GruessGott Herbst 2022
Das Magazin über Gott und die Welt
Das Magazin über Gott und die Welt
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
1 | Linz<br />
Das Magazin über Gott und die Welt <strong>Herbst</strong> <strong>2022</strong><br />
GLAUBE, LIEBE, BALLGEFÜHL<br />
Die Fußballerin Lisa Makas erfüllte sich ihre Träume<br />
auf dem Rasen. Die nötige Kraft dafür fand sie ganz oben.<br />
Österreichische Post AG, RM 19A041667 K, Diözese Linz, Herrenstraße 19<br />
DIE ENGEL AUF VIER RÄDERN<br />
ERFÜLLEN LETZTE WÜNSCHE<br />
Sie schenken Schwerkranken<br />
noch einmal pure Freude<br />
AUF DER SUCHE NACH<br />
DER GOTTESFORMEL<br />
Die klügsten Köpfe versuchten,<br />
Gott mathematisch zu beweisen<br />
VERENA ALTENBERGER:<br />
»DAS IST MIR HEILIG«<br />
Die Buhlschaft über gesunden<br />
Egoismus und Sonntage im Bett
Weil es nie<br />
zu spät ist,<br />
etwas Neues<br />
zu beginnen.<br />
Die passende Jacke sucht<br />
lebenserfahrene Menschen<br />
für Besuchsdienste.<br />
MELDE DICH JETZT! Info-Hotline 0732 / 7644 – 157<br />
www.roteskreuz.at/ooe
EDITORIAL<br />
GRÜSS<br />
GOTT!<br />
COVERFOTO: GREGOR KUNTSCHER; FOTOS: DIÖZESE LINZ/HERMANN WAKOLBINGER, GETTY IMAGES/ISTOCK<br />
Wie oft sagen wir zueinander „Heute habe ich eine Untersuchung<br />
oder Operation, bitte denk an mich“, oder „Heute habe ich ein Bewerbungsgespräch,<br />
eine Prüfung, bitte bete für mich“. Vielleicht zünden<br />
wir auch eine Kerze an, zu Hause oder in einer Kirche. Hilft Beten?<br />
Geht eine Prüfung besser, wenn jemand für uns eine Kerze anzündet?<br />
Rein rational ist es nicht zu erklären. Und doch: Es ist eine<br />
Energiezufuhr, wenn andere uns mögen, gernhaben, Lasten mittragen<br />
oder einfach da sind. Wenn sie an uns denken.<br />
Zu Allerseelen denken wir an die Verstorbenen. Rationale<br />
Geister werden jetzt vielleicht fragen: Was haben die Toten von einer<br />
Energie zufuhr, wo sie doch nicht mehr da sind? Eine Antwort darauf<br />
ist: Es gehört zu unserer Erinnerungskultur, die Frage nach den Verstorbenen<br />
und ihrem Geschick wachzuhalten. Ganz so, wie es ein<br />
bekannter Satz von Immanuel Kant zum Ausdruck bringt: „Wer im Gedächtnis<br />
seiner Lieben lebt, der ist nicht tot, der ist nur fern; tot ist nur,<br />
wer vergessen wird.“ Doch wir Christinnen und Christen haben noch<br />
eine andere Antwort: Wir erinnern uns der Toten nicht, damit sie leben<br />
– sondern weil sie leben. Und wir glauben an ein Leben und die Gemeinschaft<br />
mit ihnen über den Tod hinaus.<br />
Die Kirche gedenkt nicht nur zu Allerseelen, sondern in jedem<br />
Gottesdienst der Menschen, die uns vorausgegangen sind. Sie schenkt<br />
ihnen Raum, nennt sie beim Namen und bewahrt sie im Gedächtnis.<br />
Das tun wir auch in dieser Ausgabe von „Grüß Gott!“: Wir feiern das<br />
Verbindende zwischen uns Menschen – ob sie vor uns da waren, gerade<br />
hier sind oder noch kommen werden. Ich hoffe, dass dieses Magazin<br />
den einen oder anderen Impuls gibt, wie wir diese Verbindung erhalten<br />
und stärken können!<br />
Herzlich<br />
Bischof Manfred Scheuer<br />
DR. MANFRED SCHEUER<br />
ist seit 2016 Bischof der<br />
Diözese Linz und war<br />
zuvor Bischof der Diözese<br />
Innsbruck. Er stammt aus<br />
Haibach ob der Donau und<br />
ist begeisterter Bergsteiger.<br />
Wenn Sie uns eine Rückmeldung<br />
zu unserem<br />
Magazin geben wollen, dann<br />
bitte gerne per E-Mail an:<br />
gruessgott@dioezese-linz.at<br />
Wir freuen uns, von Ihnen<br />
zu lesen!<br />
3
24<br />
HIMMEL<br />
18 ENGEL AUF VIER RÄDERN<br />
Wie die Rollenden Engel<br />
schwerkranken Menschen<br />
ihren letzten Wunsch erfüllen.<br />
24 EINTRITT FREI!<br />
Wer Kunst sehen will, muss nicht<br />
ins Museum gehen : ein Streifzug<br />
durch Oberösterreichs Kirchen.<br />
34 HEILIGE IM NEUEN SCHEIN<br />
Ehrenamtliche Kirchenpflege:<br />
eine Aufgabe mit Verantwortung.<br />
36 »FRIEDEN FÄLLT EINEM<br />
NICHT IN DEN SCHOSS«<br />
Was ein Einzelner bewirken<br />
kann: Carlo Neuhuber setzt sich<br />
seit Jahrzehnten für Frieden ein.<br />
[HERR]GOTT<br />
42 TURM DER ERKENNTNIS<br />
Wie lebt es sich als Eremitin<br />
oder Eremit? Das kann man<br />
in Linz ausprobieren – und<br />
sich im Turm des Mariendoms<br />
einquartieren.<br />
46 »VERLETZUNGEN FÜHRTEN<br />
MICH NÄHER ZU GOTT«<br />
Sport und Religion liegen<br />
nah beieinander –<br />
ein Gespräch mit der<br />
Fußballerin Lisa Makas.<br />
52 DIE GOTTESFORMEL<br />
Viele kluge Geister haben<br />
versucht, Gott in Zahlen<br />
zu finden. Was ist davon<br />
zu halten?<br />
SAKRAMENT<br />
60 WÜNSCH DIR WAS!<br />
Die Christbäume in einigen<br />
Linzer Kirchen haben einen<br />
ganz besonderen Behang:<br />
Herzenswünsche.<br />
64 GRÜNE AUEN IM FINSTEREN TAL<br />
Was heißt es, Abschied<br />
von einem geliebten<br />
Menschen zu nehmen?<br />
Ein persönlicher Bericht<br />
von Brigitte Krautgartner.<br />
68 AM SIEBTEN TAG<br />
Sieben Fragen und Antworten<br />
zum Leben – diesmal haben<br />
wir sie der Schauspielerin<br />
Verena Altenberger, heuer<br />
Salzburgs Buhlschaft, gestellt.<br />
BRIGITTE KOWANZ, »LUMEN« – PERMANENTE INSTALLATION, ANDACHTSRAUM STIFT SCHLÄGL, SCHLÄGL, 2018; FOTO: STUDIO KOWANZ/STUDIO BRIGITTE KOWANZ/BILDRECHT, WIEN <strong>2022</strong><br />
4
INHALT<br />
FOTOS: ROBERT MAYBACH, ANDREAS BALON, GREGOR KUNTSCHER, CHRISTIAN ÖSER<br />
6 WEGE ZUR KRAFT<br />
Rodeln in Bad Goisern.<br />
8 GLAUBEN & WISSEN<br />
Wie war das eigentlich<br />
mit Ochs, Esel und<br />
den Drei Königen?<br />
Hintergründiges zur<br />
Weihnachtsgeschichte.<br />
10 SONNTAGSJUBILÄUM<br />
Die oberösterreichische<br />
Allianz für den freien<br />
Sonntag feiert ihr<br />
25-jähriges Bestehen.<br />
10 GLOSSAR DES GLAUBENS<br />
Was hat es mit dem<br />
Tabernakel auf sich?<br />
18 42<br />
58 68<br />
GOTT & DIE WELT<br />
11 KIRCHENRÄTSEL<br />
Ein Kalvarienberg<br />
mit Fernblick.<br />
12 HIMMLISCHES REZEPT<br />
Schweinsbraten<br />
mit Knödeln und<br />
Sauerkraut.<br />
14 1 FRAGE, 3 ANTWORTEN<br />
Warum ist die<br />
Hölle heiß?<br />
72 POST AN GRÜSS GOTT!<br />
73 HADERER<br />
74 KULTURELLES<br />
& SPIRITUELLES<br />
Aus der Redaktion<br />
WUNSCH & WILLE<br />
Was wünschen Sie sich zu Weihnachten?<br />
Ein neues Handy, einen schönen<br />
Urlaub? Oder eher Frieden auf Erden,<br />
mehr Zeit für die Familie oder einfach<br />
nur Gesundheit? Wünsche — ob klein<br />
und leicht erfüllbar oder groß und<br />
idealistisch — sind immer ein Spiegel<br />
unserer Lebenssituation. Das weiß auch<br />
Florian Aichhorn. Seit 2019 hat er mit<br />
seinem Team, den Rollenden Engeln,<br />
über 150 schwerkranken Menschen<br />
ihren letzten Wunsch erfüllt — vom Besuch<br />
am Grab der verstorbenen Ehefrau<br />
bis zur Fahrt in einem Rallye-Auto. Warum<br />
er das tut, erfahren Sie ab Seite 18.<br />
Herzenswünsche in ihrer ganzen<br />
Vielfalt finden sich auch auf den Christbäumen<br />
in einigen Linzer Kirchen: Alle<br />
Besucherinnen und Besucher können<br />
ihre Wünsche auf Karten schreiben und<br />
die Bäume damit behängen. Die interessantesten,<br />
herzerwärmendsten und<br />
lustigsten Wunschkarten aus dem Jahr<br />
2021 finden Sie ab Seite 60.<br />
Der Wunsch-Klassiker schlechthin ist<br />
natürlich der Weltfrieden. Wie wir dieses<br />
Jahr wieder erinnert wurden, ist das<br />
selbst für Europa ein frommer Wunsch<br />
— doch das hindert Menschen wie Carlo<br />
Neuhuber nicht daran, sich ein Leben<br />
lang dafür einzusetzen. Was der Friedensaktivist<br />
und Regionaldiakon daraus<br />
gelernt hat, erfahren Sie ab Seite 36.<br />
Manche Menschen wünschen sich<br />
auch einfach nur Ruhe. Wenn es Ihnen<br />
auch so geht, sollten Sie sich den Artikel<br />
zu den Turmeremitinnen im Mariendom<br />
ab Seite 42 genau anschauen.<br />
Doch was auch immer Sie sich wünschen<br />
— wir wünschen Ihnen jedenfalls<br />
einen schönen <strong>Herbst</strong> und eine besinnliche<br />
(Vor-)Weihnachtszeit!<br />
Ihre „Grüß Gott!“-Redaktion<br />
5
Wege zur Kraft<br />
Abfahrt ins Glück. Die Kufen knirschen<br />
im Schnee, die Nachmittagssonne wärmt<br />
das Gesicht, und der Fahrtwind beschert<br />
eine Prise Adrenalin — eine Schlittenfahrt<br />
ist mit das Schönste, was der bevorstehende<br />
Winter zu bieten hat. Erst recht,<br />
wenn die Strecke durch die einzigartige<br />
Landschaft des Salzkammerguts führt,<br />
wie diese hier von der Goiserer Hütte<br />
hinab Richtung Tal.<br />
6
FOTO: HOCHZWEI MEDIA<br />
7
GOTT & DIE WELT<br />
I T<br />
T E<br />
L -<br />
M<br />
„ES BEGAB SICH ABER<br />
ZU DER ZEIT …“<br />
Hirten, drei Könige, ein obdach loses<br />
Paar und ein ganz besonderes Baby:<br />
Wir alle kennen die Figuren der<br />
Weihnachtsgeschichte. Doch was<br />
begab sich wirklich laut der Bibel?<br />
Die Krippe gehört einfach zu Weihnachten<br />
dazu. Doch wer die Drei Könige<br />
oder Ochs und Esel in der Bibel nachschlägt,<br />
wird lange suchen. Denn die<br />
Weihnachtsgeschichte, wie wir sie kennen,<br />
kommt im Neuen Testament so<br />
nicht vor. Stattdessen gibt es zwei Weihnachtsgeschichten:<br />
eine im Lukas- und<br />
eine im Matthäusevangelium – und<br />
die beiden unterscheiden sich in vielen<br />
Details. Beide sind mindestens 80 Jahre<br />
nach Christi Geburt entstanden. Kein<br />
Wunder also, dass sich die Evangelisten<br />
ein paar literarische Freiheiten nehmen<br />
mussten. Was auch nicht weiter verwerflich<br />
ist, denn ihnen ging es um theologische<br />
und nicht um historische Aussagen.<br />
Doch schon bald entwickelten beide<br />
Geschichten ein Eigenleben: Über Generationen<br />
wurden erzählerische Lücken<br />
gefüllt und Widersprüche aufgelöst. So<br />
entstand nach und nach die allbekannte<br />
Weihnachtsgeschichte, die bis heute unzählige<br />
Menschen in aller Welt inspiriert.<br />
Doch wenn wir uns streng an die Bibel<br />
hielten, würden unsere Krippen ganz<br />
anders aussehen – und vor allem wären<br />
sie um einiges leerer.<br />
Maria spielt in der Weihnachtsgeschichte<br />
nach<br />
Lukas eine wichtige Rolle:<br />
Alles beginnt damit, dass ein<br />
Engel Maria ankündigt, dass<br />
sie den Messias gebären<br />
wird. Trotzdem erfahren wir<br />
kaum etwas über sie — außer<br />
dass sie aus Nazaret stammt,<br />
mit Josef verlobt und Jungfrau<br />
ist (sie hat noch keinen<br />
Mann „erkannt“, heißt es<br />
in der Bibelsprache). Die<br />
schwangere Maria reist mit<br />
Josef wegen einer Volkszählung<br />
nach Betlehem.<br />
Josef ist präsenter als Maria<br />
im Matthäusevangelium:<br />
Er will sich von ihr trennen,<br />
nachdem sie schwanger<br />
wurde, und erst ein Engel<br />
bringt ihn davon ab. Was<br />
wissen wir sonst über Josef?<br />
Er ist Bauhandwerker aus<br />
adeligem Geschlecht (er<br />
stammt von König David ab)<br />
und wohnt laut Matthäus<br />
nicht in Nazaret, sondern<br />
in Betlehem — erst nach der<br />
Flucht nach Ägypten siedelt<br />
sich die junge Familie in<br />
Nazaret an.<br />
?<br />
Jesus — war er ein „holder<br />
Knabe im lockigen Haar“?<br />
Darüber ver lieren die Evangelisten<br />
kein Wort. Am wichtigsten<br />
ist ihnen, dass er in<br />
Betlehem geboren ist — der<br />
Heimatstadt König Davids,<br />
aus der laut Prophezeiung<br />
der Messias kommen würde.<br />
Laut Lukas bekommt er<br />
nach acht Tagen den Namen,<br />
den der Engel Maria genannt<br />
hatte: Jesus — das bedeutet<br />
„Gott rettet“.<br />
Der Stall gilt als der Ort,<br />
an dem Maria Jesus gebar.<br />
Doch Matthäus nennt keinen<br />
konkreten Ort, und Lukas<br />
verwendet das griechische<br />
Wort katályma, das „Herberge“<br />
oder „Gästezimmer“<br />
bedeutet.<br />
ILLUSTRATION: SILVIA DRUML-SHAMS; VORLAGE KARTE: GETTY IMAGES/ISTOCK<br />
8<br />
ÄGYPTEN
M E<br />
E R<br />
Damaskus<br />
Reich Herodes’<br />
des Großen<br />
G a l i<br />
l ä a<br />
See<br />
Gennesaret<br />
?<br />
?<br />
Nazaret<br />
Jaffa<br />
Gaza<br />
S a m a<br />
J u d ä a<br />
Jerusalem<br />
Betlehem<br />
Die Krippe wird bei Lukas<br />
wörtlich erwähnt: „[Maria]<br />
wickelte ihn in Windeln und<br />
legte ihn in eine Krippe, weil<br />
in der Herberge kein Platz<br />
für sie war.“ Damals war es<br />
üblich, dass Tiere und Menschen<br />
sich den Wohnraum<br />
teilten. Darum lässt sich<br />
nichts darüber sagen, wo<br />
diese Krippe sich befand.<br />
r i a<br />
? ?<br />
Jordan<br />
Jericho<br />
Totes<br />
Meer<br />
Die Hirten kommen nur<br />
bei Lukas vor. Als sie Nachtwache<br />
halten, tritt ein Engel<br />
zu ihnen und verkündet<br />
die Geburt des Messias in<br />
Bet lehem. Daraufhin eilen<br />
die Hirten nach Betlehem<br />
Petra<br />
und finden Jesus in der<br />
Krippe — wie es ihnen der<br />
Engel gesagt hatte. Wie sie<br />
aus sehen und welche Tiere<br />
sie hüten, erfahren wir nicht.<br />
Die „Drei Könige“ sind wohl<br />
die missverstandensten<br />
von allen Figuren der Weihnachtsgeschichte:<br />
Sie kommen<br />
nur bei Matthäus vor,<br />
doch dort ist von magoi, also<br />
Magiern oder Stern deutern,<br />
„aus dem Osten“ die Rede.<br />
Sie werden nicht namentlich<br />
genannt, sind keine Könige,<br />
und Matthäus nennt auch<br />
keine Zahl. Die Sterndeuter<br />
und ihre Gaben (Gold,<br />
Weihrauch und Myrrhe)<br />
ver sinnbildlichen, dass die<br />
Bedeutung Jesu weit über<br />
Israel hinausgeht. In der<br />
Tradition sind es drei, weil<br />
diese Zahl symbolisch für<br />
göttliche Aktivität steht.<br />
Ochs und Esel werden in<br />
den Evangelien mit keinem<br />
Wort erwähnt. Wahrscheinlich<br />
sind Jesu tierische Begleiter,<br />
die in keiner Krippe<br />
fehlen dürfen, eine später<br />
entstandene Anspielung auf<br />
das Buch Jesaja, wo es heißt:<br />
„Der Ochse kennt seinen Besitzer<br />
und der Esel die Krippe<br />
seines Herrn; Israel aber hat<br />
keine Erkenntnis, mein Volk<br />
hat keine Einsicht.“<br />
Der Stern von Betlehem<br />
kommt — wie die Sterndeuter<br />
— nur bei Matthäus<br />
vor. Er geht genau bei der<br />
Geburt Jesu auf, wandert<br />
über den Himmel und bleibt<br />
schließlich über Betlehem<br />
stehen. Seit dem Mittelalter<br />
wird vermutet, es kön nte<br />
sich um den Hal ley’schen<br />
Kometen (der aber schon<br />
12—11 v. Chr. vorbeizog) gehandelt<br />
haben. Doch als<br />
Motiv steht der Stern schlicht<br />
für die Geburt eines Königs.<br />
Herodes der Große ist laut<br />
beiden Evangelien bei Jesu<br />
Geburt König von Judäa.<br />
Laut Matthäus lässt er alle<br />
Knaben in Betlehem bis zum<br />
Alter von zwei Jahren töten.<br />
Doch die Fa milie wird von<br />
einem Engel gewarnt und<br />
flieht nach Ägypten. Für den<br />
Kindermord gibt es keinen<br />
historischen Beleg — und<br />
Herodes der Große starb<br />
nach heutiger Zeitrechnung<br />
im Jahr 4 vor Christus.<br />
Darum wird ver mutet, dass<br />
Jesus schon vor dem Jahr<br />
Null auf die Welt kam.<br />
9
GOTT & DIE WELT<br />
Glossar des Glaubens<br />
TABERNAKEL<br />
[tabɐˈnaːkl̩ ]<br />
Es gibt Wörter, die schon ihrem<br />
Klang nach etwas Magisches haben,<br />
fast wie ein Zauberspruch. Der<br />
Tabernakel (ja, es ist wirklich „der“)<br />
gehört zu ihnen. Den magischen<br />
Klang hat das Wort nicht zu Unrecht.<br />
Das lateinische tabernaculum<br />
(„Hütte“, „Zelt“) bezeichnete das<br />
Offen barungszelt, in dem das<br />
Volk Israel sein Allerheiligstes aufbewahrte:<br />
die Bundeslade mit den<br />
Gebotstafeln (die vielen durch den<br />
Film „Indiana Jones“ ein Begriff ist).<br />
Das Offenbarungszelt durfte nur einmal<br />
im Jahr vom Hohe priester betreten<br />
werden, schließlich war es nichts<br />
Geringeres als die Heimstatt Gottes<br />
auf Erden. Auch die Katholikinnen<br />
und Katholiken bewahren in einem<br />
Tabernakel ihr Allerheiligstes auf:<br />
konsekrierte Hostien — also Brot, das<br />
in den Leib Christi gewandelt wurde.<br />
Nur ist diese Heimstatt kein Zelt,<br />
sondern eine Art heiliger Safe: „feststehend,<br />
aus festem, haltbarem,<br />
bruchsicherem und nicht durchsichtigem<br />
Material gearbeitet und so<br />
verschlossen, dass die Gefahr der Entehrung<br />
mit größtmöglicher Sicherheit<br />
vermieden wird“, heißt es in der<br />
Grundordnung des Römischen Messbuchs.<br />
Ein Tabernakel findet sich in<br />
jeder Kirche; davor brennt das Ewige<br />
Licht, das die Gegenwart Christi anzeigt.<br />
Übrigens: Auch andere Gefäße<br />
für konsekrierte Hostien tragen ganz<br />
besondere Namen. Der Hostienkelch<br />
heißt Ziborium, das kleinste Gefäß<br />
(quasi ein Mini-Tabernakel für unterwegs)<br />
Pyxis. Darum mein Rat: Spielen<br />
Sie nie Scrabble gegen einen Pfarrer!<br />
Raffael Fritz<br />
Ein Tag zum Krafttanken. Zeit mit den Liebsten verbringen, die Natur genießen<br />
oder einfach einmal entspannen — ein Sonntag frei von Arbeit macht es möglich.<br />
FREIER SONNTAG: „WIR KÖNNEN NICHT<br />
NUR RUND UM DIE UHR PRODUZIEREN“<br />
