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WIRTSCHAFT+MARKT Herbst/Winter 2022/23

Wirtschaft+Markt ist das Wirtschaftsmagazin des Ostens. Es erscheint als Onlinemagazin unter wirtschaft-markt.de und zweimal jährlich als Printmagazin. Wöchentlich mittwochs erscheint W+M-Weekly

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WIRTSCHAFT+MARKT HERBST / WINTER 2022 / 2023

HERBST

WINTER

2022

2023

Die Highlights

aus dem W+M-

Onlinemagazin

wirtschaftmarkt.de

33. Jahrgang | Deutschland 9,50 €

DAS WIRTSCHAFTSMAGAZIN DES OSTENS

LAUSITZ

Forschungsinstitute

als Hoffnungsträger

POLITIK

Ministerpräsidenten

im Gespräch

CHEMIE

Eine Branche

trotzt der Krise


WIRTSCHAFT+

MARKT

Aktuelle

ostdeutsche

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EDITORIAL

KEINE ZEITENWENDE

OHNE LEIDENSDRUCK

UND INNOVATION

WIRTSCHAFT+MARKT3

Foto: Christine Fiedler

UUnser aktuelles Heft haben wir unter den

Titel ZEITENWENDE gestellt. Die Zeitenwende,

aufgerufen von Bundeskanzler Olaf

Scholz, verstand sich zwar als eine direkte

Reaktion auf den russischen Überfall auf

die Ukraine, mittlerweile ist die Dimension

des Begriffs aber weit über

die Sanktionen gegen Russland, die

Frank Nehring,

Chefredakteur

Neubewertung der Bundeswehr und

mit ihr der nationalen und europäischen Die Probleme beim Thema Fachkräfte

Verteidigung hinausgegangen.

sind seit langem bekannt, nur dass wir sie

erst heute richtig zu spüren bekommen.

Eine Zeitenwende anzukündigen, einzufordern

Wenn jetzt aber nicht nur Gastronomen

und dann auch umzusetzen, sind logi-

und Hoteliers den Mangel an Fachkräften

sche und miteinander verbundene Schritte. erleben, sondern branchenübergreifend

Solange sie zwar von Vernunft, aber nur offene Stellen existieren und das Thema

von Wünschen getragen wird, garantiert Arbeitskräfte auch für die Energiewende

sie noch nicht das Geschehen und schon existenzbedrohend wird, dann ist eine neue

gar nicht einen erfolgreichen Ausgang. Qualität erreicht.

Deshalb sind klare Ziele, die „alternativlos“,

besser noch für breite Teile der Gesellschaft

erstrebenswert sind, so wichtig. Und dafür Die Wirtschaftsinstitute prognostizieren

braucht es einen hohen Leidensdruck,

nicht nur ein geringeres Wachstum,

sonst bleibt alles beim Alten.

sondern auch eine länger andauernde

Rezession. Gerade in Ostdeutschland ist die

Der Ausstieg aus der Nutzung fossiler Sorge groß, dass die gute Entwicklung der

Energieträger ist beschlossene Sache. Die ostdeutschen Wirtschaft an Fahrt verliert

Ziele sind klar formuliert. Doch wer hätte und der soziale Frieden gefährdet ist.

gedacht, dass unsere geplante Erdgas- Wenn Sachsens Ministerpräsident Michael

Brückentechnologie aufgrund der aktuellen Kretschmer im W+M-Interview betont,

Entwicklungen in sich zusammenfällt. Wer dass die sächsische Wirtschaft krisen- und

hätte gedacht, dass es nun Verträge mit anpassungserprobt ist, sollte das auch für

neuen Erdgaspartnern und die fortgesetzte die gesamte Wirtschaftsregion Ost stimmen.

Nutzung von Braunkohle und Atomkraft

Auch wenn der Eindruck vorherrscht,

braucht, um den Umstieg auf erneuerbare dass alles der Staat richten kann und soll,

Energien abzusichern. Wer hätte gedacht, sollte die Innovationskraft der Wirtschaft

dass diese Entwicklung Unternehmen an nicht vergessen werden. Hier wird bereits

den Rand der Existenz bringt und ganze tatkräftig die Zeitenwende gelebt und

Branchen um ihre Zukunft bangen müssen. vollzogen. Viele Beispiele dafür können Sie

im vorliegenden Heft nachlesen.

Die Chemieindustrie, einer der größten

Erdgasverbraucher, steht vor riesigen

Bewahren Sie sich einen klaren Blick.

Herausforderungen. Wir haben deshalb

dieser Branche im Heft viel Aufmerksamkeit

Herzlichst

gewidmet.

Frank

Nehring

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4

WIRTSCHAFT+MARKT

INHALTSVERZEICHNIS

DIE HIGHLIGHTS AUS DEM

W+M-ONLINEMAGAZIN

WIRTSCHAFT-MARKT.DE

08

W+M ZEITENWENDE

08 Daten statt Kohle: Die Lausitz

im Wandel

12 Brandenburgs Wirtschaftsminister

Prof. Dr.-Ing. Jörg

Steinbach im Interview: „Das

Interesse der Investoren an

Brandenburg ist ungebrochen.“

14 Aletta von Massenbach, CEO

der Flughafengesellschaft

Berlin Brandenburg, über den

BER: Mehr Konnektivität für die

Region

16 Smart Country:

Aufbruch in der Stille

20 Berlins Regierende Bürgermeisterin

Franziska Giffey im

Interview: „ Wir sind die Stadt der

Freiheit und der Vielfalt.“

24 Sachsens Ministerpräsident

Michael Kretschmer im Interview:

„Die sächsische Wirtschaft ist

krisen- und anpassungserprobt.“

28 Sachsen-Anhalts Ministerpräsident

Reiner Haseloff

im Interview: „Das politische

Wollen mit dem Machbaren in

Übereinstimmung bringen.“

Lesen Sie das

ausführliche

Interview im

W+M-Onlinemagazin

W+M 20

ZEITENWENDE

Berlins Regierende Bürger meisterin

Franziska Giffey: „ Wir sind die Stadt

der Freiheit und der Vielfalt.“

Lesen Sie das

ausführliche

Interview im

W+M-Onlinemagazin

W+M 14

ZEITENWENDE

Flughafen BER: Mehr Konnektivität

für die Region

W+M ZEITENWENDE24

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer:

„Die sächsische Wirtschaft ist krisen- und

anpassungserprobt.“

W+M 16

ZEITENWENDE

Smart Country: Aufbruch in der Stille

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


INHALTSVERZEICHNIS

WIRTSCHAFT+MARKT5

Lesen Sie das

ausführliche

Interview im

W+M-Onlinemagazin

W+M ZEITENWENDE 28

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff:

„Das politische Wollen mit dem Machbaren in

Übereinstimmung bringen.“

Lesen Sie das

ausführliche

Interview im

W+M-Onlinemagazin

32

W+M BRANCHE

32 Die Hauptgeschäftsführerin der

Nordostchemie-Verbände Nora

Schmidt-Kesseler im Interview:

„Die aktuelle Krise lässt keine

Zeit für Experimente.“

34 Wachsender Standort:

Biopharmapark Dessau

36 Chiracon-CEO Ralf Zuhse

im Interview: Chiracon auf

Expansionskurs

38 Der Geschäftsführer der BASF

Schwarzheide Jürgen Fuchs im

Interview: „Die deutsche Industrie

braucht Planungs sicherheit.“

41 36 Top-Unternehmen der

Chemie- und Pharmaindustrie

42 Der Vorstandsvorsitzende der

EWE AG Stefan Dohler im Interview:

