Women in Architecture Berlin
ISBN 978-3-86859-763-9
ISBN 978-3-86859-763-9
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WOMEN IN
ARCHI
TECTURE
BERLIN
FACETTEN WEIBLICHER
BAUKULTUR
SPRACHE VERÄNDERT SICH
Ging man früher zum Bäcker oder sprach man von Studenten
(es gab auch überwiegend nur männliche), geht Frau (und
man) heute lieber zur Bäckerei und spricht von Studierenden.
Analog zu den damaligen Verhältnissen etablierte sich einst
das generische Maskulin als Konvention und rechtfertigt sich
heutzutage am liebsten über das oft zitierte Mitmeinen des
anderen Geschlechts.
Was aber vor 50 Jahren noch die Gesellschaft (mehr oder
weniger) widerspiegelte und akzeptiert war, hat mittlerweile
seine exklusive Berechtigung für viele Menschen verloren. Zumal
Mitmeinen nicht gleich Mitdenken ist und die Vorstellung
dahinter, also das dazugehörige Bild im Kopf, am Ende doch
ehrlicherweise und entschieden zumeist ein anderes ist.
Um die Bilder im Kopf zu aktualisieren, braucht es adäquate
Formulierungen, ein Aufbrechen der Sprachtradition, hin zu
einer gendersensiblen Sprache. Dieser Weg ist nicht einfach
und es ist noch keine gesellschaftsfähige, einheitliche Lösung
gefunden, viele Variationen kursieren aktuell im Sprachraum.
Das spiegelt sich auch in unserer Publikation wider. Wir haben
nichts vorgegeben.
Für die Texte der WIA-Beiträge sind die Akteur:innen verantwortlich.
Die Autor:innen konnten im Kontext von Women in
Architecture (WIA) ihre individuell präferierte Ausdrucksform
wählen, ob mit oder ohne Sternchen, Unterstrich, Schrägstrich,
Ausrufezeichen oder Doppelpunkt.
VORWORT
11 DIE BAUKULTUR WIRD WEIBLICHER!
Elke Duda
12 DIE ARCHITEKT:INNENKAMMER BERLIN ?
MANIFEST A
Architektenkammer Berlin
14 ÜBERHAUPT MUT UND
SELBSTBEWUSSTSEIN !
Regula Lüscher
GRUSSWORT
17 … UND ES TUT SICH WAS !
Petra Kahlfeldt
18 BAUSTELLE GLEICHSTELLUNG
EINLEITUNG Andrea Männel
21 WIR STEHEN NOCH GANZ AM ANFANG!
Andrea Gebhard
WIA-BEITRÄGE
22 [FRAU] ARCHITEKT*IN
Architektenkammer Berlin / TU Berlin
24 Frau Innenarchitekt
bund deutscher innenarchitekten
26 Berufsstand ohne Ausgrenzung
Bundesarchitektenkammer
28 Macht und Mut
Bund Deutscher Landschaftsarchitekt:innen
Berlin-Brandenburg
30 Wallpaper FIA – Zahlen, Daten, Fakten
TU München / n-ails e.V.
34 Der Bau(ch) der Architektin
Bund Deutscher Architektinnen und Architekten Berlin
36 FrauenWertSchätzen
Aktiv für Architektur
37 Neue Formate: Grüne Lounge
Bund Deutscher Landschaftsarchitekt:innen
Berlin-Brandenburg
38 Let’s do it. Standing our ground.
Bund Deutscher Landschaftsarchitekt:innen
Berlin-Brandenburg
40 (Un-)Gleichheit?!
Studierende der FH Potsdam / n-ails e.V.
42 Mut.Machen.Mentoring.
Bettina Dessaules / n-ails e.V.
43 Kompetenzzentrum Handwerkerinnen
Kompetenzzentrum für Berliner Handwerkerinnen
44 PRÄSENZ
EINLEITUNG Christiane Fath
46 DIE BÜHNE DEN ARCHITEKTINNEN
Karin Hartmann
76 KANON BAUKULTUR
EINLEITUNG Jan R. Krause
78 IM SCHATTEN IHRER KOLLEGEN –
VERGESSENE ARCHITEKTINNEN
Kerstin Dörhöfer
WIA-BEITRÄGE
48 Die Architektur ist weiblich
Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
50 Planungen in Berlins Mitte
Vereinigung für Stadt, Regional- und Landesplanung
54 Drei Frauen für die Museumsinsel
Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
55 KunstCampus Europacity
Bund Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure
56 Landschaften, die glücklich machen
Bund Deutscher Landschaftsarchitekt:innen Berlin-Brandenburg
58 Das Gründerinnen-Paradox
Bund Deutscher Architektinnen und Architekten Berlin
60 Der Jeanne-Gang-Effekt
Bund Deutscher Architektinnen und Architekten Berlin
66 This is what we do
Ludloff Ludloff Architekten / n-ails e.V.
68 Nachwachsende Häuser
Scharabi Architekten / n-ails e.V.
70 Lichtplanung heute
Frauen in der Lichtplanung / n-ails e.V.
71 Nischendenken Brandschutz
Stephanie Tarelkin / n-ails e.V.
72 FEMINIM * Werkstoffe von Frauen
Sabine Raible
73 Berlin sucht Frauen in technischen Berufen
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung,
Bauen und Wohnen Berlin
74 Farbe – Spiegel der Gesellschaft
Sedus / n-ails e.V.
WIA-BEITRÄGE
80 Frauentouren – Eine Spurensuche
FRAUENTOUREN
82 Haus Marlene Poelzig
Initiative Haus Marlene Poelzig
84 Astra Zarina – Unter Männern
Eduard Kögel / n-ails e.V.
85 Elisabeth Scheu Close – Auf Umwegen
Judith Eiblmayr / n-ails e.V.
86 Gisela Schmidt-Krayer – Bauten und Projekte
Inken Baller / n-ails e.V.
88 Helena Syrkus – Avantgardistin
Maja Wirkus / n-ails e.V.
89 Bis zum Diplom – Archiv der TU Berlin
Architekturmuseum der TU Berlin
90 Inken Baller im Gespräch
Inken Baller / Leonie Pfistner / n-ails e.V.
92 Oral History
TU Berlin, Fachgebiet Bau- und Stadtbaugeschichte
94 Queens of Structure
Bauingenieurinnen / Architekturmuseum
der TU Berlin / n-ails e.V.
98 Journalism – Die Sichtbarmacherinnen
Deutscher Werkbund Berlin
106 Zwischen Stein und Meer
aquabitArt gallery
108 Porträts – Neue Perspektiven
Anke Illing / n-ails e.V.
109 Fundus – Gender in der Architektur
Hannah Dziobek / n-ails e.V.
75 Allierte in Berlin – das Architekturerbe
Mila Hacke
110 PERSPEKTIVWECHSEL
EINLEITUNG Lisa Diedrich
112 SHIFTING BOUNDARIES – ZWISCHEN
VIRTUELLEM UND GEBAUTEM
Barbara Holzer / Andrea Reiter
WIA-BEITRÄGE
114 Die Stadt und wer sie macht
bfstudio / n-ails e.V.
116 RE:MakeCity – Ein Trialog
Make_Shift gGmbH / n-ails e.V.
117 Social Turn
Bund Deutscher Landschaftsarchitekt:innen
Berlin-Brandenburg
118 Umbau Berufsbild
n-ails e.V.
119 fem*MAP / fem*CITY
TU Berlin, Fachgebiet für Städtebau und Urbanisierung
120 Dream – Play – Challenge
Sarah Rivière / Wiltrud Simbürger / Daniela Urland
123 BAUFACHFRAU im Handwerk
BAUFACHFRAU Berlin e.V. / n-ails e.V.
124 Survival Lounge – nach Sara Ahmed
TU Berlin, Fachgebiet Bau- und Stadtbaugeschichte
126 Berlin. Die Stadt und ihre Planerinnen
Gabriele Fink / Sabrina Rossetto / Lea Beie / n-ails e.V.
136 Frauenklöster im Wandel
Ulrike Rose / n-ails e.V.
137 Architektur trifft Mobilität
VCD e.V. / n-ails e.V.
138 Partizipative Schulprojekte
Bauereignis / n-ails e.V.
140 Der Lottenhof in Potsdam
Susanne Schnorbusch / Sabrina Landes / n-ails e.V.
142 INTERNATIONAL
EINLEITUNG Elke Duda
144 SCHWEDEN – EIN ROLE MODEL?
Barbara Vogt
146 HABEN FRAUEN IN DER ARCHITEKTUR
(K)EINE GESCHICHTE?
Eduard Kögel
WIA-BEITRÄGE
148 Gender Equality in Europe
Bundesarchitektenkammer /
Architects Council of Europe
149 YesWePlan!
Bundesarchitektenkammer
150 Create WiA Europe!
WiA Europe / n-ails e.V.
152 Frau und SIA (CH)
Frau und SIA International / n-ails e.V.
154 Her Stories
Her Stories / n-ails e.V.
156 She Draws: She Builds
WiA UK / n-ails e.V.
157 Diversity In Architecture
Dr. Ursula Schwitalla / n-ails e.V.
158 ABSPANN
160 Kurzprofile und Statements
WIA-Akteur:innen
166 Foto WIA-Akteur:innen, Finissage
168 WIA-Auftakt, WIA-Finissage
169 Dank
170 Kurzvita Autor:innen
172 Quellen, Anmerkungen, Soziale Medien
Rechte- und Bildnachweise
173 Förder:innen und Partner:innen
175 Impressum
141 Architects for Future
Architects for Future / n-ails e.V.
Dieses Buch ist Marlene Poelzig (1894–1985), Bildhauerin und Architektin,
und Professorin Herta Hammerbacher (1900 –1985), Garten- und
Landschaftsarchitektin, gewidmet.
In Erinnerung an das von ihnen 1930 entworfene und 2021 abgerissene
Wohnhaus mit Garten in Berlin-Westend.
DIE BAUKULTUR
WIRD WEIBLICHER!
' Elke Duda
n-ails e.V., WIA Berlin
'
EINE KRITISCHE MASSE IST ERREICHT,
DER POINT OF NO RETURN AUCH?
Architektur wird besonders in Form von Ausstellungen in Museen
und Galerien, durch die Berichterstattung in den Medien, in der
Wahl als öffentlicher Veranstaltungsort oder über die Aufnahme
in die Liste der Sehenswürdigkeiten beachtet und gewürdigt.
Diese allgemeinen Indizien für die Wahrnehmung von Architektur
spiegeln Qualität und Vielfalt der Baukultur wider. Eine
große Bandbreite an verschiedenen Perspektiven und Lösungsansätzen
bei den sich stellenden Bauaufgaben sichert darüber
hinaus die gesellschaftliche Relevanz und Nachhaltigkeit einer
Baukultur.