Fixpunkt freier Sonntag. Im<br />
Jahr 321 verkündete der römische<br />
Kaiser Konstantin, dass „am Tag der<br />
Sonne alle Richter, ebenso das Volk<br />
in den Städten sowie die Ausübung<br />
der Künste und Handwerke ruhen<br />
sollen“ – der freie Sonntag erhielt<br />
seine erste gesetzliche Grundlage.<br />
1.676 Jahre später schien die<br />
Sonntagsruhe in Gefahr: „1997,<br />
zwei Jahre nach Österreichs EU-<br />
Beitritt, gab es in England einen<br />
Entscheid, dass ein Tag in der Woche<br />
frei sein muss – allerdings musste<br />
dies nicht der Sonntag sein. Daraufhin<br />
haben wir in Oberösterreich die<br />
Allianz für den freien Sonntag gegründet“,<br />
erinnert sich Heinz Mittermayr,<br />
Oberösterreich-Koordinator<br />
der Allianz. Die Initiative machte<br />
Schule; zunächst in Österreich, später<br />
auch international. Heuer feiert<br />
die Allianz ihr 25-jähriges Bestehen.<br />
Das Besondere an ihr: Sie ist ein<br />
gemeinnütziger und überparteilicher<br />
Zusammenschluss von Politik, Kultur,<br />
Kirchen, Gewerkschaften und<br />
Zivilgesellschaft – mit dem Ziel,<br />
das Bewusstsein für den Wert gemeinsamer<br />
freier Zeiten zu schärfen.<br />
„Wir können nicht nur rund um die<br />
Uhr produzieren und konsumieren“,<br />
erklärt Heinz Mittermayr. „Wir brauchen<br />
den freien Sonntag als Fixpunkt.<br />
Die Mehrheit der Österreicherinnen<br />
und Österreicher sieht<br />
das auch so, und genau dafür setzen<br />
wir uns ein.“<br />
FOTOS: UNSPLASH.COM, WWW.KAINDLSTORFER-PHOTOGRAPHIE.AT<br />
10
Gute Aussichten. Der gesuchte Kalvarienberg mit seiner entzückenden Kapelle<br />
ist auch im Winter ein beliebtes Ausflugsziel.<br />
WO BIN ICH?<br />
Wir führen Sie in jeder Ausgabe zu einer der vielen Kirchen<br />
und Kapellen in Oberösterreich. Können Sie erraten, welche<br />
wir diesmal besucht haben?<br />
Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum<br />
es so viele Kalvarienberge gibt? Bad Ischl hat<br />
einen, Kremsmünster auch und Wels ebenfalls. Der<br />
Name kommt von calvariae locus („Ort des Schädels“)<br />
– dem lateinischen Begriff für den Hügel Golgota, auf<br />
dem Jesus gekreuzigt wurde. Darum finden sich auf<br />
allen Kalvarienbergen Kirchen oder Kapellen, die als<br />
Andachtsstätten für die Passion Christi dienen. Der<br />
hier gesuchte Kalvarienberg befindet sich in einer Gemeinde<br />
an der Donau mit rund 1.300 Einwohnerinnen<br />
und Einwohnern (aus der übrigens auch unser Bischof<br />
Manfred Scheuer stammt). Einheimische wissen, dass<br />
man von hier oben einen sagenhaften Fernblick vom<br />
Böhmerwald bis zum Dachstein hat. Und auch die<br />
Kapelle selbst ist ein besonderer Anblick mit ihrem<br />
eindrucksvollen Jesus-Bild an der Fassade. Es basiert<br />
auf einem Entwurf zweier Franziskaner mönche, der<br />
schon in den 1930er-Jahren entstanden ist, aber erst<br />
bei einer Renovierung durch freiwillige Helferinnen<br />
und Helfer zum Jahres wechsel 2013/14 vollendet<br />
wurde. Wissen Sie, welche Kapelle gemeint ist? Die<br />
Lösung finden Sie auf Seite 75.<br />
11
GOTT & DIE WELT<br />
EIN FEST VON EINEM BRATEN<br />
Was wäre die heimische Küche ohne das „Bratl“ – einen nach allen Regeln<br />
der Kochkunst zubereiteten Schweinsbraten? Richtig, einfach undenkbar!<br />
Mit diesem Rezept ist kulinarischer Hochgenuss garantiert.<br />
„Ein Schweinsbraten ist ein<br />
Festessen, das ich auftische,<br />
wenn die ganze Familie zusammenkommt“,<br />
erzählt Margit<br />
Pschorn vom Kommunikationsbüro<br />
der Diözese Linz. „Da wir<br />
ziemliche Fleisch tiger sind,<br />
achten wir im Gegenzug sehr<br />
bewusst auf die Herkunft der<br />
Produkte. Der Schopf vom<br />
Fleischhauer aus dem Ort oder<br />
vom Bauern nebenan schmeckt<br />
einfach tausendmal besser –<br />
von der Vorbildwirkung gegenüber<br />
meinen Kindern ganz<br />
abgesehen.“<br />
MARGIT<br />
PSCHORN<br />
ist Redakteurin im<br />
Kommunikationsbüro<br />
der Diözese<br />
Linz und lebt<br />
mit ihrer Familie<br />
in Wilhering.<br />
Zeitaufwand: 4 Stunden<br />
Zutaten für 4 Personen:<br />
Für den Schweinsbraten:<br />
10 gepresste Knoblauchzehen<br />
2 EL Salz<br />
2 EL Kümmel<br />
1 mittelgroße gewürfelte<br />
Zwiebel<br />
1 kg Schweinsschopfbraten<br />
3 EL Schweineschmalz<br />
Für das Specksauerkraut:<br />
1 mittelgroße Zwiebel<br />
150 g gewürfelter Bauchspeck<br />
2 EL Schweineschmalz<br />
1 kg Sauerkraut<br />
1 EL ganzer Kümmel<br />
2 EL Kristallzucker<br />
2 TL Salz<br />
Für die Erdäpfelknödel:<br />
1 kg mehlige Erdäpfel<br />
200 g Stärkemehl<br />
Salz nach Belieben<br />
Zubereitung:<br />
1. Gepressten Knoblauch, Salz,<br />
Kümmel und Zwiebel miteinander<br />
vermischen und<br />
mit dieser Paste das Fleisch<br />
einreiben.<br />
2. Das Fleisch in eine Bratpfanne<br />
legen, Schmalz dazugeben<br />
und ca. ¼ l Wasser zugießen.<br />
3. Bei 170 °C im Backrohr etwa<br />
120 Minuten braten lassen.<br />
Dann das „Angebratene“ vom<br />
Rand der Bratpfanne abschaben<br />
und in den Bratensaft geben<br />
(das gibt eine schöne Farbe).<br />
Eventuell etwas Wasser<br />
zugießen. Der Braten ist nach<br />
3 Stunden zart und weich.<br />
4. Für das Speckkraut Zwiebel<br />
schälen und fein würfeln.<br />
Mit Bauchspeck und Schweineschmalz<br />
in der Pfanne<br />
knusprig anbraten.<br />
5. Etwas Wasser mit Sauerkraut,<br />
Kümmel, Zucker und Salz<br />
in einem Topf vermischen.<br />
Zugedeckt bei kleiner Hitze<br />
ca. 10 Minuten kochen.<br />
Dann die Zwiebel-Speck-<br />
Masse einrühren.<br />
6. Für die Knödel Erdäpfel<br />
kochen, schälen und heiß<br />
zer drücken. Mit Salz abschmecken,<br />
Stärkemehl gut<br />
untermischen und zu einem<br />
Teig kneten.<br />
7. Knödel formen und in Salzwasser<br />
ca. 25 Minuten leicht<br />
köcheln lassen.<br />
FOTOS: DANIEL WAGNER, STOCKFOOD/EISING STUDIO<br />
12
13
GOTT & DIE WELT<br />
FLAMMENDES INFERNO<br />
Loderndes Feuer, heißes Pech und Schwefeldampf – so stellen wir uns<br />
die Hölle vor. Doch wie kommt es dazu? Wir haben eine Geologin,<br />
einen Theologen und einen Feuerwehrmann gefragt: Warum ist die Hölle heiß?<br />
Als Geologin stelle ich mir die Hölle nicht unterirdisch<br />
vor – dafür weiß ich einfach zu viel darüber,<br />
was im Untergrund passiert. Sollte es wirklich eine<br />
Hölle geben, dann sehe ich die eher im metaphysischen<br />
Raum, in der Absenz des Guten zum Beispiel,<br />
aber sicher nicht unter der Erde.<br />
Wobei: Unter der Erde kann es durchaus höllisch<br />
heiß werden – und wie tief man dafür bohren muss,<br />
hängt vom jeweiligen Ort ab. Im Inneren eines stabilen,<br />
alten Kontinents wie Afrika muss man ziemlich<br />
lange graben. So findet sich in Südafrika vier Kilometer<br />
unter der Erde die tiefste Mine der Welt, wo<br />
das Gestein „nur“ etwa 60 Grad hat. In Vulkangebieten<br />
geht es naturgemäß schneller. Bohrt man<br />
etwa in der Gegend um Neapel, bei den Phlegräischen<br />
Feldern oder bei Ischia, erreicht man bereits<br />
in einem Kilometer Tiefe über 150 Grad Celsius.<br />
Am heißesten ist es aber natürlich im Erdkern, der<br />
in 5.100 bis 6.371 Kilometer Tiefe liegt. Dort herrschen<br />
Temperaturen bis zu 6.000 Grad. Diese Hitze<br />
stammt noch von der Bildung unseres Planeten und<br />
wird kontinuierlich an die Erdoberfläche weitergeleitet.<br />
Aber auch ein zweiter Faktor speist den Untergrund<br />
mit Wärme: der radioaktive Zerfall des Gesteins.<br />
Gemeinsam sorgen diese Faktoren dafür, dass<br />
die Temperaturen im Boden unter unseren Füßen<br />
noch sehr lange höllisch bleiben.<br />
Warum wird die Hölle heiß dargestellt? Beziehungsweise<br />
warum gibt es eigentlich so etwas wie<br />
das Konzept der Hölle? Um das zu beantworten,<br />
muss man ausholen, wie sich der Begriff Hölle entwickelt<br />
hat: Die germanische Wurzel hel bedeutet<br />
(ver)bergen. Davon leitet sich der Begriff Hölle<br />
(engl. hell) ab und bezeichnet einen unterirdischen<br />
Ort, in dem die Toten geborgen sind. In der nordischen<br />
Mythologie ist Hel(heim) ein dunkler Ort im<br />
Machtbereich der Todesgöttin Hel – und dort herrschen<br />
kalte Temperaturen. Wahrscheinlich, weil man<br />
damals die Hölle am besten mit Bildern ausdrückte,<br />
die man auch als reale Gefahr erlebte. Und im Norden<br />
war das nun einmal die Kälte. In der biblischen<br />
Welt gibt es ebenfalls so einen Ort für alle Verstorbenen:<br />
die Unterwelt. Weil die Menschen in der vorchristlichen<br />
Zeit viel Unterdrückung und Gewalt<br />
erfahren haben, entwickelte sich die Glaubensüberzeugung,<br />
dass Gottes Macht sich auch auf das Totenreich<br />
erstreckt und am Ende – mit der Aussicht auf<br />
Himmel oder Hölle – für Gerechtigkeit gesorgt wird.<br />
Im Nahen Osten war Hitze immer eine Bedrohung,<br />
das trug sicherlich zur „heißen Hölle“ bei. Dazu<br />
kommt: Der jenseitige Point of no Return wird in<br />
der biblischen Vorstellungswelt gern mit feurigen<br />
Sprachbildern ausgedrückt. In der Offenbarung des<br />
Johannes ist etwa die Rede von einem „Feuersee“.<br />
HANNAH POMELLA ist Assistenzprofessorin am<br />
Institut für Geologie der Leopold-Franzens-Universität<br />
Innsbruck.<br />
DOMINIK STOCKINGER ist Universitätsassistent am<br />
Institut für Bibelwissenschaft der Katholischen Privat-<br />
Universität Linz.<br />
14
FOTOS; PRIVAT, CLAUS KUSMITSCH, CHRISTIAN MATHE; ILLUSTRATION: STUDIO NITA<br />
Die Hölle ist in meiner Vorstellung kein heißer Ort.<br />
Ich habe natürlich dieses Konzept im Religionsunterricht<br />
gelernt. Aber dadurch, dass ich bereits in sehr<br />
jungen Jahren zur Feuerwehr gekommen bin, habe<br />
ich Feuer nie mit der ewigen Verdammnis assoziiert.<br />
Es ist für mich etwas, wogegen man gemeinsam<br />
kämpft. Etwas, gegen das man in der Gruppe, nicht<br />
alleine dasteht. Und Feuer muss ja nicht ausschließlich<br />
als etwas Böses gesehen werden. Das Pfingstfeuer<br />
zum Beispiel vermittelt eine frohe Botschaft.<br />
Insofern würde ich sagen, die Hölle ist nicht heiß.<br />
Sie liegt für mich genauso wenig in einer erfahrbaren<br />
Welt wie der Himmel.<br />
Trotzdem wird natürlich der Begriff „höllisch heiß“<br />
für Feuer verwendet. Und es hautnah zu er leben,<br />
ist alles andere als angenehm: Bei einem Zimmerbrand<br />
ist man – mit Schutzausrüstung und schwerem<br />
Atemschutz – schnell Temperaturen von 600 bis<br />
700 Grad ausgesetzt. Aber man lernt über die Jahre,<br />
den Rauch und die Flammen zu lesen und Feuer<br />
ganzheitlich zu interpretieren: Was befindet sich<br />
rundherum? Was könnten Brandbeschleuniger sein?<br />
Ich glaube, es gibt nur eine Situation, in der Feuer<br />
von meiner Berufsgruppe wirklich als Hölle empfunden<br />
wird: wenn Menschen darin eingeschlossen sind<br />
und wir sie trotz aller Bemühungen nicht rechtzeitig<br />
befreien können. Diese Feuer verletzen nicht nur<br />
körperlich, sondern auch psychisch.<br />
JOSEF BRÖDERBAUER ist Bezirks-Feuerwehrkommandant<br />
des Bezirks Rohrbach und im Medienverleih der Diözese<br />
Linz tätig.<br />
15
Seltene Gäste. Plötzlich ertönen<br />
trompeten artige Rufe. Woher sie kommen,<br />
ist zunächst unklar. Erst der Blick in den<br />
in prächtiges Abendrot getauchten Himmel<br />
zeigt: Es sind Kraniche, die in Formation<br />
fliegen und dabei miteinander kommunizieren.<br />
Die faszinierenden Vögel sind<br />
im <strong>Herbst</strong> unterwegs Richtung Süden,<br />
ihre Route führt sie auch über Österreich.<br />
Also: Augen und Ohren offen halten beim<br />
herbstlichen Spaziergang — es lohnt sich!<br />
FOTO: GETTY IMAGES/ISTOCK<br />
16
HIMMEL<br />
WIE WIR EIN STÜCK DAVON<br />
SCHON AUF ERDEN SCHAFFEN<br />
Wir gemeinsam sind in der Lage, den Himmel auf Erden<br />
in Augenblicken erfahrbar zu machen. Das beginnt<br />
bei einer Achtsamkeit gegenüber kleinen Wundern im Alltag<br />
und endet in der Hingabe für ein Herzensprojekt.<br />
17
HIMMEL<br />
ENGEL AUF<br />
VIER RÄDERN<br />
18
Der Verein Rollende Engel erfüllt schwerkranken<br />
Menschen ihren letzten Wunsch. Die Idee dazu<br />
hatte der Welser Florian Aichhorn im Jahr 2019.<br />
Mittlerweile haben schon mehr als 150 Patientinnen<br />
und Patienten in einem der beiden umgebauten<br />
Kleinbusse Platz genommen.<br />
TEXT: NIKOLAUS NUSSBAUMER<br />
FOTOS: ROBERT MAYBACH<br />
Himmlische Helfer.<br />
Florian Aichhorn (rechts<br />
im Bild) und Markus Kaar<br />
haben einen Bus zur fahrenden<br />
Intensivstation um -<br />
gebaut und rücken damit<br />
aus, um unheilbar kranken<br />
Menschen noch ein letztes<br />
Mal Freude zu bereiten.<br />
19
HIMMEL<br />
M<br />
anchmal findet man Engel<br />
nicht dort, wo man sie vermuten<br />
würde. Nicht hoch oben<br />
am Himmelszelt, sondern in einer grauen<br />
Garage in einem unscheinbaren Hinterhof<br />
im Gewerbegebiet von Wels. Hier parken<br />
zwei Kleinbusse, der eine himmelblau,<br />
der andere dunkelblau lackiert, mit jeweils<br />
einem großen Engel an den Seitenfronten.<br />
An der Garagenwand gegenüber hängen<br />
unzählige Fotos von Wunschfahrten mit<br />
einem der beiden Autos. Man sieht darauf<br />
lachende, glückliche Menschen, deren Reise<br />
auf Erden bald zu Ende geht. Ihr „Reisebegleiter“<br />
ist Florian Aichhorn, 41 Jahre<br />
jung, langjähriger ehrenamtlicher Mitarbeiter<br />
im Rettungsdienst und ehemaliger<br />
Leiter eines Erlebnishofs für kranke Kinder.<br />
Der geborene Welser hat es sich zur Aufgabe<br />
gemacht, schwerkranken Menschen<br />
ihren letzten Wunsch zu erfüllen. Und das<br />
österreichweit und völlig kostenlos. „Es ist<br />
eine riesengroße Erfahrung und Erfüllung<br />
für mich“, sagt er begeistert.<br />
Sein Schlüsselerlebnis hatte Florian Aichhorn<br />
im März 2019. Damals teilte er sich<br />
in einem Restaurant in Wels den Tisch mit<br />
einem deutschen Ehepaar und dessen zehnjährigem<br />
Sohn Leonard. „Was willst du<br />
einmal werden?“, fragte Aichhorn. „Nix“,<br />
antwortete dieser. „Wieso nix?“, wollte er<br />
dann wissen. Da erfuhr er von den Eltern,<br />
dass Leonard aufgrund einer schweren<br />
Erkrankung seine ärztlich prognostizierte<br />
Lebenserwartung schon um zwei Jahre<br />
überschritten hatte. „Das war ein furchtbarer<br />
Moment für mich“, erinnert sich Aichhorn.<br />
Und gleichzeitig war er die Initialzündung<br />
zur Gründung des Vereins Rollende<br />
Engel. Denn auf Nachfrage hörte er, dass<br />
der Zehnjährige noch einen letzten, großen<br />
Wunsch hatte: einmal mit einem Rallye auto<br />
mitfahren! Kein Problem für ein Organisationstalent<br />
wie Florian Aichhorn. Als haupt-<br />
»Schwerkranken Menschen ihren<br />
letzten Wunsch zu erfüllen ist eine riesengroße<br />
Erfahrung und Erfüllung für mich.«<br />
Florian Aichhorn<br />
FLORIAN<br />
AICHHORN<br />
Der 41-jährige<br />
Tourmanager<br />
hat die Rollenden<br />
Engel 2019 gegrün<br />
det. Mit seinem<br />
Team konnte<br />
er seither mehr<br />
als 150 letzte Wünsche<br />
erfüllen.<br />
Für sein Engagement<br />
bekam der<br />
Verein heuer den<br />
Solidaritätspreis<br />
der Diözese Linz<br />
verliehen.<br />
beruflicher Tourmanager begleitet er seit<br />
16 Jahren nationale und internationale<br />
KünstlerInnen auf deren Konzert tourneen<br />
und kümmert sich dabei um große Probleme<br />
und kleine Wehwehchen. Also griff er<br />
zum Hörer und stellte innerhalb kürzester<br />
Zeit eine Ausfahrt mit einem österreichischen<br />
Rallye-Staatsmeister in dessen 500 PS<br />
starkem Boliden auf die Beine. Aichhorn:<br />
„ Leonard quietschte vor Glück – und seine<br />
Eltern hatten Tränen in den Augen.“<br />
Einmal noch nach Mariazell pilgern<br />
Doch von der Idee bis zur Gründung des<br />
Vereins sollte es noch neun lange Monate<br />
dauern. Zuerst wurde ein gebrauchter<br />
weißer Schulbus angekauft und auf eine<br />
„rollende Intensivstation mit Wohnzimmeratmosphäre“<br />
umgebaut. Denn nichts soll an<br />
das sterile Ambiente eines Krankenhauses<br />
erinnern. Es soll eine Ausflugsfahrt sein,<br />
kein Krankentransport, betont Florian Aichhorn.<br />
Die größte Hürde stellte aber die gesetzliche<br />
Bestimmung dar, dass sogenannte<br />
Liegendtransporte in Österreich einzig dem<br />
Rettungsdienst vorbehalten sind. „Es hat<br />
viel Geduld und viel Kampf gebraucht, um<br />
endlich alle Genehmigungen zu bekommen“,<br />
erinnert er sich. Die erste geplante<br />
Ausfahrt am 15. März 2020 fiel dem Corona-Lockdown<br />
zum Opfer. Am 4. Juni 2020<br />
war es dann aber so weit: Der 68-jährige<br />
Helmut durfte nach etlichen schweren<br />
Schlaganfällen noch einmal die Basilika<br />
in Mariazell besuchen und alte Jugenderinnerungen<br />
aufleben lassen.<br />
20
Heimat der Engel. In einer Welser Garage blickt Florian Aichhorn auf erfüllte<br />
letzte Wünsche wie den „Formel-1-Weltmeister“ zurück und verarbeitet das Erlebte<br />
beim Tischfußball mit den Kollegen.