„Die Prozesse müssen

beschleunigt werden.“

W+M (3), Lena Giovanazzi, Günter Wicker / Flughafen Berlin Brandenburg GmbH, IDA Integrationsdorf Arendsee GmbH & Co. KG, Intel Corporation

W+M ZEITENWENDE 12

Brandenburgs Wirtschaftsminister Prof. Dr.-Ing. Jörg Steinbach im

Interview: „Das Interesse der Investoren an Brandenburg ist ungebrochen.“

50

W+M MANAGEMENT

50 Transformationsbarometer:

Ostdeutsche Entscheider halten

Standort für zukunftsfähig

52 Elitestudie: Ostdeutsche in

Führungskräftepositionen stark

unterrepräsentiert

54 Digital-Unternehmerin

Constanze Buchheim im Interview:

„Wir brauchen ein neues

Verständnis von Führung.“

44

W+M FACHKRÄFTE

44 Report: Der ostdeutschen Wirtschaft

gehen die Fachkräfte aus

48 Standort: Wie Intel 3.000

Fachkräfte nach Magdeburg

locken will

W+M FACHKRÄFTE 48

Standort: Wie Intel 3.000 Fachkräfte nach Magdeburg locken will

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


6

WIRTSCHAFT+MARKT

INHALTSVERZEICHNIS

56

W+M OWF

56 OWF-Preis VORSPRUNG: Die

sechs Preisträger 2022

56 Berlin: LAT Gruppe

57 Brandenburg: Orafol

Europe GmbH

58 Mecklenburg-Vorpommern:

Baumgarten Bootsbau

59 Sachsen: Packwise GmbH

60 Sachsen-Anhalt:

MECOTEC GmbH

61 Thüringen: PETKUS

Technologie GmbH

Lesen Sie das

ausführliche

Interview im

W+M-Onlinemagazin

Lesen Sie die

ausführliche

Serie im W+M-

Onlinemagazin

W+M BRANCHE 38

W+M BRANCHE 41

36 Top-Unternehmen der Chemie- und Pharmaindustrie

62

W+M INTERNATIONALE MÄRKTE

62 GTAI-Report: In der Krise

weltweit exportieren

62 GTAI-Report USA

64 GTAI-Report Polen

66 GTAI-Report Schweiz

68 GTAI-Report Kasachstan

69 GTAI-Report Vietnam

Der Geschäftsführer der BASF Schwarzheide GmbH

Jürgen Fuchs: „Die deutsche Industrie braucht

Planungssicherheit.“

Lesen Sie das

ausführliche

Interview im

W+M-Onlinemagazin

Lesen Sie das

ausführliche

Interview im

W+M-Onlinemagazin

W+M BRANCHE 42

Der Vorstandsvorsitzende der EWE AG Stefan Dohler:

„Die Prozesse müssen beschleunigt werden.“

W+M BRANCHE 32

Die Hauptgeschäftsführerin der Nordostchemie-

Verbände Nora Schmidt-Kesseler: „Die aktuelle Krise

lässt keine Zeit für Experimente.“

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


INHALTSVERZEICHNIS

WIRTSCHAFT+MARKT7

Lesen Sie das

ausführliche

Interview im

W+M-Onlinemagazin

W+M 54

MANAGEMENT

Digital-Unternehmerin Constanze

Buchheim „Wir brauchen ein neues

Verständnis von Führung.“

70

W+M GESELLSCHAFT

70 Weinkunde: Wintergenuss mit

großer Tradition

72 Berlin Capital Club:

Impressionen eines Jahres

74 Polo in Warnemünde –

ein wahres Highlight

76 Mode: Overdressed schlägt

underdressed

78

W+M

MEDIADATEN

2023

78 Wirtschaft + Markt

Mediadaten 2023

79 W+M-Printmagazin

80 W+M-Onlinemagazin

82 W+M-Newsletter

Fotos: W+M (2), BASF Schwarzheide GmbH, Moosen Assanimoghaddam, i-potentials GmbH / Anette Koroll, Rene Jungnickel, Gunnar Rosenow

W+M GESELLSCHAFT 70

Wintergenuss mit großer Tradition

IMPRESSUM

WIRTSCHAFT+MARKT

Das Ostdeutsche Unternehmermagazin

Ausgabe: Herbst / Winter 2022 / 2023

Redaktionsschluss: 9.10.2022

Verlag: W+M Wirtschaft und Markt GmbH

c/o Prima Vier Nehring Verlag GmbH,

Gustav-Freytag-Str. 7, 10827 Berlin

Tel.: 030 505638-00

info@wirtschaft-markt.de

redaktion@wirtschaft-markt.de

www.wirtschaft-markt.de

Geschäftsführer:

Frank Nehring, frank.nehring@wirtschaft-markt.de

Chefredaktion:

Frank Nehring / Matthias Salm (stv.)

Autoren:

Karl-Heinz Dahm, Christopher Fuß, Bernd Holthaus, Beate

Lecloux, Aletta von Massenbach, Frank Nehring, Matthias

Salm, Frauke Schmitz-Bauerdick, Jan Triebel, Ullrich Umann

Hinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in

diesem Magazin auf eine durchgehende geschlechtsneutrale

Differenzierung (z. B. Teilnehmer / Teilnehmerinnen) verzichtet.

Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung

grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform

hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.

W+M GESELLSCHAFT 74

Polo in Warnemünde – ein wahres Highlight

Service:

Abo- und Anzeigenverwaltung sowie Marketing

und Vertrieb, info@wirtschaft-markt.de

Layout & Design:

MÖLLER PRO MEDIA ® GmbH, www.moellerpromedia.de

Druck: Silber Druck oHG

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Kopien nur

mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht

mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen.

Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos

übernehmen wir keine Haftung.

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


8

WIRTSCHAFT+MARKT

ZEITENWENDE

Die Pilotanlage Cobra in der Versuchshalle in Cottbus.

DATEN STATT KOHLE –

DIE LAUSITZ IM WANDEL

Wo einst der Tagebau die Landschaft prägte, sollen bald Daten aus dem All gesammelt, verbrauchsarme Flugzeuge

erdacht und das Wasserstoff-Zeitalter eingeläutet werden. In der Lausitz steht Spitzenforschung von internationalem

Rang vor dem Start.

VON MATTHIAS SALM

DDie Lausitz als Tor zum Weltall: Ende September

gab das Bundesministerium für Bildung

und Forschung die Sieger im Wettbewerb

um zwei neue Großforschungszentren in den

ehemaligen ostdeutschen Braunkohlerevieren

bekannt. Während in Sachsen-Anhalt als

bedeutendem Chemiestandort folgerichtig das

„Center for the Transformation of Chemistry“

(CTC) angesiedelt wird, entsteht in der

sächsischen Lausitz für viele eher ein wenig

überraschend das Deutsche Zentrum für

Astrophysik (DZA). Das DZA basiert auf einer

gemeinsamen Initiative der Astronomie und

Astroteilchenphysik in Deutschland. Aus über

100 Ideenskizzen hatten es sechs Projekte im

letzten Jahr auf die Shortlist des Bundesforschungsministeriums

geschafft. Dem CTC und

dem DZA trauen die Experten nun am ehesten

zu, das Gesicht der Lausitz tiefgreifend zu

verändern.

Als treibende Kraft der Bewerbung und

designierter Gründungsdirektor des DZA

steht mit dem wissenschaftlichen Direktor

der Europäischen Weltraumorganisation

ESA, Prof. Dr. Günther Hasinger, ein Star der

globalen Astroforscherszene in den Startlöchern:

„Dieser Wettbewerb eröffnete neue

Perspektiven, für die Regionen in Sachsen

und für unsere Gesellschaft“, sagt Hasinger.

