />

muss man als Vermieter ein Gespür dafür haben, was eine Miete für jeden<br />

Einzelnen bedeutet und man sollte nicht auf dem Mond leben. Zeitgleich ist<br />

es auch klar, dass man es von einer »Fünf-Euro«-Miete schwer hat, ein Gebäude<br />

in Stand zu halten und energetische Sanierungen durchzuführen. Da<br />

muss man einen Mittelweg finden.<br />

ER: Haben sie schon konkrete Ideen für ein Engagement, das der sozialen<br />

Verantwortung gerecht wird? Gibt es Ansätze?<br />

SK: Wir haben u. a. mit dem Don-Bosco-Club vereinbart, dass wir ihn unterstützen.<br />

Konkret: Sie wollten einen Musikraum renovieren und wir haben<br />

zugesagt die Mittel dafür zur Verfügung zu stellen. Das ist eine der Initiativen<br />

und wir wollen unsere Tätigkeiten nicht nur auf Mülheim beschränken.<br />

Wir unterstützen beispielsweise auch den Kölner Kulturpreis.<br />

ER: Ihr Gelände ist in direkter Nachbarschaft zum »ehemaligen Güterbahnhof«<br />

und liegt in der Mitte von den gemischten Quartieren um die<br />

Berliner Straße und Keupstraße. Wie schätzen Sie die Entwicklung dieser<br />

umgebenden Quartiere ein? Was wünschen Sie sich?<br />

SK: Also ich persönlich wünsche mir, dass sich das Gewerbequartier und<br />

die Wohnviertel nicht im Kontrast entwickeln. Ich glaube es ist wichtig,<br />

dass der Gewerbestandort hier, der derzeit nur durch Gewerbe geprägt ist,<br />

auch spannend bleibt für die Wohnbevölkerung drum herum. Gleichzeitig<br />

wünsche ich mir, dass sich alle hier am Gewerbestandort – wir miteingeschlossen<br />

– ihrer gesellschaftlichen Verantwortung als Immobilienentwickler<br />

bewusst sind. Wir müssen alle einen Beitrag dazu leisten, dass es<br />

nicht zu einer Segregation zwischen prosperierendem Gewerbestandort und<br />

den umliegenden Wohnquartieren kommt. Spannend ist in diesem Kontext<br />

die Erhaltungssatzung im Gebiet Mülheim Süd-West, die die Stadt Köln im<br />

März verabschiedet hat. Es bleibt abzuwarten, ob sie sich bewährt und ob<br />

sie auch hier in Mülheim-Nord ein Mittel sein kann, um die soziale Balance<br />

zu sichern.<br />

ER: Die finden Sie also gar nicht so schlecht? Manche sind völlig dagegen<br />

und sagen, das blockiere alles.<br />

ER: Zu den Themen Nachhaltigkeit, Energieeffizienz, Klimawandel. Da<br />

nimmt die Immobilienwirtschaft eine wichtige Rolle ein. Nun arbeiten Sie<br />

im Bestand, das ist schon mal gut, aber ich denke auch solch ältere Häuser<br />

haben ihre Tücken. Haben sie bestimmte Konzepte, was sich in einer Bestandsimmobilie<br />

verbessern lässt?<br />

SK: Sie haben das völlig richtig erkannt. Es ist auf der einen Seite gut, dass<br />

wir mit Bestand arbeiten. Dadurch, dass wir nicht neu bauen, verursachen wir<br />

keine zusätzlichen CO2-Emissionen, die im Neubau heute häufig noch anfallen.<br />

Aber: Damals, als die Gebäude gebaut wurden, hatte man mit Klimaschutz<br />

noch nicht so viel am Hut. Daher ist es wirklich eine Herausforderung,<br />

ältere Bestandsgebäude wie hier an der Schanzenstrasse energetisch zu optimieren.<br />

Durch Energie-Monitoring, Sensoren und die richtige Zählerstruktur,<br />

sehen wir erst, was eigentlich im Gebäude passiert. Diese Datenbasis zu<br />

haben, ist Voraussetzung dafür, dass man auch etwas verbessern kann.<br />

Ein weiterer ganz wichtiger Punkt sind Modernisierungsmaßnamen. Mit<br />

den geplanten Investitionen in die Dach-, Fenster- und Fassadensanierung,<br />

werden wir auch zusätzliche Wärmedämmung mit anbringen. Wir überlegen<br />

zudem eine Photovoltaikanlage auf dem Dach zu installieren. Eventuell<br />

lassen sich Teile des Daches auch als begrünte Flächen gestalten. Dazu<br />

kommen zusätzlich Themen wie Mobilitätskonzepte und E-Ladeplätze. Wir


21 #2 Oktober 2020 Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales<br />