HIMMEL<br />
»Ich lebe jetzt ganz anders.<br />
Ich ärgere mich nicht mehr über Kleinigkeiten,<br />
sondern freue mich über jeden Tag,<br />
an dem ich lebe. Ich weiß, es kann der letzte sein.«<br />
Markus Kaar<br />
Heuer im Mai erfüllten die Rollenden Engel<br />
bereits den 111. letzten Wunsch. Eine<br />
28-jährige Krebspatientin im End stadium<br />
konnte eine letzte Bootsfahrt auf dem<br />
Faaker See machen. Inzwischen ist der<br />
Fuhrpark auf zwei Fahrzeuge angewachsen,<br />
mehr als 150 Patientinnen und Patienten<br />
haben schon darin Platz genommen. Ihr<br />
Durchschnittsalter: 24 bis 48 Jahre. Ihre<br />
Diagnosen: Tumor, Thrombose, Schlaganfall.<br />
Nur drei von ihnen leben noch.<br />
„Manche haben wir zehn Stunden nach<br />
der Ausfahrt verloren, andere eine Woche<br />
danach.“ Der jüngste Mitfahrer war der<br />
sechsjährige Maximilian aus Wien, dessen<br />
größter Wunsch es war, mit der Grottenbahn<br />
auf dem Pöstlingberg zu fahren.<br />
Allzeit bereit.<br />
Erreicht Florian<br />
Aichhorn (rechts)<br />
ein letzter Wunsch,<br />
macht er sich mit<br />
Markus Kaar so<br />
rasch wie möglich<br />
an die Erfüllung.<br />
Markus Kaar, 56-jähriger Magistrats mitarbeiter<br />
aus Wels, ist einer dieser Rollenden<br />
Engel und von Beginn an mit dabei. „Anfangs<br />
war ich unsicher, ob ich mir das zutraue“,<br />
gesteht er. Mittlerweile hat seine<br />
Aufgabe im Verein sein Wesen und Denken<br />
verändert. „Ich lebe jetzt ganz anders. Ich<br />
ärgere mich nicht mehr über Kleinigkeiten,<br />
sondern freue mich über jeden Tag, an dem<br />
ich lebe. Ich weiß, es kann der letzte sein.“<br />
Tod und Trauer, Leid und Schmerz sind<br />
ständige Begleiter der Rollenden Engel.<br />
Aber auch die unendliche Dankbarkeit der<br />
mitfahrenden Menschen. Wie man mit diesen<br />
Gefühlen umgeht? „Wir haben ein tolles,<br />
Wettlauf gegen die Zeit<br />
Letzte Wünsche, das ist die Erkenntnis von<br />
Florian Aichhorn nach zwei Jahren, sind<br />
selten groß und teuer. Es sind meist ganz<br />
kleine Dinge, die am Ende wichtig sind.<br />
Noch einmal heim zur Familie dürfen. Bei<br />
der Taufe des Enkels dabei sein. Die geliebte<br />
Katze streicheln. Einen Sonnen untergang<br />
genießen. Oder das Grab der verstorbenen<br />
Ehefrau besuchen. Insgesamt 22 ehrenamtliche<br />
Wunscherfüller – Sanitäterinnen,<br />
Intensivpfleger und Notärztinnen – rücken<br />
dafür in ihrer Freizeit unbezahlt aus. Und<br />
sind rund um die Uhr telefonisch erreichbar.<br />
Nur so schafft man es, dass letzte Wünsche<br />
innerhalb von acht Stunden erfüllt<br />
werden. „Denn eines haben unsere Patienten<br />
nicht: ewig Zeit“, sagt Florian Aichhorn.<br />
22
HIMMEL<br />
sehr erfahrenes Team“, erklärt Vereinsobmann<br />
Florian Aichhorn, „wir setzen uns<br />
nach jeder Fahrt zusammen, reden, spielen<br />
eine Runde Tischfußball und trinken gemeinsam<br />
ein Bier.“<br />
Dennoch gibt es immer wieder Momente,<br />
die besonders nahegehen. Etwa das Schicksal<br />
einer 32-jährigen Mutter mit Krebs im<br />
Endstadium. Ihr letzter Wunsch war es,<br />
Weihnachten mit ihrem Mann und dem<br />
achtjährigen Sohn zu verbringen. Also holte<br />
man sie am Christtag im Krankenhaus Ried<br />
ab und brachte sie heim zur Familie. „Es<br />
war herzzerreißend“, erinnert sich Florian<br />
Aichhorn, „wir sind alle händchenhaltend<br />
vor dem Weihnachtsbaum gestanden und<br />
haben gesungen.“ Eltern und Kind blätterten<br />
in alten Fotoalben, saßen auf der Couch<br />
und streichelten einander. Plötzlich verschlechterte<br />
sich der Zustand der Mutter<br />
rapide. „Wir mussten die Ausfahrt abbrechen,<br />
haben die Mutter auf die Trage gelegt<br />
und wollten hinter ihr die Fahrzeugtüre<br />
schließen.“ Doch der achtjährige Sohn<br />
wollte seine Mama nicht gehen lassen –<br />
wissend, dass er sie nie wieder lebend<br />
sehen würde. „Er hat sich auf die Trage<br />
geworfen und gebrüllt.“<br />
»Es ist das Ende der Welt, sagt die<br />
Raupe. Es ist erst der Anfang, sagt<br />
der Schmet terling.«<br />
Dieser Spruch hängt eingerahmt in der<br />
Patientenkabine des himmelblauen Fahrzeugs.<br />
Und er ist so etwas wie der Leitsatz,<br />
das Credo der Rollenden Engel: Man kann<br />
das Schicksal nicht ändern, der Tod gehört<br />
zum Leben – aber man kann schwerkranken<br />
Menschen noch einmal ein Lächeln ins<br />
Gesicht zaubern. „Für ein paar Stunden<br />
spüren sie keine Schmerzen und können<br />
einfach loslassen“, sagt Florian Aichhorn.<br />
Die beiden Fahrzeuge, auch „Engel“ genannt,<br />
sind genau dafür ausgestattet und<br />
umgebaut worden. Dazu gehören spezielle<br />
Lichtdesigns, ein DVD-Player, Flachbild<br />
ROLLENDE<br />
ENGEL<br />
Der Verein<br />
Rollende Engel<br />
ist nicht staatlich<br />
subventioniert<br />
und erhält sich<br />
ausschließlich<br />
über Spenden und<br />
Patenschaften.<br />
www.rollendeengel.at<br />
Spendenkonto:<br />
Verein<br />
Rollende Engel,<br />
Raiffeisenbank<br />
Wels,<br />
AT79 3468 0000<br />
0303 9500<br />
Beifahrer.<br />
Maximilian hinterließ<br />
den Rollenden<br />
Engeln seinen<br />
Teddybären Ben —<br />
und seither ist dieser<br />
bei jeder Ausfahrt<br />
mit an Bord.<br />
Streicheleinheit. Ein Patient wollte vor seinem<br />
Ableben noch eine Giraffe füttern und streicheln.<br />
schirm, Kühlschrank und eine Rundumverglasung<br />
für eine gute Aussicht. Wer mag,<br />
kann auch am Obstkorb naschen oder sich<br />
ein Glaserl Sekt oder ein Seidl Bier gönnen.<br />
Ein Teddybär als Co-Pilot<br />
Gut versteckt ist die medizinische Ausrüstung,<br />
die im Ernstfall benötigt wird, etwa<br />
EKG, Defibrillator, Notfallrucksack oder<br />
Sauerstoffkonzentrator. Die beiden Fahrzeuge<br />
verfügen auch über eine spezielle<br />
Luftfederung, denn immer wieder gibt<br />
es Patientinnen und Patienten, denen Erschütterungen<br />
große Schmerzen bereiten.<br />
Vorne beim Lenkrad hat Teddybär Ben<br />
seinen fixen Platz eingenommen. Er gehörte<br />
einmal dem sechsjährigen Maximilian aus<br />
Wien. Mit der Diagnose Glioblastom, einem<br />
bösartigen Hirntumor, durfte Maxi milian<br />
noch eine Runde mit der Grottenbahn auf<br />
dem Pöstlingberg drehen. „Wenn ich einmal<br />
nicht mehr da bin, soll Ben bei euch im Bus<br />
mitfahren und möglichst viel von Österreich<br />
sehen“, wünschte sich der Sechs jährige<br />
nach der Ausfahrt.<br />
Zwei Wochen später erreichte die Rollenden<br />
Engel ein Paket aus Wien. Darin eingepackt:<br />
Teddybär Ben. Mittlerweile hat Ben<br />
schon viel zwischen Neusiedler See und<br />
Bodensee kennenlernen dürfen. Und er<br />
wird noch mehr zu sehen bekommen.<br />
23
Rutsche ins Leben.<br />
Unser Werdegang ist<br />
von Höhen und Tiefen<br />
geprägt — das will die<br />
Künstlerin Elisabeth<br />
Altenburg mit ihrer<br />
Installation an der Stadtpfarrkirche<br />
Urfahr zum<br />
Ausdruck bringen.<br />
FOTO: VIOLETTA WAKOLBINGER
HIMMEL<br />
EINTRITT FREI!<br />
Ob Dom oder Kapelle: Jeder kirchliche Raum ist auch<br />
ein Ort für Kunst. Das war schon im Mittelalter so<br />
und gilt bis heute – wie ein fotografischer Streifzug<br />
durch Oberösterreich zeigt.<br />
TEXT: MARTINA GELSINGER<br />
FOTO: MANFRED BAUMANN<br />
Aus dem Turmfenster der Kirche<br />
ragen zwei gebogene Rohre. Ihr<br />
leuchtendes Rot hebt sich vom<br />
Umfeld ab. Ihre Form erinnert an eine<br />
Rutsche. Doch: Es ist kein weiches Sandbett<br />
eines Spielplatzes, an dem die Rutschenden<br />
ankommen. Die Rutschenbahn ragt in den<br />
Himmel hinein.<br />
Die „Rutsche“ an der barocken Stadtpfarrkirche<br />
Linz-Urfahr stammt von der<br />
Künstlerin Elisabeth Altenburg. Das aus<br />
dem Kontext gerissene Spielplatzelement<br />
ist ein Sinnbild fürs Erwachsenwerden –<br />
denn hier in Urfahr ist die Jugendkirche<br />
Linz angesiedelt. „Die Jugendlichen gehen<br />
hier gestärkt, unterstützt und mit beiden<br />
Beinen im Leben stehend heraus und ziehen<br />
weiter. Es ist eine Art Sprungbrett in die<br />
Zukunft“, so die Künstlerin.<br />
Spitzer Stachel, sanfter Trost<br />
Kirche und Kunst: Beide thematisieren das<br />
Leben. Beide können sowohl Stachel als<br />
auch Trost sein, uns an- oder aufregen. Als<br />
Gegensatzpaar, das die menschliche Existenz<br />
in all ihren Höhen und Tiefen in den<br />
Blick nimmt. In der Geschichte des katholischen<br />
Glaubens hat Kunst seit jeher eine<br />
tragende Rolle gespielt: Sie schafft Bedeutung,<br />
erzeugt Emotionen und eröffnet neue<br />
Glaubens erfahrungen.<br />
Die katholische Kirche war über Jahrhunderte<br />
der wichtigste Auftraggeber für<br />
Künstlerinnen und Künstler. Durch das<br />
Neue, Schöpferische und Einzigartige ist<br />
die Kunst ein Partner, der Themen und<br />
Inhalte abseits von Text und Schrift sicht -<br />
bar und erfahrbar gemacht hat – und das<br />
immer auf der Höhe der Zeit. Kunstobjekte<br />
sind in der Kirche eine unverzichtbare Andockfläche<br />
zur gegenwärtigen Gesellschaft.<br />
Die Diözese Linz ist hier im deutschsprachigen<br />
Raum federführend. Die folgenden<br />
Bilder zeigen eine aktuelle Auswahl davon:<br />
Kunstschaffende gestalten Kirchen- und<br />
Altarräume, Fenster, Glocken, Orgelprospekte,<br />
Gedenkorte, Abschiedsräume und<br />
Friedhofskapellen.<br />
So wie die Rutsche an der Stadtpfarrkirche<br />
Urfahr werfen Kunstwerke Fragen<br />
auf oder laden zum Innehalten ein. Mit<br />
ihren Räumen und Kunstschätzen ist die<br />
Katholische Kirche in Oberösterreich die<br />
größte Kunstsammlung des Landes. Und<br />
das Beste daran: Sie hat täglich geöffnet,<br />
und der Eintritt ist frei.<br />
MARTINA<br />
GELSINGER<br />
ist stellver tretende<br />
Abteilungsleiterin<br />
des Kunstreferats /<br />
Diözesankonservatorats<br />
Linz.<br />
Die hier gezeigten<br />
Fotos stammen aus<br />
dem Bildband „Kunst<br />
und Kirche. Stachel<br />
und Trost“, in dem<br />
die Diözese neue<br />
Kunstprojekte in<br />
Kirchen vorstellt.<br />
Das Buch ist im Dom<br />
Center Linz und auf<br />
Anfrage im Buchhandel<br />
erhältlich.<br />
25
Verhüllte Pracht.<br />
Eine Rettungsfolie als<br />
Fastentuch vor dem<br />
Hochaltar der Pfarr kirche<br />
in Vöcklamarkt: Nicole<br />
Six und Paul Petritsch<br />
gelingt es damit, einen<br />
Augenblick zwischen<br />
Spiegelung und Transparenz<br />
zu schaffen.<br />
FOTO: NICOLE NIX UND PAUL PETRISCH<br />
26
HIMMEL<br />
Kreislauf des Lebens.<br />
Der Altar als Prozessor,<br />
der Ambo als Konden sator<br />
und die Bänke als Energiezellen:<br />
Judith Fegerl sieht<br />
im Kirchen leben Ähnlichkeiten<br />
mit einem elektronischen<br />
Plan und goss ihre<br />
Erkenntnis in den ziegelroten<br />
Terrazzo-Boden<br />
der Pfarrkirche Pollham.<br />
FOTO: THOMAS MARKOWETZ<br />
27
HIMMEL<br />
Klangperlen.<br />
Der Orgel prospekt voller<br />
Perlen als Bezug auf das<br />
Gleichnis von der Perle<br />
im Matthäusevangelium<br />
— Künstlerin Katharina<br />
Mayerhofer gibt der<br />
neuen Orgel in der Pfarrkirche<br />
von St. Aegidi<br />
ein zeitgemäßes und<br />
zugleich tiefgründiges<br />
Gesicht.<br />
28
BEIDE FOTOS: ULRICH KEHRER<br />
Auferstehung in Acryl.<br />
Das Bild von Walter<br />
Vopava im 2019 neu<br />
gestalteten Aufbahrungsraum<br />
in Linz-St. Magdalena<br />
zeigt: Es gibt etwas<br />
hinter unserem Leben<br />
und Sterben.<br />
29
HIMMEL<br />
Absterben und<br />
aufblühen.<br />
Die von Künstler Alois<br />
Mosbacher umgestaltete<br />
Trauer kapelle in Pabneukirchen<br />
deutet mit Wandzeich<br />
nungen das Werden<br />
und Vergehen in der Natur<br />
an und eröffnet gleichzeitig<br />
einen Blick in den<br />
Himmel.<br />
30
KUNST & KIRCHE<br />
IN ZAHLEN<br />
130.000<br />
Kunstobjekte<br />
werden von<br />
der Diözese Linz<br />
verwaltet.<br />
190<br />
Künstlerinnen<br />
und Künstler<br />
haben seit<br />
dem Jahr 2000<br />
ein Werk für eine<br />
Pfarre oder kirchliche<br />
Einrichtung<br />
geschaffen.<br />
2.000<br />
Objekte lagern<br />
im <strong>2022</strong> errichteten<br />
Kunstgutdepot<br />
„kulturGUTspeicher“<br />
im<br />
ehemaligen Stift<br />
Gleink — von<br />
der Orgel bis<br />
zum Heiligenbild.<br />
FOTO: VIOLETTA WAKOLBINGER<br />
1.000<br />
Kirchen werden<br />
vom Kunstreferat<br />
der Diözese und<br />
dem Diözesankonservator<br />
betreut<br />
— nicht nur<br />
bei Kunstobjekten,<br />
sondern auch bei<br />
Architektur und<br />
Zukunftsfragen.<br />
31
HIMMEL<br />
Gottes Licht<br />
im neuen Licht.<br />
Ein Altar aus Neon und<br />
Spiegeln ist das zentrale<br />
Element des neu ge stalteten<br />
Andachtsraums<br />
im Stift Schlägl. Laut<br />
der Künstlerin Brigitte<br />
Kowanz entsteht so „ein<br />
energetischer Ort der<br />
Ruhe und Spiri tualität“.<br />
BRIGITTE KOWANZ, »LUMEN« – PERMANENTE INSTALLATION, ANDACHTSRAUM STIFT SCHLÄGL, SCHLÄGL, 2018; FOTO: STUDIO KOWANZ/STUDIO BRIGITTE KOWANZ/BILDRECHT, WIEN <strong>2022</strong><br />
32
FOTO: ARNOLD REINTHALER<br />
Zeitfenster<br />
zum Betreten.<br />
Mit dieser Zeitlinie<br />
hält Bildhauer Arnold<br />
Rein thaler die 1.800-<br />
jährige Geschichte<br />
der Basilika St. Laurenz<br />
in Enns fest.<br />
33
HIMMEL<br />
HEILIGE IM NEUEN SCHEIN<br />
Die Pfarrkirche in Vöcklamarkt ist ein wahres Schmuckstück –<br />
auch dank Marianne und Günther Baumann, die seit ihrer<br />
Kirchenpflege-Ausbildung über den „Dom des Vöcklatals“ wachen.<br />
M<br />
it der malerischen<br />
Pfarrkirche in Vöcklamarkt<br />
ist das Ehepaar<br />
Baumann seit mehr als vier Jahrzehnten<br />
innig verbunden: 1981 gingen<br />
Marianne und Günther vor dem<br />
mehr als 300 Jahre alten Hochaltar<br />
den Bund fürs Leben ein, später wurden<br />
ihre drei Töchter hier getauft.<br />
Doch seit knapp zehn Jahren sehen<br />
die beiden „ihre“ Kirche mit ganz<br />
anderen Augen.<br />
Im Kunstreferat der Diözese Linz<br />
haben sie 2013 gemeinsam mit zwei<br />
weiteren Ehepaaren aus Vöcklamarkt<br />
die Kirchenpflege-Ausbildung absolviert.<br />
Seither zählen sie zu den insgesamt<br />
mehr als 1.500 ehrenamtlichen<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,<br />
die über die oberösterreichischen<br />
Kirchen und die rund 130.000 wertvollen<br />
Kunstschätze darin wachen.<br />
Mit Pinsel statt Putzmittel<br />
Seit knapp zehn Jahren schauen die<br />
Eheleute nun darauf, dass die Pfarrkirche<br />
in Schuss bleibt: Sie organisieren<br />
die fachgerechte Lagerung von<br />
Gemälden, kontrollieren das Holz<br />
auf Schädlinge, achten auf die richtige<br />
Reinigung des Kirchenraums und<br />
der Kunstgegenstände – und lassen<br />
sie, wenn nötig, restaurieren. „Es ist<br />
entscheidend, wie man die Kunstschätze<br />
in der Kirche angreift und<br />
putzt“, weiß Günther Baumann,<br />
»Es ist entscheidend,<br />
wie man die Kunstschätze<br />
in der Kirche angreift und<br />
putzt. Herkömmliche Mittel<br />
haben bei der Reinigung<br />
nichts verloren.«<br />
Günther Baumann<br />
„herkömmliche Mittel haben bei der<br />
Reinigung nichts verloren.“ Seine<br />
Frau Marianne, die bis zu ihrer Pensionierung<br />
in diesem Jahr auch als<br />
Sekretärin in der Pfarre tätig war,<br />
gesteht: „Genau das habe ich früher<br />
getan. Dabei kann aber die Beschichtung<br />
ein bisschen runter gehen – jetzt<br />
wird bei uns nicht mehr poliert und<br />
geschrubbt.“ Die Statuen werden<br />
heute nur noch mit einem Pinsel<br />
gereinigt, Kelche ganz vorsichtig mit<br />
einem weichen Tuch behandelt.<br />
Selbst bei scheinbar simplen Dingen<br />
wie dem Blumenschmuck und<br />
den Kerzen gilt es einiges zu beachten:<br />
„Früher haben die Blumen den<br />
Altar oft derart verstellt, dass man<br />
nichts von einer Hostie oder einem<br />
Kelch gesehen hat. Heute stellen wir<br />
die Blumen daneben ab“, erzählt<br />
Günther Baumann. „Und wir verwenden<br />
jetzt Kerzen, die nicht zu<br />
viel Ruß erzeugen. Erst als die Decke<br />