Seit vielen Jahren setzen sich weltweit Women in Architecture
(WIA) für mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung ihrer
Arbeit ein. Während der Veranstaltung Yes, we plan! mit sieben
europäischen Planerinnennetzwerken 2018 im Rahmen der
Ausstellung Frau Architekt im Deutschen Architekturmuseum
(DAM) wurde deutlich, dass es Zeit ist für ein WIA-Festival in
Berlin, dem Ort, wo alle wichtigen Akteur:innen der Baukultur
ihren Sitz oder zumindest eine Vertretung haben. Die MeToo-
Debatte in der Filmbranche wie auch die Aktion der Tate Britain
in London 2019, ein Jahr lang nur Künstlerinnen zu zeigen, bestärkten
uns ebenfalls in der Fragestellung: Wie ist der Status
quo in der Baukultur, 70 Jahre nach dem Tod von Emilie Winkelmann,
der ersten erfolgreichen deutschen Architektin?
Das Netzwerk n-ails e.V. gründete kurzerhand die Initiative WIA
BERLIN und leitete diese Frage an die wichtigsten Akteur:innen
der Baukultur, Verbände, Vereine und Institutionen weiter – auf
lokaler Ebene, der Ebene des Bundes und auch auf europäischer
Ebene. Sie alle wollten wir für die Idee eines WIA-Festivals
in der Hauptstadt gewinnen. Alle Berufsfelder – Architektinnen
aller Disziplinen, Stadtplanerinnen, Bauingenieurinnen
oder Lichtplanerinnen, aber auch Journalistinnen und Fotografinnen
der Baukultur – sollten einbezogen werden.
Gemeinsam mit der Architektenkammer Berlin, als Kooperationspartnerin,
wurden die Kernziele für die Baustelle Gleichstellung
gesteckt: Paritätische Baukultur und Umbau des Berufsbildes.
Diese Ziele sind in ihren Umsetzungsmöglichkeiten
komplex, und manchmal auch kompliziert, gerade deswegen
bedurfte und bedarf es der Beteiligung vieler WIA-Mitstreiter:innen,
insbesondere auf der institutionellen Ebene. So freute
es uns besonders, dass die damalige Senatsbaudirektorin
und Staatssekretärin für Stadtentwicklung in Berlin, Regula
Lüscher, WIA-Schirmfrau wurde. Über das Institut für Architektur
der TU Berlin kam der Nachwuchs mit ins Boot und viele
wichtige Akteur:innen folgten.
Die überragende Stimmenvielfalt bei den über 100 Veranstaltungen,
das große Interesse daran und die Resonanz in der
Fachwelt bestätigten den Handlungsbedarf im Bereich Gleichstellung,
Chancengleichheit und Diversität. Ein Perspektivwechsel
ist angesagt. Frauen sind essenzieller Bestandteil der
Baukultur, dabei geht es sowohl um die planende Seite als
auch die der Nutzer:innen. Fragen wie diese wurden vielfältig
diskutiert: Welche Themen sind für die Hälfte der Bevölkerung
relevant? Was sind ihre Vorstellungen von Baukultur? Welche
Ansprüche haben sie an die gebaute Umwelt?
Durch die zahlreichen Ausstellungen, Vorträge und Diskussionen
stellten sich neue Erkenntnisse ein, der Blickwinkel
veränderte sich oder sorgte für nachdenkliche Momente. Auch
Zahlen, Daten und Fakten zu Frauen in der Architektur öffneten
so manchen die Augen und schaffte einige Aha-Erlebnisse.
Diversität als Bereicherung und nicht als Verlust von Macht zu
begreifen, ist eine wesentliche Voraussetzung für Veränderung.
Dieses Buch berichtet von der Baustelle Gleichstellung, dem
Ungleichgewicht in der Präsenz von Frauen und Männern in der
Architektur, und wie dem begegnet werden kann. Es richtet die
Scheinwerfer auf Werke und Leistungen weiblicher Baukultur.
Es ist eine Entdeckungstour, bei der die Welt mit anderen Augen
erkundet werden kann, hin zu einem anderen (weiblicheren)
Verständnis von Architektur als Gestaltung von Lebensräumen
und Realitäten. Gemeinschaft, Teamwork und Partizipation sind
häufig genannte aktive Prinzipien in den hier dokumentierten
Beispielen der Stadt- und Architekturproduktion.
Über das Präsentieren der Frauen in der Architektur erhoffen
wir uns eine Veränderung der Wahrnehmung von Architektur
und Stadt, und nichts weniger als die Neuschreibung der Baugeschichte,
nicht nur von Berlin!
11
DIE ARCHITEKT:INNENKAMMER
BERLIN?
' Architektenkammer Berlin
'
EINE SELBSTVERWALTUNG MACHT IHRE PLANERINNEN
SICHTBAR
Die Architektenkammer Berlin fördert und fordert seit Jahren
den offenen Diskurs über aktuelle Berufs- und Rollenbilder in
unserer Gesellschaft. Mit dem Festival Women in Architecture
2021 wurden die Debatten um Chancengleichheit, Vereinbarkeit
und Frauenförderung endlich gebündelt und sichtbar.
In Zusammenarbeit mit dem Berliner Planerinnennetzwerk
n-ails e.V. ging die Architektenkammer Berlin eine zweijährige
Kooperation für das WIA-Festival ein. Die Kammer unterstützte
finanziell, mit ihrem berufspolitischen Netzwerk sowie
einem ideenreichen Engagement im Hauptamt. Gemeinsam
konnte die Positionierung für oder gegen eine weiblich oder
männlich geprägte Baukultur überwunden werden. Es war
ein gemeinsamer Prozess der Spurensuche und des Sichtbarmachens.
Die Beteiligung zahlreicher relevanter Institutionen,
Verbände und der Verwaltung brachte eine längst überfällige
und vielfältige Dokumentation bisher übergangener Stimmen
hervor und machte deutlich: Diversität geht uns alle an!
Als Vorständinnen haben wir die Kooperation seitens der
Architektenkammer Berlin gerne und mit Herzblut begleitet.
Die Konzeption und Moderation der Festival-Finissage und
einiger Workshops zum manifestA war uns ein persönliches
Anliegen. Die Abschlussveranstaltung resümiert aus unserer
Sicht anschaulich, was sich die Architektenkammer Berlin als
Hauptvertreterin des Berufsstands vorgenommen hat.
Das Gelingen des WIA-Festivals beruht auf der engagierten
Zusammenarbeit in einer selbstaktiven Netzwerkstruktur und
stärkt unser Vertrauen, dass die Berliner Architektenkammer
ein Ort ist, der Geschichte fortschreibt – für ein neues Berufsbild,
das offen ist für alle.
HILLE BEKIC, VORSTAND; ANDREA MÄNNEL, VORSTAND
MANIFEST A
Als selbstbewusstes Statement von Frauen in Planungsberufen
fand das Festival Women in Architecture (WIA) 2021 mit der
Finissage im B-Part auf dem Berliner Gleisdreieck seinen
Abschluss. Doch von einem Ende kann freilich nicht die Rede
sein. Wohin der angestoßene Wandel des Berufsstands
führen soll, beschreibt das an diesem Abend verabschiedete
manifestA.
Vier Wochen, 34 Akteurinnen und mehr als 100 Veranstaltungen
in der ganzen Stadt und im Netz: Auch wenn solche bilanzierenden
Zahlen zu einer Finissage passen, war der Ausklang
des WIA-Festivals am 1. Juli 2021 weniger eine Abschlussveranstaltung
als vielmehr die Gelegenheit, den Blick selbstbewusst
nach vorn zu richten. Mit dem WIA-Festival ist es gelungen,
einem sensibilisierten und überraschungsbereiten
Publikum Frauen in der Architektur nahezubringen, ihre Arbeit
sichtbar zu machen und den gängigen Vorstellungen von Planungspraxis
und der Arbeit an der gebauten Umwelt die Idee
einer gerechten, kollaborativen und inklusiven Baukultur entgegenzusetzen.
Die vierwöchige Veranstaltung hat auch dazu
beigetragen, Frauen in der Architektur als Streiterinnen in
eigener Sache zu stärken. Oder gut marxistisch formuliert: Im
Berliner Sommer 2021 traten die Women in Architecture zugleich
als Akteurinnen an und für sich in die Öffentlichkeit.
Der leitmotivische Dreiklang – Sichtbarkeit, Dialog, Diversität
– prägte nicht nur das Programm mit Veranstaltungen, Ausstellungen
und Diskussionen, sondern auch die Workshops
und Umfragen. Was muss sich an den Planungsdisziplinen und
ihren Berufsbildern ändern, um diesen Maßstäben gerecht
zu werden? Der Frage gingen die Teilnehmerinnen auf vielfältige
Weise nach und formulierten die Antworten in einem
eigenen Manifest, das auf der Finissage an Wenke Christoph
– die Vertreterin der Schirmfrau des Festivals, Regula Lüscher,
– übergeben wurde. Die Politikerin der Partei DIE LINKE und
zum damaligen Zeitpunkt noch Staatssekretärin der Berliner
12
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen betonte
in ihrer Rede die Bedeutung der gebauten Umwelt für die
soziale und gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen eines
Gemeinwesens. „Der Anspruch einer Stadt für alle und umfassender
Teilhabe ist damit eng verbunden, sowohl mit der
Umsetzung von Gleichstellung in der Planung als auch in
der Gestaltung und Nutzung öffentlicher Räume“, so Wenke
Christoph.
Aus der Perspektive einer Gesellschaft, die auf diesem Weg
schon mindestens einen Schritt weiter vorangekommen ist,
berichtete dann Jette Hopp, Architektin und Geschäftsführerin
des weltweit tätigen Büros Snohetta, Oslo. Aus ihrer Sicht
lässt sich das Berufsbild in den planerischen Disziplinen nur
dann erfolgreich verändern, wenn beim wünschenswerten
Wandel der Gesellschaft angesetzt wird, mithin also das in
den Fokus genommen wird, was eine Gesellschaft von Architektur
erwartet.
Das Festival hat in gewisser Weise auch gezeigt, wie die überfällige
Transformation eines Berufsstands im Sinne des WIAmanifestA
gelingen kann. Wenn es um ein gemeinsames Ziel
geht, ist mit der Bereitschaft zur Auseinandersetzung, zum
gegenseitigen Zuhören und zur ergebnisorientierten Zusammenarbeit
viel mehr gewonnen als mit einer Vorschrift, einer
Quote oder gut gemeinten Absichtserklärungen.
CORNELIA DÖRRIES für die Architektenkammer Berlin
WIA BERLIN fordert
die Einrichtung von
festen Stellen für
Gleichstellung in allen
Länderkammern und
eine Berichterstattung
im zweijährigen
Baukulturbericht
der Bundesstiftung
Baukultur.
WIA BERLIN fordert
eine selbstverständlich
paritätische Besetzung
auf allen Ebenen.
Das erfordert Gleichwertigkeit
von Care- und
Erwerbsarbeit!
WIA BERLIN fordert,
dass Institutionen
der Baukultur als
Vorbilder agieren,
Chancengleichheit und
Gleichstellung zügig
umsetzen und dabei die
Sensibilisierung für das
Thema auch außerhalb
der Bauwelt erhöhen.
WIA BERLIN fordert die
Abkehr vom „Starkult“
hin zu einer sozialen,
partnerschaftlichen,
kollaborativen, offenen
und diversen Baukultur,
die sich an alle richtet.