Studierende und Lehrende des Cologne Game Lab in der Schanzenstraße treffen sich am Neptunplatz. Foto: Eva Rusch<br />

haben auch eine Studie zum Entsorgungskonzept gemacht, sodass bspw. der<br />

Abhol-Turnus der Müllabfuhr so optimiert wird, dass sie nur kommt, wenn<br />

die Mülltonnen voll sind.<br />

ER: Das sind wichtige Standort-Themen: Gemeinsame Interessen auszuloten,<br />

auch zum Beispiel mit den Geschäftsleuten der Keupstraße. Jetzt haben<br />

wir noch den Ausblick. Hat Jamestown noch weitere Pläne, speziell hier im<br />

Rechtsrheinischen?<br />

ER: Wie ist mit der Zusammenarbeit mit den Immobilienentwicklungsgesellschaften<br />

hier vor Ort bestellt, zum Beispiel mit der BEOS oder ID/<br />

Cologne? Gibt es Chancen, dass z. B. die Verkehrssituation verbessert wird,<br />

gerade auch bei großen Events. Gibt es Überlegungen, gemeinsam zu agieren<br />

und zu kommunizieren?<br />

SK: Nachbarschaft bedeutet für uns auch, dass wir uns mit den anderen<br />

Akteuren vor Ort austauschen. Wir machen das insbesondere mit der Art-<br />

Invest. Die Yogastunden für unsere Mieter haben wir gemeinsam organisiert.<br />

Wir stehen im regelmäßigen Austausch und haben das Ziel, eine Art Nachbarschaftsstammtisch<br />

einzurichten. Themen, die uns alle betreffen, u. a.<br />

auch Mobilität, diskutieren wir ebenfalls gemeinsam. Zusammen können<br />

wir mehr bewegen als jeder einzelne. Neben Art-Invest sind wir auch mit<br />

der BEOS und mit Gentes im Austausch und haben ebenfalls einen guten<br />

Draht zu den weiteren Akteuren im Quartier.<br />

SK: Es ist kein Zufall, dass wir unser erstes Objekt in Köln auf der Schälsick<br />

gekauft haben und nicht in der Innenstadt. Der Industriebestand auf der<br />

rechen Rheinseite ist wirklich faszinierend. Das ist ja genau unser Immobilientyp.<br />