neu weiß ausgemalt wurde, sah man,<br />
wie schmutzig sie vom Ruß war.“<br />
Ebenso will das richtige Lüften ge-<br />
lernt sein: „Lässt man im Frühling<br />
warme Luft in die Kirche, fangen die<br />
Gemälde zu schwitzen an“, erklärt<br />
Marianne Baumann. „Man darf also<br />
immer nur sehr vorsichtig lüften,<br />
damit die Temperatur drinnen nicht<br />
zu sehr ansteigt.“<br />
Die Kraft der Gemeinschaft<br />
Zwei Dinge liegen den Baumanns besonders<br />
am Herzen: „Wichtig ist uns,<br />
dass bereits vor unserer Ausbildung<br />
in der Pfarre mit sehr viel Umsicht<br />
gearbeitet wurde. Und wir sind ein<br />
Team – die anderen Kirchenpflegerinnen,<br />
Kirchenpfleger, die Mesnerin,<br />
die Mesner und wir. Jede und jeder<br />
arbeitet für den anderen mit. Es ist<br />
genau diese Gemeinschaft, dank der<br />
wir uns in der Kirche so wohlfühlen.“<br />
Die Tätigkeit der Kirchenpflege<br />
lässt sie aber nicht nur die Pfarrkirche<br />
mit anderen Augen sehen.<br />
„Es war auch für unsere Beziehung<br />
schön, dass wir diese Ausbildung<br />
gemacht haben“, sagt Marianne Baumann.<br />
„Wir haben dadurch eine weitere<br />
gemeinsame Basis und ergänzen<br />
uns sehr gut.“ Das Ergebnis können<br />
alle sehen, die der Pfarrkirche Vöckla -<br />
markt einen Besuch abstatten.<br />
Möchten Sie sich auch in der Kirchenpflege<br />
engagieren und sakrale Kunstwerke<br />
für kommende Generationen bewahren?<br />
Hier finden Sie mehr Informa tionen:<br />
www.dioezese-linz.at/kunst<br />
FOTO: GREGOR KUNTSCHER<br />
34
Ein Blick fürs Detail.<br />
Günther und Marianne<br />
Baumann sehen „ihre“<br />
Kirche in Vöcklamarkt<br />
mittlerweile mit ganz<br />
anderen Augen.<br />
35
Himmlischer Hof.<br />
Carlo Neuhuber fand<br />
im Steinbacher Pfarrhof<br />
ein idyllisches<br />
Zuhause und bietet<br />
Flüchtlingen hier eine<br />
sichere Unterkunft.<br />
36
HIMMEL<br />
„FRIEDEN FÄLLT EINEM<br />
NICHT IN DEN SCHOSS“<br />
Ein Leben in Frieden ist für uns selbstverständlich – zumindest<br />
war es das lange Zeit. Doch der Krieg in der Ukraine zeigt auf,<br />
wie zerbrechlich das Gebilde Frieden in seinem Wesen ist.<br />
Für Carlo Neuhuber ist das keine neue Erkenntnis – im Gegenteil.<br />
TEXT: ALEXANDER KLEIN<br />
FOTOS: GREGOR KUNTSCHER<br />
Ein altehrwürdiger Pfarrhof, der<br />
generalsaniert in neuem Glanz<br />
erstrahlt, ein prächtiger Garten,<br />
der zum Flanieren einlädt, und nur einen<br />
Steinwurf entfernt die Steyr mit ihrem<br />
türkisgrün schimmernden Wasser – es ist<br />
ein besonders schöner Flecken Erde hier<br />
in Steinbach an der Steyr, den Regionaldiakon<br />
Carlo Neuhuber sein Zuhause nennt.<br />
Ein so friedvolles Heim ist zweifellos<br />
ein Segen – erst recht in heutigen Zeiten.<br />
Russlands Überfall auf die Ukraine macht<br />
klar, wie fragil Frieden sein kann. Krieg<br />
ist plötzlich so nahe wie seit fast achtzig<br />
Jahren nicht mehr. „Viele von uns sehen<br />
Frieden als zu selbstverständlich an“, erklärt<br />
Carlo Neu huber. „Doch er fällt einem<br />
nicht in den Schoß. Er muss tiefgehend verankert<br />
sein. In der Persönlichkeit, im Frieden<br />
mit einem selbst, im Frieden mit anderen.<br />
Für mich ist die aktuelle Debatte rund<br />
um Frieden ein Zeichen, dass die Auseinandersetzung<br />
mit dem Thema vorher nicht<br />
tief genug gegangen ist.“<br />
Sicherer Hafen in unsicheren Zeiten<br />
Das Bewusstsein um die Zerbrechlichkeit<br />
des Friedens verdankt der 69-Jährige seiner<br />
fast 50-jährigen Auseinandersetzung mit<br />
diesem Thema. In seinem heimatlichen<br />
Idyll bietet er heute Menschen in Not die<br />
Möglichkeit auf ein friedvolles Leben.<br />
Mit der 28 jährigen Inna Kucherenko und<br />
ihrer Schwester Yana fanden zuletzt zwei<br />
Vertriebene aus der ukrainischen Stadt<br />
Mariupol eine Herberge bei ihm und seiner<br />
Frau Gerlinde. „Inna spricht sehr gut<br />
Deutsch und arbeitet bei migrare, wo sie<br />
Menschen aus der Ukraine bei der Ankunft<br />
in Österreich unterstützt“, erzählt er, „Yana<br />
lernt selbst fleißig Deutsch und hat bereits<br />
ihr Universitätsstudium in Wien begonnen.“<br />
Die ukrainischen Schwestern sind nicht die<br />
Ersten, die beim Ehepaar Neuhuber eine<br />
Frohnatur.<br />
Carlo Neuhuber<br />
lebt vor, wie<br />
man Menschen<br />
auf Augenhöhe<br />
begegnen und<br />
damit ihr Herz<br />
erreichen kann.<br />
37
HIMMEL<br />
»Dass der Christ von Leid verschont wird,<br />
steht nirgendwo in der Bibel ... Viele unserer<br />
Katastrophen, wie zum Beispiel Kriege,<br />
sind hausgemacht. Das können wir nicht<br />
einfach Gott in die Schuhe schieben.«<br />
Carlo Neuhuber<br />
sichere Unterkunft erhalten. 1989 nahmen<br />
die beiden Kinder aus Rumänien auf. Während<br />
des Bosnienkriegs fanden Frau und<br />
Kinder des Feuerwehrkommandanten von<br />
Sarajevo eine zweite Heimat im Steyrtal.<br />
„Wir sind heute noch Freunde“, erzählt der<br />
Diakon. Zu den Menschen, die ihm „besonders<br />
ans Herz gewachsen sind“, zählen auch<br />
der syrische Kurde Abdul und seine Familie,<br />
die er seit ihrer Ankunft in Ober österreich<br />
2015 begleitet. Die Erfahrungen, die seine<br />
Schützlingen machen mussten, führen ihm<br />
immer wieder vor Augen, wie wichtig der<br />
Einsatz für Frieden ist.<br />
Ein Friedensdienst zum Wohle aller<br />
Die Wurzeln von Carlo Neuhubers Friedensengagement<br />
reichen zurück bis in seine<br />
jungen Erwachsenenjahre. Eigentlich hatte<br />
er an der HTL Steyr Elektrotechnik gelernt,<br />
doch in den Siebzigern absolvierte er das<br />
Seminar für kirchliche Berufe. Und von<br />
1973 bis 1978 war er Mitglied im Österreich-<br />
Vorstand von Amnesty International.<br />
Als er dann den Wehrdienst verweigerte,<br />
wurde der gebürtige Ebenseer 1983 zum<br />
Zivildienst einberufen. Aber auch diesen<br />
ver weigerte er mit zwei Freunden, weil der<br />
Zivildienst Teil der Umfassenden Landesverteidigung<br />
ist und im Ernstfall auch Zivildiener<br />
in das militärische Konzept eingebunden<br />
sind. In ein solches wollten sich<br />
Carlo Neuhuber und seine Freunde jedoch<br />
nicht einplanen lassen. Ihre Devise war,<br />
nicht einfach zu verweigern, sondern für<br />
etwas einzutreten.<br />
Friedensgeschichten.<br />
Carlo Neuhuber<br />
und der 2015<br />
in Österreich angekommene<br />
Syrer<br />
Abdul schlossen<br />
beim Beachvolleyballspielen<br />
eine<br />
Freundschaft fürs<br />
Leben. Der gemeinsame<br />
Sport hilft<br />
dem 69-Jährigen<br />
auch, Frieden<br />
in seinem Inneren<br />
zu finden.<br />
Als Alternative schlugen die drei einen Friedensdienst<br />
im Zeichen von Gewalt freiheit<br />
vor. Und der damalige Landeshauptmann<br />
Josef Ratzenböck sowie der damals amtierende<br />
Innenminister Karl Blecha ließen sich<br />
tatsächlich überzeugen. Beide erteilten ihren<br />
Sanktus – die drei Freunde legten sofort<br />
los. Auf eine einmonatige Ausbildungsphase<br />
folgte eine Praxisphase, die sich in Bildungsarbeit<br />
und Sozialdienste gliederte.<br />
Die drei „Revo luzzer“ halfen dabei, Konflikte<br />
zu regeln, trainierten mit Menschen<br />
gewaltfreie Kommunikation und hielten<br />
Mahnwachen sowie Gottesdienste. Ihre<br />
Erfahrungen hielten sie in einem Ab schlussbericht<br />
penibel fest. „Die ganze Sache<br />
schlief danach nicht ein, denn es gab Nachfolgeprojekte.<br />
Und diese waren letztlich Anstoß<br />
für den heutigen Auslandszivildienst“,<br />
erzählt Carlo Neuhuber.<br />
In Abstimmung und Absprache mit der<br />
Österreichischen Bischofskonferenz setzt er<br />
sich heute für die Aufnahme von anerkannten<br />
Flüchtlingen ein, die zum Beispiel in<br />
der griechischen Hauptstadt Athen gestrandet<br />
sind. „Wir fordern die Aufnahme von<br />
hundert anerkannten geflüchteten Familien<br />
in Österreich. Aber wir wollen nicht nur<br />
fordern“, erklärt er. „Wir als Kirche sagen:<br />
ZUSATZFOTO: PRIVAT<br />
38
HIMMEL<br />
Ein Leben für das Miteinander. Blättert Carlo Neuhuber im Abschlussbericht<br />
seines Friedensdienstes, merkt man eines sofort: Knapp<br />
vierzig Jahre später hat er nichts von seiner Begeisterung verloren.<br />
Wir haben Pfarren, die bereit sind, diese<br />
Fami lien aufzunehmen. Es geht um geordnete<br />
Rettung. Anerkannte Geflüchtete<br />
aufzu nehmen, sie zu begleiten und sie so<br />
in unsere Gesellschaft zu integrieren, das<br />
ist Will kommenskultur.“ Und Carlo Neuhuber<br />
weiß, wovon er spricht. Er war in<br />
Athen, seine Erfahrungen hielt er fest: mit<br />
seinen Töchtern im Film „Anerkannt – Unbekannt<br />
– Wir haben Platz. Wir wollen helfen<br />
dürfen!“, der auf YouTube zu sehen ist.<br />
Gottes Werk, des Menschen Beitrag<br />
Die Frage, wie Gott es zulassen kann, dass<br />
Menschen fliehen müssen, in Kriegen oder<br />
bei Unfällen schuldlos sterben, hört er<br />
oft. Er selbst hat sich diese Frage aber nie<br />
gestellt – auch nicht, als seine zweite Tochter<br />
mit 18 Jahren tödlich verunglückt ist.<br />
„Dass der Christ von Leid verschont wird,<br />
steht nirgendwo in der Heiligen Schrift“,<br />
sagt er heute. „Vielmehr ist festgehalten:<br />
‚Einer trage des andern Last, so werdet ihr<br />
Christi Gebot erfüllen.‘ Das ist unsere Aufgabe.<br />
Nicht die Erklärung, das Warum, hilft<br />
einem Leidtragenden, sondern unser Beistand.<br />
Und wichtig für die Frage ‚Wo ist<br />
Gott in den Konflikten unserer Welt, warum<br />
Charakterkopf.<br />
Begegnungen mit<br />
Carlo Neuhuber<br />
hinterlassen einen<br />
bleibenden Eindruck,<br />
wie dieses<br />
Geschenk eines<br />
rumänischen<br />
Künstlers zeigt.<br />
schaut er zu?‘. In der Heiligen Schrift steht:<br />
‚Was ihr für einen meiner geringsten Brüder<br />
getan habt, das habt ihr mir getan.‘ Gott sagt<br />
nicht, ich richte euch alles – sondern, wenn<br />
ich die Heilige Schrift ernst nehme, ist er<br />
unter den Geknechteten. Dort kommt er<br />
mir entgegen, das gilt es wahrzunehmen.<br />
Viele unserer Katastrophen, wie zum Beispiel<br />
Kriege, sind hausgemacht. Das können<br />
wir nicht Gott in die Schuhe schieben.“<br />
Frieden definiert der Regionaldiakon für<br />
sich selbst „als Geschenk, das verbunden ist<br />
mit Dankbarkeit, als etwas Gutes. Frieden<br />
ist auch die Sehnsucht, dass sich der andere<br />
angenommen weiß. Der Wunsch, dass es<br />
der Familie gutgeht. Und wenn ich mir die<br />
aktuellen Krisenherde ansehe, verbinde ich<br />
Frieden mit der Sehnsucht, dass diese Dinge<br />
wieder heil werden.“ Im biblischen Sinn<br />
umfasst Frieden für ihn vieles: „Der biblische<br />
Frieden leitet sich von Schalom ab und<br />
hat nichts Eingrenzendes. Die Frauenfrage,<br />
die Geschlechterfragen, die Frage der Schöpfung,<br />
die Frage des Umgangs mit Tieren,<br />
all das gehört zusammen betrachtet.“<br />
Um Frieden zu erreichen, ist für Carlo<br />
Neuhuber eines entscheidend: „Den anderen<br />
wahrzunehmen und ihn ernst zu nehmen,<br />
seine Wahrheit erkennen. Erst dann<br />
lässt sich das Problem an seiner Wurzel<br />
lösen.“ Aber was tun, wenn das Gegenüber<br />
keine Gesprächsbereitschaft zeigt? „Darauf<br />
habe ich leider keine Antwort. Aber bevor<br />
ich auf direkte Gespräche gänzlich ver zichte,<br />
lasse ich mich dabei lieber x-mal zum<br />
Narren halten. Wenn wir uns die Situation<br />
in der Ukraine vor Augen halten: Was ist<br />
notwendig? Gesprächsversuche auf allen<br />
Ebenen immer wieder anstreben. Man gewöhnt<br />
sich an den Krieg, aber wir dürfen<br />
keine Ruhe geben. Und müssen um Frieden<br />
beten. Das stärkt uns. Kritisch sein, sich<br />
gründlich informieren und den Geflüchteten<br />
helfen, also dranbleiben.“ Und genau<br />
das lebt Carlo Neuhuber bei seinem unermüdlichen<br />
Einsatz für Frieden selbst vor.<br />
39
Einzigartig. Aus ganz wenigen<br />
Einzel teilen weiß die Natur eine schier<br />
unendliche Vielfalt zu zaubern. Daran<br />
wird erinnert, wer Schneeflocken<br />
aus nächster Nähe betrachtet. Sie alle<br />
bestehen aus Eiskristallen, die wegen<br />
ihrer Struktur nur in einem Winkel von<br />
60 oder 120 Grad aneinanderwachsen<br />
können. Und trotzdem ist jede von<br />
ihnen ein Unikat.<br />
FOTO: GETTY IMAGES/ISTOCK<br />
40
[HERR]GOTT<br />
WIE WIR IHN IN ALLEN DINGEN FINDEN<br />
Wo findet man eigentlich Gott? Nur in der Kirche<br />
oder auch im Fußballstadion? Nur in der Gemeinschaft<br />
oder auch allein? Fragen über Fragen, auf die auch<br />
kluge Menschen ganz unterschiedliche Antworten geben.<br />
Einige davon finden Sie auf den folgenden Seiten.<br />
41
[HERR]GOTT<br />
TURM DER ERKENNTNIS<br />
Eine Eremitin kommt selten allein. Zumindest in Linz.<br />
Im Mariendom haben sich nämlich schon mehr als<br />
270 Menschen als Einsiedler versucht. Was so besonders<br />
daran ist? Tja, das muss jeder für sich allein herausfinden.<br />
TEXT: SABRINA LUTTENBERGER<br />
FOTOS: ANDREAS BALON<br />
N<br />
ormalerweise leben die<br />
Eremitinnen und Eremiten<br />
dort, wo sonst niemand<br />
wohnt. Dafür sind sie schließlich<br />
bekannt, und daher kommt ja auch<br />
ihr Name. Vom lateinischen eremita<br />
beziehungsweise dem griechischen<br />
erēmítēs, was beides „verlassen“ und<br />
„einsam“ bedeutet.<br />
Nicht so in Linz – dort gibt es mitten<br />
im belebten Zentrum eine Eremitage.<br />
Und das nicht etwa versteckt in<br />
einem kleinen, unscheinbaren Haus,<br />
sondern im herausragendsten Gebäude<br />
der Stadt: im Mariendom. Seit<br />
2009 kann man hier, hoch oben in<br />
der Türmerstube, eine Woche als<br />
Turm eremit verbringen. Im Zweiten<br />
Weltkrieg war das Zimmer ein beliebter<br />
Beobachtungsposten, weil man<br />
Gefahren schon von Weitem erkannte<br />
– und auch heute verspricht es wieder<br />
Weitblick. Die sieben Tage als<br />
Einsiedlerin oder Einsiedler sollen,<br />
heißt es, die Suche nach dem Sinn<br />
des Lebens sowie nach Gott wachhalten<br />
und dazu anregen, über das eigene<br />
Leben nachzudenken. Hinaufgehen,<br />
um runterzukommen. Oder, wie<br />
Josefine Zittmayr sagt: „Da, wo das<br />
Herz zur Ruhe kommt, gibt es Platz<br />
für tiefe, bedeutsame Erlebnisse.“<br />
Eremitinnen im Alleingang<br />
Als spirituelle Begleiterin, die Eremitinnen<br />
und Eremiten während ihrer<br />
Turm wochen zur Seite steht, war<br />
Zittmayr von Anfang an Teil des Projekts.<br />
Für über 30 Eremiten war sie<br />
schon Vertrauensperson. Zweimal,<br />
2015 und 2018, hat sie selbst teilgenommen.<br />
Zu groß war die Neugier,<br />
was mit ihr in der Türmerstube<br />
passieren würde.<br />
„Das erste Mal“, erzählt sie, „verspürte<br />
ich schon eine tiefe Ruhe, das<br />
zweite Mal ging diese Reise zu mir<br />
selbst noch tiefer. Dieses Gefühl einer<br />
tiefen Beheimatung, einer ganz<br />
selbstverständlichen Zugehörigkeit,<br />
das ich im Dom verspürte, habe ich<br />
die ganze Woche um mich gehabt.<br />
Als ob ich etwas tragen würde, was<br />
mich schützt. Und etwas ist davon<br />
auch bei mir geblieben.“<br />
Dass einen gerade das Eremitentum<br />
bereichert, ist eine ungewöhnliche<br />
Vorstellung – und doch teilen diese<br />
Erfahrung alle Teilnehmerinnen,<br />
mit denen wir gesprochen haben. Dabei<br />
muss es nicht immer ein spirituelles<br />
Erlebnis sein, das Eindruck hinterlässt<br />
und die Woche wertvoll macht.<br />
Die Einladung zur Entschleunigung<br />
gilt schließlich für alle, selbst wenn<br />
man nicht katholisch oder gläubig ist.<br />
Das Eremitentum zählt seit jeher<br />
zum gottgeweihten Leben, es gilt als<br />
die früheste Form des Mönchtums.<br />
Eremiten waren es auch, die erste<br />
Klöster gründeten. Ursprünglich<br />
übten sich Eremiten dort noch<br />
42
Fenster mit Aussicht.<br />
In der Türmerstube<br />
kann man nicht nur<br />
die Füße, sondern<br />
auch einmal die Seele<br />
baumeln lassen. So<br />
wie Eremitin Susanne<br />
Windischbauer.
