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GruessGott Herbst 2022

Das Magazin über Gott und die Welt

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1 | Linz<br />

Das Magazin über Gott und die Welt <strong>Herbst</strong> <strong>2022</strong><br />

GLAUBE, LIEBE, BALLGEFÜHL<br />

Die Fußballerin Lisa Makas erfüllte sich ihre Träume<br />

auf dem Rasen. Die nötige Kraft dafür fand sie ganz oben.<br />

Österreichische Post AG, RM 19A041667 K, Diözese Linz, Herrenstraße 19<br />

DIE ENGEL AUF VIER RÄDERN<br />

ERFÜLLEN LETZTE WÜNSCHE<br />

Sie schenken Schwerkranken<br />

noch einmal pure Freude<br />

AUF DER SUCHE NACH<br />

DER GOTTESFORMEL<br />

Die klügsten Köpfe versuchten,<br />

Gott mathematisch zu beweisen<br />

VERENA ALTENBERGER:<br />

»DAS IST MIR HEILIG«<br />

Die Buhlschaft über gesunden<br />

Egoismus und Sonntage im Bett


Weil es nie<br />

zu spät ist,<br />

etwas Neues<br />

zu beginnen.<br />

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EDITORIAL<br />

GRÜSS<br />

GOTT!<br />

COVERFOTO: GREGOR KUNTSCHER; FOTOS: DIÖZESE LINZ/HERMANN WAKOLBINGER, GETTY IMAGES/ISTOCK<br />

Wie oft sagen wir zueinander „Heute habe ich eine Untersuchung<br />

oder Operation, bitte denk an mich“, oder „Heute habe ich ein Bewerbungsgespräch,<br />

eine Prüfung, bitte bete für mich“. Vielleicht zünden<br />

wir auch eine Kerze an, zu Hause oder in einer Kirche. Hilft Beten?<br />

Geht eine Prüfung besser, wenn jemand für uns eine Kerze anzündet?<br />

Rein rational ist es nicht zu erklären. Und doch: Es ist eine<br />

Energiezufuhr, wenn andere uns mögen, gernhaben, Lasten mittragen<br />

oder einfach da sind. Wenn sie an uns denken.<br />

Zu Allerseelen denken wir an die Verstorbenen. Rationale<br />

Geister werden jetzt vielleicht fragen: Was haben die Toten von einer<br />

Energie zufuhr, wo sie doch nicht mehr da sind? Eine Antwort darauf<br />

ist: Es gehört zu unserer Erinnerungskultur, die Frage nach den Verstorbenen<br />

und ihrem Geschick wachzuhalten. Ganz so, wie es ein<br />

bekannter Satz von Immanuel Kant zum Ausdruck bringt: „Wer im Gedächtnis<br />

seiner Lieben lebt, der ist nicht tot, der ist nur fern; tot ist nur,<br />

wer vergessen wird.“ Doch wir Christinnen und Christen haben noch<br />

eine andere Antwort: Wir erinnern uns der Toten nicht, damit sie leben<br />

– sondern weil sie leben. Und wir glauben an ein Leben und die Gemeinschaft<br />

mit ihnen über den Tod hinaus.<br />

Die Kirche gedenkt nicht nur zu Allerseelen, sondern in jedem<br />

Gottesdienst der Menschen, die uns vorausgegangen sind. Sie schenkt<br />

ihnen Raum, nennt sie beim Namen und bewahrt sie im Gedächtnis.<br />

Das tun wir auch in dieser Ausgabe von „Grüß Gott!“: Wir feiern das<br />

Verbindende zwischen uns Menschen – ob sie vor uns da waren, gerade<br />

hier sind oder noch kommen werden. Ich hoffe, dass dieses Magazin<br />

den einen oder anderen Impuls gibt, wie wir diese Verbindung erhalten<br />

und stärken können!<br />

Herzlich<br />

Bischof Manfred Scheuer<br />

DR. MANFRED SCHEUER<br />

ist seit 2016 Bischof der<br />

Diözese Linz und war<br />

zuvor Bischof der Diözese<br />

Innsbruck. Er stammt aus<br />

Haibach ob der Donau und<br />

ist begeisterter Bergsteiger.<br />

Wenn Sie uns eine Rückmeldung<br />

zu unserem<br />

Magazin geben wollen, dann<br />

bitte gerne per E-Mail an:<br />

gruessgott@dioezese-linz.at<br />

Wir freuen uns, von Ihnen<br />

zu lesen!<br />

3


24<br />

HIMMEL<br />

18 ENGEL AUF VIER RÄDERN<br />

Wie die Rollenden Engel<br />

schwerkranken Menschen<br />

ihren letzten Wunsch erfüllen.<br />

24 EINTRITT FREI!<br />

Wer Kunst sehen will, muss nicht<br />

ins Museum gehen : ein Streifzug<br />

durch Oberösterreichs Kirchen.<br />

34 HEILIGE IM NEUEN SCHEIN<br />

Ehrenamtliche Kirchenpflege:<br />

eine Aufgabe mit Verantwortung.<br />

36 »FRIEDEN FÄLLT EINEM<br />

NICHT IN DEN SCHOSS«<br />

Was ein Einzelner bewirken<br />

kann: Carlo Neuhuber setzt sich<br />

seit Jahrzehnten für Frieden ein.<br />

[HERR]GOTT<br />

42 TURM DER ERKENNTNIS<br />

Wie lebt es sich als Eremitin<br />

oder Eremit? Das kann man<br />

in Linz ausprobieren – und<br />

sich im Turm des Mariendoms<br />

einquartieren.<br />

46 »VERLETZUNGEN FÜHRTEN<br />

MICH NÄHER ZU GOTT«<br />

Sport und Religion liegen<br />

nah beieinander –<br />

ein Gespräch mit der<br />

Fußballerin Lisa Makas.<br />

52 DIE GOTTESFORMEL<br />

Viele kluge Geister haben<br />

versucht, Gott in Zahlen<br />

zu finden. Was ist davon<br />

zu halten?<br />

SAKRAMENT<br />

60 WÜNSCH DIR WAS!<br />

Die Christbäume in einigen<br />

Linzer Kirchen haben einen<br />

ganz besonderen Behang:<br />

Herzenswünsche.<br />

64 GRÜNE AUEN IM FINSTEREN TAL<br />

Was heißt es, Abschied<br />

von einem geliebten<br />

Menschen zu nehmen?<br />

Ein persönlicher Bericht<br />

von Brigitte Krautgartner.<br />

68 AM SIEBTEN TAG<br />

Sieben Fragen und Antworten<br />

zum Leben – diesmal haben<br />

wir sie der Schauspielerin<br />

Verena Altenberger, heuer<br />

Salzburgs Buhlschaft, gestellt.<br />

BRIGITTE KOWANZ, »LUMEN« – PERMANENTE INSTALLATION, ANDACHTSRAUM STIFT SCHLÄGL, SCHLÄGL, 2018; FOTO: STUDIO KOWANZ/STUDIO BRIGITTE KOWANZ/BILDRECHT, WIEN <strong>2022</strong><br />

4


INHALT<br />

FOTOS: ROBERT MAYBACH, ANDREAS BALON, GREGOR KUNTSCHER, CHRISTIAN ÖSER<br />

6 WEGE ZUR KRAFT<br />

Rodeln in Bad Goisern.<br />

8 GLAUBEN & WISSEN<br />

Wie war das eigentlich<br />

mit Ochs, Esel und<br />

den Drei Königen?<br />

Hintergründiges zur<br />

Weihnachtsgeschichte.<br />

10 SONNTAGSJUBILÄUM<br />

Die oberösterreichische<br />

Allianz für den freien<br />

Sonntag feiert ihr<br />

25-jähriges Bestehen.<br />

10 GLOSSAR DES GLAUBENS<br />

Was hat es mit dem<br />

Tabernakel auf sich?<br />

18 42<br />

58 68<br />

GOTT & DIE WELT<br />

11 KIRCHENRÄTSEL<br />

Ein Kalvarienberg<br />

mit Fernblick.<br />

12 HIMMLISCHES REZEPT<br />

Schweinsbraten<br />

mit Knödeln und<br />

Sauerkraut.<br />

14 1 FRAGE, 3 ANTWORTEN<br />

Warum ist die<br />

Hölle heiß?<br />

72 POST AN GRÜSS GOTT!<br />

73 HADERER<br />

74 KULTURELLES<br />

& SPIRITUELLES<br />

Aus der Redaktion<br />

WUNSCH & WILLE<br />

Was wünschen Sie sich zu Weihnachten?<br />

Ein neues Handy, einen schönen<br />

Urlaub? Oder eher Frieden auf Erden,<br />

mehr Zeit für die Familie oder einfach<br />

nur Gesundheit? Wünsche — ob klein<br />

und leicht erfüllbar oder groß und<br />

idealistisch — sind immer ein Spiegel<br />

unserer Lebenssituation. Das weiß auch<br />

Florian Aichhorn. Seit 2019 hat er mit<br />

seinem Team, den Rollenden Engeln,<br />

über 150 schwerkranken Menschen<br />

ihren letzten Wunsch erfüllt — vom Besuch<br />

am Grab der verstorbenen Ehefrau<br />

bis zur Fahrt in einem Rallye-Auto. Warum<br />

er das tut, erfahren Sie ab Seite 18.<br />

Herzenswünsche in ihrer ganzen<br />

Vielfalt finden sich auch auf den Christbäumen<br />

in einigen Linzer Kirchen: Alle<br />

Besucherinnen und Besucher können<br />

ihre Wünsche auf Karten schreiben und<br />

die Bäume damit behängen. Die interessantesten,<br />

herzerwärmendsten und<br />

lustigsten Wunschkarten aus dem Jahr<br />

2021 finden Sie ab Seite 60.<br />

Der Wunsch-Klassiker schlechthin ist<br />

natürlich der Weltfrieden. Wie wir dieses<br />

Jahr wieder erinnert wurden, ist das<br />

selbst für Europa ein frommer Wunsch<br />

— doch das hindert Menschen wie Carlo<br />

Neuhuber nicht daran, sich ein Leben<br />

lang dafür einzusetzen. Was der Friedensaktivist<br />

und Regionaldiakon daraus<br />

gelernt hat, erfahren Sie ab Seite 36.<br />

Manche Menschen wünschen sich<br />

auch einfach nur Ruhe. Wenn es Ihnen<br />

auch so geht, sollten Sie sich den Artikel<br />

zu den Turmeremitinnen im Mariendom<br />

ab Seite 42 genau anschauen.<br />

Doch was auch immer Sie sich wünschen<br />

— wir wünschen Ihnen jedenfalls<br />

einen schönen <strong>Herbst</strong> und eine besinnliche<br />

(Vor-)Weihnachtszeit!<br />

Ihre „Grüß Gott!“-Redaktion<br />

5


Wege zur Kraft<br />

Abfahrt ins Glück. Die Kufen knirschen<br />

im Schnee, die Nachmittagssonne wärmt<br />

das Gesicht, und der Fahrtwind beschert<br />

eine Prise Adrenalin — eine Schlittenfahrt<br />

ist mit das Schönste, was der bevorstehende<br />

Winter zu bieten hat. Erst recht,<br />

wenn die Strecke durch die einzigartige<br />

Landschaft des Salzkammerguts führt,<br />

wie diese hier von der Goiserer Hütte<br />

hinab Richtung Tal.<br />

6


FOTO: HOCHZWEI MEDIA<br />

7


GOTT & DIE WELT<br />

I T<br />

T E<br />

L -<br />

M<br />

„ES BEGAB SICH ABER<br />

ZU DER ZEIT …“<br />

Hirten, drei Könige, ein obdach loses<br />

Paar und ein ganz besonderes Baby:<br />

Wir alle kennen die Figuren der<br />

Weihnachtsgeschichte. Doch was<br />

begab sich wirklich laut der Bibel?<br />

Die Krippe gehört einfach zu Weihnachten<br />

dazu. Doch wer die Drei Könige<br />

oder Ochs und Esel in der Bibel nachschlägt,<br />

wird lange suchen. Denn die<br />

Weihnachtsgeschichte, wie wir sie kennen,<br />

kommt im Neuen Testament so<br />

nicht vor. Stattdessen gibt es zwei Weihnachtsgeschichten:<br />

eine im Lukas- und<br />

eine im Matthäusevangelium – und<br />

die beiden unterscheiden sich in vielen<br />

Details. Beide sind mindestens 80 Jahre<br />

nach Christi Geburt entstanden. Kein<br />

Wunder also, dass sich die Evangelisten<br />

ein paar literarische Freiheiten nehmen<br />

mussten. Was auch nicht weiter verwerflich<br />

ist, denn ihnen ging es um theologische<br />

und nicht um historische Aussagen.<br />

Doch schon bald entwickelten beide<br />

Geschichten ein Eigenleben: Über Generationen<br />

wurden erzählerische Lücken<br />

gefüllt und Widersprüche aufgelöst. So<br />

entstand nach und nach die allbekannte<br />

Weihnachtsgeschichte, die bis heute unzählige<br />

Menschen in aller Welt inspiriert.<br />

Doch wenn wir uns streng an die Bibel<br />

hielten, würden unsere Krippen ganz<br />

anders aussehen – und vor allem wären<br />

sie um einiges leerer.<br />

Maria spielt in der Weihnachtsgeschichte<br />

nach<br />

Lukas eine wichtige Rolle:<br />

Alles beginnt damit, dass ein<br />

Engel Maria ankündigt, dass<br />

sie den Messias gebären<br />

wird. Trotzdem erfahren wir<br />

kaum etwas über sie — außer<br />

dass sie aus Nazaret stammt,<br />

mit Josef verlobt und Jungfrau<br />

ist (sie hat noch keinen<br />

Mann „erkannt“, heißt es<br />

in der Bibelsprache). Die<br />

schwangere Maria reist mit<br />

Josef wegen einer Volkszählung<br />

nach Betlehem.<br />

Josef ist präsenter als Maria<br />

im Matthäusevangelium:<br />

Er will sich von ihr trennen,<br />

nachdem sie schwanger<br />

wurde, und erst ein Engel<br />

bringt ihn davon ab. Was<br />

wissen wir sonst über Josef?<br />

Er ist Bauhandwerker aus<br />

adeligem Geschlecht (er<br />

stammt von König David ab)<br />

und wohnt laut Matthäus<br />

nicht in Nazaret, sondern<br />

in Betlehem — erst nach der<br />

Flucht nach Ägypten siedelt<br />

sich die junge Familie in<br />

Nazaret an.<br />

?<br />

Jesus — war er ein „holder<br />

Knabe im lockigen Haar“?<br />

Darüber ver lieren die Evangelisten<br />

kein Wort. Am wichtigsten<br />

ist ihnen, dass er in<br />

Betlehem geboren ist — der<br />

Heimatstadt König Davids,<br />

aus der laut Prophezeiung<br />

der Messias kommen würde.<br />

Laut Lukas bekommt er<br />

nach acht Tagen den Namen,<br />

den der Engel Maria genannt<br />

hatte: Jesus — das bedeutet<br />

„Gott rettet“.<br />

Der Stall gilt als der Ort,<br />

an dem Maria Jesus gebar.<br />

Doch Matthäus nennt keinen<br />

konkreten Ort, und Lukas<br />

verwendet das griechische<br />

Wort katályma, das „Herberge“<br />

oder „Gästezimmer“<br />

bedeutet.<br />

ILLUSTRATION: SILVIA DRUML-SHAMS; VORLAGE KARTE: GETTY IMAGES/ISTOCK<br />

8<br />

ÄGYPTEN


M E<br />

E R<br />

Damaskus<br />

Reich Herodes’<br />

des Großen<br />

G a l i<br />

l ä a<br />

See<br />

Gennesaret<br />

?<br />

?<br />

Nazaret<br />

Jaffa<br />

Gaza<br />

S a m a<br />

J u d ä a<br />

Jerusalem<br />

Betlehem<br />

Die Krippe wird bei Lukas<br />

wörtlich erwähnt: „[Maria]<br />

wickelte ihn in Windeln und<br />

legte ihn in eine Krippe, weil<br />

in der Herberge kein Platz<br />

für sie war.“ Damals war es<br />

üblich, dass Tiere und Menschen<br />

sich den Wohnraum<br />

teilten. Darum lässt sich<br />

nichts darüber sagen, wo<br />

diese Krippe sich befand.<br />

r i a<br />

? ?<br />

Jordan<br />

Jericho<br />

Totes<br />

Meer<br />

Die Hirten kommen nur<br />

bei Lukas vor. Als sie Nachtwache<br />

halten, tritt ein Engel<br />

zu ihnen und verkündet<br />

die Geburt des Messias in<br />

Bet lehem. Daraufhin eilen<br />

die Hirten nach Betlehem<br />

Petra<br />

und finden Jesus in der<br />

Krippe — wie es ihnen der<br />

Engel gesagt hatte. Wie sie<br />

aus sehen und welche Tiere<br />

sie hüten, erfahren wir nicht.<br />

Die „Drei Könige“ sind wohl<br />

die missverstandensten<br />

von allen Figuren der Weihnachtsgeschichte:<br />

Sie kommen<br />

nur bei Matthäus vor,<br />

doch dort ist von magoi, also<br />

Magiern oder Stern deutern,<br />

„aus dem Osten“ die Rede.<br />

Sie werden nicht namentlich<br />

genannt, sind keine Könige,<br />

und Matthäus nennt auch<br />

keine Zahl. Die Sterndeuter<br />

und ihre Gaben (Gold,<br />

Weihrauch und Myrrhe)<br />

ver sinnbildlichen, dass die<br />

Bedeutung Jesu weit über<br />

Israel hinausgeht. In der<br />

Tradition sind es drei, weil<br />

diese Zahl symbolisch für<br />

göttliche Aktivität steht.<br />

Ochs und Esel werden in<br />

den Evangelien mit keinem<br />

Wort erwähnt. Wahrscheinlich<br />

sind Jesu tierische Begleiter,<br />

die in keiner Krippe<br />

fehlen dürfen, eine später<br />

entstandene Anspielung auf<br />

das Buch Jesaja, wo es heißt:<br />

„Der Ochse kennt seinen Besitzer<br />

und der Esel die Krippe<br />

seines Herrn; Israel aber hat<br />

keine Erkenntnis, mein Volk<br />

hat keine Einsicht.“<br />

Der Stern von Betlehem<br />

kommt — wie die Sterndeuter<br />

— nur bei Matthäus<br />

vor. Er geht genau bei der<br />

Geburt Jesu auf, wandert<br />

über den Himmel und bleibt<br />

schließlich über Betlehem<br />

stehen. Seit dem Mittelalter<br />

wird vermutet, es kön nte<br />

sich um den Hal ley’schen<br />

Kometen (der aber schon<br />

12—11 v. Chr. vorbeizog) gehandelt<br />

haben. Doch als<br />

Motiv steht der Stern schlicht<br />

für die Geburt eines Königs.<br />

Herodes der Große ist laut<br />

beiden Evangelien bei Jesu<br />

Geburt König von Judäa.<br />

Laut Matthäus lässt er alle<br />

Knaben in Betlehem bis zum<br />

Alter von zwei Jahren töten.<br />

Doch die Fa milie wird von<br />

einem Engel gewarnt und<br />

flieht nach Ägypten. Für den<br />

Kindermord gibt es keinen<br />

historischen Beleg — und<br />

Herodes der Große starb<br />

nach heutiger Zeitrechnung<br />

im Jahr 4 vor Christus.<br />

Darum wird ver mutet, dass<br />

Jesus schon vor dem Jahr<br />

Null auf die Welt kam.<br />

9


GOTT & DIE WELT<br />

Glossar des Glaubens<br />

TABERNAKEL<br />

[tabɐˈnaːkl̩ ]<br />

Es gibt Wörter, die schon ihrem<br />

Klang nach etwas Magisches haben,<br />

fast wie ein Zauberspruch. Der<br />

Tabernakel (ja, es ist wirklich „der“)<br />

gehört zu ihnen. Den magischen<br />

Klang hat das Wort nicht zu Unrecht.<br />

Das lateinische tabernaculum<br />

(„Hütte“, „Zelt“) bezeichnete das<br />

Offen barungszelt, in dem das<br />

Volk Israel sein Allerheiligstes aufbewahrte:<br />

die Bundeslade mit den<br />

Gebotstafeln (die vielen durch den<br />

Film „Indiana Jones“ ein Begriff ist).<br />

Das Offenbarungszelt durfte nur einmal<br />

im Jahr vom Hohe priester betreten<br />

werden, schließlich war es nichts<br />

Geringeres als die Heimstatt Gottes<br />

auf Erden. Auch die Katholikinnen<br />

und Katholiken bewahren in einem<br />

Tabernakel ihr Allerheiligstes auf:<br />

konsekrierte Hostien — also Brot, das<br />

in den Leib Christi gewandelt wurde.<br />

Nur ist diese Heimstatt kein Zelt,<br />

sondern eine Art heiliger Safe: „feststehend,<br />

aus festem, haltbarem,<br />

bruchsicherem und nicht durchsichtigem<br />

Material gearbeitet und so<br />

verschlossen, dass die Gefahr der Entehrung<br />

mit größtmöglicher Sicherheit<br />

vermieden wird“, heißt es in der<br />

Grundordnung des Römischen Messbuchs.<br />

Ein Tabernakel findet sich in<br />

jeder Kirche; davor brennt das Ewige<br />

Licht, das die Gegenwart Christi anzeigt.<br />

Übrigens: Auch andere Gefäße<br />

für konsekrierte Hostien tragen ganz<br />

besondere Namen. Der Hostienkelch<br />

heißt Ziborium, das kleinste Gefäß<br />

(quasi ein Mini-Tabernakel für unterwegs)<br />

Pyxis. Darum mein Rat: Spielen<br />

Sie nie Scrabble gegen einen Pfarrer!<br />

Raffael Fritz<br />

Ein Tag zum Krafttanken. Zeit mit den Liebsten verbringen, die Natur genießen<br />

oder einfach einmal entspannen — ein Sonntag frei von Arbeit macht es möglich.<br />