Dass Astrophysik keine abgehobene Wissenschaft

ist, betonen die Macher des DZA

dabei ausdrücklich: „Astrophysik war und

ist eine Hightech-Wissenschaft mit großer

Innovations kraft. Gleitsichtbrillen, Ceranfelder,

wesentliche Bestandteile von Mobiltelefonen,

Foto: DLR

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


LAUSITZ

WIRTSCHAFT+MARKT9

Navis oder schnelle elektronische Banküberweisungen

via Satellit – das alles gibt es dank

astronomischer Forschung.“ Den Praxiswert

der Astrophysik betonen die DZA-Initiatoren

nicht ohne Grund. Denn mancher in der Lausitz

hätte lieber eine andere Entscheidung mit einem

stärkeren Bezug zu den wirtschaftlichen

Traditionen der Region gesehen.

Mehr Daten als im Internet

Im ersten Schritt wird die astronomische

Spitzenforschung am DZA das gesamte

elektromagnetische Spektrum bis hin zu den

Gravitationswellen abdecken. Im zweiten

Schritt werden im DZA Datenströme aus aller

Welt verarbeitet, auch die Daten zukünftiger

Großteleskope sind eingeplant wie

etwa die des Square Kilometre Array oder

des Einstein-Teleskops, ein europäisches

Großprojekt. Letzteres, so die Vision, könnte

Gravitationswellen entdecken, die ein neues

Bild vom Universum schaffen würden. Um die

Dimension zu veranschaulichen: Die Daten

dieser Teleskope machen ein Mehrfaches des

Datenverkehrs im heutigen Internet aus. Diese

zu sammeln und zu verarbeiten, erfordert

gänzlich neue Technologien.

Der dritte Schritt wird dann ein Technologiezentrum

sein, an dem neue Halbleitersensoren,

Silizium-Optiken und Regelungstechniken

für Observatorien entwickelt werden sollen.

Und hier entstehe der direkte Nutzen, versprechen

die Astrophysiker: Vor allem im Bereich

der optischen Technologien und der Halbleitertechnik

sehen die Forscher enormes wirtschaftliches

Potenzial und die Chance, sich in

der Mikroelektronik unabhängiger von anderen

Wasserstoff soll in vielen Bereichen fossile Brennstoffe ersetzen.

Märkten aufzustellen – ein brennend aktuelles High-Tech und Hollywood

Thema. Firmen für neuartige Halbleiter-Sensorik,

Regelungstechnik, Mechanik oder Optik Bisher rührte der internationale Bekanntheitsgrad

der östlichsten Stadt Deutschlands eher

sollen um das Zentrum wachsen. Standort des

DZA wird ein Campus für Spitzenforschung auf daher, dass ihre historischen Fassaden als

dem Kahlbaum-Areal in Görlitz sein.

Kulisse für Filme aus der Traumfabrik Hollywood

dienen. Nun könnte sich Görlitz in die

Bevor die Daten aus dem Weltall gesammelt Liga nationaler und internationaler Standorte

werden, geht es aber vielleicht erst einmal in für Spitzenforschung katapultieren. Denn die

die Tiefe. Die seismographischen Bedingungen

im Granitgestein der Lausitz will das DZA Wissenschaftler, die es an die Neiße zieht.

Astrophysiker sind beileibe nicht die einzigen

für seine Forschung und Entwicklung neuer Auch die Forscher der Fraunhofer-Institute für

Geräte nutzen. Zwischen Hoyerswerda, Bautzen

und Kamenz soll in einem unterirdischen sowie Windenergiesysteme IWES wollen dort

Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU

Tunnelsystem ein Forschungslabor, das Low ihre Zelte aufschlagen und am Hydrogen Lab

Seismic Lab, errichtet werden. Die Förderung Görlitz (HLG) innovative Lösungen für großindustrielle

Wasserstofftechnologien entlang

sieht eine dreijährige Aufbauphase vor. Die TU

Dresden wird die Projektträgerschaft übernehmen

und ihr Know-how in Data Analytics, möglichen: grüne H 2

der gesamten H 2

-Wertschöpfungskette er-

-Produktion mittels Elektrolyse,

H 2

Künstlicher Intelligenz und High Performance

-Speicherung in Röhrenspeichern

Computing einbringen.

und H 2

-Nutzung in Gasturbinen vorrangig für

Görlitz wird zum Standort des Zentrums für Astrophysik.

Fotos: DLR / Thomas Ensting, Nikolai Schmidt (unten)

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


10

WIRTSCHAFT+MARKT

ZEITENWENDE

300 Grad Celsius erzielen.“ Langfristig sollen

auch Temperaturen bis 500 Grad Celsius möglich

sein. Den Bau der Anlage wickelte das DLR

vorrangig mit Betrieben aus der Region ab.

Prof. Welf-Guntram Drossel, geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer IWU, erläutert Octavian Ursu,

Oberbürgermeister der Stadt Görlitz, und Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig den aktuellen Stand beim

Aufbau des Hydrogen Lab Görlitz (v. l. n. r.)

die Bereiche Industrie, Quartiere und Mobilität.

Für Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig

eine Fortführung der energiewirtschaftlichen

Historie der Region: „Unser Ziel ist es, dass

die Lausitz auch nach dem Strukturwandel die

Energieregion im Land bleibt. Das Hydrogen

Lab Görlitz leistet dafür einen entscheidenden

Beitrag.“

Den wirtschaftlichen Aspekt sieht auch Prof.

Welf-Guntram Drossel, geschäftsführender

Institutsleiter des Fraunhofer IWU, im Vordergrund.

„In der Produktion innovativer Wasserstoff-Systemkomponenten

steckt viel Potenzial

für neue Wertschöpfung und hochwertige

Arbeitsplätze. Gerade die Unternehmen in

der Lausitz können sich an die Spitze eines

Technologiewandels hin zu Klimaschutz und

nachhaltiger Wettbewerbsfähigkeit stellen.“

Noch ist es allerdings nicht so weit. „Auch wir

sind von gestörten Lieferketten und Preissteigerungen

betroffen, die wiederum Umplanungen

erforderlich machen, aus denen sich oft

weitere Verzögerungen ergeben. Daher gehen

wir nun davon aus, das Hydrogen Lab Görlitz

(HLG) Ende 2023 in Betrieb nehmen zu können“,

so Institutssprecher Andreas Hemmerle

auf W+M-Anfrage.

Wärmewende in der Industrie

100 Kilometer weiter nördlich, im brandenburgischen

Cottbus, ist man da schon weiter. „Es

geschieht gerade ungemein viel in der Region“,

freut sich Prof. Dr. Uwe Riedel. Riedel leitet das

2019 gegründete Institut für CO 2

-arme Industrieprozesse

des Deutschen Zentrums für Luft-

und Raumfahrt (DLR) in Cottbus und Zittau.

Im Mittelpunkt der Forschungsarbeit des Instituts

steht die Dekarbonisierung großer energieintensiver

Industriebereiche. Einen passenderen

Standort als Brandenburg hätte man dafür

kaum wählen können. Ob die Chemieindustrie

in Schwarzheide, die Papierproduktion und

Petrochemie in Schwedt, die Zementherstellung

in Rüdersdorf oder die Stahlproduktion in

Eisenhüttenstadt – Brandenburgs Schlüsselindustrien

sind allesamt Energiefresser und

CO 2

-Emittenten in großem Maßstab.