JOSEFINE<br />
ZITTMAYR<br />
Sie begleitet das<br />
Projekt von Anfang<br />
an. Ihr Tipp an alle:<br />
„Ruht euch aus!“<br />
Das dauert oft<br />
länger, als man<br />
denkt.<br />
Stairway to heaven. 395 Stufen führen hinauf in die Türmerstube. Wer Eremitin oder<br />
Eremit werden möchte, sollte gut zu Fuß sein. Und am besten keine Höhenangst haben.<br />
im Verzicht. Sie lebten äußerst bescheiden<br />
und meist in großer Armut.<br />
An der Tagesordnung standen Beten,<br />
Buße und Fasten.<br />
Auszeit vom Alltag<br />
Auch das ist heute in Linz ein wenig<br />
anders. Den Eremiten fehlt nämlich<br />
fast nichts. Es gibt ein Bett, einen<br />
Herd, eine Heizung. Sogar eine kleine<br />
Bibliothek steht in der Türmerstube<br />
bereit. Einmal pro Tag wird<br />
ihnen außerdem am Ende der Treppe<br />
Essen bereitgestellt. Eine Stärkung,<br />
ohne die es nicht geht. Bis in das<br />
Refugium sind es nämlich jedes Mal<br />
395 Stufen – in eine Richtung.<br />
Für eine leidenschaftliche Bergsteigerin<br />
wie Birgit Kubik genau das<br />
Richtige. Zwei Jahre lang hat die<br />
Ennserin sehnsüchtig darauf gewartet,<br />
endlich in den Turm ziehen zu<br />
dürfen. Anfang <strong>2022</strong> war es so weit.<br />
„Erwartungen hatte ich keine. Ich<br />
bin erst im Nachhinein draufgekommen,<br />
warum mir diese Woche so<br />
wichtig war: damit ich wieder Dankbarkeit<br />
spüre. Der Alltag hat mich<br />
davor nur mehr gequält, alles war<br />
mühsam“, erinnert sie sich.<br />
Neben ihrem Job kümmert sich<br />
Kubik um Sohn Max, der heuer<br />
18 Jahre alt wurde und Autist mit<br />
massivem ADHS ist. Eine fordernde<br />
Situation, die ihr und ihrer Familie<br />
oft viel abverlangt. Zur Ruhe kommt<br />
Kubik daheim nur selten. Erst als<br />
Turm eremitin konnte sie wieder einmal<br />
abschalten. Gelassenheit und<br />
Zuversicht sind dadurch in ihr Leben<br />
zurückgekehrt. „Ich bin mit einem<br />
schweren, voll bepackten Rucksack<br />
BIRGIT KUBIK<br />
Die 268. Turmeremitin<br />
im heurigen<br />
März. 8.000<br />
Stufen bergauf<br />
und noch einmal<br />
so viele bergab<br />
hat sie in ihrer<br />
Woche bewältigt.<br />
SUSANNE<br />
WINDISCHBAUER<br />
Als Fotografin hat<br />
sie ihre Eindrücke<br />
mit der Kamera<br />
festgehalten.<br />
Ihr Lieblingsmotiv:<br />
Maria in zwölf<br />
Meter Höhe.<br />
44
[HERR]GOTT<br />
Domizil auf Zeit. Josefine Zittmayr (li.) beschreibt die Woche hoch oben im Mariendom als erhebendes<br />
Gefühl, das bleibt. Birgit Kubik (re.) hat es genossen, am Balkon und damit über den Dingen zu stehen.<br />
rauf und mit demselben Rucksack<br />
auch wieder hinunter“, so Kubik,<br />
„doch die gleiche Last fühlt sich jetzt<br />
leichter an.“<br />
Wie die Eremiten ihre Erfahrung<br />
im Mariendom gestalten, ist übrigens<br />
ganz ihnen überlassen. Viele nutzen<br />
die Tage, um ihr Zuhause auf Zeit<br />
zu erkunden. Zu fotografieren. Die<br />
Aussicht zu genießen. Theoretisch<br />
könnten sie in Linz shoppen gehen<br />
und Freunde treffen. Trotzdem entscheiden<br />
sich die meisten Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer, den Rückzugsort<br />
genau dafür zu nutzen: sich<br />
einmal zurückzuziehen.<br />
Susanne Windischbauer ist ein<br />
Profi, was das angeht. Sie sagt von<br />
sich selbst, sie sei eine große Exer <br />
zitienfreundin. Und auch sie ist als<br />
spirituelle Begleiterin tätig. Trotzdem<br />
wurde Windischbauer von dem, was<br />
passiert ist, überrascht: „Wie es ist,<br />
sich ganz alleine zurückzuziehen –<br />
noch dazu in einem Turm –, das habe<br />
ich noch nicht gekannt. In der Bibel<br />
gibt’s ja die Zeiten der Bedrängnis,<br />
und ich war solchen Widerständen<br />
ausgesetzt. Ich habe mich gefragt, ob<br />
ich wirklich ganz alleine in diesem<br />
riesigen Dom bin. Die Woche hat<br />
mich also durchaus etwas Mut gekostet.<br />
Erst im Nachhinein habe ich gemerkt,<br />
wie sehr mich die Erfahrung<br />
bestärkt hat.“ Und: Wenn sie jetzt andere<br />
Eremiten begleitet, hat sie noch<br />
mehr Verständnis für das, was jeder<br />
und jede Einzelne von ihnen erlebt.<br />
Ein Perspektivenwechsel<br />
Vielleicht ist das auch das Erfolgsrezept<br />
des Projekts: Jede Turmeremitin<br />
und jeder Turmeremit<br />
macht genau die Erfahrung, die im<br />
Moment richtig ist. Weil der Dom<br />
einem den Raum gibt, sich mit dem<br />
Wesentlichen zu beschäftigen.<br />
Als Turmeremit bekommt man die<br />
einmalige Chance, alles hinter – oder<br />
besser: unter – sich zu lassen. Eben<br />
wieder eine neue Perspektive zu bekommen.<br />
Das ist gar nicht so schwer,<br />
wie es oft scheint. Vor allem auf<br />
68 Meter Höhe.<br />
TURM UND DRANG<br />
Wer den Drang verspürt,<br />
Turmeremitin oder<br />
Turmeremit zu sein:<br />
Die Chance darauf bietet<br />
sich in der Fastenzeit und<br />
zu Ostern, im Juli und<br />
August sowie im Advent<br />
und zu Weihnachten —<br />
unabhängig von der<br />
reli giösen Zuge hörigkeit.<br />
Der Dom wird jeweils<br />
für sieben Tage bewohnt,<br />
von Freitag bis Freitag,<br />
und eine spirituelle Begleitung<br />
wird stets zur Seite<br />
gestellt. Auch das Tagebuch,<br />
in dem sich alle<br />
ehemaligen Eremitinnen<br />
und Eremiten verewigt<br />
haben, begleitet einen als<br />
Inspi ra tion durch die Zeit.<br />
Informationen<br />
und Anmeldung:<br />
DomCenter Linz,<br />
Herrenstraße 36,<br />
4020 Linz,<br />
Tel.: 0732/94 61 00<br />
www.turmeremit.at<br />
45
[HERR]GOTT<br />
Mehr als nur Kulisse.<br />
Lisa Makas ist ein stets<br />
gut gelauntes Aushängeschild<br />
des Frauenfußballs<br />
— und kennt als<br />
gläubige Christin Gotteshäuser<br />
wie die Wehrkirche<br />
in Tamsweg nicht<br />
nur von Fotoshootings.<br />
46
[HERR]GOTT<br />
„VERLETZUNGEN FÜHRTEN<br />
MICH NÄHER ZU GOTT“<br />
Als Fußball-Nationalspielerin dribbelte sich Lisa Makas<br />
in die Herzen vieler Menschen. Ein Gespräch über die Schnittstellen<br />
zwischen Sport, Religion und dem guten Leben.<br />
TEXT: ALEXANDER KLEIN<br />
FOTOS: GREGOR KUNTSCHER<br />
Lisa Makas strahlt, als hätte sie gerade<br />
ins Kreuzeck getroffen, als sie sich<br />
mit Grüß Gott bei der Wehrkirche<br />
in Tamsweg trifft. Die 30-Jährige ist für ein<br />
Trainingslager im Lungau – es sollte ihr letztes<br />
nach 15 Jahren Profifußball sein. Wenig<br />
später gibt sie ihren Rücktritt bekannt und<br />
blickt auf eine beeindruckende Karriere zurück.<br />
Tore pflastern ihren Weg, für das Nationalteam<br />
stürmte die Niederösterreicherin bei<br />
zwei EM-Turnieren. Abseits des Rasens wurde<br />
die gläubige Christin mit ihrer offenen und<br />
schlagfertigen Art zum Vorbild für viele junge<br />
Frauen. Eigenschaften, die sie auch im Interview<br />
unter Beweis stellt.<br />
Ball oder Bibel – was würdest du auf<br />
die berühmte einsame Insel mitnehmen?<br />
Den Ball, so ehrlich muss ich schon sein.<br />
Ich spiele Fußball, seit ich fünf Jahre alt<br />
bin. Ohne Ball geht’s bei mir einfach nicht –<br />
auch wenn der Glaube eine wichtige Rolle<br />
in meinem Leben spielt.<br />
Wie drückt sich dein Glaube aus?<br />
Ich bin in einer religiösen Familie auf gewachsen,<br />
die gemeinsamen Kirchen besuche<br />
sind sehr schöne Kindheitserinnerungen.<br />
Ich war auch immer sehr gerne im Religionsunterricht<br />
– wahrscheinlich wegen<br />
der vielen Lieder. (Lacht.) Nein, im Ernst:<br />
Ich hatte später in meiner Laufbahn viele<br />
Verletzungen. Die Erfahrungen, die ich<br />
dabei gemacht habe, führten mich noch<br />
näher zu Gott.<br />
Kannst du das näher beschreiben?<br />
Wenn man verletzt zu Hause liegt, tauchen<br />
viele Fragen auf. Warum hat es ausgerechnet<br />
mich erwischt? Warum bin schon wieder<br />
ich so schwer verletzt? Ist der Weg, den<br />
ich eingeschlagen habe, der richtige? Der<br />
Glaube hat mir in diesen Momenten Halt<br />
gegeben. Er wurde intensiver und hat mir<br />
gleichzeitig aufgezeigt, dass nichts einfach<br />
so passiert ist. Es steckt immer ein Plan dahinter.<br />
Alles hat einen Sinn.<br />
47
[HERR]GOTT<br />
DAS IST LISA MAKAS:<br />
Die 30-jährige Niederösterreicherin<br />
begann im Alter von<br />
fünf Jahren mit dem Fußballspielen.<br />
Von da an pflasterten<br />
Tore ihren Weg, der sie zu<br />
zwei Meisterschaften, drei<br />
Cup- Triumphen und auch zum<br />
MSV Duisburg (2016 — 2020)<br />
in die deutsche Bundesliga<br />
führte. Für Österreichs<br />
National team erzielte Makas<br />
in 73 Einsätzen 19 Tore.<br />
Im Sommer be endete sie<br />
ihre aktive Karriere.<br />
In früheren Interviews hast du erzählt,<br />
dass du jeden Abend und auch vor<br />
wichtigen Spielen betest. Warum?<br />
Wenn es mir gut geht, bete ich weniger oft,<br />
das muss ich schon ehrlich sagen. Wenn<br />
ich aber gestresst bin, weil mir die Welt<br />
um mich herum zu hektisch ist, kommt es<br />
schon vor, dass ich täglich bete. Ich mache<br />
das im Stillen für mich, nehme mir den<br />
Moment raus und richte Fragen an Gott.<br />
So versuche ich, Antworten zu finden. Ich<br />
bin sehr dankbar, dass ich diesen Weg für<br />
mich gefunden habe. In heraus fordernden<br />
Momenten tanke ich so Kraft.<br />
Was haben deine Mitspielerinnen gesagt,<br />
wenn du kurz vor dem Anpfiff in der<br />
Kabine plötzlich verstummt bist?<br />
In all den Jahren gab es keine einzige<br />
ne gative Reaktion. Einige wollten wissen,<br />
warum ich auf einmal so still bin. Ich habe<br />
ihnen erzählt, dass ich mich für ein paar<br />
Minuten rausnehme, meine Fragen an Gott<br />
richte und mir das hilft.<br />
Ballkünstlerin.<br />
Nach 25 Jahren<br />
Training ist<br />
Lisa Makas mit<br />
dem Fußball<br />
auf Du und Du.<br />
Viele Profisportler bekennen sich zum<br />
Glauben. Warum ist Religion besonders<br />
im Fußball so populär?<br />
Ja, der Glaube spielt sicher bei vielen Profis<br />
eine große Rolle. Vor allem für männliche<br />
Fußballer. Die werden überall erkannt und<br />
haben nie ihre Ruhe – doch sie finden sie im<br />
Glauben. Ein Fußballer ist in Wahrheit ein<br />
Produkt. Jeder redet auf ihn ein, jeder will<br />
sich an ihm bereichern. In Momenten des<br />
Glaubens kommt er auch einmal zur Ruhe.<br />
Sehr beliebt ist auch Torjubel mit Gesten<br />
Richtung Himmel. Sind die ehrlich<br />
gemeint oder bei manchen nur Show?<br />
Einige machen es sicher nur nach und wissen<br />
nicht, was dahintersteckt. Aber viele<br />
fühlen wirklich etwas und bringen es damit<br />
zum Ausdruck.<br />
Du hast nach einem Tor auch einmal mit<br />
dem Finger Richtung Himmel gedeutet.<br />
Was ging dir damals durch den Kopf?<br />
Sogar zweimal! (Lacht.) Das erste Mal nach<br />
meinem Tor gegen Frankreich bei der EM<br />
2017. Das war ein spezieller Moment, meine<br />
Großeltern und mein Onkel sind zuvor<br />
verstorben. Warum genau der Jubel? Keine<br />
Ahnung, ich habe einfach an sie gedacht.<br />
So war es auch beim zweiten Jubel, beim<br />
Comeback nach einer Verletzung.<br />
FOTOS: PICTUREDESK.COM/AFP/TOBIAS SCHWARZ, PICTUREDESK.COM/EXPA/EIBNER<br />
48
Fingerzeig gen Himmel.<br />
Mit diesem Jubel gedachte<br />
Lisa Makas bei der EM 2017<br />
ihrer kurz zuvor verstorbenen<br />
Verwandten (Bild oben). Auch<br />
fünf Jahre später konnten<br />
mehrere Engländerinnen sie<br />
bei der EM kaum vom Ball<br />
trennen.