FREIER SONNTAG: „WIR KÖNNEN NICHT<br />

NUR RUND UM DIE UHR PRODUZIEREN“<br />

Fixpunkt freier Sonntag. Im<br />

Jahr 321 verkündete der römische<br />

Kaiser Konstantin, dass „am Tag der<br />

Sonne alle Richter, ebenso das Volk<br />

in den Städten sowie die Ausübung<br />

der Künste und Handwerke ruhen<br />

sollen“ – der freie Sonntag erhielt<br />

seine erste gesetzliche Grundlage.<br />

1.676 Jahre später schien die<br />

Sonntagsruhe in Gefahr: „1997,<br />

zwei Jahre nach Österreichs EU-<br />

Beitritt, gab es in England einen<br />

Entscheid, dass ein Tag in der Woche<br />

frei sein muss – allerdings musste<br />

dies nicht der Sonntag sein. Daraufhin<br />

haben wir in Oberösterreich die<br />

Allianz für den freien Sonntag gegründet“,<br />

erinnert sich Heinz Mittermayr,<br />

Oberösterreich-Koordinator<br />

der Allianz. Die Initiative machte<br />

Schule; zunächst in Österreich, später<br />

auch international. Heuer feiert<br />

die Allianz ihr 25-jähriges Bestehen.<br />

Das Besondere an ihr: Sie ist ein<br />

gemeinnütziger und überparteilicher<br />

Zusammenschluss von Politik, Kultur,<br />

Kirchen, Gewerkschaften und<br />

Zivilgesellschaft – mit dem Ziel,<br />

das Bewusstsein für den Wert gemeinsamer<br />

freier Zeiten zu schärfen.<br />

„Wir können nicht nur rund um die<br />

Uhr produzieren und konsumieren“,<br />

erklärt Heinz Mittermayr. „Wir brauchen<br />

den freien Sonntag als Fixpunkt.<br />

Die Mehrheit der Österreicherinnen<br />

und Österreicher sieht<br />

das auch so, und genau dafür setzen<br />

wir uns ein.“<br />

FOTOS: UNSPLASH.COM, WWW.KAINDLSTORFER-PHOTOGRAPHIE.AT<br />

10


Gute Aussichten. Der gesuchte Kalvarienberg mit seiner entzückenden Kapelle<br />

ist auch im Winter ein beliebtes Ausflugsziel.<br />

WO BIN ICH?<br />

Wir führen Sie in jeder Ausgabe zu einer der vielen Kirchen<br />

und Kapellen in Oberösterreich. Können Sie erraten, welche<br />

wir diesmal besucht haben?<br />

Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum<br />

es so viele Kalvarienberge gibt? Bad Ischl hat<br />

einen, Kremsmünster auch und Wels ebenfalls. Der<br />

Name kommt von calvariae locus („Ort des Schädels“)<br />

– dem lateinischen Begriff für den Hügel Golgota, auf<br />

dem Jesus gekreuzigt wurde. Darum finden sich auf<br />

allen Kalvarienbergen Kirchen oder Kapellen, die als<br />

Andachtsstätten für die Passion Christi dienen. Der<br />

hier gesuchte Kalvarienberg befindet sich in einer Gemeinde<br />

an der Donau mit rund 1.300 Einwohnerinnen<br />

und Einwohnern (aus der übrigens auch unser Bischof<br />

Manfred Scheuer stammt). Einheimische wissen, dass<br />

man von hier oben einen sagenhaften Fernblick vom<br />

Böhmerwald bis zum Dachstein hat. Und auch die<br />

Kapelle selbst ist ein besonderer Anblick mit ihrem<br />

eindrucksvollen Jesus-Bild an der Fassade. Es basiert<br />

auf einem Entwurf zweier Franziskaner mönche, der<br />

schon in den 1930er-Jahren entstanden ist, aber erst<br />

bei einer Renovierung durch freiwillige Helferinnen<br />

und Helfer zum Jahres wechsel 2013/14 vollendet<br />

wurde. Wissen Sie, welche Kapelle gemeint ist? Die<br />

Lösung finden Sie auf Seite 75.<br />

11


GOTT & DIE WELT<br />

EIN FEST VON EINEM BRATEN<br />

Was wäre die heimische Küche ohne das „Bratl“ – einen nach allen Regeln<br />

der Kochkunst zubereiteten Schweinsbraten? Richtig, einfach undenkbar!<br />

Mit diesem Rezept ist kulinarischer Hochgenuss garantiert.<br />

„Ein Schweinsbraten ist ein<br />

Festessen, das ich auftische,<br />

wenn die ganze Familie zusammenkommt“,<br />

erzählt Margit<br />

Pschorn vom Kommunikationsbüro<br />

der Diözese Linz. „Da wir<br />

ziemliche Fleisch tiger sind,<br />

achten wir im Gegenzug sehr<br />

bewusst auf die Herkunft der<br />

Produkte. Der Schopf vom<br />

Fleischhauer aus dem Ort oder<br />

vom Bauern nebenan schmeckt<br />

einfach tausendmal besser –<br />

von der Vorbildwirkung gegenüber<br />

meinen Kindern ganz<br />

abgesehen.“<br />

MARGIT<br />

PSCHORN<br />

ist Redakteurin im<br />

Kommunikationsbüro<br />

der Diözese<br />

Linz und lebt<br />

mit ihrer Familie<br />

in Wilhering.<br />

Zeitaufwand: 4 Stunden<br />

Zutaten für 4 Personen:<br />

Für den Schweinsbraten:<br />

10 gepresste Knoblauchzehen<br />

2 EL Salz<br />

2 EL Kümmel<br />

1 mittelgroße gewürfelte<br />

Zwiebel<br />

1 kg Schweinsschopfbraten<br />

3 EL Schweineschmalz<br />

Für das Specksauerkraut:<br />

1 mittelgroße Zwiebel<br />

150 g gewürfelter Bauchspeck<br />

2 EL Schweineschmalz<br />

1 kg Sauerkraut<br />

1 EL ganzer Kümmel<br />

2 EL Kristallzucker<br />

2 TL Salz<br />

Für die Erdäpfelknödel:<br />

1 kg mehlige Erdäpfel<br />

200 g Stärkemehl<br />

Salz nach Belieben<br />

Zubereitung:<br />

1. Gepressten Knoblauch, Salz,<br />

Kümmel und Zwiebel miteinander<br />

vermischen und<br />

mit dieser Paste das Fleisch<br />

einreiben.<br />

2. Das Fleisch in eine Bratpfanne<br />

legen, Schmalz dazugeben<br />

und ca. ¼ l Wasser zugießen.<br />

3. Bei 170 °C im Backrohr etwa<br />

120 Minuten braten lassen.<br />

Dann das „Angebratene“ vom<br />

Rand der Bratpfanne abschaben<br />

und in den Bratensaft geben<br />

(das gibt eine schöne Farbe).<br />

Eventuell etwas Wasser<br />

zugießen. Der Braten ist nach<br />

3 Stunden zart und weich.<br />

4. Für das Speckkraut Zwiebel<br />

schälen und fein würfeln.<br />

Mit Bauchspeck und Schweineschmalz<br />

in der Pfanne<br />

knusprig anbraten.<br />

5. Etwas Wasser mit Sauerkraut,<br />

Kümmel, Zucker und Salz<br />

in einem Topf vermischen.<br />

Zugedeckt bei kleiner Hitze<br />

ca. 10 Minuten kochen.<br />

Dann die Zwiebel-Speck-<br />

Masse einrühren.<br />

6. Für die Knödel Erdäpfel<br />

kochen, schälen und heiß<br />

zer drücken. Mit Salz abschmecken,<br />

Stärkemehl gut<br />

untermischen und zu einem<br />

Teig kneten.<br />

7. Knödel formen und in Salzwasser<br />

ca. 25 Minuten leicht<br />

köcheln lassen.<br />

FOTOS: DANIEL WAGNER, STOCKFOOD/EISING STUDIO<br />

12


13


GOTT & DIE WELT<br />

FLAMMENDES INFERNO<br />

Loderndes Feuer, heißes Pech und Schwefeldampf – so stellen wir uns<br />

die Hölle vor. Doch wie kommt es dazu? Wir haben eine Geologin,<br />

einen Theologen und einen Feuerwehrmann gefragt: Warum ist die Hölle heiß?<br />

Als Geologin stelle ich mir die Hölle nicht unterirdisch<br />

vor – dafür weiß ich einfach zu viel darüber,<br />

was im Untergrund passiert. Sollte es wirklich eine<br />

Hölle geben, dann sehe ich die eher im metaphysischen<br />

Raum, in der Absenz des Guten zum Beispiel,<br />

aber sicher nicht unter der Erde.<br />

Wobei: Unter der Erde kann es durchaus höllisch<br />

heiß werden – und wie tief man dafür bohren muss,<br />

hängt vom jeweiligen Ort ab. Im Inneren eines stabilen,<br />

alten Kontinents wie Afrika muss man ziemlich<br />

lange graben. So findet sich in Südafrika vier Kilometer<br />

unter der Erde die tiefste Mine der Welt, wo<br />

das Gestein „nur“ etwa 60 Grad hat. In Vulkangebieten<br />

geht es naturgemäß schneller. Bohrt man<br />

etwa in der Gegend um Neapel, bei den Phlegräischen<br />

Feldern oder bei Ischia, erreicht man bereits<br />

in einem Kilometer Tiefe über 150 Grad Celsius.<br />

Am heißesten ist es aber natürlich im Erdkern, der<br />

in 5.100 bis 6.371 Kilometer Tiefe liegt. Dort herrschen<br />

Temperaturen bis zu 6.000 Grad. Diese Hitze<br />

stammt noch von der Bildung unseres Planeten und<br />

wird kontinuierlich an die Erdoberfläche weitergeleitet.<br />

Aber auch ein zweiter Faktor speist den Untergrund<br />

mit Wärme: der radioaktive Zerfall des Gesteins.<br />

Gemeinsam sorgen diese Faktoren dafür, dass<br />

die Temperaturen im Boden unter unseren Füßen<br />

noch sehr lange höllisch bleiben.<br />

Warum wird die Hölle heiß dargestellt? Beziehungsweise<br />

warum gibt es eigentlich so etwas wie<br />

das Konzept der Hölle? Um das zu beantworten,<br />

muss man ausholen, wie sich der Begriff Hölle entwickelt<br />

hat: Die germanische Wurzel hel bedeutet<br />

(ver)bergen. Davon leitet sich der Begriff Hölle<br />

(engl. hell) ab und bezeichnet einen unterirdischen<br />

Ort, in dem die Toten geborgen sind. In der nordischen<br />

Mythologie ist Hel(heim) ein dunkler Ort im<br />

Machtbereich der Todesgöttin Hel – und dort herrschen<br />

kalte Temperaturen. Wahrscheinlich, weil man<br />

damals die Hölle am besten mit Bildern ausdrückte,<br />

die man auch als reale Gefahr erlebte. Und im Norden<br />

war das nun einmal die Kälte. In der biblischen<br />

Welt gibt es ebenfalls so einen Ort für alle Verstorbenen:<br />

die Unterwelt. Weil die Menschen in der vorchristlichen<br />

Zeit viel Unterdrückung und Gewalt<br />

erfahren haben, entwickelte sich die Glaubensüberzeugung,<br />

dass Gottes Macht sich auch auf das Totenreich<br />

erstreckt und am Ende – mit der Aussicht auf<br />

Himmel oder Hölle – für Gerechtigkeit gesorgt wird.<br />

Im Nahen Osten war Hitze immer eine Bedrohung,<br />

das trug sicherlich zur „heißen Hölle“ bei. Dazu<br />

kommt: Der jenseitige Point of no Return wird in<br />

der biblischen Vorstellungswelt gern mit feurigen<br />

Sprachbildern ausgedrückt. In der Offenbarung des<br />

Johannes ist etwa die Rede von einem „Feuersee“.<br />

HANNAH POMELLA ist Assistenzprofessorin am<br />

Institut für Geologie der Leopold-Franzens-Universität<br />

Innsbruck.<br />

DOMINIK STOCKINGER ist Universitätsassistent am<br />

Institut für Bibelwissenschaft der Katholischen Privat-<br />

Universität Linz.<br />

14


FOTOS; PRIVAT, CLAUS KUSMITSCH, CHRISTIAN MATHE; ILLUSTRATION: STUDIO NITA<br />

Die Hölle ist in meiner Vorstellung kein heißer Ort.<br />

Ich habe natürlich dieses Konzept im Religionsunterricht<br />

gelernt. Aber dadurch, dass ich bereits in sehr<br />

jungen Jahren zur Feuerwehr gekommen bin, habe<br />

ich Feuer nie mit der ewigen Verdammnis assoziiert.<br />

Es ist für mich etwas, wogegen man gemeinsam<br />

kämpft. Etwas, gegen das man in der Gruppe, nicht<br />

alleine dasteht. Und Feuer muss ja nicht ausschließlich<br />

als etwas Böses gesehen werden. Das Pfingstfeuer<br />

zum Beispiel vermittelt eine frohe Botschaft.<br />

Insofern würde ich sagen, die Hölle ist nicht heiß.<br />

Sie liegt für mich genauso wenig in einer erfahrbaren<br />

Welt wie der Himmel.<br />

Trotzdem wird natürlich der Begriff „höllisch heiß“<br />

für Feuer verwendet. Und es hautnah zu er leben,<br />

ist alles andere als angenehm: Bei einem Zimmerbrand<br />

ist man – mit Schutzausrüstung und schwerem<br />

Atemschutz – schnell Temperaturen von 600 bis<br />

700 Grad ausgesetzt. Aber man lernt über die Jahre,<br />

den Rauch und die Flammen zu lesen und Feuer<br />

ganzheitlich zu interpretieren: Was befindet sich<br />

rundherum? Was könnten Brandbeschleuniger sein?<br />

Ich glaube, es gibt nur eine Situation, in der Feuer<br />

von meiner Berufsgruppe wirklich als Hölle empfunden<br />

wird: wenn Menschen darin eingeschlossen sind<br />

und wir sie trotz aller Bemühungen nicht rechtzeitig<br />

befreien können. Diese Feuer verletzen nicht nur<br />

körperlich, sondern auch psychisch.<br />

JOSEF BRÖDERBAUER ist Bezirks-Feuerwehrkommandant<br />

des Bezirks Rohrbach und im Medienverleih der Diözese<br />

Linz tätig.<br />

15


Seltene Gäste. Plötzlich ertönen<br />

trompeten artige Rufe. Woher sie kommen,<br />

ist zunächst unklar. Erst der Blick in den<br />

in prächtiges Abendrot getauchten Himmel<br />

zeigt: Es sind Kraniche, die in Formation<br />

fliegen und dabei miteinander kommunizieren.<br />

Die faszinierenden Vögel sind<br />

im <strong>Herbst</strong> unterwegs Richtung Süden,<br />

ihre Route führt sie auch über Österreich.<br />

Also: Augen und Ohren offen halten beim<br />

herbstlichen Spaziergang — es lohnt sich!<br />

FOTO: GETTY IMAGES/ISTOCK<br />

16


HIMMEL<br />

WIE WIR EIN STÜCK DAVON<br />

SCHON AUF ERDEN SCHAFFEN<br />

Wir gemeinsam sind in der Lage, den Himmel auf Erden<br />

in Augenblicken erfahrbar zu machen. Das beginnt<br />

bei einer Achtsamkeit gegenüber kleinen Wundern im Alltag<br />

und endet in der Hingabe für ein Herzensprojekt.<br />

17


HIMMEL<br />

ENGEL AUF<br />

VIER RÄDERN<br />

18


Der Verein Rollende Engel erfüllt schwerkranken<br />

Menschen ihren letzten Wunsch. Die Idee dazu<br />

hatte der Welser Florian Aichhorn im Jahr 2019.<br />

Mittlerweile haben schon mehr als 150 Patientinnen<br />

und Patienten in einem der beiden umgebauten<br />

Kleinbusse Platz genommen.<br />

TEXT: NIKOLAUS NUSSBAUMER<br />

FOTOS: ROBERT MAYBACH<br />

Himmlische Helfer.<br />

Florian Aichhorn (rechts<br />

im Bild) und Markus Kaar<br />

haben einen Bus zur fahrenden<br />

Intensivstation um -<br />

gebaut und rücken damit<br />

aus, um unheilbar kranken<br />

Menschen noch ein letztes<br />

Mal Freude zu bereiten.<br />

19


HIMMEL<br />

M<br />

anchmal findet man Engel<br />

nicht dort, wo man sie vermuten<br />

würde. Nicht hoch oben<br />

am Himmelszelt, sondern in einer grauen<br />

Garage in einem unscheinbaren Hinterhof<br />

im Gewerbegebiet von Wels. Hier parken<br />

zwei Kleinbusse, der eine himmelblau,<br />

der andere dunkelblau lackiert, mit jeweils<br />

einem großen Engel an den Seitenfronten.<br />

An der Garagenwand gegenüber hängen<br />

unzählige Fotos von Wunschfahrten mit<br />

einem der beiden Autos. Man sieht darauf<br />

lachende, glückliche Menschen, deren Reise<br />

auf Erden bald zu Ende geht. Ihr „Reisebegleiter“<br />

ist Florian Aichhorn, 41 Jahre<br />

jung, langjähriger ehrenamtlicher Mitarbeiter<br />

im Rettungsdienst und ehemaliger<br />

Leiter eines Erlebnishofs für kranke Kinder.<br />

Der geborene Welser hat es sich zur Aufgabe<br />

gemacht, schwerkranken Menschen<br />

ihren letzten Wunsch zu erfüllen. Und das<br />

österreichweit und völlig kostenlos. „Es ist<br />

eine riesengroße Erfahrung und Erfüllung<br />

für mich“, sagt er begeistert.<br />

Sein Schlüsselerlebnis hatte Florian Aichhorn<br />

im März 2019. Damals teilte er sich<br />

in einem Restaurant in Wels den Tisch mit<br />

einem deutschen Ehepaar und dessen zehnjährigem<br />

Sohn Leonard. „Was willst du<br />

einmal werden?“, fragte Aichhorn. „Nix“,<br />

antwortete dieser. „Wieso nix?“, wollte er<br />

dann wissen. Da erfuhr er von den Eltern,<br />

dass Leonard aufgrund einer schweren<br />

Erkrankung seine ärztlich prognostizierte<br />

Lebenserwartung schon um zwei Jahre<br />

überschritten hatte. „Das war ein furchtbarer<br />

Moment für mich“, erinnert sich Aichhorn.<br />

Und gleichzeitig war er die Initialzündung<br />

zur Gründung des Vereins Rollende<br />

Engel. Denn auf Nachfrage hörte er, dass<br />

der Zehnjährige noch einen letzten, großen<br />

Wunsch hatte: einmal mit einem Rallye auto<br />

mitfahren! Kein Problem für ein Organisationstalent<br />

wie Florian Aichhorn. Als haupt-<br />

»Schwerkranken Menschen ihren<br />

letzten Wunsch zu erfüllen ist eine riesengroße<br />

Erfahrung und Erfüllung für mich.«<br />

Florian Aichhorn<br />

FLORIAN<br />

AICHHORN<br />

Der 41-jährige<br />

Tourmanager<br />

hat die Rollenden<br />

Engel 2019 gegrün<br />

det. Mit seinem<br />

Team konnte<br />

er seither mehr<br />

als 150 letzte Wünsche<br />

erfüllen.<br />

Für sein Engagement<br />

bekam der<br />

Verein heuer den<br />

Solidaritätspreis<br />

der Diözese Linz<br />

verliehen.<br />

beruflicher Tourmanager begleitet er seit<br />

16 Jahren nationale und internationale<br />

KünstlerInnen auf deren Konzert tourneen<br />

und kümmert sich dabei um große Probleme<br />

und kleine Wehwehchen. Also griff er<br />

zum Hörer und stellte innerhalb kürzester<br />

Zeit eine Ausfahrt mit einem österreichischen<br />

Rallye-Staatsmeister in dessen 500 PS<br />

starkem Boliden auf die Beine. Aichhorn:<br />

„ Leonard quietschte vor Glück – und seine<br />

Eltern hatten Tränen in den Augen.“<br />

Einmal noch nach Mariazell pilgern<br />

Doch von der Idee bis zur Gründung des<br />

Vereins sollte es noch neun lange Monate<br />

dauern. Zuerst wurde ein gebrauchter<br />

weißer Schulbus angekauft und auf eine<br />

„rollende Intensivstation mit Wohnzimmeratmosphäre“<br />

umgebaut. Denn nichts soll an<br />

das sterile Ambiente eines Krankenhauses<br />

erinnern. Es soll eine Ausflugsfahrt sein,<br />

kein Krankentransport, betont Florian Aichhorn.<br />

Die größte Hürde stellte aber die gesetzliche<br />

Bestimmung dar, dass sogenannte<br />

Liegendtransporte in Österreich einzig dem<br />

Rettungsdienst vorbehalten sind. „Es hat<br />

viel Geduld und viel Kampf gebraucht, um<br />

endlich alle Genehmigungen zu bekommen“,<br />

erinnert er sich. Die erste geplante<br />

Ausfahrt am 15. März 2020 fiel dem Corona-Lockdown<br />

zum Opfer. Am 4. Juni 2020<br />

war es dann aber so weit: Der 68-jährige<br />

Helmut durfte nach etlichen schweren<br />

Schlaganfällen noch einmal die Basilika<br />

in Mariazell besuchen und alte Jugenderinnerungen<br />

aufleben lassen.<br />

20


Heimat der Engel. In einer Welser Garage blickt Florian Aichhorn auf erfüllte<br />

letzte Wünsche wie den „Formel-1-Weltmeister“ zurück und verarbeitet das Erlebte<br />

beim Tischfußball mit den Kollegen.