WIA BERLIN fordert
den Fokus auf New
Role Models und einen
generationen- und
länderübergreifenden
Dialog.
WIA BERLIN fordert die
Architektenkammern
auf, endlich einen
Namen zu wählen, der
alle Disziplinen und
Geschlechter abbildet.
13
BHROX bauhaus reuse, Pavillon, © Michael Setzpfandt
' AUSSTELLUNG, FILM, INTERVIEW
AKTEURINNEN
Architektenkammer Berlin
TU Berlin
'
Die Ausstellung zeigt eine vielschichtige
Debatte zu Frau und Architektur.
Ausstellungsteile: Videolounge FRAU
ARCHITEKT des Deutschen Architektur
Museums (DAM) in Frankfurt am Main;
Survival Lounge nach Sara Ahmed;
Berliner Architektinnen: Oral History;
Diplomandinnenarbeiten 1950–1970;
fem*MAP BERLIN; Queens of Structure.
[FRAU]
ARCHITEKT*IN
In der gesellschaftlichen Wahrnehmung planerischer Leistungen, ganz gleich, ob in
historischer oder zeitgenössischer Perspektive, geht das Wirken von Architektinnen
im Getöse einer konkurrenzgeprägten Debatte unter, die Namen und Hervorbringungen
männlicher Kollegen sind nach wie vor das Maß der Dinge.
Dieses Missverhältnis griff im Jahr 2017 auch das Deutsche Architekturmuseum
(DAM) in Frankfurt am Main auf, das sich damals mit der Wanderausstellung FRAU
ARCHITEKT erstmals der Sichtbarkeit von Planerinnen im öffentlichen Raum widmete.
In der Verbindung von Retrospektive und Gegenwartsdiagnose ging es um
das Schaffen von Architektinnen unter sich verändernden politischen, sozialen und
kulturellen Bedingungen sowie um das sich wandelnde Selbstbild von Planerinnen
in einem männlich geprägten und von Männern dominierten Berufsfeld. Der individualbiografische
und historische Ansatz spiegelte sich auch im Untertitel der Ausstellung:
„Seit mehr als 100 Jahren: Frauen im Architekturberuf“.
Weil diese Perspektive auch auf dem ursprünglich für 2020 geplanten Festival
Women in Architecture (WIA) nicht fehlen sollte, formulierten dessen Initiatorinnen,
genauer: engagierte Mitstreiter*innen der Berliner Architektenkammer, des Instituts
für Architektur der TU Berlin sowie des Architekturmuseums der TU Berlin, zusammen
den Wunsch, die Ausstellung für die Dauer des Festivals nach Berlin zu holen.
Was anfangs „nur“ als um lokale Architektinnenbiografien ergänzte Übernahme
geplant war und für das eine eigene Ausstellungsarchitektur in einem Architekturseminar
entworfen werden sollte, entwickelte im theoretischen Diskurs und in der praktischen
Auseinandersetzung zwischen den beteiligten Studierenden ein Eigenleben.
22
In Entwurfsprojekten, Forschungsseminaren und Archivrecherchen entstand um den
Kern von FRAU ARCHITEKT herum ein multidimensionales Projekt.
Wie sich die Arbeit von Architektinnen im Laufe eines langen Jahrhunderts entwickelt
und verändert hat, ob in den zwischen den 1950er bis Ende der 1970er Jahre
eingereichten Diplomarbeiten von Architekturstudentinnen der so oft beschworene
weibliche Blick eine Rolle spielt und wie ein inklusives, geschlechtergerechtes
Berlin aussehen könnte – all das war vom 3. Juni 2021 an für vier Wochen in der
temporären Ausstellungshalle BHROX bauhaus reuse in Rahmen der interdisziplinären
Schau [FRAU] ARCHITEKT*IN zu sehen. Mit dem Ernst-Reuter-Platz, sozusagen
der Herzkammer der Berliner Stadtmoderne, hatte sich für die Ausstellung
ein Standort angeboten, dessen Architektur auf die emanzipatorischen Versprechen
der Nachkriegszeit verweist und der von den Studierenden der TU Berlin nicht zu
übersehen gewesen ist. Den großen Bogen schlug auch die Dramaturgie der in der
Bauhaus-Box geschickt verknüpften und der in verschiedenen Formaten ausgetragenen
kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema des Festivals. Neben einem
Teil der Wanderausstellung FRAU ARCHITEKT gab es besagte Diplomarbeiten der
Architekturfakultät der TU Berlin zu sehen, Interviews mit Berliner Architektinnen
aus einem Oral-History-Projekt mit Studierenden der TU, eine von Studierenden
für Studierende kritisch nach Sara Ahmed entwickelte Survival Lounge und mit
fem*MAP BERLIN eine städtebauliche Vision aus weiblicher Sicht. Die multimedial
aufbereitete, vielschichtige Auseinandersetzung mit dem Thema verwandelte den
bauhaus-reuse-Pavillon in einen Raum für kritischen Diskurs und wurde während
des Festivals mit zahlreichen Vor-Ort-Veranstaltungen bespielt. Es ist geglückt, anhand
einer Vielfalt von Perspektiven und Zeitschichten eine historische Entwicklung
des Berufsbilds Architektin nachzuvollziehen, die sich vor Ort gewissermaßen selbst
beglaubigt und zeigt, dass es nicht darum gehen kann, eine irgendwie spezifizierte
weibliche Architektur zu identifizieren.
Wer heute über unterschiedliche Entwurfshaltungen nachdenke, so Mitinitiatorin
Andrea Männel in ihrer Eröffnungsrede, setze sich vielmehr mit Intersektionalität
auseinander und nehme das Werk, und nicht den Lebenslauf, in den Blick.
Insofern ist die Ausstellung eine längst überfällige Dokumentation von übergangenen,
gleichwohl wichtigen Positionen und zugleich ein Teil des sich vollziehenden
Wandels innerhalb des Berufsstandes und der Gesellschaft. Und sie zeigt, dass die
Debatte nicht mehr nur um Teilaspekte wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
oder gleiche Bezahlung kreist, sondern um die gesellschaftlich verfassten Produktionsbedingungen
von Architektur.
In gewissem Sinn spiegeln sich diese Zusammenhänge auch in dem über zwei Jahre
dauernden Entstehungsprozess der komprimierten und façettenreichen Veranstaltung
wider. So konnte mithilfe der finanziellen Mittel sowie der hauptamtlichen
Strukturen der beiden institutionellen Partnerinnen der Rahmen geschaffen werden
für die inhaltliche Auseinandersetzung, die Gestaltung und Umsetzung – jeweils
getragen vom ehrenamtlichen Engagement aktiver Planerinnen in der Architektenkammer
sowie der Leidenschaft vieler Lehrender und Studierender. Dieser Prozess
trug entschieden dazu bei, das Bewusstsein für Parität, für Gleichberechtigung und
für Sichtbarkeit bei allen Beteiligten zu schärfen.
Und auch das gehört zu einem ehrlichen Fazit: Die Leistung der am Projekt beteiligten
Studierenden, Planerinnen und ehrenamtlich Engagierten hätte am Ende
mehr Wertschätzung verdient. In gewisser Weise wurde die Arbeit an diesem Projekt
deshalb zu einer Echtzeitübung in jener Unsichtbarkeit, die nicht nur die Veranstaltung
thematisch grundierte, sondern für so viele nach wie vor eine Alltagserfahrung
ist. Dass ein gelungenes Werk, ganz gleich, ob Entwurf, Bauwerk oder Ausstellungsprojekt,
immer aus der Zusammenarbeit von vielen hervorgeht, ist eine Erkenntnis,
die wir immer wieder aufs Neue brauchen.
CORNELIA DÖRRIES
' TEILNEHMER:INNEN
Hille Bekic
Vorstand Architektenkammer Berlin
Torsten Förster
Geschäftsführer
Architektenkammer Berlin
Robert K. Huber
Geschäftsführer Zukunftsgeräusche,
BHROX bauhaus reuse
Andrea Jürges
Stellvertretende Direktorin,
Deutsches Architekturmuseum
Frankfurt am Main (DAM)
Teresa Keilhacker
Präsidentin Architektenkammer
Berlin
Birgit Koch
Architektenkammer Berlin
Julia Köpper
CUD, TU Berlin
Andrea Männel
Architektenkammer Berlin
Prof. Dr. Philipp Misselwitz
Habitat Unit, TU Berlin
Dr. Hans-Dieter Nägelke
Architekturmuseum, TU Berlin
Dagmar Pelger
CUD, TU Berlin und UdK Berlin
Sarah Rivière
Architektin, Berlin, und Fachgebiet
Bau- und Stadtbaugeschichte,
TU Berlin
Prof. Dr. Hermann Schlimme
Fachgebiet Bau- und
Stadtbaugeschichte,
TU Berlin
Martha Wegewitz
CUD, TU Berlin
AUSSTELLUNGSGESTALTUNG
Team Dis+Ko
'
23
© Standke Landschaftsarchitekten GmbH
' WORKSHOP
AKTEUR
Bund Deutscher Landschaftsarchitekt:innen
bdla
Berlin-Brandenburg
TEILNEHMER:INNEN
Gesine Agena
Amadeu Antonio Stiftung
Prof. Dr. Michaela Sambanis
FU Berlin
Peer Achilles
Versorgungswerk der
Architektenkammer Berlin
'
„Mit WILA 24h – Women in Landscape
Architecture – wollen die Organisatorinnen
Wege aufzeigen, wie alle Gender
im Berufsfeld gleich stark gemacht
werden können. Es ist Zeit, weibliche
Vorbilder in den Mittelpunkt zu rücken“,
sagt Prof. Astrid Zimmermann, Gründerin
von Zplus Landschaftsarchitektur
und Vorstandsmitglied der Landesgruppe
Berlin-Brandenburg im Bund
Deutscher Landschaftsarchitekt:innen
(bdla).
Let’s do it.
Standing our ground
Wie fassen Frauen Stärke auf, wie gehen sie um mit ihrer Position? Tragen Landschaftsarchitektinnen
selbst zu Rollenklischees bei? Wie halten Frauen es aus, wenn
sie in der Rolle als Bauleiterin auf unterschwellige Ressentiments stoßen, weil ihnen
nicht alles zugetraut wird? Katrin Fischer-Distaso wurde ernstgenommen und
brachte ihre ganze Erfahrung ein, als sie im UNESCO-Welterbe mitten im sandigen
Babelsberg eine hügelige Wasserlandschaft aufleben ließ – kunstvoll, akribisch,
denkmalgerecht. Das königliche Parkszenario aus dem 19. Jahrhundert war unter
Erdschichten verschwunden. Herausforderungen, begründet in der Fachpraxis, sind
stemmbar, zweifelhafte Rollenmuster hingegen lästig. Workshops im Rahmen von
WILA 24h setzten hier an.
Im Werkstattgespräch Frau Planerin – Baustelle Rollenklischees ergründeten
die Bauleiterinnen Theresa Gläßer und Laure Aubert, warum es viele Vorurteile gibt,
aber immer noch zu wenig Vorbilder. Quintessenz: Ja, Frauen planen und bauen anders:
inklusiver, kreativer, rücksichtsvoller. Das Projekt- oder Baumanagement kann
eigentlich nur gewinnen, wenn Frauen entscheiden. Und: Zusammen sind wir stärker.