Wir hatten letztes Jahr versucht, das KHD Areal an der Deutz-Mülheimer<br />

Straße zu erwerben, aber da hat die Stadt Köln ihr Vorkaufsrecht genutzt.<br />

Dennoch haben wir weitere Pläne für die rechte Rheinseite, da es hier<br />

einen Bestand an Gebäuden gibt, die unserem Anforderungstyp entsprechen.<br />

Ich bin mir sicher, dass es da noch weiter Möglichkeiten geben wird.<br />

ER: Herzlichen Dank!<br />

> www.muelheimia.koeln/jamestown


Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales<br />

#2 Oktober 2020 22<br />

Beobachtungen<br />

Mülheim: Lasst uns (nicht<br />

nur) über Müll reden.<br />

von Marita Odia<br />

Fotos: Eva Rusch<br />

Mülheim im Sommer <strong>2022</strong>. Kommt es mir<br />

nur so vor, oder gibt es vor meiner Tür<br />

mehr Müll als früher? Wie sieht der Bürgersteig<br />

vor meiner Haustür aus? Warum<br />

hängt der Papierkorb an der nächsten<br />

Straßenkreuzung nicht mehr? Ich müsste<br />

vor der Haustür mal gründlich sauber<br />

machen …<br />

Während der Sommerferien ist Köln-Mülheim<br />

gefühlt immer ein wenig ruhiger als<br />

sonst. Weniger Menschen, die vom Bahnhof<br />

zur Arbeit eilen. Und zurück. Keine<br />

Kinder auf dem Schulweg, kaum Fans auf<br />

dem Weg in die Schanzenstraße. Weniger<br />

Autos, mehr freie Parkplätze. Zeit, durch<br />

die Straßen zu schlendern. Der Blick wandert<br />

und entdeckt bisher Ungesehenes. Es<br />

liegt ganz schön viel Müll an den Straßenecken,<br />

in Vorgärten, in der Ecke eines<br />

privaten Parkplatzes liegt ein barock geschwungener,<br />

gepolsterter Sessel, fast von<br />

Grün überwuchert. Mehr als zuvor? Kann<br />

ich nicht sagen. Über die Montanusstraße<br />

auf die Mündelstraße an der Mauer des<br />

evangelischen Friedhofes vorbei, dann am<br />

kleinen Park mit den gut genutzten Sitzmöglichkeiten<br />

über die Ampel, am Hochhaus<br />

vorbei auf die Genovevastraße. Ein<br />

Fußweg biegt ab an der Genovevaschule<br />

vorbei Richtung Keupstraße. Plastikbecher,<br />

Papiertüten, Flaschen auf dem Weg zum<br />

Schulparkplatz. Dahinter: Eine kleine Oase<br />

im Grün. Menschen spielen Boule auf dem<br />

Platz. Kleine Beete sind angelegt mit Grün.<br />

Warum sind manche Ecken im öffentlichen<br />

Raum so gruselig, warum fallen sie mal<br />

ins Auge und mal nicht?<br />

Ich wollte nie so werden wie meine Oma,<br />

die sich tagelang aufregen konnte, wenn<br />

Menschen ihren Müll einfach achtlos<br />

wegwarfen. Vergangene Woche habe ich<br />

mich dabei erwischt, wie ich einen gut gelaunten<br />

Jugendlichen angeschnauzt habe,<br />

der seinen Müll vor unsere Haustür warf.<br />

Richtig laut, damit es peinlich ist und die<br />

Jugendlichen auf der anderen Straßenseite<br />

es mitbekommen. „Soll ich etwa den<br />

Müll aufheben, den Du auf meine Treppe<br />

geworfen hast?“ In diesem Moment hat das<br />

Spaß gemacht. Der Junge hat genervt mit<br />

den Augen gerollt und ist wortlos weiter<br />

gegangen. Wäre dies eine Chance zum<br />

Gespräch gewesen: Ich habe sie auf jeden<br />

Fall vertan.<br />

„Ich möchte es ein bisschen sauberer<br />

haben.“<br />

Micha Becker ganz in der Nähe der Berliner<br />

Straße. Dort ist er allseits bekannt, denn<br />

„Micha“ räumt die Straße sauber. Wir haben<br />

uns am Kulturbunker verabredet. Von<br />

dort sind es rund 250 Meter bis zu einer<br />

Bäckerei, in der wir einen Kaffee trinken<br />

wollen. Auf diesem kurzen Weg scannt<br />

Micha mit den Augen die Straße, den<br />

Bürgersteig, die Beete. Bückt sich nach<br />

rechts und links, sammelt in 30 Sekunden<br />

zwei Dosen und zwei Flaschen. Wechselt<br />

die Straßenseite, stellt das Leergut ganz<br />

selbstverständlich im Büdchen ab. Kein<br />

Papierchen bleibt liegen. Er macht keine<br />

Pause, er kann nicht aufhören, den Müll<br />

von der Straße zu sammeln. Micha trinkt<br />

seinen Kaffee gern mit Zucker. Achtet darauf,<br />

dass die Zuckertütchen nicht herunterfallen.<br />

„Ich kann mir nix dafür kaufen,“<br />

kommentiert er seine Müll-Leidenschaft<br />

Eine bekannte Persönlichkeit im Stadtteil: »Micha«<br />

räumt die Straßen von Mülheim auf.<br />

am Kaffeetisch. Und: „Ich möchte Vorbild<br />

sein.“ Der Müll nervt ihn. Wenn er Fragen<br />

stellt, kann man darauf immer nur eine<br />

– die richtige – Antwort geben: „Welches<br />

Kind spielt gern im Müll?“ Kein Kind<br />

spielt gern im Müll. Eltern lassen ihre


23 #2 Oktober 2020 Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales<br />