HIMMEL<br />

»Ich lebe jetzt ganz anders.<br />

Ich ärgere mich nicht mehr über Kleinigkeiten,<br />

sondern freue mich über jeden Tag,<br />

an dem ich lebe. Ich weiß, es kann der letzte sein.«<br />

Markus Kaar<br />

Heuer im Mai erfüllten die Rollenden Engel<br />

bereits den 111. letzten Wunsch. Eine<br />

28-jährige Krebspatientin im End stadium<br />

konnte eine letzte Bootsfahrt auf dem<br />

Faaker See machen. Inzwischen ist der<br />

Fuhrpark auf zwei Fahrzeuge angewachsen,<br />

mehr als 150 Patientinnen und Patienten<br />

haben schon darin Platz genommen. Ihr<br />

Durchschnittsalter: 24 bis 48 Jahre. Ihre<br />

Diagnosen: Tumor, Thrombose, Schlaganfall.<br />

Nur drei von ihnen leben noch.<br />

„Manche haben wir zehn Stunden nach<br />

der Ausfahrt verloren, andere eine Woche<br />

danach.“ Der jüngste Mitfahrer war der<br />

sechsjährige Maximilian aus Wien, dessen<br />

größter Wunsch es war, mit der Grottenbahn<br />

auf dem Pöstlingberg zu fahren.<br />

Allzeit bereit.<br />

Erreicht Florian<br />

Aichhorn (rechts)<br />

ein letzter Wunsch,<br />

macht er sich mit<br />

Markus Kaar so<br />

rasch wie möglich<br />

an die Erfüllung.<br />

Markus Kaar, 56-jähriger Magistrats mitarbeiter<br />

aus Wels, ist einer dieser Rollenden<br />

Engel und von Beginn an mit dabei. „Anfangs<br />

war ich unsicher, ob ich mir das zutraue“,<br />

gesteht er. Mittlerweile hat seine<br />

Aufgabe im Verein sein Wesen und Denken<br />

verändert. „Ich lebe jetzt ganz anders. Ich<br />

ärgere mich nicht mehr über Kleinigkeiten,<br />

sondern freue mich über jeden Tag, an dem<br />

ich lebe. Ich weiß, es kann der letzte sein.“<br />

Tod und Trauer, Leid und Schmerz sind<br />

ständige Begleiter der Rollenden Engel.<br />

Aber auch die unendliche Dankbarkeit der<br />

mitfahrenden Menschen. Wie man mit diesen<br />

Gefühlen umgeht? „Wir haben ein tolles,<br />

Wettlauf gegen die Zeit<br />

Letzte Wünsche, das ist die Erkenntnis von<br />

Florian Aichhorn nach zwei Jahren, sind<br />

selten groß und teuer. Es sind meist ganz<br />

kleine Dinge, die am Ende wichtig sind.<br />

Noch einmal heim zur Familie dürfen. Bei<br />

der Taufe des Enkels dabei sein. Die geliebte<br />

Katze streicheln. Einen Sonnen untergang<br />

genießen. Oder das Grab der verstorbenen<br />

Ehefrau besuchen. Insgesamt 22 ehrenamtliche<br />

Wunscherfüller – Sanitäterinnen,<br />

Intensivpfleger und Notärztinnen – rücken<br />

dafür in ihrer Freizeit unbezahlt aus. Und<br />

sind rund um die Uhr telefonisch erreichbar.<br />

Nur so schafft man es, dass letzte Wünsche<br />

innerhalb von acht Stunden erfüllt<br />

werden. „Denn eines haben unsere Patienten<br />

nicht: ewig Zeit“, sagt Florian Aichhorn.<br />

22


HIMMEL<br />

sehr erfahrenes Team“, erklärt Vereinsobmann<br />

Florian Aichhorn, „wir setzen uns<br />

nach jeder Fahrt zusammen, reden, spielen<br />

eine Runde Tischfußball und trinken gemeinsam<br />

ein Bier.“<br />

Dennoch gibt es immer wieder Momente,<br />

die besonders nahegehen. Etwa das Schicksal<br />

einer 32-jährigen Mutter mit Krebs im<br />

Endstadium. Ihr letzter Wunsch war es,<br />

Weihnachten mit ihrem Mann und dem<br />

achtjährigen Sohn zu verbringen. Also holte<br />

man sie am Christtag im Krankenhaus Ried<br />

ab und brachte sie heim zur Familie. „Es<br />

war herzzerreißend“, erinnert sich Florian<br />

Aichhorn, „wir sind alle händchenhaltend<br />

vor dem Weihnachtsbaum gestanden und<br />

haben gesungen.“ Eltern und Kind blätterten<br />

in alten Fotoalben, saßen auf der Couch<br />

und streichelten einander. Plötzlich verschlechterte<br />

sich der Zustand der Mutter<br />

rapide. „Wir mussten die Ausfahrt abbrechen,<br />

haben die Mutter auf die Trage gelegt<br />

und wollten hinter ihr die Fahrzeugtüre<br />

schließen.“ Doch der achtjährige Sohn<br />

wollte seine Mama nicht gehen lassen –<br />

wissend, dass er sie nie wieder lebend<br />

sehen würde. „Er hat sich auf die Trage<br />

geworfen und gebrüllt.“<br />

»Es ist das Ende der Welt, sagt die<br />

Raupe. Es ist erst der Anfang, sagt<br />

der Schmet terling.«<br />

Dieser Spruch hängt eingerahmt in der<br />

Patientenkabine des himmelblauen Fahrzeugs.<br />

Und er ist so etwas wie der Leitsatz,<br />

das Credo der Rollenden Engel: Man kann<br />

das Schicksal nicht ändern, der Tod gehört<br />

zum Leben – aber man kann schwerkranken<br />

Menschen noch einmal ein Lächeln ins<br />

Gesicht zaubern. „Für ein paar Stunden<br />

spüren sie keine Schmerzen und können<br />

einfach loslassen“, sagt Florian Aichhorn.<br />

Die beiden Fahrzeuge, auch „Engel“ genannt,<br />

sind genau dafür ausgestattet und<br />

umgebaut worden. Dazu gehören spezielle<br />

Lichtdesigns, ein DVD-Player, Flachbild­<br />

ROLLENDE<br />

ENGEL<br />

Der Verein<br />

Rollende Engel<br />

ist nicht staatlich<br />

subventioniert<br />

und erhält sich<br />

ausschließlich<br />

über Spenden und<br />

Patenschaften.<br />

www.rollendeengel.at<br />

Spendenkonto:<br />

Verein<br />

Rollende Engel,<br />

Raiffeisenbank<br />

Wels,<br />

AT79 3468 0000<br />

0303 9500<br />

Beifahrer.<br />

Maximilian hinterließ<br />

den Rollenden<br />

Engeln seinen<br />

Teddybären Ben —<br />

und seither ist dieser<br />

bei jeder Ausfahrt<br />

mit an Bord.<br />

Streicheleinheit. Ein Patient wollte vor seinem<br />

Ableben noch eine Giraffe füttern und streicheln.<br />

schirm, Kühlschrank und eine Rundumverglasung<br />

für eine gute Aussicht. Wer mag,<br />

kann auch am Obstkorb naschen oder sich<br />

ein Glaserl Sekt oder ein Seidl Bier gönnen.<br />

Ein Teddybär als Co-Pilot<br />

Gut versteckt ist die medizinische Ausrüstung,<br />

die im Ernstfall benötigt wird, etwa<br />

EKG, Defibrillator, Notfallrucksack oder<br />

Sauerstoffkonzentrator. Die beiden Fahrzeuge<br />

verfügen auch über eine spezielle<br />

Luftfederung, denn immer wieder gibt<br />

es Patientinnen und Patienten, denen Erschütterungen<br />

große Schmerzen bereiten.<br />

Vorne beim Lenkrad hat Teddybär Ben<br />

seinen fixen Platz eingenommen. Er gehörte<br />

einmal dem sechsjährigen Maximilian aus<br />

Wien. Mit der Diagnose Glioblastom, einem<br />

bösartigen Hirntumor, durfte Maxi milian<br />

noch eine Runde mit der Grottenbahn auf<br />

dem Pöstlingberg drehen. „Wenn ich einmal<br />

nicht mehr da bin, soll Ben bei euch im Bus<br />

mitfahren und möglichst viel von Österreich<br />

sehen“, wünschte sich der Sechs jährige<br />

nach der Ausfahrt.<br />

Zwei Wochen später erreichte die Rollenden<br />

Engel ein Paket aus Wien. Darin eingepackt:<br />

Teddybär Ben. Mittlerweile hat Ben<br />

schon viel zwischen Neusiedler See und<br />

Bodensee kennenlernen dürfen. Und er<br />

wird noch mehr zu sehen bekommen.<br />

23


Rutsche ins Leben.<br />

Unser Werdegang ist<br />

von Höhen und Tiefen<br />

geprägt — das will die<br />

Künstlerin Elisabeth<br />

Altenburg mit ihrer<br />

Installation an der Stadtpfarrkirche<br />

Urfahr zum<br />

Ausdruck bringen.<br />

FOTO: VIOLETTA WAKOLBINGER


HIMMEL<br />

EINTRITT FREI!<br />

Ob Dom oder Kapelle: Jeder kirchliche Raum ist auch<br />

ein Ort für Kunst. Das war schon im Mittelalter so<br />

und gilt bis heute – wie ein fotografischer Streifzug<br />

durch Oberösterreich zeigt.<br />

TEXT: MARTINA GELSINGER<br />

FOTO: MANFRED BAUMANN<br />

Aus dem Turmfenster der Kirche<br />

ragen zwei gebogene Rohre. Ihr<br />

leuchtendes Rot hebt sich vom<br />

Umfeld ab. Ihre Form erinnert an eine<br />

Rutsche. Doch: Es ist kein weiches Sandbett<br />

eines Spielplatzes, an dem die Rutschenden<br />

ankommen. Die Rutschenbahn ragt in den<br />

Himmel hinein.<br />

Die „Rutsche“ an der barocken Stadtpfarrkirche<br />

Linz-Urfahr stammt von der<br />

Künstlerin Elisabeth Altenburg. Das aus<br />

dem Kontext gerissene Spielplatzelement<br />

ist ein Sinnbild fürs Erwachsenwerden –<br />

denn hier in Urfahr ist die Jugendkirche<br />

Linz angesiedelt. „Die Jugendlichen gehen<br />

hier gestärkt, unterstützt und mit beiden<br />

Beinen im Leben stehend heraus und ziehen<br />

weiter. Es ist eine Art Sprungbrett in die<br />

Zukunft“, so die Künstlerin.<br />

Spitzer Stachel, sanfter Trost<br />

Kirche und Kunst: Beide thematisieren das<br />

Leben. Beide können sowohl Stachel als<br />

auch Trost sein, uns an- oder aufregen. Als<br />

Gegensatzpaar, das die menschliche Existenz<br />

in all ihren Höhen und Tiefen in den<br />

Blick nimmt. In der Geschichte des katholischen<br />

Glaubens hat Kunst seit jeher eine<br />

tragende Rolle gespielt: Sie schafft Bedeutung,<br />

erzeugt Emotionen und eröffnet neue<br />

Glaubens erfahrungen.<br />

Die katholische Kirche war über Jahrhunderte<br />

der wichtigste Auftraggeber für<br />

Künstlerinnen und Künstler. Durch das<br />

Neue, Schöpferische und Einzigartige ist<br />

die Kunst ein Partner, der Themen und<br />

Inhalte abseits von Text und Schrift sicht -<br />

bar und erfahrbar gemacht hat – und das<br />

immer auf der Höhe der Zeit. Kunstobjekte<br />

sind in der Kirche eine unverzichtbare Andockfläche<br />

zur gegenwärtigen Gesellschaft.<br />

Die Diözese Linz ist hier im deutschsprachigen<br />

Raum federführend. Die folgenden<br />

Bilder zeigen eine aktuelle Auswahl davon:<br />

Kunstschaffende gestalten Kirchen- und<br />

Altarräume, Fenster, Glocken, Orgelprospekte,<br />

Gedenkorte, Abschiedsräume und<br />

Friedhofskapellen.<br />

So wie die Rutsche an der Stadtpfarrkirche<br />

Urfahr werfen Kunstwerke Fragen<br />

auf oder laden zum Innehalten ein. Mit<br />

ihren Räumen und Kunstschätzen ist die<br />

Katholische Kirche in Oberösterreich die<br />

größte Kunstsammlung des Landes. Und<br />

das Beste daran: Sie hat täglich geöffnet,<br />

und der Eintritt ist frei.<br />

MARTINA<br />

GELSINGER<br />

ist stellver tretende<br />

Abteilungsleiterin<br />

des Kunstreferats /<br />

Diözesankonservatorats<br />

Linz.<br />

Die hier gezeigten<br />

Fotos stammen aus<br />

dem Bildband „Kunst<br />

und Kirche. Stachel<br />

und Trost“, in dem<br />

die Diözese neue<br />

Kunstprojekte in<br />

Kirchen vorstellt.<br />

Das Buch ist im Dom­<br />

Center Linz und auf<br />

Anfrage im Buchhandel<br />

erhältlich.<br />

25


Verhüllte Pracht.<br />

Eine Rettungsfolie als<br />

Fastentuch vor dem<br />

Hochaltar der Pfarr kirche<br />

in Vöcklamarkt: Nicole<br />

Six und Paul Petritsch<br />

gelingt es damit, einen<br />

Augenblick zwischen<br />

Spiegelung und Transparenz<br />

zu schaffen.<br />

FOTO: NICOLE NIX UND PAUL PETRISCH<br />

26


HIMMEL<br />

Kreislauf des Lebens.<br />

Der Altar als Prozessor,<br />

der Ambo als Konden sator<br />

und die Bänke als Energiezellen:<br />

Judith Fegerl sieht<br />

im Kirchen leben Ähnlichkeiten<br />

mit einem elektronischen<br />

Plan und goss ihre<br />

Erkenntnis in den ziegelroten<br />

Terrazzo-Boden<br />

der Pfarrkirche Pollham.<br />

FOTO: THOMAS MARKOWETZ<br />

27


HIMMEL<br />

Klangperlen.<br />

Der Orgel prospekt voller<br />

Perlen als Bezug auf das<br />

Gleichnis von der Perle<br />

im Matthäusevangelium<br />

— Künstlerin Katharina<br />

Mayerhofer gibt der<br />

neuen Orgel in der Pfarrkirche<br />

von St. Aegidi<br />

ein zeitgemäßes und<br />

zugleich tiefgründiges<br />

Gesicht.<br />

28


BEIDE FOTOS: ULRICH KEHRER<br />

Auferstehung in Acryl.<br />

Das Bild von Walter<br />

Vopava im 2019 neu<br />

gestalteten Aufbahrungsraum<br />

in Linz-St. Magdalena<br />

zeigt: Es gibt etwas<br />

hinter unserem Leben<br />

und Sterben.<br />

29


HIMMEL<br />

Absterben und<br />

aufblühen.<br />

Die von Künstler Alois<br />

Mosbacher umgestaltete<br />

Trauer kapelle in Pabneukirchen<br />

deutet mit Wandzeich<br />

nungen das Werden<br />

und Vergehen in der Natur<br />

an und eröffnet gleichzeitig<br />

einen Blick in den<br />

Himmel.<br />

30


KUNST & KIRCHE<br />

IN ZAHLEN<br />

130.000<br />

Kunstobjekte<br />

werden von<br />

der Diözese Linz<br />

verwaltet.<br />

190<br />

Künstlerinnen<br />

und Künstler<br />

haben seit<br />

dem Jahr 2000<br />

ein Werk für eine<br />

Pfarre oder kirchliche<br />

Einrichtung<br />

geschaffen.<br />

2.000<br />

Objekte lagern<br />

im <strong>2022</strong> errichteten<br />

Kunstgutdepot<br />

„kulturGUTspeicher“<br />

im<br />

ehemaligen Stift<br />

Gleink — von<br />

der Orgel bis<br />

zum Heiligenbild.<br />

FOTO: VIOLETTA WAKOLBINGER<br />

1.000<br />

Kirchen werden<br />

vom Kunstreferat<br />

der Diözese und<br />

dem Diözesankonservator<br />

betreut<br />

— nicht nur<br />

bei Kunstobjekten,<br />

sondern auch bei<br />

Architektur und<br />

Zukunftsfragen.<br />

31


HIMMEL<br />

Gottes Licht<br />

im neuen Licht.<br />

Ein Altar aus Neon und<br />

Spiegeln ist das zentrale<br />

Element des neu ge stalteten<br />

Andachtsraums<br />

im Stift Schlägl. Laut<br />

der Künstlerin Brigitte<br />

Kowanz entsteht so „ein<br />

energetischer Ort der<br />

Ruhe und Spiri tualität“.<br />

BRIGITTE KOWANZ, »LUMEN« – PERMANENTE INSTALLATION, ANDACHTSRAUM STIFT SCHLÄGL, SCHLÄGL, 2018; FOTO: STUDIO KOWANZ/STUDIO BRIGITTE KOWANZ/BILDRECHT, WIEN <strong>2022</strong><br />