Der Erfahrungsaustausch, der durch WILA 24h ins Leben gerufen wurde, festigt
Kolleginnen für leitende Positionen in einer männerdominierten Branche.
Eine gute Nachricht kommt aus der Neurowissenschaft. Prof. Dr. Michaela Sambanis
von der FU Berlin referierte, was Landschaftsarchitekt:innen über Lernprozesse wissen
sollten. Was setzt sich fest, wie weit ist unser Gehirn bereit, über Jahrhunderte
geprägte Verhaltensmuster zu ändern? „Sich Zeit nehmen für das Umlernen. Unser
Gehirn, Lernorgan und Steuerzentrale, ist veränderbar. Nicht nur das, was wir tun,
38
auch was wir denken, zählt“, kommentierte Sambanis und riet, Negativerfahrungen
einfach mal vorbeirauschen zu lassen, dann hinterließen sie auch nicht so viele Spuren
im Bewusstsein. Ein Lernansatzpunkt, den jede befolgen kann, wie das tägliche
Zähneputzen.
Stichwort Selbstfürsorge: Der Workshop mit dem Versorgungswerk der Architektenkammer
Berlin adressierte Eigenverantwortung. Unbezahlte Care-Arbeit,
Teilzeitbeschäftigung, Erziehungszeiten führen zu geringerem Rentenanspruch und
treffen oft Frauen und Mütter. Hier innerhalb von Familie und Partnerschaft rechtzeitig
einen fairen Ausgleich auszuhandeln, lässt sich lernen, denn Vertrauen ist gut,
Vorsorge ist besser. Und das sollte ebenso für das eigene Wohlergehen gelten, wie
Britta Deiwick mit ihrer YogaBreak „Aufrecht ins Meeting“ aufzeigte.
„Was wir gemeinsam hier erfahren haben, bedeutet dass wir eigentlich weitermachen
sollten“, lautete eine Stimme auf der Finissage. Das schönste Schlusswort aber
fand Barbara Willecke, eine der Veranstalterinnen, als sie in der Abschlussrunde gebeten
wurde, nachhaltige Freiräume zu definieren: „Die Aspekte von Nachhaltigkeit
sind Ökologie, Ökonomie und auch das Soziale. Die Gestaltung könnte das sein, was
die drei Nachhaltigkeitsaspekte zusammenbindet, zum Leuchten und zum Funktionieren
bringt.“
VERA HERTLEIN-RIEDER, SUSANNE ISABEL YACOUB
© Standke Landschaftsarchitekten GmbH
' ORGANISATORINNEN
Laure Aubert
SINAI Gesellschaft v.
Landschaftsarchitekten mbH
Britta Deiwick
Freie Planungsgruppe Berlin,
IORA Yoga
Katrin Fischer-Distaso
Standke Landschaftsarchitekten
GmbH
Heidrun Fehr
hochC Landschaftsarchitekten
PartGmbB
Theresa Gläßer
SINAI Gesellschaft v.
Landschaftsarchitekten mbH
Lioba Lissner
hochC Landschaftsarchitekten
PartGmbB
Flavia Moroni
planung.freiraum
Mareike Schönherr
SCHÖNHERR
Landschaftsarchitekten PartmbB
Eva Sittenauer
gruppe F Freiraum für alle GmbH
Barbara Willecke
planung.freiraum
Prof. Astrid Zimmermann
Zplus Landschaftsarchitektur
'
© Standke Landschaftsarchitekten GmbH
39
PRÄSENZ
wahrnehmen. respektieren.
präsentieren.
abc#abc
Ins Rampenlicht wollen nicht alle – dennoch gibt es Potenzial zur
Transformation. Lange standen Architektinnen im Schatten veralteter
Strukturen. Auch heute noch zeigt sich ein ernüchterndes Bild: Nur
circa 10 Prozent wagen den Schritt in die Selbstständigkeit, und an den
Lehrstühlen beträgt die Frauenquote lediglich 5 Prozent. Diese Zahlen
spiegeln sich in allen einflussreichen Positionen wider.
Doch wo ein Ungleichgewicht herrscht, besteht auch viel Potenzial für
Transformation – und ja, die Branche befindet sich im Wandel. Obwohl
die männliche Perspektive in der Öffentlichkeit weiterhin dominiert,
vollzieht sich in den letzten Jahren eine positive Entwicklung. Immer
mehr Frauen kommen zu Wort, Podien und Kongresse verlangen vermehrt
nach weiblichen Speakern. Frauen bringen eine holistische und
experimentierfreudige Sichtweise auf die Bauwelt mit. Sie setzen sich
aktiv für die Sichtbarkeit von Frauen ein – für sich selbst, für ihre Kollegin,
für die Architektin von morgen. Erst wenn Frauen gesellschaftlich der
Rücken gestärkt wird, können strukturelle Veränderungen herbeigeführt –
und kann durch Diversität auch ein neues Maß an Qualität erreicht
– werden. Architektinnen in Leitungspositionen geben der jüngeren
Generation Mut, den eigenen autonomen Weg einzuschlagen. Besonders
heute, da neue Ideen für nachhaltiges Bauen dringend benötigt werden,
können Frauen innovative Ansätze bieten und den Status quo für die
nächste Generation verbessern – dazu müssen sie als Vorbilder in die
erste Reihe, ins Rampenlicht.
CHRISTIANE FATH
© Björn Schumann
' FÜHRUNG
AKTEUR
Bundesamt für Bauwesen
und Raumordnung BBR
TEILNEHMERINNEN
Barbara Große-Rhode
Referatsleiterin
Astrid Marlow
Projektleiterin
Pergamonmuseum
Miriam Plünnecke
Projektleiterin
James-Simon-Galerie
'
In einem virtuellen Rundgang auf der
Berliner Museumsinsel erläutern drei
Architektinnen des Bundesamtes für
Bauwesen und Raumordnung (BBR)
den Masterplan für das UNESCO-
Weltkulturerbe und geben Einblicke in
aktuelle Entwicklungen.
Drei Frauen für
die Museumsinsel
Mit erfahrenem Blick auf das Pergamonmuseum und die James-Simon-Galerie
auf der Museumsinsel berichtet die verantwortliche Referatsleiterin und studierte
Architektin Barbara Große-Rhode gemeinsam mit den Projektleiterinnen Astrid
Marlow und Miriam Plünnecke in dem Film Drei Frauen für die Museumsinsel. Ein
Bauprojekt als Generationenaufgabe über Aufgaben und Arbeitsabläufe im
Zusammenhang mit diesen umfangreichen Baumaßnahmen.
Diese drei Frauen stehen exemplarisch für die zahlreichen Architektinnen und
Architekten sowie Bauingenieurinnen und Bauingenieure des BBR, die mit eigener
baufachlicher Kompetenz die Bauprojekte des Bundes in Berlin, Bonn und im Ausland
von den ersten Ideen und Masterplänen über Wettbewerbe und Vergabeverfahren
bis zur vollständigen Fertigstellung verantworten. Der Bauunterhalt und Umbauten
gehören ebenfalls zum Aufgabenspektrum.
Besonders herausfordernd bei den im Rundgang präsentierten Projekten ist, dass
stets ein Großteil der Museen der Öffentlichkeit zugänglich bleiben muss. Dabei
verantworten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BBR sensible Abstimmungen,
unter anderem mit dem Landesdenkmalamt, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz
als Bauherrin, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien
sowie den Museumsleitungen.
Darüber hinaus kommt dem BBR als Bundesoberbehörde eine besondere Vorbildfunktion
in Fragen der Nachhaltigkeit, der Barrierefreiheit und der Baukultur zu.
54
© Thomas Langreder
' FÜHRUNG
AKTEUR
Bund Deutscher Baumeister,
Architekten und Ingenieure BDB
ORGANISATORINNEN
Anja Beecken
Architektin
Jennifer Uka
Ingenieurin
TEILNEHMERINNEN
Margit Flaitz
Innenarchitektin
Marianne Mommsen
Landschaftsplanerin
'
Moderiert von Anja Beecken und Jennifer
Uka, präsentierten Innenarchitektin
Margit Flaitz und Landschaftsplanerin
Marianne Mommsen ihre Arbeit im
Stadtviertel Europacity. Es entsteht
unweit des Berliner Hauptbahnhofs
auf dem Gebiet des ehemaligen Niemandslandes
der einst geteilten Stadt.
KunstCampus
Europacity
Die Führungen stellten die Arbeit von Planerinnen in den Mittelpunkt – dort, wo sich
gerade dem ungeübten Auge planerische Zusammenhänge oft verschließen. Dieses
Ziel wurde dank der fachkundigen Vortragsweise der beiden Planerinnen auch erreicht.
Den Auftakt machte die Innenarchitektin Margit Flaitz. Sie präsentierte die bauliche
Umsetzung ihres Entwurfs des Empfangsbereichs des KunstCampus, eines
Gebäudes mit über 100 Wohnungen im Europacity-Quartier. Frau Flaitz, die seit vielen
Jahren ihr eigenes Büro führt und eine Vielzahl von teils ausgezeichneten Projekten
im In- und Ausland durchführte, erläuterte den trotz großer Hitze angereisten Gästen
ihr ausgeklügeltes Raum-, Leit-, Akustik- und Lichtkonzept. Optisches Highlight: die
kunstvolle Wandbeleuchtung, die einen hinter dem Haus fließenden Seitenkanal der
Spree thematisch aufgreift. Im Anschluss ging es ins Freie: Die Landschaftsarchitektin
Marianne Mommsen, die mit ihrem Büro relais Landschaftsarchitekten die parkähnlichen
Außenanlagen des KunstCampus plante, erläuterte den Teilnehmer:innen
ihr Konzept und dessen Umsetzung. Sie ging auch auf die schwierige Zusammenarbeit
mit dem zuständigen Bezirksamt und der Stadt Berlin ein, die das Projekt vor die
eine oder andere Herausforderung stellte. Frau Mommsen ist seit 2020 Mitglied im
Gestaltungsbeirat Öffentliche Räume in Berlin und war Preisrichterin bei etlichen
Ausschreibungen und Wettbewerben.
Beiden Referentinnen sowie Anja Beecken und Jennifer Uka gebührt großer
Dank. Frau Beecken ist Inhaberin eines Architekturbüros und Stellvertretende
Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Baumeister (BDB) Berlin-Brandenburg.
Frau Uka ist Inhaberin eines Ingenieurbüros und Beraterin im Bildungswerk des BDB.
THOMAS BUSSEMER
55
This is
what
we do
© Ludloff Ludloff Architekten
' DIALOGRAUM
AKTEUR:INNEN
Laura Fogarasi-Ludloff
n-ails e.V.