Ein Forschungsschwerpunkt der Cottbuser

sind Hochtemperatur-Wärmepumpen auf

Basis erneuerbarer Ressourcen für industrielle

Prozesse. Sie sollen den Einsatz fossiler

Brennstoffe in der Industrie entbehrlich

machen. „Für viele industrielle Bedarfe sind

Temperaturen von 150–300 Grad Celsius ausreichend“,

erklärt Institutsleiter Riedel. Eine

Versuchsanlage, die Hochtemperatur-Wärmepumpe

CoBra, haben die DLR-Forscher bereits

in Betrieb genommen. „Wir können bisher

weltweit einmalige Werte beim Temperaturhub

und der Wärmeabgabe-Temperatur von

DLR-Institutsleiter Prof. Dr. Uwe Riedel: „Es

geschieht gerade ungemein viel in der Region.“

Neben Cottbus unterhält das DLR-Institut

noch einen zweiten Standort in Zittau.

Während in Cottbus mit Luft oder Edelgasen

als Arbeitsmedien geforscht wird, arbeitet die

Pilotanlage in Zittau mit Wasser. Zudem werden

in Cottbus „digitale Zwillinge“ von realen

Produktionsanlagen erstellt, um den Einsatz

erneuerbarer Energien in den Produktionsprozessen

etwa der Stahlindustrie simulieren zu

können. Die Entwicklung allerdings, dämpft

Institutsleiter Riedel überzogene Erwartungen,

benötige Zeit. In drei bis fünf Jahren könne

eine Demonstrator-Anlage in der Industrie

zum Einsatz kommen.

Anziehungskraft entwickeln die neuen

Forschungseinrichtungen in der Lausitz aber

jetzt schon, ist Prof. Dr. Uwe Riedel überzeugt:

„Rund 30 Prozent unserer Institutsbeschäftigten

sind von außerhalb zugezogen.“

Neben dem Institut für CO 2

-arme Industrieprozesse

hat das DLR 2021 in der Universitätsstadt

auch noch das In sti tut für Elek tri fi zier te

Luft fahrt an trie be gegründet. Hier werden

emissionsärmere und stärker elektrifizierte

Luftfahrtantriebe für zivile Transportflugzeuge

entwickelt, gemeinsam mit der BTU

Cottbus-Senftenberg, aber auch mit dem

Triebwerkshersteller Rolls-Royce. An der BTU

ist das Zentrum zur Erforschung hybrid-elektrischer

und elektrischer Systeme für den

Mobilitätssektor erster Ansprechpartner.

Das Center for Hybrid Electric Systems

Cottbus (CHESCO) sucht nach alternativen

Antrieben zunächst in der Luftfahrt, später

aber auch in den Bereichen Automobil, Bahn

und Schifffahrt.

Überhaupt fungiert die Brandenburgische

Technische Universität Cottbus-Senftenberg

als Dreh- und Angelpunkt beim Strukturwandel,

beispielsweise bei der Zusammenarbeit

mit der Fraunhofer-Einrichtung für

Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG.

So untersucht z. B. der gebürtige Cottbuser

und Lausitz-Rückkehrer Prof. Dr. Mario

Ragwitz in einer gemeinsamen Professur

des Fraunhofer IEG und der BTU ganzheitlich

integrierte Energieinfrastrukturen des Strom-,

Wärme- und Gassektors und der energierelevanten

IT-Infrastrukturen. Ragwitz ist zudem

Fotos: SMWA/Ronald Bonss, DLR (unten)

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


LAUSITZ

WIRTSCHAFT+MARKT11

Sprecher des Wasserstoff-Netzwerkes der

Fraunhofer-Gesellschaft. Seit seiner Gründung

im Jahre 2020 unterstützt das Fraunhofer IEG

Energieversorger, Netzbetreiber, Industrieunternehmen,

Wohnungsbaugesellschaften und

Kommunen bei der Transformation der Energieinfrastrukturen

mit markt- und anwendungsnaher

Forschung.

.

Ein Science Park für Cottbus

Foto: BTU Cottbus–Senftenberg

Ein großes und prägendes Vorhaben im Strukturwandel

der Kohleregion Lausitz der kommenden

Jahre steht allerdings noch auf dem

Papier – der Lausitz Science Park. Hier haben

sich BTU, DLR, Fraunhofer-Gesellschaft, die

Leibniz-Gemeinschaft und Unternehmen

wie BASF, LEAG und Rolls Royce gemeinsam

verpflichtet, einen Technologie- und Innovationspark

mit den Themen „Energiewende

und Dekarbonisierung“, „Gesundheit und Life

Sciences“, „Globaler Wandel und Transformationsprozesse“

sowie „Künstliche Intelligenz und

Sensorik“ am Rande des BTU-Campus entste-

Der Campus der BTU Cottbus

hen zu lassen. 10.000 Arbeitsplätze und Raum

für 200 kleine und mittelständische Unternehmen

nach dem Vorbild des Wissenschafts- und

Technologieparks Adlershof in Berlin, so lautet

die Vision. „Städtischerseits sind die planerischen

Grundlagen für die Bebauung weiter

voranzutreiben. Diese Prozesse werden noch

einige Jahre in Anspruch nehmen, vermutlich

bis etwa 2026“, schätzt der Pressesprecher

der Stadt, Jan Gloßmann. Erst dann wird sich

zeigen, ob und wie die Spitzenforschung das

neue Gesicht der Lausitz prägen wird.

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12

WIRTSCHAFT+MARKT

ZEITENWENDE

„DAS INTERESSE

DER INVESTOREN AN

BRANDENBURG IST

UNGEBROCHEN“

Prof. Dr.-Ing. Jörg Steinbach, Minister für Wirtschaft,

Arbeit und Energie in Brandenburg, über

die Folgen der Energiekrise für die brandenburgische

Wirtschaft, den Mangel an Fachkräften und

die Attraktivität des Landes für Großinvestoren.

werden sollen. Diese Fragen müssen nun

möglichst schnell geklärt werden, denn den

Unternehmen fehlt es gegenwärtig vor allem

an Planungssicherheit.

W+M: Die so genannte Zufallsgewinnsteuer

ist durchaus umstritten. Befürworten Sie eine

solche Steuer?

W+M-Verleger Frank Nehring traf Brandenburgs

Wirtschaftsminister Prof. Dr.-Ing. Jörg Steinbach

zum Interview in Potsdam.

W+M: Herr Steinbach, das dritte Entlastungspaket

der Bundesregierung soll die

Folgen der massiven Steigerung der Energiepreise

für Bürgerinnen und Bürger und

für die Unternehmen abmildern. Reichen die

geplanten Maßnahmen aus Ihrer Sicht für die

brandenburgische Wirtschaft aus?

Jörg Steinbach: Das aktuelle dritte Entlastungspaket

der Bundesregierung weist mit

Maßnahmen wie der Energiepreiskappung

und der Abschöpfung von Zufallsgewinnen in

jedem Fall in die richtige Richtung. Allerdings

weiß im Augenblick noch niemand konkret, wie

diese Maßnahmen ausgestaltet und finanziert

Jörg Steinbach: In dieser Frage gibt es ja

zwei unterschiedliche Philosophien: Eine

Möglichkeit zur Finanzierung der Entlastungspakete

wäre eine Aufhebung der Schuldenbremse.

Dann ließe sich die Finanzierung über

eine Kreditaufnahme bewerkstelligen. Dazu

müsste analog zum Vorgehen in der Coronakrise

eine außergewöhnliche Notlage festgestellt

werden.

Hält man hingegen an der Schuldenbremse

fest, kommt als alternative Finanzierungsmöglichkeit

die Zufallsgewinnabführung ins

Spiel. Welche Variante wirtschaftlich nachhaltiger

ist, können Volkswirte besser beurteilen.