32


FOTO: ARNOLD REINTHALER<br />

Zeitfenster<br />

zum Betreten.<br />

Mit dieser Zeitlinie<br />

hält Bildhauer Arnold<br />

Rein thaler die 1.800-<br />

jährige Geschichte<br />

der Basilika St. Laurenz<br />

in Enns fest.<br />

33


HIMMEL<br />

HEILIGE IM NEUEN SCHEIN<br />

Die Pfarrkirche in Vöcklamarkt ist ein wahres Schmuckstück –<br />

auch dank Marianne und Günther Baumann, die seit ihrer<br />

Kirchenpflege-Ausbildung über den „Dom des Vöcklatals“ wachen.<br />

M<br />

it der malerischen<br />

Pfarrkirche in Vöcklamarkt<br />

ist das Ehepaar<br />

Baumann seit mehr als vier Jahrzehnten<br />

innig verbunden: 1981 gingen<br />

Marianne und Günther vor dem<br />

mehr als 300 Jahre alten Hochaltar<br />

den Bund fürs Leben ein, später wurden<br />

ihre drei Töchter hier getauft.<br />

Doch seit knapp zehn Jahren sehen<br />

die beiden „ihre“ Kirche mit ganz<br />

anderen Augen.<br />

Im Kunstreferat der Diözese Linz<br />

haben sie 2013 gemeinsam mit zwei<br />

weiteren Ehepaaren aus Vöcklamarkt<br />

die Kirchenpflege-Ausbildung absolviert.<br />

Seither zählen sie zu den insgesamt<br />

mehr als 1.500 ehrenamtlichen<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,<br />

die über die oberösterreichischen<br />

Kirchen und die rund 130.000 wertvollen<br />

Kunstschätze darin wachen.<br />

Mit Pinsel statt Putzmittel<br />

Seit knapp zehn Jahren schauen die<br />

Eheleute nun darauf, dass die Pfarrkirche<br />

in Schuss bleibt: Sie organisieren<br />

die fachgerechte Lagerung von<br />

Gemälden, kontrollieren das Holz<br />

auf Schädlinge, achten auf die richtige<br />

Reinigung des Kirchenraums und<br />

der Kunstgegenstände – und lassen<br />

sie, wenn nötig, restaurieren. „Es ist<br />

entscheidend, wie man die Kunstschätze<br />

in der Kirche angreift und<br />

putzt“, weiß Günther Baumann,<br />

»Es ist entscheidend,<br />

wie man die Kunstschätze<br />

in der Kirche angreift und<br />

putzt. Herkömmliche Mittel<br />

haben bei der Reinigung<br />

nichts verloren.«<br />

Günther Baumann<br />

„herkömmliche Mittel haben bei der<br />

Reinigung nichts verloren.“ Seine<br />

Frau Marianne, die bis zu ihrer Pensionierung<br />

in diesem Jahr auch als<br />

Sekretärin in der Pfarre tätig war,<br />

gesteht: „Genau das habe ich früher<br />

getan. Dabei kann aber die Beschichtung<br />

ein bisschen runter gehen – jetzt<br />

wird bei uns nicht mehr poliert und<br />

geschrubbt.“ Die Statuen werden<br />

heute nur noch mit einem Pinsel<br />

gereinigt, Kelche ganz vorsichtig mit<br />

einem weichen Tuch behandelt.<br />

Selbst bei scheinbar simplen Dingen<br />

wie dem Blumenschmuck und<br />

den Kerzen gilt es einiges zu beachten:<br />

„Früher haben die Blumen den<br />

Altar oft derart verstellt, dass man<br />

nichts von einer Hostie oder einem<br />

Kelch gesehen hat. Heute stellen wir<br />

die Blumen daneben ab“, erzählt<br />

Günther Baumann. „Und wir verwenden<br />

jetzt Kerzen, die nicht zu<br />

viel Ruß erzeugen. Erst als die Decke<br />

neu weiß ausgemalt wurde, sah man,<br />

wie schmutzig sie vom Ruß war.“<br />

Ebenso will das richtige Lüften ge-<br />

lernt sein: „Lässt man im Frühling<br />

warme Luft in die Kirche, fangen die<br />

Gemälde zu schwitzen an“, erklärt<br />

Marianne Baumann. „Man darf also<br />

immer nur sehr vorsichtig lüften,<br />

damit die Temperatur drinnen nicht<br />

zu sehr ansteigt.“<br />

Die Kraft der Gemeinschaft<br />

Zwei Dinge liegen den Baumanns besonders<br />

am Herzen: „Wichtig ist uns,<br />

dass bereits vor unserer Ausbildung<br />

in der Pfarre mit sehr viel Umsicht<br />

gearbeitet wurde. Und wir sind ein<br />

Team – die anderen Kirchenpflegerinnen,<br />

Kirchenpfleger, die Mesnerin,<br />

die Mesner und wir. Jede und jeder<br />

arbeitet für den anderen mit. Es ist<br />

genau diese Gemeinschaft, dank der<br />

wir uns in der Kirche so wohlfühlen.“<br />

Die Tätigkeit der Kirchenpflege<br />

lässt sie aber nicht nur die Pfarrkirche<br />

mit anderen Augen sehen.<br />

„Es war auch für unsere Beziehung<br />

schön, dass wir diese Ausbildung<br />

gemacht haben“, sagt Marianne Baumann.<br />

„Wir haben dadurch eine weitere<br />

gemeinsame Basis und ergänzen<br />

uns sehr gut.“ Das Ergebnis können<br />

alle sehen, die der Pfarrkirche Vöckla -<br />

markt einen Besuch abstatten.<br />

Möchten Sie sich auch in der Kirchenpflege<br />

engagieren und sakrale Kunstwerke<br />

für kommende Generationen bewahren?<br />

Hier finden Sie mehr Informa tionen:<br />

www.dioezese-linz.at/kunst<br />

FOTO: GREGOR KUNTSCHER<br />

34


Ein Blick fürs Detail.<br />

Günther und Marianne<br />

Baumann sehen „ihre“<br />

Kirche in Vöcklamarkt<br />

mittlerweile mit ganz<br />

anderen Augen.<br />

35


Himmlischer Hof.<br />

Carlo Neuhuber fand<br />

im Steinbacher Pfarrhof<br />

ein idyllisches<br />

Zuhause und bietet<br />

Flüchtlingen hier eine<br />

sichere Unterkunft.<br />

36


HIMMEL<br />

„FRIEDEN FÄLLT EINEM<br />

NICHT IN DEN SCHOSS“<br />

Ein Leben in Frieden ist für uns selbstverständlich – zumindest<br />

war es das lange Zeit. Doch der Krieg in der Ukraine zeigt auf,<br />

wie zerbrechlich das Gebilde Frieden in seinem Wesen ist.<br />

Für Carlo Neuhuber ist das keine neue Erkenntnis – im Gegenteil.<br />

TEXT: ALEXANDER KLEIN<br />

FOTOS: GREGOR KUNTSCHER<br />

Ein altehrwürdiger Pfarrhof, der<br />

generalsaniert in neuem Glanz<br />

erstrahlt, ein prächtiger Garten,<br />

der zum Flanieren einlädt, und nur einen<br />

Steinwurf entfernt die Steyr mit ihrem<br />

türkisgrün schimmernden Wasser – es ist<br />

ein besonders schöner Flecken Erde hier<br />

in Steinbach an der Steyr, den Regionaldiakon<br />

Carlo Neuhuber sein Zuhause nennt.<br />

Ein so friedvolles Heim ist zweifellos<br />

ein Segen – erst recht in heutigen Zeiten.<br />

Russlands Überfall auf die Ukraine macht<br />

klar, wie fragil Frieden sein kann. Krieg<br />

ist plötzlich so nahe wie seit fast achtzig<br />

Jahren nicht mehr. „Viele von uns sehen<br />

Frieden als zu selbstverständlich an“, erklärt<br />

Carlo Neu huber. „Doch er fällt einem<br />

nicht in den Schoß. Er muss tiefgehend verankert<br />

sein. In der Persönlichkeit, im Frieden<br />

mit einem selbst, im Frieden mit anderen.<br />

Für mich ist die aktuelle Debatte rund<br />

um Frieden ein Zeichen, dass die Auseinandersetzung<br />

mit dem Thema vorher nicht<br />

tief genug gegangen ist.“<br />

Sicherer Hafen in unsicheren Zeiten<br />

Das Bewusstsein um die Zerbrechlichkeit<br />

des Friedens verdankt der 69-Jährige seiner<br />

fast 50-jährigen Auseinandersetzung mit<br />

diesem Thema. In seinem heimatlichen<br />

Idyll bietet er heute Menschen in Not die<br />

Möglichkeit auf ein friedvolles Leben.<br />

Mit der 28­ jährigen Inna Kucherenko und<br />

ihrer Schwester Yana fanden zuletzt zwei<br />

Vertriebene aus der ukrainischen Stadt<br />

Mariupol eine Herberge bei ihm und seiner<br />

Frau Gerlinde. „Inna spricht sehr gut<br />

Deutsch und arbeitet bei migrare, wo sie<br />

Menschen aus der Ukraine bei der Ankunft<br />

in Österreich unterstützt“, erzählt er, „Yana<br />

lernt selbst fleißig Deutsch und hat bereits<br />

ihr Universitätsstudium in Wien begonnen.“<br />

Die ukrainischen Schwestern sind nicht die<br />

Ersten, die beim Ehepaar Neuhuber eine<br />

Frohnatur.<br />

Carlo Neuhuber<br />

lebt vor, wie<br />

man Menschen<br />

auf Augenhöhe<br />

begegnen und<br />

damit ihr Herz<br />

erreichen kann.<br />

37


HIMMEL<br />

»Dass der Christ von Leid verschont wird,<br />

steht nirgendwo in der Bibel ... Viele unserer<br />

Katastrophen, wie zum Beispiel Kriege,<br />

sind hausgemacht. Das können wir nicht<br />

einfach Gott in die Schuhe schieben.«<br />

Carlo Neuhuber<br />

sichere Unterkunft erhalten. 1989 nahmen<br />

die beiden Kinder aus Rumänien auf. Während<br />

des Bosnienkriegs fanden Frau und<br />

Kinder des Feuerwehrkommandanten von<br />

Sarajevo eine zweite Heimat im Steyrtal.<br />

„Wir sind heute noch Freunde“, erzählt der<br />

Diakon. Zu den Menschen, die ihm „besonders<br />

ans Herz gewachsen sind“, zählen auch<br />

der syrische Kurde Abdul und seine Familie,<br />

die er seit ihrer Ankunft in Ober österreich<br />

2015 begleitet. Die Erfahrungen, die seine<br />

Schützlingen machen mussten, führen ihm<br />

immer wieder vor Augen, wie wichtig der<br />

Einsatz für Frieden ist.<br />

Ein Friedensdienst zum Wohle aller<br />

Die Wurzeln von Carlo Neuhubers Friedensengagement<br />

reichen zurück bis in seine<br />

jungen Erwachsenenjahre. Eigentlich hatte<br />

er an der HTL Steyr Elektrotechnik gelernt,<br />

doch in den Siebzigern absolvierte er das<br />

Seminar für kirchliche Berufe. Und von<br />

1973 bis 1978 war er Mitglied im Österreich-<br />

Vorstand von Amnesty International.<br />

Als er dann den Wehrdienst verweigerte,<br />

wurde der gebürtige Ebenseer 1983 zum<br />

Zivildienst einberufen. Aber auch diesen<br />

ver weigerte er mit zwei Freunden, weil der<br />

Zivildienst Teil der Umfassenden Landesverteidigung<br />

ist und im Ernstfall auch Zivildiener<br />

in das militärische Konzept eingebunden<br />

sind. In ein solches wollten sich<br />

Carlo Neuhuber und seine Freunde jedoch<br />

nicht einplanen lassen. Ihre Devise war,<br />

nicht einfach zu verweigern, sondern für<br />

etwas einzutreten.<br />

Friedensgeschichten.<br />

Carlo Neuhuber<br />

und der 2015<br />

in Österreich angekommene<br />

Syrer<br />

Abdul schlossen<br />

beim Beachvolleyballspielen<br />

eine<br />

Freundschaft fürs<br />

Leben. Der gemeinsame<br />

Sport hilft<br />

dem 69-Jährigen<br />

auch, Frieden<br />

in seinem Inneren<br />

zu finden.<br />

Als Alternative schlugen die drei einen Friedensdienst<br />

im Zeichen von Gewalt freiheit<br />

vor. Und der damalige Landeshauptmann<br />

Josef Ratzenböck sowie der damals amtierende<br />

Innenminister Karl Blecha ließen sich<br />

tatsächlich überzeugen. Beide erteilten ihren<br />

Sanktus – die drei Freunde legten sofort<br />

los. Auf eine einmonatige Ausbildungsphase<br />

folgte eine Praxisphase, die sich in Bildungsarbeit<br />

und Sozialdienste gliederte.<br />

Die drei „Revo luzzer“ halfen dabei, Konflikte<br />

zu regeln, trainierten mit Menschen<br />

gewaltfreie Kommunikation und hielten<br />

Mahnwachen sowie Gottesdienste. Ihre<br />

Erfahrungen hielten sie in einem Ab schlussbericht<br />

penibel fest. „Die ganze Sache<br />

schlief danach nicht ein, denn es gab Nachfolgeprojekte.<br />

Und diese waren letztlich Anstoß<br />

für den heutigen Auslandszivildienst“,<br />

erzählt Carlo Neuhuber.<br />

In Abstimmung und Absprache mit der<br />

Österreichischen Bischofskonferenz setzt er<br />

sich heute für die Aufnahme von anerkannten<br />

Flüchtlingen ein, die zum Beispiel in<br />

der griechischen Hauptstadt Athen gestrandet<br />

sind. „Wir fordern die Aufnahme von<br />

hundert anerkannten geflüchteten Familien<br />

in Österreich. Aber wir wollen nicht nur<br />

fordern“, erklärt er. „Wir als Kirche sagen:<br />

ZUSATZFOTO: PRIVAT<br />

38


HIMMEL<br />

Ein Leben für das Miteinander. Blättert Carlo Neuhuber im Abschlussbericht<br />

seines Friedensdienstes, merkt man eines sofort: Knapp<br />

vierzig Jahre später hat er nichts von seiner Begeisterung verloren.<br />

Wir haben Pfarren, die bereit sind, diese<br />

Fami lien aufzunehmen. Es geht um geordnete<br />

Rettung. Anerkannte Geflüchtete<br />

aufzu nehmen, sie zu begleiten und sie so<br />

in unsere Gesellschaft zu integrieren, das<br />

ist Will kommenskultur.“ Und Carlo Neuhuber<br />

weiß, wovon er spricht. Er war in<br />

Athen, seine Erfahrungen hielt er fest: mit<br />

seinen Töchtern im Film „Anerkannt – Unbekannt<br />

– Wir haben Platz. Wir wollen helfen<br />

dürfen!“, der auf YouTube zu sehen ist.<br />

Gottes Werk, des Menschen Beitrag<br />

Die Frage, wie Gott es zulassen kann, dass<br />

Menschen fliehen müssen, in Kriegen oder<br />

bei Unfällen schuldlos sterben, hört er<br />

oft. Er selbst hat sich diese Frage aber nie<br />

gestellt – auch nicht, als seine zweite Tochter<br />

mit 18 Jahren tödlich verunglückt ist.<br />

„Dass der Christ von Leid verschont wird,<br />

steht nirgendwo in der Heiligen Schrift“,<br />

sagt er heute. „Vielmehr ist festgehalten:<br />

‚Einer trage des andern Last, so werdet ihr<br />

Christi Gebot erfüllen.‘ Das ist unsere Aufgabe.<br />

Nicht die Erklärung, das Warum, hilft<br />

einem Leidtragenden, sondern unser Beistand.<br />

Und wichtig für die Frage ‚Wo ist<br />

Gott in den Konflikten unserer Welt, warum<br />

Charakterkopf.<br />

Begegnungen mit<br />

Carlo Neuhuber<br />

hinterlassen einen<br />

bleibenden Eindruck,<br />

wie dieses<br />

Geschenk eines<br />

rumänischen<br />

Künstlers zeigt.<br />

schaut er zu?‘. In der Heiligen Schrift steht:<br />

‚Was ihr für einen meiner geringsten Brüder<br />

getan habt, das habt ihr mir getan.‘ Gott sagt<br />

nicht, ich richte euch alles – sondern, wenn<br />

ich die Heilige Schrift ernst nehme, ist er<br />

unter den Geknechteten. Dort kommt er<br />

mir entgegen, das gilt es wahrzunehmen.<br />

Viele unserer Katastrophen, wie zum Beispiel<br />

Kriege, sind hausgemacht. Das können<br />

wir nicht Gott in die Schuhe schieben.“<br />

Frieden definiert der Regionaldiakon für<br />

sich selbst „als Geschenk, das verbunden ist<br />

mit Dankbarkeit, als etwas Gutes. Frieden<br />

ist auch die Sehnsucht, dass sich der andere<br />

angenommen weiß. Der Wunsch, dass es<br />

der Familie gutgeht. Und wenn ich mir die<br />

aktuellen Krisenherde ansehe, verbinde ich<br />

Frieden mit der Sehnsucht, dass diese Dinge<br />

wieder heil werden.“ Im biblischen Sinn<br />

umfasst Frieden für ihn vieles: „Der biblische<br />

Frieden leitet sich von Schalom ab und<br />

hat nichts Eingrenzendes. Die Frauenfrage,<br />

die Geschlechterfragen, die Frage der Schöpfung,<br />

die Frage des Umgangs mit Tieren,<br />

all das gehört zusammen betrachtet.“<br />

Um Frieden zu erreichen, ist für Carlo<br />

Neuhuber eines entscheidend: „Den anderen<br />

wahrzunehmen und ihn ernst zu nehmen,<br />

seine Wahrheit erkennen. Erst dann<br />

lässt sich das Problem an seiner Wurzel<br />

lösen.“ Aber was tun, wenn das Gegenüber<br />

keine Gesprächsbereitschaft zeigt? „Darauf<br />

habe ich leider keine Antwort. Aber bevor<br />

ich auf direkte Gespräche gänzlich ver zichte,<br />

lasse ich mich dabei lieber x-mal zum<br />

Narren halten. Wenn wir uns die Situation<br />

in der Ukraine vor Augen halten: Was ist<br />

notwendig? Gesprächsversuche auf allen<br />

Ebenen immer wieder anstreben. Man gewöhnt<br />

sich an den Krieg, aber wir dürfen<br />

keine Ruhe geben. Und müssen um Frieden<br />

beten. Das stärkt uns. Kritisch sein, sich<br />

gründlich informieren und den Geflüchteten<br />

helfen, also dranbleiben.“ Und genau<br />

das lebt Carlo Neuhuber bei seinem unermüdlichen<br />

Einsatz für Frieden selbst vor.<br />

39


Einzigartig. Aus ganz wenigen<br />

Einzel teilen weiß die Natur eine schier<br />

unendliche Vielfalt zu zaubern. Daran<br />

wird erinnert, wer Schneeflocken<br />

aus nächster Nähe betrachtet. Sie alle<br />

bestehen aus Eiskristallen, die wegen<br />

ihrer Struktur nur in einem Winkel von<br />

60 oder 120 Grad aneinanderwachsen<br />

können. Und trotzdem ist jede von<br />

ihnen ein Unikat.<br />

FOTO: GETTY IMAGES/ISTOCK<br />

40


[HERR]GOTT<br />

WIE WIR IHN IN ALLEN DINGEN FINDEN<br />

Wo findet man eigentlich Gott? Nur in der Kirche<br />

oder auch im Fußballstadion? Nur in der Gemeinschaft<br />

oder auch allein? Fragen über Fragen, auf die auch<br />

kluge Menschen ganz unterschiedliche Antworten geben.<br />

Einige davon finden Sie auf den folgenden Seiten.<br />

41


[HERR]GOTT<br />

TURM DER ERKENNTNIS<br />

Eine Eremitin kommt selten allein. Zumindest in Linz.<br />

Im Mariendom haben sich nämlich schon mehr als<br />

270 Menschen als Einsiedler versucht. Was so besonders<br />

daran ist? Tja, das muss jeder für sich allein herausfinden.<br />

TEXT: SABRINA LUTTENBERGER<br />

FOTOS: ANDREAS BALON<br />

N<br />

ormalerweise leben die<br />

Eremitinnen und Eremiten<br />

dort, wo sonst niemand<br />

wohnt. Dafür sind sie schließlich<br />

bekannt, und daher kommt ja auch<br />

ihr Name. Vom lateinischen eremita<br />

beziehungsweise dem griechischen<br />

erēmítēs, was beides „verlassen“ und<br />

„einsam“ bedeutet.<br />

Nicht so in Linz – dort gibt es mitten<br />

im belebten Zentrum eine Eremitage.<br />

Und das nicht etwa versteckt in<br />

einem kleinen, unscheinbaren Haus,<br />

sondern im herausragendsten Gebäude<br />

der Stadt: im Mariendom. Seit<br />

2009 kann man hier, hoch oben in<br />

der Türmerstube, eine Woche als<br />

Turm eremit verbringen. Im Zweiten<br />

Weltkrieg war das Zimmer ein beliebter<br />

Beobachtungsposten, weil man<br />

Gefahren schon von Weitem erkannte<br />

– und auch heute verspricht es wieder<br />

Weitblick. Die sieben Tage als<br />

Einsiedlerin oder Einsiedler sollen,<br />

heißt es, die Suche nach dem Sinn<br />

des Lebens sowie nach Gott wachhalten<br />

und dazu anregen, über das eigene<br />

Leben nachzudenken. Hinaufgehen,<br />

um runterzukommen. Oder, wie<br />

Josefine Zittmayr sagt: „Da, wo das<br />

Herz zur Ruhe kommt, gibt es Platz<br />

für tiefe, bedeutsame Erlebnisse.“<br />

Eremitinnen im Alleingang<br />

Als spirituelle Begleiterin, die Eremitinnen<br />

und Eremiten während ihrer<br />

Turm wochen zur Seite steht, war<br />

Zittmayr von Anfang an Teil des Projekts.<br />

Für über 30 Eremiten war sie<br />

schon Vertrauensperson. Zweimal,<br />

2015 und 2018, hat sie selbst teilgenommen.<br />

Zu groß war die Neugier,<br />

was mit ihr in der Türmerstube<br />

passieren würde.<br />

„Das erste Mal“, erzählt sie, „verspürte<br />

ich schon eine tiefe Ruhe, das<br />

zweite Mal ging diese Reise zu mir<br />

selbst noch tiefer. Dieses Gefühl einer<br />

tiefen Beheimatung, einer ganz<br />

selbstverständlichen Zugehörigkeit,<br />

das ich im Dom verspürte, habe ich<br />

die ganze Woche um mich gehabt.<br />

Als ob ich etwas tragen würde, was<br />

mich schützt. Und etwas ist davon<br />

auch bei mir geblieben.“<br />

Dass einen gerade das Eremitentum<br />

bereichert, ist eine ungewöhnliche<br />

Vorstellung – und doch teilen diese<br />

Erfahrung alle Teilnehmerinnen,<br />

mit denen wir gesprochen haben. Dabei<br />

muss es nicht immer ein spirituelles<br />

Erlebnis sein, das Eindruck hinterlässt<br />

und die Woche wertvoll macht.<br />

Die Einladung zur Entschleunigung<br />

gilt schließlich für alle, selbst wenn<br />

man nicht katholisch oder gläubig ist.<br />

Das Eremitentum zählt seit jeher<br />

zum gottgeweihten Leben, es gilt als<br />

die früheste Form des Mönchtums.<br />

Eremiten waren es auch, die erste<br />

Klöster gründeten. Ursprünglich<br />

übten sich Eremiten dort noch<br />

42


Fenster mit Aussicht.<br />

In der Türmerstube<br />

kann man nicht nur<br />

die Füße, sondern<br />

auch einmal die Seele<br />

baumeln lassen. So<br />

wie Eremitin Susanne<br />

Windischbauer.


