WIRTSCHAFT+MARKT Herbst/Winter 2022/23
Wirtschaft+Markt ist das Wirtschaftsmagazin des Ostens. Es erscheint als Onlinemagazin unter wirtschaft-markt.de und zweimal jährlich als Printmagazin. Wöchentlich mittwochs erscheint W+M-Weekly
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WIRTSCHAFT+MARKT HERBST / WINTER 2022 / 2023
HERBST
WINTER
2022
2023
Die Highlights
aus dem W+M-
Onlinemagazin
wirtschaftmarkt.de
33. Jahrgang | Deutschland 9,50 €
DAS WIRTSCHAFTSMAGAZIN DES OSTENS
LAUSITZ
Forschungsinstitute
als Hoffnungsträger
POLITIK
Ministerpräsidenten
im Gespräch
CHEMIE
Eine Branche
trotzt der Krise
WIRTSCHAFT+
MARKT
Aktuelle
ostdeutsche
Wirtschaftsinformationen?
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EDITORIAL
KEINE ZEITENWENDE
OHNE LEIDENSDRUCK
UND INNOVATION
WIRTSCHAFT+MARKT3
Foto: Christine Fiedler
UUnser aktuelles Heft haben wir unter den
Titel ZEITENWENDE gestellt. Die Zeitenwende,
aufgerufen von Bundeskanzler Olaf
Scholz, verstand sich zwar als eine direkte
Reaktion auf den russischen Überfall auf
die Ukraine, mittlerweile ist die Dimension
des Begriffs aber weit über
die Sanktionen gegen Russland, die
Frank Nehring,
Chefredakteur
Neubewertung der Bundeswehr und
mit ihr der nationalen und europäischen Die Probleme beim Thema Fachkräfte
Verteidigung hinausgegangen.
sind seit langem bekannt, nur dass wir sie
erst heute richtig zu spüren bekommen.
Eine Zeitenwende anzukündigen, einzufordern
Wenn jetzt aber nicht nur Gastronomen
und dann auch umzusetzen, sind logi-
und Hoteliers den Mangel an Fachkräften
sche und miteinander verbundene Schritte. erleben, sondern branchenübergreifend
Solange sie zwar von Vernunft, aber nur offene Stellen existieren und das Thema
von Wünschen getragen wird, garantiert Arbeitskräfte auch für die Energiewende
sie noch nicht das Geschehen und schon existenzbedrohend wird, dann ist eine neue
gar nicht einen erfolgreichen Ausgang. Qualität erreicht.
Deshalb sind klare Ziele, die „alternativlos“,
besser noch für breite Teile der Gesellschaft
erstrebenswert sind, so wichtig. Und dafür Die Wirtschaftsinstitute prognostizieren
braucht es einen hohen Leidensdruck,
nicht nur ein geringeres Wachstum,
sonst bleibt alles beim Alten.
sondern auch eine länger andauernde
Rezession. Gerade in Ostdeutschland ist die
Der Ausstieg aus der Nutzung fossiler Sorge groß, dass die gute Entwicklung der
Energieträger ist beschlossene Sache. Die ostdeutschen Wirtschaft an Fahrt verliert
Ziele sind klar formuliert. Doch wer hätte und der soziale Frieden gefährdet ist.
gedacht, dass unsere geplante Erdgas- Wenn Sachsens Ministerpräsident Michael
Brückentechnologie aufgrund der aktuellen Kretschmer im W+M-Interview betont,
Entwicklungen in sich zusammenfällt. Wer dass die sächsische Wirtschaft krisen- und
hätte gedacht, dass es nun Verträge mit anpassungserprobt ist, sollte das auch für
neuen Erdgaspartnern und die fortgesetzte die gesamte Wirtschaftsregion Ost stimmen.
Nutzung von Braunkohle und Atomkraft
Auch wenn der Eindruck vorherrscht,
braucht, um den Umstieg auf erneuerbare dass alles der Staat richten kann und soll,
Energien abzusichern. Wer hätte gedacht, sollte die Innovationskraft der Wirtschaft
dass diese Entwicklung Unternehmen an nicht vergessen werden. Hier wird bereits
den Rand der Existenz bringt und ganze tatkräftig die Zeitenwende gelebt und
Branchen um ihre Zukunft bangen müssen. vollzogen. Viele Beispiele dafür können Sie
im vorliegenden Heft nachlesen.
Die Chemieindustrie, einer der größten
Erdgasverbraucher, steht vor riesigen
Bewahren Sie sich einen klaren Blick.
Herausforderungen. Wir haben deshalb
dieser Branche im Heft viel Aufmerksamkeit
Herzlichst
gewidmet.
Frank
Nehring
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4
WIRTSCHAFT+MARKT
INHALTSVERZEICHNIS
DIE HIGHLIGHTS AUS DEM
W+M-ONLINEMAGAZIN
WIRTSCHAFT-MARKT.DE
08
W+M ZEITENWENDE
08 Daten statt Kohle: Die Lausitz
im Wandel
12 Brandenburgs Wirtschaftsminister
Prof. Dr.-Ing. Jörg
Steinbach im Interview: „Das
Interesse der Investoren an
Brandenburg ist ungebrochen.“
14 Aletta von Massenbach, CEO
der Flughafengesellschaft
Berlin Brandenburg, über den
BER: Mehr Konnektivität für die
Region
16 Smart Country:
Aufbruch in der Stille
20 Berlins Regierende Bürgermeisterin
Franziska Giffey im
Interview: „ Wir sind die Stadt der
Freiheit und der Vielfalt.“
24 Sachsens Ministerpräsident
Michael Kretschmer im Interview:
„Die sächsische Wirtschaft ist
krisen- und anpassungserprobt.“
28 Sachsen-Anhalts Ministerpräsident
Reiner Haseloff
im Interview: „Das politische
Wollen mit dem Machbaren in
Übereinstimmung bringen.“
Lesen Sie das
ausführliche
Interview im
W+M-Onlinemagazin
W+M 20
ZEITENWENDE
Berlins Regierende Bürger meisterin
Franziska Giffey: „ Wir sind die Stadt
der Freiheit und der Vielfalt.“
Lesen Sie das
ausführliche
Interview im
W+M-Onlinemagazin
W+M 14
ZEITENWENDE
Flughafen BER: Mehr Konnektivität
für die Region
W+M ZEITENWENDE24
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer:
„Die sächsische Wirtschaft ist krisen- und
anpassungserprobt.“
W+M 16
ZEITENWENDE
Smart Country: Aufbruch in der Stille
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
INHALTSVERZEICHNIS
WIRTSCHAFT+MARKT5
Lesen Sie das
ausführliche
Interview im
W+M-Onlinemagazin
W+M ZEITENWENDE 28
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff:
„Das politische Wollen mit dem Machbaren in
Übereinstimmung bringen.“
Lesen Sie das
ausführliche
Interview im
W+M-Onlinemagazin
32
W+M BRANCHE
32 Die Hauptgeschäftsführerin der
Nordostchemie-Verbände Nora
Schmidt-Kesseler im Interview:
„Die aktuelle Krise lässt keine
Zeit für Experimente.“
34 Wachsender Standort:
Biopharmapark Dessau
36 Chiracon-CEO Ralf Zuhse
im Interview: Chiracon auf
Expansionskurs
38 Der Geschäftsführer der BASF
Schwarzheide Jürgen Fuchs im
Interview: „Die deutsche Industrie
braucht Planungs sicherheit.“
41 36 Top-Unternehmen der
Chemie- und Pharmaindustrie
42 Der Vorstandsvorsitzende der
EWE AG Stefan Dohler im Interview:
„Die Prozesse müssen
beschleunigt werden.“
W+M (3), Lena Giovanazzi, Günter Wicker / Flughafen Berlin Brandenburg GmbH, IDA Integrationsdorf Arendsee GmbH & Co. KG, Intel Corporation
W+M ZEITENWENDE 12
Brandenburgs Wirtschaftsminister Prof. Dr.-Ing. Jörg Steinbach im
Interview: „Das Interesse der Investoren an Brandenburg ist ungebrochen.“
50
W+M MANAGEMENT
50 Transformationsbarometer:
Ostdeutsche Entscheider halten
Standort für zukunftsfähig
52 Elitestudie: Ostdeutsche in
Führungskräftepositionen stark
unterrepräsentiert
54 Digital-Unternehmerin
Constanze Buchheim im Interview:
„Wir brauchen ein neues
Verständnis von Führung.“
44
W+M FACHKRÄFTE
44 Report: Der ostdeutschen Wirtschaft
gehen die Fachkräfte aus
48 Standort: Wie Intel 3.000
Fachkräfte nach Magdeburg
locken will
W+M FACHKRÄFTE 48
Standort: Wie Intel 3.000 Fachkräfte nach Magdeburg locken will
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
6
WIRTSCHAFT+MARKT
INHALTSVERZEICHNIS
56
W+M OWF
56 OWF-Preis VORSPRUNG: Die
sechs Preisträger 2022
56 Berlin: LAT Gruppe
57 Brandenburg: Orafol
Europe GmbH
58 Mecklenburg-Vorpommern:
Baumgarten Bootsbau
59 Sachsen: Packwise GmbH
60 Sachsen-Anhalt:
MECOTEC GmbH
61 Thüringen: PETKUS
Technologie GmbH
Lesen Sie das
ausführliche
Interview im
W+M-Onlinemagazin
Lesen Sie die
ausführliche
Serie im W+M-
Onlinemagazin
W+M BRANCHE 38
W+M BRANCHE 41
36 Top-Unternehmen der Chemie- und Pharmaindustrie
62
W+M INTERNATIONALE MÄRKTE
62 GTAI-Report: In der Krise
weltweit exportieren
62 GTAI-Report USA
64 GTAI-Report Polen
66 GTAI-Report Schweiz
68 GTAI-Report Kasachstan
69 GTAI-Report Vietnam
Der Geschäftsführer der BASF Schwarzheide GmbH
Jürgen Fuchs: „Die deutsche Industrie braucht
Planungssicherheit.“
Lesen Sie das
ausführliche
Interview im
W+M-Onlinemagazin
Lesen Sie das
ausführliche
Interview im
W+M-Onlinemagazin
W+M BRANCHE 42
Der Vorstandsvorsitzende der EWE AG Stefan Dohler:
„Die Prozesse müssen beschleunigt werden.“
W+M BRANCHE 32
Die Hauptgeschäftsführerin der Nordostchemie-
Verbände Nora Schmidt-Kesseler: „Die aktuelle Krise
lässt keine Zeit für Experimente.“
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
INHALTSVERZEICHNIS
WIRTSCHAFT+MARKT7
Lesen Sie das
ausführliche
Interview im
W+M-Onlinemagazin
W+M 54
MANAGEMENT
Digital-Unternehmerin Constanze
Buchheim „Wir brauchen ein neues
Verständnis von Führung.“
70
W+M GESELLSCHAFT
70 Weinkunde: Wintergenuss mit
großer Tradition
72 Berlin Capital Club:
Impressionen eines Jahres
74 Polo in Warnemünde –
ein wahres Highlight
76 Mode: Overdressed schlägt
underdressed
78
W+M
MEDIADATEN
2023
78 Wirtschaft + Markt
Mediadaten 2023
79 W+M-Printmagazin
80 W+M-Onlinemagazin
82 W+M-Newsletter
Fotos: W+M (2), BASF Schwarzheide GmbH, Moosen Assanimoghaddam, i-potentials GmbH / Anette Koroll, Rene Jungnickel, Gunnar Rosenow
W+M GESELLSCHAFT 70
Wintergenuss mit großer Tradition
IMPRESSUM
WIRTSCHAFT+MARKT
Das Ostdeutsche Unternehmermagazin
Ausgabe: Herbst / Winter 2022 / 2023
Redaktionsschluss: 9.10.2022
Verlag: W+M Wirtschaft und Markt GmbH
c/o Prima Vier Nehring Verlag GmbH,
Gustav-Freytag-Str. 7, 10827 Berlin
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Chefredaktion:
Frank Nehring / Matthias Salm (stv.)
Autoren:
Karl-Heinz Dahm, Christopher Fuß, Bernd Holthaus, Beate
Lecloux, Aletta von Massenbach, Frank Nehring, Matthias
Salm, Frauke Schmitz-Bauerdick, Jan Triebel, Ullrich Umann
Hinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in
diesem Magazin auf eine durchgehende geschlechtsneutrale
Differenzierung (z. B. Teilnehmer / Teilnehmerinnen) verzichtet.
Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung
grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform
hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.
W+M GESELLSCHAFT 74
Polo in Warnemünde – ein wahres Highlight
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Druck: Silber Druck oHG
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Kopien nur
mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Verlages.
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mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen.
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übernehmen wir keine Haftung.
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
8
WIRTSCHAFT+MARKT
ZEITENWENDE
Die Pilotanlage Cobra in der Versuchshalle in Cottbus.
DATEN STATT KOHLE –
DIE LAUSITZ IM WANDEL
Wo einst der Tagebau die Landschaft prägte, sollen bald Daten aus dem All gesammelt, verbrauchsarme Flugzeuge
erdacht und das Wasserstoff-Zeitalter eingeläutet werden. In der Lausitz steht Spitzenforschung von internationalem
Rang vor dem Start.
VON MATTHIAS SALM
DDie Lausitz als Tor zum Weltall: Ende September
gab das Bundesministerium für Bildung
und Forschung die Sieger im Wettbewerb
um zwei neue Großforschungszentren in den
ehemaligen ostdeutschen Braunkohlerevieren
bekannt. Während in Sachsen-Anhalt als
bedeutendem Chemiestandort folgerichtig das
„Center for the Transformation of Chemistry“
(CTC) angesiedelt wird, entsteht in der
sächsischen Lausitz für viele eher ein wenig
überraschend das Deutsche Zentrum für
Astrophysik (DZA). Das DZA basiert auf einer
gemeinsamen Initiative der Astronomie und
Astroteilchenphysik in Deutschland. Aus über
100 Ideenskizzen hatten es sechs Projekte im
letzten Jahr auf die Shortlist des Bundesforschungsministeriums
geschafft. Dem CTC und
dem DZA trauen die Experten nun am ehesten
zu, das Gesicht der Lausitz tiefgreifend zu
verändern.
Als treibende Kraft der Bewerbung und
designierter Gründungsdirektor des DZA
steht mit dem wissenschaftlichen Direktor
der Europäischen Weltraumorganisation
ESA, Prof. Dr. Günther Hasinger, ein Star der
globalen Astroforscherszene in den Startlöchern:
„Dieser Wettbewerb eröffnete neue
Perspektiven, für die Regionen in Sachsen
und für unsere Gesellschaft“, sagt Hasinger.
Dass Astrophysik keine abgehobene Wissenschaft
ist, betonen die Macher des DZA
dabei ausdrücklich: „Astrophysik war und
ist eine Hightech-Wissenschaft mit großer
Innovations kraft. Gleitsichtbrillen, Ceranfelder,
wesentliche Bestandteile von Mobiltelefonen,
Foto: DLR
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
LAUSITZ
WIRTSCHAFT+MARKT9
Navis oder schnelle elektronische Banküberweisungen
via Satellit – das alles gibt es dank
astronomischer Forschung.“ Den Praxiswert
der Astrophysik betonen die DZA-Initiatoren
nicht ohne Grund. Denn mancher in der Lausitz
hätte lieber eine andere Entscheidung mit einem
stärkeren Bezug zu den wirtschaftlichen
Traditionen der Region gesehen.
Mehr Daten als im Internet
Im ersten Schritt wird die astronomische
Spitzenforschung am DZA das gesamte
elektromagnetische Spektrum bis hin zu den
Gravitationswellen abdecken. Im zweiten
Schritt werden im DZA Datenströme aus aller
Welt verarbeitet, auch die Daten zukünftiger
Großteleskope sind eingeplant wie
etwa die des Square Kilometre Array oder
des Einstein-Teleskops, ein europäisches
Großprojekt. Letzteres, so die Vision, könnte
Gravitationswellen entdecken, die ein neues
Bild vom Universum schaffen würden. Um die
Dimension zu veranschaulichen: Die Daten
dieser Teleskope machen ein Mehrfaches des
Datenverkehrs im heutigen Internet aus. Diese
zu sammeln und zu verarbeiten, erfordert
gänzlich neue Technologien.
Der dritte Schritt wird dann ein Technologiezentrum
sein, an dem neue Halbleitersensoren,
Silizium-Optiken und Regelungstechniken
für Observatorien entwickelt werden sollen.
Und hier entstehe der direkte Nutzen, versprechen
die Astrophysiker: Vor allem im Bereich
der optischen Technologien und der Halbleitertechnik
sehen die Forscher enormes wirtschaftliches
Potenzial und die Chance, sich in
der Mikroelektronik unabhängiger von anderen
Wasserstoff soll in vielen Bereichen fossile Brennstoffe ersetzen.
Märkten aufzustellen – ein brennend aktuelles High-Tech und Hollywood
Thema. Firmen für neuartige Halbleiter-Sensorik,
Regelungstechnik, Mechanik oder Optik Bisher rührte der internationale Bekanntheitsgrad
der östlichsten Stadt Deutschlands eher
sollen um das Zentrum wachsen. Standort des
DZA wird ein Campus für Spitzenforschung auf daher, dass ihre historischen Fassaden als
dem Kahlbaum-Areal in Görlitz sein.
Kulisse für Filme aus der Traumfabrik Hollywood
dienen. Nun könnte sich Görlitz in die
Bevor die Daten aus dem Weltall gesammelt Liga nationaler und internationaler Standorte
werden, geht es aber vielleicht erst einmal in für Spitzenforschung katapultieren. Denn die
die Tiefe. Die seismographischen Bedingungen
im Granitgestein der Lausitz will das DZA Wissenschaftler, die es an die Neiße zieht.
Astrophysiker sind beileibe nicht die einzigen
für seine Forschung und Entwicklung neuer Auch die Forscher der Fraunhofer-Institute für
Geräte nutzen. Zwischen Hoyerswerda, Bautzen
und Kamenz soll in einem unterirdischen sowie Windenergiesysteme IWES wollen dort
Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU
Tunnelsystem ein Forschungslabor, das Low ihre Zelte aufschlagen und am Hydrogen Lab
Seismic Lab, errichtet werden. Die Förderung Görlitz (HLG) innovative Lösungen für großindustrielle
Wasserstofftechnologien entlang
sieht eine dreijährige Aufbauphase vor. Die TU
Dresden wird die Projektträgerschaft übernehmen
und ihr Know-how in Data Analytics, möglichen: grüne H 2
der gesamten H 2
-Wertschöpfungskette er-
-Produktion mittels Elektrolyse,
H 2
Künstlicher Intelligenz und High Performance
-Speicherung in Röhrenspeichern
Computing einbringen.
und H 2
-Nutzung in Gasturbinen vorrangig für
Görlitz wird zum Standort des Zentrums für Astrophysik.
Fotos: DLR / Thomas Ensting, Nikolai Schmidt (unten)
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
10
WIRTSCHAFT+MARKT
ZEITENWENDE
300 Grad Celsius erzielen.“ Langfristig sollen
auch Temperaturen bis 500 Grad Celsius möglich
sein. Den Bau der Anlage wickelte das DLR
vorrangig mit Betrieben aus der Region ab.
Prof. Welf-Guntram Drossel, geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer IWU, erläutert Octavian Ursu,
Oberbürgermeister der Stadt Görlitz, und Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig den aktuellen Stand beim
Aufbau des Hydrogen Lab Görlitz (v. l. n. r.)
die Bereiche Industrie, Quartiere und Mobilität.
Für Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig
eine Fortführung der energiewirtschaftlichen
Historie der Region: „Unser Ziel ist es, dass
die Lausitz auch nach dem Strukturwandel die
Energieregion im Land bleibt. Das Hydrogen
Lab Görlitz leistet dafür einen entscheidenden
Beitrag.“
Den wirtschaftlichen Aspekt sieht auch Prof.
Welf-Guntram Drossel, geschäftsführender
Institutsleiter des Fraunhofer IWU, im Vordergrund.
„In der Produktion innovativer Wasserstoff-Systemkomponenten
steckt viel Potenzial
für neue Wertschöpfung und hochwertige
Arbeitsplätze. Gerade die Unternehmen in
der Lausitz können sich an die Spitze eines
Technologiewandels hin zu Klimaschutz und
nachhaltiger Wettbewerbsfähigkeit stellen.“
Noch ist es allerdings nicht so weit. „Auch wir
sind von gestörten Lieferketten und Preissteigerungen
betroffen, die wiederum Umplanungen
erforderlich machen, aus denen sich oft
weitere Verzögerungen ergeben. Daher gehen
wir nun davon aus, das Hydrogen Lab Görlitz
(HLG) Ende 2023 in Betrieb nehmen zu können“,
so Institutssprecher Andreas Hemmerle
auf W+M-Anfrage.
Wärmewende in der Industrie
100 Kilometer weiter nördlich, im brandenburgischen
Cottbus, ist man da schon weiter. „Es
geschieht gerade ungemein viel in der Region“,
freut sich Prof. Dr. Uwe Riedel. Riedel leitet das
2019 gegründete Institut für CO 2
-arme Industrieprozesse
des Deutschen Zentrums für Luft-
und Raumfahrt (DLR) in Cottbus und Zittau.
Im Mittelpunkt der Forschungsarbeit des Instituts
steht die Dekarbonisierung großer energieintensiver
Industriebereiche. Einen passenderen
Standort als Brandenburg hätte man dafür
kaum wählen können. Ob die Chemieindustrie
in Schwarzheide, die Papierproduktion und
Petrochemie in Schwedt, die Zementherstellung
in Rüdersdorf oder die Stahlproduktion in
Eisenhüttenstadt – Brandenburgs Schlüsselindustrien
sind allesamt Energiefresser und
CO 2
-Emittenten in großem Maßstab.
Ein Forschungsschwerpunkt der Cottbuser
sind Hochtemperatur-Wärmepumpen auf
Basis erneuerbarer Ressourcen für industrielle
Prozesse. Sie sollen den Einsatz fossiler
Brennstoffe in der Industrie entbehrlich
machen. „Für viele industrielle Bedarfe sind
Temperaturen von 150–300 Grad Celsius ausreichend“,
erklärt Institutsleiter Riedel. Eine
Versuchsanlage, die Hochtemperatur-Wärmepumpe
CoBra, haben die DLR-Forscher bereits
in Betrieb genommen. „Wir können bisher
weltweit einmalige Werte beim Temperaturhub
und der Wärmeabgabe-Temperatur von
DLR-Institutsleiter Prof. Dr. Uwe Riedel: „Es
geschieht gerade ungemein viel in der Region.“
Neben Cottbus unterhält das DLR-Institut
noch einen zweiten Standort in Zittau.
Während in Cottbus mit Luft oder Edelgasen
als Arbeitsmedien geforscht wird, arbeitet die
Pilotanlage in Zittau mit Wasser. Zudem werden
in Cottbus „digitale Zwillinge“ von realen
Produktionsanlagen erstellt, um den Einsatz
erneuerbarer Energien in den Produktionsprozessen
etwa der Stahlindustrie simulieren zu
können. Die Entwicklung allerdings, dämpft
Institutsleiter Riedel überzogene Erwartungen,
benötige Zeit. In drei bis fünf Jahren könne
eine Demonstrator-Anlage in der Industrie
zum Einsatz kommen.
Anziehungskraft entwickeln die neuen
Forschungseinrichtungen in der Lausitz aber
jetzt schon, ist Prof. Dr. Uwe Riedel überzeugt:
„Rund 30 Prozent unserer Institutsbeschäftigten
sind von außerhalb zugezogen.“
Neben dem Institut für CO 2
-arme Industrieprozesse
hat das DLR 2021 in der Universitätsstadt
auch noch das In sti tut für Elek tri fi zier te
Luft fahrt an trie be gegründet. Hier werden
emissionsärmere und stärker elektrifizierte
Luftfahrtantriebe für zivile Transportflugzeuge
entwickelt, gemeinsam mit der BTU
Cottbus-Senftenberg, aber auch mit dem
Triebwerkshersteller Rolls-Royce. An der BTU
ist das Zentrum zur Erforschung hybrid-elektrischer
und elektrischer Systeme für den
Mobilitätssektor erster Ansprechpartner.
Das Center for Hybrid Electric Systems
Cottbus (CHESCO) sucht nach alternativen
Antrieben zunächst in der Luftfahrt, später
aber auch in den Bereichen Automobil, Bahn
und Schifffahrt.
Überhaupt fungiert die Brandenburgische
Technische Universität Cottbus-Senftenberg
als Dreh- und Angelpunkt beim Strukturwandel,
beispielsweise bei der Zusammenarbeit
mit der Fraunhofer-Einrichtung für
Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG.
So untersucht z. B. der gebürtige Cottbuser
und Lausitz-Rückkehrer Prof. Dr. Mario
Ragwitz in einer gemeinsamen Professur
des Fraunhofer IEG und der BTU ganzheitlich
integrierte Energieinfrastrukturen des Strom-,
Wärme- und Gassektors und der energierelevanten
IT-Infrastrukturen. Ragwitz ist zudem
Fotos: SMWA/Ronald Bonss, DLR (unten)
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
LAUSITZ
WIRTSCHAFT+MARKT11
Sprecher des Wasserstoff-Netzwerkes der
Fraunhofer-Gesellschaft. Seit seiner Gründung
im Jahre 2020 unterstützt das Fraunhofer IEG
Energieversorger, Netzbetreiber, Industrieunternehmen,
Wohnungsbaugesellschaften und
Kommunen bei der Transformation der Energieinfrastrukturen
mit markt- und anwendungsnaher
Forschung.
.
Ein Science Park für Cottbus
Foto: BTU Cottbus–Senftenberg
Ein großes und prägendes Vorhaben im Strukturwandel
der Kohleregion Lausitz der kommenden
Jahre steht allerdings noch auf dem
Papier – der Lausitz Science Park. Hier haben
sich BTU, DLR, Fraunhofer-Gesellschaft, die
Leibniz-Gemeinschaft und Unternehmen
wie BASF, LEAG und Rolls Royce gemeinsam
verpflichtet, einen Technologie- und Innovationspark
mit den Themen „Energiewende
und Dekarbonisierung“, „Gesundheit und Life
Sciences“, „Globaler Wandel und Transformationsprozesse“
sowie „Künstliche Intelligenz und
Sensorik“ am Rande des BTU-Campus entste-
Der Campus der BTU Cottbus
hen zu lassen. 10.000 Arbeitsplätze und Raum
für 200 kleine und mittelständische Unternehmen
nach dem Vorbild des Wissenschafts- und
Technologieparks Adlershof in Berlin, so lautet
die Vision. „Städtischerseits sind die planerischen
Grundlagen für die Bebauung weiter
voranzutreiben. Diese Prozesse werden noch
einige Jahre in Anspruch nehmen, vermutlich
bis etwa 2026“, schätzt der Pressesprecher
der Stadt, Jan Gloßmann. Erst dann wird sich
zeigen, ob und wie die Spitzenforschung das
neue Gesicht der Lausitz prägen wird.
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12
WIRTSCHAFT+MARKT
ZEITENWENDE
„DAS INTERESSE
DER INVESTOREN AN
BRANDENBURG IST
UNGEBROCHEN“
Prof. Dr.-Ing. Jörg Steinbach, Minister für Wirtschaft,
Arbeit und Energie in Brandenburg, über
die Folgen der Energiekrise für die brandenburgische
Wirtschaft, den Mangel an Fachkräften und
die Attraktivität des Landes für Großinvestoren.
werden sollen. Diese Fragen müssen nun
möglichst schnell geklärt werden, denn den
Unternehmen fehlt es gegenwärtig vor allem
an Planungssicherheit.
W+M: Die so genannte Zufallsgewinnsteuer
ist durchaus umstritten. Befürworten Sie eine
solche Steuer?
W+M-Verleger Frank Nehring traf Brandenburgs
Wirtschaftsminister Prof. Dr.-Ing. Jörg Steinbach
zum Interview in Potsdam.
W+M: Herr Steinbach, das dritte Entlastungspaket
der Bundesregierung soll die
Folgen der massiven Steigerung der Energiepreise
für Bürgerinnen und Bürger und
für die Unternehmen abmildern. Reichen die
geplanten Maßnahmen aus Ihrer Sicht für die
brandenburgische Wirtschaft aus?
Jörg Steinbach: Das aktuelle dritte Entlastungspaket
der Bundesregierung weist mit
Maßnahmen wie der Energiepreiskappung
und der Abschöpfung von Zufallsgewinnen in
jedem Fall in die richtige Richtung. Allerdings
weiß im Augenblick noch niemand konkret, wie
diese Maßnahmen ausgestaltet und finanziert
Jörg Steinbach: In dieser Frage gibt es ja
zwei unterschiedliche Philosophien: Eine
Möglichkeit zur Finanzierung der Entlastungspakete
wäre eine Aufhebung der Schuldenbremse.
Dann ließe sich die Finanzierung über
eine Kreditaufnahme bewerkstelligen. Dazu
müsste analog zum Vorgehen in der Coronakrise
eine außergewöhnliche Notlage festgestellt
werden.
Hält man hingegen an der Schuldenbremse
fest, kommt als alternative Finanzierungsmöglichkeit
die Zufallsgewinnabführung ins
Spiel. Welche Variante wirtschaftlich nachhaltiger
ist, können Volkswirte besser beurteilen.
Aus der Sicht eines Bundeslandes tendiere
ich eher zur Nettokreditaufnahme, denn eine
Abschöpfung von Zufallsgewinnen können wir
auf Landesseite nicht vornehmen.
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
BRANDENBURG
WIRTSCHAFT+MARKT13
Fotos: W+M
Wirtschaftsminister in schwierigen Zeiten:
Prof. Dr.-Ing. Jörg Steinbach
W+M: Gibt es in der brandenburgischen
Wirtschaft denn auch Profiteure der Energiekrise?
Jörg Steinbach: Das lässt sich nicht so
einfach beurteilen: Es gibt natürlich Unternehmen,
die von den hohen Verkaufspreisen im
Energiebereich profitieren. Aber die Medaille
hat auch hier zwei Seiten. Denn auf der Einkaufsseite
müssen diese Unternehmen jetzt
eine vielfach höhere Liquidität zur Absicherung
der Transaktionen bereithalten. Im Zweifelsfall
bewerten sie die daraus möglicherweise
resultierenden Liquiditätsprobleme höher als
die erzielten Gewinne.
W+M: Der Lieferstopp beim russischen Gas
hat die Frage nach den Abhängigkeiten der
deutschen Wirtschaft von Importen auf die
Tagesordnung gebracht. Funktioniert internationaler
Handel überhaupt ohne Abhängigkeiten
auch von Ländern, die unsere Werteordnung
nicht teilen?
Jörg Steinbach: Ich habe beruflich viele Jahre
in der chemischen Industrie verbracht. Dort
habe ich gelernt, sich nicht in die Abhängigkeit
eines einzigen Rohstofflieferanten zu begeben.
Dieses Prinzip wurde in der Energiepolitik
lange Zeit vernachlässigt. Wir müssen nun
noch stärker in einem europäischen Kontext
agieren. Wir müssen auch deutlicher den Wert
der europäischen Gemeinschaft kommunizieren,
den Menschen erklären, wie notwendig es ist,
in dieser Gemeinschaft zusammenzuarbeiten
statt Partikularinteressen zu verfolgen.
W+M: Es gibt Stimmen in der Politik, auch
unter den ostdeutschen Ministerpräsidenten,
die die Wirksamkeit der Sanktionen gegen
Russland anzweifeln. Empfinden Sie die Sanktionen
nach wie vor als gerechtfertigt?
Jörg Steinbach: Ich habe mich mit dieser
Frage zuletzt intensiv beschäftigt. Es liegen
belastbare Zahlen vom Europäischen Rat über
die Folgen der Sanktionen vor. Dort lässt sich
nachlesen, dass die russischen Im-und Exporte
um 30 bis 35 Prozent eingebrochen sind, auch
auf den Gebieten, in denen Russland zur Fortführung
des Krieges auf Importe angewiesen
ist, etwa bei der Hochtechnologie.
Die Politik hat zu wenig veranschaulicht, dass
wirtschaftliche Sanktionen einen langen Atem
erfordern und erst dann eine nachhaltige
negative Wirkung auf die russische Wirtschaft
ausüben. Ich schätze diese Wirkung als deutlich
gravierender ein als mancher andere in der
politischen Diskussion, aber nicht aus einem
Gefühl heraus, sondern auf der Basis von Fakten
und Daten, die uns zur Verfügung stehen.
W+M: Die Wirtschaft der Bundesrepublik
steht ganz unabhängig von den Folgen des
Ukraine-Krieges vor einem gewaltigen Umbau
in Sachen Klimaschutz. Wie ist Brandenburgs
Wirtschaft darauf vorbereitet?
Jörg Steinbach: Wir erleben zurzeit zwei
gegenläufige Bewegungen. Auf der einen
Seite sind private Haushalte, Kommunen und
Unternehmen bestrebt, möglichst schnell mehr
Autarkie bei der Energieversorgung zu gewinnen.
Auf der anderen Seite sollen die Unternehmen
ihre Prozesse und Verfahren dekarbonisieren.
Die dafür notwendigen Investitionen
werden aber angesichts der hohen Kostenbelastungen
momentan hinausgeschoben.
W+M: Wie steht denn Brandenburg in
Sachen Ausbau der erneuerbaren Energien im
Vergleich zu anderen Bundesländern da?
Jörg Steinbach: Wir stehen im bundesdeutschen
Vergleich an zweiter Stelle der Bundesländer.
Diese Spitzenstellung hilft uns auch
bei Gesprächen mit Investoren, das stellen wir
immer wieder fest. Wir dürfen uns darauf aber
nicht ausruhen, denn die Elektrifizierung etwa
der Mobilität oder die Umstellung der Verfahren
in der chemischen Industrie erfordert
noch deutlich mehr an erneuerbarer Stromerzeugung.
Wir befinden uns auf der Mitte des
Weges, aber wir müssen unsere Anstrengungen
verdoppeln, um bis 2045 Klimaneutralität
zu erreichen.
W+M: Grüner Wasserstoff ist in der Energiefrage
mittlerweile zum Hoffnungsträger avanciert.
Wann ist mit dessen Einsatz realistisch
zu rechnen?
Jörg Steinbach: Die Prognosen gehen davon
aus, dass 2027 die vorhandenen technischen
Ideen praxistauglich sein werden. Das ist auch
ein realistischer Zeitraum für den Ausbau der
Infrastruktur, etwa der Wasserstoffpipeline
von Rostock in den mitteldeutschen Raum und
die daran angebundenen lokalen Verteilnetze.
Ich bin mir sicher, dass die Welt der Energieversorgung
2030 eine deutlich andere sein
wird als heute. Bei vielen Entwicklungen, sei
es die Batterietechnologie oder die Nutzung
der Geothermie, haben wir in Deutschland
immer nur reagiert, deshalb sind wir gegenüber
anderen Wirtschaftsräumen bis zu zehn
Jahre im Rückstand. Das muss sich ändern, wir
müssen bei solchen technischen Entwicklungen
wieder vor die Welle kommen.
W+M: Werden die hohen Energiekosten des
Standorts jetzt zu einem Hindernis für die
Ansiedlung von Investoren in Brandenburg?
Jörg Steinbach: Wir bewerben uns gegenwärtig
um 35 Großinvestitionsprojekte, das
sind Projekte ab einem Investitionsvolumen
von über 100 Millionen Euro oder bei denen
mehr als 100 Arbeitsplätze geschaffen werden.