Aus der Sicht eines Bundeslandes tendiere

ich eher zur Nettokreditaufnahme, denn eine

Abschöpfung von Zufallsgewinnen können wir

auf Landesseite nicht vornehmen.

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


BRANDENBURG

WIRTSCHAFT+MARKT13

Fotos: W+M

Wirtschaftsminister in schwierigen Zeiten:

Prof. Dr.-Ing. Jörg Steinbach

W+M: Gibt es in der brandenburgischen

Wirtschaft denn auch Profiteure der Energiekrise?

Jörg Steinbach: Das lässt sich nicht so

einfach beurteilen: Es gibt natürlich Unternehmen,

die von den hohen Verkaufspreisen im

Energiebereich profitieren. Aber die Medaille

hat auch hier zwei Seiten. Denn auf der Einkaufsseite

müssen diese Unternehmen jetzt

eine vielfach höhere Liquidität zur Absicherung

der Transaktionen bereithalten. Im Zweifelsfall

bewerten sie die daraus möglicherweise

resultierenden Liquiditätsprobleme höher als

die erzielten Gewinne.

W+M: Der Lieferstopp beim russischen Gas

hat die Frage nach den Abhängigkeiten der

deutschen Wirtschaft von Importen auf die

Tagesordnung gebracht. Funktioniert internationaler

Handel überhaupt ohne Abhängigkeiten

auch von Ländern, die unsere Werteordnung

nicht teilen?

Jörg Steinbach: Ich habe beruflich viele Jahre

in der chemischen Industrie verbracht. Dort

habe ich gelernt, sich nicht in die Abhängigkeit

eines einzigen Rohstofflieferanten zu begeben.

Dieses Prinzip wurde in der Energiepolitik

lange Zeit vernachlässigt. Wir müssen nun

noch stärker in einem europäischen Kontext

agieren. Wir müssen auch deutlicher den Wert

der europäischen Gemeinschaft kommunizieren,

den Menschen erklären, wie notwendig es ist,

in dieser Gemeinschaft zusammenzuarbeiten

statt Partikularinteressen zu verfolgen.

W+M: Es gibt Stimmen in der Politik, auch

unter den ostdeutschen Ministerpräsidenten,

die die Wirksamkeit der Sanktionen gegen

Russland anzweifeln. Empfinden Sie die Sanktionen

nach wie vor als gerechtfertigt?

Jörg Steinbach: Ich habe mich mit dieser

Frage zuletzt intensiv beschäftigt. Es liegen

belastbare Zahlen vom Europäischen Rat über

die Folgen der Sanktionen vor. Dort lässt sich

nachlesen, dass die russischen Im-und Exporte

um 30 bis 35 Prozent eingebrochen sind, auch

auf den Gebieten, in denen Russland zur Fortführung

des Krieges auf Importe angewiesen

ist, etwa bei der Hochtechnologie.

Die Politik hat zu wenig veranschaulicht, dass

wirtschaftliche Sanktionen einen langen Atem

erfordern und erst dann eine nachhaltige

negative Wirkung auf die russische Wirtschaft

ausüben. Ich schätze diese Wirkung als deutlich

gravierender ein als mancher andere in der

politischen Diskussion, aber nicht aus einem

Gefühl heraus, sondern auf der Basis von Fakten

und Daten, die uns zur Verfügung stehen.

W+M: Die Wirtschaft der Bundesrepublik

steht ganz unabhängig von den Folgen des

Ukraine-Krieges vor einem gewaltigen Umbau

in Sachen Klimaschutz. Wie ist Brandenburgs

Wirtschaft darauf vorbereitet?

Jörg Steinbach: Wir erleben zurzeit zwei

gegenläufige Bewegungen. Auf der einen

Seite sind private Haushalte, Kommunen und

Unternehmen bestrebt, möglichst schnell mehr

Autarkie bei der Energieversorgung zu gewinnen.

Auf der anderen Seite sollen die Unternehmen

ihre Prozesse und Verfahren dekarbonisieren.

Die dafür notwendigen Investitionen

werden aber angesichts der hohen Kostenbelastungen

momentan hinausgeschoben.

W+M: Wie steht denn Brandenburg in

Sachen Ausbau der erneuerbaren Energien im

Vergleich zu anderen Bundesländern da?

Jörg Steinbach: Wir stehen im bundesdeutschen

Vergleich an zweiter Stelle der Bundesländer.

Diese Spitzenstellung hilft uns auch

bei Gesprächen mit Investoren, das stellen wir

immer wieder fest. Wir dürfen uns darauf aber

nicht ausruhen, denn die Elektrifizierung etwa

der Mobilität oder die Umstellung der Verfahren

in der chemischen Industrie erfordert

noch deutlich mehr an erneuerbarer Stromerzeugung.

Wir befinden uns auf der Mitte des

Weges, aber wir müssen unsere Anstrengungen

verdoppeln, um bis 2045 Klimaneutralität

zu erreichen.

W+M: Grüner Wasserstoff ist in der Energiefrage

mittlerweile zum Hoffnungsträger avanciert.

Wann ist mit dessen Einsatz realistisch

zu rechnen?

Jörg Steinbach: Die Prognosen gehen davon

aus, dass 2027 die vorhandenen technischen

Ideen praxistauglich sein werden. Das ist auch

ein realistischer Zeitraum für den Ausbau der

Infrastruktur, etwa der Wasserstoffpipeline

von Rostock in den mitteldeutschen Raum und

die daran angebundenen lokalen Verteilnetze.

Ich bin mir sicher, dass die Welt der Energieversorgung

2030 eine deutlich andere sein

wird als heute. Bei vielen Entwicklungen, sei

es die Batterietechnologie oder die Nutzung

der Geothermie, haben wir in Deutschland

immer nur reagiert, deshalb sind wir gegenüber

anderen Wirtschaftsräumen bis zu zehn

Jahre im Rückstand. Das muss sich ändern, wir

müssen bei solchen technischen Entwicklungen

wieder vor die Welle kommen.

W+M: Werden die hohen Energiekosten des

Standorts jetzt zu einem Hindernis für die

Ansiedlung von Investoren in Brandenburg?

Jörg Steinbach: Wir bewerben uns gegenwärtig

um 35 Großinvestitionsprojekte, das

sind Projekte ab einem Investitionsvolumen

von über 100 Millionen Euro oder bei denen

mehr als 100 Arbeitsplätze geschaffen werden.

Natürlich stehen wir bei diesen Projekten

in einem europäischen Wettbewerb. Ich wäre

zufrieden, wenn es zwei bis drei Ansiedlungen

geben würde und bin zuversichtlich, dass wir

bis zum Ende der Legislaturperiode Erfolge

verkünden können. Das Interesse der Investoren

an Brandenburg ist ungebrochen.

W+M: Eine abschließende Frage. Die aktuelle

Ausgabe des Magazins Wirtschaft+ Markt

steht unter dem Titel „Zeitenwende“. Was

verbinden Sie mit dem Begriff?

Jörg Steinbach: Für mich wäre es eine

Zeitenwende, wenn es uns gelänge, dass die

Gesellschaft wieder zu ihren Werten zurückfindet

und näher zusammenrückt statt weiter

auseinanderzudriften.

Interview: Frank Nehring

Lesen Sie das

ausführliche

Interview im

W+M-Onlinemagazin

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


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WIRTSCHAFT+MARKT

ZEITENWENDE

Der Flughafen BER wächst.