EINFÜHRUNG & MODERATION
Elke Duda
TEILNEHMERINNEN
Laura Fogarasi-Ludloff
Ludloff Ludloff Architekten
Prof. Bettina Götz
ARTEC Architekten
Andrea Hofmann
Raumlabor Berlin
Anna Weber
Orange Architekten
'
This is what we do – unter diesem Titel
erschien vor 20 Jahren eine bemerkenswerte
Standortbestimmung des britischen
All-Female-Architekturkollektivs
muf architecture/art. Der Titel war die
ideale Referenz für ein Gespräch über
Perspektiven und Möglichkeiten von Architektur,
das Elke Duda mit den Architekt*innen
Laura Fogarasi-Ludloff, Prof.
Bettina Götz, Andrea Hofmann und Anne
Weber führte. Die nebenstehende Textcollage
versammelt daraus zentrale
Statements.
This is
what we do
MÖGLICHKEITEN ANNA WEBER: Wir denken gerne über Details nach, die dann im
Gefüge das Große bilden. Und unser großer Ehrgeiz ist es, einfach zu konstruieren.
LAURA FOGARASI-LUDLOFF: Wahrnehmung und sinnliche Qualität von Architektur stehen
im Zentrum unserer Arbeit. Bewusst überlagern wir Atmosphären und Bilder.
ANDREA HOFMANN: Wir sind eine Gruppe von neun Architekt*innen. Uns alle verbindet
ein Interesse an der urbanen und räumlichen Praxis und an gemeinschaftlichen
Formen des Entwurfs. Wir sehen uns an der Schnittstelle von Stadtplanung, Architektur,
Kunst und Interventionen. BETTINA GÖTZ: Wir arbeiten anhand projektspezifisch
entwickelter Konzepte, die die Grundlage für alle weiteren (Detail-)Entscheidungen
bilden – vom Großen ins Kleine.
PROGRAMMATIK LAURA FOGARASI-LUDLOFF: Jeder Bau stellt einen Eingriff dar, jedes
Projekt beeinflusst den öffentlichen Raum. Wir sehen Bauten im räumlichen, wirtschaftlichen
und sozialen Gewebe – und mit unserer Architektur legen wir diese
Zusammenhänge bewusst offen. Unsere Häuser sind sowohl Schutzraum als auch
Bühne für Begegnung. Diese beiden durchaus widersprüchlichen Anforderungen
erschließen wir mit einfachsten Mitteln und loten die Grenzen maximaler Öffentlichkeit
aus. ANNA WEBER: Wir müssen die Trennung der Nutzungen wieder überwinden.
Gebäude, die wir heute bauen, sollen in 100 Jahren noch stehen und genutzt
werden, wie die alten Fabriketagen in Berlin, die so viele Umnutzungen
erfahren haben. BETTINA GÖTZ: Bei jeder Aufgabenstellung fragen wir uns: Was ist
die programmatische Ebene? Wie können wir strukturell an einer Lösung arbeiten?
Diese abstrakten Ansätze überlagern wir mit der konkreten Situation beziehungs-
66
weise Aufgabenstellung. Aufgrund unserer Arbeitsweise interessiert uns insbesondere
der Wohnbau – als strukturelles Gebilde, dem eine abstrakte, nutzungsoffene
Typologie zugrunde liegt, die aber immer projektspezifische Ausformungen erfährt.
ANDREA HOFMANN: Wir schaffen Situationen – als Rahmen für soziale Interaktion,
öffnen den urbanen Raum für temporäre, kollektive Nutzungen, erkunden seine
Qualitäten und Möglichkeiten. Raumlabor interagiert mit architektonischen und sozialen
Räumen, meist basierend auf gemeinsamem Machen, Kochen und Essen.
AUFTRAGGEBERSCHAFT ANDREA HOFMANN: Architekt*innen sollten einen politischen
Standpunkt haben. Wir lehnen die Abhängigkeit der Architektur von den Marktkräften
ab und versuchen, außerhalb davon zu agieren. Mit dem Fokus auf kommunale
Projekte, der direkten Auseinandersetzung mit dem Bauen und unkonventionellen
Förderstrategien initiieren wir selbst Projekte. So ermöglichen wir uns ein gewisses
Maß an Eigenständigkeit. In solchen Fällen sind wir Architekt*in und Bauherr*in.
LAURA FOGARASI-LUDLOFF: Unsere Projekte sind Teil einer forschenden Praxis. Wir sitzen
nicht im Elfenbeinturm: Prozesse der Teilhabe und Diskurs auf Augenhöhe führen
zu neuen Raumpraxen. Wettbewerbsteilnahmen sind für uns ebenso wie realisierte
Projekte Testfelder der Zukunftsgestaltung. BETTINA GÖTZ: Ein gewonnener
Wettbewerb ist für uns die beste Basis für ein Projekt, denn durch das Juryurteil
ist die prinzipielle Qualität akzeptiert. Obwohl wir deutlich mehr Wettbewerbe verlieren
als gewinnen, kennen wir noch immer kein besseres Verfahren, um Aufträge
zu bekommen. ANNA WEBER: Wie organisieren wir das eigentlich, dass da
zum Schluss ein Bauwerk steht, egal, ob groß oder klein? Durch die Beschäftigung
mit dieser Frage haben wir immer intuitiv Bauherrenaufgaben übernommen.
Und das zog sich wie ein roter Faden durch unsere Arbeit und mündete in einer
eigenen Bauträger-GmbH, mit der wir eine textile Fassade entwickeln und ausführen
konnten – unter dem Aspekt, dass Fassaden heutzutage nicht mehr hart, sondern
weich sind. Dadurch hatten wir nicht das Problem einer Bauherrschaft, die so etwas
nicht mittragen würde.
AUFGABE VON ARCHITEKTUR BETTINA GÖTZ: Architektur soll schlicht und einfach
die Welt verbessern. Einer unserer Leitsprüche in diesem Zusammenhang stammt
von Adolf Loos: „Jede Veränderung, die keine Verbesserung ist, ist eine Verschlechterung.“
ANNA WEBER: Große Vorhaben stehen allzu oft im Widerspruch zu Vielfalt
und Detailfreude. Warum denken wir nicht anders? Umfassende Projekte könnten
auch auf verschiedene Architekturbüros aufgeteilt werden – beispielsweise
geschossweise. Dann bringt jede*r seine*ihre eigene Handschrift mit und Vielfalt
entsteht. LAURA FOGARASI-LUDLOFF: In unseren Projekten versuchen wir, Antworten
darauf zu geben, wie wir mit den begrenzten Ressourcen unseres Planeten umgehen
sollen. Architektur ist für uns ein Medium, das Fragen nach unserem Zusammenleben
im Ökosystem Erde mit Raumressourcen beantworten kann.
ROLLE VON ARCHITEKT*INNEN LAURA FOGARASI-LUDLOFF: Gibt es eine Ästhetik des
Sozialen? Wir sehen unsere Projekte als Forschung und Beitrag zum Diskurs über
eine neue Bildpolitik, mit der Bauen als soziale Praxis gelingen kann. BETTINA
GÖTZ: Architektur schafft Raum – und der muss immer auch emotional sein, er
muss Atmosphären, Gefühle und Erinnerungen provozieren. Wie alles Nicht-
Rationale ist diese Anforderung an den Raum nicht eindeutig definierbar, im Gegensatz
zu Funktionalem und Quadratmeterzahlen. Und die Aufgabe von Architekt*innen
ist es, dafür zu sorgen, dass diese emotionalen Qualitäten von Raum Teil unserer
gebauten Umwelt sind. ANDREA HOFMANN: Situationen, die wir schaffen, sind für uns
soziale und räumliche Momente mit einer spezifischen Atmosphäre. Wir arbeiten
an Prototypen für mögliche Zukünfte, transformieren Orte temporär und geben
Rahmen für kollektives Handeln vor. Handeln ist für uns das Entscheidende. Ein erlebtes
Potenzial ist besser als ein Konzept eines Potenzials, welches nie real wird.
67
IM SCHATTEN IHRER
KOLLEGEN – VERGESSENE
ARCHITEKTINNEN
' Kerstin Dörhöfer
'
Dem Thema „Vergessene Architektinnen“ bin ich 1984 das
erste Mal begegnet, als während der Internationalen Bauausstellung
84/87 in West-Berlin eine Ausstellung zur Architektinnenhistorie
gezeigt wurde. Sie wurde präsentiert von der
Union Internationale des Femmes Architectes, Sektion Bundesrepublik
Deutschland e.V., und stellte 35 Architektinnen
und Designerinnen vor. Ihre Werke umfassten einen Zeitraum
von knapp 80 Jahren: von 1907 bis 1984.
Zur Ausstellung erschien ein Katalog. In ihrer Einleitung „Zur
Konzeption der Ausstellung“ schrieb die Herausgeberin Sonja
Günther: „Es war daran gedacht, die Geschichte der Architektinnen
– bislang vergessen, weil nicht geschrieben – zu
visualisieren. Am Beginn der Nachforschungen kamen Zweifel
auf, ob es möglich sei, den selbstgestellten Anforderungen
gerecht werden zu können; verzeichnen doch die Lexika der
Architekturgeschiche und die Künstlerkataloge der einschlägigen
Fachbibliotheken kaum eine Architektin, selbst dann nicht,
wenn deren Name in Fachkreisen hinreichend bekannt ist.“ 1
Die Aussage, dass weibliche Namen in Architekturbüchern
fehlten, galt auch noch zwölf Jahre später, als ich an der Universität
der Künste ein Forschungsprojekt über „Bauten in
Berlin von Architektinnen“ startete, das zuerst als Architekturführer
konzipiert war. Die Recherche dafür startete 1996 mit
einem Fragebogen an alle in der Berliner Architektenkammer
verzeichneten Architektinnen. Durch die Fragebogenaktion
erhielten wir eine Fülle von Namen von Architektinnen, die vor
allem in den 1970er bis 1990er Jahren tätig waren. Ihre Angaben
bildeten den Grundstock für das spätere Architektinnenarchiv
an der Universität der Künste (UdK) Berlin. Im Laufe der
Bearbeitung wurde aber klar, dass ein Architekturführer nicht
die Komplexität der historischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge
vorstellen kann, die für das Leben und Wirken
der Architektinnen wissenswert sind. Ich habe deshalb den
Zeitraum, den das Projekt umfassen sollte – vom Start der
ersten Architektin 1907 bis zur Wiedervereinigung Deutschlands
und Berlins 1989 – in drei Abschnitte untergliedert:
1. den Zeitraum zwischen 1907 und 1949, den ich als den
der eigentlichen Pionierinnen in der Architektur bezeichnen
möchte. Für diesen Zeitraum stehen 30 Architektinnen mit
etwa 100 Projekten, die sich nicht alle in Berlin befinden;
2. den Zeitraum zwischen 1949 und 1969, in dem Berlin in
Ost und West und Deutschland in die DDR und die BRD geteilt
war. Für diesen Zeitraum hatten wir 45 Architektinnen ermittelt,
15 Ost- und 30 Westarchitektinnen;
3. den Zeitraum zwischen 1970 und 1989, also bis zur Wiedervereinigung.
Für diesen Zeitraum standen 129 Namen von
Architektinnen, 51 Ost- und 78 Westarchitektinnen.
Das zeigt schon eine ganz schöne Zunahme: 30 Architektinnen
in den ersten 40 Jahren bis zur Teilung Deutschlands
und 174 in den folgenden 40 Jahren bis zur Wiedervereinigung.