Natürlich stehen wir bei diesen Projekten
in einem europäischen Wettbewerb. Ich wäre
zufrieden, wenn es zwei bis drei Ansiedlungen
geben würde und bin zuversichtlich, dass wir
bis zum Ende der Legislaturperiode Erfolge
verkünden können. Das Interesse der Investoren
an Brandenburg ist ungebrochen.
W+M: Eine abschließende Frage. Die aktuelle
Ausgabe des Magazins Wirtschaft+ Markt
steht unter dem Titel „Zeitenwende“. Was
verbinden Sie mit dem Begriff?
Jörg Steinbach: Für mich wäre es eine
Zeitenwende, wenn es uns gelänge, dass die
Gesellschaft wieder zu ihren Werten zurückfindet
und näher zusammenrückt statt weiter
auseinanderzudriften.
Interview: Frank Nehring
Lesen Sie das
ausführliche
Interview im
W+M-Onlinemagazin
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
14
WIRTSCHAFT+MARKT
ZEITENWENDE
Der Flughafen BER wächst.
MEHR KONNEKTIVITÄT
FÜR DIE REGION
Die ostdeutsche Wirtschaft muss mit der Welt verbunden werden – über den Flughafen BER. Es geht
um die Konnektivität für die neuen Produktionsstandorte für Batterien, Halbleiter oder Elektroautos.
VON ALETTA VON MASSENBACH
DDer Osten Deutschlands ist eine der attraktivsten
Wirtschaftsregionen Europas. Das sehen
nicht nur wir in der Region Berlin-Brandenburg
so. Auf dem Ostdeutschen Wirtschaftsforum
im Juni in Bad Saarow beschrieb Bundeskanzler
Olaf Scholz die ostdeutschen Bundesländer als
eine „Region im Vorwärtsgang“.
Obwohl sich das Fluggastaufkommen am
Flughafen Berlin Brandenburg im Jahr 2022
mit 18 Millionen Passagieren gegenüber
zehn Millionen in 2020 fast verdoppelt hat,
wird der Bundeskanzler bei „Vorwärtsgang“
wahrscheinlich nicht an den BER und seine
Bedeutung für die Hauptstadtregion gedacht
haben. Oder vielleicht doch?
Märkte brauchen Anbindung
Der BER muss der Flughafen sein, der die
„Region im Vorwärtsgang“ in Bewegung hält.
Es geht dabei um die Konnektivität, die die
neuen ostdeutschen Produktionsstandorte
für Batterien, Halbleiter oder Elektroautos
brauchen. Deren Märkte reichen weit über
Ostdeutschland hinaus und müssen von
Arnstadt, Magdeburg oder Grünheide aus
über den BER gut zu erreichen sein. Denn
wenn die Firmengründerinnen und -gründer,
die unsere Region für sich ausgewählt
haben, nach ihren Entscheidungskriterien
gefragt werden, dann ist die jederzeit gute
Erreichbarkeit ihrer weltweiten Märkte bzw.
ihres Produktionsstandortes ein entscheidendes
Argument.
Ohne die herausragende Bedeutung der
Ansiedlung von Hightech-Produktionsstandorten
in unserer Region zu unterschätzen, geht
die Aufgabe des BER darüber hinaus. Er muss
Märkte erreichbar machen. In den Flugzeugen,
die am BER starten oder landen, sitzen längst
nicht nur Geschäftsleute. Zahlenmäßig haben
der Tourismus und der gegenseitige Besuch von
Freunden und Familien den größten Anteil an
unserem Passagieraufkommen. Auch diesem
Bedarf muss der BER als drittgrößter Flughafenstandort
bundesweit und bedeutendster
Flughafen Ostdeutschlands gerecht werden.
Foto: Annika Bauer/Flughafen Berlin Brandenburg GmbH
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
FLUGHAFEN BER
WIRTSCHAFT+MARKT15
Bis zu einer neuen Verbindung, einem neuen
Ziel, das vom BER aus zu erreichen ist, kann
es ein langer Weg sein. Dass wir in diesem
Sommer innerhalb sehr kurzer Zeit unsere Verbindung
nach New York mit dem Angebot einer
neuen Airline verstärken konnten und dass es
seit August Direktflüge nach Los Angeles gibt,
waren erfreuliche Ausnahmen.
Region braucht Konnektivität
Der BER ist das Tor Ostdeutschlands zur Welt.
Fotos: Günter Wicker/ Flughafen Berlin Brandenburg GmbH, Fabian Sommer - dpa (unten)
Um die wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands
auch in Zukunft mit der passenden
Konnektivität bedienen zu können, müssen
wir am BER die Erfordernisse der Region
noch besser kennen und besser verstehen. Wir
brauchen verlässliche Daten und Informationen,
um die Airlines zu überzeugen, dass es
wirtschaftlich Sinn ergibt, den Flughafen BER
und damit die gesamte Region in ihr Flugangebot
aufzunehmen.
Das Intel-Werk in Magdeburg ist sicher ein guter
Opener für Gespräche mit den Airlines über
die weltweite Wahrnehmung Sachsen-Anhalts
als Wirtschaftsstandort. Aber man muss
kein Luftfahrtexperte sein, um zu erkennen,
dass das Intel-Werk allein noch keine neue
Verbindung nach San Francisco rechtfertigen
würde. Was aber, wenn wir wüssten, welche
weiteren Beziehungen zwischen den ostdeutschen
Wirtschaftskernen und der Bay Area
existieren? Und wenn dann noch die Information
dazu käme, wie groß das Interesse von
amerikanischen Touristen aus der Bay Area
daran ist, den Ostteil von „good old Germany“
zu sehen, könnte daraus ein Business Case für
eine Airline und somit eine neue Verbindung
Ostdeutschlands in die Welt entstehen. Das
Beispiel macht deutlich, dass es für Fluglinien
sicher eine Menge guter Gründe gibt, den
Flughafen BER in ihr Streckennetz aufzunehmen.
Werthaltige Informationen über die
Attraktivität und die wirtschaftlichen Vorteile
solcher Verbindungen können aber weit über
die ostdeutschen Bundesländer verteilt sein.
Gemeinsam an der Story arbeiten
Die Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg
hat diese Herausforderung bereits erkannt
und im ersten Schritt einen Austausch mit den
Tourismusverbänden der Länder intensiviert.
Der touristische Verkehr wird bis auf Weiteres
den zahlenmäßig größten Anteil am Flugverkehr
des BER haben. Die Flughafengesellschaft
wird die Informationsgewinnung ausweiten und
so schrittweise immer mehr Argumente dafür der BER infrastrukturell über beste Voraussetzungen
für eine umfassende regionale
sammeln, warum es aus Sicht der internationalen
Airlines eine gute Entscheidung sein Anbindung. Die Verbindungen nach Berlin sind
kann, die Destination BER in ihre Streckennetze bereits jetzt gut und werden in den kommenden
Jahren sogar noch ausgebaut. Doch schon
aufzunehmen.
die Erreichbarkeit der Brandenburger Landeshauptstadt
Potsdam ist schwierig. Zwar gibt
Regelmäßige Tagungen wie das Ostdeutsche
Wirtschaftsforum helfen uns, die notwendigen
Kontakte und Impulse zu bekommen. Es dung von Chemnitz und Dresden nach Rostock
es seit dem Sommer eine direkte Zugverbin
sollte aber auch im Interesse der ostdeutschen über den BER. Von den Landeshauptstädten
Bundesländer und ihrer Wirtschaftsförderungen
liegen, uns solche Informationen zur einzige mit einer direkten Zugverbindung an
in Ostdeutschland ist aber weiterhin keine
Verfügung zu stellen. Natürlich ist es unsere den BER angebunden.
Aufgabe, mit den Airlines über neue Verbindungen
zu reden und diese dann auch tatsächlich
an den BER zu holen. Informationen über der Flughafen herstellen soll und muss, ist eine
Die Verbindung der Region mit der Welt, die
die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes zu wichtige Aufgabe für die kommenden Jahre.
sammeln, zu Argumenten zu verdichten und Dazu bedarf es eines gemeinsamen Vorgehens.
Das kommende Ostdeutsche Wirt
daraus eine gute Story über eine „Region im
Vorwärtsgang“ zu formen, muss aber unser schaftsforum im Sommer 2023 könnte dazu
gemeinsames Interesse sein. Wir freuen uns den Startschuss geben. Als ambitioniertes Ziel
über jeden Hinweis, jede Studie oder Statistik, könnte formuliert werden, dass der Flughafen
die dazu beitragen kann.
in der Hauptstadtregion aus jeder Landeshauptstadt
Ostdeutschlands in weniger als
Ostdeutschland an BER anbinden einer Stunde mit dem Zug erreichbar ist, damit
die Wirtschaftskerne Ostdeutschlands durch
Die bedarfsgerechte Konnektivität der Region schnelle Verbindungen zusammenzurücken.
zu erhalten und zu verbessern, hat einen weiteren
wichtigen Aspekt: Es geht um die Frage biet des BER vergrößern. Sie könnte am Ende
Eine solche Vernetzung würde das Einzugsge
der ersten und der letzten Meter, also um die das entscheidende Argument dafür sein, dass
Erreichbarkeit des BER aus der Region selbst. sich weitere Airlines für den BER interessieren
Mit dem Autobahnanschluss und vor allem mit und neue Verbindungen in die ostdeutsche
seinem Bahnhof unter dem Terminal verfügt Region aufnehmen.
Aletta von Massenbach
Aletta von Massenbach ist seit Oktober 2021 CEO
der Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg. Die
studierte Juristin wechselte 2020 von der Fraport AG
zunächst als Kaufmännische Geschäftsführerin zur
Flughafen Berlin Brandenburg GmbH.
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
16
WIRTSCHAFT+MARKT
ZEITENWENDE
AUFBRUCH IN DER STILLE
Die Gigafabriken in Grünheide und Magdeburg und der milliardenschwere Umbau der Braunkohlereviere bestimmen
die Schlagzeilen in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Droht dabei der ländliche Raum auf der Strecke zu bleiben?
Eine Reise zu den Orten der Zeitenwende in der Altmark und der Prignitz.
VON MATTHIAS SALM
WWittenberge blüht auf – ein großes Banner am
Bahnhof von Wittenberge kündet bereits jetzt
die Landesgartenschau 2027 in der Elbestadt
wende verschwanden die Gleise zur Stadtseite
dann hinter den Bahnhof. Zur Eröffnung des
modernisierten Wittenberger Bahnhofsareals
reiste eigens der damalige Bundeskanzler Gerhard
Schröder samt Entourage an die Elbe.
Lang ist's her: Hinter der äußeren Pracht der
Bahnhofsfassade herrscht heute innere Leere.
Ein Leerstand, der die Elbestädter schmerzt
und der nun beendet werden soll. Wittenberge
erhält dazu vom Bund eine Millionenspritze für
die Sanierung des historischen Gebäudes. Der
einstige Mitropa-Saal soll zu einem modernen
Servicepoint mit Gastronomie ausgebaut werden.
Doch dabei bleibt es nicht. Auch Co-Worker
an. Ein Schlüsselprojekt für eine nachhaltige
Stadtentwicklung soll die Leistungsschau der
Landschaftsgärtner für die Industriestadt im
Wandel werden. Viele Wittenberger würden
sich allerdings wünschen, dass das Bahnhofsgebäude
selbst erst einmal wieder erblüht.
Wie ein kleines Stadtschloss thront das
mehrgeschossige, 1846 errichtete und danach
mehrfach erweiterte Empfangsgebäude im
klassizistischen Stil am Rande der Innenstadt.
Einst lag das Gebäude auf einer Insel inmitten
eines Meeres von Gleisen. Zur Jahrtausend-
Wittenberger Bahnhof: Leerstand mit Perspektive
und Existenzgründer sollen hier einziehen,
ebenso ein bahnnahes Ausbildungszentrum
für Zerspanungsmechaniker. Zur Landesgartenschau,
so der Plan, wird der Bahnhof
seinem Beinamen „Tor zur Prignitz“ wieder alle
Ehre machen.
Der Sommer der Pioniere
Wittenberge, früher liebevoll „Stadt der
Nähmaschinen“ genannt, wurde im vergangenen
Jahrzehnt in der überregionalen Presse
zum Inbegriff des Niedergangs ostdeutscher
Industriestädte stilisiert. Denn Nähmaschinen
werden hier schon lange nicht mehr gefertigt.
Doch anders als ähnlich gebeutelte Kommunen
zog sich Wittenberge angesichts der
negativen Schlagzeilen nicht in den Schmollwinkel
zurück. 2019 lud die Stadt zum „Summer
of Pioneers“. Rund 30 Digitalschaffende
wurden in die größte Stadt der Prignitz zum
Arbeiten und Leben eingeladen. Die kreativen
Wittenberge: Der Bahnhof soll wieder
die schöne Seite der Stadt werden.
Fotos: Matthias Salm
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
SMART COUNTRY
WIRTSCHAFT+MARKT17
Fotos: Matthias Salm, Daniel Görner IMG Sachsen-Anhalt mbH (oben)
Köpfe rückten die Elbestadt bundesweit in ein
positiveres Licht.
Der Sommer ging – einige Pioneers aber
blieben. Sie etablierten die Initiative Elblandwerker,
eine Anlaufstelle für Co-Worker,
Existenzgründer und großstadtmüde digitale
Nomaden, die es in die Prignitz zieht. „Initiativen
wie die Elblandwerker sind wichtig für die
Stadt“, heißt es auch aus der lokalen Wirtschaftsförderung.
Akademiker in die Region
zu locken, gehört zu den Zielen der Wirtschaftsakquisiteure,
gilt sie doch als einer der
Landstriche mit der geringsten Akademikerquote
bundesweit.
Dennoch zählt auch in Wittenberge vor allem
immer noch die bare Münze der industriellen
Arbeitsplätze, die etwa der österreichische
Dämmstoffhersteller Austrotherm oder der
größte Arbeitgeber der Stadt, das Fahrzeuginstandhaltungswerk
der Deutschen Bahn,
bieten. Wittenberge wirbt auch mit seiner
günstigen logistischen Lage auf halbem Weg
zwischen Berlin und Hamburg – in manch
außerbrandenburgischen Landeshauptstadt
wie Hamburg, Schwerin oder Magdeburg ist
man von hier schneller als in Potsdam.
Ritter Roland wacht über Perleberg
15 Kilometer weiter nordöstlich, in Perleberg,
wuchern sie noch mit einem anderen Pfund:
der mittelalterlichen Altstadt. Sie liegt auf
einer Insel inmitten zweier Flussarme der
Stepenitz. „Früher“, weiß die Landschaftsarchitektin
Maria Pegelow, „wurde Perleberg
Klein-Venedig’ genannt, weil viele schmale
‘
Kanäle die Altstadt durchzogen.“ Ende des 19.
Perleberg: Ritter Roland hält die Stellung.
Das Kulturkombinat Perleberg nutzt ein leerstehendes
Traditionshotel für Veranstaltungen.
Jahrhunderts wurden die kleinen Wasserläufe
aus hygienischen Gründen zugeschüttet.
„Heute wären sie eine Attraktion“, bedauert
Pegelow. Die Referentin für Öffentlichkeitsarbeit
bei der Brandenburgischen Architektenkammer
bewohnt den letzten erhaltenen
Wehrturm der Stadt und rührt in ihrer Freizeit
die Werbetrommel für die „Perle der Prignitz“.
Perleberg als „Klein-Venedig“ ist eine schöne
Vision, ganz pragmatisch wäre es Pegelow
aber lieber, wenn die öffentlichen Plätze in der
Altstadt nicht mehr als Parkraum dienten. Eine
von vielen Ideen, wie Perleberg an Lebensqualität
gewinnen könnte.
2021 bezog Pegelow den Co-Working-Space
„Hallo Perle“ nahe der Rolandstatue, die
seit jeher über den Großen Markt der Stadt
wacht. Pegelow hat das Projekt mitinitiiert.
Als Voraussetzung für die Anmietung des leer
stehenden Ladenlokals gab man ihr auf den
Weg, dass der Co-Working-Space sich als eine
offene Anlaufstelle in der Stadt etablieren solle.
Kommunikative Orte wie „Hallo Perle“ sind
nicht nur in der Rolandstadt gern gesehene
Initiativen, um Menschen in die Innenstädte
zurückzuholen. Auch Jens Knauer schätzt es,
wenn Co-Working-Räume die Zentren beleben.
Knauer bekleidet seit 2019 die Stelle des Leerstandsmanagers
für die Städte Wittenberge
und Perleberg am Technologie- und Gewerbezentrum
Prignitz: „Durch das Leerstandsmanagement
konnte der Leerstand in Perlebergs
Innenstadt um 30 Prozent zurückgeführt
werden“, sagt Knauer, der die direkte Kommunikation
mit Kommunen, Einzelhändlern und
Immobilienbesitzern sucht. „Es sind vor allem
Geschäftsideen in der Nische wie qualitätsvolle
Lebensmittel oder handwerkliche Arbeiten,
die Erfolg versprechen.“ Auch Pop-up-Stores
als Zwischennutzung werden unterstützt, um
leere Ladenlokale wiederzubeleben.
Das Land wird smart
Dass der ländliche Raum nicht abgehängt
werden darf, haben auch die Landesregierungen
in Potsdam und Magdeburg erkannt. Die
Wirtschaftsfördergesellschaften der Länder
Brandenburg und Sachsen-Anhalt, WFBB und
IMG, unterzeichneten deshalb 2021 eine Kooperationsvereinbarung.
Länderübergreifend
soll demnach die wirtschaftliche Entwicklung
im östlichen Sachsen-Anhalt und im westlichen
Brandenburg mithilfe der Digitalisierung
vorangetrieben werden.
Smart Country: Ohne digitale Infrastruktur geht es nicht.
Das Zauberwort heißt „Smart Country“.
Co-Working-Spaces, Kreativorte und digitale
Dörfer sollen eine neue Dynamik in die dünnbesiedelte
Region bringen. Die Zusammenarbeit
leuchtet ein: Die Ausgangslage dies- und
jenseits der Elbe ähnelt sich. Auch wenn der
Blick in der Prignitz sich oft schon gen Norden
richtet, während etwa das auskömmliche
Durchschnittseinkommen der Menschen in der
westlichen Altmark von Berufspendlern zum
VW-Werk in Wolfsburg gespeist wird. Eine
Studie der Wüstenrot-Stiftung beispielsweise
nährt die Hoffnung auf das digitale Comeback
des ländlichen Raums, das helfen soll, die
Abwanderung zu stoppen. Co-Working-Spaces
sind demnach oft auch Angebote für Pendler,
die nicht mehr täglich den langen Weg in
die Stadt zu ihren Arbeitsorten zurücklegen
wollen, oder für Selbständige, die sich einen
Schreibtisch oder Besprechungsraum fern der
eigenen vier Wände wünschen.
Perleberg: Nicht alle Versuche, kommunikative Orte
einzurichten, funktionieren.
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
18
WIRTSCHAFT+MARKT
ZEITENWENDE
Ein ruhiger, langer Fluss
Ortswechsel Altmark. „Kann ich hier in der Nähe
etwas einkaufen?“, ruft der Radfahrer vom
Elbedeich herab. Er hat schon die Regenjacke
gegen das nahende Gewitter eng geschnürt.
„Am besten umkehren und nach Wittenberg
zurück, acht Kilometer“, entgegnet ihm Norbert
Krebber. Direkt hinter Krebbers Elbehof im Storchendorf
Wahrenberg verläuft der Elberadweg,
Deutschlands populärster Fernradweg, durch
die Elbauen. „Oder weiter bis Schnackenburg“,
ruft Krebber dem Radler zu.
Wahrenberg: Die Idylle der Elbauen
Wahrenberg: Der Elbehof als kultureller Treffpunkt
Ein alter Theatersaal aus den Zeiten, als hier
noch eine Fähre verkehrte und ein Gasthof
betrieben wurde, dient als Veranstaltungsort,
eine Seminarscheune bietet Raum für Seminarveranstalter,
die es etwas rustikaler und
abgeschiedener mögen, das Café arbeitet auch
mal mit „Vertrauenskasse“, weil festes Personal
zu kostspielig wäre. Ein wenig hat sich der
Fortschritt von Krebbers Kreativ-Projekt über
die Jahre dem Lauf der Elbe angepasst, die
hinterm Deich gemächlich und ruhig ihre Bahn
durch die Auen zieht.
Warten auf das olympische Feuer
Anderen kann es dagegen nicht schnell genug
gehen. Wie Daianira Leja, Leiterin des IDA
Integrationsdorfs Arendsee. Ein Unternehmen
aus dem Alten- und Pflegebereich hat vor zwei
Jahren die Anlage übernommen, nachdem
der Vorbesitzer nicht ohne Grund Insolvenz
anmelden musste. „Hier ist zwanzig Jahre
nicht investiert worden“, klagt Daianira Leja.
Nun soll das Gelände über zehn Jahre zu einem
Schmuckstück für inklusive Ferienangebote
am Ostufer des Arendsees modernisiert
werden. Vor der Wiedervereinigung war hier
ein Ferienlager untergebracht, doch Fragen
nach der Geschichte des Ortes hört die aus
Ostwestfalen zugewanderte IDA-Chefin nicht
ganz so gern. „Ich schaue lieber nach vorn“,
sagt sie. Bis zu 200 Personen können auf
Das IDA Integrationsdorf am Arendsee
Der nördlichste Punkt Sachsen-Anhalts ist
von Wahrenberg nicht mehr weit entfernt,
Schnackenburg liegt schon jenseits der Grenze
in Niedersachsen. „Na, irgendwas wird vor
Hamburg schon noch kommen“, seufzt der
Radler und tritt in die Pedale, noch bevor
Krebber ihm spontan ein Lunchpaket packen
kann. Das wäre kein Problem, schließlich
lädt am Elbehof auch ein
kleines Café Ausflügler, Radler
oder Storchenliebhaber
bei Veranstaltungen zum
Verweilen ein.
Krebber ist Ende der
1990er-Jahre aus dem
Ruhrgebiet zugewandert
und hat den historischen
Dreiseithof in Wahrenberg
übernommen, um ihn in einen
Kreativort umzuwandeln. „Kreativort
alleine funktioniert aber nicht“, räumt
Krebber gleich ein, „Sie müssen auch das
Dorf mitnehmen.“ Wie Krebber versuchen
auch in der Altmark oftmals Zugewanderte,
die Dörfer zu erneuern und den Leerstand
zu beleben. „Wir wollen ein Angebot machen
für die Menschen, die hier leben, und für die
Gäste. Große Gewinne lassen sich damit aber
nicht erwirtschaften“, sagt Krebber.
Fotos: Matthias Salm, IDA Integrationsdorf Arendsee GmbH & Co. KG
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
SMART COUNTRY
WIRTSCHAFT+MARKT19
Der alte Gutshof Lindstedt lockt Reisegruppen an.
Inklusive Ferien am Arendsee
dem Gelände mit 44 Wohnungen ihre Ferien
genießen. Von Ostern bis Oktober läuft das
Hauptgeschäft im Integrationsdorf. „Urlaubsangebote
für Menschen mit Handicap
sind ein wachsender Markt“, ist Daianira Leja
überzeugt.
Der Arendsee mit über fünf Quadratkilometern
Wasserfläche ist der größte natürliche See in
Sachsen-Anhalt. Zwar lockt das Strandbad
Arendsee mit diversen Freizeitmöglichkeiten,
der Schaufelraddampfer „Queen Arendsee“
lädt zu Seerundfahrten ein und das mehrfach
Fotos: IDA Integrationsdorf Arendsee GmbH & Co. KG, Daniel Görner, IMG Sachsen-Anhalt mbH
preisgekrönte Jugendfilmcamp sorgte in den
letzten Jahren für überregionale Aufmerksamkeit,
doch Leja hält das touristische
Potenzial der Region noch längst nicht für
ausgeschöpft. Das 30-Millionen-Euro-Projekt
„Waldheim-Ressort“, eine kombinierte Anlage
mit Hotel, Ferien- und Eigentumswohnungen,
kommt beispielsweise nur schleppend voran.
Umso begeisterter ist Daianira Leja deshalb,
dass es dem Integrationsdorf in Kooperation
mit der Kommune gelungen ist, als „Host
Town“ der Special Olympics 2023 in Berlin
ausgewählt zu werden. Die Weltspiele der
Menschen mit geistiger Behinderung sind
die einzige Sportveranstaltung weltweit, der
das Internationale Olympische Komitee die
Nutzung des Namens „Olympics“ und die Verwendung
der olympischen Symbole erlaubt.
„Es gibt deutschlandweit 170 Gastgeberorte,
an denen sich die Teams vor den Spielen aufhalten
und akklimatisieren werden. Arendsee
ist die kleinste der Host Towns“, erklärt Leja
stolz. Im kommenden Jahr werden sie im IDA
Integrationsdorf 60 Sportler aus Syrien samt
Begleitung empfangen. „Die Special Olympics
sind ein riesiges Event mit sehr hohen Anforderungen
an die Gastgeber, bei dem die ganze
Kommune eingebunden wird.“ Der Höhepunkt:
Das olympische Feuer wird auf dem Weg nach
Berlin auch durch Arendsee getragen. Für Leja
ein echter Glücksfall: „Es entsteht ein Marketingwert
für die Region, der gar nicht groß
genug zu beziffern ist.“
Bis es soweit ist, spiegelt sich auch im Berufsalltag
von Daianira Leja das Wechselspiel
von Aufbruchsstimmung und Beharrungsvermögen
in der Altmark täglich wieder. Das
ehemalige Kinder-Café auf dem Gelände etwa,
ein Gebäude im typischen DDR-Baustil, sollte
zeitgemäßer Bebauung weichen. Doch weil
hier einst die Menschen aus der Region ihre
Jugendweihen feierten, regte sich Unmut über
die Abrisspläne für den emotionalen Erinnerungsort.
Jetzt entsteht dort ein Co-Working-Space
– eine Verbindung von Ostalgiecharme
mit modernen Arbeitsformen.
Lichtkunst in Lindstedt
Auch in Lindstedt vor den Toren von Gardelegen
versucht man, Gäste aufs Land zu locken.
An Ideen mangelt es auch hier nicht. So soll
ein Lichtblütenfestival getauftes Event prägnante
Orte wie das alte Rittergut Lindstedt
mit kunstvollen Lichtinstallationen erstrahlen
lassen. Der historische Vierseitenhof verfiel
über Jahre, ehe der Förderverein „Historische
Region Lindstedt“ mühevoll das nach der
Wende scheibchenweise in alle Welt verkaufte
Gebäudeensemble erwarb. Nun finden hier
Kulturveranstaltungen, Seminare, Workshops
und private Feiern statt. Denn während anderswo
in Brandenburg und Sachsen-Anhalt
Gigafabriken und neue Forschungszentren
das Tempo der Zeitenwende diktieren und
Fachkräfte aus aller Welt anziehen, geht es
in der Prignitz und der Altmark noch immer
darum, die Menschen in den Dörfern zu
halten. Die Zeitenwende im ländlichen Raum
– sie wird vor allem von engagierten und
risikobereiten Menschen – Einheimische wie
Zugewanderte – in dem ihnen eigenen Tempo
gestaltet.
Lindstedt: Im alten Gutshof ist wieder
Leben eingezogen.
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
20
WIRTSCHAFT+MARKT
ZEITENWENDE
„WIR SIND DIE
STADT DER
FREIHEIT UND
DER VIELFALT“
Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey im W+M-Interview über die Berliner Wirtschaft
in der Krise, die Herausforderungen des Klimaschutzes und den Fachkräftemangel in der Hauptstadt.
W+M: Frau Giffey, angesichts der zahlreichen
Krisen von Corona bis zum Ukraine-Krieg
hatten Sie kaum Zeit zur Einarbeitung. Sind Sie
im Amt schon richtig angekommen oder gibt
es noch Themen, die Sie vorerst hintenangestellt
haben?
Franziska Giffey: Im Roten Rathaus hatte ich
schon an meinem ersten Tag das Gefühl, dass
ich angekommen bin. Es ist für mich eine große
Ehre, Regierende Bürgermeisterin der deutschen
Hauptstadt zu sein und Verantwortung
für rund 3,7 Millionen Menschen zu tragen.
Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey
Die ersten Monate waren aber von Krisen
geprägt. Wir haben unseren Koalitionsvertrag
in einer Zeit vereinbart, in der wir dachten, wir
könnten nach der Pandemie wieder richtig
durchstarten. Dann begann am 24. Februar
der russische Angriffskrieg auf die Ukraine mit
vielen tausend Geflüchteten, die seitdem auch
Berlin erreicht haben. Nach der Pandemie und
der Flüchtlings- und Kriegssituation haben
wir aktuell die Energiekrise mit Fragen der
Versorgungssicherheit, von Preissteigerungen
und Inflation. Das sind alles Geschehnisse, die
zu den drängenden Aufgaben wie Wohnungsbau,
Verwaltungsmodernisierung oder dem
Neustart unserer Wirtschaft hinzukommen
und die wir bewältigen müssen.
Foto: Lena Giovanazzi
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
BERLIN
WIRTSCHAFT+MARKT21
W+M: Wie würden Sie Ihren Politikstil
beschreiben, was ist Ihnen persönlich wichtig
als Regierende Bürgermeisterin von Berlin?
Franziska Giffey: Mein Motto ist seit meiner
Zeit in der Kommunalpolitik: hingehen,
zuhören, anpacken. Nicht die Lage beklagen,
sondern pragmatisch Lösungen finden, sich
kümmern. Als Regierende Bürgermeisterin
bin ich in dieser Verantwortung und arbeite
gemeinsam mit meinem Team und den Mitgliedern
der Landesregierung dafür, dass die
Dinge auch gelingen.
Was mir auch wichtig ist: Berlin hat ein riesiges
Potenzial. Wir sind die Stadt der Freiheit und
der Vielfalt. Wir haben eine Kulturlandschaft,
die einzigartig ist, die größte Start-up-Szene
Europas, eine starke Wirtschaft, einen gut
ausgebauten ÖPNV. Die Berlinerinnen und
Berliner haben allen Grund, stolz auf ihre Stadt
zu sein. Auch das möchte ich durch meine
Arbeit vermitteln.
W+M: Wie geht es der Berliner Wirtschaft?
Franziska Giffey: Unsere Wirtschaft erholt
sich erfreulicherweise recht gut vom Einbruch
während der Pandemie. Im zweiten Halbjahr
2021 ist das Bruttoinlandsprodukt Berlins
im Vergleich zum Vorjahr schon wieder um
3,3 Prozent gewachsen und liegt damit über
dem Bundesdurchschnitt. Die aktuelle Entwicklung,
in der viele Unternehmen und Betriebe
wegen hoher Strom- und Gaspreise unter Druck
geraten, dämpft diesen Trend. Dem steuern wir
mit Wirtschaftshilfen entgegen.
W+M: Wo liegen denn Ihre Schwerpunkte in
Sachen Wirtschaftsentwicklung?
Franziska Giffey: Als Senat setzen wir auf
eine starke und nachhaltige Berliner Wirtschaft.
Berlin soll auch in den nächsten Jahrzehnten
wettbewerbsfähig sein. Die Berliner
Landesregierung fördert deshalb aktiv das
Wachstum sowie Unternehmensansiedlungen
und -gründungen.
W+M: Wie krisenstabil ist die Berliner
Wirtschaft?
Franziska Giffey: Wir kommen vergleichsweise
gut aus der durch die Pandemie
verursachten Krise. Ohnehin war die Berliner
Wirtschaft in sehr unterschiedlicher Weise
getroffen: Besonders Gastronomie, Hotellerie,
Tourismus, die Veranstaltungs-, Film- und Kulturbranche,
aber auch der Einzelhandel hatten
mit großen Einschränkungen zu kämpfen. Aber
wir sehen in diesen Bereichen glücklicherweise
bereits eine deutliche Erholung. Die Stadt ist
wieder voll, es kommen fast so viele Gäste
wie vor der Pandemie zu uns. Messen wie die
ILA und IFA ziehen Tausende von Besuchern
an. Berlin hat nichts von seiner Attraktivität
verloren. Als Land Berlin fördern wir diese Entwicklung
mit unserem Neustart-Programm für
die Berliner Wirtschaft und die Kultur mit über
330 Millionen Euro für 2022 und 2023.
W+M: Welche Branchen waren besonders
krisenfest?
Franziska Giffey: Besondere Krisenfestigkeit
hat die Berliner Digitalbranche bewiesen.
Sie war mit ihren vielen Produkten und
Dienstleistungen gut auf die Anforderungen
vorbereitet, vor denen Gesellschaft und
Wirtschaft durch die Pandemie standen. Die
Krise hat der Digitalisierung insgesamt einen
großen Schub gegeben. Homeoffice, digitaler
Unterricht, innovative Formen von Onlineshopping,
virtuelle Treffen im beruflichen und
familiären Kontext, neue Apps für medizinische
Zertifikate und Gesundheitswarnungen
sowie virtuelle Arztkonsultationen – all
diese neuen Instrumente werden bleiben
und haben uns insgesamt vorangebracht. Die
Digitalwirtschaft ist auch ein wesentlicher
Wachstumsmotor mit fast 120.000 Beschäftigten
und einem Anteil von 18 Prozent
am Berliner Wachstum in den vergangenen
sieben Jahren. Man kann sagen: Berlin ist
schon heute Startup-Metropole Nummer 1
in Europa.
W+M: Welche Folgen hat der Ukraine-Krieg?
Franziska Giffey: Die Folgen des russischen
Angriffskriegs auf die Ukraine treffen
auch Berlin, das gilt insbesondere für die
Baubranche. Energieversorgungssicherheit,
Lieferkettenengpässe, Rohstoffknappheit und
Preissteigerungen sind dabei nur die wichtigsten
Problemstellungen, die natürlich in erster
Linie vom Bund bewältigt werden müssen.
Das Land wird hier wo möglich ergänzend zum
Bund zusätzliche Unterstützungsmaßnahmen
für die Berliner Wirtschaft schaffen.
W+M: Welche Leuchttürme ragen aus der
Berliner Wirtschaft hervor?
Franziska Giffey: Berlin ist schon heute
eine der größten Wissenschaftsregionen
Europas mit international renommierten
Hochschulen und Forschungseinrichtungen.
Zwischen Wissenschaft und Wirtschaft
gibt es eine intensive Zusammenarbeit.
Im Mai war ich beispielsweise beim
Richtfest für zwei moderne Forschungsgebäude
am Charité Campus Virchow-Klinikum,
wo die Technische Universität, Land
und Bund anwendungsorientiert zusammenarbeiten.
Stichworte sind „BeCat –
Berlin Center für Advanced Therapies“ und
„Si-M – Der simulierte Mensch“. Solche
Projekte haben auch eine große wirtschaftliche
Bedeutung.
Berlin verfügt über zahlreiche moderne
Technologiezentren und Zukunftsorte
mit wissenschaftsnaher Infrastruktur.
Das sind ideale Standorte für junge und
technologieorientierte Unternehmen,
Leuchttürme, die auch international ausstrahlen.
Unter dem Label „innoBB 2025“
entwickeln wir im Rahmen der Metropolregion
Berlin-Brandenburg die gemeinsame
Innovations- und Clusterstrategie weiter.