MEHR KONNEKTIVITÄT

FÜR DIE REGION

Die ostdeutsche Wirtschaft muss mit der Welt verbunden werden – über den Flughafen BER. Es geht

um die Konnektivität für die neuen Produktionsstandorte für Batterien, Halbleiter oder Elektroautos.

VON ALETTA VON MASSENBACH

DDer Osten Deutschlands ist eine der attraktivsten

Wirtschaftsregionen Europas. Das sehen

nicht nur wir in der Region Berlin-Brandenburg

so. Auf dem Ostdeutschen Wirtschaftsforum

im Juni in Bad Saarow beschrieb Bundeskanzler

Olaf Scholz die ostdeutschen Bundesländer als

eine „Region im Vorwärtsgang“.

Obwohl sich das Fluggastaufkommen am

Flughafen Berlin Brandenburg im Jahr 2022

mit 18 Millionen Passagieren gegenüber

zehn Millionen in 2020 fast verdoppelt hat,

wird der Bundeskanzler bei „Vorwärtsgang“

wahrscheinlich nicht an den BER und seine

Bedeutung für die Hauptstadtregion gedacht

haben. Oder vielleicht doch?

Märkte brauchen Anbindung

Der BER muss der Flughafen sein, der die

„Region im Vorwärtsgang“ in Bewegung hält.

Es geht dabei um die Konnektivität, die die

neuen ostdeutschen Produktionsstandorte

für Batterien, Halbleiter oder Elektroautos

brauchen. Deren Märkte reichen weit über

Ostdeutschland hinaus und müssen von

Arnstadt, Magdeburg oder Grünheide aus

über den BER gut zu erreichen sein. Denn

wenn die Firmengründerinnen und -gründer,

die unsere Region für sich ausgewählt

haben, nach ihren Entscheidungskriterien

gefragt werden, dann ist die jederzeit gute

Erreichbarkeit ihrer weltweiten Märkte bzw.

ihres Produktionsstandortes ein entscheidendes

Argument.

Ohne die herausragende Bedeutung der

Ansiedlung von Hightech-Produktionsstandorten

in unserer Region zu unterschätzen, geht

die Aufgabe des BER darüber hinaus. Er muss

Märkte erreichbar machen. In den Flugzeugen,

die am BER starten oder landen, sitzen längst

nicht nur Geschäftsleute. Zahlenmäßig haben

der Tourismus und der gegenseitige Besuch von

Freunden und Familien den größten Anteil an

unserem Passagieraufkommen. Auch diesem

Bedarf muss der BER als drittgrößter Flughafenstandort

bundesweit und bedeutendster

Flughafen Ostdeutschlands gerecht werden.

Foto: Annika Bauer/Flughafen Berlin Brandenburg GmbH

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


FLUGHAFEN BER

WIRTSCHAFT+MARKT15

Bis zu einer neuen Verbindung, einem neuen

Ziel, das vom BER aus zu erreichen ist, kann

es ein langer Weg sein. Dass wir in diesem

Sommer innerhalb sehr kurzer Zeit unsere Verbindung

nach New York mit dem Angebot einer

neuen Airline verstärken konnten und dass es

seit August Direktflüge nach Los Angeles gibt,

waren erfreuliche Ausnahmen.

Region braucht Konnektivität

Der BER ist das Tor Ostdeutschlands zur Welt.

Fotos: Günter Wicker/ Flughafen Berlin Brandenburg GmbH, Fabian Sommer - dpa (unten)

Um die wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands

auch in Zukunft mit der passenden

Konnektivität bedienen zu können, müssen

wir am BER die Erfordernisse der Region

noch besser kennen und besser verstehen. Wir

brauchen verlässliche Daten und Informationen,

um die Airlines zu überzeugen, dass es

wirtschaftlich Sinn ergibt, den Flughafen BER

und damit die gesamte Region in ihr Flugangebot

aufzunehmen.

Das Intel-Werk in Magdeburg ist sicher ein guter

Opener für Gespräche mit den Airlines über

die weltweite Wahrnehmung Sachsen-Anhalts

als Wirtschaftsstandort. Aber man muss

kein Luftfahrtexperte sein, um zu erkennen,

dass das Intel-Werk allein noch keine neue

Verbindung nach San Francisco rechtfertigen

würde. Was aber, wenn wir wüssten, welche

weiteren Beziehungen zwischen den ostdeutschen

Wirtschaftskernen und der Bay Area

existieren? Und wenn dann noch die Information

dazu käme, wie groß das Interesse von

amerikanischen Touristen aus der Bay Area

daran ist, den Ostteil von „good old Germany“

zu sehen, könnte daraus ein Business Case für

eine Airline und somit eine neue Verbindung

Ostdeutschlands in die Welt entstehen. Das

Beispiel macht deutlich, dass es für Fluglinien

sicher eine Menge guter Gründe gibt, den

Flughafen BER in ihr Streckennetz aufzunehmen.

Werthaltige Informationen über die

Attraktivität und die wirtschaftlichen Vorteile

solcher Verbindungen können aber weit über

die ostdeutschen Bundesländer verteilt sein.

Gemeinsam an der Story arbeiten

Die Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg

hat diese Herausforderung bereits erkannt

und im ersten Schritt einen Austausch mit den

Tourismusverbänden der Länder intensiviert.

Der touristische Verkehr wird bis auf Weiteres

den zahlenmäßig größten Anteil am Flugverkehr

des BER haben. Die Flughafengesellschaft

wird die Informationsgewinnung ausweiten und

so schrittweise immer mehr Argumente dafür der BER infrastrukturell über beste Voraussetzungen

für eine umfassende regionale

sammeln, warum es aus Sicht der internationalen

Airlines eine gute Entscheidung sein Anbindung. Die Verbindungen nach Berlin sind

kann, die Destination BER in ihre Streckennetze bereits jetzt gut und werden in den kommenden

Jahren sogar noch ausgebaut. Doch schon

aufzunehmen.

die Erreichbarkeit der Brandenburger Landeshauptstadt

Potsdam ist schwierig. Zwar gibt

Regelmäßige Tagungen wie das Ostdeutsche

Wirtschaftsforum helfen uns, die notwendigen

Kontakte und Impulse zu bekommen. Es dung von Chemnitz und Dresden nach Rostock

es seit dem Sommer eine direkte Zugverbin­

sollte aber auch im Interesse der ostdeutschen über den BER. Von den Landeshauptstädten

Bundesländer und ihrer Wirtschaftsförderungen

liegen, uns solche Informationen zur einzige mit einer direkten Zugverbindung an

in Ostdeutschland ist aber weiterhin keine

Verfügung zu stellen. Natürlich ist es unsere den BER angebunden.

Aufgabe, mit den Airlines über neue Verbindungen

zu reden und diese dann auch tatsächlich

an den BER zu holen. Informationen über der Flughafen herstellen soll und muss, ist eine

Die Verbindung der Region mit der Welt, die

die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes zu wichtige Aufgabe für die kommenden Jahre.

sammeln, zu Argumenten zu verdichten und Dazu bedarf es eines gemeinsamen Vorgehens.