[HERR]GOTT<br />
Heute blickst du auf 15 Jahre im Profisport<br />
zurück. Wie hat sich der Frauenfußball<br />
in dieser Zeit entwickelt?<br />
Wie es vor 15 Jahren war, kann sich heute<br />
niemand vorstellen, der damals nicht mit<br />
dabei war. Ein Beispiel: Im Nationalteam<br />
mussten wir in zu kurzen, zu engen Dressen<br />
spielen. Wir haben wie die ärgsten Dodln<br />
ausgesehen, sollten aber gleichzeitig Österreich<br />
würdig vertreten. Das war Welten<br />
entfernt von professionellem Fußball.<br />
Aber das hat uns auch stark gemacht.<br />
»Das Tattoo auf meinem linken Arm ist ein Kreuz.<br />
Das englische Wort für ›Glaube‹ steht als zentrales<br />
Element in der Mitte. Die ausgefüllten Blätter stehen<br />
sinnbildlich für meine Eltern, die nicht ausgefüllten<br />
für meine Geschwister.«<br />
Lisa Makas<br />
Im Gegensatz zu damals gibt es heute<br />
Frauenteams, zumindest bei einigen<br />
Vereinen. Du hast noch mit Burschen<br />
zusammengespielt, oder?<br />
Ja, bis zur U16 war ich das einzige Mädchen<br />
im Team. Wobei das per se nichts<br />
Schlechtes war. Den Burschen war es<br />
zunächst egal, dass ich ein Mädchen war.<br />
Sie spielen einfach körperbetonter. Ich<br />
musste dagegenhalten – das hat mich<br />
stärker gemacht. Ab einem gewissen Alter<br />
kam aber der Neid dazu.<br />
Was passierte dann?<br />
Die Burschen fragten sich, wie kann es sein,<br />
dass dieses Mädchen besser ist, und wurden<br />
gemein. Es gab eineinhalb Jahre, da habe<br />
ich nach Matches geweint und wollte nicht<br />
mehr spielen. Aber meine Eltern haben mir<br />
immer gesagt, dass ich mich durchbeißen<br />
muss. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.<br />
Wie reagierst du, wenn Männer dem<br />
Frauenfußball die Qualität absprechen?<br />
Vergleiche zwischen Frauen- und Männersport<br />
sind komplett unsinnig. Ein Mann ist<br />
athletischer – das ist so. Dieses engstirnige<br />
Denken, dass Fußball ein Männersport ist,<br />
belächle ich nur mehr. Redet ein Mann so,<br />
denke ich mir, dass bei ihm zu Hause die<br />
Frau die Hosen anhat und er uns schlechtredet,<br />
weil er sonst nichts zu melden hat.<br />
50
[HERR]GOTT<br />
Ende November beginnt in Katar die Fußball-WM<br />
der Männer. Im Vorfeld hagelt<br />
es Kritik wegen der Ausbeutung von Arbeitern<br />
und der Klimaanlagen in den<br />
Stadien. Wie stehst du zu diesem Turnier?<br />
Diese Weltmeisterschaft ist komplett unsinnig.<br />
Mit Sport hat das nichts mehr zu tun,<br />
das hat nur noch wirtschaftliche Gründe.<br />
Jetzt haben wir im Winter ein Fußballevent,<br />
mit dem noch einmal mehr Geld gemacht<br />
wird. Ich werde kein Spiel schauen. Das<br />
könnte ich nicht mit mir vereinbaren.<br />
Welche Werte sind dir wichtig?<br />
Jeden Menschen mit Respekt zu behandeln.<br />
Keine Vorurteile zu haben, sei es aufgrund<br />
von Herkunft, Hautfarbe oder der sexuellen<br />
Orientierung.<br />
Du hast einmal erzählt, dass du in deiner<br />
Heimatpfarre Weissenbach an der Triesting<br />
mithilfst. Macht du das noch immer?<br />
Um richtig mitzuhelfen, fehlt mir die Zeit.<br />
Aber ich gebe schon meinen Senf dazu,<br />
wenn ich finde, dass etwas zu veraltet ist –<br />
und das ist es leider Gottes schnell einmal.<br />
Die Kirche muss weg von ihrer teils überholten<br />
Denkweise, wenn sie wieder mehr<br />
junge Leute ansprechen will.<br />
Wie macht sich dieses veraltete Denken<br />
bemerkbar?<br />
Frauen haben noch immer nicht den Stellenwert,<br />
der ihnen gebührt. Und dass Menschen<br />
aufgrund ihrer sexuellen Orientierung<br />
verurteilt werden, ist ein absolutes No-Go.<br />
Es heißt: „Gott liebt alle Menschen“ oder<br />
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ –<br />
und dann werden so viele ausgegrenzt.<br />
Gott sei Dank leben Leute heute so, wie sie<br />
wirklich sind. Das Schlimmste für einen<br />
Menschen ist, wenn er sich immer verstecken<br />
muss. Ich sage: Glaube ist genug da<br />
unter uns allen. Nur macht die Kirche auch<br />
Fehler, und daher wenden sich Leute von<br />
ihr ab. Aber wenn uns Glaube und Fußball<br />
etwas lehren können, dann ist es, dass man<br />
nur zusammen etwas bewegen kann.<br />
„KIRCHE UND FUSSBALL KÖNNEN VONEINANDER LERNEN“<br />
ZUSATZFOTO: SONNTAGSBLATT/GERD NEUHOLD<br />
Doppelpass. „Fußball und Religion<br />
haben eine ähnliche Message“, erklärt<br />
der Grazer Theologe Anton<br />
Tauschmann. „Es geht um Respekt,<br />
Gleichheit und ein friedliches Miteinander.<br />
Die Frauen-EM war ein<br />
tolles Beispiel. Man hat die gegenseitige<br />
Wertschätzung auf dem<br />
Rasen gespürt, Fairness wurde auch<br />
wirklich gelebt. Frauen stehen nach<br />
einem Foul einfach auf und spielen<br />
weiter. Das imponiert mir.“<br />
Der 35-Jährige macht noch weitere<br />
Gemeinsamkeiten aus: „Sowohl<br />
Kirche als auch Fußball leben sehr<br />
stark von einer Inszenierung im<br />
positiven Sinn. Für einen gewissen<br />
Teil der Bevölkerung sind sie auch<br />
sinnstiftend. Was für die einen der<br />
Stadionbesuch am Samstag ist, ist<br />
für die anderen der Kirchgang am<br />
Sonntag.“ Der große Unterschied:<br />
„Religion zielt auch immer auf etwas<br />
Höheres ab. In Lebenskrisen hat sie<br />
die passenden Werkzeuge parat —<br />
der Sport nicht.“<br />
Die Heiligen unserer Zeit? Dass<br />
Fußballstars wie Heilige verehrt<br />
werden, ist für Anton Tauschmann<br />
kein Wunder. „Die Zeiten sind<br />
schwierig. Menschen suchen Idole,<br />
an die sie sich anhängen können.<br />
So gesehen sind Kicker vielleicht<br />
Heilige für den Augenblick — die<br />
schnell hochgereicht, aber auch<br />
schnell wieder gestürzt werden.“<br />
ANTON<br />
TAUSCHMANN<br />
Der Grazer Theologe<br />
ist selbst<br />
be geis terter Kicker<br />
und schreibt u. a.<br />
für das Magazin<br />
„Ballesterer“.<br />
51
[HERR]GOTT<br />
DIE SUCHE NACH<br />
DER GOTTESFORMEL<br />
52
[HERR]GOTT<br />
Kann man Gott mathematisch beweisen?<br />
Daran haben sich die größten Geister der Geschichte<br />
versucht – mit fraglichen Ergebnissen.<br />
TEXT: WOLFGANG M. GRAN<br />
ILLUSTRATION: STUDIO NITA<br />
FOTO:<br />
Der US-amerikanische Wissenschaftsjournalist<br />
und Autor<br />
Clifford A. Pickover schuf in seinem<br />
1999 erschienenen Buch „Die Mathematik<br />
und das Göttliche“ einen gelungenen<br />
Begriff für eine sehr spezielle Art von Wissenschaftlern:<br />
„Theomatiker“ nennt er jene<br />
gar nicht so kleine Gruppe von Mathematikern<br />
mit stark religiöser Verankerung –<br />
von Pythagoras mehr als 500 Jahre vor<br />
Christi Geburt bis hin zu Kurt Gödel im<br />
20. Jahrhundert.<br />
Gar nicht so wenige von ihnen versuchten<br />
ein Leben lang, mit ihrem mathematischen<br />
Instrumentarium einen Beweis für<br />
die Existenz Gottes zu führen.<br />
Herausragende Leistungen auf dem Gebiet<br />
der Mathematik konnten – wie etwa beim<br />
Schweizer Leonhard Euler (1707–1783) –<br />
die Enttäuschung kaum kaschieren, wenn<br />
das nicht gelang. Oder wer hätte gedacht,<br />
dass Isaac Newton lieber für seine theologischen<br />
Schriften bekannt geworden wäre<br />
als für seine Gesetze zu Gravitation und<br />
Bewegung? Dass die UNESCO seine Gedanken<br />
zum Göttlichen 2015 zum Weltdokumen<br />
tenerbe erklärte, kam für den<br />
1727 verstorbenen Mathematiker, Physiker<br />
und Astronomen deutlich zu spät.<br />
Es ist eine erstaunliche Affinität, die hier<br />
zutage tritt, denn den meisten erscheinen<br />
Wissenschaft und Religion, Forschung<br />
53
[HERR]GOTT<br />
und Glaube viel eher als Widerspruch denn<br />
als passende Gefährten – obwohl schon der<br />
Physik-Nobelpreisträger Werner Heisenberg<br />
gesagt hat: „Der erste Schluck aus der Tasse<br />
der Naturwissenschaften macht einen zum<br />
Atheisten, aber auf dem Grund dieser Tasse<br />
wartet Gott.“<br />
Der Reiz der Unendlichkeit<br />
Warum sich speziell Mathematiker seit<br />
mehr als 2.500 Jahren immer wieder auch<br />
intensiv auf die Suche nach dem Göttlichen<br />
machen, erklärt Buchautor Pickover so:<br />
„Das mathematische Streben, Unendlichkeit<br />
zu verstehen, ähnelt den mystischen Versuchen,<br />
Gott zu begreifen. Beide aktivieren<br />
die verlorenen Tiefen unseres Geistes und<br />
stimulieren unsere Vorstellungskraft.“ Ein<br />
Blick ins Griechenland um 550 vor Christus<br />
scheint das zu bestätigen.<br />
Jedes Kind kennt den pythagoräischen<br />
Lehrsatz über das rechtwinklige Dreieck,<br />
aber kaum jemand weiß Näheres über das<br />
gesamte schillernde Leben und Wirken des<br />
Mannes, der für den britischen Philosophen<br />
Bertrand Russell „einer der intellektuell<br />
bedeutsamsten Menschen, die je gelebt<br />
haben“, war. Denn was man in Mathematik<br />
über Pythagoras lernt, ist nur ein kleiner<br />
Ausschnitt der Vita des ersten „Theomatikers“<br />
der Geschichte.<br />
Der auf Samos geborene Gelehrte entwickelte<br />
eine Art Theologie der Zahlen, eine<br />
numerische Religion, deren Haupt element<br />
die Tetraktys (Vierheit) der Zahlen 1, 2, 3<br />
und 4 war. Deren Summe ergibt 10, und das<br />
gilt als Grundlage des Dezimal systems. Das<br />
Interesse an Zahlen war für Pythagoras jedoch<br />
keinesfalls ein rein mathematisches,<br />
sondern der einzige Weg, den göttlichen<br />
Plan zu erforschen und die Geheimnisse des<br />
Universums zu entschlüsseln. Die 4 und die<br />
10, Letztere ein „Zeichen der Vollkommenheit“,<br />
lagen für ihn einer großen Weltordnung<br />
zugrunde. Pythagoras verschmolz<br />
Mathematik und Theologie zu einer Grund<br />
PYTHAGORAS<br />
VON SAMOS<br />
Der griechische<br />
Philosoph war eine<br />
Art Sekten guru —<br />
und lehrte seine<br />
Anhänger, dass<br />
Zahlen der<br />
Schlüssel zum<br />
Göttlichen seien.<br />
»Das mathematische Streben,<br />
Unendlichkeit zu verstehen,<br />
ähnelt den mystischen Versuchen,<br />
Gott zu begreifen. Beide aktivieren<br />
die verlorenen Tiefen unseres<br />
Geistes und stimulieren<br />
unsere Vorstellungskraft.«<br />
Clifford A. Pickover<br />
masse, die nicht nur die religiöse Philosophie<br />
in Griechenland nachhaltig beeinflusste,<br />
son dern bis ins Mittelalter hineinwirkte. Bertrand<br />
Russell war sich sicher: „Ohne Pythagoras<br />
hätten die Theologen niemals logische<br />
Beweise für die Existenz Gottes gesucht.“<br />
Auch die Regeln, die der Grieche sich<br />
und seinen Anhängern auferlegte, hatten<br />
fast schon den Charakter religiöser Gebote:<br />
Pythagoras begründete den Vegetarismus,<br />
weil er von der Seelenwanderung überzeugt<br />
war und auch jedes Tier als beseeltes<br />
Wesen betrachtete. Und die führenden Mitglieder<br />
seiner Bewegung mussten im Zölibat<br />
leben. Warum jedoch auch der Verzehr<br />
von Bohnen als sündhaft galt, lässt die Forschung<br />
bis heute rätseln.<br />
Die Magie der Zahlen<br />
Es war letztlich das brennende Interesse<br />
daran, wie die Welt funktioniert, was sie im<br />
Innersten zusammenhält und im Äußersten<br />
umgibt, das Pythagoras und viele nach ihm<br />
antrieb. Der Glaube an eine übergeordnete,<br />
eine göttliche Ordnung, gepaart mit der<br />
Magie der Zahlen, denen mysteriöse Kräfte<br />
zugeschrieben wurden, machte es fast<br />
logisch, Religion und Mathematik zu sammen<br />
zuführen. Dazu kam, dass es in der<br />
Wissenschaft in manchen Gebieten noch bis<br />
ins 16. Jahrhundert hinein keine saubere<br />
Trennung von Wissen und Mutmaßung gab<br />
und Astronomie mit Astrologie, Chemie mit<br />
54
[HERR]GOTT<br />
Alchemie sowie Mathematik mit Numerologie<br />
oftmals diffuse Allianzen eingingen.<br />
Die Mathematik wurde bemüht, wenn<br />
es galt, den Weltuntergang vorherzusagen<br />
oder den optimalen Zeitpunkt für kriegerische<br />
Auseinandersetzungen zu wählen.<br />
Eine Koryphäe wie Johannes Kepler musste<br />
als kaiserlicher Mathematiker zum Beispiel<br />
im Dreißigjährigen Krieg Horoskope für<br />
General Wallenstein erstellen. Auch Kepler<br />
war übrigens ein zutiefst gläubiger Mensch,<br />
der an das Göttliche in der Mathematik<br />
glaubte: „Die Geometrie hat Gott Modelle<br />
für die Schöpfung der Welt bereitgestellt.“<br />
Blüten der Zahlenmystik<br />
Als die ersten spanischen Seefahrer nach<br />
Südamerika kamen und erstmals eine<br />
Passions blume sahen, meinten sie, in dem<br />
THOMAS<br />
VON AQUIN<br />
Der wichtigste<br />
Philosoph des<br />
Mittelalters sah<br />
Logik als Schlüssel,<br />
die Schöpfung<br />
zu ergründen.<br />
Mit ihrer Hilfe<br />
versuchte er, die<br />
Existenz Gottes<br />
zu beweisen.<br />
Aufbau der Blüte Symbole der Kreuzigung<br />
Christi zu erkennen: Die drei Griffel des<br />
Blütenstempels standen für die drei Nägel,<br />
die fünf Staubblätter für die fünf Wunden,<br />
umgeben war all das von einem Dornenkranz,<br />
und die zehn äußeren Kron- und<br />
Kelchblätter standen für die zehn Apostel,<br />
die der Kreuzigung beiwohnten. Die Samen<br />
einer Sonnenblume zum Beispiel sind in<br />
einer Fibonacci-Spirale angeordnet, und<br />
so wurde auch vieles durch Zahlen oder<br />
mathematische Formeln greifbarer, was für<br />
Gläubige Teil einer göttlichen Schöpfung<br />
ist – auch für religiöse Mathematiker wie<br />
Kepler, Descartes, Newton oder Euler, die<br />
bei all ihren Erkenntnissen an das göttliche<br />
Übergeordnete glaubten.<br />
Schon für die Pythagoräer, die sogar<br />
einen Eid auf die bereits erwähnte<br />
55
[HERR]GOTT<br />
Tetraktys ablegen mussten, waren Zahlen<br />
das Maß aller Dinge gewesen, und die Zahlensymbolik<br />
spielt auch in allen großen Religionen<br />
eine gewichtige Rolle. Die 1 steht<br />
für Vollkommenheit und spiegelt sich im<br />
einen, im einzigen Gott. Die 3 symbolisiert<br />
Vollständigkeit und Geschlossenheit und<br />
zeigt sich etwa in der Dreifaltigkeit oder<br />
den drei göttlichen Tugenden Glaube, Liebe,<br />
Hoffnung. Die 4 gilt als Ordnungszahl,<br />
die Struktur verleiht. Es gibt vier Himmelsrichtungen,<br />
vier Elemente und vier Jahreszeiten<br />
– und in der Bibel vier Evangelien<br />
und vier Kardinaltugenden.<br />
Die Summe aus 3 und 4, also aus Vollständigkeit<br />
und Ordnung, ergibt 7 – eine<br />
Zahl, die auch im Glauben eine große Rolle<br />
spielt. In sieben Tagen wurde die Welt erschaffen,<br />
es gibt sieben Sakramente und<br />
sieben Todsünden, eine Buchrolle mit sieben<br />
Siegeln enthält den göttlichen Plan für<br />
das Ende der Welt, und sieben Posaunen<br />
kündigen den Tag des Jüngsten Gerichts an.<br />
Ein großer Zahlenmystiker war auch der<br />
heilige Augustinus, für den die Zahl 40 entscheidende<br />
Bedeutung hatte. Er sah sie als<br />
Produkt aus 4, der Ordnungszahl, die für<br />
ihn auch die (Lebens-)Zeit symbolisierte,<br />
und der vollkommenen Zahl 10, die bei Augustinus<br />
für Wissen und Weisheit stand. Die<br />
40 sollte seiner Ansicht nach den Menschen<br />
lehren, entsprechend dem Wissen zu leben,<br />
das er sich in seiner Lebenszeit aneignet.<br />
»Wenn man einen Hammer hat,<br />
ist man immer versucht, überall<br />
Nägel zum Hineinklopfen zu<br />
identifizieren. Die Mathematik<br />
ist wirklich ein großer Hammer.<br />
Gott – was immer das ist oder<br />
sein soll – ist aber kein Nagel,<br />
den man klopfen kann.«<br />
Bruno Buchberger<br />
KURT GÖDEL<br />
Der österreichische<br />
Logiker<br />
entwickelte einen<br />
Gottesbeweis,<br />
der formal korrekt<br />
ist — sofern man<br />
die zugrunde<br />
liegenden Prämissen<br />
akzeptiert.<br />
In der Bibel steht diese Zahl demnach auch<br />
sehr oft für schwere Prüfungen und das Erreichen<br />
von Reife. 40 Tage und 40 Nächte<br />
regnete es vor der Sintflut, 40 Jahre zog das<br />
Volk Israels nach seinem Auszug aus Ägypten<br />
durch die Wüste, 40 Tage verbrachte<br />
Moses auf dem Berg Sinai, 40 Tage war Jesus<br />
in der Wüste, 40 Stunden lag er in seinem<br />
Grab, 40 Tage dauert die Fastenzeit.<br />
Und, damit sich der Kreis wieder<br />
schließt: Als Pythagoras am Ende seines<br />
Lebens nach Metapont fliehen musste,<br />
verzichtete er dort der Erzählung nach<br />
aus Enttäuschung auf Nahrungsaufnahme<br />
und verhungerte – und zwar nach genau<br />
40 Tagen.<br />
Die Mathematik als Hammer<br />
Nach diesem kurzen Ausflug in die Numerologie<br />
und die Mystik der Zahlen nun aber<br />
wieder zurück zur Mathematik und ihrem<br />
Versuch, Gott zu beweisen. An diesem Versuch<br />
arbeitete sich zuletzt einer der genialsten<br />
Mathematiker und Logiker des 20. Jahrhunderts<br />
ab: Kurt Gödel. Sicher dürfte er<br />
sich aber auch nicht gewesen sein, denn<br />
veröffentlicht wurde seine 1941 fertig gestell<br />
te Beweisführung erst 30 Jahre später –<br />
und erntete mehr Kritik als Zustimmung.<br />
Bruno Buchberger, Professor für Computer-<br />
Mathematik an der JKU Linz, glaubt auch<br />
zu wissen, warum: „Wenn man einen Hammer<br />
hat, ist man immer versucht, überall<br />
Nägel zum Hin einklopfen zu iden tifizieren.<br />
Die Mathematik ist wirklich ein großer<br />
Hammer, und es ist ein großes Vergnügen,<br />
ihn zu beherrschen oder gar seine Weiterentwicklung<br />
mitgestalten zu können. Gott –<br />
was immer das ist oder sein soll – ist aber<br />
kein Nagel, den man klopfen kann.“<br />
Ist dieser Versuch, in den geniale Geister<br />
aus vielen Jahrhunderten so viel Energie<br />
gesteckt haben, also von vornherein zum<br />
Scheitern verurteilt? Vielleicht hat ja<br />
der amerikanische Schriftsteller Richard<br />
Powers recht, wenn er meint: „Bei der<br />
56
[HERR]GOTT<br />
EINE KLEINE GESCHICHTE DER GOTTESBEWEISE<br />
Die Versuche, mithilfe der Vernunft die<br />
Existenz Gottes zu beweisen, reichen<br />
bis in die Antike zurück. Schon Cicero<br />
(106 — 43 v. Chr.) leitete aus seiner Beobachtung,<br />