Dort, wo die Menschen<br />

auf diesem<br />

Bild gärtnern und<br />

laufen, lagen zuletzt<br />

große, achtlos aufgehäufte<br />

Müllberge.<br />

Immer wieder. Die<br />

frisch angelegten<br />

Beete und Hinweise<br />

auf Plakaten haben<br />

tatsächlich dazu beigetragen,<br />

dass dieser<br />

Ort weniger vermüllt<br />

wird.<br />

Kinder auch nicht gern im Müll spielen.<br />

Und trotzdem liegt viel rum. Aus seiner<br />

langjährigen Beschäftigung bei den Kölner<br />

Abfallwirtschaftsbetrieben (AWB) erläutert<br />

er: 650 Kilogramm Müll fallen pro<br />

Person und Jahr bei der AWB an. Es gefällt<br />

Micha, wenn man ihn als Heinzelmännchen<br />

bezeichnet. Jemanden, der hilfsbereit<br />

ist, ohne etwas dafür zu wollen. Er erzählt<br />

aus seiner Jugend. Eigentlich ist er ein<br />

Naturmensch, aufgewachsen in Ostwestfalen<br />

auf dem Bauernhof der Großeltern.<br />

Zu sozialem Verhalten erzogen. Micha hilft<br />

gern. Räumt Müll weg, wenn er darum gebeten<br />

wird. Eine Frage bleibt offen: Warum<br />

Menschen Müll aus dem Fenster oder vor<br />

die Tür werfen, statt ihn in die Tonne zu<br />

packen, ist für ihn (wie für viele andere<br />

Menschen auch) ein Rätsel.<br />

Es gibt eine Menge einfache Antworten<br />

auf die Frage von Micha. Aber sie liefern<br />

keine echte Lösung. Zum Beispiel eine, die<br />

ich in den vergangenen Monaten häufig<br />

hinter vorgehaltener Hand gehört habe:<br />

„Man darf das ja nicht laut sagen, aber ich<br />

meine, es sind die…“ - und dann kommt<br />

je nach Perspektive eine andere, mit den<br />

eigenen Vorurteilen reichlich beladene<br />

Bevölkerungsgruppe, die im Viertel lebt.<br />

Hauptsache schwach oder noch schwächer.<br />

Die Sinti, die Bulgaren, die Obdachlosen…<br />

meine Oma hätte vor 30 Jahren gesagt „die<br />

Türken“. Es tut mir leid Oma, dies jetzt<br />

über Dich zu schreiben…Du hast mich geliebt,<br />

ich habe dich geliebt, aber an dieser<br />

Stelle waren wir damals schon unterschiedlicher<br />

Meinung.<br />

Oder eine andere, sicher löbliche Antwort,<br />

wenn Menschen das Müllsammeln zu einer<br />

kollektiven Freizeitbeschäftigung machen.<br />

Als gutes Vorbild in Form eines Happenings,<br />

oder als Verein mit regelmäßigen<br />

Sammelaktionen am Rheinufer und einer<br />

Menge Fernsehauftritte, als Kirchengemeinde<br />

im Viertel, die so in Corona-Zeiten<br />

ohne großen Trommelwirbel etwas für den<br />

Zusammenhalt tut.<br />

„Es müssen echte Gespräche entstehen.“<br />

Die städtische Initiative „Hallo Nachbar,<br />

DANKE SCHÖN“ hat eine Antwort. Sie ist<br />

aber verdammt kompliziert. Dafür aber<br />

auch mit viel praktischer Erfahrung gespickt,<br />

denn Hallo Nachbar ist schon seit<br />

einigen Jahren in Köln-Mülheim aktiv,<br />

setzt sich für Sauberkeit und Lebensqualität<br />

im Stadtteil ein. Die Expertinnen und<br />

Experten im Team von Hallo Nachbar sind<br />

überzeugt, dass der Müll ein äußeres Anzeichen<br />

für ein tiefer liegendes Problem<br />

ist. Sie gehen davon aus, dass Müllhaufen<br />