Insgesamt hatten wir also 204 Berliner Architektinnen für die
Zeit zwischen 1907 und 1989 gefunden. Weitere Namen kamen
durch die Recherche in Zeitschriften, Büchern, Architekturführern
bis zur Jahrtausendwende hinzu, sodass im Architektinnenarchiv
der UdK rund 370 Akten zu finden sind.
Ich selbst habe mich dem ersten Zeitabschnitt gewidmet und
ab 1998 eine gründliche Recherche in Archiven, an Hochschulen,
bei Verbänden, in Galerien, in der Literatur, in Architekturführern
und Zeitschriften sowie bei Privatpersonen und
Hauseigentümern begonnen.
Den Zeitraum zwischen 1907 und 1949 habe ich noch einmal
in drei Abschnitte untergliedert, weil zu viele historische
Veränderungen stattgefunden hatten.
Im ersten Zeitabschnitt, der sich von 1907 bis zum Ersten
Weltkrieg erstreckt, geht es um die frühen Pionierinnen, die
noch im Kaiserreich studierten, als Privatarchitektinnen und
zum Teil im Staats- und Militärdienst tätig waren und sich
einem breiten Aufgabenspektrum widmeten, das Fabriken,
Kasernen, Feuerwachen, landwirtschaftliche Gebäude, Gemeinschaftseinrichtungen,
städtebauliche Ensembles, Villen
sowie Heime einschloss. Am wirkungsvollsten in diesem Zeitabschnitt
ist Emilie Winkelmann (1875–1951), die erste Architektin
in Deutschland.
Im zweiten Zeitabschnitt der 1920er und frühen 1930er Jahre
geht es um Architektinnen, die von dem Idealbild der „neuen
Frau“ geprägt waren. Sie studierten kurz vor und während des
78
Ersten Weltkriegs oder in der Weimarer Republik. Sie engagierten
sich für „Neues Bauen, Neues Wohnen“, also die Moderne.
Nur wenige waren am Bauen im Nationalsozialismus beteiligt,
einige an den Stadtplanungen zum Wiederaufbau der Städte
nach dem Zweiten Weltkrieg. Fast alle waren im Wohnungsbau
tätig. Eine Architektin dieser Zeit hat sich vorwiegend dem
Geschäftsbau gewidmet und Modesalons, Schuhgeschäfte,
Banken, ein Hotel und ein Kaufhaus in Ostrava im heutigen
Tschechien errichtet: Marie Frommer (1890–1976), die auch
die erste promovierte Architektin war.
Im dritten Zeitabschnitt von 1933 bis 1949 geht es um die
Architektinnen, die während des Nationalsozialismus oder in
der frühen Nachkriegszeit studierten. Sie waren im Zuge des
Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg tätig, insbesondere
im Wohnungsbau und in der sozialen Infrastruktur. Hier ist
besonders Ludmilla Herzenstein (1906–1994) hervorzuheben,
die mit Hans Scharoun und seinem Kollektiv an der Wohnzelle
Friedrichshain arbeitete und später das Milchhäuschen in Weißensee
entwarf.
Nach den ersten Erfolgen der Pionierinnen gab es einen tiefen
Einbruch durch Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg:
Frauen wurden das Studium und die Berufstätigkeit wieder
erschwert. Viele Architektinnen, die bis dahin studiert hatten,
waren Jüdinnen aus liberalen Elternhäusern, die die Bildung
ihrer Töchter förderten; sie waren geflüchtet oder verfolgt und
vernichtet worden. Die Geschichte der Architektinnen und
ihrer Werke geriet in Vergessenheit. Das erklärt auch, warum
den Studentinnen der 1950er und 1960er Jahre die Vorbilder
fehlten, als Personen wie als Bauwerke.
Die Darstellung, wie die Arbeiten der Pionierinnen von
den Zeitzeugen rezipiert und welche Hoffnungen seitens der
Frauen damit verbunden waren, dass ihre Geschlechtsgenossinnen
nun an der Gestaltung ihres Lebensraums teilnahmen,
schließt sich der Vorstellung der Personen und der Projekte in
den drei Zeitabschnitten an. Sie zeigt, wie misstrauisch ihrem
Eindringen in die Profession durch die Kollegen begegnet wurde.
25 der vorgestellten Projekte können noch besichtigt werden,
wenn auch manchmal ziemlich verwandelt oder vom Abriss bedroht,
wie das Haus von Marlene Poelzig in der Tannenbergallee.
Dieses Haus ist übrigens ein Beispiel dafür, wie Architektinnen
verschwinden. Bei meiner Recherche in den Heften der Bauwelt
stieß ich auf einen Brief, den der damalige Präsident der Architektenkammer
1984 an den Chefredakteur geschrieben hat und
dem er ein Foto beigefügt hatte. Es zeigt eine fröhliche Herrenrunde,
die das Richtfest des Hauses in der Tannenbergallee feierte,
das Marlene Poelzigs Werk war. Er schrieb: „Hans Poelzigs
Frau Marlene war Architektin und hat das eigene Poelzigsche
Wohnhaus in der Tannenbergallee in Berlin-Neuwestend alleine
entworfen. Der Meister hat sie machen lassen, das ist Liebe.
Zugegeben: Diese Erinnerung ist nur ein Vorwand, um Ihnen
ein Foto zu zeigen, das Fritz Jaenecke aus Schweden mitbrachte.
[…] Das Bild zeigt beim Richtfest für das Haus in der
Tannenbergallee vorne rechts Hans Poelzig, dahinter seinen
noch schwarzhaarigen Sohn Peter, links vorne die linke Hand
der Architektin (ob Fritz Jaenecke den Körper abgeschnitten
hat?), dahinter die rechte Hand Poelzigs, den Bürochef Zimmermann,
auch mit Zigarre, neben ihm Martin Wagner und
im Hintergrund Jaenecke […], der die Bauleitung der Marlene-
Villa machte, darüber aber scheiterte.“ 2
So stehen Architektinnen nicht nur im Schatten ihrer Kollegen,
sie werden gänzlich unsichtbar.
2002 begann ich mit der Verlagssuche für mein Buch über
die Pionierinnen. Ich habe an alle renommierten Architekturverlage
ein Exposé geschickt. Die Absagen sind noch heute
interessant: Es gäbe keinen Markt für dieses Thema, es sei
zu historisch, zu regional eingegrenzt, zu speziell, zu wissenschaftlich.
Ein Verlag schrieb: „Es gibt schon ein Buch über
Architektinnen.“ Wie viele gab es allein über Walter Gropius?
Einer begründete seine Absage damit, dass die von mir
vorgestellten Architektinnen nicht bekannt seien. Das war ja
der Sinn dieses Projektes, sie bekannt zu machen, endlich dem
Vergessen zu entreißen. Mein Buch erschien 2004 im Wasmuth
Verlag Tübingen. Es ist längst vergriffen.
1
Union Internationale des Femmes Architectes Sektion Bundesrepublik e.V.
(Hrsg.): Architektinnenhistorie. Katalog zur Geschichte der Architektinnen
und Designerinnen im 20. Jahrhundert. Eine erste Zusammenstellung. Berlin
1984, S. 6)
2
Zitat nach Kerstin Dörhöfer: Pionierinnen in der Architektur. Eine Baugeschichte
der Moderne. Tübingen 2004, S. 120
79
© Initiative Haus Marlene Poelzig
' DEMONSTRATION
AKTEURIN
Initiative Haus Marlene Poelzig
TEILNEHMER:INNEN
Hannah Cooke
Künstlerin
Hannah Klein
Gründerin von ato.vison
Antonia Noll
Architekturstudentin
Jan Schultheiß
Kunsthistoriker
Felix Zohlen
M.A. Architektur
'
Am 18. Juni 2021, im Rahmen des Festivals
Women in Architecture (WIA), lud
die Initiative Haus Marlene Poelzig zur
Demonstration vor Ort ein.
Haus
Marlene Poelzig
Das Atelierwohnhaus der Familie Poelzig in Berlin-Westend wurde 1930 nach
dem Entwurf der Bildhauerin und Architektin Marlene Moeschke Poelzig errichtet
– ein herausragendes Beispiel der Architektur der Moderne und Emanzipation
von Architektinnen im frühen 20. Jahrhundert. Die Initiative Haus Marlene Poelzig
kämpft sowohl für den Erhalt der Überreste des Hauses, als auch für die Anerkennung
des Lebenswerks der Architektin.
Die Chronologie eines Abrisses beginnt am 18. Juni 2021: „Wer heute kommt,
meint es ernst“ – es ist weit über 30 Grad heiß, die Sonne brennt vom Himmel an
diesem Freitagnachmittag im Berliner Westend. Die Architektin Ulrike Lauber und die
Kunsthistorikerin Gabi Dolff-Bonekämper erzählen vom Leben Marlene Poelzigs und
von der Initiative; rot-weiße Demonstrationsplakate lehnen an den Mauern des ehemaligen
Wohn- und Atelierhauses von Marlene und Hans Poelzig.
Trotz der Hitze versammeln sich etwa 80 Menschen vor dem Haus. Das gibt Jan
Schultheiß (Gründer der Initiative) Zuversicht. Die Bewegung stößt auf Zuspruch!
Die Genehmigung zum Abriss ist längst erteilt – aber die Initiative Haus Marlene
Poelzig, bestehend aus Bürger*innen, Baukulturexpert*innen und Interessierten, hält
dagegen.
Als Höhepunkt enthüllt Petra Wesseler eine neue Plakette für das Haus, Gold auf
Keramik. Kreiert von der Künstlerin Hannah Cooke, weist sie nun auf das Werk Marlene
Poelzigs hin und erzählt vom gemeinsamen Leben und Arbeiten der Familie Poelzig.
Abschließend überrascht Sebastian Urbanke mit der Ballade vom Wasserrad von Bertolt
Brecht: „Denn dann dreht das Rad sich nicht mehr weiter und das heitre Spiel, es
unterbleibt, wenn das Wasser endlich mit befreiter Stärke seine eigne Sach betreibt.“
82
© Initiative Haus Marlene Poelzig © Initiative Haus Marlene Poelzig
Erst schützen, dann stürzen! Die Demonstration klingt ebenso sympathisch und
zugleich ernsthaft aus, wie sie begann. Heute steht das Haus noch! Und die Nachricht
hat sich verbreitet. Im Anschluss holen sich einige Demonstrant*innen noch die
wohlverdiente Abkühlung im nahe gelegenen Teufelssee, stürzen sich ins kühle Nass.
Unser Fazit: Frauen und ihre Leistungen werden in der Geschichtsschreibung häufig
übergangen, und noch heute sind wir weit von wirklicher Gleichberechtigung entfernt,
auch in der Architektur – das muss sich ändern. Die Demo zeigt: Das Interesse ist groß!
Ein halbes Jahr später kommen noch einmal viele Menschen vor dem Haus zusammen.
So plötzlich, wie die Blätter sich verfärbten und der Winter kommt, wird
das Haus ohne Vorwarnung abgerissen. Mit Rufen, Schildern und langen Gesprächen
mit den Arbeitern in Baggern möchte die Initiative ein Moratorium erreichen.