JOSEFINE<br />

ZITTMAYR<br />

Sie begleitet das<br />

Projekt von Anfang<br />

an. Ihr Tipp an alle:<br />

„Ruht euch aus!“<br />

Das dauert oft<br />

länger, als man<br />

denkt.<br />

Stairway to heaven. 395 Stufen führen hinauf in die Türmerstube. Wer Eremitin oder<br />

Eremit werden möchte, sollte gut zu Fuß sein. Und am besten keine Höhenangst haben.<br />

im Verzicht. Sie lebten äußerst bescheiden<br />

und meist in großer Armut.<br />

An der Tagesordnung standen Beten,<br />

Buße und Fasten.<br />

Auszeit vom Alltag<br />

Auch das ist heute in Linz ein wenig<br />

anders. Den Eremiten fehlt nämlich<br />

fast nichts. Es gibt ein Bett, einen<br />

Herd, eine Heizung. Sogar eine kleine<br />

Bibliothek steht in der Türmerstube<br />

bereit. Einmal pro Tag wird<br />

ihnen außerdem am Ende der Treppe<br />

Essen bereitgestellt. Eine Stärkung,<br />

ohne die es nicht geht. Bis in das<br />

Refugium sind es nämlich jedes Mal<br />

395 Stufen – in eine Richtung.<br />

Für eine leidenschaftliche Bergsteigerin<br />

wie Birgit Kubik genau das<br />

Richtige. Zwei Jahre lang hat die<br />

Ennserin sehnsüchtig darauf gewartet,<br />

endlich in den Turm ziehen zu<br />

dürfen. Anfang <strong>2022</strong> war es so weit.<br />

„Erwartungen hatte ich keine. Ich<br />

bin erst im Nachhinein draufgekommen,<br />

warum mir diese Woche so<br />

wichtig war: damit ich wieder Dankbarkeit<br />

spüre. Der Alltag hat mich<br />

davor nur mehr gequält, alles war<br />

mühsam“, erinnert sie sich.<br />

Neben ihrem Job kümmert sich<br />

Kubik um Sohn Max, der heuer<br />

18 Jahre alt wurde und Autist mit<br />

massivem ADHS ist. Eine fordernde<br />

Situation, die ihr und ihrer Familie<br />

oft viel abverlangt. Zur Ruhe kommt<br />

Kubik daheim nur selten. Erst als<br />

Turm eremitin konnte sie wieder einmal<br />

abschalten. Gelassenheit und<br />

Zuversicht sind dadurch in ihr Leben<br />

zurückgekehrt. „Ich bin mit einem<br />

schweren, voll bepackten Rucksack<br />

BIRGIT KUBIK<br />

Die 268. Turmeremitin<br />

im heurigen<br />

März. 8.000<br />

Stufen bergauf<br />

und noch einmal<br />

so viele bergab<br />

hat sie in ihrer<br />

Woche bewältigt.<br />

SUSANNE<br />

WINDISCHBAUER<br />

Als Fotografin hat<br />

sie ihre Eindrücke<br />

mit der Kamera<br />

festgehalten.<br />

Ihr Lieblingsmotiv:<br />

Maria in zwölf<br />

Meter Höhe.<br />

44


[HERR]GOTT<br />

Domizil auf Zeit. Josefine Zittmayr (li.) beschreibt die Woche hoch oben im Mariendom als erhebendes<br />

Gefühl, das bleibt. Birgit Kubik (re.) hat es genossen, am Balkon und damit über den Dingen zu stehen.<br />

rauf und mit demselben Rucksack<br />

auch wieder hinunter“, so Kubik,<br />

„doch die gleiche Last fühlt sich jetzt<br />

leichter an.“<br />

Wie die Eremiten ihre Erfahrung<br />

im Mariendom gestalten, ist übrigens<br />

ganz ihnen überlassen. Viele nutzen<br />

die Tage, um ihr Zuhause auf Zeit<br />

zu erkunden. Zu fotografieren. Die<br />

Aussicht zu genießen. Theoretisch<br />

könnten sie in Linz shoppen gehen<br />

und Freunde treffen. Trotzdem entscheiden<br />

sich die meisten Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer, den Rückzugsort<br />

genau dafür zu nutzen: sich<br />

einmal zurückzuziehen.<br />

Susanne Windischbauer ist ein<br />

Profi, was das angeht. Sie sagt von<br />

sich selbst, sie sei eine große Exer ­<br />

zitienfreundin. Und auch sie ist als<br />

spirituelle Begleiterin tätig. Trotzdem<br />

wurde Windischbauer von dem, was<br />

passiert ist, überrascht: „Wie es ist,<br />

sich ganz alleine zurückzuziehen –<br />

noch dazu in einem Turm –, das habe<br />

ich noch nicht gekannt. In der Bibel<br />

gibt’s ja die Zeiten der Bedrängnis,<br />

und ich war solchen Widerständen<br />

ausgesetzt. Ich habe mich gefragt, ob<br />

ich wirklich ganz alleine in diesem<br />

riesigen Dom bin. Die Woche hat<br />

mich also durchaus etwas Mut gekostet.<br />

Erst im Nachhinein habe ich gemerkt,<br />

wie sehr mich die Erfahrung<br />

bestärkt hat.“ Und: Wenn sie jetzt andere<br />

Eremiten begleitet, hat sie noch<br />

mehr Verständnis für das, was jeder<br />

und jede Einzelne von ihnen erlebt.<br />

Ein Perspektivenwechsel<br />

Vielleicht ist das auch das Erfolgsrezept<br />

des Projekts: Jede Turmeremitin<br />

und jeder Turmeremit<br />

macht genau die Erfahrung, die im<br />

Moment richtig ist. Weil der Dom<br />

einem den Raum gibt, sich mit dem<br />

Wesentlichen zu beschäftigen.<br />

Als Turmeremit bekommt man die<br />

einmalige Chance, alles hinter – oder<br />

besser: unter – sich zu lassen. Eben<br />

wieder eine neue Perspektive zu bekommen.<br />

Das ist gar nicht so schwer,<br />

wie es oft scheint. Vor allem auf<br />

68 Meter Höhe.<br />

TURM UND DRANG<br />

Wer den Drang verspürt,<br />

Turmeremitin oder<br />

Turmeremit zu sein:<br />

Die Chance darauf bietet<br />

sich in der Fastenzeit und<br />

zu Ostern, im Juli und<br />

August sowie im Advent<br />

und zu Weihnachten —<br />

unabhängig von der<br />

reli giösen Zuge hörigkeit.<br />

Der Dom wird jeweils<br />

für sieben Tage bewohnt,<br />

von Freitag bis Freitag,<br />

und eine spirituelle Begleitung<br />

wird stets zur Seite<br />

gestellt. Auch das Tagebuch,<br />

in dem sich alle<br />

ehemaligen Eremitinnen<br />

und Eremiten verewigt<br />

haben, begleitet einen als<br />

Inspi ra tion durch die Zeit.<br />

Informationen<br />

und Anmeldung:<br />

DomCenter Linz,<br />

Herrenstraße 36,<br />

4020 Linz,<br />

Tel.: 0732/94 61 00<br />

www.turmeremit.at<br />

45


[HERR]GOTT<br />

Mehr als nur Kulisse.<br />

Lisa Makas ist ein stets<br />

gut gelauntes Aushängeschild<br />

des Frauenfußballs<br />

— und kennt als<br />

gläubige Christin Gotteshäuser<br />

wie die Wehrkirche<br />

in Tamsweg nicht<br />

nur von Fotoshootings.<br />

46


[HERR]GOTT<br />

„VERLETZUNGEN FÜHRTEN<br />

MICH NÄHER ZU GOTT“<br />

Als Fußball-Nationalspielerin dribbelte sich Lisa Makas<br />

in die Herzen vieler Menschen. Ein Gespräch über die Schnittstellen<br />

zwischen Sport, Religion und dem guten Leben.<br />

TEXT: ALEXANDER KLEIN<br />

FOTOS: GREGOR KUNTSCHER<br />

Lisa Makas strahlt, als hätte sie gerade<br />

ins Kreuzeck getroffen, als sie sich<br />

mit Grüß Gott bei der Wehrkirche<br />

in Tamsweg trifft. Die 30-Jährige ist für ein<br />

Trainingslager im Lungau – es sollte ihr letztes<br />

nach 15 Jahren Profifußball sein. Wenig<br />

später gibt sie ihren Rücktritt bekannt und<br />

blickt auf eine beeindruckende Karriere zurück.<br />

Tore pflastern ihren Weg, für das Nationalteam<br />

stürmte die Niederösterreicherin bei<br />

zwei EM-Turnieren. Abseits des Rasens wurde<br />

die gläubige Christin mit ihrer offenen und<br />

schlagfertigen Art zum Vorbild für viele junge<br />

Frauen. Eigenschaften, die sie auch im Interview<br />

unter Beweis stellt.<br />

Ball oder Bibel – was würdest du auf<br />

die berühmte einsame Insel mitnehmen?<br />

Den Ball, so ehrlich muss ich schon sein.<br />

Ich spiele Fußball, seit ich fünf Jahre alt<br />

bin. Ohne Ball geht’s bei mir einfach nicht –<br />

auch wenn der Glaube eine wichtige Rolle<br />

in meinem Leben spielt.<br />

Wie drückt sich dein Glaube aus?<br />

Ich bin in einer religiösen Familie auf gewachsen,<br />

die gemeinsamen Kirchen besuche<br />

sind sehr schöne Kindheitserinnerungen.<br />

Ich war auch immer sehr gerne im Religionsunterricht<br />

– wahrscheinlich wegen<br />

der vielen Lieder. (Lacht.) Nein, im Ernst:<br />

Ich hatte später in meiner Laufbahn viele<br />

Verletzungen. Die Erfahrungen, die ich<br />

dabei gemacht habe, führten mich noch<br />

näher zu Gott.<br />

Kannst du das näher beschreiben?<br />

Wenn man verletzt zu Hause liegt, tauchen<br />

viele Fragen auf. Warum hat es ausgerechnet<br />

mich erwischt? Warum bin schon wieder<br />

ich so schwer verletzt? Ist der Weg, den<br />

ich eingeschlagen habe, der richtige? Der<br />

Glaube hat mir in diesen Momenten Halt<br />

gegeben. Er wurde intensiver und hat mir<br />

gleichzeitig aufgezeigt, dass nichts einfach<br />

so passiert ist. Es steckt immer ein Plan dahinter.<br />

Alles hat einen Sinn.<br />

47


[HERR]GOTT<br />

DAS IST LISA MAKAS:<br />

Die 30-jährige Niederösterreicherin<br />

begann im Alter von<br />

fünf Jahren mit dem Fußballspielen.<br />

Von da an pflasterten<br />

Tore ihren Weg, der sie zu<br />

zwei Meisterschaften, drei<br />

Cup- Triumphen und auch zum<br />

MSV Duisburg (2016 — 2020)<br />

in die deutsche Bundesliga<br />

führte. Für Österreichs<br />

National team erzielte Makas<br />

in 73 Einsätzen 19 Tore.<br />

Im Sommer be endete sie<br />

ihre aktive Karriere.<br />

In früheren Interviews hast du erzählt,<br />

dass du jeden Abend und auch vor<br />

wichtigen Spielen betest. Warum?<br />

Wenn es mir gut geht, bete ich weniger oft,<br />

das muss ich schon ehrlich sagen. Wenn<br />

ich aber gestresst bin, weil mir die Welt<br />

um mich herum zu hektisch ist, kommt es<br />

schon vor, dass ich täglich bete. Ich mache<br />

das im Stillen für mich, nehme mir den<br />

Moment raus und richte Fragen an Gott.<br />

So versuche ich, Antworten zu finden. Ich<br />

bin sehr dankbar, dass ich diesen Weg für<br />

mich gefunden habe. In heraus fordernden<br />

Momenten tanke ich so Kraft.<br />

Was haben deine Mitspielerinnen gesagt,<br />

wenn du kurz vor dem Anpfiff in der<br />

Kabine plötzlich verstummt bist?<br />

In all den Jahren gab es keine einzige<br />

ne gative Reaktion. Einige wollten wissen,<br />

warum ich auf einmal so still bin. Ich habe<br />

ihnen erzählt, dass ich mich für ein paar<br />

Minuten rausnehme, meine Fragen an Gott<br />

richte und mir das hilft.<br />

Ballkünstlerin.<br />

Nach 25 Jahren<br />

Training ist<br />

Lisa Makas mit<br />

dem Fußball<br />

auf Du und Du.<br />

Viele Profisportler bekennen sich zum<br />

Glauben. Warum ist Religion besonders<br />

im Fußball so populär?<br />

Ja, der Glaube spielt sicher bei vielen Profis<br />

eine große Rolle. Vor allem für männliche<br />

Fußballer. Die werden überall erkannt und<br />

haben nie ihre Ruhe – doch sie finden sie im<br />

Glauben. Ein Fußballer ist in Wahrheit ein<br />

Produkt. Jeder redet auf ihn ein, jeder will<br />

sich an ihm bereichern. In Momenten des<br />

Glaubens kommt er auch einmal zur Ruhe.<br />

Sehr beliebt ist auch Torjubel mit Gesten<br />

Richtung Himmel. Sind die ehrlich<br />

gemeint oder bei manchen nur Show?<br />

Einige machen es sicher nur nach und wissen<br />

nicht, was dahintersteckt. Aber viele<br />

fühlen wirklich etwas und bringen es damit<br />

zum Ausdruck.<br />

Du hast nach einem Tor auch einmal mit<br />

dem Finger Richtung Himmel gedeutet.<br />

Was ging dir damals durch den Kopf?<br />

Sogar zweimal! (Lacht.) Das erste Mal nach<br />

meinem Tor gegen Frankreich bei der EM<br />

2017. Das war ein spezieller Moment, meine<br />

Großeltern und mein Onkel sind zuvor<br />

verstorben. Warum genau der Jubel? Keine<br />

Ahnung, ich habe einfach an sie gedacht.<br />

So war es auch beim zweiten Jubel, beim<br />

Comeback nach einer Verletzung.<br />

FOTOS: PICTUREDESK.COM/AFP/TOBIAS SCHWARZ, PICTUREDESK.COM/EXPA/EIBNER<br />

48


Fingerzeig gen Himmel.<br />

Mit diesem Jubel gedachte<br />

Lisa Makas bei der EM 2017<br />

ihrer kurz zuvor verstorbenen<br />

Verwandten (Bild oben). Auch<br />

fünf Jahre später konnten<br />

mehrere Engländerinnen sie<br />

bei der EM kaum vom Ball<br />

trennen.