im Hausflur und auf öffentlichen Flächen<br />

nur dann verschwinden, wenn alle Bewohner:innen<br />

sich mit dem Stadtteil identifizieren<br />

und sich als dazugehörig empfinden.<br />

Also das genauer Gegenteil von „Die<br />

anderen sind schuld.“ Aufklärung gehört<br />

dazu. Vorbild sein. Nachbarschaft leben<br />

und ganz praktisch gestalten. Und deshalb<br />

setzt Hallo Nachbar vor allem auf Mitmachangebote,<br />

Kunst- und Sport-Aktionen,<br />

Feste, gemeinsames Gärtnern, umweltpädagogische<br />

Aktivitäten in Zusammenarbeit<br />

mit Schulen, Vereinen und Jugendeinrichtungen.<br />

So entstand der Treffpunkt im<br />

Genovevahof zwischen der Genovevastraße<br />

und der Keupstraße.<br />

Helin Bicici ist schon einige Jahre Teil<br />

des Hallo Nachbar-Teams. Seit März <strong>2022</strong><br />

ist sie im Projektmanagment von Hallo<br />

Nachbar in Mülheim und in Neubrück tätig.<br />

Man braucht Erfahrung, um Gespräche<br />

mit den Menschen zu führen. Das sei ein<br />

Lernprozess, bei dem man ein Gefühl für<br />

die Bedürfnisse des Gegenübers entwickele.<br />

„Erstmal musst Du verstehen, in welcher<br />

Situation die Menschen, mit denen Du<br />

sprichst, gerade sind.“ Für Migrantinnen<br />

und Migranten ist Mülheim häufig der erste<br />

Stadtteil, in dem sie Leben. Sie brauchen<br />

viel Kraft, um sich zu orientieren.<br />

Auch unter den Zugezogenen gibt es immer<br />

wieder Persönlichkeiten, die Lust haben,<br />

sich um die Umgebung und andere Menschen<br />

zu kümmern. Diese sind die Verbündeten<br />

der Nachbarschaftsaktivistinnen.<br />

„Man muss eigene Veränderung wollen oder<br />

sogar daran Spaß haben,“ meint Helin Bicici.<br />

Wer sich ausschließlich über die Nachbarschaft<br />

beschwert und Veränderung nur<br />

als zusätzliche Leistung der Stadt definiert<br />

(noch mehr Abfalleimer, mehr Bänke, mehr<br />

Unterstützung), denkt nicht über eigene<br />

Handlungsspielräume nach.<br />

Doch Helin Bicici und ihre Kolleginnen<br />

Filiz Yildiz und Najoua Benelouargua<br />

werden nicht müde, immer wieder neue<br />

Ideen für eigenes Handeln und Umdenken<br />

zu bieten: Weniger einkaufen, mehr<br />

tauschen, teilen oder wiederverwenden,<br />

Kleider oder Möbel upcyceln. Das Vorbild<br />

zählt – und das Interesse an den Nachbarinnen<br />

und Nachbarn. „Echte Gespräche<br />

müssen entstehen,“ meint Helin.<br />

Mülheim, habt ihr Lust? Es geht um<br />

Eigenverantwortung, aktives Handeln und<br />

Kontakt, nicht nur um Belehrung, weniger<br />

Müll und zu wenige Mülltonnen. Die Latte<br />

hängt hoch. Antworten sind nicht immer<br />

einfach. Aber machbar. Es geht um Gespräche,<br />

ja, auch über Müll, aber sie dürfen<br />

dort nicht stehen bleiben. Es geht um<br />

Menschen, Nachbar*innen, die sich sehen.<br />

Um gegenseitigen Respekt. Habt ihr Lust?<br />

> www.muelheimia.koeln/keinmuell<br />

Mit wenigen Mitteln<br />

wird öffentlicher<br />

Raum zum Spielort:<br />

Ein Päckchen Kreide<br />

reicht schon aus.<br />

Hauptsache, das Kind<br />

fühlt sich auf dem<br />

Weg wohl.


Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales<br />

<strong>#1</strong> <strong>2022</strong> 24<br />

Vom Frühstück bis zum Absacker im Mülheimer Veedel<br />

24 h-Müllem-Gastro-Rundgang<br />

von Uli Leihkauf<br />

Die Sonne geht im Osten auf – so auch in Köln.<br />

Und darum überrascht es nicht, dass auf der „Schäl Sick“<br />

bereits ab 5.30 Uhr morgens die ersten Kölner Frühstücks-Büdchen<br />

ihre Türen öffnen. Im „CHEFS KIOSK“<br />

an der Deutz-Mülheimer Straße 203 z. B. bietet „Chef“<br />

Hüseyin Bayanay den Frühaufstehenden und Spätheimkehrern<br />

frischen Kaffee und eine große Auswahl<br />

knackiger belegter Brötchen, die man entweder drinnen<br />

auf zu Sitzgelegenheiten umgebauten Bierkästen oder<br />

„to take away“ (1) am zwei Minuten fußläufig entfernten<br />

Rheinufer genießen kann.<br />

Auch am Wiener Platz, dem Zentrum des Veedels<br />

„Mülheim“ (2), dem dieser kleine Rundgang gewidmet<br />

sein soll, kann man schon vor bzw. zu Sonnenaufgang<br />

frühstücken, z. B. ab 5.30 Uhr in der „BOULANGERIE“<br />

in der U-Bahn-Unterführung oder, deutlich geräumiger,<br />

ab 6.30 Uhr im „LE BUFFET“ (Wiener Platz 2), der<br />

öffentlichen Kantine im Erdgeschoss des Mülheimer Bezirksrathauses.<br />

Helmut Zoch, Mülheimer Urgestein und<br />

Vorsitzender der Bürgervereinigung Köln-Mülheim 1951<br />

e. V., der nicht nur das „Buffet“ betreibt, sondern auch<br />

noch den kleinen Kaffeekiosk auf dem Wiener Platz<br />

sowie einen Catering-Betrieb, taucht immer mal wieder<br />

mit einem flotten Spruch zwischen Küche und Theke<br />

auf, zur Freude seiner Gäste, darunter vielen Rathaus-<br />

Mitarbeiter*innen, aber auch manchen gut gelaunten<br />

Rentner und Rentnerinnen.<br />

Danach (oder davor) bietet sich ein Einkaufsbummel<br />

am Wochenmarkt des Wiener Platzes an (Di, Do, Sa<br />

7–14 Uhr).<br />

Wer etwas gemütlicher sitzen und am Tisch bedient<br />

werden möchte, hat spätestens ab 10 Uhr eine gute Auswahl.<br />

Gleich neben dem oben erwähnten „Chefs Kiosk“<br />

kann man im „RHEINSPAZIERT“ (Hafenstraße 16) mit<br />

etwas Glück einen Tisch mit zumindest indirektem<br />

Rheinblick ergattern (3). In der „VREIHEIT“ (Wallstraße<br />

91) und im benachbarten „JAKUBOWSKI“ (Mülheimer<br />

Freiheit 54), zwei der beliebtesten und angesagtesten<br />

Mülheimer Lokale, wo man bei schönem Wetter ebenfalls<br />

auch gerne draußen sitzt, wird großer Wert auf<br />

Bio-Produkte gelegt.<br />

Und wer gerne mal ein türkisches Frühstück probieren<br />

möchte, der ist in der Keupstraße, dem „Klein-Istanbul“<br />

von Mülheim, an der richtigen Adresse, so z. B. im<br />

„KILIM“ (Keupstraße 69), wo man für rund 10 € einen<br />

großen reichhaltigen orientalischen Frühstücksteller<br />

inklusive Tee „to go“ bekommt (Kaffee gegen Aufpreis).<br />

Die fünf letztgenannten Lokale gehen nahtlos in Angebote<br />

zum Mittagessen über. Und wer Biergartenatmosphäre<br />

schätzt, ist darüber hinaus ab 11 Uhr im „GILDEN<br />

BRAUHAUS“ (Clevischer Ring 121) willkommen. - Unter<br />

den zahlreichen italienischen Lokalen ist das „da Enzo“<br />

(Regentenstraße 9), mein Favorit. Doch auch im<br />

„Localino“ (Deutz-Mülheimer Straße 203) , direkt n<br />

eben dem eingangs erwähnten „Chefs Kiosk“, sitzt und<br />

speist man als Liebhaber der italienischen Küche gut<br />

und kann anschließend noch einen gemütlichen Verdauungsspaziergang<br />

am Rheinufer unternehmen.<br />

Mit Ausnahme von „Le Buffet“, das um 16 Uhr schließt,<br />

laden all diese Lokale auch zum Abendessen ein und<br />

bieten schmackhafte Kost zu zivilen Preisen. Und die<br />

Besucher*innen des Kölner Schauspiels, das ja während<br />

des Umbaus des Schauspielhauses die Räumlichkeiten<br />

des „Depots“ (Schanzenstraße 6-20) nutzt, können entweder<br />

direkt auf dem Depotgelände im „PURINO“ und<br />

im „Offenbach am Carlsgarten“ einkehren oder in der<br />

nahe gelegenen Keupstraße, wo manche der türkischen<br />

Restaurants bis nach Mitternacht servieren und einige<br />

davon mittlerweile auch alkoholische Getränke auf ihrer<br />

„Chef“ Hüseyin<br />

Bayanay.


25 <strong>#1</strong> <strong>2022</strong> Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales<br />