Doch ein Gespräch mit den Eigentümern bringt nur ein paar Tage Aufschub, trotz
des Engagements und der gewachsenen öffentlichen Aufmerksamkeit konnte das
Haus nicht gerettet werden. Wieder einmal war der Preis des Grundstückes wichtiger
als die enorme kulturelle Bedeutung des Hauses. Der Verlust ist immens, aber die
Initiative setzt sich weiter für eine gleichberechtigte Zukunft im Bauwesen ein.
NADJA FRAENKEL, FELIX ZOHLEN
© Initiative Haus Marlene Poelzig
83
' AUSSTELLUNG
AKTEURINNEN
Birgit Hartwig
Bauingenieurin
Nicole Parlow
Bauingenieurin
Anath Wolff
Bauingenieurin
Nicole Zahner
Bauingenieurin
IN KOOPERATION MIT
Architekturmuseum
der TU Berlin
n-ails e.V.
AUSSTELLUNGSGESTALTUNG
Rahel Melis
KURATORIN UND KONZEPT
Ulrike Tillmann
Rahel Melis
'
Frauen sind gute Teamplayerinnen –
und bleiben oft im Hintergrund. Dies
sind beides keine Eigenschaften, die
man mit Königinnen in Verbindung
bringt. Häufig sind Ingenieurinnen allerdings
die einzigen Frauen im Team,
die einzige Bauingenieurin im Bekanntenkreis,
sie werden als Vorbilder betrachtet
und stehen im Rampenlicht,
ob sie wollen oder nicht. Die Ausstellung
richtete nun den Fokus auf sie und
machte sie zu Queens of Structure.
94
QUEENS
OF STRUCTURE
PROJEKTE UND POSITIONEN VON BAUINGENIEURINNEN
Diese Ausstellung zu Bauingenieurinnen schafft eine doppelte Sichtbarkeit. Sie zeigt
nicht nur Ingenieurinnen und ihre Beiträge, auch die selten wahrgenommenen, oft
verborgenen Leistungen der Profession an sich erhalten eine Würdigung. So präsentierte
die als Außenausstellung konzipierte Schau Queens Of Structure im Garten des
Architekturmuseums der TU Berlin zwölf Bauingenieurinnen, die mit ihren Projekten
die weitgefächerten Tätigkeits- und Themenfelder des Bauingenieurwesens aufzeigten
und mit ihren Positionen die Vielfalt der Herausforderungen und individuellen
Herangehensweisen darin sichtbar machten.
Die porträtierten Frauen erzählen von ihrer Leidenschaft für ihre Profession und
zeigen auf, wie sie mit großer Selbstverständlichkeit in einem männlich geprägten
Berufsfeld agieren.
Sie haben Gelegenheiten ergriffen, Ideen vorangetrieben sowie kreativ umgesetzt
und Technikkompetenz längst zu ihrem Programm gemacht. Ihre lehrreichen
und aufregenden Erfahrungen machen sie zu ermutigenden Vorbilder für zukünftige
Generationen von Bauingenieurinnen: können diesen helfen, ihren Platz im Bauingenieurwesen
zu definieren und somit die Profession als Ganze voranzubringen.
Initiiert wurde die Ausstellung von Birgit Hartwig, Nicole Parlow, Nicole Zahner und
Anath Wolff, die alle als Bauingenieurinnen tätig sind.
© Rahel Melis
Die Auswahl der Protagonistinnen entstand mit subjektivem Blick, aus persönlichen
Interessen und eigener Begeisterung heraus und ist doch repräsentativ. Sie zeigt die
Breite des Berufsfeldes und die Unterschiedlichkeit der Frauen, die in ihm tätig sind.
95
ABC PERSPEKTIV
ABC WECHSEL
abc#abc entgrenzen. hinterfragen.
erkunden.
„Change the System, not the Women“, fordern Barbara Holzer und
Andrea Reiter im einleitenden Essay dieses Kapitels. Damit wird klar,
dass es der feministischen Architektur nicht darum geht, Frauen so
zu formen, dass sie ins männlich dominierte System des Entwerfens
und Bauens hineinpassen, sondern darum, dessen Prägungen und
Funktionsweisen aufzubrechen und das System an sich zu diversifizieren.
In den Beiträgen zum Perspektivwechsel in der Architektur geht es
ums Stadtmachen, ums visionäre Nachdenken über Entwurfs- und
Bauprozesse, ums Erfassen von Realitäten aus neuen Blickwinkeln, ums
kooperative Lernen und Gestalten, um neue Formate des Denkens,
Handelns, Zusammenarbeitens und Kommunizierens. Es kristallisiert sich
heraus, dass Architektur aus einem genderbewussten Blickwinkel ganz
anders konzeptualisiert und praktiziert werden könnte, um das heutige
gesellschaftlich-kulturelle Klima widerzuspiegeln, das starre binäre
Ordnungen verwirft und das Mehrdeutige, Changierende, Nuancierte,
Offene fördert. Ob ich als Frau oder als Mann oder als nicht binäre
Persönlichkeit einen Tabula-Rasa-Entwurf à la Plan Voisin zeichne, ändert
nicht viel an der Tatsache, dass derartiges Entwerfen alten Rollenmustern
folgt: So, wie traditionell der Mann die Frau beherrscht, dominiert beim
Plan Voisin der Entwerfer die Lokalität. Hier einen Perspektivwechsel
zu vollziehen, bedeutet, Gender und Diversität im Verständnis vom
Entwerfen und Bauen zu verankern und eindimensional-statische
Ordnungen durch mehrdeutig-dynamische zu ersetzen. Wie das gehen
kann, skizzieren die Autorinnen dieses Kapitels auf ganz verschiedenen
Ebenen und mit zahlreichen Methoden.
LISA DIEDRICH
© Vera Martinez, ARCHITEKTUR ALLEGORIE
' DIALOGRAUM
AKTEUR
n-ails e.V.
TEILNEHMERINNEN
Stine Kobert
Hille Bekic
Vera Martinez
Mirjam von Busch
Claudia Zirra
GÄSTE
via Zoom
'
„Versetzt euch bitte in das Jahr 35,
werft eure gewohnten Denkmuster
über Bord!“ Im offenen Dialog wurden
neue Wege für ein besseres Zusammenleben
in der menschgemachten
Umwelt untersucht. Die Themen der
Diskussion waren Umweltschutz, Mobilität,
Gesundheit, Arbeit, Leben und
Wohnen im weitesten Sinne.
118
Umbau
Berufsbild
JEDE*R BRAUCHT EINE ARCHITEKTIN IM JAHR 2035.
„Architektur ist weiblich“ bedeutet: Verantwortung übernehmen und Zusammenhalt
fördern. Jede*r sorgt für sich und alle sorgen füreinander. Es bedeutet Planen und
Leben als gemeinsamen Prozess, Architektur als gesellschaftliches Gut zu verstehen
und dem Menschen Zentralität in der planerischen Handlung zu sichern. Dabei
müssen Fürsorge (care) und Gastfreundschaft (hospitality) gegenüber Funktionalität
und Wirtschaftlichkeit in den Vordergrund treten. Der Paradigmenwechsel ist
aufgrund der prekären Lage des Planeten, bedingt durch den menschgemachten
Klimawandel, eine zwingende Notwendigkeit geworden.
Der neue Ansatz könnte und sollte auf einer Neugründung tradierter Strukturen
aufbauen. Das Weibliche steht für die als selbstverständlich gehaltene unbezahlte
Arbeit und damit für das nicht mehr funktionierende System eines endlichen
Planeten. Es geht um die existenzielle Bewohnbarkeit der Erde. Die Suche nach bewohnbaren
Orten jenseits des Planeten mutiert inzwischen vom Traum zu Notwendigkeit.
Dabei könnte die Relativität der Zeit rein theoretisch den Menschen von
der Reproduktionsarbeit befreien. Die Planung der Räume des gemeinschaftlichen
Zusammenlebens im sehr begrenzten Lebensraum einer Weltraumstation müsste
höchsten Ansprüche genügen, um über die technischen Voraussetzungen einer
Lebenserhaltungsmaschine hinauszugehen. Der Planet ist begrenzt. Kreislaufgerechtes
Bauen ermöglicht einen ressourcenschonenden Umgang mit Rohstoffen
und Materialien. Dabei ist mehr gesunder Menschenverstand das Gebot. Weniger
Zwänge bedeutet: Planen mit Spaß und Leichtigkeit.
VERA MARTINEZ
© Katrina Malinski
' AUSSTELLUNG
AKTEUR:INNEN
TU Berlin, Fachgebiet für
Städtebau und Urbanisierung
Prof. Jörg Stollmann
ORGANISATORINNEN
Julia Köpper
Dagmar Pelger
Asli Varol
Martha Wegewitz
IN KOOPERATION MIT
alpha nova & galerie futura
Katharina Koch
Sylvia Sadzinski
'
„Eine feministische Perspektive für Berlin
heute! Wie könnte eine nicht sexistische
Stadt aussehen?“ Felicita Reuschling,
2017
Auf der Suche nach einer feministischen
Perspektive für Berlin wurde in praxisbezogenen
Lehrformaten am Chair for
Urban Design and Urbanization (CUD)
der TU Berlin in Kooperation mit alpha
nova & galerie futura ein feministischer
Blick auf Berlin geworfen. Kontext der
Zusammenarbeit war die von Felicita
Reuschling gemeinsam mit alpha nova
& galerie futura konzeptionierte Veranstaltungsreihe
Feministische Wohngeschichte(n)
für die Zukunft I + II.
fem*MAP /
fem*CITY
Ausgehend von der Annahme, dass die gebaute Umwelt weder wertfrei noch neutral
ist, sondern, wie Ruth Becker es beschreibt, die gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse
in die räumlichen Strukturen unserer Städte eingeschrieben sind, wurde
ein Recherche- und Kartierungsseminar durchgeführt. Als Ansatz dienten sechs
künstlerische Positionen für die Ausstellung Feministische Wohngeschichte(n) für
die Zukunft, anhand derer sich die Student*innen unter anderem Fragen nach dem
Zusammenhang zwischen bezahlbarem und sicherem Wohnraum für Frauen*, Orten
nachbarschaftlicher Fürsorgearbeit, Netzwerken und Orten des Empowerments
oder kritischer feministischer Repräsentation im Stadtraum stellten. Dem wurde
durch Interviews, Onlinerecherche und teilnehmende Beobachtung nachgegangen,
um die Fragen anhand von Kartierungen zeichnerisch zu erforschen. Das im Seminar
erarbeitete Material wurde im Rahmen eines einwöchigen Mapping-Camps in kollektiv-feministischer
Arbeitsweise erweitert und zu einer Synthesekarte zusammengeführt,
als gemeinsame Vision für die Zukunft Berlins: die fem*MAP 2049.
