NewHealthGuide Magazin 01 2022
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newhealth.guide #1
newhealth.guide #1
Arbeit publiziert, in der mit einem
Anamnese-Check Beschwerden
eingeordnet werden, dann aber
auch darauf reagiert und der Zugang
zur Behandlung gesichert
wird – und das mit einer diagnostischen
Treffsicherheit, die der von
Fachärzten gleichwertig ist.
Der andere Einsatzbereich sind
chronische Erkrankungen, z. B.
Herzinsuffizienz oder chronische
Lungen erkrankungen. Hier müssen
wir wegkommen von der Quartalslogik,
die in fast allen Fällen jeglicher
medizinischen Logik entbehrt.
Mit Dingen wie zum Beispiel Tele-Monitoring
können wir aber ex -
trem gut bestimmen, wann jemand
wiederkommen muss, und sicherstellen,
dass Menschen Hilfe bekommen,
wenn sie Hilfe benötigen.
Das ist das zentrale Versprechen.
Welche Möglichkeiten gibt es,
an die wir vielleicht noch gar
nicht denken, die deshalb auch
nicht eingesetzt werden, die
aber den Patienten ebenso nützen
können, wie Sie es gerade
beschrieben haben?
Was manchmal zu wenig diskutiert
wird, ist, dass wir eine große Möglichkeit
für mehr Patientensicherheit
in der Behandlung haben. Negative
Dinge passieren, weil Menschen
nicht rechtzeitig in die Behandlung
kommen, weil Verschlechterungen
nicht rechtzeitig erkannt werden,
weil Entscheidungs- oder Kommunikationsfehler
entstehen. Polypharmazie
ist ein riesengroßes Problem
in diesem Zusammenhang – dass
Menschen von verschiedenen Ärzten
unterschiedliche Medikamente
bekommen. Das sind Patientengefährdungen,
die wir vermeiden
können.
Was haben andererseits die Ärzte
und das Pflegepersonal davon,
wenn sie digital unterstützt
werden?
Und der Patient?
„Die Leute wollen
nicht digitale
Medizin, sie wollen
eine bessere
Behandlung“, sagt
Sebastian Kuhn
Mehrwert für alle
Für Pflegepersonal
und Ärzte steht mit
der Digitalisierung
ein neuer „Werkzeugkoffer“
bereit
Wir haben einen neuen „Werkzeugkoffer“
bekommen, den wir
verstehen müssen und den wir
sinnvoll für unsere Patientinnen und
Patienten einsetzen müssen. Durch
ein die Anamnese unterstützendes
KI-Tool und eine strukturierte Anamnese-Form
haben wir die Chance,
sicherzustellen, dass die Anamnese
vollständig ist, dass auch an verschiedene
seltene Erkrankungen
gedacht wird, an Dinge, die man
typischerweise übersieht. Dabei
bin ich nicht dafür, dass ein Algorithmus
allein entscheidet. Aber wir
können Fähigkeiten augmentieren
und bei jemandem, der in dem Bereich
nicht Experte oder Expertin
ist, das diagnostische Niveau deutlich
anheben. Ein Algorithmus mit
Bildanalyse hat z. B. beim malignen
Melanom schon 90–95 Prozent Treffsicherheit
– mehr als ein Facharzt.
Wo verändert sich die medizinische
Landschaft gerade am
stärksten?
Wo aus meiner Sicht in den kommenden
zwei bis drei Jahren eine
Revolution ausbrechen wird, das
ist im Rahmen der chronischen Erkrankungen.
Da wird die Behandlung
in Praxis und Klinik mit Unterstützung
durch digitale Tools das
Versorgungskontinuum sicherstellen.
Das wird erstmalig so richtig in
der Versorgungsqualität ankommen
und auch zu einem spürbaren
Mehrwert für alle Akteure führen,
der absolut entscheidend ist. Die
Leute wollen nicht digitale Medizin,
sondern sie wollen eine bessere
Behandlung. Die Herzinsuffizienz
ist da ein Paradebeispiel. Durch
eine App können wir auf einfache,
smarte Weise eine relevante Verschlechterung
erkennen, bevor
sie zu einer Dekompensation führt,
und zwar etwa sieben Tage vor einer
State-of-the-Art-Behandlung.
Das ergibt eine Reduktion von
etwa 30 Prozent bei der Sterblichkeit,
eine deutliche Reduktion von
stationären Aufnahmen, eine deutlich
höhere Lebensqualität der Patientinnen
und Patienten und eine
Reduktion der Behandlungskosten.
Sie haben eine Studie veröffentlicht
zu „Neuen Gesundheitsberufen
für das digitale Zeitalter“.
Welche Berufe sind das?
Dabei gibt es zwei Aspekte. Das
eine ist die Qualifizierung oder
Weiterqualifizierung von existierenden
Berufen – Ärzten, Pflegenden,
„Der Algorithmus
soll nicht
allein entscheiden,
aber
er kann die
Diagnose vervollständigen“
Physio- oder Ergotherapeuten.
Zum anderen gibt es aber auch
die Überlegung, ob der digitale
Wandel an einigen Stellen nicht so
grundlegend ist, dass sogar neue
Berufsbilder entstehen.
Wir haben dort exemplarisch drei
skizziert. Die erste haben wir „Fachkraft
für digitale Gesundheit oder
Digital Health Carer“ genannt. Das
sind Menschen mit sehr hoher Gesundheitskompetenz,
ähnlich klassischen
Gesundheitsberufen, aber
mit digitaler Expertise. Die stehen
auch weiterhin in unmittelbarem
Patientenkontakt und stellen sicher,
dass die Möglichkeiten auch
wirklich bei den Patientinnen und
Patienten ankommen.
Den zweiten nennen wir „Prozessmanager
für digitale Gesundheit“.
Das sind Personen, die ein
Grundverständnis für Gesundheit
brauchen, auch Digitalexpertise,
zusätzlich aber auch Prozesse und
Management beherrschen. Es ist
eine riesengroße Aufgabe, in den
Institutionen für die verschiedenen
Krankheitsbilder Behandlungsabläufe
zu überdenken, neu zu gestalten,
zu implementieren und die
Qualität zu sichern.
Den dritten nennen wir „Systemarchitekt
für digitale Gesundheit“,
manchmal als Chief Information
Officer bezeichnet. Das sind häufig
Personen mit Doppelqualifikationen
(z. B. Medizin und Health-
IT-Management), die dann übergeordnet
dafür Sorge tragen,
dass die verschiedenen entstehenden
Prozesse in ein Versorgungskonzept
münden, damit
Synergien auch genutzt werden.
Ist es sinnvoll, mit der Einführung
der Digitalisierung im Studium zu
starten?
Wir haben mehrere Jahre gekämpft,
dass „digital“ jetzt essenzieller
Bestandteil des Medizinstudiums
ist. Es gehört zum frühen Zeitpunkt
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