dass es kein religionsloses<br />
Volk gebe, die Schlussfolgerung ab, dass<br />
die gemeinsame Gotteserfahrung aller<br />
Völker die reale Existenz des Göttlichen<br />
nahelege. Das war jedoch eher ein Plausibilitätsargument<br />
als eine Beweisführung.<br />
Einer der ersten philosophisch-wissenschaftlichen<br />
Versuche eines Gottesbeweises<br />
stammt vom Theologen und Philosophen<br />
Anselm von Canterbury (1033 —<br />
1109), der als Begründer des „ontologischen<br />
Gottesbeweises“ gilt. Dem liegt die<br />
Annahme von Gott als einem „Worüber<br />
hinaus nichts Größeres gedacht werden<br />
kann“ zugrunde. Anselm leitete die Existenz<br />
Gottes von der Existenz des Gottesbegriffs<br />
ab. Ein Ansatz, den etwas abgewandelt<br />
später auch René Descartes<br />
(1596 — 1650) vertrat. Der bekannteste<br />
neuzeitliche Vertreter des ontologischen<br />
Gottesbeweises ist Kurt Gödel (1906 —<br />
1978), der mit den Mitteln der Modal logik<br />
zum Schluss kam: „Ein göttliches Wesen<br />
existiert notwendigerweise.“ Grob vereinfacht<br />
ausgedrückt kam er zu dieser<br />
Erkenntnis, weil für ihn Gott alle positiven<br />
Eigenschaften in sich vereinen muss.<br />
Und weil es eine positive Eigenschaft<br />
ist, zu existieren, muss Gott existieren.<br />
Der größte Kritikpunkt daran ist, dass<br />
die Schlussfolgerungen zwar logisch<br />
nachvollziehbar, aber die Annahmen,<br />
auf denen sie basieren, umstritten sind.<br />
In eine andere Richtung ging der Philosoph<br />
und Theologe Thomas von Aquin<br />
(1225 — 1274), der in seiner „Summa theologica“<br />
versuchte, einen kosmologischen<br />
und teleologischen Gottesbeweis anzutreten.<br />
Er ging davon aus, dass alles im<br />
Universum eine Ursache außerhalb von<br />
sich selbst haben müsse, eine „causa<br />
prima“, von der alles ausgeht und die als<br />
ordnende Kraft agiert. Diese Kraft war für<br />
Thomas von Aquin Gott. Demnach waren<br />
für den später heiliggesprochenen Theologen<br />
Wissenschaft und Glaube auch<br />
nicht im Widerspruch, weil er in naturwissenschaftlichen<br />
Erkenntnissen eine<br />
Möglichkeit sah, das Göttliche der Schöpfung<br />
besser zu verstehen.<br />
All diesen Wegen, die Existenz Gottes zu<br />
beweisen, widersprach Immanuel Kant<br />
(1724 — 1804), für den das Ideal eines übergeordneten<br />
Wesens nur ein Instrument<br />
für den praktischen Gebrauch der Vernunft<br />
darstellte. Dennoch steuerte der<br />
Philosoph mit seiner Gegenrede zu ontologischem,<br />
kosmologischem und teleologischem<br />
Gottesbeweis eine vierte Kategorie<br />
bei: die moralische Gottesannahme.<br />
Denn bei aller Kritik hielt Kant fest: „Wir<br />
müssen eine moralische Weltursache<br />
(einen Welturheber) annehmen, um uns,<br />
gemäß dem moralischen Gesetze, einen<br />
Endzweck vorzusetzen.“<br />
Pragmatisch ging es der Mathematiker<br />
Blaise Pascal (1623 — 1662) an, der weniger<br />
einen Gottesbeweis antrat als eine<br />
Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellte. In<br />
seiner „Pascal’schen Wette“ genannten<br />
These meinte er, es sei besser, an Gott zu<br />
glauben, weil man nichts verliere, wenn er<br />
nicht existiere, aber auf der sicheren Seite<br />
sei, wenn es doch einen Gott gebe. Ein<br />
Kritik punkt daran: Menschen glauben an<br />
verschiedene Götter — und des einen Gottesfurcht<br />
ist des anderen Götzendienst.<br />
Wissenschaft geht es nicht um Kontrolle.<br />
Es geht darum, einen fortdauernden Zustand<br />
der Verwunderung zu kultivieren<br />
angesichts von etwas, das immer ein Stück<br />
reicher und subtiler ist als unsere letzte<br />
Theorie darüber. Es geht um Verehrung,<br />
nicht um Beherrschung.“<br />
BLAISE PASCAL<br />
war ein tiefgläubiger<br />
Mathematiker.<br />
Er nutzte als Erster<br />
die Entscheidungstheorie,<br />
um zu<br />
argumentieren:<br />
An Gott zu glauben<br />
ist sinnvoller,<br />
als es nicht zu tun.<br />
Glaube oder Gleichung?<br />
Mathematikprofessor Bruno Buchberger<br />
teilt vielleicht auch deshalb nicht die Ansicht<br />
des berühmten mittelalterlichen Theologen<br />
Thomas von Aquin, dass Logik und<br />
Mathematik dabei helfen könnten, den Plan<br />
Gottes besser zu verstehen: „Es gibt so ein<br />
großes Bedürfnis, die Wahrheit des Lebens<br />
mit mathematischer Sicherheit von irgendetwas<br />
Unbezweifelbarem ableiten zu können.<br />
Aber wenn man die innerste Wahrheit<br />
erfahren möchte, muss man Worte, Sätze,<br />
Schlüsse, Pläne – auch die Mathematik –<br />
loslassen, um vielleicht in der Wortlosigkeit,<br />
der Stille die Wahrheit zu erfahren.“<br />
Da ist wohl etwas dran. Denn man kann<br />
die Blütenblätter eines Gänseblümchens<br />
oder die Umlaufbahn der Planeten mit Zahlen<br />
erfassen. Ob der mathematische Werkzeugkoffer<br />
aber für die Beantwortung der<br />
ganz großen Frage ausreicht, die seit zweieinhalbtausend<br />
Jahren die Wissenschaft<br />
umtreibt, muss angesichts der bisherigen<br />
Resultate bezweifelt werden. Es ist wohl<br />
doch stimmiger, einfach daran zu glauben –<br />
oder nicht.<br />
57
58<br />
FOTO: CHRISTIAN ÖSER
SAKRAMENT<br />
WIE WIR GEMEINSAM DAS LEBEN FEIERN<br />
Sie dienen unserem Leben als Wegweiser und<br />
Orientierungspunkte: Rituale, die wir gemeinsam<br />
erleben und feiern. Vom Singen von Weihnachtsliedern<br />
am Christbaum bis zum Sakrament in der Kirche.<br />
Weihnachtswunder. Im Jahr 1691<br />
spricht sich in Steyr herum, dass eine<br />
wächserne Christusfigur heilende<br />
Kräfte besitzt: Eine Chorschwester<br />
kann wieder gehen, nachdem sie zu<br />
ihr gebetet hat, und auch den Kapellmeister<br />
befreit sie von seiner Epilepsie.<br />
Letzterer baut dem Christuskind einen<br />
Schrein im Wald nahe Steyr. An dieser<br />
Stelle steht heute die Wallfahrtskirche<br />
Christkindl, wo man die wundertätige<br />
Figur noch immer bestaunen kann —<br />
eingebettet in einen Strahlenkranz.<br />
59
SAKRAMENT<br />
WÜNSCH<br />
DIR WAS!<br />
In einigen Kirchen von Linz steht<br />
jeden Advent ein Wald voller<br />
Christbäume – geschmückt<br />
mit ganz persönlichen Herzens<br />
wünschen. Was würden Sie<br />
auf die Karten schreiben?<br />
WÜNSCHE, BUNT<br />
WIE DAS LEBEN.<br />
Im Advent findet man<br />
in einigen Linzer Kirchen<br />
ganz besondere Weihnachtsbäume:<br />
Sie kommen<br />
ohne Behang daher<br />
und warten darauf, mit<br />
Wünschen geschmückt<br />
zu werden. Die Wunschkarten<br />
lassen sich vor Ort<br />
ausfüllen, für den Mariendom<br />
auch online:<br />
www.adventamdom.at<br />
FOTO: GETTY IMAGES/ISTOCK<br />
60
SAKRAMENT<br />
Herzerwärmend.<br />
Hier eine Auswahl der<br />
Wunschkarten, die 2021<br />
den Christbaum im Mariendom<br />
zierten: Sie reicht<br />
von Frieden auf Erden über<br />
weiße Weihnachten bis<br />
zu einem „Kowala“-Bären.<br />
61
62<br />
SAKRAMENT
FOTOS: GETTY IMAGES/ISTOCK, MARIA NOISTERNIG, VOLKER WEIHBOLD<br />
ADVENT AM DOM:<br />
25. November bis<br />
23. Dezember,<br />
täglich außer montags<br />
von 11 Uhr bis 20 Uhr<br />
www.adventamdom.at<br />
SAKRAMENT<br />
AUSZEIT VOM TRUBEL<br />
Der Advent läuft oft wie im Zeitraffer<br />
an uns vorbei: Kaum hat man alle<br />
Geschenke gekauft, die letzten Projekte<br />
bei der Arbeit erledigt und den Skiurlaub<br />
geplant, ist er schon wieder vorbei.<br />
Da wäre es doch toll, wenn man die Zeit<br />
zumindest für ein paar Stunden langsamer<br />
laufen lassen könnte, um innezuhalten<br />
und den Advent zu genießen.<br />
Genau das ist die Idee hinter dem<br />
Adventmarkt am Dom platz unter dem<br />
Motto „der stillere Advent“. Eine Zeitmaschine<br />
hat das Organisationsteam<br />
zwar nicht erfunden – dafür tut man<br />
sonst alles, damit Besucherinnen und<br />
Besucher etwas Ruhe finden und sich<br />
auf die Kernbotschaft der Vorweihnachtszeit,<br />
die Erwartung der Geburt Jesu,<br />
besinnen können: Auf Dauer beschallung<br />
wird verzichtet, ausgestellt wird regionales<br />
Kunsthandwerk, und mit VR-Brillen<br />
kann man die Welt der restaurierten<br />
Osterrieder-Krippe entdecken.<br />
Krippe, Karussell, Krapfen.<br />
In der Krippe des Mariendoms kann<br />
man mithilfe von VR-Brillen regelrecht<br />
in die Weihnachts geschichte eintauchen.<br />
Kinder haben beim Karussell<br />
ihren Spaß — und Bauernkrapfen mit<br />
Marmelade liefern die nötige Energie.<br />
63
SAKRAMENT<br />
WENN DIE FLAMME DES LEBENS ERLISCHT<br />
Brigitte Krautgartner verlor ihren Partner an das, wie sie<br />
sagt, Krebsmonster. Ein Schicksal, das sie mit vielen teilt.<br />
Wenn auch Sie vor kurzem einen lieben Menschen verloren<br />
haben oder gerade Abschied nehmen müssen — Sie sind<br />
nicht allein. Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren, wenn Sie<br />
Unterstützung brauchen oder einfach reden wollen:<br />
www.dioezese-linz.at/trauerhilfe<br />
FOTO: UNSPLASH.COM<br />
64
SAKRAMENT<br />
GRÜNE AUEN<br />
IM FINSTEREN TAL<br />
Manche Wege kann man nur Schritt für Schritt gehen.<br />
Das gilt auch für den schmerzhaften Weg<br />
des Abschieds von einem geliebten Menschen.<br />
TEXT: BRIGITTE KRAUTGARTNER<br />
I<br />
ch habe es für mich auf diese Formel gebracht: Trauer ist der Preis, den wir dafür bezahlen,<br />
lieben zu können. Denn der Abschied von einem geliebten Menschen, der unausweichlich<br />
ins Haus steht, tut unsagbar weh. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass<br />
dieser Abschied nicht erst mit dem letzten Atemzug oder am Grab beginnt. Dieser Abschied<br />
ist ein Prozess, der aus vielen kleinen Schritten, vielen kleinen und großen Erfahrungen des<br />
Loslassenmüssens besteht. Aber wie jeder Prozess ist auch ein Abschiedsprozess gestaltbar<br />
und kann mehr oder weniger schmerzhaft verlaufen. Am Ende ist man immer klüger: Hätte<br />
ich doch, hätte ich doch nicht, sagt man sich danach. Ich möchte das, was ich aus meinem<br />
Abschiedsprozess gelernt und mitgenommen habe, mit Ihnen teilen. Vielleicht ist ja etwas<br />
dabei, was Sie für Ihr Leben mitnehmen können.<br />
Fast genau fünf Jahre ist es her. Im Spätsommer 2017 hat es begonnen. Zunächst die Arzttermine.<br />
Anfangs in größeren Intervallen, in der Folge immer häufiger. Dann, ein paar<br />
Wochen später, die endgültige Diagnose. Erhalten an einem sonnigen Freitag. Ganz lapidar:<br />
„Der Arzt sagt, die Schmerzen im Bein sind von den Knochenmetastasen. Er hat heute den<br />
histologischen Befund bekommen.“ Ganz ausdruckslos formulierte mein Partner die beiden<br />
Sätze. Über zwanzig Jahre lang hatte da unsere Beziehung schon gedauert. Mit Aufs und Abs,<br />
und doch getragen von dem Gefühl: Wir gehören zusammen.<br />
Seit dieser Mitteilung war in unserem, in meinem Leben nichts mehr so wie zuvor. Und ich<br />
wusste: Es würde auch nicht mehr so werden. Denn es war ebenfalls klar: Der Tumor war sehr<br />
aggressiv, eine Heilung mehr als unwahrscheinlich. Zu groß war die Geschwulst schon, und<br />
sie hatte gestreut, aller Voraussicht nach nicht nur in den Knochen. Weitere Unter suchungen,<br />
ein regelrechter Fahrplan wurde in der Folge erstellt. Unsere Urlaubsreise nach Kroatien traten<br />
wir wie geplant an. In den guten Momenten (die es durchaus gab) gelang es uns, das Bevorstehende<br />
auszublenden. Sonne, Meer und alles, was dazugehörte, zu genießen. Wir waren<br />
immer so gern verreist …<br />
65
SAKRAMENT<br />
»Ich will nichts beschönigen. Es gibt die ganz dunklen<br />
Zeiten. Wut, Angst, Schmerz, Hoffnungs losigkeit.<br />
Da gibt es nichts anderes, als durch sie hindurchzugehen<br />
wie durch eine Landschaft.«<br />
Brigitte Krautgartner<br />
Das war die eine Seite. Das Bestreben, das Leben gut weiterzuführen. Die andere Seite<br />
bestand darin, sofort auf die Veränderungen zu reagieren. Vom ersten Augenblick an war<br />
mir klar: Du musst dir Hilfe suchen. Jetzt. Sofort. Bei so vielen Anlauf stellen wie möglich.<br />
Ich wusste das aufgrund meiner Erfahrung, denn ich hatte schon einmal mit einer krebskranken<br />
Person gelebt. Bei meiner Mutter war Magenkrebs festgestellt worden, da war ich 17.<br />
Ein Jahr später, in der Zeit zwischen meiner schriftlichen und mündlichen Matura, war sie<br />
daran gestorben. Ich hatte sie so geliebt und ihr doch nicht helfen können. Diese zwölf Monate<br />
– so hilflos, so ausgeliefert, mit all den intensiven Ge fühlen – habe ich als die schwerste<br />
Zeit in meinem Leben in Erinnerung.<br />
Jetzt war es also wieder in meinem Leben, das Krebsmonster. Aber diesmal, das wusste ich,<br />
würde ich ihm anders gegenüberstehen. Ich würde ihm nicht mehr opfern, als unbedingt<br />
notwendig war. Schnell bekam ich einen Termin in der Krebshilfe, wo ich ab diesem Zeitpunkt<br />
vierzehntäglich (in Krisenzeiten auch öfter) psychologische Begleitung bekam. Auch in<br />
sozialrechtlicher und medizinischer Hinsicht gab es Beratung. Zu diesen Terminen gingen wir<br />
gemeinsam. Mit der Psychologin sprach ich allein. Sie half mir, meine Gefühle zu sortieren:<br />
die Trauer, die Angst, die Wut, die quälenden Fragen. Sie half mir, keine Negativszenarien zu<br />
zeichnen, sondern die anstehenden Anforderungen Schritt für Schritt in Angriff zu nehmen.<br />
Was nützt es, sich vor etwas zu fürchten (etwa vor Gehirnmetastasen, die den Partner geistig<br />
total verändern), was möglicherweise überhaupt nicht eintritt? Vorbereitungen: ja – Angstspirale:<br />
nein. So lautete die Devise. Ich weiß, dazwischen liegt oft nur ein schmaler Grat.<br />
Mich darauf so sicher wie möglich zu bewegen, dabei half mir meine Psychologin. Und in<br />
noch einer Hinsicht war sie mir eine unsagbar wertvolle Unterstützung. Nämlich wenn es<br />
darum ging, meine eigenen Kraftquellen zu erkennen. Diese können sehr unterschiedlich<br />
sein: die Freude an der Bewegung oder am kreativen Gestalten, ein Garten, Freundeskreis<br />
und Familie, Spiritualität und vieles mehr. Es ging darum zu erkennen, was mir besonders<br />
guttat – und das dann ganz bewusst in meinen Alltag einzubauen. Natürlich gilt es, im Zusammenleben<br />
mit einer erkrankten Person Abstriche zu machen, Ressourcen zu schaffen. Ich<br />
habe damals gelernt, dass es für mich besser ist, die Fenster ungeputzt zu lassen, den Rasen<br />
seltener zu mähen, im Beruf ein wenig kürzerzutreten. So konnte ich Kapazitäten schaffen,<br />
ohne auf die freudigen und erfüllenden Momente zu verzichten.<br />
Ich lernte, den Wert des Genießens intensiver zu schätzen. Gemeinsam (ein gutes Essen,<br />
einen unterhaltsamen Film, eine Reise – das war eine Zeit lang noch möglich) oder allein –<br />
beides war wichtig. Eine weitere, ganz wichtige Unterstützung war das mobile Hospiz-Team<br />
der Caritas. Immer wenn Not an Mann war, haben sie uns begleitet. Sachkundig, empathisch,<br />
patent. Und kostenlos, einmal ohne nach der Sozialversicherungsnummer, nach dem Religionsbekenntnis<br />
oder sonst etwas in der Art zu fragen. Ausschlaggebend war, wie es uns ging.<br />
Ihm mit seiner Krankheit, seinen Schmerzen, seinen Fragen. Mir als Begleitende. Themen wie<br />
66
SAKRAMENT<br />
Schmerzmedikation und Patientenverfügung wurden ebenso angesprochen wie Zukunftsängste<br />
und das Hadern mit der aktuellen Situation. Die Krankheit wurde wirklich als ganzheitliches<br />
Geschehen mit all ihren verschiedenen Facetten in den Blick genommen.<br />
Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, am Arbeitsplatz offen über die Krebserkrankung<br />
zu sprechen. Es wäre ja ohnehin aufgefallen, dass ich „irgendwie komisch“ wirke, vielleicht<br />
hätten sich Gerüchte entwickelt. So wussten alle, was los war. Ich konnte sagen, wann ich<br />
Schonung brauchte, wo ich mich überfordert fühlte – aber auch, welches Projekt ich unbedingt<br />
umsetzen wollte. Weil es mir Freude machte und weil die Freude an der Arbeit in dieser<br />
Zeit eine wichtige Quelle für positive Gefühle war. Und ich habe auch gelernt, in meinem<br />
größeren Umfeld meine Bedürfnisse zu äußern. So habe ich etwa in der WhatsApp-Gruppe<br />
unseres Chors gefragt, ob jemand mein kaputtes Fahrrad reparieren könnte. Chor, Kollegen,<br />
Freundes- und Bekanntenkreis waren mir eine unglaubliche Unterstützung. Wenn ich rechtzeitig<br />
um Hilfe gebeten habe (sofern sich das vorher abschätzen ließ), verschiedene Leute<br />
gefragt habe (sachlich und freundlich, ohne sie zu bedrängen), dann hat so gut wie immer<br />
jemand Ja gesagt. Wenn das in Ausnahmefällen doch nicht der Fall war, war es wichtig, den<br />
Personen gegenüber nicht verbittert zu sein (schließlich haben alle viel zu tun). Manches<br />
konnte ich dann doch allein bewältigen, manches verschieben.<br />
Ich will nichts beschönigen. Ja, es gibt sie, die ganz dunklen Zeiten. Wut, Angst, Schmerz,<br />
Hoffnungslosigkeit. Da gibt es nichts anderes, als durch sie hindurchzugehen wie durch eine<br />
Landschaft. Der Psalm 23 („Der Herr ist mein Hirte“) fällt mir dazu ein, der genau diese<br />
Erfahrung beschreibt: „Auch wenn ich gehe im finsteren Tal, ich fürchte kein Unheil; denn<br />
du bist bei mir, dein Stock und dein Stab, sie trösten mich.“ Und manchmal ist da tatsächlich<br />
nichts als Dunkelheit. Jeder Schritt, der dennoch gesetzt wird, ein wunderbarer Sieg. Manchmal<br />
gelingt es, Vertrauen zu haben. Dass es auch die grünen Auen gibt, den Ruheplatz am<br />
Wasser. Die Erinnerung an frühere Krisen, die man bewältigt hat, kann da helfen. Ab einem<br />
bestimmten Alter hat jeder und jede von uns die Erfahrung gemacht, dass eine Situation ausweglos<br />
erschienen ist. Aber auch, dass man sie durchlebt und (wenn auch mit Narben) später<br />
wieder Zeiten des Glücks erlebt hat. Wer gläubig ist, mag sein Vertrauen darauf richten, dass<br />
Gott die Richtung kennt und eine gute Zukunft eröffnen wird – wie immer die dann konkret<br />
aussehen mag.<br />