In den fünf länderübergreifenden Clustern
Gesundheitswirtschaft, Informations- und
Kommunikationstechnologien mit Medien
und Kreativwirtschaft, sowie Verkehr, Mobilität
und Logistik, Optik und Photonik und
Energietechnik haben wir viele verschiedene
Leuchtturmvorhaben zu bieten.
W+M: Die Wirtschaft der Bundesrepublik
steht vor einem gewaltigen Umbau in
Sachen Klimaschutz. Wie ist Berlin darauf
vorbereitet?
Franziska Giffey: Der Klimaschutz ist für
uns Querschnittsthema in allen Politikbereichen.
Das hat konkrete Konsequenzen
für unsere Regierungsarbeit: Alle Senatsvorlagen
unterliegen einem Klimacheck, so
dass jeweils im Zweifel klimafreundlichere
Alternativen in der Abwägung gestärkt
werden können. Unsere ambitionierten
Ziele werden wir aber nur gemeinsam mit
unseren Partnern in Wirtschaft, Industrie,
Handwerk und Gewerbe umsetzen können.
Wir nutzen die Innovationsförderung bei
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
22
WIRTSCHAFT+MARKT
ZEITENWENDE
Das Rote Rathaus, Berlins Regierungssitz
der Investitionsbank Berlin für die Unterstützung
der klimafreundlichen Transformation
von Produkten und Unternehmen.
Dabei beziehen wir bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung
von Förderprojekten
die Klimakosten mit ein. Als Senat setzen
wir einen deutlichen Schwerpunkt auf
Investitionen in Klimaschutz und in Klimaanpassungsmaßnahmen
unter anderem
bei der energetischen Sanierung, dem Solarausbau,
der Flächenentsiegelung, dem
Stadtgrün, der Begrünung von Dächern
und Fassaden und beim Regenwassermanagement.
W+M: Gibt es schon greifbare Fortschritte
bei der Modernisierung der Verwaltung?
Franziska Giffey: Unsere Verwaltung
muss Dienstleister für alle Berlinerinnen
und Berliner und natürlich auch für die Unternehmen
sein. Sie muss digital, aber eben
auch nach wie vor analog erreichbar sein.
Unser Ziel ist es deshalb, die Verwaltung
auch personell in die Lage zu versetzen,
diese Aufgaben bewältigen zu können. Das
Thema Verwaltung ist selbstverständlich
auch für den gesamten Bereich der Stadtentwicklung
und des Bauens wichtig. Im
Berliner Wohnungsbündnis haben wir für
den Senat zugesagt, Bau- und Planungsverfahren
zu digitalisieren und auch zu
beschleunigen. Dazu gehören zum Beispiel
die digitale Bauakte und der elektronische
Wohnberechtigungsschein, die bald an den
Start gehen sollen.
W+M: Was braucht eine moderne Verwaltung,
um die anstehenden Aufgaben zu aller
Zufriedenheit erfüllen zu können?
Franziska Giffey: Das „Unternehmen Berlin“
mit seinen etwa 140.000 Mitarbeitenden
muss ein attraktiver Arbeitgeber mit besten
Arbeitsbedingungen sein. Das ist eine zentrale
Voraussetzung für die funktionierende Stadt.
Eine moderne und bedarfsgerechte Verwaltung
ist ohne Digitalisierung nicht möglich.
Deshalb haben wir in dieser Legislaturperiode
mit Ralf Kleindiek erstmals einen Chief Digital
Officer eingestellt. Er arbeitet aktuell zum
Beispiel daran, unsere rund 30 „Topseller“, also
die am meisten nachgefragten Verwaltungsdienstleistungen,
zu digitalisieren. Wenn das
funktioniert, decken wir etwa 90 Prozent des
Bedarfs bei den Anfragen von Bürgerinnen,
Bürgern und der Wirtschaft. Damit wäre schon
sehr viel erreicht. Bei den Bürgerämtern können
wir mittlerweile bei fast 40 Prozent der
Fälle das 14-Tage-Ziel erreichen.
W+M: Fachkräftegewinnung ist überall ein
großes Thema. Hat Berlin besondere Ideen?
Franziska Giffey: Der Fachkräftemangel
betrifft uns in Berlin genauso wie überall.
Wir merken das auch in unserer Verwaltung,
zum Beispiel im Bereich der Lehrkräfte, bei
Polizei und Feuerwehr oder im Öffentlichen
Gesundheitsdienst. Schwerer noch wiegt der
Fachkräftemangel im Handwerk oder in den
Energie- und Klimaberufen, also im technischen
Bereich. Hier bleiben jedes Jahr auch
sehr viele Ausbildungsplätze unbesetzt.
Als Politik müssen wir hier gegensteuern,
soweit wir es können. Der Senat nutzt deshalb
alle Instrumente von einer Ausbildungsoffensive
bis zur deutlichen Verbesserung
der Arbeitsbedingungen. Gemeinsam mit
der Handwerkskammer, mit Verbänden
und Innungen haben wir beispielsweise ein
Programm zur Verbesserung der Aus- und
Fortbildung und der Gewinnung von Fachkräften
für baulichen und gebäudetechnischen
Klimaschutz entwickelt, das auch gezielt
Menschen ohne Abschluss oder mit fehlenden
Grundfertigkeiten einbezieht. Wir werden das
Landeskonzept für die Berufsorientierung und
berufliche Bildung anpassen und auch an Gymnasien
stärker für die duale Ausbildung werben.
Interview: Frank Nehring
Lesen Sie das
ausführliche
Interview im
W+M-Onlinemagazin
Foto: Adobe Stock
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
SACHSEN-ANHALT
SACHSEN-ANHALT
Starke Starke Geschichte,
große große Ideen Ideen
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Modernes
Modernes Denken
Denken ist ist ein ein
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Markenzeichen
Markenzeichen
Sachsen-Anhalts.
Sachsen-Anhalts. Hier Hier Hier
haben
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waren. über Jahrhunderte kluge Köpfe
weltverändernde Ideen entwickelt. Jetzt wird Sachsen-Anhalt
zu einem Knotenpunkt der digitalen Zukunft ausgebaut.
© Intel Corporation
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Dessau
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Luthergedenkstätten
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Wittenberg und Eisleben
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Altstadt und und
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Sachsen-Anhalt soll Zentrum der europäischen Chip-Produktion werden.
Der Sechs Sechs
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Sachsen-Anhalt
Sachsen-Anhalt 17 Milliarden
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24
WIRTSCHAFT+MARKT
ZEITENWENDE
„DIE SÄCHSISCHE WIRT-
SCHAFT IST KRISEN- UND
AN PASSUNGSERPROBT“
W+M sprach im Interview mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer über die
aktuelle Lage der Wirtschaft im Freistaat, seine Kritik an der Energiepolitik der Bundesregierung
und die Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel.
Der sächsische Ministerpräsident
Michael Kretschmer im Gespräch
mit W+M-Verleger Frank Nehring
W+M: Welche Preise meinen Sie konkret?
Michael Kretschmer: Wir hatten zuletzt eine
Kostenspirale, die sich in verschiedenen Bereichen
unkontrolliert bewegt, so beim Gas. Es
ist nicht möglich, für die kommenden fünf bis
zehn Jahre ohne russisches Gas in Größenordnungen
diese Volkswirtschaft wettbewerbsfähig
zu halten. Das ist eine bittere Erkenntnis,
aber sie folgt aus vielen Entscheidungen, die
über politische Parteigrenzen hinweg über
Jahrzehnte vorbereitet wurden. Es begann mit
dem Ausstieg aus der Atomenergie, gefolgt
vom Ausstieg aus der Kohleverstromung. Das
alles hat zu einem Mangel an grundlastfähiger
Energie geführt, die durch Gas ersetzt worden
ist. Das ist ein Fakt und ist nicht von heute auf
morgen zu ändern.
W+M: Was ist zu tun?
W+M: Lieferketten sind unterbrochen, die
Energiepreise galoppieren davon und die Inflation
tut ein Übriges. Wie geht es der sächsischen
Wirtschaft angesichts der aktuellen Krisen?
Michael Kretschmer: Die sächsische
Wirtschaft ist sehr breit aufgestellt. Und sie
ist krisen- und anpassungserprobt. Durch die
hier vorhandene Struktur ist sie auch sehr
reaktionsfähig. Aber klar ist auch: Die extrem
steigenden Energiepreise sind eine enorme
Herausforderung. Die Bundesregierung hat
uns hier in eine Richtung geführt, die für
Einzelne existenzgefährdend sein kann. Wir
waren vor diesem furchtbaren Krieg bestrebt,
unabhängiger von China und Asien zu werden.
Deshalb gab es zusätzliche Investitionen in
Europa und auch in Sachsen. Dabei ging es
um erneuerbare Energien und Wasserstoff,
aber auch um neue Mobilitätsformen. Das
war, auch mit Blick auf den Strukturwandel,
eine sehr erfreuliche Entwicklung, die jetzt in
Gefahr ist.
Es liegt in unserer Hand, wie die Energiepolitik
in Deutschland aussieht. Ich kann nur dazu raten,
dass man die Realitäten anerkennt. Dazu
gehört für mich auch, alle Ressourcen, die wir
zur Verfügung haben, jetzt in die Waagschale
zu werfen, um die Preise abzusenken und dauerhaft
niedrig zu halten. Sonst stellt sich die
Frage, ob Produktion hier noch möglich ist. Es
kann aber ja nicht in unserem Interesse sein,
dass hier Produktion zum Stillstand kommt
und Investoren aus dem Ausland einen Bogen
um Deutschland machen.
Michael Kretschmer: Wir müssen
Ressourcen, über die wir verfügen, jetzt
auch mobilisieren. Das beginnt damit, die
vorhandene Atomkraft für die nächsten
Jahre weiter zu nutzen. Die Bundesregierung
hat in den letzten Monaten immer wieder
erklärt, dass dies aus verschiedenen Gründen
nicht geht. Dies wurde längst von Experten
widerlegt. Dazu kommen die Ressourcen der
Braunkohle kraftwerke, aber natürlich auch die
Nutzung des in Deutschland vorkommenden
Erdgases. Es ist doch heuchlerisch, auf der
einen Seite das Frackinggas aus Amerika zu
nutzen und auf die eigenen Ressourcen zu
verzichten. Das geht so nicht. Daneben gibt es
auch viel Potenzial im Bereich der Wasserkraft
oder Biomasse.
Foto: W+M
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
SACHSEN
WIRTSCHAFT+MARKT25
Mancher Grünen-Politiker scheint den
Anstieg der Energiepreise billigend in Kauf zu
nehmen und zu glauben, dass hohe Energiepreise
letztlich für eine Beschleunigung des
Strukturwandels sorgen und neue Technologien
sich so schneller durchsetzen. Aber das
ist ein gefährlicher Irrglaube. Deutschland
verliert auf diesem Wege seine internationale
Wettbewerbsfähigkeit. Deutschland darf seine
Wettbewerbsfähigkeit aber nicht verlieren.
W+M: Sie gehörten schon immer zu den
Vertretern, die auf die Notwendigkeit von russischem
Gas zur erfolgreichen Energiewende
hinwiesen. Allerdings hat man den Eindruck,
dass die Zahl der Befürworter dieser Auffassung
kleiner wird. Ist das so?
Michael Kretschmer: Ich bin Ingenieur und
Ökonom. Ich habe 2011 beim Ausstieg aus der
Atomenergie sehr deutlich gesagt, dass das
mit einer stärkeren Abhängigkeit von ausländischen
Energiequellen einhergeht. Ich habe das
Gleiche 2018 beim Kompromiss zum Braunkohleausstieg
betont. Heute stellen wir fest,
dass die neue Bundesregierung diese Abhängigkeit
durch einen frühen Braunkohleausstieg
sogar noch verstärken und beschleunigen will.
Wenn man dies alles betrachtet, ist es völlig
unverständlich, warum jetzt keine politisch
überzeugenden Entscheidungen getroffen
werden. Es kann ja nur so sein, dass man
entweder aus Unkenntnis oder aus Absicht die
Verteuerung der Energiepreise hinnimmt. Und
das ist etwas, das unseren Wohlstand und
unsere Sicherheit gefährdet.
W+M: Angesichts Ihrer Meinung zur Notwendigkeit
von russischem Gas haben Sie sich
für ein „Einfrieren“ des Ukraine-Krieges ausgesprochen
und dafür von allen Seiten Kritik
erfahren. Wie gehen Sie damit um?
Michael Kretschmer: Wir haben eine
Mehrheitsmeinung in der deutschen und
europäischen Politik, dass dieser Krieg, der ein
großes Unrecht, ein Verbrechen ist, nur auf
dem Schlachtfeld mit dem Sieg der Ukraine zu
beenden ist. Das ist nicht meine Position. Ich
glaube, dass wir so schnell wie möglich alles
dafür tun müssen, um über Verhandlungen zu
einem Stillstand zu kommen. Einfrieren heißt
Waffenstillstand, heißt explizit nicht, dass man
die Besetzung von ukrainischen Landesteilen
als rechtens hinnimmt. Aber es bedeutet ein
Ende der Kampfhandlungen, ein Ende des
Sterbens in der Ukraine, ein Ende eines Prozesses,
der zurzeit die ganze Welt in ein Chaos
stürzt. Es betrifft nicht nur die Ukraine, überall
in der Welt gibt es Verwerfungen.
Ich bleibe dabei: Russland ist eine Realität. Wir
werden mit diesem Land umgehen müssen.
Ein Russland, das sich komplett unabhängig
von Europa entwickelt, ist auch kein sicherer
und kalkulierbarer Partner. Wir brauchen eine
eigene Stärke, wir brauchen einen Raketenabwehrschirm,
wir brauchen Cybersicherheit und
wirtschaftliche Stärke. Aber wir sind auf dem
Weg, diese wirtschaftliche Stärke zu verlieren
und uns damit auch sehr großen Gefahren
auszusetzen.
ENERGIE
FACHKRÄFTE
WIRTSCHAFT
Z U K U N F T
ARBEITSMARKT
UMWELT
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
26
WIRTSCHAFT+MARKT
ZEITENWENDE
W+M: Sie haben die Energiewende als praktisch
gescheitert erklärt. Stimmt das denn?
Michael Kretschmer: Der Umbau der Energiewirtschaft
und der Industrie ist zwingend.
Wir müssen weg von der Energieversorgung
und Industrieprozessen, die in Größenordnungen
CO 2
freisetzen. Der Plan, der in Deutschland
schon seit über zehn Jahren verfolgt wird,
ist der Ausstieg aus der Atomenergie, der Ausstieg
aus der Braunkohleverstromung durch
den Aufbau von 40 bis 50 Gaskraftwerken und
damit einer Gaswirtschaft, die dafür sorgen
würde, dass wir preiswerte Wasserstoffressourcen
bekommen.
Dass wir nun den Ausstieg aus Erdgas angehen,
verstärkt die Abhängigkeiten. Das kann
man so nicht tun, deshalb braucht es hier eine
Neuaufstellung des Systems. Es ist eine Mär,
dass man eine Energiewirtschaft aufbauen
kann, die nicht grundlastfähig ist. Man kann
viel mit erneuerbarer Energie tun, aber auch
hier gibt es limitierende Faktoren. Das sind
weniger die zur Verfügung stehenden Flächen
oder der Umweltschutz als die Kapazitäten
für Solar- und Windstromanlagen sowie für
den Leitungsausbau. Selbst wenn es bis 2030
gelingt, dass wir an guten Tagen die Stromversorgung
rechnerisch komplett aus erneuerbaren
Energien schaffen, wird nachts die Sonne
nicht scheinen und an vielen Wochen im Jahr
der Wind nicht wehen. Deshalb: Es braucht
parallel zu den volatilen erneuerbaren Energieträgern
eine Backup-Struktur an grundlastfähiger
Energie.
Allerdings erweckt die Bundesregierung den
Eindruck, dass man ein Energiesystem aufbauen
könnte, nur auf der Grundlage erneuerbarer
Energien und das noch dazu in kurzer
Zeit. Dass wir damit dafür sorgen, dass wir
nicht über Monate, sondern über Jahre diese
toxisch hohen Energiepreise haben werden,
wird ausgeblendet. Aber es wird die Wettbewerbsfähigkeit
der deutschen Wirtschaft
deutlich beeinträchtigen.
Lesen Sie das
ausführliche
Interview im
W+M-Onlinemagazin
Gegenüber Bundeskanzler Olaf Scholz vertritt Sachsens Ministerpräsident die sächsischen
Standpunkte bei Themen wie Braunkohleausstieg und Fachkräftesicherung.
W+M: Es besteht Einigkeit über den
schnellen Ausbau der erneuerbaren Energie,
aber Sachsen selbst hat beispielsweise beim
Ausbau der Windenergie wenig Erfolge vorzuzeigen.
Wie kommt das?
Michael Kretschmer: Wir werden weiter Tagebauflächen
für Solaranlagen und Windkraftanlagen
zur Verfügung stellen und zudem auch
„Wind über Wald“ ermöglichen, gerade auch
in den vom Borkenkäfer stark betroffenen
Regionen. Wir haben uns sehr dafür eingesetzt,
dass dies nicht gegen die Menschen
gemacht wird, sondern mit der Bevölkerung.
Deshalb auch die Regelung mit 1.000 Metern
Abstand zu Windkraftanlagen. Sie ließ uns
viele Konflikte aus der Welt bringen. Es war ein
guter Kompromiss und es ist schon auch ein
sehr autoritärer Politikstil, dieses Verhandlungsergebnis,
das auf einer regionalen Ebene
in den Ländern erreicht worden ist, jetzt über
ein Bundesgesetz aushebeln zu wollen.
W+M: Mit der Ansiedlung neuer Unternehmen
in Sachsen verbindet sich das Thema Fachkräftemangel.
Wie geht Sachsen damit um?
Michael Kretschmer: Ich halte das Thema
Fachkräfte für eines der wichtigsten für die
Zukunft Sachsens. Hier wird entschieden,
ob dieses Land weiter wachsen kann und
zukunftsfähig bleibt. Wir sind dem Bundeskanzler
sehr dankbar, dass er die Idee der
ostdeutschen Ministerpräsidenten, eine zielgerichtete
eigene Fachkräftezuwanderungsstrategie
für die neuen Länder zu entwickeln,
unterstützt. Die neuen Länder haben nicht die
Erfahrungen wie Baden-Württemberg oder
Nordrhein-Westfalen, wo das über Jahrzehnte
und Generationen eingeübt wurde. Manuela
Schwesig hat das Thema in die Hand genommen.
Anfang Oktober werden wir uns gemeinsam
in Schwerin treffen und eine gemeinsame
Strategie erarbeiten.
Wir haben hier in Sachsen aber auch ein eigenes
Programm, das wir gemeinsam mit der regionalen
Wirtschaft und den Kommunen auf den Weg
gebracht haben. Wir werden fünf bis sechs Zielregionen
mit Personal vor Ort haben, in denen
wir die Berufsausbildung, aber auch den kulturellen
Austausch unterstützen. Wir werden auch
in interessierten Gemeinden Communitybildung
betreiben, um jungen Leuten hier Zukunftschancen
zu geben und sie zu unterstützen. Das geht
nur mit einer Integration in den Arbeitsmarkt
und in das soziale Umfeld. Das ist das gemeinsame
Ziel der Koalition in Sachsen.
W+M: Zum Abschluss eine persönliche
Frage: Wie kommen Sie damit klar, oft konträre
Standpunkte zu vertreten?
Michael Kretschmer: Demokratie lebt von
Debatten und dem Ringen um Mehrheiten. Ich
habe mit großer Freude gesehen und dabei
viel gelernt, wie wir in den 90er-Jahren mit
Kurt Biedenkopf und den Vertretern anderer
Parteien im Meinungsstreit zu guten Lösungen
gekommen sind. Heute haben wir eine Verengung
von Debatten und das ist nicht gut. Das
wiederum heißt, dass wir uns alle einbringen
müssen, anständig in der Sache, klar im Ton
und vor allem über Fakten debattieren. Dazu
gehört auch, andere in die Pflicht zu bringen,
sich zu rechtfertigen.
Interview: Frank Nehring
Foto: Sächsische Staatskanzlei/ Pawel Sosnowski
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
Bringt mehr
Spannung
in Ihr Leben
e-dis.de/energieloesungen
28
WIRTSCHAFT+MARKT
ZEITENWENDE
„DAS POLITISCHE WOLLEN
MIT DEM MACHBAREN
IN ÜBEREINSTIMMUNG
BRINGEN“
W+M: Mit der Entscheidung über die Intel-Ansiedlung ist Sachsen- Anhalt
in aller Munde. Was macht eine solche Ansiedlung mit Ihrem Bundesland?
W+M sprach mit dem Ministerpräsidenten
Sachsen-Anhalts, Dr. Reiner Haseloff, über
die Ansiedlung von Intel und die Situation
der Wirtschaft angesichts der anspruchsvollen
Klimaziele und der Belastungen
durch den Ukraine-Krieg.
Reiner Haseloff: Die Intel-Ansiedlung ist ein europäisches Projekt,
das auf einer Grundsatzentscheidung der EU basiert, grundlegende und
nachhaltige Technologien im eigenen Zugriffsbereich zu behalten. Und bei der
Chip industrie ist es bislang so, dass etwa 80 Prozent der Produktionskapazitäten
außerhalb der westlichen Welt liegen. Wir sehen gerade, dass man im
Systemwettbewerb eine solche Dysbalance nicht zulassen darf, zumal Taiwan
sich auch nicht in ruhigen politischen Gefilden befindet. Derzeit gibt es einen
Chipmangel, der nicht nur in der Automobilindustrie für Lieferverzögerungen
sorgt, sondern auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hat.
Wir sind als Bundesland froh darüber, im Wettbewerb um die Ansiedlung erfolgreich
gewesen zu sein. Es gab harte Faktoren wie verfügbare Flächen, klare Erschließungsperspektiven,
eine strategisch gute Lage, gerade auch in Bezug auf die Nähe zu
anderen strategischen Partnern der Chipindustrie, das alles konnten wir bieten.
Letztlich wird die Ansiedlung einen mentalen Umbau einer Großregion, wenn nicht
des ganzen Bundeslandes bewirken. Nicht, weil alle bei Intel arbeiten werden, aber die
Wertschöpfungskette und die Arbeitsplätze wirken weit in die Gesellschaft hinein bis
hin zu Schwerpunktsetzungen an den Universitäten zu den entsprechenden Lehrstühlen
und Ausbildungsgängen. Das bietet auch neue Perspektiven für Studierende.
W+M: Die Corona-Pandemie ist noch nicht wirklich vorbei. In der Ukraine tobt ein Krieg, die
angeschlagenen Lieferketten schaffen Engpässe. Wie geht es der Wirtschaft Sachsen-Anhalts?
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff
Reiner Haseloff: Die richtigen Auswirkungen sind aktuell noch
nicht spürbar, weil noch kein Versorgungsnotstand besteht. Um
gewappnet zu sein, habe ich zu einem Energiegipfel in die Staatskanzlei
eingeladen und Vertreter der Kommunen, der Wirtschaft,
von Verbänden und dem Bund an einen Tisch gebracht. In Erwartung
kritischer Situationen insbesondere bei Unternehmen, die
sehr stark von Erdgas abhängig sind, gibt es bereits Bewegungen
am Markt, die die Inflation anheizen und die vor allem durch die
Energiepreise verursacht sind. Die vorhandenen Aufträge können
nicht mehr zu den alten Kosten realisiert werden und irgendwann
ist der Punkt erreicht, wo man in die roten Zahlen kommt. Wenn
ich Düngemittel zum dreifachen Preis produziere, diese Kosten
aber nicht 1:1 am Markt umsetzen kann, weil Wettbewerber aus
Asien, die nicht die Auswirkungen der Sanktionen spüren, das
Rennen machen, haben wir ein Problem. Das ist gerade für die
vielen klein- und mittelständischen Unternehmen im Land problematisch,
die Konsumenten im Inland versorgen, deren Kaufkraft
durch die höheren Preise zusätzlich eingeschränkt wird.
Foto: W+M
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
SACHSEN-ANHALT
WIRTSCHAFT+MARKT29
W+M: Was bedeutet das für die Politik?
Reiner Haseloff: Politisch heißt das für die Bundesregierung, alle Maßnahmen auf ihre Zielführung
und Effizienz zu überprüfen. Ist die Wirkung auf Putin stark und wirksam und größer
als die negativen Effekte auf unsere Wirtschaft? Je länger jedoch dieser Prozess dauert, ist es
nicht nur immer schwieriger, ihn kalkulatorisch darzustellen, sondern auch die Akzeptanz wird
darunter leiden. Sind die Mittel die richtigen und sind sie angemessen und zielgenau? Aus
der jüngeren Geschichte haben wir gelernt, dass Sanktionen nicht immer die gewünschte
Wirkung entfalten.
Eine Destabilisierung der EU durch eine Schwächung ihrer stärksten Volkswirtschaft, die auf
Grund der hohen Exportquote und Abhängigkeit von Rohstoffen besonders verwundbar ist,
wird nur Putin nutzen. Ich habe große Sorge, weil wir die Entwicklung schlecht extrapolieren
können und bisherige volkswirtschaftliche Steuerungsmodelle dafür nicht taugen. Wir
müssen das politische Wollen mit dem Machbaren in Übereinstimmung bringen. Wir sprechen
von der schnellen Schaffung von Alternativen zu Gas und Öl, wissen aber auch, dass
dies – Stichwort Grüner Wasserstoff – noch Jahre dauern wird. Wir werden noch lange
Erdgas benötigen. Auch deshalb sollte das Thema einer Sicherheits- und Versorgungsstruktur
mit Russland nicht grundsätzlich ad acta gelegt werden.
W+M: Sehen Sie in der Bundesregierung Überlegungen, die Sanktionen zurückzufahren?
Reiner Haseloff: Ich vertraue auf die Kompetenz in den Ministerien mit ihren vielen
Experten, die alle Szenarien berücksichtigen. Allerdings habe ich schon in den Beratungen
der Kohlekommission mehrfach darauf verwiesen, dass wir mit dem schnellen
Ausstieg aus der Kohle unsere Abhängigkeit von russischem Gas verstärken.
W+M: Der Umbau der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität wird durch die aktuellen
Konflikte beschleunigt. Wie sind Sachsen-Anhalts Unternehmen darauf
vorbereitet?
Reiner Haseloff: Einer der größten Erdgasverbraucher in Sachsen-Anhalt
und Deutschland, das Stickstoffwerk in Piesteritz, das Ammoniak für die
Dünge mittelproduktion herstellt und für die Versorgung Mitteleuropas mit
AdBlue verantwortlich ist, hat seine Generalwartung vorgezogen und die
Produktion heruntergefahren, weil diese nun unrentabel ist. Wenn wir keine
Lösungen für diese Unternehmen finden, wird es das Ende der Produktion
auch für viele andere Unternehmen bedeuten.
W+M: Die Probleme sind komplex, gibt es eine Lösung?
Reiner Haseloff: Es gibt keine einfache Lösung. Russland hat noch
keinen Panzer zurückgezogen und führt den Krieg unbeirrt weiter.
Die Lösung kann aber nur darin bestehen, dass Russland den Krieg
beendet.
W+M: Der Braunkohleausstieg ist für 2038 beschlossen,
Bundeswirtschafts- und Klimaminister Habeck spricht von 2030.
Wie ist das mitteldeutsche Braunkohlenrevier auf den Ausstieg
vorbereitet?
Reiner Haseloff: Für uns gilt das Gesetz und alles andere ist
unsolide. Wir sind hier in einem Rechtsstaat, und wir haben
den Braunkohleausstieg für 2038 beschlossen. Ich weigere
mich, über 2030 zu sprechen, denn ich habe einen Amtseid
geschworen, dass ich die Gesetze einhalte.
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
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WIRTSCHAFT+MARKT
ZEITENWENDE
W+M: Wir brauchen mehr erneuerbare Energie. Wie steht
Sachsen-Anhalt in Sachen Ausbau im Vergleich zu anderen
Bundesländern da?
Reiner Haseloff: Mit der installierten Leistung bei Windkraft
an Land von 5.318 MW liegt Sachsen-Anhalt auf Platz 5
der Bundesländer. Bei der installierten Leistung Photovoltaik
lagen wir 2020 auf Platz 6 der Bundesländer.
W+M: Die Klimaziele der Bundesrepublik sind nur zu
schaffen, wenn die Planungs- und Genehmigungsverfahren
drastisch reduziert werden. Wie ist das zu schaffen, was in der
Vergangenheit scheinbar nicht schaffbar war?
Reiner Haseloff: Die Verwaltung kann viel, das haben wir in
der Zeit der Pandemie und in der Flüchtlingskrise bewiesen.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff im Gespräch mit W+M-Verleger Frank Nehring
Selbst wenn es an vielen Stellen bürokratisch aussah, ist alles
nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten abgelaufen, was international
gesehen nicht immer der Fall war. Wenn Deutschland etwas kann,
ist es Verwaltung. Sie ist flexibler, als man gemeinhin denkt. Sie setzt nichts
anderes um als den Rechtsrahmen, der ihr politisch vorgegeben ist.
Wenn dieser verändert wird, kann die Verwaltung auch schneller werden. Gäbe
es weniger Instanzen, wenn man zum Beispiel das Klagerecht für die Umweltverbände
einschränken würde, könnte sie noch schneller entscheiden. Letztlich trägt
der aktuelle Rechtsrahmen dazu bei, dass die Energiewende nicht schneller vorankommt.
Jetzt müssen zügig die Voraussetzungen geschaffen werden, damit die
Neuregelungen beispielsweise für die Kohlekraftwerke kurzfristig auch umgesetzt
werden können. Es braucht eine Reduzierung von Sonderinteressen und eine neue
zeitgemäße Priorisierung, die das Leben des Menschen an erste Stelle setzt.
W+M: Geht das so einfach?
Reiner Haseloff: Wir haben in Deutschland sowohl den Ausstieg aus der Nutzung der
Kernenergie wie der Kohle beschlossen. Solange regenerative Energien aber nicht grundlastfähig
sind, z. B. durch moderne Speicherkapazitäten oder Power-to-Gas-Technologien,
benötigen wir Kraftwerke, die Grundlast bereitstellen. Hier wurde bislang auf Erdgaskraftwerke
gesetzt. Vor dem Hintergrund der schwierigen Versorgungslage mit Erdgas
müssen schnellstens Konzepte her, wie Versorgungssicherheit in Deutschland auch künftig
gewährleistet werden kann. Das heißt Verfahrensbeschleunigungen beim Ausbau der
Nutzung regenerativer Energien, aber auch keine Denkverbote bei der Nutzung konventioneller
Energieträger.
W+M: In der Verwaltung fehlen Fachkräfte. Brauchen wir in der Verwaltung tatsächlich mehr
Fachkräfte oder nur eine höhere Produktivität durch die Digitalisierung der Prozesse?
Lesen Sie das
ausführliche
Interview im
W+M-Onlinemagazin
Reiner Haseloff: Wir haben in der Landesverwaltung hervorragende Fachkräfte, aber natürlich
wollen wir vor dem Hintergrund des demografischen Wandels auch neue Fachkräfte für die
Verwaltung gewinnen, u. a. durch ein attraktives Arbeitsumfeld mit Möglichkeiten der Nutzung von
Homeoffice-Lösungen oder Teilzeitarbeit. Zugleich treiben wir die Digitalisierung voran wie z. B.
durch die Einführung der elektronischen Akte. Ich denke schon, dass unsere Verwaltung produktiv
ist. Sie muss sich allerdings immer auch in dem Rechtsrahmen bewegen, den Bund und EU setzen.
Hier könnte es durchaus, wie schon erwähnt, Vereinfachungen geben.
Interview: Frank Nehring
Foto: W+M
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
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WIRTSCHAFT+MARKT
BRANCHE
„DIE AKTUELLE KRISE
LÄSST UNS KEINE ZEIT
FÜR EXPERIMENTE“
W+M sprach mit der Hauptgeschäftsführerin der Nordostchemie-Verbände, Nora Schmidt-Kesseler, über die
Lage der Branche angesichts steigender Energiepreise, Gasknappheit und drohender Produktionsausfälle.
W+M: Frau Schmidt-Kesseler, Sie vertreten
mit dem VCI Nordost und dem AGV Nordostchemie
die Chemie- und Pharmaindustrie im
Osten Deutschlands. Wie geht es der Branche?
Nora Schmidt-Kesseler: Im Zuge des russischen
Angriffskriegs gegen die Ukraine
haben die Energiepreise für Gas und Strom
neue Rekordwerte erreicht. Die exorbitanten
Energiepreise zwingen die Unternehmen in
unserer Branche, Produktionen zu drosseln.
Erste Produktionsanlagen stehen bereits still,
Wertschöpfungsketten beginnen zu reißen.
Wir haben in Ostdeutschland Unternehmen,
bei denen die Produktion bereits um 30 bis
40 Prozent eingebrochen ist. Für den Winter
ist aufgrund eines steigenden Gasverbrauchs
während der Heizperiode mit weiteren Preisanstiegen
zu rechnen. Wie dramatisch die
Entwicklungen sind, ist in der Politik offensichtlich
noch nicht ausreichend durchgedrungen.
Die Lage ist dramatisch, die aktuelle Krise
lässt uns keine Zeit für Experimente. Die Politik
muss jetzt alles tun, um das Schlimmste zu
verhindern.
W+M: Könnten Sie uns das erklären?
Situation betroffen. Gas ist für die Chemie essenziell
und kann trotz größter Bemühungen
der Unternehmen kurzfristig nur in geringem
Maße durch andere Brennstoffe ersetzt werden.
Als Energieträger hat der Sektor in den
letzten Jahrzehnten aus Klimaschutzgründen
auf Gas als Brücke in die Klimaneutralität bis
zur Mitte des Jahrhunderts gesetzt. Außerdem
ist die Chemie die einzige Branche, die Erdgas
auch direkt als Rohstoff zur Herstellung vieler
tausender Chemikalien einsetzt. Diese sind
wiederum wichtig für alle nachfolgenden
Produktionsketten in fast allen Branchen und
machen die chemische Industrie zum Herz des
Industriestandorts Deutschland.
W+M: Wie abhängig ist die deutsche Industrie
von der Leistungsfähigkeit der Chemieindustrie?
Nora Schmidt-Kesseler,
Hauptgeschäftsführerin der
Nordostchemie-Verbände
Nora Schmidt-Kesseler: Wie kaum eine
andere Branche in Deutschland ist die chemisch-pharmazeutische
Industrie als größter
Gasverbraucher Deutschlands, 15 Prozent
Anteil am Gesamtverbrauch, von der aktuellen
Nora Schmidt-Kesseler: Etwa 95 Prozent aller
Industrieerzeugnisse hierzulande benötigen
in ihrem Entstehungsprozess Chemieprodukte.
Seit Monaten haben wir vor drohenden
Dominoeffekten durch Produktionsausfälle
Foto: Hoffotografen
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
CHEMIE & PHARMA
WIRTSCHAFT+MARKT33
gewarnt. Jetzt stecken wir bereits mittendrin.
Unter anderem werden wichtige Chemikalien
für die Abwasserreinigung knapp, gleiches
droht für Düngemittel und AdBlue durch den
Produktionsstopp eines der größten Ammoniakproduzenten
in Deutschland. Am Beispiel
AdBlue lassen sich die weitreichenden Konsequenzen
für jeden Einzelnen in Deutschland
gut verdeutlichen. Denn ohne dieses Mittel
fährt so gut wie kein LKW mehr, ohne LKW
können viele Güter nicht mehr transportiert
werden, ohne die LKW-Transporte bleiben
die Regale – ob im Supermarkt oder auch der
Apotheke – leer.