Karte haben, so z. B. das „ASMALI KONAK“ (Keupstaße<br />

44-46).<br />

Liebhaber*innen von (hochpreisigen) Spitzenrestaurants<br />

werden allerdings in Mülheim derzeit eher nicht fündig.<br />

Ob das Fischrestaurant „SCAMPINO“ (Deutz-Mülheimer<br />

Str. 199) oder der „LOKSCHUPPEN“ (Hafenstraße 7)<br />

noch dazu zu zählen ist, darüber streiten sich die Geister.<br />

Das einst hochgepriesene „Willomitzer“ (Mülheimer<br />

Freiheit 2-4) hat mittlerweile geschlossen, dem Nachfolgelokal<br />

„FRIZZANTINO“, geführt von Carlo, Sohn des<br />

Kochs und Betreibers des oben genannten „DA ENZO“,<br />

wünschen wir viel Erfolg. Endlich hat es geöffnet und<br />

die Speisekarte macht neugierig auf italienisch-mediterrane<br />

Speisen. In die Kategorie der hochpreisigen<br />

Spitzenlokale wird es aber vermutlich nicht einzuordnen<br />

sein.<br />

des FC Köln wie mir, die kein schwarzes St. Pauli T-<br />

Shirt mit Totenkopf tragen, wird toleranterweise Einlass<br />

gewährt. Gerne kann man sich dann am hauseigenen<br />

Kicker an einem Duell zwischen FC Köln und FC St.<br />

Pauli Fans beteiligen. Ein Glas Kölsch bekommt man<br />

allerdings nur auf besondere Nachfrage, ansonsten hat<br />

man unverhofft eine Flasche Astra-Bier in der Hand …<br />

Das Schöne für seine – meist jungen – Besucher*innen<br />

(für Anwohner*innen wie mich allerdings manchmal<br />

auch Lästige) ist, dass das Limes in Punkto Schließzeiten<br />

– diplomatisch ausgedrückt – manchmal sehr flexibel<br />

ist. Manche seiner Besucher*innen könnten dann<br />

schon fast wieder Richtung „Chefs Bistro“ oder „Wiener<br />

Platz“ wanken, um dort bei Kaffee und frischen Brötchen<br />

einen Frühstücks- oder Ausnüchterungsversuch zu<br />

unternehmen … und damit schließt sich der Mülheimer<br />

24 Stunden-Kreis.<br />

Biergarten am<br />

Kulturbunker Köln-<br />

Mülheim mit neuem<br />

Pächter Toré.<br />

Am ganz anderen, unteren Ende der Preis-Skala möchte<br />

ich einen kleinen Geheim-Tipp geben: „BEI BRUNO“<br />

(Lohmühlenstraße 20) erhält man nicht nur frisch gezapftes<br />

Früh-Kölsch, sondern auch ein täglich wechselndes<br />

üppiges Abendgericht mit Salatteller für meist<br />

deutlich unter zehn Euro. Gurdial Singh, der liebenswürdige,<br />

aus Indien stammende Inhaber, stört sich<br />

nicht daran, dass seine Gäste ihn gewohnheitsmäßig<br />

mit „BRUNO“ ansprechen und legt wunderbar altmodische<br />

Oldies auf. Karnevals-Dekoration und Spielautomat<br />

ergänzen das bodenständig-gemütliche Flair dieser<br />

ur-kölschen Kneipe, der eine größere Kundschaft zu<br />

wünschen wäre. Gleiches trifft auch auf das „TORÉ“ im<br />

Kulturbunker (Berliner Straße 20) zu, dessen Reiz nicht<br />

nur in seiner alternativ-multikulturellen Ausstrahlung<br />

besteht, sondern auch in der Kombination mit dem breit<br />

gefächerten Veranstaltungsangebot des Kulturbunkers.<br />

Nachtaktiven Kneipengängern bietet das Mülheimer<br />

Viertel, das sich dank seiner vergleichsweise noch<br />

moderaten Mietpreise gerade bei Studierenden einer<br />

steigenden Beliebtheit erfreut, eine breite Auswahl. Wer<br />

in der „Vreiheit“ oder im „jakubowski“ keinen Platz<br />

mehr findet, dem sei z.B. das „SAKLETI“ (Formesstraße<br />

2) empfohlen, bekannt für seine reichhaltige Cocktail-<br />

Auswahl (mit sehr großzügiger „Happy-Hour“- Regelung)<br />

und seine Live Übertragungen von Fußballspielen.<br />

– Oder das „REISSDORF FASS“ (Mülheimer Freiheit 152),<br />

deren liebenswürdige Wirtin Moni mittlerweile eine<br />

Mülheimer Institution ist (auch wenn sie unüberhörbar<br />

aus dem Saarland stammt und stolz darauf ist).<br />

(1) Eine befreundete Anglistin wies mich kürzlich darauf hin,<br />

dass Speisen und Getränke zum Mitnehmen im Englischen als<br />

„to take away“ bezeichnet werden. Die im deutschen Sprachgebrauch<br />

weit verbreitete, aber falsch verwendete Bezeichnung<br />

„to go“ meint dagegen ursprünglich, dass man sich den<br />

Kaffee gratis nachgießen darf… !<br />

(2) Dieser Rundgang beschränkt sich auf das Stadtviertel<br />

Mülheim, dem mit 43.000 Einwohner*innen bevölkerungsreichsten<br />

der neun Stadtviertel des Stadtbezirks 9 Köln-Mülheim.<br />

Dieser ist wiederum mit 150.000 Einwohner*innen<br />

der bevölkerungsreichste der neun Stadtbezirke Kölns (1,086<br />

Millionen Ew).<br />

(3) Leider klafft ja zwischen den Deutzer Rheinterrassen und<br />

der Leverkusener „Wacht am Rhein“ Mülheim immer noch<br />

eine über zehn Kilometer große Lücke ohne eine einzige<br />

Einkehrmöglichkeit direkt am Fluss! Die beliebte „Sandburg“<br />

unterhalb der „Mülheimer Katzenbuckelbrücke“ schloss vor<br />

einigen Jahre. Wir hoffen sehr, dass vielleicht bei der Neugestaltung<br />

des Industriegeländes Mülheim-Süd wieder Lokale in<br />

„erster Rhein-Reihe“ entstehen.<br />

> www.muelheimia.koeln/muellemrundgang<br />

Eine ebenfalls nicht typische Kölner Kneipe ist das<br />

nebenan gelegene exotisch-urige „LIMES“ (Mülheimer<br />

Freiheit 150), Treffpunkt der Fans des Fußball-Zweitligisten<br />

FC Sankt Pauli. Doch auch Anhänger*innen<br />

Beliebtes Café: Die<br />

Boulangerie in der<br />

Wiener Platz Unterführung.<br />

Das LIMES mit<br />

Turnschuh an der<br />

Wallstraße.


