12.09.2022 Aufrufe

Gesamt-pdf MÄA-19-22 online

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

6

TITELTHEMA

Münchner Ärztliche Anzeigen

Prof. Dr. Peter Falkai ist Direktor

der Klinik für Psychiatrie und

Psychotherapie am LMU Klinikum

am Campus Innenstadt und leitet

gemeinsam mit Prof. Dr. Schulte-

Körne die dortige Transitionsstation.

Foto: privat

Finanzierungsebene eine sehr große

Offenheit. Man hat verstanden, dass

es hier einen sehr großen Handlungsbedarf

gibt.

Welche Therapien bieten Sie an?

Schulte-Körne: Der Schwerpunkt

liegt auch bei uns auf einer Kombination

aus Psychotherapie, psychosozialer

Unterstützung und Psychopharmakotherapie.

In Kooperation

mit der Carl-August-Heckscher-

Schule ermöglichen wir darüber hinaus

ein Beschulungsangebot oder

eine Unterstützung bei einer Berufsausbildungsmaßnahme

– im Rahmen

unserer sozialpädagogischen

Betreuung. Unsere jungen Menschen

sind häufig so krank, dass sie zu

einer Berufsausbildungs- oder -fördermaßnahme

alleine gar nicht hingehen

würden. Auch Fragen der

finanziellen Absicherung, des Wohnorts

werden besprochen. In dieser

Lebensphase verlassen die meisten

jungen Menschen ihre Familien. Einige

sind damit komplett überfordert.

Der kreativtherapeutische Bereich

mit Musik-, Kunst- und Ergotherapie

ist ebenfalls wichtig. Viele unserer

Patient*innen können ihre Konflikte

besser im Rahmen einer solchen

Therapieform ausdrücken.

Falkai: Psychosozial bedeutet

zunächst, eine Brücke ins Leben

zurückzubauen – egal wie. Selbst

wenn diese Brücke nicht sofort

begangen werden kann.

Die Transitionsstation ist noch

nicht lange geöffnet. Wie lange

bleiben die Menschen bei Ihnen,

und welche Erfolge können Sie verbuchen?

Schulte-Körne: Die durchschnittliche

Liegezeit für junge Erwachsene

im KJP-Bereich ist im Vergleich zu

den Stationen bei uns im Haus kürzer.

Erste Erfolge zeichnen sich ab.

Viele Jugendliche profitieren sehr

vom „Erwachsenen-Milieu“. Wenn sie

nur unter sich sind, können sie oft

bestimmte Entwicklungsschritte

nicht machen, weil alle noch im gleichen

Entwicklungsstadium verhaftet

sind. Andere junge Menschen mit 22,

23 und 24 Jahren zu sehen, die

gewisse Probleme schon gelöst

haben, ist ein Vorbild und eine Herausforderung.

Wir können das therapeutisch

nutzen. Besonders Patient*innen

mit Sozialverhaltens- oder

Persönlichkeitsstörungen profitieren

davon.

Falkai: In Bezug auf die Erwachsenen

gibt es bei den Liegezeiten keinen

großen Unterschied. Sie beträgt

etwa 30 Tage. Ich bin froh, dass wir

die Transitionsstation TS1 haben. Bei

der Diagnostik haben wir eine neue

Qualität und verstehen viel besser,

welchen Anteil eine Persönlichkeitsstörung

und z.B. eine oft parallel auftretende

Depression haben. Für viele

unserer Patient*innen auf der TS ist

es die erste große Krise in ihrem

Leben. Wir haben allerdings insgesamt

nur 16 Betten und behandeln

dort derzeit die ganze Bandbreite der

Erkrankungen. Auf längere Sicht werden

wir wohl noch eine zweite Station

brauchen. Wir möchten gerne eine

Sanierung des Bettenhauses erreichen.

Dort könnten wir evtl. noch

eine zweite Station unterbringen.

Schulte-Körne: Die Nußbaumstraße

ist ein Zentrum für psychosoziale

Gesundheit in der Innenstadt

geworden, und die Bevölkerung

nimmt es an. Man erkennt langsam

auch in der Politik, dass dies eine

Investition in die Zukunft ist: Psychische

Erkrankungen nehmen kontinuierlich

zu und sind gesellschaftlich

relevant. Die Schaffung neuer Versorgungsstrukturen

für den Transitionbereich

ist dabei eine gute Investition,

denn es ist ein Konzept zur

Prävention. So kann man der Chronifizierung

von psychischen Erkrankungen

vorbeugen. Mittelfristig sollte

daraus ein Zentrum mit Tagesklinik

und Ambulanz werden.

Was wünschen Sie sich von der

Politik?

Falkai: Wenn psychisch Kranke die

komplett gleichen Rechte wie somatisch

Kranke hätten, wäre das mehr

wert als jedes Geld. In den letzten

Jahren ist die Situation etwas besser

geworden, aber es ist noch sehr viel

Wachstum möglich. In anderen Ländern

gilt psychische Gesundheit als

eine gleichberechtigte Säule der

Versorgung neben Onkologie, Kardiologie

und anderen somatischen

Fächern. Es wäre toll, wenn das

Land Bayern dies auch so sehen

würde. Natürlich freuen wir uns am

Ende auch über mehr Geld.

Was können Schulen tun, damit

weniger junge Menschen psychisch

erkranken?

Schule-Körne: Ein Problem ist der

dortige Personalmangel. Das zweite

Thema ist die Professionalisierung

der Schulen und Lehrkräfte hinsichtlich

dem Erkennen und dem Umgang

mit psychischer Erkrankungen und

Belastungen. Es gibt einzelne Schulen

oder Bezirke, die sich dafür

engagieren, aber es fehlen eine

Gesamtstrategie und eine Systematik

der Ausbildung. Psychische

Gesundheit gehört in das Studium

für alle Lehrämter – unabhängig von

der Schulform. Und auch in die zweite

Phase der Lehrerausbildung. Viele

Studien zeigen, dass am Ende von

einer Professionalisierung der Lehrer*innen

nicht nur die Schüler*innen

hinsichtlich ihrer psychischen

Gesundheit profitieren, sondern

auch die Lehrer*innen selbst.

Das Gespräch führte Stephanie Hügler

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!