Beinahe noch schlimmer sind jedoch die Konsequenzen,
die momentan gezogen werden.
Anstatt durch Entlastungen eine zumindest
kostendeckende Produktion wieder möglich
zu machen, sollen beispielsweise Grenzwerte
bei der Abwasseraufbereitung überschritten
werden dürfen mit weitreichenden Folgen
für Flora und Fauna und Produktionsausfälle
sollen über den Einkauf auf dem Weltmarkt
substituiert werden. Dass dies oftmals für die
Verbraucher nicht günstiger ist und weitere
Abhängigkeiten schafft, sollte in der Politik alle
Alarmglocken schrillen lassen.
W+M: Gibt es einen Hebel dem entgegenzuwirken
oder können wir nur auf sinkende
Energiepreise hoffen?
Nora Schmidt-Kesseler: Dass der Markt es
richten wird, sehe ich kurzfristig nicht. Zum
einen, weil weiterhin eine Knappheit bei der
Gasversorgung bestehen wird. Zum anderen
kommen auf die Unternehmen Mehrbelastungen
durch zahlreiche Umlagen zu, die einen
wirtschaftlichen Weiterbetrieb der Anlagen in
vielen Fällen nicht mehr möglich machen. Hier
ist die Politik gefordert, kurzfristig Entlastungen
zu schaffen. Uns ist bewusst, dass der
Gesetzgeber in einem unheimlich hohen Tempo
in einer außergewöhnlichen Drucksituation
handelt. Dass an der ein oder anderen Stelle
Fehler passieren, ist da nicht auszuschließen.
Umso entscheidender ist aber, dass entsprechend
nachjustiert wird, damit die Industrie
– der Motor unserer gesamten Volkswirtschaft
– nicht dauerhaft Schaden nimmt. Das
funktioniert teils gut, teils würden wir uns
mehr Dialogbereitschaft und schnelleres Handeln
wünschen. Auch auf Ebene der Länder
sind wir in einem permanenten Austausch und
erfahren eine sehr breite Unterstützung, für
die wir sehr dankbar sind.
W+M: Lag der Fokus der Politik in den letzten
Monaten zu stark auf der Verfügbarkeit von
Gas anstatt bezahlbarer Preise?
Nora Schmidt-Kesseler: Ohne Gas geht in der
Chemie nichts. Das liegt auch daran, dass die
Unternehmen neben der energetischen Nutzung
Gas als Rohstoff für die Herstellung von
Produkten benötigen – also stofflich verwenden.
Kurz nach Beginn des Krieges wurde von
vielen Seiten – auch verstärkt aus der Politik –
ein Gasembargo gefordert. Es wurde zum Glück
schnell verstanden, dass wir uns mit einem
solchen Embargo selbst mehr als Russland
geschadet hätten. Die Verfügbarkeit von Gas
und die diversen Maßnahmen der Bundesregierung
sind daher wichtig. Trotzdem dürfen wir
die Preiskomponente nicht aus den Augen verlieren.
Was nützt uns die Verfügbarkeit, wenn
die Unternehmen trotzdem am Ende des Tages
aufgrund der fehlenden Wettbewerbsfähigkeit
nicht mehr produzieren können? Das Thema
Verfügbarkeit bleibt aber nach wie vor virulent,
weil jetzt ein Szenario eingetreten ist, vor dem
wir seit Monaten warnen: die Einstellung der
Gaslieferungen von russischer Seite.
W+M: Lässt sich das Erdgas nicht durch
andere Quellen ersetzen?
Nora Schmidt-Kesseler: Speziell in Ostdeutschland,
aber auch im Süden haben wir das
Problem, dass wir fast gänzlich über die Pipelines
aus Russland beliefert werden. Das lässt
sich nicht von heute auf morgen substituieren.
Wir sind aber auf eine konstante Versorgung
angewiesen, da ein flexibles Runter- und Hochfahren
der Anlagen nicht möglich ist. Wo es
möglich ist, haben die Unternehmen in den vergangenen
Monaten Gas eingespart oder haben
auf andere Energieträger wie Öl umgestellt. Die
Maßnahmen sind aber ausgereizt.
W+M: War Gas als Energieträger nicht
bereits vor dem Ukraine-Krieg ein Auslaufmodell?
Nora Schmidt-Kesseler: Zu der Frage des
fossilen Energieträgers als Auslaufmodell
muss bedacht werden, dass Erdgas als
wichtige Brücke gedacht war, um vom fossilen
Energieträger Kohle und auch der Atomenergie
unabhängig zu werden. Daher ist der Bedarf
entsprechend groß, auch weil wir nicht ansatzweise
die Kapazitäten haben, um die Industrie
zu elektrifizieren. Momentan brauchen wir
jede Kilowattstunde – egal ob aus Gas, Kohle
oder auch Atomstrom. Zudem ließe sich Erdgas
energetisch zwar in der Theorie substituieren,
aber wird wie erläutert auch stofflich für
die Herstellung wichtiger Produkte gebraucht.
Interview: Frank Nehring
Foto: W+M
Nora Schmidt-Kesseler sprach mit W+M-Verleger Frank Nehring über die aktuelle Energiekrise.
Lesen Sie das
ausführliche
Interview im
W+M-Onlinemagazin
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
34
WIRTSCHAFT+MARKT
BRANCHE
WACHSENDER STANDORT:
BIOPHARMAPARK DESSAU
Nirgendwo sonst ist die Dichte an Pharmaunternehmen in Sachsen-
Anhalt so groß wie in der Region Dessau-Roßlau. Zu den wichtigsten
Standorten der Branche zählt der Biopharmapark Dessau, einer der
zwölf Zukunftsorte des Landes Sachsen-Anhalt.
Pillen, Kapseln und Infusionen – in Sachsen-Anhalt sorgt ein Netzwerk von Forschung,
Produzenten und Logistik dafür, dass medizinische Produkte dem Gesundheitsmarkt
schnell zur Verfügung stehen. Nicht nur die Aspirin-Produktion in
Bitterfeld-Wolfen, auch Medizinprodukte von Salutas in Barleben oder die Forschungsaktivität
am Technologiepark Weinbergcampus in Halle (Saale) sind Leuchttürme des
Landes. Insgesamt sind rund 5.300 Menschen in der Pharmaindustrie in Sachsen-Anhalt
beschäftigt, ihr Gesamtumsatz lag 2021 bei knapp 1,8 Milliarden Euro. Spätestens durch
die Corona-Pandemie haben die Unternehmen neue Aufmerksamkeit erhalten und ihre
Entwicklung und das Wachstum mit Investitionen verstärkt.
Zu den wichtigsten Standorten zählt die Region Dessau-Roßlau. Im Biopharmapark Dessau
etwa sind Forschung und Produktion eng vernetzt, was innovative Entwicklungen anstößt. Die
hier ansässigen Unternehmen verfügen über hohe Kompetenz in der pharmazeutischen Fertigung
und Verpackung, in der innovativen Impfstofftechnologie, in Qualitätskontrolle und Compliance
sowie in der Forschung und Entwicklung. Die Unternehmen profitieren im Biopharmapark
Dessau von einer langjährigen Erfahrung und einer bestehenden
Produktionsinfrastruktur, außerdem sind in einem gewachsenen Umfeld
noch größere Flächen bis 25 Hektar verfügbar.
IDT Biologika wächst durch Impfstoffe
Das Beispiel IDT Biologika GmbH zeigt sehr deutlich, wie die Corona-
Krise das Wachstum der Pharma industrie geboostert hat. Der
Auftragshersteller für virale Impfstoffe, der aus der traditionellen
Impfstoffproduktion am Standort hervorgegangen ist, wurde im
Jahr 2021 vom Pharmakonzern AstraZeneca als strategischer
Partner bei der Covid-Impfstoffproduktion ausgewählt.
Insgesamt hat IDT Biologika begonnen, einen dreistelligen Millionenbetrag
für die Kapazitätserweiterung aufzuwenden, die unter
anderem die Installation von bis zu fünf 2.000-Liter-Bioreaktoren
umfasst. Darin können mittelfristig pro Monat mehrere zehn Millionen
Dosen des COVID-19-Impfstoffs von AstraZeneca oder anderer
Impfstoffe mit ähnlichen Herstellverfahren produziert werden. IDT Biologika wird damit über die größten
Kapazitäten dieser Art in Europa verfügen. Die neuen Anlagen gehen voraussichtlich Ende 2022 in Betrieb.
Merz-Gruppe feierte Jubiläum im Biopharmapark
Auch bei der Merz-Gruppe sprachen für die Ansiedlung im Biopharmapark Dessau-Roßlau die fachliche
Kompetenz vor Ort und die attraktiven Erweiterungsoptionen. Zudem profitiert Merz von der Nähe zu den
Wissenschaftsstädten Leipzig und Halle, Magdeburg und Berlin, aus den Einzugsgebieten kommen Ingenieure,
Chemiker, Biologen, Apotheker und Laboranten.
Foto: IDT Biologika/Hartmut Boesener
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
CHEMIE & PHARMA
WIRTSCHAFT+MARKT35
Mit zwei Mitarbeitern im Jahr 2002 gestartet, sorgen inzwischen 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
bei Merz in Dessau-Roßlau für knapp 50 Prozent des gesamten Konzernumsatzes. Beim
Jubiläumsfest Anfang September wurden deshalb nicht nur das 20-jährige Bestehen des Unternehmens
im Biopharmapark gefeiert, sondern auch die großen Erfolge, die das Unternehmen dort
erzielen konnte. In den vergangenen 20 Jahren erfuhr der Standort einen stetigen Ausbau, wobei
bisher mehr als 70 Millionen Euro investiert wurden.
Basierend auf der gestiegenen Nachfrage an Merz-Produkten werden dort derzeit weitere 40
Millionen Euro investiert, um die Produktionskapazität weiter auszubauen. Ende Oktober plant
das Unternehmen das Richtfest für die derzeitige Großbaustelle für ein neues Multifunktionsgebäude,
das ein Lager sowie produktionsunterstützende Prozesse umfassen wird und einen
wesentlichen Bestandteil für nachgelagerte Prozessschritte bildet.
Dienstleister Oncotec GmbH investiert weiter
In unmittelbarer Nachbarschaft im Biopharmapark befindet sich die Oncotec GmbH, die ihren
25-jährigen Festtag eine Woche vor Merz feierte. Für Oncotec arbeiten derzeit 310 Beschäftigte
und erwirtschaften mit Krebs- und Rheumamedikamenten einen Umsatz von über 44,5 Millionen
Euro. Oncotec vermarktet die Produkte nicht unter eigenem Namen,
sondern ist Lohnfertiger für das Mutterunternehmen Medac und
weitere Firmen.
Als Dienstleister bildet Oncotec alles von der Prozessentwicklung
über die Zulassungsunterstützung bis zur Produktion, Qualitätskontrolle
und Verpackung ab. 1995 noch als gemeinsames Unternehmen
mit der IDT gegründet, dauerte es zwei Jahre bis zum Produktionsstart
mit gerade einmal 20 Mitarbeitern. 63 Millionen Euro
wurden seither am Standort investiert, unterstützt auch vom Land
Sachsen-Anhalt. In den nächsten drei Jahren will man weitere 50
Millionen Euro in Biotechnologie investieren und damit 30 Arbeitsplätze
schaffen, um die benötigten Wirkstoffe selbst zu erzeugen.
Auch für Start-ups interessant
Der Standort Dessau zieht aber nicht nur große Produzenten,
sondern auch digitale Gründer an: „Change Work & World“ – CWW
GmbH heißt ein Start-up aus Dessau-Roßlau, das neue Arbeitswelten in ansonsten
streng regulierten Bereichen schaffen will. Die Gründer kommen aus der Pharmazie
und aus der Chemie und kennen die Bedarfe in diesen Branchen. Deren strengen Regularien,
was Sicherheit, Zulassungen und Kontrollen betrifft, stehen dynamische
Veränderungen in der Wirtschaft gegenüber, bedingt etwa durch Fachkräftemangel,
unsichere Verfügbarkeit von Materialien und sich verändernde Lieferketten.
Foto: IMG - Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt mbH
CWW begleitet u.a. das Pharmaunternehmen Merz Pharma Dessau auf seinem
Weg, moderne Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Im September 2020 gegründet,
entwickelte CWW seitdem eine digitale Plattform für die Life Sciencesund
Pharmabranche, die wie eine Dating-Plattform funktioniert. Auf CROWD-
BAG kann sowohl Fachexpertise angeboten als auch gesucht werden, um
Wissen zu teilen, Probleme zu lösen und Innovationen zu generieren.
Die Perspektiven für die Pharmabranche sind also gut, eine der größten
aktuellen Herausforderungen ist wie in vielen anderen Branchen jedoch der
Fachkräftemangel. Gemeinsam mit der Investitions- und Marketinggesellschaft
Sachsen-Anhalt haben die zwölf Zukunftsorte in Sachsen-Anhalt
deshalb eine Kampagne gestartet, um Fachkräfte für den Standort zu
begeistern und die innovativen Branchen Pharma und Biotech weiter
voranzubringen.
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
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WIRTSCHAFT+MARKT
BRANCHE
Lesen Sie das
ausführliche
Interview im
W+M-Onlinemagazin
CHIRACON AUF
EXPANSIONSKURS
Es gibt 61-Jährige, die über den Ruhestand nachdenken und es gibt 61-Jährige, die noch mal so richtig durchstarten
wollen. Der promovierte Chemiker und geschäftsführende Gesellschafter der Chiracon GmbH aus Luckenwalde
Ralf Zuhse ist so einer. Aktuell investiert er in einen Neubau, der mehr Platz für seine Produktion bietet und neue
Geschäftsmodelle realisierbar macht. W+M hat mit ihm gesprochen.
W+M: Was war der Grund, sich in Luckenwalde
niederzulassen?
wir auch für Mitarbeiter aus Berlin interessant
geworden sind.
Chiracon-CEO Ralf Zuhse will mit seinem
Unternehmen weiter wachsen.
W+M: Herr Zuhse, wie kam es zur Gründung
der Chiracon GmbH im Jahr 1998?
Ralf Zuhse: Nach der Promotion an der
Freien Universität Berlin bin ich drei Jahre im
Ausland gewesen und habe dort weiterhin
Forschung betrieben. Im Anschluss bin ich zu
einem Unternehmen in Hamburg gegangen,
das mir die Möglichkeit bot, zwei Welten
miteinander zu verbinden. Dies war die Welt
der modernen Chemie und die des Projektmanagements,
einschließlich der wirtschaftlichen
und finanziellen Aspekte. Ich habe in
der Zeit gelernt, wie Projekte berechnet und
wirtschaftlich aufgestellt werden.
Ralf Zuhse: Luckenwalde bot vor 25 Jahren
die Möglichkeit, unmittelbar in fertige Labore
einzuziehen und mit der Arbeit zu beginnen.
Nachdem die Chiracon nach einigen Jahren ein
solides und stabiles und vor allem ein ertragreiches
Unternehmen geworden ist, haben wir
starke Unterstützung bei den Landesinstitutionen
und Banken erfahren.
W+M: Das klingt nicht nach uneingeschränktem
Lob?
Ralf Zuhse: Brandenburg ist kein einfaches
Land für Unternehmer und es ist auch kein
Pharmaland, denn an die pharmazeutische
Industrie werden viele gesonderte Anforderungen
gestellt, die auch von den Genehmigungsbehörden
allerhand abverlangen. Wenn
die starke Unterstützung der Wirtschaftsförderung
des Landkreises Teltow-Fläming und
des Landes Brandenburg sowie der Investitionsbank
(ILB) nicht gewesen wäre, hätte ich
mich für ein anderes Bundesland entschieden.
Ein weiterer Grund, der für Brandenburg
spricht, sind die Menschen in der Region. Viele
meiner Mitarbeiter sind aus Brandenburg und
leben sehr gerne hier. Die Infrastruktur, speziell
die Anbindung von Luckenwalde, hat sich in
den letzten Jahren stark verbessert, so dass
W+M: Welche Ziele verfolgen Sie mit dem
weiteren Ausbau Ihres Unternehmens?
Ralf Zuhse: Ich will die Chiracon zu einem
Unternehmen machen, welches Wirkstoffe
für den europäischen und natürlich auch für
den Weltmarkt zur Verfügung stellt, die in der
Herstellung aufwendig und technologisch anspruchsvoll
sind. Dies sind meist Wirkstoffe, die
in kleinster Dosierung wirken und somit nicht
im Tonnenmaßstab benötigt werden. Das heißt
natürlich nicht, dass unsere Wirkstoffe von nur
wenigen Patienten gebraucht werden. Bereits
jetzt versorgen wir 3,5 Millionen Patienten mit
unseren Wirkstoffen. In wenigen Jahren werden
es über 20 Millionen Patienten werden.
Damit wir dieses Ziel erreichen, haben wir
einen Neubau geplant, der uns die Möglichkeiten
zur Produktion von größeren Mengen von
Wirkstoffen ermöglicht. Dieses Bauvorhaben
werden wir in diesem Jahr beginnen und zum
Ende des kommenden Jahres fertigstellen. Mit
einem Bauvolumen von rund 7,5 Millionen Euro
wird eine moderne Anlage entstehen, die neue
und seltene Wirkstoffe für moderne Therapien
zur Verfügung stellt.
Ein weiterer Plan, der mich schon seit Jahren
beschäftigt, ist die Herstellung eigener Medikamente.
Wenn wir schon Wirkstoffe herstellen,
die einzigartig sind, dann können wir auch
Foto: Chiracon GmbH
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
CHEMIE & PHARMA
WIRTSCHAFT+MARKT37
das Endprodukt produzieren. Dies werden wir
allerdings nur in Einzelfällen machen können.
Ich habe dazu vor einigen Monaten die
Chiracon Pharma gegründet. Auch diese Firma
entwickeln wir planmäßig.
W+M: Was hat es mit der Chiracon Pharma
auf sich?
Ralf Zuhse: Die Chiracon Pharma ist die
logische Erweiterung der Dienstleistungen
der Chiracon. In den letzten 20 Jahren haben
wir Arzneistoffsynthesen für unsere Kunden
und für den freien Markt entwickelt. Wir haben
erkannt, dass viele generische Wirkstoffe nicht
in die übliche Schublade der billigen Nachahmerpräparate
gehören, sondern hochpreisige,
spezialisierte Produkte sind, die nicht durch
Großproduktion hergestellt werden müssen.
Das kam unserer Ausrichtung im Markt als
technologielastige und auf regulatorisch
anspruchsvolle Wirkstoffe spezialisierte Firma
absolut entgegen. Es lag auf der Hand, nach
dem nächsten Schritt zu fragen. Wie können
wir die Wirkstoffe noch effektiver in den Markt
bringen? Die Antwort lautet: Indem wir als
Chiracon Pharma bei der Synthese einen weiteren
Wertschöpfungsschritt hinzufügen. Im
Pharmabereich bedeutet dies, die Wirkstoffe
zu formulieren und in ein Medikament zu
überführen.
Wir wollen in den nächsten Jahren keine Produktion
von Tabletten oder dergleichen durchführen,
dazu gibt es bereits viele spezialisierte
Unternehmen in Deutschland, die gut etabliert
sind. Wir wollen lediglich das finale Produkt
anbieten und andere Firmen im Netzwerk
als Lohnproduzenten einbinden.
Produktion bei Chiracon in Luckenwalde
W+M: Mitarbeiter zu gewinnen ist das eine, W+M: Was empfehlen Sie jungen Menschen,
wie halten Sie Ihre Mitarbeiter?
die sich selbstständig machen wollen?
Ralf Zuhse: Neben der Laborantenausbildung
haben wir ein eigenes internes Pro-
als erstes einen Kunden braucht. Man muss
Ralf Zuhse: Ich bin der Meinung, dass man
gramm zur Mitarbeiterbindung entwickelt. sich fragen: Habe ich ein Produkt, das für potenzielle
Kunden einen Mehrwert besitzt? Ist
Unsere Mitarbeiter erhalten neben einer guten
Bezahlung auch zusätzliche Incentives. Von für mein Produkt bereits ein Markt vorhanden
großer Bedeutung ist das Arbeitsklima. Alle oder muss ich ihn erst bereiten? Wenn beides
müssen kommunikativ sein. Darauf achten wir bejaht werden kann, dann ergibt sich der Rest
sehr bei der Einstellung. Ein gutes Arbeitsklima der Herausforderungen von allein.
ist im Bereich komplexer Arbeitsvorgänge und
häufiger Entscheidungen sehr wichtig. Wir Interview: Frank Nehring
haben durch Managementsysteme auch die
Zuständigkeiten transparent gehalten, ohne
dabei Abgrenzungen zu schaffen.
Chiracon GmbH
Die Chiracon GmbH ist 1998 mit dem Ziel gegründet worden, weltweit Ansprechpartner
für die Herstellung hochwertiger Zwischen- und Endprodukte für den Pharmabereich mit
innovativen Herstellungsprozessen zu werden.
Foto: Chiracon GmbH
W+M: Wie ist es Ihnen gelungen, qualifiziertes
Personal nach Luckenwalde zu bekommen?
Ralf Zuhse: Zurzeit arbeiten bei uns 36 Mitarbeiter:
9 promovierte Naturwissenschaftler,
14 Laboranten, 4 Ingenieure, 5 Kaufleute und
4 Azubis. Bei den Naturwissenschaftlern und
Ingenieuren haben wir gute Mitarbeiter und
bekommen auch qualifizierte Bewerbungen.
Hier haben wir keine Bedarfsprobleme. Bei
den Laboranten sieht es ein wenig anders
aus. Hier haben wir uns schon vor Jahren
entschieden, den Weg der eigenen Ausbildung
zu beschreiten.
In den Gründerjahren lag der Fokus zunächst auf Chemo- und Enzymkatalysen zur Herstellung
von „Small Molecules“ als chirale Intermediate oder Produkte und begründete
eine Produktsparte des Unternehmens, welche mittlerweile mehr als 80 hochwertige und
am Markt gefragte Chemikalien umfasst.
Heute stellt eines der Markenzeichen das Angebot an die pharmazeutische Industrie
und an Forschungseinrichtungen dar, neue Wirkstoffkandidaten sowie Generika von der
Struktur über F&E und Scale-up zu einer anwendungsreifen Wirkstoffsynthese innerhalb
kürzester Zeit zu entwickeln, Zulassung zum „Drug Product“ und zugehörige Dokumentation
inbegriffen.
Die kontinuierlich wachsende Nachfrage nach den Chiracon-Produkten machte bereits im
Jahr 2019 die Erweiterung der Produktionsfläche erforderlich. Mit dem geplanten Neubau
kann nicht nur die Produktionsfläche verdoppelt werden, sondern das Unternehmen bleibt
auch Luckenwalde treu und will die Wertschöpfung in der Region weiter erhöhen sowie
neue, qualifizierte Arbeitsplätze mit einer nachhaltigen Perspektive schaffen.
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
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WIRTSCHAFT+MARKT
BRANCHE
„DIE DEUTSCHE
INDUSTRIE
BRAUCHT PLANUNGS-
SICHERHEIT“
Jürgen Fuchs, Vorsitzender der Geschäftsführung der BASF Schwarzheide GmbH, spricht im
W+M-Interview über die aktuelle Energiekrise, die Transformation der Chemieindustrie und
die Bedeutung des BASF-Produktionsstandorts für die Lausitz.
W+M: Herr Fuchs, der BASF geht es auch in
den aktuellen Krisenzeiten gut. Gilt das auch
für das Werk in Schwarzheide?
Jürgen Fuchs: Das erste Halbjahr ist für die
BASF-Gruppe sehr gut gelaufen, auch weil wir
in der Lage waren, die gestiegenen Rohstoffpreise
und Energiekosten weiterzugeben. Die
Nachfrage war unverändert hoch und hat auch
in Schwarzheide für eine gute Auslastung der
Produktionsanlagen gesorgt. Gleichwohl sehen
wir die weitere Entwicklung mit gewisser
Sorge und stellen uns auf herausfordernde
Zeiten ein.
W+M: Welche Gefahren drohen?
Jürgen Fuchs: „Wir dürfen nicht die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie aus den Augen verlieren.“
Jürgen Fuchs: Schwarzheide ist ein energieintensiver
Standort, die Energiekosten machen
einen hohen Anteil an unseren Herstellungskosten
aus. Nicht nur die Erdgaspreise sind
massiv gestiegen, auch die Rohstoffkosten
haben sich deutlich erhöht. Die Herstellkosten
einiger unserer Produkte haben sich dadurch
fast verdoppelt im Vergleich zum Vorkrisenniveau.
Mit dem Effekt, dass wir zur Zeit bei
uns und in der gesamten chemischen Industrie
einen Rückgang bei der Nachfrage nach
Chemie produkten spüren.
Foto: W+M
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
CHEMIE & PHARMA
WIRTSCHAFT+MARKT39
W+M: Ostdeutschland ist nahezu vollständig
vom russischen Gas abhängig. Woher bezieht
die BASF in Schwarzheide ihr Gas?
Jürgen Fuchs: Wir beziehen Erdgas von
westeuropäischen Lieferanten. Es ist davon
auszugehen, dass der regionale Mix des von
uns bezogenen Erdgases dem in Deutschland
entspricht. Derzeit erfolgt die Belieferung mit
Erdgas an allen europäischen Standorten der
BASF bedarfsgerecht, so auch in Schwarzheide.
Es gibt aktuell keine gasversorgungsbedingten
Abstellungen oder Drosselungen.
Sorge bereitet uns der sehr hohe Preis für
Erdgas, der um ein Vielfaches gestiegen ist.
W+M: Wie ist BASF Schwarzheide auf
mögliche Versorgungsengpässe vorbereitet?
Foto: W+M
Jürgen Fuchs: Wir betreiben in Schwarzheide
ein eigenes Gas- und Dampfturbinenkraftwerk
zur Erzeugung von Wärme und
Strom für unsere 13 Produktionsanlagen. Um
die Dimensionen zu verdeutlichen: Mit der
Energie, die wir hier am Standort erzeugen
und verbrauchen, könnte eine Stadt mit zirka
150.000 Einwohnern ein Jahr lang mit Strom
und Wärme versorgt werden.
Der Produktionsstandort Schwarzheide hat
sich auf Szenarien mit reduzierten Erdgaslieferungen
vorbereitet. Wenn die Bundesregierung
im Notfallplan Gas die dritte Alarmstufe
ausruft, würde Erdgas von der Bundesnetzagentur
zugeteilt. Falls wir in diesem Fall
weniger Gas beziehen können, benötigen wir
alternative Energieträger, um den Standort
mit Energie und damit unsere Kunden mit
Produkten zu versorgen. Dabei können wir
zum einen Strom vom Markt beziehen oder
unser Kraftwerk zum Teil mit anderen Brennstoffen
wie zum Beispiel Heizöl betreiben.
Nach der jüngst abgeschlossenen Modernisierung
könnten wir in unserem Kraftwerk
auch Wasserstoff als Energieträger einsetzen,
so dieser zur Verfügung stünde. Im August
haben wir zudem unseren Solarpark in Betrieb
genommen, den wir in Kooperation mit dem
Energieversorger enviaM errichtet haben. Es
ist das erste Solarkraftwerk industrieller Größenordnung
innerhalb der BASF-Gruppe und
deckt etwa zehn Prozent des Strombedarfs
am Standort ab.
Jürgen Fuchs, Vorsitzender der Geschäftsführung der BASF Schwarzheide GmbH,
im Gespräch mit W+M-Verleger Frank Nehring
W+M: Deckt sich die Situation bei BASF
in Schwarzheide mit der Chemieindustrie
insgesamt?
Jürgen Fuchs: Hier sollte man differenzieren.
Je nach Energiebedarf, Energieträger oder
Produktportfolio ergeben sich unterschiedliche
Situationen und damit Lösungsansätze.
Wir sehen, dass mittlerweile manche Chemieprodukte
zu deutlich niedrigeren Preisen aus
dem Ausland importiert werden, als wir sie in
Deutschland herstellen können. Und hier rede
ich nicht von Unterschieden im zweistelligen
Prozentbereich, sondern um Faktoren. Diese
Schieflage, insbesondere die um ein Vielfaches
günstigeren Erdgas- und Energiepreise in beispielsweise
Nordamerika, ist eine Bedrohung
für alle energieintensiven Branchen und könnte
zu einer De-Industrialisierung in Europa und
Deutschland führen.
W+M: Sind diese Risiken der Öffentlichkeit
ausreichend bewusst?
Jürgen Fuchs: Die politische Diskussion fokussiert
zurzeit stark auf die Folgen der Inflation
und die Belastungen für die Bevölkerung
durch hohe Energiepreise. Das ist wichtig,
vor allem für den Erhalt des gesellschaftlichen
Friedens. Doch wir dürfen darüber nicht
die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie aus
den Augen verlieren. Die deutsche Industrie
braucht wettbewerbsfähige Energiepreise,
Versorgungs- und Planungssicherheit.
W+M: Die Energiepreise sind nicht die
einzige Bedrohung für die Wettbewerbsfähigkeit.
Welche weiteren Herausforderungen
sehen Sie?
Jürgen Fuchs: Die chemische Industrie
befindet sich inmitten eines kapitalintensiven
Transformationsprozesses hin zur Klimaneutralität.
Dieses Ziel unterstützen wir als BASF
und haben uns in unserem Unternehmenszweck
auch der Nachhaltigkeit verschrieben:
„Wir machen Chemie, die verbindet, für eine
nachhaltige Zukunft.“ Doch auf dem Weg
liegen weitere potenzielle Hürden.
Im Green Deal der EU ist eine Chemikalienstrategie
verankert. Dies ist ein Paket von mehr
als 80 Einzelmaßnahmen mit weitreichenden
Auswirkungen. Rund 12.000 Chemikalien sind
aller Voraussicht nach davon betroffen – und
zwar in allen Lebensbereichen, vom Auto über
Haushalt bis hin zu Kosmetik. Viele dieser
Stoffe werden wir durch Neuentwicklungen
ersetzen – aber das braucht Zeit. Wenn ganze
Gruppen von Stoffen auf einen Schlag gesammelt
verboten werden, fehlen an vielen Stellen
erst einmal wichtige Materialien für Hygiene-,
Automobil- oder Bauprodukte. Hinzu kommen
die wirtschaftlichen Effekte: Die europäische
Chemieindustrie könnte nach einer
Abschätzung des unabhängigen Wirtschaftsforschungsunternehmens
Ricardo Energy &
Environment bis 2040 mindestens zwölf
Prozent an Marktanteilen verlieren. Manchem
kleinen und mittelständischen Unternehmen
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
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WIRTSCHAFT+MARKT
BRANCHE
in der Branche zieht das den Boden unter den
Füßen weg.
Die deutsche Chemieindustrie sieht sich
gegenwärtig geballten Herausforderungen
ausgesetzt, die ich persönlich in der Komplexität
in rund dreißig Jahren Berufsleben so
nicht annähernd erlebt habe. Der Politik muss
aber klar sein: Die chemische Industrie ist
Grundstofflieferant für fast alle anderen Branchen
des produzierenden Gewerbes. Unsere
Produkte, sei es in der Herstellung oder der
Anwendung, zahlen auf die Nachhaltigkeitsziele
erheblich ein. Damit sind wir Schlüsselindustrie
und Lösungsanbieter auf dem Weg zu
einer klimaneutralen Zukunft.
W+M: Nicht nur die Chemieindustrie sieht
sich einem Veränderungsprozess gegenüber,
auch Ihr Standort, die Lausitz, befindet sich
im Strukturwandel. Welchen Beitrag kann die
BASF leisten, um diesen Strukturwandel zu
unterstützen?
Jürgen Fuchs: BASF macht sich für seinen
Standort in der Lausitz stark und hat
dieses Bekenntnis zum Standort auch
jüngst in einer gemeinsamen Erklärung mit
der brandenburgischen Landesregierung
erneut bekräftigt. Wir sind für den Süden
Brandenburgs und die Lausitz ein strukturbestimmendes
Unternehmen und uns dieser
Verantwortung sehr bewusst. Wir beschäftigen
hier etwa 2.100 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, die erfahren sind im Umgang mit
Transformationsprozessen. Daneben arbeiten
auf dem Werksgelände weitere 1.500 Personen
bei angesiedelten Unternehmen sowie
Dienstleistern und Partnern.
Lesen Sie das
ausführliche
Interview im
W+M-Onlinemagazin
Die Produktionsanlagen der BASF in Schwarzheide
Der Standort Schwarzheide ist auf Wachstum
ausgerichtet. Die BASF hat sich für Schwarzheide
als Standort entschieden, um die erste
Fabrik für Kathodenmaterialien in Europa zu
bauen. Diese Anlage befindet sich bereits im
Bau und wir haben kürzlich den Spatenstich
für eine Prototypanlage für Batterierecycling
zelebriert. Damit tragen wir nicht nur
maßgeblich zum Entstehen der europäischen
Wertschöpfungskette für Elektromobilität bei,
sondern erhöhen gleichzeitig die Attraktivität
für andere Unternehmen, die im Wertschöpfungsnetzwerk
Elektromobilität bereits aktiv
sind oder es werden wollen, in der Lausitz und
in Brandenburg – als Mobilitätsland Europas –
zu investieren.
Darüber hinaus pilotieren wir in Schwarzheide
die Energiewende für mittelgroße
BASF-Standorte und haben uns zum Ziel
gesetzt, einer der ersten CO 2
-neutralen
BASF-Produktionsstandorte zu werden. Wir
setzen uns auch stark für Aus-, Fort- und
Weiterbildung ein und unterstützen mit viel
Engagement z. B. den geplanten Bau des Leistungszentrums
Westlausitz, einer Einrichtung
der überbetrieblichen Bildung, von der rund 80
Unternehmen der Region profitieren könnten,
weil sie auf höchstem Niveau zur Fachkräftesicherung
beitragen wird.
W+M: Wie schwierig ist es denn, Fachkräfte
in die Lausitz zu holen?
Jürgen Fuchs: Unsere Beschäftigtenzahlen
steigen. Vor fünf Jahren waren es knapp
über 1.700 Beschäftigte, heute sind es ca.
2.100. Im vergangenen Jahr konnten wir alle
offenen Stellen mit entsprechend Qualifizierten
besetzen. Die Fachkräftesicherung
zählt trotzdem weiterhin zu unseren größten
Herausforderungen. Wir bieten attraktive
Arbeitsplätze, gute Gehälter, Entwicklungsund
Entfaltungsmöglichkeiten, sinnstiftende
Aufgaben sowie Tarifbindung – aber
das alleine reicht heutzutage nicht mehr
aus. So fördern wir beispielsweise flexible
Arbeitsmodelle, wir setzen auf Digitalisierung,
Freude bei der Arbeit u.v.m. Es braucht
aber auch ein lebenswertes Umfeld mit der
entsprechenden Infrastruktur, bezahlbarem
Wohnraum, Kitas, Schulen, Anbindung und
Freizeitmöglichkeiten.
Wir haben uns viel vorgenommen in Schwarzheide.
Wir haben Pläne und Konzepte
erarbeitet, wie wir durch die Krise kommen
wollen. Wir haben einen Fahrplan zu unserer
Transformationsreise mit neuen Produkten
und Technologien, in dem der Nachhaltigkeitsgedanke
zum Treiber für Innovation wird. Wir
haben aber vor allem eins: ein tolles Team in
Schwarzheide – und das gibt mir die Zuversicht
und den Optimismus, dass wir die großen
Herausforderungen meistern werden.
