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WIRTSCHAFT
E
s ist ein großer Erfolg, einer
von inzwischen ziemlich vielen
auf der Liste von Margrethe
Vestager: Alphabet,
der Konzern hinter der Suchmaschine
Google, muss über
vier Milliarden Euro an Strafe
zahlen. Etwas weniger als angesetzt, aber
doch eine enorm hohe Summe. Das entschied
vergangene Woche das Gericht
der Europäischen Union. Alphabet soll
die Marktmacht seines Betriebssystems
Android ausgenutzt haben, deshalb hatte
Vestager die Strafe verhängt.
Seit sie 2014 als Wettbewerbskommissarin
nach Brüssel ging, hat die Dänin
sich dem Kampf gegen die Big Techs
verschrieben. Über die Jahre hat sie das
zu einer der wohl mächtigsten Frauen
in Europa gemacht. Als mögliche Kommissionspräsidentin
wurde sie gehandelt,
nun ist sie Vizepräsidentin an der Seite
der Deutschen Ursula von der Leyen.
Und dennoch gibt Vestager sich bewusst
bodenständig. In der Repräsentanz der
Europäischen Kommission in Kopenhagen,
wo sie regelmäßig vorbeischaut, hat
sie nicht einmal ein eigenes Büro. Den
kleinen Raum oben unterm Dach nutzt sie
im Wechsel mit anderen Mitarbeitern. Dort
hat FOCUS sie auch zum Gespräch getroffen.
Beim Tee – dem Kaffee
hat sie mittlerweile abgeschworen
– ging es um Krieg
und Krise, aber auch um Re -
geln für eine immer digitaler
werdende Welt.
Frau Vestager, in welcher
Verfassung erleben
Sie die EU gerade?
Wir hatten noch nie so viele
Krisen auf einmal wie heute.
Natürlich waren auch Finanzkrise,
Flüchtlingskrise sowie
die Pandemie für sich genommen
schon Herausforderungen.
Aber heute haben wir
einen Krieg in Europa …
… samt hoher Inflation, eine
Energiekrise, eine Klimakrise …
… und zwar alles auf einmal.
Das Einzige, was wir
nicht haben, ist eine Krise
der Institutionen – zum Glück.
Das ist der Silberstreif am
Horizont. Zumal kaum einer
daran glaubt, dass wir so
schnell zur alten Normalität
zurückkehren werden. Wir
müssen daher Tag für Tag die
Krise managen, ohne dabei
unsere langfristigen Ziele aus
Hohe EU-Strafen
für Techkonzerne
Der Google-Konzern
muss 4,13 Milliarden
Euro zahlen wegen seiner
Marktmacht bei Android
Intel sollte wegen zu viel
Macht 1,1 Milliarden
Euro zahlen. Vor Gericht
hielt das aber nicht stand
Der Chipkonzern sollte
fast eine Milliarde Euro
zahlen. Doch Richter hoben
die Strafe kürzlich auf
Der Konzern musste schon
mehrfach zahlen. Die bislang
höchste Strafe der EU:
860 Millionen Euro
Wegen falscher Angaben bei
der Übernahme von Whats-
App musste Facebook
110 Millionen Euro zahlen
dem Blick zu verlieren. Eine
enorme Herausforderung.
Was macht der Krieg mit
den europäischen Werten?
Es ist unglaublich deprimierend
zu sehen, dass in
der Ukraine gerade Menschen
für ebendiese Werte
kämpfen müssen. Dass sie
bereit sind, für den europäischen
Gedanken zu sterben.
Für mich ist das gleichzeitig
ein enormer Antrieb, und
das sollte es für uns alle sein.
Die Bereitschaft zum Wandel,
den die Ukraine gerade
demonstriert, macht es
sehr wahrscheinlich, dass
das Land in die EU aufgenommen wird.
Wie sehr schwächen die
hohen Energiepreise die europäische
Wirtschaft?