Diese Karte bildet eine forschende weibliche* Perspektive auf den Stadtraum ab
und verdeutlicht die Defizite einer patriarchal geprägten Stadtstruktur, aber auch
die Potenziale eines feministischen und solidarischen Berlins. Anschließend wurden
im Rahmen des Entwurfsstudios fem*CITY in Form veränderter Stadtfragmente die
transformativen Möglichkeiten einer feministischen Raumproduktion versuchsweise
in die Gestaltung von Wohn- und Stadträumen übersetzt. Der kollektive Arbeitsprozess
selbst wird als feministische Lehrpraxis verstanden, mit dem Ziel, zukünftige
Architekt*innen und Stadtplaner*innen für die Rechte und Bedürfnisse von Frauen*
und nicht normativen Menschen in räumlichen Zusammenhängen zu sensibilisieren.
119
© Ulrike Myrzik
' DIALOGRAUM
AKTEUR:INNEN
Ulrike Rose
Kulturmanagerin
n-ails e.V.
'
Aufgrund fehlenden Nachwuchses
überaltern die Ordensgemeinschaften
gerade massiv. Besonders weibliche
Ordensgemeinschaften stehen damit
vor der großen Herausforderung, kluge
Lösungen für ihre Klöster zu finden.
Welche Auswirkungen hat dies auf
unsere Kulturlandschaft? Und welche
guten Lösungen gibt es?
Frauenklöster
im Wandel
Weltweit entwickelten sich in den letzten Jahrhunderten klösterliche Gemeinschaften.
Besonders im 19. Jahrhundert entstanden viele Frauengemeinschaften, die sich
um alle gesellschaftlich relevanten Aufgaben kümmerten. Sie besiedelten nach der
Säkularisation lange leer stehende Klöster neu und waren besonders im ländlichen
Raum wichtige Arbeitgeberinnen und autarke Wirtschaftseinheiten.
Aufgrund Nachwuchsmangels verschwinden die weiblichen Ordensgemeinschaften
heute sukzessive. Dabei zeigt sich die Aktualität dieser Lebensform in den
gegenwärtig boomenden Gemeinschaftsprojekten, den zahlreichen solidarischen
Landwirtschafts- beziehungsweise Wohnungsbaugenossenschaften und Baugruppen.
Anstatt die jahrhundertealten Klöster zum Verkauf anzubieten, gibt es spannende
Alternativen: Wie können die ortsbildprägenden Denkmäler behutsam umgeplant
werden, sodass die Orden im Kloster verbleiben und neue Gemeinschaften von ihnen
lernen können? Von wem und wie können Klöster und Ländereien nachgenutzt werden,
ohne dass diese herausragenden Liegenschaften der Gemeinschaft entzogen werden?
Welche Hürden gilt es seitens der Nachnutzer:innen zu stemmen?
Im Vortrag wurden zum einen innovative Ordensfrauen vorgestellt, die die Transformation
ihrer Klöster und ihrer Gemeinschaft vorantreiben und für das Buch Klosterfrauen
Frauenkloster interviewt wurden. In der zweiten Hälfte ging es um die Frage,
wie die jahrhundertealte Baukultur zeitgemäß erhalten, weitergebaut und genutzt
werden kann, denn die Herausforderungen bei der Transformation der Klöster sind
komplex und herausfordernd: von den Auflagen des Denkmalschutzes bis zu Brandschutz
und Genehmigungsverfahren.
136
Seestadt Aspern Wien,
© Wilhelm Schedl
' DIALOGRAUM
AKTEURE
Verkehrsclub
Deutschland VCD e.V.
n-ails e.V.
'
Lebenswerte Städte brauchen Aufenthaltsqualität!
Müssen wir dafür den
Verkehr zurückdrängen und unsere
Mobilität einschränken?
' TEILNEHMERINNEN
Hille Bekic
Architektin, Mobilitätsberaterin
Velokonzept GmbH
Nicola Krettek
VCD e.V., Projektleiterin
„Bundesweites Netzwerk
Wohnen und Mobilität“
Tanja Terruli
VCD e.V., Projektleiterin
„Straßen für Menschen“
'
Architektur
trifft Mobilität
Die Studie „Mobilität in Deutschland“ (MiD) aus dem Jahr 2017 vom Bundesministerium
für Verkehr und digitale Infrastruktur zeigt: Frauen legen kürzere Strecken
zurück als Männer und bewegen sich mehr im näheren Umfeld.
Mit Impulsen zu den Projekten „Bundesweites Netzwerk Wohnen und Mobilität“
und „Straßen für Menschen“ zeigten Nicola Krettek und Tanja Terruli Möglichkeiten
und Ideen zu autoarmen Quartieren auf. Dabei setzen beide auf gute Beispiele und
Handlungsleitfäden für die Wohnungswirtschaft und für die Anwohner*innen, Mobilität
im Quartier nachhaltig zu verändern. Für den Ansatz spricht, dass drei von vier
(privaten) Wegen an der Haustür beginnen oder enden.
Die Diskussion zeigte Berührungspunkte der Disziplinen Architektur, Stadtplanung
und Mobilitätsplanung auf, zum Beispiel bei der Flächenverteilung für die
verschiedenen Verkehrsträger*innen oder beim Zugang zu klimaneutralen Verkehrsmitteln
am Wohnstandort. Die anschließende Exkursion befasste sich mit Aufenthaltsqualität
und Flächengerechtigkeit im öffentlichen Raum. Als konkretes Beispiel
für eine gelungene Transformation vom Verkehrsraum zum hochwertigen Aufenthaltsraum
wurde die temporäre Umnutzung des Parkplatzes der Berlinischen Galerie
besichtigt. Projektleiter Nuno de Brito Rocha gab spannende Einblicke in die Konzeption
und zu den anfänglichen Widerständen in Bezug auf die Umnutzung der Fläche.
Inmitten von Arbeiten internationaler zeitgenössischer Künstler*innen erhielt
der Parkplatz eine neue Ausrichtung – im räumlichen wie im kontextuellen Sinn –
und diente für einen Sommer als urbaner Treffpunkt in der Nachbarschaft, als Ausstellungsraum
und Ort für kollektive Aktionen.
HILLE BEKIC
137
She Draws: She Builds, Poster, © Chloe Tayali
' DIALOGRAUM
AKTEURE
WiA United Kingdom
n-ails e.V.
FILMVORSTELLUNG
Sarah Akigbogun
WiA UK, Studio Aki
Anna Schabel
Architektin, WiA UK
Wilton Studio Ltd
'
Anna Schabel und Sarah Akigbogun
stellen ihren Dokumentarfilm She
Draws: She Builds und die Arbeit von
Women in Architecture United Kingdom
(WiA UK) vor.
She Draws: She Builds,
WiA UK
Women in Architecture United Kingdom (WiA UK) wurde in den 1950er Jahren als
WAG (Women Architects Group) gegründet und läuft mit Unterbrechungen bis heute.
WiA UK ist eine unabhängige Gruppe, aber mit dem Royal Institut of British Architects
(RIBA) in beratender Tätigkeit verbunden. Über ihre Arbeit am Film kamen Anna
Schabel und Sarah Akigbogun zu WiA UK. Seit 2018 leiten sie das Vorstandskomitee.
WiA UK bietet Architektinnen eine Plattform, um sich für Diversität und Gleichstellung
zu engagieren. Das geschieht durch interdisziplinäre Veranstaltungen,
Workshops, Kampagnen in den sozialen Medien und in Zusammenarbeit mit anderen
Gruppen sowie durch Vorträge an Unis und auf Konferenzen. 2021 führte
WiA UK eine Umfrage zum Thema der Zukunft der Frauen in der Architektur durch.
Außerdem startete das erste Mentoring-Programm.
Der Film She Draws: She Builds basiert auf Interviews mit Frauen, die über ihr
Leben in der Architektur sprechen. Im Film wird deutlich, dass es viele Arten gibt,
die eigene Karriere zu gestalten. Gleichzeitig soll er inspirieren, sich mit Architektur
zu beschäftigen und den eigenen Weg zu gehen. Menschen mit unterschiedlichem
Hintergrund sollen ermutigt werden, sich einzubringen.
Der Film wird UK-weit und international gezeigt und diskutiert und ist Teil des
Lehrplans der London Metropolitan University.
Die Diskussion besprach die unterschiedlichen Ansätze der vorgeführten Filme und
forderte für die Zukunft, dass in zehn Jahren die Genderdebatte nicht mehr geführt
werden muss und eine feministische Gesellschaft aus der Architektur heraus geschaffen
wird.
156
© Anja Matzker
© WIA, Büsra Yeltekin
' DIALOGRAUM
AKTEUR:INNEN
Dr. Ursula Schwitalla
Kunsthistorikerin,
Universität Tübingen
n-ails e.V.
TEILNEHMER:INNEN
Odile Decq
Architektin
Dr. Dirk Boll
Christie’s London
'
Warum erhalten Architektinnen nicht
die Anerkennung, die ihr Werk verdient?
Frauen in der Architektur ist ein
Manifest für die großartigen Leistungen
von Architektinnen in Geschichte
und Gegenwart sowie ihren wertvollen
Anteil an der globalen Baukultur.
DIVERSITY
IN ARCHITECTURE
Das im Rahmen des Festivals Women in Architecture (WIA) 2021 vorgestellte Buch
entstand aus der gleichnamigen Vortragsreihe an der Universität Tübingen. Die Frage,
die sich darin aufdrängt, ist: Warum dauerte es so lange, bis Frauen den Beruf
ergreifen konnten und endlich darin Anerkennung erhielten? Gerade in der aktuellen
Diskussion zu Diversität und Gleichberechtigung ist diese Publikation ein wichtiges
Desiderat, das Antworten gibt.
Im ersten Teil wird der Blick auf die Pionierinnen gerichtet und in vier Einzelkapiteln
werden herausragende Architektinnen wie Emilie Winkelmann, Eileen Gray, Lina
Bo Bardi und Zaha Hadid gewürdigt. Im zweiten Teil zeigen aktuelle Analysen die
heutige Situation von Frauen in der Architektur auf und beleuchten ihre strukturelle
Benachteiligung in diesem männerdominierten Beruf. Schließlich wird die Arbeit von
36 Referentinnen an der Universität Tübingen mit ihrem jeweils selbst gewählten
Projekt in Text und Bild dokumentiert. Wie können wir die bis heute anhaltenden Ungleichheiten
für Architektinnen beseitigen? Seit den 1980er Jahren wurden weltweit
lediglich 20 Prozent aller Preise für Architekt*innen an Frauen überreicht; auch gab
es in Deutschland bisher keinen Architekturpreis für Frauen. Dies müssen wir ändern!
Mit der Vorstellung von Frauen in der Architektur im Rahmen des WIA-Festivals
konnten meine Kollegin Christiane Fath und ich unsere neu gegründete Non-Profit-Organisation
Diversity in Architecture e.V. präsentieren. Unser Ziel ist es, im Jahr
2023 erstmalig einen internationalen Architekturpreis für Frauen auszuloben. Dazu
wünschen wir uns Unterstützer*innen und Förder*innen für die Gleichberechtigung
in der Architektur, aber auch die Wahrnehmung von Role Models für die junge Generation
von Architektinnen. BECOME MEMBER!
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IMPRESSUM
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feldfünf im Metropolenhaus; © Anja Matzker
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