Interview: Frank Nehring
Foto: BASF Schwarzheide GmbH
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
CHEMIE & PHARMA
WIRTSCHAFT+MARKT41
36 TOP-UNTERNEHMEN DER
CHEMIE- UND PHARMAINDUSTRIE
Die chemisch-pharmazeutische Industrie ist eine der wichtigsten Branchen in Ostdeutschland. 2021 erreichte sie mit
über 31 Milliarden Euro einen neuen Umsatz-Höchststand. W+M-Online stellt in einer mehrteiligen Serie prägende
Unternehmen der Branche vor. Die porträtierten Unternehmen in der Übersicht.
BERLIN
Berlin steht in erster Linie für die Pharmaindustrie.
Mehr als 90 Prozent der Umsätze
werden in der Pharmasparte verdient.
Entsprechend arbeiten auch 80 Prozent der
Beschäftigten der Branche in der Hauptstadt
in der Pharmaproduktion, vornehmlich bei den
fünf größten Unternehmen der Branche.
Porträtierte Unternehmen
• Berlin-Chemie AG, Berlin-Adlershof
• Bayer AG, Berlin-Wedding
• B.Braun SE, Berlin-Rudow
BRANDENBURG
Biopolymere, innovative Verbundwerkstoffe
für den Leichtbau, Spezialfolien, Kraftstoffe –
Brandenburgs Chemie- und Pharmaindustrie
beeindruckt durch die Vielfalt ihrer Produkte.
Mit dem Chemiestandort Schwarzheide, dem
Industriepark Schwedt und den Industriestandorten
Schwarze Pumpe, Guben,
Oranienburg und Premnitz ist die Chemieindustrie
auch regional in Brandenburg breit
aufgestellt.
Porträtierte Unternehmen
• BASF Schwarzheide GmbH, Schwarzheide
• Takeda GmbH, Oranienburg
• PCK Raffinerie GmbH, Schwedt
• Trevira GmbH, Guben
• ORAFOL Europe GmbH, Oranienburg
MECKLENBURG-
VORPOMMERN
Die Corona-Pandemie rückte die Insel Riems
im Greifswalder Bodden in das Bewusstsein
der Öffentlichkeit, forscht hier doch das
Friedrich-Loeffler-Institut an der Ausbreitung
von Tierseuchen. Auch die Städte Greifswald
und Rostock sind Standorte der Pharma-
industrie, an denen Impfstoffe und Pharmaka
für Mensch und Tier produziert werden.
Porträtierte Unternehmen
• YARA GmbH & Co. KG, Rostock
• Cheplapharm Arzneimittel GmbH,
Greifswald
• Ceva Tiergesundheit GmbH, Greifswald –
Insel Riems
SACHSEN
Die chemisch-pharmazeutische Industrie in
Sachsen umfasst ein breites Spektrum an
Produzenten, deren Angebote von chemischen
Stoffen auf Silicium-Basis über
Industrielacke, Impfstoffe bis hin zu Reinigungsmitteln
reicht. Rund ein Fünftel der in
Ostdeutschland in der Branche Beschäftigten
arbeitet im Freistaat.
Porträtierte Unternehmen
• Wacker Chemie AG, Nünchritz
• Herlac Coswig GmbH, Coswig
• CUP Laboratorien Dr. Freitag GmbH, Radeberg
• GlaxoSmithKline Biologicals NL der Smith-
Kline Beecham Pharma GmbH & Co. KG,
Dresden
• Fit GmbH, Hirschfelde
SACHSEN-ANHALT
Sachsen-Anhalt ist das Zentrum des
mitteldeutschen Chemiedreiecks mit Global
Playern aus aller Welt und einer Vielzahl
mittelständischer Unternehmen an traditionsreichen
Standorten wie Leuna, Schkopau
oder Bitterfeld-Wolfen. In fünf Chemieparks
wird die komplette Wertschöpfungskette der
Chemieindustrie abgebildet. Polymersynthese,
Agrochemie oder Fein- und Spezialchemie
stehen für das Leistungsangebot der
Chemie in Sachsen-Anhalt.
Porträtierte Unternehmen
• Chemiepark Leuna (InfraLeuna GmbH), Leuna
• DOMO Caproleuna GmbH, Leuna
• Linde GmbH, Leuna
• Leuna-Harze GmbH, Leuna
• Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme
IWES, Leuna
• Dow Value Park (DOW Olefinverbund GmbH),
Schkopau
• Trinseo Deutschland GmbH, Schkopau
• Synthos Schkopau GmbH, Schkopau
• Chemie- und Industriepark Zeitz (Infra-Zeitz
Servicegesellschaft mbH), Zeitz
• IDT Biologika GmbH, Dessau-Roßlau
• Serumwerk Bernburg AG, Bernburg
• DAW SE, Köthen / Nerchau
• SKW Stickstoffwerke Piesteritz,
Lutherstadt Wittenberg
• Chemiepark Bitterfeld-Wolfen GmbH,
Bitterfeld-Wolfen
• Heraeus Quarzglas Bitterfeld GmbH & Co.
KG, Bitterfeld-Wolfen
• Bayer Bitterfeld GmbH, Bitterfeld-Wolfen
• Nobian GmbH, Bitterfeld-Wolfen
THÜRINGEN
Thüringen ist geprägt von mittelständisch
strukturierten Unternehmen in der Kunststoff-
und Gummiproduktion mit einer über 100-jährigen
Tradition. Aber auch pharmazeutische
Betriebe, Farben-, Lacke- oder Reinigungsmittelhersteller
sind im Freistaat ansässig.
Porträtierte Unternehmen
• Laborchemie Apolda, Apolda
• Polytives GmbH, Jena
• Leuchtstoffwerk Breitungen GmbH,
Breitungen
Lesen Sie die
ausführliche
Serie im W+M-
Onlinemagazin
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
42
WIRTSCHAFT+MARKT
BRANCHE
„DIE PROZESSE MÜSSEN
BESCHLEUNIGT WERDEN“
Im W+M-Interview spricht Stefan Dohler, Vorstandsvorsitzender
der EWE AG, über die Versorgungssicherheit von Gas und Strom,
den Ausbau der erneuerbaren Energien und bürokratische
Hemmnisse, welche die Energiewende bremsen.
sind Versorgungsengpässe beim Gas nach wie
vor möglich.
W+M: Wie sehr belastet die Explosion der
Gaspreise Ihr Unternehmen?
Stefan Dohler: Wir erleben in Teilen eine Verzehnfachung
der Preise. Selbst wenn wir die höheren
Beschaffungskosten teilweise an unsere
Kunden weitergeben können, müssen diese von
uns zunächst vorfinanziert werden. Das heißt
zum Beispiel, dass wir jetzt deutlich höhere
Sicherheitsleistungen hinterlegen müssen.
Stefan Dohler, Vorstandsvorsitzender der EWE AG
W+M: Herr Dohler, welche wirtschaftlichen
Gefahren drohen EWE angesichts
der aktuellen Energiekrise?
Stefan Dohler: Die Lage ist zurzeit bei allen
Energieversorgern extrem angespannt. Und
dies betrifft gleich zwei Aspekte: Die Versorgungssicherheit,
die für uns sehr lange Zeit
gar nicht zur Debatte stand, sondern selbstverständlich
war, sowie die Entwicklung der
Preise. Beides steht natürlich in einem engen
Zusammenhang.
EWE-Projekte in Brandenburg und MV
W+M: Ist die ausreichende Versorgung mit
Gas für den bevorstehenden Winter noch
gewährleistet?
Stefan Dohler: Unsere Gasspeicher sind
nahezu komplett gefüllt, auch in der restlichen
Energiewirtschaft sind die Speicher mittlerweile
gut ausgelastet. Damit kann aber nicht
jedes denkbare Krisenszenario in den kommenden
Monaten völlig ausgeschlossen werden.
Wenn der Winter sehr kalt oder lang wird
und wir nicht genügend Energie einsparen,
Auch in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern hat EWE Projekte zum Umbau der
Energiewirtschaft auf den Weg gebracht. In Brandenburg sind beispielsweise 32 EWE
Go-Ladepunkte am Tropical Islands in Betrieb gegangen. Geplant ist auf dem Gelände
der tropischen Urlaubswelt auch die Erzeugung von Wärme und Strom aus erneuerbaren
Energien, wenn die Politik die Weichen stellt und die Flächennutzung genehmigt. Zudem
unterstützt EWE in Jüterbog einen Investor bei der energetischen Sanierung eines historischen
Vierseithofs mit Landgasthof und Reiteranlage. Dieser wird gerade zum Treffpunkt
für Arbeit, Kultur und Freizeit umgebaut, mit Restaurant, Co-Working und Co-Living. EWE
installiert für den Betreiber in den nächsten Monaten eine Luft-Wärme-Pumpe und eine
PV-Anlage, die den überwiegenden Strombedarf decken soll. Zudem setzt EWE zunehmend
auf grüne Gase. So baut das Unternehmen gerade neue, mit Biogas betriebene Blockheizkraftwerke
in Finowfurt und Strausberg.
Wir spüren bereits jetzt schon, dass einige
Kunden mit den gestiegenen Preisen überfordert
sind. Dies wird in naher Zukunft eher
zunehmen, deshalb muss die Politik helfend
eingreifen. Die Frage wird sein, ob die bisher
geschnürten Entlastungspakete für die Bürger
schnell genug greifen und die richtigen Adressaten
erreichen. Als Unternehmen versuchen
wir darüber hinaus so flexibel wie möglich,
Kunden in Zahlungsschwierigkeiten Zeit zu
geben, Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen.
W+M: Wie sieht es bei kleinen und mittelständischen
Unternehmen aus, die durch
die massiv steigenden Kosten in Schieflage
geraten sind?
Stefan Dohler: Bei den gewerblichen Kunden
gelten zurzeit vielfach noch längerfristige
Verträge zu günstigeren Konditionen, die
wir vertragstreu erfüllen, trotz der höheren
Beschaffungskosten. Viele dieser Jahreskontrakte
laufen aber nun aus. Das bereitet den
Unternehmen natürlich Sorge, weil viele von
ihnen die aktuellen Energiekosten nicht oder
nur in Teilen an ihre Kunden weiterreichen
können und so absehbar in wirtschaftliche
Schwierigkeiten kommen werden. Auch hier
muss der Staat den KMU mit zielgenauen
Entlastungspaketen zur Seite stehen. Dies
Foto: Mohssen Assanimoghaddam
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
ENERGIE
WIRTSCHAFT+MARKT43
erachte ich im Übrigen als sinnvoller und praktikabler
als direkte staatliche Eingriffe in den
Energiemarkt.
In Rüdersdorf baut EWE in 1.000 Metern Tiefe eine Testkaverne
zur Speicherung von 100 Prozent Wasserstoff.
W+M: Gibt es für EWE auch positive
Entwicklungen in dieser aktuellen Lage?
Stefan Dohler: Wir haben die Genehmigung
für eine Gasanbindungsleitung zum LNG-Terminal
in Wilhelmshaven vorliegen und werden
rund 160 Millionen Euro investieren, um bis
zum Winter 2023 die Anbindung an unsere
Gasspeicher im Nordwesten und das Ferngassystem
zu realisieren. Davon partizipieren
dann auch andere Regionen wie Brandenburg
oder Mecklenburg-Vorpommern. Zudem
können wir mittlerweile über unsere Windkraftanlagen
vier Terrawattstunden Strom
pro Jahr selbst erzeugen. Angesichts unserer
gesamten Stromverkäufe von 18 Terrawattstunden
ist dies aber noch ein geringer Anteil,
Foto: Andreas Prinz
so dass die aktuell höheren Erlöse in diesem
Geschäftsfeld nur bedingt ins Gewicht fallen.
W+M: Was bedeutet die gegenwärtige Krise
aus Ihrer Sicht für das Gelingen der Energiewende?
Stefan Dohler: Das Verständnis für den
Ausbau der erneuerbaren Energien und der
gleichzeitigen Reduzierung der Importabhängigkeiten
ist stark gewachsen. Wir erleben,
dass sehr viele, auch gewerbliche Kunden
jetzt beispielsweise PV-Anlagen nachfragen.
Die nächsten beiden Jahre, insbesondere
die Wintermonate, werden dennoch eine
schwierige Zeit. Danach werden wir, so meine
Einschätzung, ausreichend LNG-Importe
haben, wir werden eine deutliche Absenkung
des Energieverbrauchs erleben, der europäische
Verbund wird besser funktionieren
und der Ausbau der erneuerbaren Energien
deutlich vorangeschritten sein. Auch beim
Umbau der Wärmeversorgung, vor allem
durch einen stärkeren Einsatz von Wärmepumpen,
wird es in diesem Zeitraum positive
Entwicklungen geben. Das alles wird zu einer
Stabilisierung der Preise führen, wenn auch
auf einem höheren Niveau als vor der Krise.
Wir müssen jetzt möglichst schnell das Angebot
an Energie aus unterschiedlichen Quellen
erhöhen und den Energieverbrauch senken.
Lesen Sie das
ausführliche
Interview im
W+M-Onlinemagazin
Letzteres wird automatisch passieren, wenn
die hohen Energiepreise endgültig die Kunden
erreicht haben.
W+M: Auch EWE investiert zurzeit in den Ausbau
der erneuerbaren Energien. Wie weit sind
Sie auf diesem Weg bereits voran gekommen?
Stefan Dohler: Wir haben gemeinsam mit der
Aloys Wobben Stiftung ein Gemeinschaftsunternehmen,
die Alterric GmbH mit Hauptsitz
im ostfriesischen Aurich, gegründet. Dies ist
der größte Onshore-Windpark-Betreiber in
Deutschland mit 2.300 Megawatt installierter
Leistung. In unserer Projekt-Pipeline in ganz
Europa warten weitere 9.000 Megawatt.
Die Alterric GmbH wächst zurzeit sehr stark.
Unser Ziel ist es, bis 2030 mindestens 200
Megawatt Zubau jährlich in der Windenergie
zu verwirklichen. Dafür haben wir in diesem
Jahr noch mal zusätzlich 100 Mitarbeiter und
Mitarbeiterinnen eingestellt. Auch in Brandenburg
und Mecklenburg-Vorpommern setzen
wir bereits Projekte um.
W+M: Schreitet der Ausbau schnell genug
voran?
Stefan Dohler: Die Geschwindigkeit hängt
sehr stark davon ab, wie schnell wir die
Genehmigungen und Freigaben für solche
Windparks bekommen. Die bürokratischen
Genehmigungsprozesse hemmen den Ausbau
derzeit noch massiv, auch weil die personelle
Ausstattung der Behörden nicht ausreichend
ist. Das muss sich ändern, die Prozesse
müssen deutlich beschleunigt werden.
W+M: Die Politik hat selbst angekündigt,
die Genehmigungsprozesse beschleunigen
zu wollen. Ist dieser Wille bereits in der
Praxis spürbar?
Stefan Dohler: Die Vorhaben, das Repowering
schneller umsetzen zu können,
die Flächenausweitung für die Windkraft
oder die Anpassungen beim Arten- und
Naturschutz sind richtige und notwendige
Schritte. Die Umsetzung ist aber in der
Praxis der lokalen Genehmigungsbehörden
oftmals noch nicht angekommen.
W+M: Muss die Energiewirtschaft hier
mehr Druck auf die Politik ausüben?
Stefan Dohler: EWE hat bereits einen
16-Punkte-Plan vorgelegt, der konkret
benennt, mit welchen Maßnahmen die
Prozesse und der Ausbau der erneuerbaren
Energien deutlich schneller umgesetzt
werden können. Das Beispiel des LNG-Beschleunigungsgesetzes
hat aktuell gezeigt,
wie kurzfristig der Gesetzgeber Lösungen
finden kann, wenn der politische Wille dazu
vorhanden ist. Dasselbe wäre aus meiner
Sicht mit einem Erneuerbare-Energien-
Beschleunigungsgesetz ebenfalls denkbar.
Interview: Frank Nehring und
Matthias Salm
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
44
WIRTSCHAFT+MARKT
FACHKRÄFTE
DER OSTDEUTSCHEN
WIRTSCHAFT GEHEN
DIE FACHKRÄFTE AUS
In vielen ostdeutschen Branchen bremsen offene Stellen den Aufschwung aus. Die für die Transformation
benötigten Fachkräfte fehlen nicht nur dem Mittelstand. Auch Großansiedlungen wie Intel oder Tesla
erhöhen den Druck auf den Arbeitsmarkt.
VON MATTHIAS SALM
AAnfang des Jahres schlugen Sachsens Kammern
Alarm. Die sächsischen Industrie- und
Handelskammern und die Handwerkskammern
hatten ihre Mitglieder befragt und das
Ergebnis war eindeutig: Mit 64 offenen Stellen
je 1.000 Beschäftigte wurde der bisherige
Höchstwert von 52 offenen Stellen aus dem
Jahr 2018 nochmals deutlich überschritten.
Besonders fehlt es laut Umfrage an Technikern
und Meistern. Gerade der kleine Mittelstand
– Unternehmen mit weniger als zehn
Mitarbeitern – leidet unter dem Fachkräftemangel.
Bis 2030 werden 150.000 Erwerbsfähige
auf dem sächsischen Arbeitsmarkt
fehlen im Vergleich zu 2020. 2035 soll die
Lücke schon 210.000 Beschäftigte betragen.
Der Freistaat will die Misere auf dem
Arbeitsmarkt gleich auf mehreren Ebenen
bekämpfen. Allein 132 Millionen Euro will die
sächsische Regierung in den nächsten Jahren
in die Förderung des akademischen Nach
wuchses pumpen. Das Wirtschaftsministerium
hat darüber hinaus einen 31-Punkte-Plan
zur Gewinnung internationaler Arbeitskräfte
aufgelegt, für dessen Umsetzung zunächst
17,5 Millionen Euro eingeplant sind. Zu den
Maßnahmen zählen beispielsweise eine
schnellere Anerkennung ausländischer
Berufsabschlüsse, Praktika für im Ausland
lebende Menschen bei sächsischen Unternehmen
und die Schaffung kommunaler Integrationszentren
als Anlaufstelle.
Foto: Matthias Salm
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
OSTDEUTSCHLAND
WIRTSCHAFT+MARKT45
Der Maschinenbau sucht Nachwuchs
In einer der sächsischen Schlüsselindustrien,
dem Maschinenbau, fehlt es nicht nur im Freistaat,
sondern in ganz Ostdeutschland schon
jetzt an geeignetem Nachwuchs. Vier von fünf
ostdeutschen Maschinen- und Anlagenbauern
bilden ihren Fachkräftenachwuchs noch selbst
aus. Doch die Bewerberzahlen sinken und die
Betriebe klagen zudem über eine unzureichende
Ausbildungsfähigkeit der Berufsstarter.
Dies ergab eine Umfrage des Branchenverbands
des Maschinenbaus VDMA Ost unter
seinen 350 Mitgliedern.
„Das Fachkräftedilemma der Branche beginnt
bereits bei den Jüngsten. So hatten in diesem
Jahr nahezu 60 Prozent der Betriebe Probleme,
geeignete Mädchen und Jungen für eine
kaufmännische oder gewerblich-technische
Berufsausbildung zu gewinnen“, beschreibt
Oliver Köhn, Geschäftsführer des VDMA Ost,
die Lage. „Besonders schwierig ist die Situation
in den technischen Berufsfeldern. Hier gibt es in
vier von zehn Firmen freie Ausbildungsplätze.“
Dem großen Angebot an gewerblich-technischen
Ausbildungsstellen im ostdeutschen
Maschinenbau steht eine schrumpfende
Nachfrage gegenüber. Gründe hierfür sind der
demografische Wandel, die Konkurrenz von
Konzernen und großen Mittelständlern und
die hohe Studienneigung vieler Jugendlicher.
Übrigens ist die Mangellage im Maschinenbau
kein rein ostdeutsches Problem. Laut
ifo-Institut sahen sich im Juli 2022 43 Prozent
der befragten Maschinenbau-Unternehmen
in Deutschland durch fehlende Fachkräfte
in ihren Produktionsaktivitäten gebremst.
Besonders die Berufsgruppen Mechatronik,
Automatisierungstechnik, spanende Metallbearbeitung,
Maschinen- und Betriebstechnik
sowie Elektrotechnik erweisen sich als
Problemzone.
Thüringer Betrieben fehlen IT-Kräfte
In Thüringen erlitten 2021 neben dem Chemieund
Textilsektor auch die Reisebranche sowie
der Messe- und Vermietungsbereich den
stärksten Einbruch beim Fachkräftepersonal,
ergab eine Auswertung der Regionaldirektion
Halle der Agentur für Arbeit. Vor allem
aufgrund der Verrentung müssen jährlich
knapp 25.000 Mitarbeiter im Freistaat ersetzt
werden. Schon jetzt liegt das Land deutschlandweit
auf dem letzten Platz bei der Dauer
der Wiederbesetzung von offenen Stellen.
Den Engpass bei den IT-Kräften teilen die
Thüringer mit ganz Ostdeutschland. Lediglich
in Berlin, ergab eine Studie des Instituts
der deutschen Wirtschaft (IW), ist die Lage
noch entspannt. In Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern
gestaltet sich die Suche
nach Personal mit Digitalisierungskompetenzen
hingegen besonders schwierig. Die Studie
warnt davor, dass Ostdeutschland bei der
Digitalisierung aus Mangel an Humankapital
abgehängt werden könnte. Hinzu kommt für
den Mittelstand die Konkurrenz durch Großinvestoren
in Ostdeutschland. Allein der IT-Konzern
Intel sucht für seine Gigafabrik in Magdeburg
3.000 Fachkräfte (siehe auch S. 48).
Experten rechnen damit, dass im Umfeld der
Intel- Investition bei Zulieferer firmen weitere
Zukunft braucht jemanden,
der in sie investiert: die
neue SIGNAL IDUNA
Lebensversicherung AG.
Nachhaltig
ausgerichtet
Gemeinsam verantwortungsvoll Zukunft gestalten:
Die SIGNAL IDUNA Lebensversicherung AG ist ein
junges Unternehmen, das nachhaltige und digitale
Lösungen für private und betriebliche Altersvorsorge,
Einkommensschutz und Risikovorsorge bietet. Nachhaltigkeit
ist zentraler Teil unseres Selbstverständnisses.
Damit übernehmen wir soziale Verantwortung
und richten unser Unternehmen von Anfang an und
in allen Geschäftsbereichen an unseren Nachhaltigkeitsgrundsätzen
aus.
Foto: XXX
signal-iduna.de/lv
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
46
WIRTSCHAFT+MARKT
FACHKRÄFTE
Naturwissenschaftlerinnen sind für die Chemieunternehmen
hingegen noch ausreichend zu
gewinnen, so die Nordost chemie-Verbände.
Das Handwerk schlägt Alarm
In der Hauptstadtregion treffen in vielen
Branchen ebenfalls zu wenig Arbeitsuchende
auf zu viele offene Stellen. Auswertungen
der Arbeitsagentur bescheinigen besonders
dem Flächenland Brandenburg wachsende
Schwierigkeiten bei der Besetzung freier
Stellen bei Pflegeberufen, in der Mechatronik,
der Medizin- und Energietechnik, der Pharmazie,
bei Rettungsdiensten, aber auch bei
Klimatechnikberufen. Gerade der Fachkräftemangel
im Handwerk könnte das Gelingen der
Energiewende auf eine harte Probe stellen,
schließlich sind es die Handwerker, die etwa
die Umrüstung in der Wärmeversorgung auf
Wärmepumpen umsetzen müssen. Dass sich
manche Ausbildungsberufe, etwa bei Sanitär-,
Heizungs- und Klimatechnikern oder in der
Dachdeckerei, laut einer Studie des Instituts
der deutschen Wirtschaft (IW) wieder größerer
Beliebtheit erfreuen, auch weil sie sich in
der Corona-Pandemie als krisenresistent erwiesen
haben, kann den wachsenden Bedarf
allein nicht decken.
In Brandenburg arbeiten LEAG und Deutsche Bahn in der Ausbildung zusammen.
Arbeitsplätze – insgesamt rund 10.000 – entstehen
werden, die es zu besetzen gilt.
mit Ausnahme weniger Arbeitsagentur-
rung suchen die ostdeutschen Chemiefirmen
bezirke flächendeckend nach geeignetem
Chemie benötigt Digitalexperten Personal. Regionale Fachkräfteengpässe in
chemierelevanten Berufen gibt es auch in
Auch in der für Ostdeutschland wirtschaftlich der Forschung und Entwicklung, beispielsweise
bei den pharmazeutisch-technischen
lebensnotwendigen Chemieindustrie schauen
die Betriebe mit Sorge auf die Entwicklungen Assistenten / Assistentinnen. Insbesondere in
am Arbeitsmarkt. Der Verband der Chemischen
Industrie in Ostdeutschland stellt
pommerns können über 70 Prozent der
Teilen Brandenburgs und Mecklenburg-Vor-
bei Facharbeitern und Facharbeiterinnen
offenen Stellen in chemierelevanten Berufen
Engpässe vor allem in den Produktionsberufen der Forschung und Entwicklung nicht besetzt
fest, z. B. in den Berufsfeldern Chemikanten werden, weil passend qualifizierte Arbeitslose
fehlen. Beim akademischen Fach- und
oder Verfahrensmechaniker für Kunststoffund
Kautschuktechnik, bei den Laborberufen, Führungspersonal tritt hingegen der Mangel
den Berufen der Instandhaltung sowie in den nur in bestimmten Bereichen auf, etwa in der
Berufen der IT und Softwareentwicklung. Informatik/Wirtschaftsinformatik und im
Gerade bei den Fachkräften für die Digitalisie- Ingenieurwesen. Naturwissenschaftler und
Es gibt faktisch kein Gewerk, das vom Fachkräftemangel
verschont bleibt. Besonders
hoch ist der Bedarf im Bauhaupt- und im
Ausbaugewerbe. Es fehlen Installateure und
Heizungsbauer, Kälteanlagenbauer, Metallbauer
und Elektroniker. Aber auch in den
Gesundheitshandwerken wie etwa bei den
Augenoptikern oder Hörakustikern steigt der
Bedarf an neuem Personal weiter.
„Die Beschäftigtenzahlen gehen auch im
Brandenburger Handwerk seit Jahren zurück.
Ursächlich sind u.a. der demografische Wandel
und sinkende Geburtenzahlen. Zudem sind
vom demografischen Wandel auch eine hohe
Zahl von Inhabern betroffen, die ebenfalls
nicht in ausreichender Zahl Betriebsnachfolger
finden“, sagt Ines Weitermann, Pressesprecherin
der Handwerkskammer Potsdam.
Wie hoch die Dringlichkeit von Unternehmensnachfolgen
oder Gründungen im Handwerk
ist, zeigen die aktuellen Zahlen am Beispiel
des Kammerbezirks Potsdam: In rund 43
Prozent der 17.400 Mitgliedsbetriebe sind die
Betriebsinhaberinnen oder Betriebsinhaber in
Westbrandenburg 55 Jahre oder älter. Konkret
Foto: LEAG
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
OSTDEUTSCHLAND
WIRTSCHAFT+MARKT47
sind damit in den nächsten Jahren zirka 7.500
Handwerksbetriebe mit rund 30.000 Mitarbeitern
nur allein in Westbrandenburg vom
Thema Nachfolge betroffen.
Das Handwerk selbst versucht entgegenzuwirken,
mit Ausbildungscoachings für Azubis
und Workshops für Ausbilder, mit Willkommenslotsen
für Geflüchtete bzw. ausländische
Fachkräfte und mit Nachfolgeprojekten.
Aber nicht nur das Handwerk in Brandenburg
muss auf die personelle Notlage reagieren.
Auch Großbetriebe wie die LEAG und die
Deutsche Bahn (DB) arbeiten mittlerweile
eng zusammen und setzen einen Trend zu gemeinsamen
regionalen Ausbildungsinitiativen.
Der Ausbildungspakt des Energiekonzerns
mit der Deutschen Bahn für die gemeinsame
Strukturentwicklung in der Lausitz sieht
vor, dass die DB bis zum Jahr 2025 einen Teil
ihrer Auszubildenden unter Federführung der
LEAG in der Ausbildungsstätte Jänschwalde
ausbilden lässt. Die DB wird diese Einrichtung
dann ab 2025 betreiben. Dann wird dort der
Nachwuchs der DB, der LEAG und auch von
Drittunternehmen beruflich fit gemacht für
die Zukunft.
Flaute in der Tourismuswirtschaft
Kaum eine Branche hat unter den Beschränkungen
der Corona-Pandemie so gelitten
wie das Hotel- und Gaststättengewerbe. Mit
fatalen Folgen: 216.000 Kellner, Köche und
Hotelangestellte verließen 2020 deutschlandweit
ihren Beruf, so eine weitere IW-Analyse.
Viele von ihnen suchten ihr Glück im Einzel-
Die Gastronomie hat in der Corona-Pandemie einen Einbruch bei den Mitarbeiterzahlen erlitten.
handel oder in der Logistik. Besonders hart Verkehrsträger zu 100 Prozent und wassertouristische
Betriebe zu 31 Prozent. Beson-
trifft diese Entwicklung das Tourismusland
Mecklenburg-Vorpommern. Nirgends in
ders drückt der Schuh in den Betrieben beim
Deutschland ist die Stellenüberhangquote mit Service, Housekeeping und beim Küchenpersonal.
Reagieren wollen die Unternehmen
rund 60 Prozent höher als im Küstenland.
ganz unterschiedlich auf die angespannte
Rund jedem zweiten Tourismus-Unternehmen Personallage. Einer höheren Entlohnung der
(49 Prozent) zwischen Müritz und Ostsee Arbeitskräfte und einer verstärkten Rekrutierung
von Menschen aus anderen Regionen in
setzt der Arbeitskräftemangel laut einer
Umfrage des Tourismusverbands Mecklenburg-Vorpommen
zu. Im Einzelnen sind es die schränkte Öffnungszeiten oder eine Verknap-
Deutschland oder der EU stehen auch einge-
Beherbergungsbetriebe zu 55 Prozent, Gastronomen
zu 58 Prozent, Freizeitanbieter zu 38
pung des Angebots als Optionen gegenüber.
Prozent, Tourist-Informationen zu 25 Prozent, Das Land will mit der Gründung einer
Tourismusakademie gegensteuern. „Die
Fachkräftesicherung im Tourismus ist eine
der drängendsten Herausforderungen der
Branche. Wir wollen vor allem auch deshalb
eine Tourismusakademie in Mecklenburg-Vorpommern
aufbauen mit dem Ziel, Fachkräfte
für unser Land auszubilden, zu qualifizieren
und auch hier zu halten“, so MV-Wirtschaftsminister
Reinhard Meyer.
Fotos: DEHOGA / Cordula Giese, W+M (unten)
MV-Wirtschaftsminister Reinhard Meyer: „Wir wollen eine
Tourismusakademie in Mecklenburg-Vorpommern aufbauen.“
Unter Federführung des Wirtschaftsministeriums
wird nun eine Fachkräftestrategie für
Mecklenburg-Vorpommern erarbeitet. Sie soll
vier Säulen umfassen: die Qualifizierung von
Fachkräften, die Sicherung und Ausschöpfung
von Erwerbspotenzialen, die Gewinnung von
Fachkräften aus dem In- und Ausland sowie
die Schaffung attraktiver Arbeitsbedingungen
im Land.
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
48
WIRTSCHAFT+MARKT
FACHKRÄFTE
WIE INTEL 3.000 FACHKRÄFTE
NACH MAGDEBURG LOTSEN WILL
Als „Quantensprung“ für die Region bezeichnete Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff den geplanten
Bau der Intel-Halbleiterfabriken in Magdeburg. In der Tat sind die Arbeitsplätze, die in Zusammenhang mit dem
Projekt entstehen, erst der Anfang. Intel-Personalchef Bernd Holthaus erklärt die Gründe für die Standortwahl und
beleuchtet die Suche nach Fachkräften.
VON BERND HOLTHAUS
Bernd Holthaus ist Personalchef von Intel
Magdeburg. In seiner vormaligen Beschäftigung
hat er als Human Ressources Director die Region
DACH und Polen verantwortet.
Eine Delegation der Stadt Magdeburg und des Landes Sachsen-Anhalt besuchte die Intel-Fabrik in Irland.
7.000 Arbeitsplätze allein in der Bauphase,
600.000 Kubikmeter Beton und 16.000
Kilometer Stahlträger, verbaut auf einem Areal
von rund 450 Hektar – es ist ein gigantisches
Vorhaben, das Intel im Industriegebiet
Eulenberg im Südwesten Magdeburgs plant.
Ab 2027 sollen die zunächst zwei Halbleiterfabriken
ihren Betrieb aufnehmen. Zu den etwa
3.000 Hightech-Jobs, die dadurch entstehen,
kommen Zehntausende weitere Stellen bei
Zulieferern und Partnern. Dennoch ist das nur
der erste Schritt. Langfristig planen wir den
Ausbau des Standorts zu einer Megafab mit
bis zu acht zusammenhängenden Fabriken.
Das bislang größte Projekt von Intel in
Deutschland ist zentraler Teil eines großangelegten
europäischen Investitionsprogramms.
Unser Ziel: die Erweiterung des
hochmodernen Halbleiter-Ökosystems für
Europa, mit dem wir eine größere Nähe zum
Kunden sicherstellen. So entsteht aktuell in
Frankreich ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum.
An bestehenden Standorten,
etwa in Irland, Polen und Spanien,
werden Kapazitäten ausgebaut. Die Investitionen
fügen sich nahtlos ein in unsere „IDM
2.0 Strategie“. Als IDM (Integrated Device
Manufacturer) entwickelt und fertigt Intel
eigene Chips. Im Rahmen von IDM 2.0 wollen
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
STANDORT
WIRTSCHAFT+MARKT49
wir stärker den Bereich der Auftragsfertigung
in den Fokus nehmen.
Idealer Standort für Intel
Für den Standort Magdeburg haben wir uns
sehr bewusst entschieden. Die Hauptstadt
Sachsen-Anhalts bietet ideale Voraussetzungen:
Im Herzen Deutschlands und Europas
gelegen und dank guter Anbindung an Autobahnen,
Flughäfen und Wasserstraßen, kann
Magdeburg mit logistischen Vorteilen punkten.
Die Großstädte Berlin, Leipzig und Hannover
liegen im Einzugsgebiet. Im regionalen
Umkreis befinden sich sieben verschiedene
Universitäten und Hochschulen. Direkt vor Ort
gibt es die Otto-von-Guericke-Universität mit
technischen Forschungsschwerpunkten sowie
die Hochschule Magdeburg-Stendal.
Auch das Gelände des Industriegebiets ist
ideal. Es ist altlastenfrei, erdbebensicher und
bietet ausreichend Platz für unsere Fabriken
– die im Übrigen laut Zielsetzung mit 100
Prozent Ökostrom betrieben werden sollen.
Eine Rolle bei der Standortwahl spielte zudem
die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit
Partnern auf Bundesebene sowie vor Ort.
Wir haben äußerst positive Eindrücke von
der Region, der Stadt und den Menschen. Die
Offenheit und Aufbruchstimmung, die wir bei
der Bevölkerung in vielen persönlichen Gesprächen
spüren, beeindrucken uns und haben
die Entscheidung für Magdeburg maßgeblich
mit beeinflusst.