[HERR]GOTT<br />

Heute blickst du auf 15 Jahre im Profisport<br />

zurück. Wie hat sich der Frauenfußball<br />

in dieser Zeit entwickelt?<br />

Wie es vor 15 Jahren war, kann sich heute<br />

niemand vorstellen, der damals nicht mit<br />

dabei war. Ein Beispiel: Im Nationalteam<br />

mussten wir in zu kurzen, zu engen Dressen<br />

spielen. Wir haben wie die ärgsten Dodln<br />

ausgesehen, sollten aber gleichzeitig Österreich<br />

würdig vertreten. Das war Welten<br />

entfernt von professionellem Fußball.<br />

Aber das hat uns auch stark gemacht.<br />

»Das Tattoo auf meinem linken Arm ist ein Kreuz.<br />

Das englische Wort für ›Glaube‹ steht als zentrales<br />

Element in der Mitte. Die ausgefüllten Blätter stehen<br />

sinnbildlich für meine Eltern, die nicht ausgefüllten<br />

für meine Geschwister.«<br />

Lisa Makas<br />

Im Gegensatz zu damals gibt es heute<br />

Frauenteams, zumindest bei einigen<br />

Vereinen. Du hast noch mit Burschen<br />

zusammengespielt, oder?<br />

Ja, bis zur U16 war ich das einzige Mädchen<br />

im Team. Wobei das per se nichts<br />

Schlechtes war. Den Burschen war es<br />

zunächst egal, dass ich ein Mädchen war.<br />

Sie spielen einfach körperbetonter. Ich<br />

musste dagegenhalten – das hat mich<br />

stärker gemacht. Ab einem gewissen Alter<br />

kam aber der Neid dazu.<br />

Was passierte dann?<br />

Die Burschen fragten sich, wie kann es sein,<br />

dass dieses Mädchen besser ist, und wurden<br />

gemein. Es gab eineinhalb Jahre, da habe<br />

ich nach Matches geweint und wollte nicht<br />

mehr spielen. Aber meine Eltern haben mir<br />

immer gesagt, dass ich mich durchbeißen<br />

muss. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.<br />

Wie reagierst du, wenn Männer dem<br />

Frauenfußball die Qualität absprechen?<br />

Vergleiche zwischen Frauen- und Männersport<br />

sind komplett unsinnig. Ein Mann ist<br />

athletischer – das ist so. Dieses engstirnige<br />

Denken, dass Fußball ein Männersport ist,<br />

belächle ich nur mehr. Redet ein Mann so,<br />

denke ich mir, dass bei ihm zu Hause die<br />

Frau die Hosen anhat und er uns schlechtredet,<br />

weil er sonst nichts zu melden hat.<br />

50


[HERR]GOTT<br />

Ende November beginnt in Katar die Fußball-WM<br />

der Männer. Im Vorfeld hagelt<br />

es Kritik wegen der Ausbeutung von Arbeitern<br />

und der Klimaanlagen in den<br />

Stadien. Wie stehst du zu diesem Turnier?<br />

Diese Weltmeisterschaft ist komplett unsinnig.<br />

Mit Sport hat das nichts mehr zu tun,<br />

das hat nur noch wirtschaftliche Gründe.<br />

Jetzt haben wir im Winter ein Fußballevent,<br />

mit dem noch einmal mehr Geld gemacht<br />

wird. Ich werde kein Spiel schauen. Das<br />

könnte ich nicht mit mir vereinbaren.<br />

Welche Werte sind dir wichtig?<br />

Jeden Menschen mit Respekt zu behandeln.<br />

Keine Vorurteile zu haben, sei es aufgrund<br />

von Herkunft, Hautfarbe oder der sexuellen<br />

Orientierung.<br />

Du hast einmal erzählt, dass du in deiner<br />

Heimatpfarre Weissenbach an der Triesting<br />

mithilfst. Macht du das noch immer?<br />

Um richtig mitzuhelfen, fehlt mir die Zeit.<br />

Aber ich gebe schon meinen Senf dazu,<br />

wenn ich finde, dass etwas zu veraltet ist –<br />

und das ist es leider Gottes schnell einmal.<br />

Die Kirche muss weg von ihrer teils überholten<br />

Denkweise, wenn sie wieder mehr<br />

junge Leute ansprechen will.<br />

Wie macht sich dieses veraltete Denken<br />

bemerkbar?<br />

Frauen haben noch immer nicht den Stellenwert,<br />

der ihnen gebührt. Und dass Menschen<br />

aufgrund ihrer sexuellen Orientierung<br />

verurteilt werden, ist ein absolutes No-Go.<br />

Es heißt: „Gott liebt alle Menschen“ oder<br />

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ –<br />

und dann werden so viele ausgegrenzt.<br />

Gott sei Dank leben Leute heute so, wie sie<br />

wirklich sind. Das Schlimmste für einen<br />

Menschen ist, wenn er sich immer verstecken<br />

muss. Ich sage: Glaube ist genug da<br />

unter uns allen. Nur macht die Kirche auch<br />

Fehler, und daher wenden sich Leute von<br />

ihr ab. Aber wenn uns Glaube und Fußball<br />

etwas lehren können, dann ist es, dass man<br />

nur zusammen etwas bewegen kann.<br />

„KIRCHE UND FUSSBALL KÖNNEN VONEINANDER LERNEN“<br />

ZUSATZFOTO: SONNTAGSBLATT/GERD NEUHOLD<br />

Doppelpass. „Fußball und Religion<br />

haben eine ähnliche Message“, erklärt<br />

der Grazer Theologe Anton<br />

Tauschmann. „Es geht um Respekt,<br />

Gleichheit und ein friedliches Miteinander.<br />

Die Frauen-EM war ein<br />

tolles Beispiel. Man hat die gegenseitige<br />

Wertschätzung auf dem<br />

Rasen gespürt, Fairness wurde auch<br />

wirklich gelebt. Frauen stehen nach<br />

einem Foul einfach auf und spielen<br />

weiter. Das imponiert mir.“<br />

Der 35-Jährige macht noch weitere<br />

Gemeinsamkeiten aus: „Sowohl<br />

Kirche als auch Fußball leben sehr<br />

stark von einer Inszenierung im<br />

positiven Sinn. Für einen gewissen<br />

Teil der Bevölkerung sind sie auch<br />

sinnstiftend. Was für die einen der<br />

Stadionbesuch am Samstag ist, ist<br />

für die anderen der Kirchgang am<br />

Sonntag.“ Der große Unterschied:<br />

„Religion zielt auch immer auf etwas<br />

Höheres ab. In Lebenskrisen hat sie<br />

die passenden Werkzeuge parat —<br />

der Sport nicht.“<br />

Die Heiligen unserer Zeit? Dass<br />

Fußballstars wie Heilige verehrt<br />

werden, ist für Anton Tauschmann<br />

kein Wunder. „Die Zeiten sind<br />

schwierig. Menschen suchen Idole,<br />

an die sie sich anhängen können.<br />

So gesehen sind Kicker vielleicht<br />

Heilige für den Augenblick — die<br />

schnell hochgereicht, aber auch<br />

schnell wieder gestürzt werden.“<br />

ANTON<br />

TAUSCHMANN<br />

Der Grazer Theologe<br />

ist selbst<br />

be geis terter Kicker<br />

und schreibt u. a.<br />

für das Magazin<br />

„Ballesterer“.<br />

51


[HERR]GOTT<br />

DIE SUCHE NACH<br />

DER GOTTESFORMEL<br />

52


[HERR]GOTT<br />

Kann man Gott mathematisch beweisen?<br />

Daran haben sich die größten Geister der Geschichte<br />

versucht – mit fraglichen Ergebnissen.<br />

TEXT: WOLFGANG M. GRAN<br />

ILLUSTRATION: STUDIO NITA<br />

FOTO:<br />

Der US-amerikanische Wissenschaftsjournalist<br />

und Autor<br />

Clifford A. Pickover schuf in seinem<br />

1999 erschienenen Buch „Die Mathematik<br />

und das Göttliche“ einen gelungenen<br />

Begriff für eine sehr spezielle Art von Wissenschaftlern:<br />

„Theomatiker“ nennt er jene<br />

gar nicht so kleine Gruppe von Mathematikern<br />

mit stark religiöser Verankerung –<br />

von Pythagoras mehr als 500 Jahre vor<br />

Christi Geburt bis hin zu Kurt Gödel im<br />

20. Jahrhundert.<br />

Gar nicht so wenige von ihnen versuchten<br />

ein Leben lang, mit ihrem mathematischen<br />

Instrumentarium einen Beweis für<br />

die Existenz Gottes zu führen.<br />

Herausragende Leistungen auf dem Gebiet<br />

der Mathematik konnten – wie etwa beim<br />

Schweizer Leonhard Euler (1707–1783) –<br />

die Enttäuschung kaum kaschieren, wenn<br />

das nicht gelang. Oder wer hätte gedacht,<br />

dass Isaac Newton lieber für seine theologischen<br />

Schriften bekannt geworden wäre<br />

als für seine Gesetze zu Gravitation und<br />

Bewegung? Dass die UNESCO seine Gedanken<br />

zum Göttlichen 2015 zum Weltdokumen<br />

tenerbe erklärte, kam für den<br />

1727 verstorbenen Mathematiker, Physiker<br />

und Astronomen deutlich zu spät.<br />

Es ist eine erstaunliche Affinität, die hier<br />

zutage tritt, denn den meisten erscheinen<br />

Wissenschaft und Religion, Forschung<br />

53


[HERR]GOTT<br />

und Glaube viel eher als Widerspruch denn<br />

als passende Gefährten – obwohl schon der<br />

Physik-Nobelpreisträger Werner Heisenberg<br />

gesagt hat: „Der erste Schluck aus der Tasse<br />

der Naturwissenschaften macht einen zum<br />

Atheisten, aber auf dem Grund dieser Tasse<br />

wartet Gott.“<br />

Der Reiz der Unendlichkeit<br />

Warum sich speziell Mathematiker seit<br />

mehr als 2.500 Jahren immer wieder auch<br />

intensiv auf die Suche nach dem Göttlichen<br />

machen, erklärt Buchautor Pickover so:<br />

„Das mathematische Streben, Unendlichkeit<br />

zu verstehen, ähnelt den mystischen Versuchen,<br />

Gott zu begreifen. Beide aktivieren<br />

die verlorenen Tiefen unseres Geistes und<br />

stimulieren unsere Vorstellungskraft.“ Ein<br />

Blick ins Griechenland um 550 vor Christus<br />

scheint das zu bestätigen.<br />

Jedes Kind kennt den pythagoräischen<br />

Lehrsatz über das rechtwinklige Dreieck,<br />

aber kaum jemand weiß Näheres über das<br />

gesamte schillernde Leben und Wirken des<br />

Mannes, der für den britischen Philosophen<br />

Bertrand Russell „einer der intellektuell<br />

bedeutsamsten Menschen, die je gelebt<br />

haben“, war. Denn was man in Mathematik<br />

über Pythagoras lernt, ist nur ein kleiner<br />

Ausschnitt der Vita des ersten „Theomatikers“<br />

der Geschichte.<br />

Der auf Samos geborene Gelehrte entwickelte<br />

eine Art Theologie der Zahlen, eine<br />

numerische Religion, deren Haupt element<br />

die Tetraktys (Vierheit) der Zahlen 1, 2, 3<br />

und 4 war. Deren Summe ergibt 10, und das<br />

gilt als Grundlage des Dezimal systems. Das<br />

Interesse an Zahlen war für Pythagoras jedoch<br />

keinesfalls ein rein mathematisches,<br />

sondern der einzige Weg, den göttlichen<br />

Plan zu erforschen und die Geheimnisse des<br />

Universums zu entschlüsseln. Die 4 und die<br />

10, Letztere ein „Zeichen der Vollkommenheit“,<br />

lagen für ihn einer großen Weltordnung<br />

zugrunde. Pythagoras verschmolz<br />

Mathematik und Theologie zu einer Grund­<br />

PYTHAGORAS<br />

VON SAMOS<br />

Der griechische<br />

Philosoph war eine<br />

Art Sekten guru —<br />

und lehrte seine<br />

Anhänger, dass<br />

Zahlen der<br />

Schlüssel zum<br />

Göttlichen seien.<br />

»Das mathematische Streben,<br />

Unendlichkeit zu verstehen,<br />

ähnelt den mystischen Versuchen,<br />

Gott zu begreifen. Beide aktivieren<br />

die verlorenen Tiefen unseres<br />

Geistes und stimulieren<br />

unsere Vorstellungskraft.«<br />

Clifford A. Pickover<br />

masse, die nicht nur die religiöse Philosophie<br />

in Griechenland nachhaltig beeinflusste,<br />

son dern bis ins Mittelalter hineinwirkte. Bertrand<br />

Russell war sich sicher: „Ohne Pythagoras<br />

hätten die Theologen niemals logische<br />

Beweise für die Existenz Gottes gesucht.“<br />

Auch die Regeln, die der Grieche sich<br />

und seinen Anhängern auferlegte, hatten<br />

fast schon den Charakter religiöser Gebote:<br />

Pythagoras begründete den Vegetarismus,<br />

weil er von der Seelenwanderung überzeugt<br />

war und auch jedes Tier als beseeltes<br />

Wesen betrachtete. Und die führenden Mitglieder<br />

seiner Bewegung mussten im Zölibat<br />

leben. Warum jedoch auch der Verzehr<br />

von Bohnen als sündhaft galt, lässt die Forschung<br />

bis heute rätseln.<br />

Die Magie der Zahlen<br />

Es war letztlich das brennende Interesse<br />

daran, wie die Welt funktioniert, was sie im<br />

Innersten zusammenhält und im Äußersten<br />

umgibt, das Pythagoras und viele nach ihm<br />

antrieb. Der Glaube an eine übergeordnete,<br />

eine göttliche Ordnung, gepaart mit der<br />

Magie der Zahlen, denen mysteriöse Kräfte<br />

zugeschrieben wurden, machte es fast<br />

logisch, Religion und Mathematik zu sammen<br />

zuführen. Dazu kam, dass es in der<br />

Wissenschaft in manchen Gebieten noch bis<br />

ins 16. Jahrhundert hinein keine saubere<br />

Trennung von Wissen und Mutmaßung gab<br />

und Astronomie mit Astrologie, Chemie mit<br />

54


[HERR]GOTT<br />

Alchemie sowie Mathematik mit Numerologie<br />

oftmals diffuse Allianzen eingingen.<br />

Die Mathematik wurde bemüht, wenn<br />

es galt, den Weltuntergang vorherzusagen<br />

oder den optimalen Zeitpunkt für kriegerische<br />

Auseinandersetzungen zu wählen.<br />

Eine Koryphäe wie Johannes Kepler musste<br />

als kaiserlicher Mathematiker zum Beispiel<br />

im Dreißigjährigen Krieg Horoskope für<br />

General Wallenstein erstellen. Auch Kepler<br />

war übrigens ein zutiefst gläubiger Mensch,<br />

der an das Göttliche in der Mathematik<br />

glaubte: „Die Geometrie hat Gott Modelle<br />

für die Schöpfung der Welt bereitgestellt.“<br />

Blüten der Zahlenmystik<br />

Als die ersten spanischen Seefahrer nach<br />

Südamerika kamen und erstmals eine<br />

Passions blume sahen, meinten sie, in dem<br />

THOMAS<br />

VON AQUIN<br />

Der wichtigste<br />

Philosoph des<br />

Mittelalters sah<br />

Logik als Schlüssel,<br />

die Schöpfung<br />

zu ergründen.<br />

Mit ihrer Hilfe<br />

versuchte er, die<br />

Existenz Gottes<br />

zu beweisen.<br />

Aufbau der Blüte Symbole der Kreuzigung<br />

Christi zu erkennen: Die drei Griffel des<br />

Blütenstempels standen für die drei Nägel,<br />

die fünf Staubblätter für die fünf Wunden,<br />

umgeben war all das von einem Dornenkranz,<br />

und die zehn äußeren Kron- und<br />

Kelchblätter standen für die zehn Apostel,<br />

die der Kreuzigung beiwohnten. Die Samen<br />

einer Sonnenblume zum Beispiel sind in<br />

einer Fibonacci-Spirale angeordnet, und<br />

so wurde auch vieles durch Zahlen oder<br />

mathematische Formeln greifbarer, was für<br />

Gläubige Teil einer göttlichen Schöpfung<br />

ist – auch für religiöse Mathematiker wie<br />

Kepler, Descartes, Newton oder Euler, die<br />

bei all ihren Erkenntnissen an das göttliche<br />

Übergeordnete glaubten.<br />

Schon für die Pythagoräer, die sogar<br />

einen Eid auf die bereits erwähnte<br />

55


[HERR]GOTT<br />

Tetraktys ablegen mussten, waren Zahlen<br />

das Maß aller Dinge gewesen, und die Zahlensymbolik<br />

spielt auch in allen großen Religionen<br />

eine gewichtige Rolle. Die 1 steht<br />

für Vollkommenheit und spiegelt sich im<br />

einen, im einzigen Gott. Die 3 symbolisiert<br />

Vollständigkeit und Geschlossenheit und<br />

zeigt sich etwa in der Dreifaltigkeit oder<br />

den drei göttlichen Tugenden Glaube, Liebe,<br />

Hoffnung. Die 4 gilt als Ordnungszahl,<br />

die Struktur verleiht. Es gibt vier Himmelsrichtungen,<br />

vier Elemente und vier Jahreszeiten<br />

– und in der Bibel vier Evangelien<br />

und vier Kardinaltugenden.<br />

Die Summe aus 3 und 4, also aus Vollständigkeit<br />

und Ordnung, ergibt 7 – eine<br />

Zahl, die auch im Glauben eine große Rolle<br />

spielt. In sieben Tagen wurde die Welt erschaffen,<br />

es gibt sieben Sakramente und<br />

sieben Todsünden, eine Buchrolle mit sieben<br />

Siegeln enthält den göttlichen Plan für<br />

das Ende der Welt, und sieben Posaunen<br />

kündigen den Tag des Jüngsten Gerichts an.<br />

Ein großer Zahlenmystiker war auch der<br />

heilige Augustinus, für den die Zahl 40 entscheidende<br />

Bedeutung hatte. Er sah sie als<br />

Produkt aus 4, der Ordnungszahl, die für<br />

ihn auch die (Lebens-)Zeit symbolisierte,<br />

und der vollkommenen Zahl 10, die bei Augustinus<br />

für Wissen und Weisheit stand. Die<br />

40 sollte seiner Ansicht nach den Menschen<br />

lehren, entsprechend dem Wissen zu leben,<br />

das er sich in seiner Lebenszeit aneignet.<br />

»Wenn man einen Hammer hat,<br />

ist man immer versucht, überall<br />

Nägel zum Hineinklopfen zu<br />

identifizieren. Die Mathematik<br />

ist wirklich ein großer Hammer.<br />

Gott – was immer das ist oder<br />

sein soll – ist aber kein Nagel,<br />

den man klopfen kann.«<br />

Bruno Buchberger<br />

KURT GÖDEL<br />

Der österreichische<br />

Logiker<br />

entwickelte einen<br />

Gottesbeweis,<br />

der formal korrekt<br />

ist — sofern man<br />

die zugrunde<br />

liegenden Prämissen<br />

akzeptiert.<br />

In der Bibel steht diese Zahl demnach auch<br />

sehr oft für schwere Prüfungen und das Erreichen<br />

von Reife. 40 Tage und 40 Nächte<br />

regnete es vor der Sintflut, 40 Jahre zog das<br />

Volk Israels nach seinem Auszug aus Ägypten<br />

durch die Wüste, 40 Tage verbrachte<br />

Moses auf dem Berg Sinai, 40 Tage war Jesus<br />

in der Wüste, 40 Stunden lag er in seinem<br />

Grab, 40 Tage dauert die Fastenzeit.<br />

Und, damit sich der Kreis wieder<br />

schließt: Als Pythagoras am Ende seines<br />

Lebens nach Metapont fliehen musste,<br />

verzichtete er dort der Erzählung nach<br />

aus Enttäuschung auf Nahrungsaufnahme<br />

und verhungerte – und zwar nach genau<br />

40 Tagen.<br />

Die Mathematik als Hammer<br />

Nach diesem kurzen Ausflug in die Numerologie<br />

und die Mystik der Zahlen nun aber<br />

wieder zurück zur Mathematik und ihrem<br />

Versuch, Gott zu beweisen. An diesem Versuch<br />

arbeitete sich zuletzt einer der genialsten<br />

Mathematiker und Logiker des 20. Jahrhunderts<br />

ab: Kurt Gödel. Sicher dürfte er<br />

sich aber auch nicht gewesen sein, denn<br />

veröffentlicht wurde seine 1941 fertig gestell<br />

te Beweisführung erst 30 Jahre später –<br />

und erntete mehr Kritik als Zustimmung.<br />

Bruno Buchberger, Professor für Computer-<br />

Mathematik an der JKU Linz, glaubt auch<br />

zu wissen, warum: „Wenn man einen Hammer<br />

hat, ist man immer versucht, überall<br />

Nägel zum Hin einklopfen zu iden tifizieren.<br />

Die Mathematik ist wirklich ein großer<br />

Hammer, und es ist ein großes Vergnügen,<br />

ihn zu beherrschen oder gar seine Weiterentwicklung<br />

mitgestalten zu können. Gott –<br />

was immer das ist oder sein soll – ist aber<br />

kein Nagel, den man klopfen kann.“<br />

Ist dieser Versuch, in den geniale Geister<br />

aus vielen Jahrhunderten so viel Energie<br />

gesteckt haben, also von vornherein zum<br />

Scheitern verurteilt? Vielleicht hat ja<br />

der amerikanische Schriftsteller Richard<br />

Powers recht, wenn er meint: „Bei der<br />

56


[HERR]GOTT<br />

EINE KLEINE GESCHICHTE DER GOTTESBEWEISE<br />

Die Versuche, mithilfe der Vernunft die<br />

Existenz Gottes zu beweisen, reichen<br />

bis in die Antike zurück. Schon Cicero<br />

(106 — 43 v. Chr.) leitete aus seiner Beobachtung,<br />

dass es kein religionsloses<br />

Volk gebe, die Schlussfolgerung ab, dass<br />

die gemeinsame Gotteserfahrung aller<br />

Völker die reale Existenz des Göttlichen<br />

nahelege. Das war jedoch eher ein Plausibilitätsargument<br />

als eine Beweisführung.<br />