Mülheimia <strong>Quarterly</strong> Stadt. Kultur. Soziales<br />

<strong>#1</strong> <strong>2022</strong> 26<br />

Kunstworkshops für Kinder<br />

ich zeig dir was<br />

von Magdalene Busse und Silke Grimm<br />

Im zweiten Teil unseres Workshops<br />

Genau das machen wir auch in unseren<br />

wurden die Kinder dann selbst aktiv und<br />

Workshops. Was macht einen Ort zu einem<br />

Wie wohnen und leben wir? Was um-<br />

gestalteten in unserem Architekturlabor<br />

Lieblingsort? Und auf welche Art und Weise<br />

gibt uns? Was hat sich in unserem Leben<br />

ihre ganz eigene Vorstellung von einem zu<br />

haben Künstler*innen damals und heute<br />

verändert und wie möchten wir wohnen?<br />

Hause im Hier und Jetzt oder ausgerichtet<br />

die persönlichen Vorstellungen von Orten<br />

Unser Leben findet in und außerhalb von<br />

Architektur statt und lässt sich nicht ohne<br />

Orte denken. Orte, die wir lieben und die<br />

wir deswegen immer wieder aufsuchen<br />

auf die Zukunft.<br />

Aus den unterschiedlichsten Materialen<br />

entstanden diese wundervollen Architek-<br />

realisiert? Wir schauen uns stets viele Beispiele<br />

an und konzentrieren uns dann in<br />

Form eines inhaltlichen Inputs auf höchsten<br />

zwei Künstler*innen.<br />

Silke Grimm und<br />

Magdalena Busse<br />

konzipieren und<br />

leiten Kunstworkshops<br />

für Kinder.<br />

und andere, die zu unserem Alltag gehö-<br />

turen – individuell, kreativ und futuris-<br />

ren, denen wir aber nicht besonders viel<br />

tisch. Jedes Gebäude ein ganz eigener<br />

Neben den interessanten Gesprächen, die<br />

Aufmerksamkeit schenken und natürlich<br />

Lieblingsort mit Seele.<br />

so entstehen, stehen spielerische Übungen<br />

unser zu Hause als einem Ort, an dem wir<br />

im Fokus unserer Workshop, die gleich-<br />

uns wohl und geborgen fühlen.<br />

Ich zeig dir was<br />

zeitig eine Vorbereitung und Hinführung<br />

das sind wir – Magdalene Busse und Silke<br />

sind. Und zwar auf das eigene praktische<br />

Architekturlabor<br />

Grimm. Seit 2018 gestalten wir in und um<br />

Arbeiten zum Thema.<br />

Wir begeben uns auf architektonische Spu-<br />

unsere Bürogemeinschaft in der Wallstraße<br />

rensuche und entdecken dabei ganz unter-<br />

137 in regelmäßigen Abständen Kunst-<br />

So entstehen z.B. Lieblingsorte, die noch<br />

schiedliche Behausungen unserer Wohn-<br />

workshops für Kinder.<br />

von realen Orten inspiriert sind, aber in<br />

geschichte – von der Höhle der Steinzeit<br />

ihrer letztendlich Form eine ganz neue und<br />

bis zur Zukunftsarchitektur. Dabei stellen<br />

Jeder Workshop trägt seinen eigenen<br />

individuelle Geschichte erzählen.<br />

wir uns die Frage, wie und wo möchten wir<br />

Namen: Entdeckungsreise, Lieblingsorte,<br />

wohnen ...<br />

Architekturlabor, Modeschätze. Nicht im-<br />

Oft schließen wir unsere Workshops mit<br />

mer wird damit die künstlerische Domäne<br />

einer Finissage ab, auf der die entstande-<br />

Ausgehend von dieser Fragestellung star-<br />

(Architektur, Graphik, Plastik,…), in der<br />

nen Arbeiten, aber auch der vorangegange-<br />

teten wir unseren Kunstworkshop „Archi-<br />

wir uns bewegen, verraten. Stattdessen<br />

ne gedankliche und gestalterische Prozess<br />

tekturlabor“ mit zwölf Kindern der Alters-<br />

legt der Titel unsere Herangehensweise<br />

vor - und ausgestellt werden. Dabei stau-<br />

klasse 8 bis 12 Jahren.<br />

und natürlich das Thema offen.<br />

nen und freuen wir uns immer wieder über<br />

die gestalterische Vielfalt und den Ideen-<br />

Wir beobachteten und entdeckten unser<br />

Sich einem Thema auf eine künstlerische<br />

reichtum, der in den Arbeiten der Kinder<br />

Veedel, indem wir die Weiße Stadt in Buch-<br />

Art und Weise zu nähern, bedeutet auch<br />

zum Vorschein kommt.<br />

forst erkundeten, viel über das Bauhaus<br />

Fragen zu stellen und bei einem selbst,<br />

erfuhren und eintauchten in die unmittel-<br />

in der Kunstgeschichte und vor allem in<br />

> www.muelheimia.koeln/ichzeigdirwas<br />

bare Geschichte des Siedlungsbaues der<br />

unserem unmittelbaren Umfeld, nach Ant-<br />

> www.ichzeigdirwas.de<br />

1932er Jahre.<br />

worten zu suchen.


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