Dass die Besetzung dieser Stellen eine
Herausforderung wird, ist uns bewusst.
Fachkräfte werden überall händeringend
gesucht – erst recht in einer hochmodernen
und -spezialisierten Branche wie der
Chipfertigung. Intel verfolgt daher langfristige
Pläne, um das benötigte Talent aufzubauen.
Unter anderem setzen wir dabei auf eine enge
Zusammenarbeit mit Hochschulen. So könnte
die Uni Magdeburg schon ab 2023 passende
Studiengänge in der Halbleitertechnologie
anbieten. Mit weiteren Partnern wie der
Agentur für Arbeit oder der IHK stehen wir
ebenfalls in engem Kontakt und eruieren die
Möglichkeiten von entsprechenden Ausbildungs-
und Förderprogrammen.
Intel als Arbeitgeber
Am neuen Standort möchten wir möglichst viel
Personal aus der Region einstellen. Gleichzeitig
ist es unser Anspruch, die weltbesten
Talente zu finden. In Magdeburg haben sie
die Möglichkeit, die Zukunft mitzugestalten
und den digitalen Wandel Europas voranzutreiben.
Das allein reicht aber nicht aus, um
Topkräfte von Intel zu überzeugen. Wir bieten
top Bezahlung, flexible Arbeitszeitmodelle
und eine ganze Reihe von Zusatzleistungen.
Intel-Mitarbeitende können beispielsweise
Unternehmensaktien günstiger erwerben. Zu
den Benefits, die das Arbeiten angenehmer
machen, gehören unter anderem Job-Räder,
Sabbaticals oder ein in Magdeburg geplantes
firmeneigenes Fitness-Center.
Nicht zuletzt bauen wir bei Stellenbesetzungen
auch auf Hinweise unserer Mitarbeitenden.
Gute Leute kennen schließlich andere
gute Leute. Doch nur wer sich mit Intel identifiziert,
kann das nach außen tragen und andere
überzeugen. Die Tatsache, dass das bei Intel
regelmäßig gelingt, spricht aus meiner Sicht
für eine wertschätzende Unternehmenskultur.
Das fängt noch vor Jobbeginn an. Wenn wir
Fachkräfte aus der ganzen Welt nach Magdeburg
holen, unterstützen wir sie vorab beim
Umzug, bei Behördengängen oder der Suche
nach einer Schule für ihre Kinder. Im Rahmen
des Programms „Global Workforce Mobility“
wird das konzernweit seit Jahren erfolgreich
umgesetzt. Auch die Initiative „Warmline“
ist Ausdruck einer Kultur, die Zusammenhalt
und Inklusion aktiv fördert. Warmline gibt
Intel-Mitarbeitenden die Möglichkeit, sich vertraulich
an eine Beratungsstelle zu wenden –
etwa, wenn sie sich schlecht integriert oder
von Führungskräften missverstanden fühlen.
Mit diesen Maßnahmen und Strategien sind
wir bestens gewappnet für die Herausforderung,
Fachkräfte für die neu entstehenden Positionen
zu finden. Unser Ziel für den Standort
Magdeburg geht aber über die reine Stellenbesetzung
hinaus. Wir arbeiten darauf hin, einen
nachhaltigen Talentpool aufzubauen, von dem
auch Dienstleister und Zulieferer profitieren.
So entsteht ein Ökosystem, das mit der Zeit
wachsen und kontinuierlich Arbeitsplätze in
der Region, Europa und der gesamten Branche
schaffen wird.
3.000 Fachkräfte gesucht
Modell der geplanten Giga-Fabrik in Magdeburg
Noch ist etwas Zeit bis zum geplanten Baubeginn.
Erste Stellen haben wir aber bereits ausgeschrieben
oder schon besetzt – vor allem
für die Genehmigungs- und Planungsphase,
aber auch in der Werksleitung, Konstruktion
oder Öffentlichkeitsarbeit. Auch wenn der
Großteil der neuen Jobs erst in den kommenden
Jahren ausgeschrieben wird, nehmen wir
Initiativbewerbungen gerne entgegen.
Fotos: Intel Corporation
Etwa 3.000 Fachkräfte sind für die beiden ersten
Fabriken vorgesehen. Rund 70 Prozent von
ihnen sollen direkt in der Produktion arbeiten.
Erfahrungen in der Mikrosystemelektronik, der
Automatisierungstechnik oder im Bereich Elektrotechnik
oder Mechatronik wären hierfür ein
geeigneter beruflicher Hintergrund. Ein Viertel
der geplanten Jobs sind für Hochschulabsolventen
aus dem Ingenieurswesen interessant.
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
50
WIRTSCHAFT+MARKT
MANAGEMENT
OSTDEUTSCHE ENTSCHEIDER
HALTEN STANDORT
FÜR ZUKUNFTSFÄHIG
Eine Umfrage im Auftrag von „Deutschland – Land der Ideen“ zeigt, wie ostdeutsche
Führungskräfte aktuelle Themen wie Fachkräftegewinnung, Großansiedlungen und
den Erfolg von Strukturwandelprozessen in Ostdeutschland einschätzen.
RRund 60 Prozent der Entscheider in den ostdeutschen
Bundesländern äußern sich positiv
zum Potenzial des ostdeutschen Wirtschaftsstandorts
– rund 22 Prozent sogar sehr
positiv. Dies ergab das aktuelle OWF-Transformationsbarometer.
Dafür wurden privatwirtschaftliche
Führungskräfte in den neuen
Bundesländern von der CIVEY GmbH im
Auftrag von „Deutschland – Land der Ideen“ in
Partnerschaft mit der Deutschen Kreditbank
AG (DKB) befragt. Die Ergebnisse wurden auf
dem diesjährigen Ostdeutschen Wirtschaftsforum
präsentiert, der seit 2016 führenden
Wirtschaftskonferenz in Ostdeutschland für
Vordenker und Macher aus Wirtschaft, Politik,
Wissenschaft und Gesellschaft.
Allerdings stehen insgesamt mehr als die
Hälfte (56,4 Prozent) der Befragten einem
Gelingen des Strukturwandels in den neuen
Bundesländern innerhalb der kommenden
zehn Jahre skeptisch gegenüber. Ebenfalls
Ute Weiland, Geschäftsführerin von
„Deutschland – Land der Ideen“ und
Veranstalterin des OWF22
Foto: Bernd Brundert
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
TRANSFORMATIONSBAROMETER
WIRTSCHAFT+MARKT51
knapp die Hälfte (47,2 Prozent) der Befragten
geht zusätzlich davon aus, dass der Strukturwandel
von der ostdeutschen Bevölkerung
eher als Risiko wahrgenommen wird.
Woher rührt diese Skepsis? Besonders kritisch
wird die mangelnde Unterstützung durch die
Politik sowie die fehlende Vernetzung der
ostdeutschen Akteure gesehen. 61,2 Prozent
der Entscheider fühlen sich mit ihrem eigenen
Unternehmen durch die Politik schlecht
unterstützt – ganze 36 Prozent stellen der
Politik sogar ein noch verheerenderes Zeugnis
aus und bezeichnen die Unterstützung als sehr
schlecht. 60 Prozent der Befragten wünschen
sich einen deutlichen Abbau von Bürokratie als
wichtigste Hilfestellung durch die Regierenden.
Knapp 40 Prozent sprechen sich für eine
Stärkung von Wissenschaft und Forschung in
den neuen Bundesländern aus.
Fehlende Vernetzung beklagt
Zudem, so die Umfrage, seien Politik, Wirtschaft
und Verbände bei der Bewältigung des
Strukturwandels schlecht vernetzt: 58 Prozent
halten die Kooperation und den Austausch der
wichtigsten Akteure untereinander aktuell für
unzureichend. Ute Weiland, Geschäftsführerin
von „Deutschland – Land der Ideen“ und
Veranstalterin des OWF22, sieht deshalb eine
stärkere Vernetzung als dringend geboten an:
„Die Ergebnisse des OWF-Transformationsbarometers
bringen die Herausforderungen im
Zusammenhang mit dem Strukturwandel auf
den Punkt. Klar ist, dass die Transformation
des Wirtschaftsstandorts Ostdeutschland
nur durch eine Vernetzung und im Dialog mit
allen relevanten Akteuren gelingen kann. Mit
dem Ostdeutschen Wirtschaftsforum und der
gleichnamigen Initiative bieten wir eine Plattform,
um sämtliche Kräfte zu bündeln, damit
wir die Transformation aktiv gestalten.“
und erzielt hohe Zustimmungswerte: Fast 70
Prozent bewerten diese im Sinne der Standortentwicklung
als positiv, 45 Prozent der
Befragten stufen diese Entwicklung als sehr
positiv ein. Als positive Standortfaktoren für
Unternehmen werden die Flächenverfügbarkeit
(rund 40 Prozent) und die Verkehrsinfrastruktur
(rund 25 Prozent) angesehen.
Auch die eigene Belegschaft macht vielen
ostdeutschen Chefs Mut. 62 Prozent der
Befragten sehen im Engagement der eigenen
Mitarbeitenden eine Chance, das Potenzial der
ostdeutschen Wirtschaft auszuschöpfen. In 39
Prozent der Fälle sehen sie die Mitarbeitenden
für eine Anpassung an den Wandel gut gerüstet.
Dabei ist der ostdeutsche Arbeitsmarkt
aus Sicht der Befragten in vielerlei Hinsicht
attraktiv: Fast 47 Prozent nennen bezahlbaren
Wohnraum und 30 Prozent die geringeren Lebenshaltungskosten
als Vorteile des ostdeutschen
Standorts bei der Mitarbeitersuche.
Dennoch gibt es noch viel zu tun. 63 Prozent
der Befragten glauben, dass ein Ausbau der
Infrastruktur – sowohl bei der Digitalisierung
als auch im Verkehr und in der sozialen Infrastruktur
– bei der Bekämpfung des Facharbeitermangels
besonders hilfreich sein könnte.
In welchen Bereichen wird die ostdeutsche
Wirtschaft weiter wachsen? In der alternativen
Energiegewinnung und -speicherung sehen
die Befragten die größten wirtschaftlichen
Potenziale: Hier erwartet nahezu die Hälfte
der Befragten (49 Prozent) künftig ein expansives
Geschehen. 23 Prozent erwarten einen
Aufschwung in der Tourismusbranche.
Als größte Herausforderung sehen die
Tilo Hacke, Vorstandsmitglied der DKB
Befragten den Wettbewerb um Talente – noch
vor der Sorge um die Entwicklung der Energiepreise:
Fast 70 Prozent der Führungskräfte
geben an, dass das Halten und Werben neuer
Fachkräfte zu den wichtigsten Aufgabenstellungen
gehört. Rund 50 Prozent sorgen sich
aktuell über die steigenden Kosten für Energie.
Tilo Hacke, Vorstandsmitglied der DKB, bewertet
die Ergebnisse des OWF-Transformationsbarometers
differenziert: „Die Ergebnisse
des OWF-Transformationsbarometers zeigen
sehr deutlich, vor welchen Herausforderungen
ostdeutsche Unternehmen stehen, gerade
hinsichtlich des wirtschaftlich benötigten
Strukturwandels. Sie führen aber auch vor
Augen, welch großes Wirtschaftspotenzial
noch immer in den neuen Bundesländern
schlummert.“ Sein Fazit: „Entscheidend ist,
erfolgversprechende Verkehrs-, Umwelt- und
Wirtschaftskreisläufe, neue Beschäftigung
und innovative Geschäftsmodelle vorzudenken
und gemeinsam in die Praxis zu bringen.“
Foto: Dennis Scholz/dkb.de
Worin macht sich für die Unternehmenslenker
der Strukturwandel in Ostdeutschland
überhaupt bemerkbar? Für 37 Prozent der Entscheider
im Kohleausstieg und dessen Folgen,
für 36 Prozent in der Ansiedlung internationaler
Großkonzerne wie Tesla oder Intel. Doch
trotz der aktuellen Veränderungsprozesse
ist die Grundstimmung in der ostdeutschen
Wirtschaft positiv. Gut sieht es beispielsweise
bei der Bewertung der Zukunftsfähigkeit des
Standorts Ostdeutschland aus. Besonders
die Ansiedlung internationaler Großunternehmen
in jüngster Zeit nährt den Optimismus
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
52
WIRTSCHAFT+MARKT
MANAGEMENT
OSTDEUTSCHE IN FÜHRUNGS
POSITIONEN STARK
UNTERREPRÄSENTIERT
Auch mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung sind Ostdeutsche in Führungspositionen bezogen auf
ihren Bevölkerungsanteil stark unterrepräsentiert, sowohl in gesamtdeutschen Führungspositionen als auch
in Ostdeutschland selbst. Das ergab eine Datenerhebung des MDR und der Universität Leipzig.
Ost-Beauftragter:
Der Erfurter Carsten Schneider fordert
mehr Ostdeutsche in Elitepositionen.
Ein in den letzten Jahren erwartetes Nachrücken
Ostdeutscher in Elitepositionen fand
in vielen der untersuchten gesellschaftlichen
Bereiche nicht statt, so die Studie. Während in
den Bereichen, in denen die fachliche Qualifi
kation ein wesentliches Auswahlkriterium ist,
also beispielsweise Justiz und Wissenschaft,
das Nachrücken Ostdeutscher in Führungspositionen
durchaus stattgefunden hat, sind in
den Bereichen Politik, Wirtschaft und Medien
teilweise sogar Rückgänge zu verzeichnen.
Carsten Schneider, Staatsminister und
Beauftragter der Bundesregierung für
Ostdeutschland, fordert angesichts dieser
Entwicklung Veränderungen: „Ostdeutsche
sind in Führungspositionen nach wie vor
unterrepräsentiert. Das muss sich, 30 Jahre
nach der Wiedervereinigung, ändern. Denn es
geht dabei um Teilhabechancen und darum,
ob ostdeutsche Sichtweisen und Erfahrungen
in Entscheidungsprozessen berücksichtigt
werden. Und es geht um das große Potenzial
der Ostdeutschen, das zu wenig genutzt wird.“
Schneider kündigt deshalb Konsequenzen
an: „Die Ampel-Koalition hat vereinbart, die
Repräsentation Ostdeutscher in Führungspositionen
und Entscheidungsgremien in allen
Bereichen zu verbessern und für die Ebene des
Bundes bis Ende 2022 ein Konzept vorzulegen.“
Im Einzelnen stellen sich die Entwicklungen in
den wichtigsten gesellschaftlichen Führungsbereichen
wie folgt dar:
Bundesumweltministerin:
die Dessauerin Steffi Lemke
Fotos: Photothek, Bundesregierung / Steffen Kugler (rechts)
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
ELITESTUDIE
WIRTSCHAFT+MARKT53
Fotos: Munich Re Fotograf Andreas Pohlmann, MDR / Kirsten Nijhof (rechts), Grafik: Uni Leipzig/MDR/Hofrichter&Jacobs GmbH
Politik
In den ostdeutschen Landesregierungen lagen
die Anteile Ostdeutscher in den Jahren 1991,
2004 und 2016 bei mindestens 70 Prozent, aktuell
liegen sie bei nur noch 60 Prozent. Etwas
besser stellt sich das Bild auf der Ebene der
Staatssekretäre und Staatssekretärinnen dar.
Hier ist der Anteil seit 2016 stetig gestiegen.
Er beläuft sich auf mittlerweile 52 Prozent. In
der aktuellen Bundesregierung sieht es nicht
so gut aus. Lediglich zwei ostdeutsche Frauen
bekleiden Ministerämter – bei einem ostdeutschen
Bevölkerungsanteil von 17 Prozent.
Dax-Vorstand: Der studierte Mathematiker
Torsten Jeworrek aus Oschersleben sitzt im
Vorstand der Münchener Rück AG.
Wirtschaft
An der Spitze der 100 größten ostdeutschen
Unternehmen liegt der Anteil Ostdeutscher
Anteil Ostdeutscher in Elitepositionen
im Jahr 2022 bei 20 Prozent, 2016 lag er noch
bei 25 Prozent. Auf der Vizeposition ist er von
52 Prozent (2004) über 45 Prozent (2016) auf
nur noch magere 27 Prozent gesunken. In den
bundesdeutschen DAX-Vorständen ist das
Bild nicht besser. Die Studie ermittelte ganze
zwei ostdeutsche Dax-Vorstände.
Wissenschaft
Spitzenpositionen in der Wissenschaft
bekleiden Hochschulrektoren und Hochschulpräsidenten
bzw. ihre weiblichen Pendants.
An den größten ostdeutschen Hochschulen
hatten lediglich 17 Prozent in diesen Ämtern
eine ostdeutsche Herkunft. Bei den Kanzlern
und Kanzlerinnen, also den Verwaltungschefs,
sind es 50 Prozent. Die Werte erwiesen sich in
der aktuellen Studie als stabil gegenüber den
Vorjahren. An der Spitze ostdeutscher Forschungsinstitute
stieg der Anteil Ostdeutscher
von 15 auf 20 Prozent. Bezogen auf die 100
größten Hochschulen in Deutschland gab es
allerdings nur exakt eine Person ostdeutscher
Herkunft an der Spitze.
Justiz
Besser sieht es an den Gerichten aus. An
den obersten ostdeutschen Gerichten stieg
der Anteil Ostdeutscher auf mittlerweile 22
Prozent. Unter den ermittelten Vorsitzenden
Richtern und Richterinnen ging er allerdings
von knapp sechs auf 4,5 Prozent zurück. Bei
den Bundesgerichten ist der Ost-Anteil von
zwei Prozent (2016) auf fünf Prozent (2021)
gewachsen. Erstmals rückte eine Ostdeutsche
in die Position einer Vorsitzenden Richterin.
Medien
Intendantin: Die Chemnitzer Juristin
Karola Wille leitet den MDR.
Gegenteilige Entwicklung: In den Chefredaktionen
der großen Regionalzeitungen ging der
Anteil Ostdeutscher von 62 Prozent (2016) auf
43 Prozent zurück. Bei den Verlagsleitungen
stieg er hingegen von 9 auf 20 Prozent. Die
drei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten,
die ihr Sendegebiet ganz oder teilweise
in Ostdeutschland haben, verzeichnen einen
steigenden Anteil Ostdeutscher. Er liegt bei
31 Prozent. In den Chefetagen der deutschen
Medienkonzerne sitzen allerdings keine
Ostdeutschen, in den Chefredaktionen der
auflagenstärksten Printmedien sind es zwei.
Hinzu kommt eine ostdeutsche Intendantin
bei einer ARD-Anstalt.
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
54
WIRTSCHAFT+MARKT
MANAGEMENT
„WIR BRAUCHEN EIN
NEUES VERSTÄNDNIS
VON FÜHRUNG“
Digital-Unternehmerin Constanze Buchheim im W+M-Interview über das ostdeutsche Verständnis
von Elite, den Wandel in der Unternehmenskultur und die Führungspersönlichkeiten von morgen.
W+M: Frau Buchheim, was sind Ihrer Einschätzung
nach die wichtigsten Gründe dafür,
dass auch nach 32 Jahren deutscher Einheit
Ostdeutsche in der Wirtschaft unterrepräsentiert
sind?
getroffen, die ihre Herkunft verheimlicht
haben, um nicht in einer Schublade zu landen.
Es ist also mehr denn je an der Zeit, neue Wege
einzuschlagen, damit sich nicht die permanent
gleiche Elite fortlaufend reproduziert.
bindung nach Ostdeutschland öffentlichkeitswirksam
gemacht werden, denn die gibt es. Nur
so können Vorurteile aufgehoben werden, weil
Menschen nun mal durch Vorbilder inspiriert
werden und solche gut nachahmen können.
Constanze Buchheim: Zum einen haben wir
in Deutschland ein offensichtliches Diversity-
Problem. Machtstrukturen und stereotypische
Führungsriegen reproduzieren sich permanent
selbst. Besetzungsentscheidungen werden
auf Basis des Ähnlichkeitsprinzips getroffen
statt durch rationale Besetzungsprozesse.
Gerade in unsicheren Zeiten – das ist wissenschaftlich
belegt – sorgen unbewusste
Vorannahmen dafür, dass Unternehmensentscheider/innen
offene Stellen nach Ähnlichkeit
und damit Bauchgefühl besetzen.
Dies ist umso problematischer, als wir noch
immer eine Stigmatisierung der ostdeutschen
Bevölkerung erleben. Ich habe Menschen
W+M: Welche Schritte sind dafür notwendig?
Constanze Buchheim: Als Allererstes sollten
wir damit aufhören davon zu sprechen, Ostdeutschland
„helfen zu wollen“. Diese Sprache
steht sinnbildlich für eine Haltung der Überlegenheit
bzw. der fehlenden Gleichwertigkeit.
Ja, Strukturschwäche ist ein Problem, aber
diese gibt es auch in anderen Regionen. Es ist
daher vielmehr Aufgabe der politischen und
wirtschaftlichen Entscheider/innen und auch
der Medien, das Bild von Ostdeutschland und
den Menschen in der Region zu verändern und
Arbeitsplätze in strukturschwache Regionen zu
bringen, um das vorhandene Potenzial auszuschöpfen.
Es müssen Vorbilder mit klarer Ver-
W+M: Kann es sein, dass die Zugehörigkeit
zu Eliten nichts Erstrebenswertes mehr ist
und es dabei einen Clash zwischen Ost- und
Westdeutschland gibt?
Constanze Buchheim: Ganz grundsätzlich
streben im Verhältnis zu Westdeutschland weniger
Ostdeutsche nach Führungspositionen,
weil sie den Begriff der Elite per se ablehnen.
Vielerorts gibt es in Ostdeutschland keinen
stark ausgeprägten Wunsch, sich hierarchisch
abzusondern und einem ausgewählten
Kreis anzugehören. Die Werte, die vorrangig
gelebt werden, sind soziale Gemeinschaft und
Zusammenhalt. Der Elitebegriff widerspricht
diesen wichtigen Grundwerten.
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
FÜHRUNGSKRÄFTE
WIRTSCHAFT+MARKT55
Lesen Sie das
ausführliche
Interview im
W+M-Onlinemagazin
Mitmenschen für ihre Mission zu begeistern,
indem sie zu 100 Prozent hinter ihren eigenen
Werten stehen.
Die viel wichtigere Frage, ungeachtet von
Ost und West, lautet allerdings, was die
Führungskräfte von morgen eint. Und dieser
gemeinsame Nenner beruht auf einem sich
ändernden Wertesystem in der Gesellschaft:
Für aufstrebende Talente genießen Geld,
Macht und Karriere längst nicht mehr so einen
hohen Stellenwert wie beispielsweise frei
verfügbare Lebenszeit oder Autonomie. Damit
Mitarbeitende darüber verfügen können,
ist es extrem wichtig, dass Führungskräfte
ihnen alle wichtigen Informationen stets
zugänglich machen.
Das neue Credo für sie lautet daher: Sprich
die Wahrheit, damit jede und jeder in der Lage
ist, seine eigenen Entscheidungen treffen zu
können. Das bedeutet auch, Probleme so klar
anzusprechen, wie man sie sieht, anstatt sich
und sein Umfeld in Watte zu packen. Ich bezeichne
diese Kultur als „Mature Leadership“,
also als „reife“ Führung.
Constanze Buchheim: Wenn wir unbedingt
an dem Elite Begriff festhalten wollen: In zehn
Jahren werden zur Elite die Persönlichkeiten
zählen, die heute verstanden haben, wie sie
Kapital – und dazu zählt in Zeiten des Fachkräftemangels
insbesondere das Führen von
Menschen – nutzen können und dies in einen
gesellschaftlich notwendigen Wandel einbringen
und hier Verantwortung in der Gestaltung
der Zukunft übernehmen. In zehn Jahren
besteht unsere Elite mit Sicherheit nicht mehr
aus Persönlichkeiten, die sich hierarchischen
Machtstrukturen unterwerfen. Es sind vor
allem Unternehmer/innen, die etwas Eigenes
auf die Beine gestellt und Neues gestaltet haben,
das eine hohe gesellschaftliche Relevanz
hat und zur Lösung der Herausforderungen der
heutigen Zeit beiträgt.
Diese Persönlichkeiten werden bereits
heutzutage das Heft in die Hand nehmen. Zu
groß sind die aktuellen Herausforderungen,
als dass wir uns weiterhin wie verzweifelt
an das Bewahren des Status Quo klammern
können. Jetzt braucht es ein unternehmerisches
Mindset, das auf der felsenfesten
Überzeugung beruht, die Welt selbst zum
Positiven gestalten zu können, ganz gleich
wie groß die Herausforderungen auch sind.
Solchen Führungspersönlichkeiten gelingt es,
W+M: Wie können ostdeutsche Kompetenzen
denn optimal im Sinne einer geeinten
deutschen Wirtschaft genutzt werden?
Constanze Buchheim: Wie gesagt sollten
wir ganz grundsätzlich alle Regionen im Blick
behalten und überlegen, wie wir ihr Potenzial
am besten nutzen können. Wir erleben einen
massiven Fachkräftemangel, der sich noch verschärfen
wird, wenn die Baby-Boomer in Rente
gehen. Gleichzeitig ändert sich das Anforderungsprofil
an Berufe aufgrund der digitalen
Transformation rascher als jemals zuvor.
Menschen ganz gezielt auf die eine passende
Stelle auszubilden, ist daher kein realistisches
Modell mehr. Zu schnell ändern sich das
Umfeld und damit die Anforderungen an eine
Stelle, zu rasch ändern sich heutzutage ganze
Unternehmen. Der Fokus in der Ausbildung
muss daher auf Persönlichkeiten liegen.
Verfügen Organisationen über ausreichend
Menschen mit entsprechendem Mindset,
entsteht eine Unternehmenskultur, die sie in
die Lage versetzt, sich in einer sich permanent
ändernden Umwelt stetig anzupassen und
weiterzuentwickeln – diese bestenfalls sogar
aktiv zum Besseren zu gestalten.
Interview: Frank Nehring
Viel mehr als über die Zugehörigkeit zur Elite
zu diskutieren, geht es doch darum, dass
Persönlichkeiten, die den aktuellen Herausforderungen
etwas entgegensetzen können,
Gestaltungsspielräume gegeben werden. Wir
brauchen Persönlichkeiten, die in der Lage
sind, Organisationen und Mitarbeitenden den
Weg gen Zukunft zu weisen. Zu lange haben
wir in Deutschland Wohlstand mit Fortschritt
verwechselt und uns auf den wirtschaftlichen
Lorbeeren vergangener Tage ausgeruht.
Foto: i-potentails GmbH, Fotografin Anette Koroll
Das hat durchaus auch mit einem überholten
Verständnis von Elite zu tun, in der Personen
quasi Kraft ihres Amtes und ihrer Titel
entscheidungsbefugt sind. Wir sollten uns
davon weg bewegen und hin zu einem neuen
Verständnis von Führung.
W+M: Die Eliten sind im Durchschnitt zwischen
50 und 65 Jahre alt. Wird alles anders, wenn
diese Generation in zehn Jahren in Rente geht?
Digital-Unternehmerin Constanze Buchheim
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
56
WIRTSCHAFT+MARKT
OWF
OWF-PREIS VORSPRUNG:
DIE SECHS
PREISTRÄGER 2022
Jedes Jahr verleiht das Ostdeutsche Wirtschaftsforum den Wirtschaftspreis
VORSPRUNG an hervorragende Unternehmerpersönlichkeiten. In diesem
Jahr stand der OWF-Preis unter der Schirmherrschaft von Carsten Schneider,
Staatsminister und Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland.
DIE PREISTRÄGER IM PORTRÄT
Preisträger Berlin
LAT Gruppe
Sitz: Berlin-Friedrichshain
Geschäftsführerinnen:
Arabelle Laternser und
Larissa Zeichhardt
Mitarbeiterzahl: 130
und Produkte für die Verkehrswirtschaft,
das Gesundheitswesen und den öffentlichen
Raum an. Das reicht vom Kabeltiefbau über
Bahnstromanlagen bis hin zu Funk- und Fernmeldeanlagen
sowie Technik zur Videoüberwachung.
Das Unternehmen arbeitet bewusst
nachhaltig. Es investiert in CO 2
-reduzierte
Technologien und Lösungen und beteiligt sich
an innovativen Start-ups. Im Unternehmen
wird das Thema Digitalisierung besonders
konsequent umgesetzt.
„DER OSTEN BOOMT! UND DAS
NICHT NUR DANK NEUER GROSS-
INVESTITIONEN, SONDERN VOR
ALLEM DANK DES GROSSEN
GESTALTUNGSWILLENS VIELER
VERSCHIEDENER UNTERNEHMEN
AUS DEN OSTDEUTSCHEN
Die LAT Gruppe, das sind die LAT Fernmelde-
Montagen und Tiefbau GmbH und die LAT
Funkanlagen-Service GmbH. Das 1969 vom
gelernten Fernmeldetechniker Heinz Laternser
gegründete Familienunternehmen wird in
zweiter Generation von den Schwestern
Arabelle Laternser und Larissa Zeichhardt
geführt. Mit 130 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen
bietet die LAT Gruppe Dienstleistungen
Alexander Möller, Technischer Leiter LAT Gruppe, und
Arabelle Laternser, Geschäftsführerin der LAT Gruppe
Preise sind für die LAT-Gruppe aus Berlin-
Friedrichshain keine Seltenheit. So erhielten
die Friedrichshainer bereits Ehrungen für die
besondere Familienfreundlichkeit des Unternehmens
und für die gelungene familieninterne
Nachfolgelösung. Die LAT Gruppe
fördert die Gleichberechtigung im Unternehmen,
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
und eine stärkere Sichtbarkeit von Frauen in
MINT-Berufen.
LAT-Mitarbeiter im Einsatz
BUNDES LÄNDERN. DIE MIT DEM
WIRTSCHAFTSPREIS VOR-
SPRUNG AUSGEZEICHNETEN UN-
TERNEHMEN SIND LEUCHTENDE
BEISPIELE FÜR EBEN JENEN
VORSPRUNG, DEN DIE OSTDEUT-
SCHE WIRTSCHAFT IN VIELEN
BEREICHEN SCHON HAT UND
DEN WIR – GEMEINSAM MIT
DEN UNTERNEHMEN – WEITER
AUSBAUEN WOLLEN.“
Carsten Schneider, Staatsminister und
Beauftragter der Bundesregierung für
Ostdeutschland sowie Schirmherr des
Wirtschaftspreises VORSPRUNG
Fotos: Land der Ideen Management GmbH / Felix Zahn, LAT-Gruppe, Photothek (v.l.n.r.)
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
PREISTRÄGER
WIRTSCHAFT+MARKT57
Der Firmensitz der ORAFOL GmbH in Oranienburg
zahlreiche Branchen veredelt werden. Dafür
werden fünf neue Produktionsanlagen zum
Kaschieren und Beschichten eingerichtet. Dr.
Holger Loclair, Chairman und CEO der ORAFOL
Gruppe, sagt dazu: „ORAFOL hat sich in den
letzten fünf Jahren als Großunternehmen
konsolidiert. Mit unserem aktuellen Investitionszyklus
bis 2024 legen wir den Grundstein
für nachhaltiges Wachstum durch Diversifizierung.“
Preisträger Brandenburg
ORAFOL EUROPE GMBH
Sitz: Oranienburg
Geschäftsführer: Dr. Holger Loclair
Mitarbeiterzahl: 2.500
Die ORAFOL Europe GmbH aus Oranienburg
hat eine beeindruckende Entwicklung genommen.
Die innovativen Spezialfolien des
Unternehmens werden in mehr als 100 Länder
vertrieben. Dr. Holger Loclair hat das Familienunternehmen
zu einem der weltweit führenden
Betriebe im Bereich der Kunststoffveredlung
aufgebaut. ORAFOL gilt mittlerweile als
das größte industrielle Familienunternehmen
in Ostdeutschland.
Personen- und Arbeitsschutzes sowie von der
graphischen Industrie weltweit eingesetzt.
Mit 17 Tochtergesellschaften ist die Gruppe in
Europa, in Nord- und Südamerika, in Australien
sowie in Asien vertreten. Produktionsstandorte
befinden sich in Deutschland, Irland,
den USA, Mexiko, China und Australien.
Und die Oranienburger wachsen weiter: Bis
2024 investiert das Unternehmen rund 160
Millionen Euro in die Erweiterung der Produktion
im Norden Brandenburgs. Die geplanten
Investitionen umfassen den Neubau von zwei
Produktionshallen und die Anbindung an das
digitale Produktionsplanungssystem. Im
ersten Schritt entsteht ein komplett autarker
Produktionsbereich, in dem Kunststoffe für
Mit der Erweiterung steigert ORAFOL ab 2024
seine Produktionskapazitäten für graphische
Folien und ermöglicht die Herstellung neuer
Produkte. Das Unternehmen will künftig
selbstklebende Folien produzieren, die deutlich
breiter als die aktuell im Markt verfügbaren
sind. Gleichzeitig wird die Herstellung von
Folien mit innovativen Funktionsschichten
möglich. Das sind laut ORAFOL zum Beispiel
PVC-freie Schutzfilme für Oberflächen, von
denen sich das Brandenburger Unternehmen
weiteres Wachstum für die Firmengruppe
verspricht. Zusätzliche Investitionen werden
aufgrund der aktuellen Situation in Energieeinsparmaßnahmen
fließen.
Für Firmenchef Dr. Holger Loclair sind die
Ausbaupläne auch ein Bekenntnis zum Standort
Brandenburg: „Die erneute Investition in
unser europäisches Hauptproduktionswerk
untermauert meinen festen Glauben an den
Industriestandort Deutschland und die regionale
Stärke des Landes Brandenburg.“
Fotos: ORAFOL GmbH, Deutschland – Land der Ideen / Bernd Brundert (rechts)
Produktion bei der ORAFOL GmbH
Am Stammsitz in Oranienburg produziert
ORAFOL mit 1.100 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen.
Die Produkte werden unter
anderem auf Verkehrszeichen und bei
Verkehrssicherungssystemen, im Bereich des
Elke Beune, Leiterin Kommunikation ORAFOL Europe GmbH,
und Dr. Holger Loclair, Geschäftsführer ORAFOL Europe GmbH
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
58
WIRTSCHAFT+MARKT
OWF
Preisträger
Mecklenburg-Vorpommern
Baumgarten Bootsbau
Sitz: Warin
Geschäftsführer: Eike Baumgarten
Mitarbeiterzahl: 11
Der Boots- und Schiffbauermeister Eike
Baumgarten produziert seit 1988 Ruderboote.
Im Jahr 1995 hat das Handwerksunternehmen
Baumgarten Bootsbau seine
aktuelle Produktionshalle in der Kleinstadt
Warin im Osten des Landkreises Nordwestmecklenburg
bezogen. Seither erweitert
der Handwerker seine Produktion kontinuierlich.
Heute ist Baumgarten Bootsbau der
größte Hersteller von Gig-Ruderbooten für
Blick in die Produktion von Baumgarten Bootsbau
Rudervereine und Privatleute in Deutschland.
Vertrieben werden die Boote in ganz Europa.