Einer der ersten philosophisch-wissenschaftlichen<br />

Versuche eines Gottesbeweises<br />

stammt vom Theologen und Philosophen<br />

Anselm von Canterbury (1033 —<br />

1109), der als Begründer des „ontologischen<br />

Gottesbeweises“ gilt. Dem liegt die<br />

Annahme von Gott als einem „Worüber<br />

hinaus nichts Größeres gedacht werden<br />

kann“ zugrunde. Anselm leitete die Existenz<br />

Gottes von der Existenz des Gottesbegriffs<br />

ab. Ein Ansatz, den etwas abgewandelt<br />

später auch René Descartes<br />

(1596 — 1650) vertrat. Der bekannteste<br />

neuzeitliche Vertreter des ontologischen<br />

Gottesbeweises ist Kurt Gödel (1906 —<br />

1978), der mit den Mitteln der Modal logik<br />

zum Schluss kam: „Ein göttliches Wesen<br />

existiert notwendigerweise.“ Grob vereinfacht<br />

ausgedrückt kam er zu dieser<br />

Erkenntnis, weil für ihn Gott alle positiven<br />

Eigenschaften in sich vereinen muss.<br />

Und weil es eine positive Eigenschaft<br />

ist, zu existieren, muss Gott existieren.<br />

Der größte Kritikpunkt daran ist, dass<br />

die Schlussfolgerungen zwar logisch<br />

nachvollziehbar, aber die Annahmen,<br />

auf denen sie basieren, umstritten sind.<br />

In eine andere Richtung ging der Philosoph<br />

und Theologe Thomas von Aquin<br />

(1225 — 1274), der in seiner „Summa theologica“<br />

versuchte, einen kosmologischen<br />

und teleologischen Gottesbeweis anzutreten.<br />

Er ging davon aus, dass alles im<br />

Universum eine Ursache außerhalb von<br />

sich selbst haben müsse, eine „causa<br />

prima“, von der alles ausgeht und die als<br />

ordnende Kraft agiert. Diese Kraft war für<br />

Thomas von Aquin Gott. Demnach waren<br />

für den später heiliggesprochenen Theologen<br />

Wissenschaft und Glaube auch<br />

nicht im Widerspruch, weil er in naturwissenschaftlichen<br />

Erkenntnissen eine<br />

Möglichkeit sah, das Göttliche der Schöpfung<br />

besser zu verstehen.<br />

All diesen Wegen, die Existenz Gottes zu<br />

beweisen, widersprach Immanuel Kant<br />

(1724 — 1804), für den das Ideal eines übergeordneten<br />

Wesens nur ein Instrument<br />

für den praktischen Gebrauch der Vernunft<br />

darstellte. Dennoch steuerte der<br />

Philosoph mit seiner Gegenrede zu ontologischem,<br />

kosmologischem und teleologischem<br />

Gottesbeweis eine vierte Kategorie<br />

bei: die moralische Gottesannahme.<br />

Denn bei aller Kritik hielt Kant fest: „Wir<br />

müssen eine moralische Weltursache<br />

(einen Welturheber) annehmen, um uns,<br />

gemäß dem moralischen Gesetze, einen<br />

Endzweck vorzusetzen.“<br />

Pragmatisch ging es der Mathematiker<br />

Blaise Pascal (1623 — 1662) an, der weniger<br />

einen Gottesbeweis antrat als eine<br />

Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellte. In<br />

seiner „Pascal’schen Wette“ genannten<br />

These meinte er, es sei besser, an Gott zu<br />

glauben, weil man nichts verliere, wenn er<br />

nicht existiere, aber auf der sicheren Seite<br />

sei, wenn es doch einen Gott gebe. Ein<br />

Kritik punkt daran: Menschen glauben an<br />

verschiedene Götter — und des einen Gottesfurcht<br />

ist des anderen Götzendienst.<br />

Wissenschaft geht es nicht um Kontrolle.<br />

Es geht darum, einen fortdauernden Zustand<br />

der Verwunderung zu kultivieren<br />

angesichts von etwas, das immer ein Stück<br />

reicher und subtiler ist als unsere letzte<br />

Theorie darüber. Es geht um Verehrung,<br />

nicht um Beherrschung.“<br />

BLAISE PASCAL<br />

war ein tiefgläubiger<br />

Mathematiker.<br />

Er nutzte als Erster<br />

die Entscheidungstheorie,<br />

um zu<br />

argumentieren:<br />

An Gott zu glauben<br />

ist sinnvoller,<br />

als es nicht zu tun.<br />

Glaube oder Gleichung?<br />

Mathematikprofessor Bruno Buchberger<br />

teilt vielleicht auch deshalb nicht die Ansicht<br />

des berühmten mittelalterlichen Theologen<br />

Thomas von Aquin, dass Logik und<br />

Mathematik dabei helfen könnten, den Plan<br />

Gottes besser zu verstehen: „Es gibt so ein<br />

großes Bedürfnis, die Wahrheit des Lebens<br />

mit mathematischer Sicherheit von irgendetwas<br />

Unbezweifelbarem ableiten zu können.<br />

Aber wenn man die innerste Wahrheit<br />

erfahren möchte, muss man Worte, Sätze,<br />

Schlüsse, Pläne – auch die Mathematik –<br />

loslassen, um vielleicht in der Wortlosigkeit,<br />

der Stille die Wahrheit zu erfahren.“<br />

Da ist wohl etwas dran. Denn man kann<br />

die Blütenblätter eines Gänseblümchens<br />

oder die Umlaufbahn der Planeten mit Zahlen<br />

erfassen. Ob der mathematische Werkzeugkoffer<br />

aber für die Beantwortung der<br />

ganz großen Frage ausreicht, die seit zweieinhalbtausend<br />

Jahren die Wissenschaft<br />

umtreibt, muss angesichts der bisherigen<br />

Resultate bezweifelt werden. Es ist wohl<br />

doch stimmiger, einfach daran zu glauben –<br />

oder nicht.<br />

57


58<br />

FOTO: CHRISTIAN ÖSER


SAKRAMENT<br />

WIE WIR GEMEINSAM DAS LEBEN FEIERN<br />

Sie dienen unserem Leben als Wegweiser und<br />

Orientierungspunkte: Rituale, die wir gemeinsam<br />

erleben und feiern. Vom Singen von Weihnachtsliedern<br />

am Christbaum bis zum Sakrament in der Kirche.<br />

Weihnachtswunder. Im Jahr 1691<br />

spricht sich in Steyr herum, dass eine<br />

wächserne Christusfigur heilende<br />

Kräfte besitzt: Eine Chorschwester<br />

kann wieder gehen, nachdem sie zu<br />

ihr gebetet hat, und auch den Kapellmeister<br />

befreit sie von seiner Epilepsie.<br />

Letzterer baut dem Christuskind einen<br />

Schrein im Wald nahe Steyr. An dieser<br />

Stelle steht heute die Wallfahrtskirche<br />

Christkindl, wo man die wundertätige<br />

Figur noch immer bestaunen kann —<br />

eingebettet in einen Strahlenkranz.<br />

59


SAKRAMENT<br />

WÜNSCH<br />

DIR WAS!<br />

In einigen Kirchen von Linz steht<br />

jeden Advent ein Wald voller<br />

Christbäume – geschmückt<br />

mit ganz persönlichen Herzens­<br />

wünschen. Was würden Sie<br />

auf die Karten schreiben?<br />

WÜNSCHE, BUNT<br />

WIE DAS LEBEN.<br />

Im Advent findet man<br />

in einigen Linzer Kirchen<br />

ganz besondere Weihnachtsbäume:<br />

Sie kommen<br />

ohne Behang daher<br />

und warten darauf, mit<br />

Wünschen geschmückt<br />

zu werden. Die Wunschkarten<br />

lassen sich vor Ort<br />

ausfüllen, für den Mariendom<br />

auch online:<br />

www.adventamdom.at<br />

FOTO: GETTY IMAGES/ISTOCK<br />

60


SAKRAMENT<br />

Herzerwärmend.<br />

Hier eine Auswahl der<br />

Wunschkarten, die 2021<br />

den Christbaum im Mariendom<br />

zierten: Sie reicht<br />

von Frieden auf Erden über<br />

weiße Weihnachten bis<br />

zu einem „Kowala“-Bären.<br />

61


62<br />

SAKRAMENT


FOTOS: GETTY IMAGES/ISTOCK, MARIA NOISTERNIG, VOLKER WEIHBOLD<br />

ADVENT AM DOM:<br />

25. November bis<br />

23. Dezember,<br />

täglich außer montags<br />

von 11 Uhr bis 20 Uhr<br />

www.adventamdom.at<br />

SAKRAMENT<br />

AUSZEIT VOM TRUBEL<br />

Der Advent läuft oft wie im Zeitraffer<br />

an uns vorbei: Kaum hat man alle<br />

Geschenke gekauft, die letzten Projekte<br />

bei der Arbeit erledigt und den Skiurlaub<br />

geplant, ist er schon wieder vorbei.<br />

Da wäre es doch toll, wenn man die Zeit<br />

zumindest für ein paar Stunden langsamer<br />

laufen lassen könnte, um innezuhalten<br />

und den Advent zu genießen.<br />

Genau das ist die Idee hinter dem<br />

Adventmarkt am Dom platz unter dem<br />

Motto „der stillere Advent“. Eine Zeitmaschine<br />

hat das Organisationsteam<br />

zwar nicht erfunden – dafür tut man<br />

sonst alles, damit Besucherinnen und<br />

Besucher etwas Ruhe finden und sich<br />

auf die Kernbotschaft der Vorweihnachtszeit,<br />

die Erwartung der Geburt Jesu,<br />

besinnen können: Auf Dauer beschallung<br />

wird verzichtet, ausgestellt wird regionales<br />

Kunsthandwerk, und mit VR-Brillen<br />

kann man die Welt der restaurierten<br />

Osterrieder-Krippe entdecken.<br />

Krippe, Karussell, Krapfen.<br />

In der Krippe des Mariendoms kann<br />

man mithilfe von VR-Brillen regelrecht<br />

in die Weihnachts geschichte eintauchen.<br />

Kinder haben beim Karussell<br />

ihren Spaß — und Bauernkrapfen mit<br />

Marmelade liefern die nötige Energie.<br />

63


SAKRAMENT<br />

WENN DIE FLAMME DES LEBENS ERLISCHT<br />

Brigitte Krautgartner verlor ihren Partner an das, wie sie<br />

sagt, Krebsmonster. Ein Schicksal, das sie mit vielen teilt.<br />

Wenn auch Sie vor kurzem einen lieben Menschen verloren<br />

haben oder gerade Abschied nehmen müssen — Sie sind<br />

nicht allein. Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren, wenn Sie<br />

Unterstützung brauchen oder einfach reden wollen:<br />

www.dioezese-linz.at/trauerhilfe<br />

FOTO: UNSPLASH.COM<br />

64


SAKRAMENT<br />

GRÜNE AUEN<br />

IM FINSTEREN TAL<br />

Manche Wege kann man nur Schritt für Schritt gehen.<br />

Das gilt auch für den schmerzhaften Weg<br />

des Abschieds von einem geliebten Menschen.<br />

TEXT: BRIGITTE KRAUTGARTNER<br />

I<br />

ch habe es für mich auf diese Formel gebracht: Trauer ist der Preis, den wir dafür bezahlen,<br />

lieben zu können. Denn der Abschied von einem geliebten Menschen, der unausweichlich<br />

ins Haus steht, tut unsagbar weh. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass<br />

dieser Abschied nicht erst mit dem letzten Atemzug oder am Grab beginnt. Dieser Abschied<br />

ist ein Prozess, der aus vielen kleinen Schritten, vielen kleinen und großen Erfahrungen des<br />

Loslassenmüssens besteht. Aber wie jeder Prozess ist auch ein Abschiedsprozess gestaltbar<br />

und kann mehr oder weniger schmerzhaft verlaufen. Am Ende ist man immer klüger: Hätte<br />

ich doch, hätte ich doch nicht, sagt man sich danach. Ich möchte das, was ich aus meinem<br />

Abschiedsprozess gelernt und mitgenommen habe, mit Ihnen teilen. Vielleicht ist ja etwas<br />

dabei, was Sie für Ihr Leben mitnehmen können.<br />

Fast genau fünf Jahre ist es her. Im Spätsommer 2017 hat es begonnen. Zunächst die Arzttermine.<br />

Anfangs in größeren Intervallen, in der Folge immer häufiger. Dann, ein paar<br />

Wochen später, die endgültige Diagnose. Erhalten an einem sonnigen Freitag. Ganz lapidar:<br />

„Der Arzt sagt, die Schmerzen im Bein sind von den Knochenmetastasen. Er hat heute den<br />

histologischen Befund bekommen.“ Ganz ausdruckslos formulierte mein Partner die beiden<br />

Sätze. Über zwanzig Jahre lang hatte da unsere Beziehung schon gedauert. Mit Aufs und Abs,<br />

und doch getragen von dem Gefühl: Wir gehören zusammen.<br />

Seit dieser Mitteilung war in unserem, in meinem Leben nichts mehr so wie zuvor. Und ich<br />

wusste: Es würde auch nicht mehr so werden. Denn es war ebenfalls klar: Der Tumor war sehr<br />

aggressiv, eine Heilung mehr als unwahrscheinlich. Zu groß war die Geschwulst schon, und<br />

sie hatte gestreut, aller Voraussicht nach nicht nur in den Knochen. Weitere Unter suchungen,<br />

ein regelrechter Fahrplan wurde in der Folge erstellt. Unsere Urlaubsreise nach Kroatien traten<br />

wir wie geplant an. In den guten Momenten (die es durchaus gab) gelang es uns, das Bevorstehende<br />

auszublenden. Sonne, Meer und alles, was dazugehörte, zu genießen. Wir waren<br />

immer so gern verreist …<br />

65


SAKRAMENT<br />

»Ich will nichts beschönigen. Es gibt die ganz dunklen<br />

Zeiten. Wut, Angst, Schmerz, Hoffnungs losigkeit.<br />

Da gibt es nichts anderes, als durch sie hindurchzugehen<br />

wie durch eine Landschaft.«<br />

Brigitte Krautgartner<br />

Das war die eine Seite. Das Bestreben, das Leben gut weiterzuführen. Die andere Seite<br />

bestand darin, sofort auf die Veränderungen zu reagieren. Vom ersten Augenblick an war<br />

mir klar: Du musst dir Hilfe suchen. Jetzt. Sofort. Bei so vielen Anlauf stellen wie möglich.<br />

Ich wusste das aufgrund meiner Erfahrung, denn ich hatte schon einmal mit einer krebskranken<br />

Person gelebt. Bei meiner Mutter war Magenkrebs festgestellt worden, da war ich 17.<br />

Ein Jahr später, in der Zeit zwischen meiner schriftlichen und mündlichen Matura, war sie<br />

daran gestorben. Ich hatte sie so geliebt und ihr doch nicht helfen können. Diese zwölf Monate<br />

– so hilflos, so ausgeliefert, mit all den intensiven Ge fühlen – habe ich als die schwerste<br />

Zeit in meinem Leben in Erinnerung.<br />

Jetzt war es also wieder in meinem Leben, das Krebsmonster. Aber diesmal, das wusste ich,<br />

würde ich ihm anders gegenüberstehen. Ich würde ihm nicht mehr opfern, als unbedingt<br />

notwendig war. Schnell bekam ich einen Termin in der Krebshilfe, wo ich ab diesem Zeitpunkt<br />

vierzehntäglich (in Krisenzeiten auch öfter) psychologische Begleitung bekam. Auch in<br />

sozialrechtlicher und medizinischer Hinsicht gab es Beratung. Zu diesen Terminen gingen wir<br />

gemeinsam. Mit der Psychologin sprach ich allein. Sie half mir, meine Gefühle zu sortieren:<br />

die Trauer, die Angst, die Wut, die quälenden Fragen. Sie half mir, keine Negativszenarien zu<br />

zeichnen, sondern die anstehenden Anforderungen Schritt für Schritt in Angriff zu nehmen.<br />

Was nützt es, sich vor etwas zu fürchten (etwa vor Gehirnmetastasen, die den Partner geistig<br />

total verändern), was möglicherweise überhaupt nicht eintritt? Vorbereitungen: ja – Angstspirale:<br />

nein. So lautete die Devise. Ich weiß, dazwischen liegt oft nur ein schmaler Grat.<br />

Mich darauf so sicher wie möglich zu bewegen, dabei half mir meine Psychologin. Und in<br />

noch einer Hinsicht war sie mir eine unsagbar wertvolle Unterstützung. Nämlich wenn es<br />

darum ging, meine eigenen Kraftquellen zu erkennen. Diese können sehr unterschiedlich<br />

sein: die Freude an der Bewegung oder am kreativen Gestalten, ein Garten, Freundeskreis<br />

und Familie, Spiritualität und vieles mehr. Es ging darum zu erkennen, was mir besonders<br />

guttat – und das dann ganz bewusst in meinen Alltag einzubauen. Natürlich gilt es, im Zusammenleben<br />

mit einer erkrankten Person Abstriche zu machen, Ressourcen zu schaffen. Ich<br />

habe damals gelernt, dass es für mich besser ist, die Fenster ungeputzt zu lassen, den Rasen<br />

seltener zu mähen, im Beruf ein wenig kürzerzutreten. So konnte ich Kapazitäten schaffen,<br />

ohne auf die freudigen und erfüllenden Momente zu verzichten.<br />

Ich lernte, den Wert des Genießens intensiver zu schätzen. Gemeinsam (ein gutes Essen,<br />

einen unterhaltsamen Film, eine Reise – das war eine Zeit lang noch möglich) oder allein –<br />

beides war wichtig. Eine weitere, ganz wichtige Unterstützung war das mobile Hospiz-Team<br />

der Caritas. Immer wenn Not an Mann war, haben sie uns begleitet. Sachkundig, empathisch,<br />

patent. Und kostenlos, einmal ohne nach der Sozialversicherungsnummer, nach dem Religionsbekenntnis<br />

oder sonst etwas in der Art zu fragen. Ausschlaggebend war, wie es uns ging.<br />

Ihm mit seiner Krankheit, seinen Schmerzen, seinen Fragen. Mir als Begleitende. Themen wie<br />

66


SAKRAMENT<br />

Schmerzmedikation und Patientenverfügung wurden ebenso angesprochen wie Zukunftsängste<br />

und das Hadern mit der aktuellen Situation. Die Krankheit wurde wirklich als ganzheitliches<br />

Geschehen mit all ihren verschiedenen Facetten in den Blick genommen.<br />

Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, am Arbeitsplatz offen über die Krebserkrankung<br />

zu sprechen. Es wäre ja ohnehin aufgefallen, dass ich „irgendwie komisch“ wirke, vielleicht<br />

hätten sich Gerüchte entwickelt. So wussten alle, was los war. Ich konnte sagen, wann ich<br />

Schonung brauchte, wo ich mich überfordert fühlte – aber auch, welches Projekt ich unbedingt<br />

umsetzen wollte. Weil es mir Freude machte und weil die Freude an der Arbeit in dieser<br />

Zeit eine wichtige Quelle für positive Gefühle war. Und ich habe auch gelernt, in meinem<br />

größeren Umfeld meine Bedürfnisse zu äußern. So habe ich etwa in der WhatsApp-Gruppe<br />

unseres Chors gefragt, ob jemand mein kaputtes Fahrrad reparieren könnte. Chor, Kollegen,<br />

Freundes- und Bekanntenkreis waren mir eine unglaubliche Unterstützung. Wenn ich rechtzeitig<br />

um Hilfe gebeten habe (sofern sich das vorher abschätzen ließ), verschiedene Leute<br />

gefragt habe (sachlich und freundlich, ohne sie zu bedrängen), dann hat so gut wie immer<br />

jemand Ja gesagt. Wenn das in Ausnahmefällen doch nicht der Fall war, war es wichtig, den<br />

Personen gegenüber nicht verbittert zu sein (schließlich haben alle viel zu tun). Manches<br />

konnte ich dann doch allein bewältigen, manches verschieben.<br />

Ich will nichts beschönigen. Ja, es gibt sie, die ganz dunklen Zeiten. Wut, Angst, Schmerz,<br />

Hoffnungslosigkeit. Da gibt es nichts anderes, als durch sie hindurchzugehen wie durch eine<br />

Landschaft. Der Psalm 23 („Der Herr ist mein Hirte“) fällt mir dazu ein, der genau diese<br />

Erfahrung beschreibt: „Auch wenn ich gehe im finsteren Tal, ich fürchte kein Unheil; denn<br />

du bist bei mir, dein Stock und dein Stab, sie trösten mich.“ Und manchmal ist da tatsächlich<br />

nichts als Dunkelheit. Jeder Schritt, der dennoch gesetzt wird, ein wunderbarer Sieg. Manchmal<br />

gelingt es, Vertrauen zu haben. Dass es auch die grünen Auen gibt, den Ruheplatz am<br />

Wasser. Die Erinnerung an frühere Krisen, die man bewältigt hat, kann da helfen. Ab einem<br />

bestimmten Alter hat jeder und jede von uns die Erfahrung gemacht, dass eine Situation ausweglos<br />

erschienen ist. Aber auch, dass man sie durchlebt und (wenn auch mit Narben) später<br />

wieder Zeiten des Glücks erlebt hat. Wer gläubig ist, mag sein Vertrauen darauf richten, dass<br />

Gott die Richtung kennt und eine gute Zukunft eröffnen wird – wie immer die dann konkret<br />

aussehen mag.<br />

Ich habe für den Begräbnisgottesdienst zwei besondere Bibelstellen für die Lesung ausgesucht:<br />

das Ende des Buchs Hiob und das Ende der Apokalypse. Beide Texte beschreiben, wie<br />

nach größter Bedrängnis das Leben wieder gut wird. Sie eröffnen eine Perspektive. Sie sind<br />

für mich so etwas wie ein Lockruf der Zukunft: Komm weiter, geh hindurch, durch das dunkle<br />

Tal. Auch wenn es phasenweise nur langsam geht – setz einen Fuß vor den anderen.<br />

FOTOS: HEINZ KILIAN, PR<br />

VON ABSCHIED UND NEUBEGINN<br />

Brigitte Krautgartner, 56, gestaltet und moderiert als ORF-Religionsjournalistin<br />