Natürlich sind der Krieg in der Ukraine
und Putins Haltung, Energie als Waffe zu
benutzen, nicht die einzigen Auslöser der
Energiekrise. Meine Hoffnung aber ist,
dass das den Wandel hin zu einer grünen
Wirtschaft eher noch beschleunigen wird
– allein schon, weil es jeden von uns viel
mehr auf den eigenen Energieverbrauch
achten lässt.
Das reicht?
Es ist natürlich nur ein
schwacher Trost, wenn viele
Haushalte zugleich aktuell
so viel mehr ihres verfügbaren
Einkommens für Energie
ausgeben müssen. Wenn
die Unternehmen überlegen
müs sen, wie sie durch die
nächsten Monate kommen.
Für uns als EU-Kommission
hatte es deshalb zunächst
oberste Priorität, die Energieversorgung
sicherzustellen
– etwa indem wir mehr
Flüssiggas aus dem Ausland
importieren und die
Gasspeicher füllen. Nun müs -
sen wir in einem nächsten
Schritt alles daran setzen,
den Preisanstieg zu stoppen.
Ursula von der Leyen
hat jüngst ein großes
Energiepaket verkündet.
Ist es aus Ihrer Sicht
das richtige?
Darauf setzen wir. Meine
zuständigen Kollegen haben
den Sommer durchgearbeitet,
damit wir genug Quellen
für die Wärmeproduktion im
Winter haben.
»
Mich treibt
täglich der
Wunsch an,
dass wir in der
digitalen Welt
Bürger sind,
nicht nur
Datenpunkte
«
Konkreter bitte!
Wir haben etwa vorgeschlagen,
den Energieverbrauch
in Spitzenzeiten zu
deckeln. Dann brauchen
wir weniger Gas für die
Stromproduktion, sodass die
Strompreise weniger stark
vom Gaspreis bestimmt
werden. Das Zweite ist,
einen Weg zu finden, um
die Übergewinne der Energiekonzerne
abzuschöpfen,
um mit den Einnahmen
die nötigen Hilfen für
stark belastete Haushalte
zu finanzieren. Dabei ist es
extrem wichtig, dass diese
Hilfen gezielt ausgeschüttet werden.
Inwiefern?
Auch meine eigene private Energierechnung
steigt, aber ich kann mir das
leisten. Für eine alleinerziehende Geringverdienerin
zum Beispiel sieht die Lage
ganz anders aus. Außerdem müssen wir
uns überlegen, wie wir den Energiemarkt
als Ganzes in Zukunft gestalten wollen.
Ihre Antwort?
Es ist kompliziert, denn es gibt kein
Marktdesign, das automatisch auch in
Kriegszeiten gut funktioniert. Was wir
gerade sehen, ist eine bewusste Verknappung
des Angebots, Energie wird
als Waffe eingesetzt – das ist ja kein normales
Marktverhalten. Wenn in einem
funktionierenden Markt die Preise steigen,
steigt automatisch das Angebot. Das
Marktdesign jetzt anzupassen ist aber
durchaus legitim. Denn gestaltet haben
wir es vor 20 Jahren, als wir viel weniger
Windenergie hatten und der Markt noch
viel weniger digitalisiert war.
Um Hilfen zu finanzieren, sollen Übergewinne
abgeschöpft werden. Wie soll das gehen?
Nehmen Sie die Solar- oder Windenergie:
Einmal installiert, sind die laufenden
Kosten sehr gering. Aber um die Kapitalkosten
zu decken, braucht man natürlich
einen Gewinn. Können die Anbieter mit
den Einnahmen nur die laufenden Kosten
decken, reicht das nicht. Das heißt, einen
gewissen Übergewinn brauchen wir,
damit die Unternehmen in den Markt einsteigen.
Gleichzeitig aber brauchen die
Unternehmen nicht diese enormen Gewinne,
wie wir sie zuletzt gesehen haben.
Einen Teil der Gewinne abzugreifen ist
allerdings ein starker Eingriff in den Markt …
Drei Dinge sind für uns entscheidend:
Wir brauchen ein gewisses Preissignal
im Markt, damit Verbraucher und Unternehmen
ihren Energieverbrauch minimieren.
Damit sie neue Wärmepumpen
56 FOCUS 39/2022