Für den Bereich der Langstrecken- Regatten In diesem Jahr wird der Mecklenburger eine
wurde eine komplett neue Produktlinie
zusätzliche Produktionshalle bauen. In dieser
(RS-Class) mit innovativem Rumpf-Konzept soll dann auch ein 5-Achsen-CNC-Bearbeitungszentrum
installiert werden. Mit dieser
entwickelt. Auch Profi-Sportler beziehen ihre
Boote aus Warin. Weil während der Pandemie Maschine wird nicht nur die Produktivität der
viele Sportmöglichkeiten nicht nutzbar
Fertigung erhöht, sondern auch die Produktion
von neu entwickelten Bootsformen
waren, hat die Nachfrage nach Ruderbooten
noch zugenommen.
deutlich beschleunigt. Im Unterschied zu
Stefan Biastock und Geschäftsführer Eike Baumgarten von Baumgarten Bootsbau
der bereits vorhandenen 3-Achs-CNC-Fräse
lassen sich mit der neuen Anlage nicht nur
Holz und Karbon, sondern auch Aluminium
bearbeiten. Das gibt dem Unternehmen neue
Fertigungsmöglichkeiten. Der Betrieb vereint
so in mittlerweile dritter Generation traditionelles
Handwerk mit moderner Technologie.
In den letzten zwei Jahren sind in Warin vier
neue Bootstypen entwickelt worden, so dass
die Kunden nun aus über 40 verschiedenen
Bootsrümpfen auswählen können. Außerdem
ist Baumgarten Bootsbau als einziger
deutscher Hersteller in den Zukunftsmarkt der
Coastal-Boote eingestiegen, eine Bootsklasse,
die bald auch olympisch sein soll.
Coastal-Rudern ist die Ruder-Variante in
rauem Wasser mit Wellengang, also vor allem
Rudern auf dem offenen Meer. Der Trendsport
verlangt spezielle Boote: Sie haben beispielsweise
ein offenes Heck, damit das Wasser
problemlos ablaufen kann. Coastal-Boote
liegen stabil im Wasser und sind durch ihre
Bauweise nahezu unsinkbar.
Als erster Ruderboot-Hersteller weltweit hat
Baumgarten Bootsbau zudem im Dezember
vergangenen Jahres ein Ruderboot aus Flachsfasern
vorgestellt. Das Öko-Boot verspricht
mehr Nachhaltigkeit, denn die nachwachsende
Naturfaser reduziert den ökologischen Fußabdruck
der Boote um 75 Prozent.
Fotos: Deutschland – Land der Ideen/Bernd Brundert, Baumgarten Bootsbau (oben)
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
PREISTRÄGER
WIRTSCHAFT+MARKT59
bei der Produktionsplanung, versprechen
die Dresdner. „Die Logistik wird nachhaltiger
gestaltet und es werden automatisierte
Nachbestellungen ausgelöst. Darüber hinaus
ermöglicht unsere Lösung das Anbieten neuer
Services, wie z. B. Vendor-Managed- Inventory-
Modelle oder Konsignationslager, die für Kunden
einen signifikanten Wettbewerbsvorteil
darstellen“, schildert Packwise-Geschäftsführerin
Gesche Weger.
Packwise ist derzeit in über 20 Ländern im
Einsatz. Die Sachsen arbeiten mit mehr als
40 Industriekunden in Deutschland, Europa
und den USA zusammen und wurden 2021
gemeinsam mit der Firma BASF mit dem
German Innovation Award ausgezeichnet.
Das Team der Firma Packwise
Preisträger Sachsen
Packwise GmbH
Sitz: Dresden
Geschäftsführerin: Gesche Weger
Mitarbeiterzahl: 16
Mit Hilfe der Packwise-Lösung, bestehend aus
einem hochpräzisen Sensor, dem Packwise
Smart Cap, sowie der zugehörigen Plattform
Packwise Flow, wird es Unternehmen
ermöglicht, über die Verfügbarkeit von Daten
zu Containern und den darin enthaltenen
Produkten Logistik-Prozesse zu optimieren.
Die mit Hilfe eines digitalen Zwillings der
Industrieverpackung gewonnenen Erkenntnisse
eröffnen Kunden völlig neue Möglichkeiten
Das überzeugt auch die Investoren. Zuletzt
konnte das Dresdner Unternehmen erfolgreich
eine Finanzierungsrunde in siebenstelliger
Höhe mit dem Technologiegründerfonds
Sachsen sowie privaten Investoren abschließen.
Mit dem neugewonnenen Kapital
möchte Packwise die Expansion in Europa
vorantreiben, Entwicklungs- und Vertriebspartnerschaften
weiter ausbauen sowie neue
internationale Märkte bearbeiten. Zu diesem
Zweck strebt Packwise die Zulassung seiner
Hardware für Nordamerika und weitere internationale
Märkte an.
Fotos: Packwise GmbH, Land der Ideen Management GmbH / Felix Zahn (unten)
Das junge Start-up Packwise GmbH aus der
sächsischen Landeshauptstadt Dresden,
gegründet 2017, ist ein Industrial Internet
of Things-Start-up. Packwise wurde von
Geschäftsführerin Gesche Weger, Felix
Weger und René Bernhardt aus der Taufe
gehoben, um die Digitalisierung rund um die
Wiederaufbereitung und Wiederverwendung
von Intermediate Bulk Containern (IBC) und
Fässern sowie eine intelligente Kreislaufwirtschaft
voranzutreiben.
Die Dresdner verstehen sich als Dienstleistungs-
und Beratungsunternehmen im
Bereich der intelligenten Organisation von
Transportverpackungen für die Chemie-,
Pharma-, Kosmetik- und Lebensmittelindustrie.
Dazu bietet Packwise an, die
gesamte Verpackungsorganisation eines
Industrie unternehmens zu übernehmen und
die Wiederverwendung von Transportverpackungen
zu fördern.
Gesche Weger, Geschäftsführerin Packwise GmbH, und René Bernhardt, CTO Packwise GmbH
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
60
WIRTSCHAFT+MARKT
OWF
Preisträger
Sachsen-Anhalt
MECOTEC GmbH
Sitz: Bitterfeld-Wolfen
Geschäftsführer: Enrico Klauer
und Dr. Friedrich Rheinheimer
Mitarbeiterzahl: mehr als 100
global erfolgreich. Mehr als 700 Kältekammern
aus ihrer Produktion sind weltweit im
Einsatz, sei es in der Medizin, in Reha-Zentren
und Sporteinrichtungen, in den SPA-Bereichen
gehobener Hotels, in der Fußball-Bundesliga
oder der amerikanischen Football-Liga NFL.
Daneben stellt MECOTEC auch medizinische
Kaltluftgeräte für die lokale Schmerztherapie
her. 2020 wurden die weltweit ersten zertifizierten
Containerleistungen zur Lagerung von
Impfstoffen erbracht.
seine Kernmärkte. Hierfür wurde das M-Lab
gegründet, eine Ideen-Schmiede für Innovationen.
Zuletzt entstand am Firmensitz zudem
ein Showroom, in dem eine cryo:one-Kältekammer,
eine cryo:one plus-Kältekammer
und das Kaltluft-Therapiegerät cryoair C600
mit der weltweit einmaligen Temperatur von
-60 Grad Celsius getestet werden können.
Die MECOTEC GmbH hat sich 2013 in Sachsen-Anhalt
im Solar Valley angesiedelt. Sie ist
der Spezialist für Tiefst-Kältetechnologie und
Weltmarktführer bei elektrischen Kältekammern
für den Medizin-, Rehabilitations-,
Hotellerie-, Wellness- und Sportbereich.
MECOTEC setzt auf zwei aktuelle Megatrends:
New Health und Tiefst-Kältelagerung. New
Health beschreibt in der Medizin den Wandel
von regenerativer zu präventiver Medizin auf
der Basis von Echtzeit-Monitoring von Daten.
Tiefst-Kältelösungen wiederum finden immer
breitere Anwendung bei der Lagerung von
sensiblen Stoffen wie z. B. mRNA-Impfstoffen.
Im globalen Markt der Kältetherapie erwartet
MECOTEC bis 2025 einen jährlichen Umsatz
von knapp sechs Milliarden Dollar.
Aus dem Hause MECOTEC stammte die
erste elektrisch betriebene Kältekammer in
Deutschland. Heute sind die Sachsen-Anhalter
Geführt wird das Unternehmen bis heute von
seinem Gründer und Geschäftsführer Enrico
Klauer sowie von Dr. Friedrich Rheinheimer,
der seit Anfang 2022 das operative Geschäft
verantwortet. Weltweit arbeiten mehr als 100
Mitarbeitende für MECOTEC, davon über 80
in Deutschland. Um auch in Zukunft erfolgreich
sein zu können, tüftelt Firmengründer
Enrico Klauer ständig an neuen Lösungen für
Eine cryo:one plus-Kältekammer der Firma MECOTEC
„TRANSFORMATION IST NUR
DURCH INNOVATION MÖGLICH
– UND DER OSTEN IST VOLL
DAVON. DAS REICHT VON
START-UPS BIS HIN ZU UNTER-
NEHMEN, DIE SCHON LANGE AM
MARKT SIND UND SICH IMMER
WIEDER ERFOLGREICH AN NEUE
RAHMENBEDINGUNGEN ANGE-
PASST HABEN. ZIEL DES UNTER-
Die Geschäftsführer der MECOTEC GmbH Dr. Friedrich Rheinheimer und Enrico Klauer
NEHMERPREISES VORSPRUNG
IST ES, DIES ÖFFENTLICH ZU
MACHEN UND DIE MENSCHEN
DAHINTER ZU ZEIGEN. DIE
DIESJÄHRIGEN PREISTRÄGER
VERDEUTLICHEN SEHR GUT
DAS INNOVATIVE POTENZIAL
OSTDEUTSCHLANDS.“
Ute Weiland, Geschäftsführerin Deutschland
– Land der Ideen und Veranstalterin OWF
Fotos: Deutschland – Land der Ideen / Bernd Brundert, MECOTEC GmbH, Bernd Brundert (v.l.n.r.)
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
PREISTRÄGER
WIRTSCHAFT+MARKT61
Der Firmensitz der PETKUS GmbH
Preisträger Thüringen
PETKUS Technologie GmbH
Sitz: Wutha-Farnroda
Geschäftsführer: Mark Scholze
Mitarbeiterzahl: 200
„Strong Seed, Healthy Grain“ lautet das Motto
der international agierenden PETKUS Gruppe
aus dem thüringischen Wutha-Farnroda. Bei
PETKUS dreht sich alles ums Saatgut und
die Getreideverarbeitung. Dabei kann das
Unternehmen auf eine lange Tradition zurück-
Fotos: PETKUS GmbH, Land der Ideen Management GmbH / Felix Zahn (unten)
blicken. Schon 1852 fertigte PETKUS-Gründer
Christian Friedrich Röber Ackerwagen und
Pflüge für die Landwirtschaft. Später rückten
Saatgutreinigungsmaschinen in den Fokus.
Während der deutschen Teilung spaltete sich
auch das Unternehmen. Nach der Wende führte
Mark Scholze die west- und ostdeutschen
Betriebe in Wutha-Farnroda im Wartburgkreis
wieder zusammen.
Die PETKUS Gruppe hat in den letzten fünf
Jahren technologische Lösungen und Produkte
in 91 Länder exportiert. Das Unternehmen hat
sich als führender Anbieter für Saatguttechnologien
etabliert. Dabei stehen die Thüringer
für Innovationen wie die speziell entwickelte
MultiCoater-Technologie und -Ausrüstung. Die
einzigartige Neuentwicklung stammt aus dem
zur PETKUS Gruppe gehörenden Röber Institut
und wurde 2014 auf den Markt gebracht.
Anja Scholze und PETKUS-Geschäftsführer Mark Scholze
Mit Hilfe weiterer Innovationen wie beispielsweise
optischen Sortierverfahren,
strömungs technischen Komponenten, Coating-
und Desinfektions-Technologien und die
Implementation KI-gesteuerter Verfahren
konnten hochmoderne Anlagen entwickelt
werden, die weltweit einzigartig auf dem
Markt sind.
Ein Beispiel für den internationalen Erfolg
von PETKUS: 2021 hat das Unternehmen
die wahrscheinlich größte Grassamenlinie
außerhalb der USA in Neuseeland in Betrieb
nehmen können. Die Anlage ist in der Lage,
mehr als 3,5 t/h Weidegras und 10 t/h Getreide
zu verarbeiten. Für global agierende Firmen
baut PETKUS komplette Anlagen inklusive
der nötigen Infrastruktur, die schlüsselfertig
übergeben werden.
Neue Standards setzt PETKUS auch in der
Saatgutdesinfektion ohne den Einsatz von
Chemie. Die aktive Dampfbehandlung mittels
des „MultiCoater CM HySeed bio“ befreit
Saatgut effektiv von verschiedensten Saatgutpathogenen.
Herkömmlich wird Saatgut
chemisch gebeizt, um es vor am Saatgut
anhaftenden oder im Boden vorkommenden
Krankheitserregern zu schützen. Der Einsatz
der Chemikalien wird mittlerweile jedoch sehr
kritisch gesehen und streng reguliert. So entstand
als Alternative eine auf aktiver Dampfbehandlung
basierende, universell einsetzbare
Anlage zur Saatgutbehandlung.
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
62
WIRTSCHAFT+MARKT
INTERNATIONALE MÄRKTE
GTAI-REPORT:
IN DER KRISE
WELTWEIT
EXPORTIEREN
Die aktuellen Krisen haben für viele deutsche Mittelständler
ein Umdenken im Exportgeschäft erforderlich gemacht.
Neue Märkte rücken in den Fokus. Der GTAI-Report widmet
sich in dieser Ausgabe den USA, Polen, der Schweiz,
Kasachstan und Vietnam.
VON ULLRICH UMANN (USA), CHRISTOPHER FUSS (POLEN),
KARL-HEINZ DAHM (SCHWEIZ), JAN TRIEBEL (KASACHSTAN),
DR. FRAUKE SCHMITZ-BAUERDICK (VIETNAM)
USA:
EXPORTE DEUTSCHER WIRTSCHAFT STEIGEN
Die Vereinigten Staaten von Amerika bleiben
der wichtigste Handelspartner deutscher
Unternehmen. Für die deutsche Industrie ist
der US-Markt zuletzt sogar noch attraktiver
geworden, seit sich die außenwirtschaftlichen
Unwägbarkeiten nach Ausbruch des Ukraine-Krieges
vervielfältigt haben.
Vor allem Unternehmen aus den neuen
Bundesländern suchen derzeit nach Möglichkeiten,
ihre Lieferausfälle mit Russland und der
Ukraine zu kompensieren. Hinzu kommen die
anhaltenden coronabedingten Probleme beim
Chinageschäft. Die Aktivierung des Vertriebs
auf dem riesigen US-Markt bietet sich daher
regelrecht an.
Exporte in die USA wachsen
Bereits im vergangenen Jahr stiegen die
deutschen Ausfuhren in die Vereinigten
Staaten überdurchschnittlich stark. Während
die Gesamtexporte um knapp 14 Prozent zulegten,
wuchsen die Lieferungen in die USA um
18 Prozent und erreichten 122 Milliarden Euro.
Unternehmen aus den neuen Bundesländern
steigerten ihre Exporte im Jahr 2021 sogar um
23 Prozent und verkauften Waren im Wert von
knapp 8,8 Milliarden Euro.
Zwar wächst auch in den USA die Inflationsgefahr
und zuletzt wurden die Wachstumserwartungen
für die größte Volkswirtschaft der
Erde nach unten korrigiert. Dennoch erweist
sich das Land als Stabilitätsanker für die
Weltwirtschaft, wie die jüngste Prognose der
Blue Chip Economic Indicators vom Mai zeigt.
Laut dieser soll das Bruttoinlandsprodukt im
Jahr 2022 um real 2,6 Prozent zulegen, für
Investitionen und Konsum wird ein Plus von
5,7 beziehungsweise 3,0 Prozent erwartet.
Absatzchancen erwachsen der deutschen
Exportwirtschaft zum Beispiel aus dem
Infrastrukturpaket der US-Regierung im
Gesamtumfang von 1,2 Billionen US-Dollar.
Mit diesem Geld sollen unter anderem die
Verkehrsinfrastruktur ausgebaut und die
ULLRICH UMANN
Ullrich Umann arbeitet seit 2018 als Wirtschaftskorrespondent
im Büro von Germany
Trade & Invest in Washington, D.C.
Vorher war er für mehrere Jahre in gleicher
Funktion an den Standorten Riga, Warschau,
Mexiko-Stadt, New York und Moskau tätig.
Fotoa: GTAI, AdobeStock
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
GTAI-REPORT
WIRTSCHAFT+MARKT63
New York im Blick der Investoren
kürzer die Lieferzeiten, desto höher die Chancen
einen Zuschlag zu erhalten. Zudem steht der
Bau von Anlagen zur Gasverflüssigung sowie
von Verladeterminals für Flüssiggas am Golf
von Mexiko an.
Weitere Absatzmöglichkeiten bietet die von
der Biden-Regierung geförderte Erschließung
alternativer Quellen in der Energiewirtschaft,
die vielerorts geplante Errichtung energieeffizienter
Häuser sowie die Einführung intelligenter
und datenbasierter Produktionsverfahren in
der nachhaltigen Landwirtschaft.
Zielmarkt für Direkt investitionen
Auch als Investitionsstandort sind die USA
von einer herausragenden Bedeutung für
Foto: AdobeStock
Wasserwirtschaft modernisiert werden. Auch
der tiefgreifende Strukturwandel im verarbeitenden
Gewerbe der USA eröffnet deutschen
Unternehmen Geschäftspotenziale. So stellt
sich die Kfz-Zulieferindustrie wegen der
Transformation zur Elektromobilität derzeit
komplett neu auf. Weitere Chancen bieten die
Automatisierung und Digitalisierung der Logistikketten,
der Produktion und des Vertriebs,
die inzwischen selbst kleine und mittlere
amerikanische Unternehmen angehen.
Die gegenwärtige Renaissance der amerikanischen
Öl- und Gasindustrie löst eine starke
Nachfrage nach Bohrausrüstungen aus. Dabei
gilt für deutsche Exporteure die Faustregel: Je
deutsche und europäische Unternehmen. Der
europäische Flugzeughersteller Airbus will
beispielsweise zwei weitere Montagelinien am
Standort Mobile, Alabama, errichten. Damit
möchte das Unternehmen die Fertigung des
meistverkauften Schmalrumpfflugzeugs
A-320 bis 2025 um 50 Prozent auf 75 Stück
pro Monat steigern.
STARK IN
BRANDENBURG –
STARK IN DER WELT
Mit nur einer Maschine und einer großen Portion
Optimismus – so sind wir bei ORAFOL vor mehr als
30 Jahren gestartet. Mit einem loyalen Team haben
wir es geschafft, uns einen Namen als Kunststoffveredler
zu machen. Weltweit.
64
WIRTSCHAFT+MARKT
INTERNATIONALE MÄRKTE
Trotz der umfangreichen Geschäftschancen
müssen sich deutsche Firmen auf einen
Markteintritt gut vorbereiten: In jedem
Bundesstaat existieren eigene Normen und
Standards, eigene Rechtssysteme, eigene
Steuersätze oder auch eigene Vorschriften
zur Anerkennung von Bildungsabschlüssen.
Und sogar eigene Regelwerke zur Ausübung
bestimmter Berufe.
Der Aufwand bei der Wahl eines geeigneten
Standortes ist damit groß und verursacht hohe
Startkosten. Wertvolle Hilfestellungen bietet
die AHK USA mit ihren regionalen Niederlassungen.
Germany Trade & Invest (GTAI)
GTAI ist die Außenwirtschaftsagentur der Bundesrepublik Deutschland.
Mit über 50 Standorten weltweit und dem Partnernetzwerk unterstützt
Germany Trade & Invest deutsche Unternehmen bei ihrem Weg ins
Ausland, wirbt für den Standort Deutschland und begleitet ausländische
Unternehmen bei der Ansiedlung in Deutschland.
POLEN:
STABILER MARKT IN KRISENZEITEN
Die deutsch-polnischen Wirtschaftsbeziehungen
der vergangenen Jahre sind eine
beeindruckende Erfolgsgeschichte. Polen
liegt mittlerweile auf dem fünften Platz in der
Rangfolge der größten Außenhandelspartner
Deutschlands – vor Italien oder Österreich.
Der Wert aller zwischen Deutschland und
Polen gehandelten Waren stieg 2021 im
Jahres vergleich um stolze 19 Prozent auf das
Allzeithoch von 147 Milliarden Euro.
Die ostdeutschen Bundesländer haben maßgeblich
zu dieser Entwicklung beigetragen.
Brandenburg und Sachsen-Anhalt exportieren
heute in kein Land so viele Produkte wie
nach Polen. Der Wert des Außenhandels
zwischen Polen und Sachsen hat sich seit
2010 verdoppelt. Industriegrößen wie der
Batteriehersteller Tesvolt aus Wittenberg
oder der Brandenburger Kunststoff-Veredler
Orafol sind in Polen aktiv. Zahlreiche polnische
Windparks arbeiten mit Turbinen von Nordex
aus Mecklenburg-Vorpommern. Polnische
Investoren wiederum sichern auch im Osten
Deutschlands hunderte Arbeitsplätze, darunter
die Chemiekonzerne Ciech in Staßfurt oder
Azoty in Guben.
Gleichzeitig wachsen die grenznahen Regionen
enger zusammen. Deutschland und Polen
bauen gemeinsam die Bahnstrecke zwischen
Berlin und dem polnischen Szczecin aus.
Mecklenburg-Vorpommern und Szczecin koordinieren
ihre Wirtschaftspolitik im Rahmen des
Industrieparks Berlin-Szczecin.
Folgen des Ukraine-Krieges
Bislang konnte sich Polens Wirtschaft auch
in Krisenzeiten behaupten. Rückgänge des
Bruttoinlandsproduktes im Corona-Jahr 2020
holte das Land bis zum Sommer 2021 wieder
auf. Der Krieg im Nachbarland Ukraine stellt
polnische Unternehmen aber vor Herausforderungen.
Die für Polen wichtige Möbelindustrie
klagt nach Importstopps aus Belarus über
Holzmangel. Hersteller von Haushaltsgeräten
befürchten Probleme bei Metalllieferungen.
Deutsche Automobilfirmen mussten wegen
fehlender Kabelbäume ihre Produktion zeitweise
einstellen.
Einen Teil seines Energiebedarfs deckt Polen
mit fossilen Brennstoffen aus Russland.
Die polnische Regierung arbeitet seit Jahren
daran, diese Abhängigkeit zu reduzieren. Jetzt
beschleunigt Polen seine Energietransformation.
Ab 2040 sollen erneuerbare Energien
die Hälfte der heimischen Stromproduktion
ausmachen. Heute liegt der Anteil erst bei
15 Prozent. Große Hoffnungen setzt Polen
auf Offshore-Windkraft. Bis voraussichtlich
2030 gehen in der Ostsee neue Anlagen mit
einer Leistung von rund sechs Gigawatt ans
Netz. Deutsche Unternehmen wie RWE und
Siemens sind an den Projekten beteiligt. Dank
staatlicher Subventionen boomt auch der Absatz
von Photovoltaik-Anlagen. Davon können
Solarhersteller wie das in Ostdeutschland
produzierende Unternehmen Meyer Burger
profitieren.
CHRISTOPHER FUSS
Christopher Fuß leitet seit Januar 2022 das
Büro von Germany Trade & Invest (GTAI) in
Warschau. Zuvor war er als Marktberater
bei der Deutsch-Polnischen Industrie- und
Handelskammer (AHK Polen) tätig.
Seit April 2022 bezuschusst Polen den Einbau
von Energiespeichern und von Wärmepumpen
in Privathaushalten mit bis zu 4.600 Euro.
Branchenverbände erwarten darum ein deutliches
Nachfrageplus. Parallel investiert Polen
in Wasserstoff. Über 2.000 Elektrolyseanlagen
will das Land bis 2030 aufbauen. Entscheidenden
Anteil an der Umsetzung hat der staatliche
Mineralölkonzern PKN Orlen. Das Unternehmen
investiert bis 2030 rund 1,7 Milliarden Euro in
Wasserstoffprojekte.
Foto: GTAI, AdobeStock
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
GTAI-REPORT
WIRTSCHAFT+MARKT65
Das Stromnetz der Kohlenation Polen ist
bislang darauf ausgelegt, Energie aus wenigen
Großkraftwerken aufzunehmen und zu
verteilen. Um die Leitungen fit zu machen für
eine dezentrale Versorgung, investiert der
Übertragungsnetzbetreiber PSE bis 2032 rund
acht Milliarden Euro.
Die polnische Hauptstadt Warschau
Impulse durch staatliche Projekte
Nicht nur Polens Energiesektor befindet sich
im Wandel. Auch das Schienennetz steht vor
Umbrüchen. Den geplanten Großflughafen CPK
bei Warschau möchte Polens Regierung zum
Knotenpunkt für den Bahnverkehr ausbauen.
1.800 Schienenkilometer will die zuständige
Projektgesellschaft verlegen oder sanieren.
Ländliche Regionen und mittelgroße Städte
Foto: AdobeStock
können auf neue Anschlüsse hoffen. Für die in
Brandenburg starke Bahnindustrie eröffnet
das Infrastrukturprojekt Exportmöglichkeiten.
Auch Polens Industrie wird modernisiert.
Unternehmen erhalten seit Anfang 2022
beim Kauf von Automatisierungstechnik
wichtige Steuererleichterungen. Über das
mit EU-Geldern finanzierte Programm FENG
stellt Polen bis 2027 rund acht Milliarden
Euro für moderne Produktionstechnik bereit.
Der deutsche Maschinen- und Anlagenbau
konnte dank solcher Fördermaßnahmen neue
Kunden in Polen gewinnen. Untersuchungen
von Anfang 2022 zeigen, dass vor allem
die polnische Kunststoffindustrie und die
Metallverarbeiter mehr Geld für Investitionen
bereitstellen wollen.
Nicht erst seit der Pandemie gilt Polens
Medizinsektor als unterfinanziert. Bislang
liegen die öffentlichen Ausgaben für das
Gesundheitssystem bei nur etwa fünf Prozent
des Bruttoinlandsproduktes – deutlich unter
dem EU-Durchschnitt. Bis 2027 soll der Anteil
auf sieben Prozent steigen. Mit den Geldern
werden auch neue Geräte für Krankenhäuser
und Arztpraxen finanziert. Profitieren können
internationale Hersteller von Medizintechnik,
beispielsweise die Carl Zeiss AG in Jena.
Natürlich kämpft auch Polens Wirtschaft mit
Herausforderungen. Nach Russlands Angriff
auf die Ukraine haben sich viele Entwicklungen
weiter verschärft. Die Inflation stieg im April
2022 auf 12,3 Prozent. Kredite sind deutlich
teurer geworden. Darunter leidet der Konsum.
Bauunternehmen und das Transportgewerbe
klagen nicht zuletzt aufgrund fehlender
Mitarbeiter aus der Ukraine über Fachkräftemangel.
Außerdem beschweren sich Firmen
über unklare rechtliche Rahmenbedingungen.
Die Weigerung der polnischen Regierung, Teile
einer umstrittenen Justizreform zurückzuziehen,
blockiert wichtige EU-Gelder.
Und dennoch: Der Produktionsindex der
Indus trie Polens wächst seit Monaten
im zweistelligen Bereich. Die Beschäftigungszahlen
ent wickeln sich gut. Der
Außenhandels umsatz zwischen Deutschland
und Polen lag in den ersten Monaten 2022
über den Vorjahreswerten.
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
66
WIRTSCHAFT+MARKT
INTERNATIONALE MÄRKTE
SCHWEIZ:
WICHTIGER HANDELSPARTNER FÜR DEUTSCHLAND
Trotz der geringen Größe des Landes zählt die
Schweiz zu den führenden Industrienationen.
Beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf liegt
sie mit 8,7 Millionen Einwohnern im weltweiten
Vergleich auf Platz zwei hinter Luxemburg. Die
Kaufkraft der schweizerischen Haushalte ist
trotz eines hohen Preisniveaus die höchste
in Europa.
Deutschland und die Schweiz pflegen enge
Wirtschaftsbeziehungen. Das Handelsvolumen
zwischen beiden Ländern machte 2021
rund 100 Milliarden Euro aus, ein Plus von
10,2 Prozent gegenüber dem pandemiebedingt
schwachen Vorjahr. Im Ranking der
größten Außenhandelspartner Deutschlands
belegte die Schweiz 2021 den 9. Platz.
Die Schweiz importiert aus Deutschland vor
allem Chemie- und Pharmaprodukte, Maschinen
und Anlagen sowie Fahrzeuge. Laut dem
schweizerischen Bundesamt für Statistik waren
2020 rund 3.435 deutsche Unternehmen
in der Schweiz ansässig. Insgesamt stellen
deutsche Firmen etwa 126.500 Arbeitsplätze
im Land.
Deutsche Unternehmen, die in der Schweiz
tätig sind, loben immer wieder die erstklassige
Infrastruktur sowie unter anderem die Verfügbarkeit
von hochqualifizierten und motivierten
Arbeitskräften. Letztere werden allerdings
inzwischen knapp. Erstmals seit Jahrzehnten
meldet die schweizerische Regierung 2022
mehr offene Stellen als Arbeitslose. Nach
Angaben des eidgenössischen Personalunternehmens
X28 stehen den derzeit rund 91.000
Arbeitslosen etwa 250.000 offene Stellen
gegenüber.
Abkühlung der Konjunktur erwartet
Konjunkturforscher gehen von einer deutlichen
Abkühlung der Wirtschaftsleistung in
den kommenden Monaten aus. Besonders
steigende Rohstoff- und Energiekosten,
eine drohende Rezession in Deutschland
und europäischen Nachbarländern dürften
KARL-HEINZ DAHM
Karl-Heinz Dahm ist seit vielen Jahren
als Redakteur und Länderexperte für
die Schweiz bei GTAI in Bonn im Bereich
Marktbeobachtung tätig.
Die Schweizer Wirtschaftsmetropole Zürich
Fotos: AdobeStock, GTAI Frank May
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
GTAI-REPORT
WIRTSCHAFT+MARKT67
die schweizerische Exportindustrie und die
Wirtschaft insgesamt belasten. Auch könnte
es zu einem Mangel an Vorprodukten für die
heimische Industrie durch gestörte Lieferketten
kommen.
Bislang lief die schweizerische Wirtschaft erstaun
lich rund. Die günstige Entwicklung am
Arbeitsmarkt und Aufholeffekte nach dem Ende
der Corona-Beschränkungen im April 2022
stärkten den Privatkonsum. Davon profitierte
vor allem das Hotel- und Gaststätten gewerbe,
das unter anderem auch dank gestiegener
Touristenzahlen aus Europa und den USA ein
starkes Wachstum hinlegte. Günstig wirkt sich
auch eine im internationalen Vergleich niedrige
Inflation in der Schweiz aus.
Zürich über hervorragende Forschungseinrichtungen
im KI-Sektor. Auch das stabile
politische Umfeld und eine gut ausgebaute
Infrastruktur sind ideale Standortfaktoren für
KI-Unternehmen.
Im Bereich Robotik und Drohnen gelten die
Schweizer seit Jahren als führend. Switzerland
Global Enterprise, die schweizerische Organisation
für Exportförderung und Standortmarketing,
konstatiert, dass sich die Schweiz
aufgrund ihres etablierten Ökosystems als
„Silicon Valley“ der Robotik einen Namen gemacht
hat. Ein interessanter Wachstumsmarkt
ist auch die schweizerische Biotech-Branche.
Sie konnte 2021 Investitionen im Umfang von
rund drei Milliarden Euro generieren.
Die Schweiz führt seit Jahren das internationale
Ranking der innovativsten Länder an. Der
schweizerische Bundesrat hat im Juni 2022
erstmals einen staatlichen Innovationsfonds
ins Leben gerufen. Dieser soll jungen, innovativen
KMU und Start-ups die Finanzierung in
der Wachstumsphase ihrer Unternehmung erleichtern.
Dabei stehen besonders die Themen
Dekarbonisierung und Digitalisierung im Fokus.
Digitalisierung bietet Chancen
Die Bereiche Digitalisierung und Künstliche
Intelligenz (KI) dürfte in den kommenden Jahrzehnten
immer mehr an Bedeutung gewinnen.
Die Schweiz verfügt unter anderen mit der
Eidgenössischen Technischen Hochschule
Von der Struktur zum Wirkstoff
Die Chiracon GmbH stellt Wirkstoffe und Rezeptursubstanzen
zur Humananwendung her. Unsere Kunden reichen von
Forschungseinrichtungen bis zu Forschungsabteilungen
großer produzierender Pharmafirmen. Für diese bieten
wir unser langjähriges Know-how im Bereich der Wirkstoffentwicklung
und -herstellung an.
Mit unserer Wirkstoffentwicklung und -produktion
„Made in Brandenburg“ tragen wir nicht nur zur Versorgungssicherheit
Deutschlands und der Entlastung
der Krankenkassen bei, sondern sind auch aktiv an der
Entwicklung zukünftiger Pharmaka beteiligt.
Arzneistoffe aus Luckenwalde
Wirkstoffe Klinische Prüfmuster Chirale Intermediate Auftragssynthese
Chiracon GmbH
Biotechnologiepark
14943 Luckenwalde
Germany
Tel.: +49 (0) 3371-400 2 400
Fax: +49 (0) 3371-400 2 401
E-Mail: info@chiracon.de
www.chiracon.de
Chiracon ist Wirkstoffhersteller und wurde inspiziert gemäß – Art. 111
(1) der Richtlinie 2001/83/EG umgesetzt in das deutsche Recht durch:
§ 64 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (GMP Zertifikat).
68
WIRTSCHAFT+MARKT
INTERNATIONALE MÄRKTE
KASACHSTAN:
MEHR ALS NUR ÖL
Kasachstan ist für Deutschland wichtigster
Wirtschaftspartner in Zentralasien. Die
Bedeutung macht der deutsche Außenhandel
mit der Region deutlich: Bei einem Gesamtumsatz
von etwa sechs Milliarden Euro, den
Deutschland 2021 mit den fünf Ländern in
der Region erzielte, entfielen 85 Prozent auf
Kasachstan. Damit lag das neuntgrößte Land
der Erde in der Rangfolge aller Handelspartner
weltweit bei den deutschen Importen auf Platz
41, bei den Exporten auf Platz 62. Deutschland
führt ein breites Spektrum von Waren nach
Kasachs tan aus – am meisten werden
Maschinen, chemische Erzeugnisse und
Fahrzeuge nachgefragt. Aus Kasachstan wird
hauptsächlich Rohöl importiert.
Astana ist die Hauptstadt
von Kasachstan.
Die Ölimporte nahmen im 1. Halbjahr 2022 um
rund neun Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum
auf 4,4 Millionen Tonnen zu. Deutschland
deckte seinen Bedarf an Importöl somit
zu gut einem Zehntel mit Lieferungen aus
Kasachstan. Das Land war hinter Russland
und den USA die drittwichtigste Bezugsquelle
für Rohöl.
Kasachische Öllieferungen könnten für
den deutschen Markt noch an Bedeutung
gewinnen. Grund dafür ist das Anfang Juni
verabschiedete 6. Sanktionspaket der EU
JAN TRIEBEL
Jan Triebel berichtet für GTAI seit 2018 von
Almaty aus über Kasachstan, Kirgisistan und
die Mongolei. Zuvor war er als Korrespondent
an den Standorten Moskau, Riga, Kiew und
Belgrad tätig.
gegen Russland. Es zielt insbesondere auf ein
weitreichendes Ölembargo gegen Russland
ab. Um das russische Öl zu ersetzen, werden
in Deutschland derzeit auch zusätzliche
Importe aus Kasachstan geprüft. Als einer der
möglichen Abnehmer dieser Lieferungen gilt
laut Zeitungsberichten die PCK Raffinerie in
Schwedt.