Sendungen für Radio Ö1. In ihrem Buch „Hinter den Wolken<br />

ist es hell“ beschreibt die gebürtige Oberösterreicherin das schrittweise<br />

Abschiednehmen von ihrem Partner. Weiters berichtet sie, wo und wie<br />

sie dabei Unterstützung fand und wie ihr danach ein Neuanfang gelang.<br />

Brigitte Krautgartner: „Hinter den Wolken ist es hell“,<br />

Tyrolia Verlag, 168 Seiten, € 19,95<br />

67


SAKRAMENT<br />

AM SIEBTEN TAG<br />

Sieben Fragen zum Leben an Verena Altenberger –<br />

über verschlafene Sonntage, gesunden Egoismus<br />

und das Glück, das innere Gleichgewicht zu finden.<br />

INTERVIEW: SABRINA LUTTENBERGER<br />

FOTOS: GREGOR KUNTSCHER<br />

1<br />

Im „Jedermann“, wo<br />

Sie als Buhlschaft zu<br />

sehen waren, findet die<br />

Hauptfigur gerade noch<br />

rechtzeitig zum Glauben<br />

zurück, ehe sie vor Gott<br />

tritt. Könnte Ihnen das<br />

auch passieren?<br />

Ich bin zwar nicht gläubig, bin<br />

aber auch keine Atheistin. Ich<br />

bin einfach offen und schau,<br />

wohin die Reise geht. Was<br />

ich vom christlichen Glauben<br />

allerdings umzusetzen versuche,<br />

ist, ein gutes Leben zu<br />

führen. Liebe dich selbst und<br />

liebe deinen Nächsten. Meine<br />

Kritik am Jedermann ist übrigens<br />

genau das: Er kommt<br />

in den Himmel, weil er in der<br />

Stunde des Todes sagt: „Oh,<br />

tut mir leid, das bereue ich<br />

wirklich, und jetzt glaube ich<br />

an Gott.“ Man sollte schon<br />

eher versuchen, davor kein<br />

schlechter Mensch zu sein.<br />

2<br />

Kein schlechter<br />

Mensch zu sein –<br />

wie gelingt das?<br />

Wir müssen für uns individuell,<br />

aber auch als Gesellschaft<br />

eine Balance zwischen Altruismus<br />

und Egoismus finden.<br />

Es ist absolut berechtigt zu<br />

sagen, ich strebe nach persönlichem<br />

Glück. Die Frage dabei<br />

ist nur: Wie viel Leid nehme<br />

ich für mein Glück in Kauf?<br />

Ohne hier Werbung machen<br />

zu wollen, aber genau darum<br />

geht es in meinem Film<br />

»Ich würde es nicht<br />

aushalten, die vielen<br />

Privilegien zu haben,<br />

die mein Beruf mit<br />

sich bringt, aber<br />

nichts zurückzugeben.<br />

Das fände ich unmoralisch.«<br />

Verena Altenberger<br />

„Märzengrund“. Der reichste<br />

Bauernsohn aus dem Zillertal<br />

soll sein Erbe antreten, geht<br />

aber stattdessen auf den Berg<br />

und bleibt dort 40 Jahre.<br />

Er lässt seine Geliebte – also<br />

mich –, seine Familie, alles<br />

zurück. Ich finde, das ist ein<br />

zu großer Anteil an Egoismus.<br />

3<br />

Sie hingegen<br />

engagieren sich für<br />

mehrere soziale Organisationen.<br />

Woher kommt<br />

dieser Wunsch, etwas<br />

verändern zu wollen?<br />

Aus meinem Elternhaus, wo<br />

soziales Engagement und politisches<br />

Interesse immer präsent<br />

waren. Das Tolle daran,<br />

dass ich Schauspielerin bin,<br />

ist, dass ich jetzt eine Bühne<br />

dafür bekomme. Ich würde es<br />

nicht aushalten, die vielen<br />

Privilegien zu haben, die mein<br />

Beruf mit sich bringt, aber<br />

68


VERENA ALTENBERGER,<br />

34, kennt man aus Film<br />

und Fernsehen. Sie spielte<br />

unter anderem in den<br />

Serien „CopStories“ und<br />

„ Polizeiruf 110“. In den<br />

Jahren 2021 und <strong>2022</strong><br />

übernahm die gebürtige<br />

Salzburgerin bei den Salzburger<br />

Festspielen die<br />

Titelrolle der Buhlschaft<br />

im „Jedermann“ — einer<br />

ihrer größten Erfolge.<br />

69


SAKRAMENT<br />

Daheim. Der Katholizismus löse in ihr immer noch Heimatgefühle aus,<br />

sagt Verena Altenberger. Genau wie ihre Geburtsstadt Salzburg.<br />

nichts zurückzugeben. Ich<br />

fände das unmoralisch. Es ist<br />

oft aber gar nicht so einfach,<br />

Grenzen zu ziehen. Anders<br />

geht es nicht, sonst hätte ich<br />

Sozialarbeiterin werden müssen.<br />

Da kommt dann aber<br />

mein Egoismus ins Spiel, der<br />

sagt: Ich will Schauspielerin<br />

sein! Womit wir wieder bei<br />

der Balance wären.<br />

4<br />

Was ist Ihnen<br />

heilig?<br />

Die Schauspielerei! Ich wollte<br />

schon immer Schauspielerin<br />

werden. Dieser Beruf ist so<br />

sehr, womit ich mich identifiziere<br />

und was ich mir vom Leben<br />

wünsche. Keine Chance,<br />

es mir anders zu denken. Natürlich<br />

hätte es nicht klappen<br />

können. Es war auch ein<br />

schwieriger Weg bis hierher.<br />

Umso dankbarer bin ich dafür,<br />

dass es funktioniert hat. Ich<br />

bin generell ein dankbarer<br />

Mensch – manchmal frage ich<br />

mich, ob das die katholische<br />

Sozialisierung ist, die durchschlägt<br />

und sagt: Wenn du<br />

nicht dankbar bist, dann hat<br />

es bald ein Ende.<br />

5<br />

Was ist Ihnen von<br />

Ihrem katholischen<br />

Hintergrund noch<br />

geblieben?<br />

Was ich an Katholiken sehr<br />

schätze, ist die Liebe zur Inszenierung.<br />

Katholische Messen<br />

sind wahnsinnig faszinierend.<br />

Bei anderen Regeln tu<br />

ich mir schwer. Meine Oma<br />

ist vor kurzem gestorben. Wir,<br />

meine Familie und ich, haben<br />

bei der Verabschiedung nichts<br />

Schwarzes getragen – einfach,<br />

weil wir an dem Tag andere<br />

Kleidung angezogen haben.<br />

Für mich ist es schön, dass wir<br />

uns diese Freiheit, uns auf unsere<br />

Weise zu verabschieden,<br />

genommen haben – natürlich<br />

in dem Wissen, dass meine<br />

Oma das so gewollt hätte.<br />

6<br />

Was bedeutet Glück<br />

für Sie?<br />

Ein Drehtag, der richtig fordernd<br />

war. Mit einer ganz<br />

schwierigen Szene oder einem<br />

schwierigen Stunt. Alles hat<br />

gut funktioniert. Die Euphorie<br />

danach, in der ich mit Kolleginnen<br />

und Kollegen etwas<br />

trinken gehe. Um mein Glück<br />

zu perfektionieren, ist noch<br />

jemand aus meiner Familie<br />

oder eine meiner Freundinnen<br />

dabei.<br />

7<br />

Hat der Sonntag<br />

für Sie eine<br />

besondere Bedeutung?<br />

Dadurch, dass ich selten freie<br />

Tage habe, eher nicht. Vorletztes<br />

Jahr habe ich zum Beispiel<br />

sieben Monate durchgearbeitet.<br />

Da kommt natürlich die<br />

Regeneration zu kurz. Insofern<br />

gibt’s nur eine Sache, die<br />

wirklich wichtig ist, wenn ich<br />

nicht arbeite: einfach so viel<br />

wie möglich zu schlafen.<br />

70


Work-Life-Balance.<br />

Verena Altenberger ist<br />

neben der Schauspie lerei<br />

auch für ihr soziales<br />

Engagement bekannt.<br />

71


POST<br />

AUS DEM BRIEFKASTEN<br />

Lob motiviert uns, Kritik lässt uns nachdenken, und Anregungen<br />

inspirieren uns für kommende Ausgaben. Wir sagen: Vergelt’s Gott!<br />

Ob man will oder nicht — man<br />

muss einfach reinschauen,<br />

wenn dieses Magazin so vor<br />

einem liegt. So zündend und<br />

die Neugier weckend ist schon<br />

die Covergestaltung. Kaum hat<br />

man hineingeblättert, verliert<br />

man sich schon in der interessanten<br />

und informativen<br />

Vielfalt der Themen, die spürbar<br />

mit viel Liebe aufbereitet<br />

werden. Man spürt das in den<br />

Texten, der grafischen Aufbereitung<br />

und der Auswahl der<br />

Bilder. Da passt einfach alles.<br />

Ein Layout vom Feinsten, das<br />

auch jene zum Reinschauen<br />

verführt, die eher nicht zur Zielgruppe<br />

gehören. Gratulation!<br />

Kurt Vogel, Pasching<br />

Eine Rückmeldung zum Artikel<br />

„Die heilige Messe“: Es gibt<br />

immer mehr ausgebildete<br />

WortgottesfeierleiterInnen,<br />

die viel Zeit in die Vorbereitung<br />

und Leitung der Gottesdienste<br />

investieren. Es wäre wichtig,<br />

dass dies auch in einem Magazin<br />

wie diesem einen Platz<br />

bekommt.<br />

Eva-Maria Hinterplattner,<br />

Ternberg<br />

Danke für die schönen Gedanken<br />

in „Ein Schutzengel soll es<br />

sein“. Auch ich verlasse mich<br />

oft auf die Führung durch meinen<br />

Schutzengel, habe diese<br />

Gewissheit meinen Kindern<br />

vermittelt, und nun bete ich<br />

mit meinen Enkelkindern zum<br />

Schutzengel. Meinen eigenen,<br />

mir so vertrauten Schutzengel<br />

bitte ich im Anschluss jedes<br />

Mal eindringlich, auch noch<br />

auf diese kleinen Geschöpfe<br />

zu achten, bei mir fällt ja nicht<br />

mehr so viel an.<br />

Monika Krautgartner,<br />

Tumeltsham<br />

Eine gesunde Portion Konservatismus<br />

BRAUCHT der<br />

Mensch, Modernität und Lifestyle<br />

HAT der Mensch. Das ist<br />

im 21. Jahrhundert nun einmal<br />

so. Das bekannte und wichtige<br />

„goldene Mittelmaß“ von<br />

Glaube und Lifestyle verliert<br />

sich immer mehr und mehr<br />

in Richtung luxuriöser Modernität<br />

und oberflächlichen Geltungsbedürfnisses.<br />

Ihr habt<br />

aber beide „Schwergewichte“,<br />

nämlich den Glauben und den<br />

Lifestyle, mit größtem Respekt<br />

behandelt und jedem von<br />

beiden genügend Platz in eurer<br />

Zeitschrift eingeräumt. In<br />

solch einer Art und Weise, wie<br />

ihr das gemacht habt, hab ich<br />

das eigentlich noch nie wo gesehen<br />

oder gelesen. Für mich<br />

ist diese Zeitung ein echt guter<br />

Leitfaden für die Zukunft.<br />

Sigrid Schimpl,<br />

Leopoldschlag<br />

Im Beitrag „Von Böse und Gut“<br />

erwähnt Bischof Scheuer einen<br />

Brief an den Papst, „dass neben<br />

den zölibatären Priestern auch<br />

verheiratete Männer zu Priestern<br />

geweiht werden sollen<br />

und Frauen zu Diakoninnen<br />

geweiht werden können“.<br />

WO BLEIBT DIE VOLLE<br />

GLEICHBERECHTIGUNG? Wie<br />

lange noch werden — sollen —<br />

sich die Frauen diese Diskriminierung<br />

gefallen lassen?<br />

Johann Achleitner, Wels<br />

Der Artikel von Clemens<br />

Sedmak hat mich sehr angesprochen,<br />

und ich habe<br />

recherchiert und bin auf Franz<br />

von Assisi gestoßen. Dieser<br />

schreibt: „Alle Geschöpfe<br />

der Erde fühlen wie wir, alle<br />

Geschöpfe streben nach<br />

Glück wie wir. Alle Geschöpfe<br />

der Erde lieben, leiden und<br />

sterben wie wir, also sind sie<br />

uns gleichgestellte Werke des<br />

allmächtigen Schöpfers —<br />

unsere Brüder.“ Das heißt für<br />

mich, dass, wenn wir eine<br />

Seele haben, logischerweise<br />

auch die Tiere eine haben. Ich<br />

bin Christin und esse schon<br />

viele Jahre keine Tiere mehr,<br />

meine letzte Fleischspeise<br />

war ein Meerschweinchen in<br />

Peru. Doch leider ist in den<br />

christlichen Kreisen, in denen<br />

ich verkehre, null Verständnis<br />

für eine vegetarische/vegane<br />

Ernährungsweise vorhanden<br />

oder zumindest für eine Reduktion<br />

des Fleischkonsums<br />

(Rückbesinnung auf den<br />

Sonntagsbraten).<br />

Pia Knogler, Hartkirchen<br />

Das aktuelle „Grüß Gott!“ ist<br />

vor wenigen Wochen eingelangt.<br />

Es liegt seither bei mir<br />

auf dem Tisch; und obwohl ich<br />

es bereits nach Erhalt von vorn<br />

bis hinten durchgelesen habe,<br />

was ich bei einer Zeitschrift<br />

noch nie geschafft hatte, lasse<br />

ich es noch liegen, einfach<br />

deshalb, weil ich es in Inhalt<br />

und Aufmachung ge lungen<br />

finde. Und so nehme ich diese<br />

Zeitschrift gelegentlich nochmals<br />

in die Hand und lese darin<br />

manches ein zweites Mal.<br />

Gratulation zu diesem wunderbaren<br />

Magazin.<br />

Wolfgang Ortner, Wels<br />

Möchten Sie uns auch eine Rückmeldung geben? Bitte per E-Mail an: gruessgott@dioezese-linz.at<br />

Eine Auswahl Ihrer Rückmeldungen finden Sie in Auszügen beziehungsweise,<br />

sofern es der Platz erlaubt, zur Gänze in einer der nächsten Ausgaben.<br />

72


HADERER<br />

ILLUSTRATIONEN: GETTY IMAGES/ISTOCK, GERHARD HADERER<br />

73


VERANSTALTUNGEN<br />

Aktuelle Termine finden Sie auf www.dioezese-linz.at/termine<br />

KULTURELLES & SPIRITUELLES<br />

Krippen bestaunen und die Geheimnisse des Tassilokelchs entschlüsseln –<br />

unsere Veranstaltungs- und Ausflugstipps für Linz und Umgebung.<br />

ACHTUNG: VERANSTALTUNGEN KÖNNEN WEGEN COVID-MASSNAHMEN KURZFRISTIG ABGESAGT WERDEN.<br />

25. 11. <strong>2022</strong> bis 6. 1. 2023<br />

KRIPPERLSCHAUN BEIM CHRISTKIND DAHEIM<br />

Im Steyrer Stadtteil Christkindl<br />

ist nicht nur das Christkind<br />

daheim, im Pfarrhof der Wallfahrtskirche<br />

warten auch zwei<br />

echte Krippenrari täten: Die<br />

mechanische Krippe von Karl<br />

Klauda zeigt knapp 300 aus<br />

1./2. 11. <strong>2022</strong><br />

ALLERHEILIGEN UND ALLERSEELEN<br />

In den ersten Tagen des<br />

Novembers feiern wir zwei<br />

Feste des Gedenkens: Zu Allerheiligen,<br />

dem Fest des offenen<br />

Himmels, erinnern wir uns<br />

aller Heiligen und Seligen, die<br />

uns heute Vorbilder sind. Tags<br />

darauf widmen wir unsere<br />

Lindenholz geschnitzte Figuren,<br />

die sich auf vier Ebenen<br />

durch die biblische Landschaft<br />

bewegen. Darunter auch das<br />

Jesuskind höchstselbst, das<br />

sich in der Krippe aufsetzt, den<br />

Segen gibt und sich dann wieder<br />

hinbettet. Die Pöttmesser-<br />

Krippe trumpft wiederum mit<br />

über 770 geschnitzten Figuren<br />

auf und zählt mit einer Fläche<br />

von 58 Quadratmetern zu den<br />

größten Krippen der Welt.<br />

Übrigens: Im Postamt nebenan<br />

können Briefe direkt ans<br />

Christkind verschickt werden.<br />

www.steyr-nationalpark.at/<br />

advent<br />

Gedanken allen Verstorbenen.<br />

Traditionell besuchen wir die<br />

Gräber von Angehörigen und<br />

zünden Kerzen zum Gedenken<br />

an. Informationen zu Gottesdiensten<br />

finden Sie unter:<br />

www.dioezese-linz.at/<br />

allerheiligen<br />

1. 12., 19 Uhr, und 11. 12. <strong>2022</strong>, 11 Uhr<br />

DEN TASSILOKELCH IN NEUEM LICHT BESTAUNEN<br />

Im Stift Kremsmünster findet<br />

sich eines der kostbarsten<br />

liturgischen Gefäße des frühen<br />

Mittelalters: ein reich verzierter<br />

Abendmahlkelch, der nach<br />

seinem Stifter Tassilo III. benannt<br />

wurde. Herkunft, Funktion,<br />

Bildschmuck und Bedeutung<br />

des Kelchs blieben über<br />

Mit ihrem bodenständigen<br />

Dialektpop begeistern die<br />

„Poxrucker Sisters“ seit Jahren<br />

ihre Fans. Mit der „Herzklopfn<br />

unplugged“-Konzertreihe<br />

schlagen sie zur Adventzeit<br />

etwas ruhigere Töne an. Ausgerüstet<br />

mit Gitarre, Cajón und<br />

Geige, werden sie in der Autobahnkirche<br />

Haid die Liebe und<br />

das Leben besingen.<br />

www.poxruckersisters.at<br />

Jahrhunderte hinweg rät selhaft.<br />

In einem fünf jährigen<br />

Forschungsprojekt wurden<br />

aber viele der offenen Fragen<br />

geklärt. Die Resultate werden<br />

im „Deep Space LIVE“ des<br />

Ars Electronica in hoch aufgelösten<br />

Bildern präsentiert.<br />

www.ars.electronica.art<br />

4. 12. <strong>2022</strong>, 16 Uhr<br />

DREI SCHWESTERN BESCHEREN HERZKLOPFN<br />

FOTOS: WIKIMEDIA, ARS ELECTRONICA, ZOE GOLDSTEIN, GETTY IMAGES/ISTOCK<br />

74


Die nächste Ausgabe erscheint Mitte März 2023.<br />

FOTO: UNSPLASH.COM<br />

IMPRESSUM<br />

HERAUSGEBER: Wilhelm Vieböck,<br />

Diözese Linz, Herrenstraße 19,<br />

4021 Linz, E-Mail: gruessgott@<br />

dioezese-linz.at, Tel.: 0732 / 76 10-1170<br />

PROJEKTGESAMTLEITUNG<br />

DIÖZESE LINZ: Michael Kraml,<br />

Kommunikationsbüro Diözese Linz<br />

PROJEKTKOORDINATION: Barbara<br />

Eckerstorfer, Christine Grüll, Ursula<br />

Schmidinger MEDIENINHABERIN:<br />

Diözese Linz, Herrenstraße 19,<br />

Postfach 251, 4021 Linz, vertreten<br />

durch Dr. Manfred Scheuer,<br />

Diözesanbischof, ATU59278089<br />

HERSTELLER: Red Bull Media House<br />

GmbH VERLAGSORT: Red Bull<br />

Media House Publishing, 1020 Wien<br />

HERSTELLUNGS ORT: Druckerei<br />

Berger, Ferdinand Berger & Söhne<br />

Ges.m.b.H., 3580 Horn<br />

CHEF REDAKTION: Raffael Fritz<br />

CHEFIN VOM DIENST: Eva Pech<br />

ART DIRECTOR: Silvia Druml-Shams<br />

FOTOREDAKTION: Matti Wulfes (Ltg.),<br />

Hannah Husar REDAKTION:<br />

Alexander Klein ILLUSTRATION:<br />

Anita Brunn auer (studio nita.),<br />

Gerhard Haderer, Silvia Druml-Shams<br />

TEXTE: Waltraud Hable, Martina<br />

Gelsinger, Wolfgang M. Gran, Brigitte<br />

Kraut gartner, Sabrina Lutten berger,<br />

Nikolaus Nussbaumer FOTOS:<br />

Gregor Kuntscher, Robert Maybach<br />

ANZEIGENLEITUNG: Wolfgang Kröll<br />

PRODUKTION: Martin Brandhofer<br />

(Ltg.), Walter O. Sádaba, Sabine Wessig<br />

LEKTORAT: Hans Fleißner (Ltg.),<br />

Petra Hannert, Monika Hasleder, Billy<br />

Kirnbauer-Walek, Belinda Mautner,<br />

Vera Pink LITHOGRAFIE: Clemens<br />

Ragotzky (Ltg.), Claudia Heis, Nenad<br />

Isailovic, Sandra Maiko Krutz, Josef<br />

Mühl bacher EXECUTIVE CREATIVE<br />

DIRECTOR: Markus Kietreiber HEAD<br />

OF CO-PUBLISHING: Susanne Degn-<br />

Pfleger HERSTELLUNG: Veronika<br />

Felder ASSISTENZ DER GESCHÄFTS­<br />

FÜHRUNG: Sandra Artacker<br />

GESCHÄFTS FÜHRER RED BULL<br />

MEDIA HOUSE PUBLISHING:<br />

Andreas Kornhofer, Stefan Ebner<br />

Lösung des Kirchenrätsels auf Seite 11:<br />

Es handelt sich um den Kalvarienberg in Haibach ob der Donau.<br />

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Anders, weil:<br />

Nur wer an das Gute glaubt,<br />

kann selbst immer besser werden.<br />

In diesen komplexen Zeiten werden Werte wie<br />

Zusammenhalt und Menschlichkeit wieder viel wichtiger.<br />

Nur gemeinsam können wir Dinge zum Besseren wenden.<br />

Sprechen Sie mit uns, was wir für Sie Gutes tun können.<br />

Wir freuen uns schon darauf.

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