Das kommende Ostdeutsche Wirt­

daraus eine gute Story über eine „Region im

Vorwärtsgang“ zu formen, muss aber unser schaftsforum im Sommer 2023 könnte dazu

gemeinsames Interesse sein. Wir freuen uns den Startschuss geben. Als ambitioniertes Ziel

über jeden Hinweis, jede Studie oder Statistik, könnte formuliert werden, dass der Flughafen

die dazu beitragen kann.

in der Hauptstadtregion aus jeder Landeshauptstadt

Ostdeutschlands in weniger als

Ostdeutschland an BER anbinden einer Stunde mit dem Zug erreichbar ist, damit

die Wirtschaftskerne Ostdeutschlands durch

Die bedarfsgerechte Konnektivität der Region schnelle Verbindungen zusammenzurücken.

zu erhalten und zu verbessern, hat einen weiteren

wichtigen Aspekt: Es geht um die Frage biet des BER vergrößern. Sie könnte am Ende

Eine solche Vernetzung würde das Einzugsge­

der ersten und der letzten Meter, also um die das entscheidende Argument dafür sein, dass

Erreichbarkeit des BER aus der Region selbst. sich weitere Airlines für den BER interessieren

Mit dem Autobahnanschluss und vor allem mit und neue Verbindungen in die ostdeutsche

seinem Bahnhof unter dem Terminal verfügt Region aufnehmen.

Aletta von Massenbach

Aletta von Massenbach ist seit Oktober 2021 CEO

der Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg. Die

studierte Juristin wechselte 2020 von der Fraport AG

zunächst als Kaufmännische Geschäftsführerin zur

Flughafen Berlin Brandenburg GmbH.

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


16

WIRTSCHAFT+MARKT

ZEITENWENDE

AUFBRUCH IN DER STILLE

Die Gigafabriken in Grünheide und Magdeburg und der milliardenschwere Umbau der Braunkohlereviere bestimmen

die Schlagzeilen in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Droht dabei der ländliche Raum auf der Strecke zu bleiben?

Eine Reise zu den Orten der Zeitenwende in der Altmark und der Prignitz.

VON MATTHIAS SALM

WWittenberge blüht auf – ein großes Banner am

Bahnhof von Wittenberge kündet bereits jetzt

die Landesgartenschau 2027 in der Elbestadt

wende verschwanden die Gleise zur Stadtseite

dann hinter den Bahnhof. Zur Eröffnung des

modernisierten Wittenberger Bahnhofsareals

reiste eigens der damalige Bundeskanzler Gerhard

Schröder samt Entourage an die Elbe.

Lang ist's her: Hinter der äußeren Pracht der

Bahnhofsfassade herrscht heute innere Leere.

Ein Leerstand, der die Elbestädter schmerzt

und der nun beendet werden soll. Wittenberge

erhält dazu vom Bund eine Millionenspritze für

die Sanierung des historischen Gebäudes. Der

einstige Mitropa-Saal soll zu einem modernen

Servicepoint mit Gastronomie ausgebaut werden.

Doch dabei bleibt es nicht. Auch Co-Worker

an. Ein Schlüsselprojekt für eine nachhaltige

Stadtentwicklung soll die Leistungsschau der

Landschaftsgärtner für die Industriestadt im

Wandel werden. Viele Wittenberger würden

sich allerdings wünschen, dass das Bahnhofsgebäude

selbst erst einmal wieder erblüht.

Wie ein kleines Stadtschloss thront das

mehrgeschossige, 1846 errichtete und danach

mehrfach erweiterte Empfangsgebäude im

klassizistischen Stil am Rande der Innenstadt.

Einst lag das Gebäude auf einer Insel inmitten

eines Meeres von Gleisen. Zur Jahrtausend-

Wittenberger Bahnhof: Leerstand mit Perspektive

und Existenzgründer sollen hier einziehen,

ebenso ein bahnnahes Ausbildungszentrum

für Zerspanungsmechaniker. Zur Landesgartenschau,

so der Plan, wird der Bahnhof

seinem Beinamen „Tor zur Prignitz“ wieder alle

Ehre machen.

Der Sommer der Pioniere

Wittenberge, früher liebevoll „Stadt der

Nähmaschinen“ genannt, wurde im vergangenen

Jahrzehnt in der überregionalen Presse

zum Inbegriff des Niedergangs ostdeutscher

Industriestädte stilisiert. Denn Nähmaschinen

werden hier schon lange nicht mehr gefertigt.

Doch anders als ähnlich gebeutelte Kommunen

zog sich Wittenberge angesichts der

negativen Schlagzeilen nicht in den Schmollwinkel

zurück. 2019 lud die Stadt zum „Summer

of Pioneers“. Rund 30 Digitalschaffende

wurden in die größte Stadt der Prignitz zum

Arbeiten und Leben eingeladen. Die kreativen

Wittenberge: Der Bahnhof soll wieder

die schöne Seite der Stadt werden.

Fotos: Matthias Salm

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


SMART COUNTRY

WIRTSCHAFT+MARKT17

Fotos: Matthias Salm, Daniel Görner IMG Sachsen-Anhalt mbH (oben)

Köpfe rückten die Elbestadt bundesweit in ein

positiveres Licht.

Der Sommer ging – einige Pioneers aber

blieben. Sie etablierten die Initiative Elblandwerker,

eine Anlaufstelle für Co-Worker,

Existenzgründer und großstadtmüde digitale

Nomaden, die es in die Prignitz zieht. „Initiativen

wie die Elblandwerker sind wichtig für die

Stadt“, heißt es auch aus der lokalen Wirtschaftsförderung.

Akademiker in die Region

zu locken, gehört zu den Zielen der Wirtschaftsakquisiteure,

gilt sie doch als einer der

Landstriche mit der geringsten Akademikerquote

bundesweit.

Dennoch zählt auch in Wittenberge vor allem

immer noch die bare Münze der industriellen

Arbeitsplätze, die etwa der österreichische

Dämmstoffhersteller Austrotherm oder der

größte Arbeitgeber der Stadt, das Fahrzeuginstandhaltungswerk

der Deutschen Bahn,

bieten. Wittenberge wirbt auch mit seiner

günstigen logistischen Lage auf halbem Weg

zwischen Berlin und Hamburg – in manch

außerbrandenburgischen Landeshauptstadt

wie Hamburg, Schwerin oder Magdeburg ist

man von hier schneller als in Potsdam.

Ritter Roland wacht über Perleberg

15 Kilometer weiter nordöstlich, in Perleberg,

wuchern sie noch mit einem anderen Pfund:

der mittelalterlichen Altstadt. Sie liegt auf

einer Insel inmitten zweier Flussarme der

Stepenitz. „Früher“, weiß die Landschaftsarchitektin

Maria Pegelow, „wurde Perleberg

Klein-Venedig’ genannt, weil viele schmale

Kanäle die Altstadt durchzogen.“ Ende des 19.

Perleberg: Ritter Roland hält die Stellung.

Das Kulturkombinat Perleberg nutzt ein leerstehendes

Traditionshotel für Veranstaltungen.

Jahrhunderts wurden die kleinen Wasserläufe

aus hygienischen Gründen zugeschüttet.

„Heute wären sie eine Attraktion“, bedauert

Pegelow. Die Referentin für Öffentlichkeitsarbeit

bei der Brandenburgischen Architektenkammer

bewohnt den letzten erhaltenen

Wehrturm der Stadt und rührt in ihrer Freizeit

die Werbetrommel für die „Perle der Prignitz“.

Perleberg als „Klein-Venedig“ ist eine schöne

Vision, ganz pragmatisch wäre es Pegelow

aber lieber, wenn die öffentlichen Plätze in der

Altstadt nicht mehr als Parkraum dienten. Eine

von vielen Ideen, wie Perleberg an Lebensqualität

gewinnen könnte.

2021 bezog Pegelow den Co-Working-Space

„Hallo Perle“ nahe der Rolandstatue, die

seit jeher über den Großen Markt der Stadt

wacht. Pegelow hat das Projekt mitinitiiert.

Als Voraussetzung für die Anmietung des leer

stehenden Ladenlokals gab man ihr auf den

Weg, dass der Co-Working-Space sich als eine

offene Anlaufstelle in der Stadt etablieren solle.