Konjunktur entwickelt sich robust
Kasachstan erwies sich in der jüngeren Vergangenheit
als recht krisenresistent. Der leichte
Rückgang der Wirtschaftsleistung im Corona-Jahr
2020 war bereits ein Jahr später wieder
wettgemacht. Auch die Auswirkungen der Unruhen
Anfang des Jahres blieben letztlich recht
überschaubar. Diese hatten das öffentliche
Leben vor allem im Großraum der Wirtschaftsmetropole
Almaty tagelang gelähmt.
Mittlerweile stellt der Krieg, den Russland in
der Ukraine führt, jedoch auch die kasachischen
Unternehmen vor neue Herausforderungen.
Bei einer Umfrage Mitte 2022 gab
mehr als die Hälfte von ihnen an, dass die
gegen Russland verhängten Sanktionen sich
vorwiegend negativ auf ihre geschäftlichen
Aktivitäten auswirken. Der anhaltend hohe
Preis für das Hauptexportgut Öl trägt jedoch
maßgeblich dazu bei, dass die Wirtschaft
des Landes auf Wachstumskurs bleibt. Laut
Regierung dürfte sie 2022 real um etwa drei
Prozent zulegen.
Erneuerbare auf dem Vormarsch
Im Energiesektor bietet der Ausbau- und
Modernisierungsbedarf gute Chancen für
deutsche Unternehmen. Kasachstan will
Klimaneutralität bis 2060 erreichen. Aktuell
werden noch 70 Prozent des Stroms mit
Kohle erzeugt. Bis 2030 soll der Kohleanteil
auf 40 Prozent sinken. Der dazu nötige
Umstieg auf alternative Energiequellen ist
bereits im Gange.
Die erneuerbaren Energiequellen Sonne und
Wind stehen bei der Energiewende mit im
Fokus. Daneben soll auch stärker als bisher auf
Erdgas zurückgegriffen werden. Zudem plant
Kasachstan zukünftig auch Strom mithilfe der
Kernenergie zu erzeugen.
Bei erneuerbaren Energien bieten aktuell
mehrere Auktionsrunden Investoren und
Projektentwicklern Chancen für einen Eintritt
in den kasachischen Markt. Die zwischen Ende
Oktober und Ende November 2022 angesetzten
Versteigerungen sollen den Ausbau zur
Gewinnung von grünem Strom um weitere
690 Megawatt Leistung anstoßen. Mitte 2022
belief sich die installierte Leistung in Erneuerbare-Energien-Anlagen
auf 2.330 Megawatt.
Kasachstan strebt an, im Jahr 2050 rund die
Hälfte seines Stroms aus erneuerbaren Energiequellen
zu produzieren. Bis 2030 soll der
Anteil 15 Prozent erreichen; Mitte 2022 lag er
bei rund vier Prozent.
Fotos: AdobeStock, Studio Prokopy
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
GTAI-REPORT
WIRTSCHAFT+MARKT69
VIETNAM:
OSTDEUTSCHE FIRMEN BESONDERS WILLKOMMEN
DR. FRAUKE
SCHMITZ-BAUERDICK
Dr. Frauke Schmitz-Bauerdick berichtet seit
2017 im Auftrag von Germany Trade and
Invest (GTAI) über den vietnamesischen
Markt. Zuvor war sie am Bonner GTAI-Standort
verantwortlich für den Bereich Recht und
Steuern Asien mit den Schwerpunkten China,
Indien und Vietnam.
Vietnams Wirtschaft gewinnt wieder deutlich
an Schwung. Experten erwarten für das laufende
Jahr ein Wirtschaftswachstum von real 6,0
bis 6,5 Prozent. Grundlage für den erwarteten
Konjunkturschub sind die steigenden vietnamesischen
Exporte, zunehmende ausländische
Investitionen sowie eine stetig wachsende, sehr
konsumfreudige Mittelschicht.
In den vergangenen Jahren etablierte sich
Vietnam als wichtiger Bestandteil internationaler
Lieferketten. Das Land ist durch mehrere
Freihandelsabkommen in den Welthandel
eingebunden. So erleichtert das im Jahr 2020
in Kraft getretene EU-Vietnam Free Trade
Agreement auch den Handel zwischen Vietnam
und Deutschland.
Perspektiven für deutsche Ausrüster
Der deutsch-vietnamesische Außenhandel
entwickelte sich allerdings in den Coronajahren
zumindest aus deutscher Sicht weniger positiv.
Während die vietnamesischen Lieferungen
2020 und 2021 zulegten, brachen die deutschen
Ausfuhren nach Vietnam 2020 um
knapp 30 Prozent ein. Zwar stiegen sie 2021
wieder, sie erreichten aber noch nicht das
Vorkrisenniveau. Gerade die Ausfuhren von
Maschinen und Anlagen litten unter der Krise.
Mittelfristig aber dürfte sich für deutsche
Lieferanten die positive Wirkung der Einbindung
Vietnams in internationale Lieferketten bemerkbar
machen. Unternehmen, die in Vietnam
für anspruchsvolle Märkte wie die EU, die USA
oder Japan produzieren, benötigen Maschinen
und Anlagen, die Qualität liefern können.
Welle von neuen Investitionen
Selbst im Krisenjahr 2021 stiegen die Neuinvestitionen
ausländischer Unternehmen in
Vietnam wertmäßig um gut vier Prozent. Nach
Aufhebung der Grenzschließungen im März
2022 wird für das laufende Jahr eine weitere Investitionswelle
erwartet. Dabei gehen Experten
auch von einer verstärkten Umorientierung von
Unternehmen aus, die bislang in China produzieren.
Vietnam ist aufgrund seines attraktiven
Investitionsumfelds eines der Hauptziele internationaler
Verlagerungsbestrebungen.
Die meisten ausländischen Investoren kommen
aktuell aus den ostasiatischen Nachbarstaaten
Südkorea und Japan. Europäische Unternehmen
aber zieht es ebenfalls nach Vietnam, darunter
auch viele deutsche. So baut aktuell die
Beiersdorf-Tochter Tesa eine Produktion im
nördlichen Haiphong und die Kurz-Gruppe
investiert in eine Prägefolienproduktion in der
zentralvietnamesischen Provinz Binh Dinh.
Ostdeutschland und Vietnam
Ostdeutsche Unternehmen sind bereits
vor Ort und weitere sind hoch willkommen.
Zwischen den ostdeutschen Bundesländern
und dem ehemaligen Bruderstaat besteht
ein historisch gewachsenes Verhältnis.
Rund 100.000 Vietnamesen haben bis 1989
zumindest zeitweise in Ostdeutschland als
Vertragsarbeiter gearbeitet oder an ostdeutschen
Universitäten studiert.
Das aus Rostock stammende Planungsunternehmen
Inros Lackner ist seit 15 Jahren
in Vietnam aktiv und hat an bedeutenden
Projekten wie der vietnamesischen Nationalversammlung,
dem Museum für Stadtgeschichte
in Hanoi oder zuletzt dem Obersten Gerichtshof
mitgewirkt. Aone aus Leipzig betreibt in Hanoi
ein Wasserwerk und baut in der südlichen
Provinz Long An eine weitere Anlage.
Auch Landesvertretungen wie die LEG
Thüringen engagieren sich bei der Vertiefung
der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen
Unternehmen aus Ostdeutschland und Vietnam.
Sie unterstützen ostdeutsche Unternehmen
auf den Weg in einen vielfältigen, aber nicht
immer ganz einfachen Markt.
Die vietnamesische Metropole Hanoi
Fotos: AdobeStock, GTAI
Trotz Pandemie stiegen Vietnams Exporte 2021
um 19 Prozent und erreichten mit 336 Milliarden
US-Dollar einen neuen Rekord. Internationale
Elektronikgiganten wie Samsung oder der
Applezulieferer Foxconn produzieren in Viet nam
für den Weltmarkt. Auch bei Bekleidung und
Schuhen, Möbeln sowie Nahrungsmitteln wie
Kaffee und Meeresfrüchten zählt Vietnam zu
den wichtigsten Lieferanten der Welt.
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
70
WIRTSCHAFT+MARKT
GESELLSCHAFT
Wintergenuss
mit großer Tradition
Im sächsischen Elbtal liegt eine der kleinsten, aber auch schönsten
Weinregionen Deutschlands – mit einer jahrhundertelangen Genussgeschichte,
einer traumhaften Weinkulturlandschaft und zahlreichen barocken Sehenswürdigkeiten.
ZUTATEN
Glühwein-Rezept
des Raugrafen
von Wackerbarth
für eine Dresdner Kanne (0,93 Liter):
4 Loth Zimmet-Puder
2 Loth Ingwer
1 Loth Anis-Körner
1 Loth Galganat (Granatapfel)
2 Loth Muskatnüsse
1 Loth Kardamom
1 Gran Safran
Erhitze, misch und seihe (siebe) es und
munde es mit Honig und Zucker ab!
(1 Loth = 14 Gramm, 1 Gran = 1/2 Gramm)
Seit mehr als 850 Jahren prägt der Weinbau
die Landschaft und das Leben im Elbtal. In
einer der sonnigsten Regionen Deutschlands
reifen in eindrucksvollen Steillagen und terrassierten
Weinbergen die Trauben für ausgezeichnete
Weine, klassische Flaschengärsekte
und traditionsreiche Wintergetränke.
Ein Höhepunkt der sächsischen Weinkultur ist
Schloss Wackerbarth: Im Herzen der Sächsischen
Weinstraße in Radebeul befindet sich
heute das erste Erlebnisweingut Europas.
Unlängst ausgezeichnet als eines der einzigartigen
Weingüter der Welt. Es besticht mit
einem Ensemble aus barocker Schloss- und
Gartenanlage, Weinkulturlandschaft und moderner
Manufaktur mit erlesenen Veranstaltungen
und feiner Kulinarik. Wein & Sekt wird
auf Schloss Wackerbarth zu einem Erlebnis für
die Sinne. Jeden Tag und zu jeder Jahreszeit.
Wärmender Genuss seit 1834
Wenn die Tage kürzer werden und die Temperaturen
sinken, ist die Zeit wärmender
Wintergetränke gekommen. Vor allem eines ist
dann hierzulande in aller Munde: der Glühwein.
Aber wer hat ihn erfunden? Eine Spur führt ins
Elbtal und fast 190 Jahre zurück.
Im Dezember 1834 notierte August Raugraf
von Wackerbarth, ein Nachfahre des Erbauers
von Schloss Wackerbarth, im winterlichen Radebeul
ein besonderes Rezept: Der Kunst- und
Genussliebhaber suchte nach einem Getränk,
welches die Kälte vergessen macht und das Herz
erwärmt. So fügte er unter anderem Safran, Anis
und Granatapfel in weißen Wein und hatte eine
geistreiche Idee – er erwärmte die Flüssigkeit.
Wackerbarths Weiß & Heiß
Fotos: Rene Jungnickel, Martin Förster (unten)
W+M – HERBST/WINTER 2022/2023
WEINKUNDE
WIRTSCHAFT+MARKT71
Genussmomente verschenken
Das Original-Rezept des
Raugrafen von Wackerbarth
Die Kalenderblätter fallen und ehe man sich versieht, ist die Weihnachtszeit wieder da.
Mit „Wackerbarths Weiß & Heiß“ kann man Genuss pur verschenken – egal ob als Präsente
mit exklusiven Glühweintassen oder im Set mit alkoholfreiem Glühwürmchenpunsch.
Lassen Sie sich von den vielfältigen Geschenkideen von Schloss Wackerbarth
inspirieren, vor Ort oder im Online-Shop des Weinguts. Gern stellen Ihnen die Winzer
auch ein individuelles Präsent ganz nach Ihren Wünschen zusammen.
Lange verschollen und vergessen, wurde dieses
Rezept Ende 2013 im Nachlass des Raugrafen
im Sächsischen Hauptstaatsarchiv in
Dresden wiederentdeckt. Nach eingehender
Prüfung durch Historiker war klar, dass es
sich um eine besondere Rezeptur handelte,
die man heute als Glühwein bezeichnen
würde. Damit ist es das älteste bekannte
Glühwein rezept Deutschlands.
PRÄSENT
" Winterzauber - Weiß & Heiß"
1 Flasche Wackerbarths Weiß & Heiß
+ 2 Glühwein-Tassen
19,90 €
Wackerbarths Winzer füllten diese besondere
Tradition mit neuem Leben, begaben
sich sofort auf die Suche nach den geeigneten
sächsischen Weißweinen; der Chefkoch
passte das historische Rezept behutsam an
den heutigen Geschmack an. „Wackerbarths
Weiß & Heiß“ war geboren, ein feinfruchtiges
Wintergetränk aus sächsischem Weißwein,
Traubensaft und fein würzenden Zutaten.
PRÄSENT
" Weihnachten in Familie“
1 Flasche Wackerbarths Weiß & Heiß
+ 1 Flasche Glühwürmchen-Punsch
(alkoholfrei)
19,90 €
Schloss Wackerbarth im Winterzauber
Im Reich der Sinne
Fotos: So geht sächsisch. Sebastian Arlt , Schloss Wackerbarth, Rene Jungnickel (unten)
Die dunkle Jahreszeit wird auf Schloss
Wackerbarth nicht nur von wärmenden
Gaumenfreuden, sondern auch von Lichterglanz
erhellt: Von November bis Februar
verwandelt sich das Erlebnisweingut jeden
Abend in eine märchenhafte Welt aus Licht,
Musik und Genuss. Weinberge erstrahlen,
Lichtskulpturen leuchten und Märchenlaternen
erwecken bekannte Geschichten zum Leben:
Alle großen und kleinen Gäste werden so zu
einem gemütlichen Spaziergang durch das
beleuchtete Ensemble eingeladen.
www.schloss-wackerbarth.de
W+M – HERBST/WINTER 2022/2023
72
WIRTSCHAFT+MARKT
GESELLSCHAFT
Berlin Capital Club –
Impressionen eines Jahres
Der Berlin Capital Club, der von der CCA Gruppe gemanagt wird, prägt mit seinen Mitgliedern und
deren Netzwerken das gesellschaftliche Leben der Hauptstadt. Nachdem das Jahr 2022 für die
Mitglieder des Berlin Capital Club pandemiebedingt nochmal mit einem Neujahrsempfang to go
gestartet ist, konnten ab Frühjahr wieder verstärkt Präsenzveranstaltungen stattfinden.
Patrick Brauckmann, Ralf Kern (Franck Muller),
Ron Uhden (Juweliere Leicht) und Manfred Gugerel
die Uhrenliebhaber in die Welt von Hublot, im Juni
folgte die Manufaktur Franck Muller und im Oktober
wird man in Berlin bei ASKANIA zu Gast sein.
Die Piper-Heidsieck-Repräsentanten Agnes Kalinska und Roman Drobeck
Aus der Ladies Lounge
Frühlingsfest
“Members & Friends”
Endlich wieder live und in Farbe: Am
25. März 2022 genossen über 150 Mitglieder
und ihre Gäste einen entspannten Abend
bei köstlichem Essen, prickelndem Champagner
aus dem Hause Piper-Heidsieck,
hervorragenden Weinen der Hauswinzer
Luigi Brunetti und Martin Pasler sowie
Unterhaltung der Partner-Repräsentanten
in den Clubräumen.
Im Boardroom konnte man sich mit Brille,
Helm und Lederjacke in einen Biker verwandeln
und auf einem Motorrad von BMW
Wernecke posieren. Die Damen zog es
besonders in den Salon Oriental, wo Mitglied
Desiree Sielaff ihren außergewöhnlichen
Schmuck präsentierte.
Beim Frühlingsfest: Mark Drescher und Begleitung &
Marvin Robert Switala und Dr. Claudia Zech
WatchLounge@
BerlinCapitalClub
Eine wertige Armbanduhr schmückt nicht
nur einen Herren und transportiert durch ihre
Machart seinen Stil – Uhren begeistern auch als
technische Erfindung. Daher hat der Club 2022
gemeinsam mit Clubmitglied Patrick Brauckmann
die WatchLounge@BerlinCapitalClub neu etabliert.
Die Premiere am 24. März 2022 entführte
Unter dem Motto Frühlingserwachen „Schönheit
von Innen und Außen“ präsentierten
am 15. März 2022 eine Expertinnenrunde
um Clubmitglied Birgit Stasch-Karbstein die
Wege, wie unsere Ladies Lounge-Damen
durch passende Farben und Frisuren ihren
persönlichen Typ unterstreichen und mittels
gezielten Einsatzes innerer Booster strahlend
schön in den Frühling starten können.
Auf eine Duftreise des Parfumhauses Krigler –
ein Hauch von Hollywood in Berlin – entführte
die Damen am 10. Mai 2022 Dr. Denis Ljuljanovic
mit alten und neuen „Duftgeschichten“.
Am 14. Juni 2022 waren die Initiatoren der
Online-Plattform Krisenchat, Deutschlands
erfolgreichste Plattform für psychologische
Online-Hilfe speziell für Kinder und Jugendliche,
zu Gast in der Ladies Lounge. Im November
hat La Maison Valmont in ihre Dependance am
Kurfürstendamm eingeladen.
Fotos: CCA Projekt GmbH, Berlin Capital Club
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
BERLIN CAPITAL CLUB
WIRTSCHAFT+MARKT73
Aus einem
Abgeordnetenleben
Am Palindromdatum, dem 22.02.2022, hatten
der Berlin Capital Club und Marion Uhrig-Lammersen
zum Frühstück eingeladen. Basis der
Einladung war das im November 2021 von Dr.
Sten Martenson und Marion Uhrig-Lammersen
veröffentlichte Buch mit dem Titel „MdB a.D. –
Kurioses und Ernstes aus dem Abgeordnetenleben“.
Nun sollten 120 Tage nach dem Ein- und
Auszug aus dem Bundestag Ehemalige und
Neue des Bundestages berichten, was sich
denn beruflich auf beiden Seiten getan hat.
Club Lounge im
Berlin Capital Club
Die nachweisliche Transformationserfahrung
der Ostdeutschen ist zu differenziert, um
sich konkret festzulegen. So das Ergebnis der
Diskussionsrunde von Frank Nehring anlässlich
der monatlichen Club Lounge am 23. März
2022 mit Prof. Dr. Steffen Mau, Soziologe und
Professor für Makrosoziologie am Institut für
Sozialwissen schaften der Humboldt-Universität
zu Berlin, und Prof. Dr. Joachim Ragnitz,
Wirtschaftswissenschaftler und Managing
Director des Ifo-Instituts Dresden zum Thema
„Sind wir bereit für die bevorstehende Transformation?“
Gruppenfoto mit den Golf-Siegern (v.l.n.r.): Patric Neeser, Olaf Wernecke, Eugen Mesares, Dirk Wagner (Brutto sieger),
Olcay Iyigün Nettosiegerin (48 Nettopunkte / 102 Schläge), Andrea Becher (Bruttosiegerin), Manfred Gugerel
Talks mit
Maren Courage
Spannende Talks führte Maren Courage von
VR Business Club beim Frühstück in diesem
Jahr u. a. mit Prof. Dr. Stephan Frucht, Siemens
AG, Stefan Jenzowsky, Kopernikus Automotive,
Christoph Beck, Vorstandsmitglied der Degewo
AG, Martell Beck, Head of Marketing and
Transport Policy bei DB Cargo AG, und Mathias
Trunk, Vertriebsvorstand der GASAG AG, zu
den Trends der Digitalisierung der Wirtschaft.
Übrigens: Martell Beck war früher schon bei
der BVG als Head of Marketing für den „Is mir
egal“-Spot verantwortlich.
Danke an die Sponsoren für einen tollen Golftag
Am 20. Juni 2022 ging es in diesem Jahr nicht
um den Pokal für den Siegerflight, sondern
um eine Einladung für den Netto-Sieger zum
MAXX ROYAL Finale vom 10. bis 14. Dezember
2022 im türkischen Belek sowie natürlich wieder
um eine ganze Menge Spaß am Spiel.
21 Jahre
Berlin Capital Club
Im Sommer stand das Thema „Was können
Fotos: CCA Projekt GmbH, Berlin Capital Club
Unternehmer und Führungskräfte von Spitzensport(lern)
lernen?“ im Fokus. Andreas Hülsen
hatte als Überraschungsgast den deutschen
Volleyball- und Beachvolleyballspieler Henry
Glöckner eingeladen, der anhand seiner
Erfahrungen zu Leistungssport und Karriere
die Strategien von Andreas Hülsen belegte.
Zu Gast in der Club Lounge: W+M-Verleger Frank
Nehring, Prof. Dr. Joachim Ragnitz, Managing
Director des Ifo- Dresden, und Prof. Dr. Steffen Mau,
Soziologe und Professor für Makrosoziologie am
Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-
Universität zu Berlin
Maren Courage Digital Talk mit Martell Beck, Head of
Marketing and Transport Policy bei der DB Cargo AG
Im November 2022 ist Marija Kolak, CEO und
Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen
Volksbanken und Raiffeisenbanken, zu
Gast bei Maren Courage.
Berlin Capital Club
Golf Cup
Golf in seiner schönsten Form hieß es wieder
beim XIX. Berlin Capital Club Golf Cup powered
by BMW Wernecke GmbH und mit freundlicher
Unterstützung von MAXX ROYAL Resorts &
Sun Express Airlines im Golfclub Motzen.
Der Berlin Capital Club kann heute auf eine
äußerst erfolgreiche Zeit zurückblicken: Am 6.
November 2022 steht für den Club mit seinen
mittlerweile über 1.600 Mitgliedern das
21-jährige Clubjubiläum an.
„Der Erfolg des Berlin Capital Club hat uns Recht
gegeben. Wir haben zum richtigen Zeitpunkt am
richtigen Ort investiert und uns innerhalb kurzer
Zeit als der Business- und Gesellschaftsclub
Berlins etabliert“, bilanziert Dieter R. Klostermann,
Chairman der CCA Gruppe und Gründer
des Berlin Capital Club. Die Mitgliedschaft im
Berlin Capital Club öffnet weltweit exklusiv
die Türen zu rund 250 privaten Stadt-, Golf-,
Sport- und Countryclubs, die den International
Associate Clubs (IAC) – dem größten Clubnetzwerk
der Welt – angeschlossen sind.
www.berlincapitalclub.de
www.iacworldwide.com
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
74
WIRTSCHAFT+MARKT
GESELLSCHAFT
Mit hoher Geschwindigkeit und vollem Körpereinsatz unterwegs
Polo in Warnemünde –
ein wahres Highlight
Das 11. ICE GUERILLA Beach Polo World Masters fand vom 9. bis 11. September 2022
wieder am Strand von Warnemünde statt. Der Veranstalter Matthias Ludwig,
CEO von Polo Riviera Deutschland, zieht eine positive Bilanz.
Trotz prognostizierten Schlechtwetters
hat die Sonne es mit dem internationalen
Spielerteam, den großartigen Polopferden
und den zahlreichen Zuschauern gut gemeint.
Acht internationale Teams mit Spielern und
Spielerinnen aus Frankreich, Japan, Iran und
Deutschland begeisterten die Zuschauer.
Veranstalter Matthias Ludwig, CEO von Polo
Riviera Deutschland: „Es freut mich wirklich
sehr, dass sich unser Event in den vergangenen
elf Jahren nicht nur beim Publikum enorm
etablieren konnte, sondern auch immer internationaler
geworden ist. Auch die Vielfalt der
Sponsoren und Partner unterstreicht diesen
Trend eindrucksvoll. Neben dem sportlichen
Aspekt ist auch die Bedeutung der Beach Polo
World Masters als Wirtschaftsfaktor für die
Region und den Tourismus zu betonen.“
Mariella Ahrens und Veranstalter Matthias Ludwig
Fotos: Gunnar Rosenow
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
BEACHPOLO
WIRTSCHAFT+MARKT75
Gute Laune bei der Players Night
Lea Kawamoto (l) war erneut die erfolgreichste Spielerin beim Turnier.
Auch beim Ladies Cup wurde sich nichts geschenkt.
Moderatoren und Poloexperten:
Alexander Schwarz und Jan-Erik Franck
Das Gewinnerteam mit
Leopold Ludorf und Ken Kawamoto
Jan-Erik Franck und W+M-Chef Frank Nehring
Im Gespräch mit “The Voice of Polo”
Jan-Erik Franck
Neben den sehenswerten sportlichen Leistungen auf dem Polospielfeld
gehört die Moderation des 22-fachen Deutschen Polomeisters Alexander Schwarz und
des Poloexperten Jan-Erik Franck, unterstützt von Schauspielerin Mariella Ahrens, zu
den Highlights des Turniers. W+M sprach mit Jan-Erik Franck exklusiv.
Foto: Gunnar Rosenow, W+M/W. Schröder (unten rechts)
W+M: Jan-Erik Franck, Dich kennen hier alle
als „The Voice of Polo“. Wie kam es zu diesem
Namen?
Jan-Erik Franck: Ich habe mir den Namen
nicht selbst gegeben, er stammt von einer
Journalistin, die der Meinung war, wer weltweit
auf so vielen Poloturnieren wie ich unterwegs
ist, sollte „The Voice of Polo“ sein. Ich nahm es
anfänglich als Spaß. Nun ist der Name zehn
Jahre alt geworden. Ich empfinde mich aber als
Teil des Teams, zu dem Spieler, Schiedsrichter,
Hufschmied, Veterinär und viele mehr gehören.
W+M: Du bist weltweit unterwegs. Was war
das Highlight?
Jan-Erik Franck: Eines der Highlights, auch
aufgrund der Kulisse, ist zum Beispiel St. Moritz,
da spielt man auf einem gefrorenen See, ein
weiteres Highlight ist das Miami Beach Polo.
Für mich ist aber Warnemünde, genau wie das
Beach Polo auf Sylt, das Miami Europas. Es ist
einfach schön, dass man auch hier in Deutschland
den Polosport fördert. Matthias Ludwig,
der das Turnier hier seit elf Jahren veranstaltet,
macht das wunderbar.
W+M: Was sagst Du konkret zum Polo
in Warnemünde?
Jan-Erik Franck: Ich liebe den Sport und
wenn ich sehe, was für eine Menschenmenge
hier einfach vorbeikommt, zuschaut und sich
für Polo begeistert, dann ist das einfach toll.
Was ich in Deutschland und natürlich auch hier
in Warnemünde gerne sehen würde, dass man
noch mehr den öffentlichen Bereich erweitert
und so die Polofamilie immer größer werden
lässt. Mit der wachsenden Begeisterung
wächst dann auch der Sport.
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
76
WIRTSCHAFT+MARKT
GESELLSCHAFT
Overdressed schlägt
underdressed
Wie kleide ich mich richtig zum Vorstellungsgespräch? Diese Frage wird einer Maßschneiderin
besonders häufig gestellt, denn hier gilt es, nicht nur mit seinen beruflichen Fähigkeiten, sondern
auch durch ein passendes Äußeres zu glänzen.
VON BEATE LECLOUX,
INHABERIN VON CUT FOR YOU
Die perfekte Armlänge
dem immer flüchtigeren Zeitgeist gemeinsam
verwehen und nach Jahren auch wieder
erscheinen.
Stilsicher im mitternachtsblauen
Nadelstreifen
Zu den lieb gewonnenen Aufgaben einer
Maß schneiderin gehört, wenn vom Kunden gewünscht,
auch eine aktuelle Übersicht darüber
vermitteln zu können, welcher Kleidungsstil zu
welchem Anlass aus der Sicht der erfahrenen
Schneiderin empfehlenswert ist, welche stilvollen
Abweichungen von diesen Empfehlungen
möglich sind und welche textilen Fettnäpfchen
man auf gar keinen Fall betreten sollte.
Und wer wie die Verfasserin dieser Zeilen seit
vielen Jahren begeistert in ihrem Beruf tätig
ist, weiß auch, dass nur wenige Bekleidungsregeln
wirklich ehern sind, während viele mit
Interessant ist dabei für mich, dass die inneren
Werte – also Fertigungsqualität und Passform
– hochwertiger Bekleidung seit Jahren völlig
unabhängig von den bestimmenden Modetrends
auch und gerade von jungen Kunden
immer stärker beachtet werden.
Aber zum Thema: Neben der aktiven und
passiven Teilnahme an Hochzeiten gehört die
Vorbereitung des nächsten Karriereschrittes
zu den Ereignissen im Leben unserer Kunden,
zu denen häufig Kleidungstipps nachgesucht
werden. Anders gefragt: Was zieht man zum
Vorstellungsgespräch an?
Mir ist bewusst, dass die Leser dieses Wirtschaftsmagazins
in den allermeisten Fällen
keine Berufseinsteiger sind, deshalb gibt es
hier nur Tipps für Vorstellungsrunden für die
nächsten Karriereschritte.
Schuhe mit passenden Gürteln
Falls Sie sich nicht in der Werbebranche
vorstellen, wo unkonventionelles Styling ein
Wettbewerbsvorteil sein kann, beachten Sie
bitte folgende Tipps:
Holen Sie vorab so viele Informationen über Ihr
Zielunternehmen ein, wie Sie erhalten können.
Schauen Sie sich die Bilder auf der Website
an: Tragen die Herren in der Geschäftsführung
Krawatte, die Damen Blazer? Welche Kleidung
tragen Mitarbeiter, die vielleicht während
eines Meetings abgebildet wurden?
Berücksichtigen Sie dann die Regel in der
Überschrift: Seien Sie im Zweifel im Vorstellungsgespräch
immer ein wenig formeller
gekleidet als die Menschen, die Sie in der
Firma gesehen haben.
Foto: Scabal, Cut For You
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
MODE
WIRTSCHAFT+MARKT77
Tipps für die Herren
Verzichten Sie auf eine Kombination und tragen
Sie einen Anzug in dunklen Farben. Dunkelblau
geht immer, grau nur bei eher dunklem
Teint, schwarz nur bei sehr konservativen
Unternehmen. Bitte tragen Sie ein unifarbenes
oder dezent gestreiftes Hemd, kein T-Shirt
oder Pullover. Kurzärmelige Hemden sind auch
im Sommer ein No-go. Wenn Sie sich gegen
eine Krawatte entschieden haben, tragen
Sie in jedem Fall ein wertiges Einstecktuch in
Ihrem Sakko.
Achten Sie auf eine sehr gute Passform
sowohl Ihres Anzugs als auch Ihres Hemdes.
Wenn Sie sich in Ihrer Kleidung unwohl fühlen
und während des Gesprächs an Ihrem Ärmel
zupfen, wirken Sie unsicher.
Tipps für die Damen
Ich kann Ihnen nur empfehlen, für Ihr Vorstellungsgespräch
ein passformgenaues klassisches
Kostüm oder auch einen Hosenanzug
in eher dunklen Farben zu wählen. Bitte kein
Rot oder Gelb, das wirkt auf viele Personaler
aggressiv. Kombinieren können Sie Ihr Kostüm
mit einer farblich abgestimmten Bluse oder
einem wertigen Pullover.
Bitte verzichten Sie auf weniger als knielange
Röcke und tragen Sie auch im Hochsommer
immer eine Strumpfhose. Verwenden Sie
wenig und dezenten Schmuck. Tragen Sie
geschlossene Schuhe, in denen Sie wirklich
sicher laufen können.
Bitte richten Sie Ihr Augenmerk auf Ihre Schuhe.
Die sollten wertig, gepflegt und geputzt
sein und unbedingt die Farbe des unverzichtbaren
Gürtels aufgreifen. Der Klassiker:
Lassen Sie im Sitzen nie ihre Waden sehen –
tragen Sie ausreichend lange Socken.
Noch ein Tipp: Personaler achten darauf, wie
Sie mit Ihren persönlichen Sachen umgehen.
Lassen Sie also ihre Lieblingshandtasche mit
der unglaublichen Inhaltsvielfalt zu Hause und
verwenden Sie eine wertige Konferenzmappe
für Ihre Gesprächsunterlagen.
Foto: Randy Tarango
Fazit:
Wenn Sie diese kleinen textilen Ratschläge befolgen,
kann Ihrer weiteren Karriere fast nicht mehr im Wege stehen.
Übrigens freue ich mich, wenn Sie mich bei Fragen zu diesem Artikel
direkt anrufen oder mir eine E-Mail schicken.
Beate Lecloux
ist Inhaberin von Cut For You, dem
Maßbekleider für Damen und Herren,
mit Sitz in der Reinhardtstraße 38
in Berlin-Mitte.
www.cutforyou.com
www.facebook.com/cutforyouberlin
beate.lecloux@cutforyou.com
W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023
gültig ab 01. Januar 2023
MEDIADATEN 2023
Hoher Bekanntheitsgrad +++ Exzellente Positionierung in der Zielgruppe Unternehmer / Entscheider im Osten +++
Einmalig in der Verbreitung +++ Journalistische Qualität +++ Gute Vernetzung in Politik und Wirtschaft.
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tvA: 10.000 Exemplare
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und Interviews. Ideal für ergänzende
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und exklusiven Schwerpunkten
aus Ostdeutschland.
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und Herbst / Winter.
Fotos: W+M
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Zeitschriftenformat: 210 mm x 280 mm (B x H)
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Spaltenbreite: 59 mm
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Beschnittzugaben: oben 6 mm, an den Außenseiten
und unten je 3 mm.
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Die Preise gelten einheitlich bis 4c.
Format Anschnitt (mm) Satzspiegel (mm) Preis
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2 / 3 hoch 134 x 280 116 x 231 4.400 Euro
2 / 3 quer 210 x 186 176 x 154 4.400 Euro
1 / 2 quer 210 x 140 176 x 116 3.300 Euro
1 / 3 hoch 73 x 280 55 x 231 2.200 Euro
1 / 3 quer 210 x 93 176 x 77 2.200 Euro
1 / 4 quer 210 x 69 176 x 58 1.600 Euro
1 / 6 hoch 73 x 140 55 x 117 800 Euro
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Anzeigen- / Redaktionsschluss: 20.04.2023
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4. Umschlagseite (Rückseite): + 10 % Zuschlag
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Das W+M-Onlinemagazin ist das einzige Portal seiner Art. Es wird mit dem
Ziel betrieben, Unternehmern und Unternehmen in den neuen Bundesländern
und Berlin eine branchen- und verbändeübergreifende Kommunikationsplattform
zur Verfügung zu stellen.
Im W+M-Onlinemagazin unter wirtschaft-markt.de finden sich aktuelle News
sowie exklusive Interviews und Beiträge.
ONLINE FIRST –
VON ALLEM MEHR
Mehr Inhalte,
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Reichweite
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W+M-NEWSLETTER
wirtschaft-markt.de/weekly
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Eckdaten
Termine
Name: W+M Weekly
Erscheinungsweise: wöchentlich, mittwochs
Versand: per E-Mail via WordPress,
responsives Layout
Reichweite: ca. 7.500 Abonennten pro Ausgabe
ca. 10.000 Leser
Öffnungsrate: 29 – 35 %
Klickrate 6 – 20 %
Zielgruppe: Vertreter von Unternehmen, aus
Politik und Wissenschaft mit direktem Bezug
zu Ostdeutschland und Berlin, Journalisten,
Presseverantwortliche
Reichweite: 1.500 bis 5.000 Leser / Besucher
pro Nachricht
W+M-Weekly
Druckunterlagenschluss: 5 Tage vor
Erscheinungstermin
Erscheinungstermin: mittwochs
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Fotos: W+M
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leag.de/gwf