Ich habe für den Begräbnisgottesdienst zwei besondere Bibelstellen für die Lesung ausgesucht:<br />
das Ende des Buchs Hiob und das Ende der Apokalypse. Beide Texte beschreiben, wie<br />
nach größter Bedrängnis das Leben wieder gut wird. Sie eröffnen eine Perspektive. Sie sind<br />
für mich so etwas wie ein Lockruf der Zukunft: Komm weiter, geh hindurch, durch das dunkle<br />
Tal. Auch wenn es phasenweise nur langsam geht – setz einen Fuß vor den anderen.<br />
FOTOS: HEINZ KILIAN, PR<br />
VON ABSCHIED UND NEUBEGINN<br />
Brigitte Krautgartner, 56, gestaltet und moderiert als ORF-Religionsjournalistin<br />
Sendungen für Radio Ö1. In ihrem Buch „Hinter den Wolken<br />
ist es hell“ beschreibt die gebürtige Oberösterreicherin das schrittweise<br />
Abschiednehmen von ihrem Partner. Weiters berichtet sie, wo und wie<br />
sie dabei Unterstützung fand und wie ihr danach ein Neuanfang gelang.<br />
Brigitte Krautgartner: „Hinter den Wolken ist es hell“,<br />
Tyrolia Verlag, 168 Seiten, € 19,95<br />
67
SAKRAMENT<br />
AM SIEBTEN TAG<br />
Sieben Fragen zum Leben an Verena Altenberger –<br />
über verschlafene Sonntage, gesunden Egoismus<br />
und das Glück, das innere Gleichgewicht zu finden.<br />
INTERVIEW: SABRINA LUTTENBERGER<br />
FOTOS: GREGOR KUNTSCHER<br />
1<br />
Im „Jedermann“, wo<br />
Sie als Buhlschaft zu<br />
sehen waren, findet die<br />
Hauptfigur gerade noch<br />
rechtzeitig zum Glauben<br />
zurück, ehe sie vor Gott<br />
tritt. Könnte Ihnen das<br />
auch passieren?<br />
Ich bin zwar nicht gläubig, bin<br />
aber auch keine Atheistin. Ich<br />
bin einfach offen und schau,<br />
wohin die Reise geht. Was<br />
ich vom christlichen Glauben<br />
allerdings umzusetzen versuche,<br />
ist, ein gutes Leben zu<br />
führen. Liebe dich selbst und<br />
liebe deinen Nächsten. Meine<br />
Kritik am Jedermann ist übrigens<br />
genau das: Er kommt<br />
in den Himmel, weil er in der<br />
Stunde des Todes sagt: „Oh,<br />
tut mir leid, das bereue ich<br />
wirklich, und jetzt glaube ich<br />
an Gott.“ Man sollte schon<br />
eher versuchen, davor kein<br />
schlechter Mensch zu sein.<br />
2<br />
Kein schlechter<br />
Mensch zu sein –<br />
wie gelingt das?<br />
Wir müssen für uns individuell,<br />
aber auch als Gesellschaft<br />
eine Balance zwischen Altruismus<br />
und Egoismus finden.<br />
Es ist absolut berechtigt zu<br />
sagen, ich strebe nach persönlichem<br />
Glück. Die Frage dabei<br />
ist nur: Wie viel Leid nehme<br />
ich für mein Glück in Kauf?<br />
Ohne hier Werbung machen<br />
zu wollen, aber genau darum<br />
geht es in meinem Film<br />
»Ich würde es nicht<br />
aushalten, die vielen<br />
Privilegien zu haben,<br />
die mein Beruf mit<br />
sich bringt, aber<br />
nichts zurückzugeben.<br />
Das fände ich unmoralisch.«<br />
Verena Altenberger<br />
„Märzengrund“. Der reichste<br />
Bauernsohn aus dem Zillertal<br />
soll sein Erbe antreten, geht<br />
aber stattdessen auf den Berg<br />
und bleibt dort 40 Jahre.<br />
Er lässt seine Geliebte – also<br />
mich –, seine Familie, alles<br />
zurück. Ich finde, das ist ein<br />
zu großer Anteil an Egoismus.<br />
3<br />
Sie hingegen<br />
engagieren sich für<br />
mehrere soziale Organisationen.<br />
Woher kommt<br />
dieser Wunsch, etwas<br />
verändern zu wollen?<br />
Aus meinem Elternhaus, wo<br />
soziales Engagement und politisches<br />
Interesse immer präsent<br />
waren. Das Tolle daran,<br />
dass ich Schauspielerin bin,<br />
ist, dass ich jetzt eine Bühne<br />
dafür bekomme. Ich würde es<br />
nicht aushalten, die vielen<br />
Privilegien zu haben, die mein<br />
Beruf mit sich bringt, aber<br />
68
VERENA ALTENBERGER,<br />
34, kennt man aus Film<br />
und Fernsehen. Sie spielte<br />
unter anderem in den<br />
Serien „CopStories“ und<br />
„ Polizeiruf 110“. In den<br />
Jahren 2021 und <strong>2022</strong><br />
übernahm die gebürtige<br />
Salzburgerin bei den Salzburger<br />
Festspielen die<br />
Titelrolle der Buhlschaft<br />
im „Jedermann“ — einer<br />
ihrer größten Erfolge.<br />
69
SAKRAMENT<br />
Daheim. Der Katholizismus löse in ihr immer noch Heimatgefühle aus,<br />
sagt Verena Altenberger. Genau wie ihre Geburtsstadt Salzburg.<br />
nichts zurückzugeben. Ich<br />
fände das unmoralisch. Es ist<br />
oft aber gar nicht so einfach,<br />
Grenzen zu ziehen. Anders<br />
geht es nicht, sonst hätte ich<br />
Sozialarbeiterin werden müssen.<br />
Da kommt dann aber<br />
mein Egoismus ins Spiel, der<br />
sagt: Ich will Schauspielerin<br />
sein! Womit wir wieder bei<br />
der Balance wären.<br />
4<br />
Was ist Ihnen<br />
heilig?<br />
Die Schauspielerei! Ich wollte<br />
schon immer Schauspielerin<br />
werden. Dieser Beruf ist so<br />
sehr, womit ich mich identifiziere<br />
und was ich mir vom Leben<br />
wünsche. Keine Chance,<br />
es mir anders zu denken. Natürlich<br />
hätte es nicht klappen<br />
können. Es war auch ein<br />
schwieriger Weg bis hierher.<br />
Umso dankbarer bin ich dafür,<br />
dass es funktioniert hat. Ich<br />
bin generell ein dankbarer<br />
Mensch – manchmal frage ich<br />
mich, ob das die katholische<br />
Sozialisierung ist, die durchschlägt<br />
und sagt: Wenn du<br />
nicht dankbar bist, dann hat<br />
es bald ein Ende.<br />
5<br />
Was ist Ihnen von<br />
Ihrem katholischen<br />
Hintergrund noch<br />
geblieben?<br />
Was ich an Katholiken sehr<br />
schätze, ist die Liebe zur Inszenierung.<br />
Katholische Messen<br />
sind wahnsinnig faszinierend.<br />
Bei anderen Regeln tu<br />
ich mir schwer. Meine Oma<br />
ist vor kurzem gestorben. Wir,<br />
meine Familie und ich, haben<br />
bei der Verabschiedung nichts<br />
Schwarzes getragen – einfach,<br />
weil wir an dem Tag andere<br />
Kleidung angezogen haben.<br />
Für mich ist es schön, dass wir<br />
uns diese Freiheit, uns auf unsere<br />
Weise zu verabschieden,<br />
genommen haben – natürlich<br />
in dem Wissen, dass meine<br />
Oma das so gewollt hätte.<br />
6<br />
Was bedeutet Glück<br />
für Sie?<br />
Ein Drehtag, der richtig fordernd<br />
war. Mit einer ganz<br />
schwierigen Szene oder einem<br />
schwierigen Stunt. Alles hat<br />
gut funktioniert. Die Euphorie<br />
danach, in der ich mit Kolleginnen<br />
und Kollegen etwas<br />
trinken gehe. Um mein Glück<br />
zu perfektionieren, ist noch<br />
jemand aus meiner Familie<br />
oder eine meiner Freundinnen<br />
dabei.<br />
7<br />
Hat der Sonntag<br />
für Sie eine<br />
besondere Bedeutung?<br />
Dadurch, dass ich selten freie<br />
Tage habe, eher nicht. Vorletztes<br />
Jahr habe ich zum Beispiel<br />
sieben Monate durchgearbeitet.<br />
Da kommt natürlich die<br />
Regeneration zu kurz. Insofern<br />
gibt’s nur eine Sache, die<br />
wirklich wichtig ist, wenn ich<br />
nicht arbeite: einfach so viel<br />
wie möglich zu schlafen.<br />
70
Work-Life-Balance.<br />
Verena Altenberger ist<br />
neben der Schauspie lerei<br />
auch für ihr soziales<br />
Engagement bekannt.<br />
71
POST<br />
AUS DEM BRIEFKASTEN<br />
Lob motiviert uns, Kritik lässt uns nachdenken, und Anregungen<br />
inspirieren uns für kommende Ausgaben. Wir sagen: Vergelt’s Gott!<br />
Ob man will oder nicht — man<br />
muss einfach reinschauen,<br />
wenn dieses Magazin so vor<br />
einem liegt. So zündend und<br />
die Neugier weckend ist schon<br />
die Covergestaltung. Kaum hat<br />
man hineingeblättert, verliert<br />
man sich schon in der interessanten<br />
und informativen<br />
Vielfalt der Themen, die spürbar<br />
mit viel Liebe aufbereitet<br />
werden. Man spürt das in den<br />
Texten, der grafischen Aufbereitung<br />
und der Auswahl der<br />
Bilder. Da passt einfach alles.<br />
Ein Layout vom Feinsten, das<br />
auch jene zum Reinschauen<br />
verführt, die eher nicht zur Zielgruppe<br />
gehören. Gratulation!<br />
Kurt Vogel, Pasching<br />
Eine Rückmeldung zum Artikel<br />
„Die heilige Messe“: Es gibt<br />
immer mehr ausgebildete<br />
WortgottesfeierleiterInnen,<br />
die viel Zeit in die Vorbereitung<br />
und Leitung der Gottesdienste<br />
investieren. Es wäre wichtig,<br />
dass dies auch in einem Magazin<br />
wie diesem einen Platz<br />
bekommt.<br />
Eva-Maria Hinterplattner,<br />
Ternberg<br />
Danke für die schönen Gedanken<br />
in „Ein Schutzengel soll es<br />
sein“. Auch ich verlasse mich<br />
oft auf die Führung durch meinen<br />
Schutzengel, habe diese<br />
Gewissheit meinen Kindern<br />
vermittelt, und nun bete ich<br />
mit meinen Enkelkindern zum<br />
Schutzengel. Meinen eigenen,<br />
mir so vertrauten Schutzengel<br />
bitte ich im Anschluss jedes<br />
Mal eindringlich, auch noch<br />
auf diese kleinen Geschöpfe<br />
zu achten, bei mir fällt ja nicht<br />
mehr so viel an.<br />
Monika Krautgartner,<br />
Tumeltsham<br />
Eine gesunde Portion Konservatismus<br />
BRAUCHT der<br />
Mensch, Modernität und Lifestyle<br />
HAT der Mensch. Das ist<br />
im 21. Jahrhundert nun einmal<br />
so. Das bekannte und wichtige<br />
„goldene Mittelmaß“ von<br />
Glaube und Lifestyle verliert<br />
sich immer mehr und mehr<br />
in Richtung luxuriöser Modernität<br />
und oberflächlichen Geltungsbedürfnisses.<br />
Ihr habt<br />
aber beide „Schwergewichte“,<br />
nämlich den Glauben und den<br />
Lifestyle, mit größtem Respekt<br />
behandelt und jedem von<br />
beiden genügend Platz in eurer<br />
Zeitschrift eingeräumt. In<br />
solch einer Art und Weise, wie<br />
ihr das gemacht habt, hab ich<br />
das eigentlich noch nie wo gesehen<br />
oder gelesen. Für mich<br />
ist diese Zeitung ein echt guter<br />
Leitfaden für die Zukunft.<br />
Sigrid Schimpl,<br />
Leopoldschlag<br />
Im Beitrag „Von Böse und Gut“<br />
erwähnt Bischof Scheuer einen<br />
Brief an den Papst, „dass neben<br />
den zölibatären Priestern auch<br />
verheiratete Männer zu Priestern<br />
geweiht werden sollen<br />
und Frauen zu Diakoninnen<br />
geweiht werden können“.<br />
WO BLEIBT DIE VOLLE<br />
GLEICHBERECHTIGUNG? Wie<br />
lange noch werden — sollen —<br />
sich die Frauen diese Diskriminierung<br />
gefallen lassen?<br />
Johann Achleitner, Wels<br />
Der Artikel von Clemens<br />
Sedmak hat mich sehr angesprochen,<br />
und ich habe<br />
recherchiert und bin auf Franz<br />
von Assisi gestoßen. Dieser<br />
schreibt: „Alle Geschöpfe<br />
der Erde fühlen wie wir, alle<br />
Geschöpfe streben nach<br />
Glück wie wir. Alle Geschöpfe<br />
der Erde lieben, leiden und<br />
sterben wie wir, also sind sie<br />
uns gleichgestellte Werke des<br />
allmächtigen Schöpfers —<br />
unsere Brüder.“ Das heißt für<br />
mich, dass, wenn wir eine<br />
Seele haben, logischerweise<br />
auch die Tiere eine haben. Ich<br />
bin Christin und esse schon<br />
viele Jahre keine Tiere mehr,<br />
meine letzte Fleischspeise<br />
war ein Meerschweinchen in<br />
Peru. Doch leider ist in den<br />
christlichen Kreisen, in denen<br />
ich verkehre, null Verständnis<br />
für eine vegetarische/vegane<br />
Ernährungsweise vorhanden<br />
oder zumindest für eine Reduktion<br />
des Fleischkonsums<br />
(Rückbesinnung auf den<br />
Sonntagsbraten).<br />
Pia Knogler, Hartkirchen<br />
Das aktuelle „Grüß Gott!“ ist<br />
vor wenigen Wochen eingelangt.<br />
Es liegt seither bei mir<br />
auf dem Tisch; und obwohl ich<br />
es bereits nach Erhalt von vorn<br />
bis hinten durchgelesen habe,<br />
was ich bei einer Zeitschrift<br />
noch nie geschafft hatte, lasse<br />
ich es noch liegen, einfach<br />
deshalb, weil ich es in Inhalt<br />
und Aufmachung ge lungen<br />
finde. Und so nehme ich diese<br />
Zeitschrift gelegentlich nochmals<br />
in die Hand und lese darin<br />
manches ein zweites Mal.<br />
Gratulation zu diesem wunderbaren<br />
Magazin.<br />
Wolfgang Ortner, Wels<br />
Möchten Sie uns auch eine Rückmeldung geben? Bitte per E-Mail an: gruessgott@dioezese-linz.at<br />
Eine Auswahl Ihrer Rückmeldungen finden Sie in Auszügen beziehungsweise,<br />
sofern es der Platz erlaubt, zur Gänze in einer der nächsten Ausgaben.<br />
72
HADERER<br />
ILLUSTRATIONEN: GETTY IMAGES/ISTOCK, GERHARD HADERER<br />
73
VERANSTALTUNGEN<br />
Aktuelle Termine finden Sie auf www.dioezese-linz.at/termine<br />
KULTURELLES & SPIRITUELLES<br />
Krippen bestaunen und die Geheimnisse des Tassilokelchs entschlüsseln –<br />
unsere Veranstaltungs- und Ausflugstipps für Linz und Umgebung.<br />
ACHTUNG: VERANSTALTUNGEN KÖNNEN WEGEN COVID-MASSNAHMEN KURZFRISTIG ABGESAGT WERDEN.<br />
25. 11. <strong>2022</strong> bis 6. 1. 2023<br />
KRIPPERLSCHAUN BEIM CHRISTKIND DAHEIM<br />
Im Steyrer Stadtteil Christkindl<br />
ist nicht nur das Christkind<br />
daheim, im Pfarrhof der Wallfahrtskirche<br />
warten auch zwei<br />
echte Krippenrari täten: Die<br />
mechanische Krippe von Karl<br />
Klauda zeigt knapp 300 aus<br />
1./2. 11. <strong>2022</strong><br />
ALLERHEILIGEN UND ALLERSEELEN<br />
In den ersten Tagen des<br />
Novembers feiern wir zwei<br />
Feste des Gedenkens: Zu Allerheiligen,<br />
dem Fest des offenen<br />
Himmels, erinnern wir uns<br />
aller Heiligen und Seligen, die<br />
uns heute Vorbilder sind. Tags<br />
darauf widmen wir unsere<br />
Lindenholz geschnitzte Figuren,<br />
die sich auf vier Ebenen<br />
durch die biblische Landschaft<br />
bewegen. Darunter auch das<br />
Jesuskind höchstselbst, das<br />
sich in der Krippe aufsetzt, den<br />
Segen gibt und sich dann wieder<br />
hinbettet. Die Pöttmesser-<br />
Krippe trumpft wiederum mit<br />
über 770 geschnitzten Figuren<br />
auf und zählt mit einer Fläche<br />
von 58 Quadratmetern zu den<br />
größten Krippen der Welt.<br />
Übrigens: Im Postamt nebenan<br />
können Briefe direkt ans<br />
Christkind verschickt werden.<br />
www.steyr-nationalpark.at/<br />
advent<br />
Gedanken allen Verstorbenen.<br />
Traditionell besuchen wir die<br />
Gräber von Angehörigen und<br />
zünden Kerzen zum Gedenken<br />
an. Informationen zu Gottesdiensten<br />
finden Sie unter:<br />
www.dioezese-linz.at/<br />
allerheiligen<br />
1. 12., 19 Uhr, und 11. 12. <strong>2022</strong>, 11 Uhr<br />
DEN TASSILOKELCH IN NEUEM LICHT BESTAUNEN<br />
Im Stift Kremsmünster findet<br />
sich eines der kostbarsten<br />
liturgischen Gefäße des frühen<br />
Mittelalters: ein reich verzierter<br />
Abendmahlkelch, der nach<br />
seinem Stifter Tassilo III. benannt<br />
wurde. Herkunft, Funktion,<br />
Bildschmuck und Bedeutung<br />
des Kelchs blieben über<br />
Mit ihrem bodenständigen<br />
Dialektpop begeistern die<br />
„Poxrucker Sisters“ seit Jahren<br />
ihre Fans. Mit der „Herzklopfn<br />
unplugged“-Konzertreihe<br />
schlagen sie zur Adventzeit<br />
etwas ruhigere Töne an. Ausgerüstet<br />
mit Gitarre, Cajón und<br />
Geige, werden sie in der Autobahnkirche<br />
Haid die Liebe und<br />
das Leben besingen.<br />
www.poxruckersisters.at<br />
Jahrhunderte hinweg rät selhaft.<br />
In einem fünf jährigen<br />
Forschungsprojekt wurden<br />
aber viele der offenen Fragen<br />
geklärt. Die Resultate werden<br />
im „Deep Space LIVE“ des<br />
Ars Electronica in hoch aufgelösten<br />
Bildern präsentiert.<br />
www.ars.electronica.art<br />
4. 12. <strong>2022</strong>, 16 Uhr<br />
DREI SCHWESTERN BESCHEREN HERZKLOPFN<br />
FOTOS: WIKIMEDIA, ARS ELECTRONICA, ZOE GOLDSTEIN, GETTY IMAGES/ISTOCK<br />
74
Die nächste Ausgabe erscheint Mitte März 2023.<br />
FOTO: UNSPLASH.COM<br />
IMPRESSUM<br />
HERAUSGEBER: Wilhelm Vieböck,<br />
Diözese Linz, Herrenstraße 19,<br />
4021 Linz, E-Mail: gruessgott@<br />
dioezese-linz.at, Tel.: 0732 / 76 10-1170<br />
PROJEKTGESAMTLEITUNG<br />
DIÖZESE LINZ: Michael Kraml,<br />
Kommunikationsbüro Diözese Linz<br />
PROJEKTKOORDINATION: Barbara<br />
Eckerstorfer, Christine Grüll, Ursula<br />
Schmidinger MEDIENINHABERIN:<br />
Diözese Linz, Herrenstraße 19,<br />
Postfach 251, 4021 Linz, vertreten<br />
durch Dr. Manfred Scheuer,<br />
Diözesanbischof, ATU59278089<br />
HERSTELLER: Red Bull Media House<br />
GmbH VERLAGSORT: Red Bull<br />
Media House Publishing, 1020 Wien<br />
HERSTELLUNGS ORT: Druckerei<br />
Berger, Ferdinand Berger & Söhne<br />
Ges.m.b.H., 3580 Horn<br />
CHEF REDAKTION: Raffael Fritz<br />
CHEFIN VOM DIENST: Eva Pech<br />
ART DIRECTOR: Silvia Druml-Shams<br />
FOTOREDAKTION: Matti Wulfes (Ltg.),<br />
Hannah Husar REDAKTION:<br />
Alexander Klein ILLUSTRATION:<br />
Anita Brunn auer (studio nita.),<br />
Gerhard Haderer, Silvia Druml-Shams<br />
TEXTE: Waltraud Hable, Martina<br />
Gelsinger, Wolfgang M. Gran, Brigitte<br />
Kraut gartner, Sabrina Lutten berger,<br />
Nikolaus Nussbaumer FOTOS:<br />
Gregor Kuntscher, Robert Maybach<br />
ANZEIGENLEITUNG: Wolfgang Kröll<br />
PRODUKTION: Martin Brandhofer<br />
(Ltg.), Walter O. Sádaba, Sabine Wessig<br />
LEKTORAT: Hans Fleißner (Ltg.),<br />
Petra Hannert, Monika Hasleder, Billy<br />
Kirnbauer-Walek, Belinda Mautner,<br />
Vera Pink LITHOGRAFIE: Clemens<br />
Ragotzky (Ltg.), Claudia Heis, Nenad<br />
Isailovic, Sandra Maiko Krutz, Josef<br />
Mühl bacher EXECUTIVE CREATIVE<br />
DIRECTOR: Markus Kietreiber HEAD<br />
OF CO-PUBLISHING: Susanne Degn-<br />
Pfleger HERSTELLUNG: Veronika<br />
Felder ASSISTENZ DER GESCHÄFTS<br />
FÜHRUNG: Sandra Artacker<br />
GESCHÄFTS FÜHRER RED BULL<br />
MEDIA HOUSE PUBLISHING:<br />
Andreas Kornhofer, Stefan Ebner<br />
Lösung des Kirchenrätsels auf Seite 11:<br />
Es handelt sich um den Kalvarienberg in Haibach ob der Donau.<br />
TROST FINDEN,<br />
KIRCHENZEITUNG<br />
LESEN.<br />
Jetzt Gratis-Abo bestellen! Print + Digital.<br />
Telefon: 0732 76 10-39 69 (Mo.-Fr. 8-12 Uhr)<br />
Online: www.kirchenzeitung.at/gratisabo<br />
E-Mail: abo@kirchenzeitung.at
Anders, weil:<br />
Nur wer an das Gute glaubt,<br />
kann selbst immer besser werden.<br />
In diesen komplexen Zeiten werden Werte wie<br />
Zusammenhalt und Menschlichkeit wieder viel wichtiger.<br />
Nur gemeinsam können wir Dinge zum Besseren wenden.<br />
Sprechen Sie mit uns, was wir für Sie Gutes tun können.<br />
Wir freuen uns schon darauf.