Kommunikative Orte wie „Hallo Perle“ sind

nicht nur in der Rolandstadt gern gesehene

Initiativen, um Menschen in die Innenstädte

zurückzuholen. Auch Jens Knauer schätzt es,

wenn Co-Working-Räume die Zentren beleben.

Knauer bekleidet seit 2019 die Stelle des Leerstandsmanagers

für die Städte Wittenberge

und Perleberg am Technologie- und Gewerbezentrum

Prignitz: „Durch das Leerstandsmanagement

konnte der Leerstand in Perlebergs

Innenstadt um 30 Prozent zurückgeführt

werden“, sagt Knauer, der die direkte Kommunikation

mit Kommunen, Einzelhändlern und

Immobilienbesitzern sucht. „Es sind vor allem

Geschäftsideen in der Nische wie qualitätsvolle

Lebensmittel oder handwerkliche Arbeiten,

die Erfolg versprechen.“ Auch Pop-up-Stores

als Zwischennutzung werden unterstützt, um

leere Ladenlokale wiederzubeleben.

Das Land wird smart

Dass der ländliche Raum nicht abgehängt

werden darf, haben auch die Landesregierungen

in Potsdam und Magdeburg erkannt. Die

Wirtschaftsfördergesellschaften der Länder

Brandenburg und Sachsen-Anhalt, WFBB und

IMG, unterzeichneten deshalb 2021 eine Kooperationsvereinbarung.

Länderübergreifend

soll demnach die wirtschaftliche Entwicklung

im östlichen Sachsen-Anhalt und im westlichen

Brandenburg mithilfe der Digitalisierung

vorangetrieben werden.

Smart Country: Ohne digitale Infrastruktur geht es nicht.

Das Zauberwort heißt „Smart Country“.

Co-Working-Spaces, Kreativorte und digitale

Dörfer sollen eine neue Dynamik in die dünnbesiedelte

Region bringen. Die Zusammenarbeit

leuchtet ein: Die Ausgangslage dies- und

jenseits der Elbe ähnelt sich. Auch wenn der

Blick in der Prignitz sich oft schon gen Norden

richtet, während etwa das auskömmliche

Durchschnittseinkommen der Menschen in der

westlichen Altmark von Berufspendlern zum

VW-Werk in Wolfsburg gespeist wird. Eine

Studie der Wüstenrot-Stiftung beispielsweise

nährt die Hoffnung auf das digitale Comeback

des ländlichen Raums, das helfen soll, die

Abwanderung zu stoppen. Co-Working-Spaces

sind demnach oft auch Angebote für Pendler,

die nicht mehr täglich den langen Weg in

die Stadt zu ihren Arbeitsorten zurücklegen

wollen, oder für Selbständige, die sich einen

Schreibtisch oder Besprechungsraum fern der

eigenen vier Wände wünschen.

Perleberg: Nicht alle Versuche, kommunikative Orte

einzurichten, funktionieren.

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


18

WIRTSCHAFT+MARKT

ZEITENWENDE

Ein ruhiger, langer Fluss

Ortswechsel Altmark. „Kann ich hier in der Nähe

etwas einkaufen?“, ruft der Radfahrer vom

Elbedeich herab. Er hat schon die Regenjacke

gegen das nahende Gewitter eng geschnürt.

„Am besten umkehren und nach Wittenberg

zurück, acht Kilometer“, entgegnet ihm Norbert

Krebber. Direkt hinter Krebbers Elbehof im Storchendorf

Wahrenberg verläuft der Elberadweg,

Deutschlands populärster Fernradweg, durch

die Elbauen. „Oder weiter bis Schnackenburg“,

ruft Krebber dem Radler zu.

Wahrenberg: Die Idylle der Elbauen

Wahrenberg: Der Elbehof als kultureller Treffpunkt

Ein alter Theatersaal aus den Zeiten, als hier

noch eine Fähre verkehrte und ein Gasthof

betrieben wurde, dient als Veranstaltungsort,

eine Seminarscheune bietet Raum für Seminarveranstalter,

die es etwas rustikaler und

abgeschiedener mögen, das Café arbeitet auch

mal mit „Vertrauenskasse“, weil festes Personal

zu kostspielig wäre. Ein wenig hat sich der

Fortschritt von Krebbers Kreativ-Projekt über

die Jahre dem Lauf der Elbe angepasst, die

hinterm Deich gemächlich und ruhig ihre Bahn

durch die Auen zieht.

Warten auf das olympische Feuer

Anderen kann es dagegen nicht schnell genug

gehen. Wie Daianira Leja, Leiterin des IDA

Integrationsdorfs Arendsee. Ein Unternehmen

aus dem Alten- und Pflegebereich hat vor zwei

Jahren die Anlage übernommen, nachdem

der Vorbesitzer nicht ohne Grund Insolvenz

anmelden musste. „Hier ist zwanzig Jahre

nicht investiert worden“, klagt Daianira Leja.

Nun soll das Gelände über zehn Jahre zu einem

Schmuckstück für inklusive Ferienangebote

am Ostufer des Arendsees modernisiert

werden. Vor der Wiedervereinigung war hier

ein Ferienlager untergebracht, doch Fragen

nach der Geschichte des Ortes hört die aus

Ostwestfalen zugewanderte IDA-Chefin nicht

ganz so gern. „Ich schaue lieber nach vorn“,

sagt sie. Bis zu 200 Personen können auf

Das IDA Integrationsdorf am Arendsee

Der nördlichste Punkt Sachsen-Anhalts ist

von Wahrenberg nicht mehr weit entfernt,

Schnackenburg liegt schon jenseits der Grenze

in Niedersachsen. „Na, irgendwas wird vor

Hamburg schon noch kommen“, seufzt der

Radler und tritt in die Pedale, noch bevor

Krebber ihm spontan ein Lunchpaket packen

kann. Das wäre kein Problem, schließlich

lädt am Elbehof auch ein

kleines Café Ausflügler, Radler

oder Storchenliebhaber

bei Veranstaltungen zum

Verweilen ein.

Krebber ist Ende der

1990er-Jahre aus dem

Ruhrgebiet zugewandert

und hat den historischen

Dreiseithof in Wahrenberg

übernommen, um ihn in einen

Kreativort umzuwandeln. „Kreativort

alleine funktioniert aber nicht“, räumt

Krebber gleich ein, „Sie müssen auch das

Dorf mitnehmen.“ Wie Krebber versuchen

auch in der Altmark oftmals Zugewanderte,

die Dörfer zu erneuern und den Leerstand

zu beleben. „Wir wollen ein Angebot machen

für die Menschen, die hier leben, und für die

Gäste. Große Gewinne lassen sich damit aber

nicht erwirtschaften“, sagt Krebber.

Fotos: Matthias Salm, IDA Integrationsdorf Arendsee GmbH & Co. KG

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


SMART COUNTRY

WIRTSCHAFT+MARKT19

Der alte Gutshof Lindstedt lockt Reisegruppen an.

Inklusive Ferien am Arendsee

dem Gelände mit 44 Wohnungen ihre Ferien

genießen. Von Ostern bis Oktober läuft das

Hauptgeschäft im Integrationsdorf. „Urlaubsangebote

für Menschen mit Handicap

sind ein wachsender Markt“, ist Daianira Leja

überzeugt.

Der Arendsee mit über fünf Quadratkilometern

Wasserfläche ist der größte natürliche See in

Sachsen-Anhalt. Zwar lockt das Strandbad

Arendsee mit diversen Freizeitmöglichkeiten,

der Schaufelraddampfer „Queen Arendsee“

lädt zu Seerundfahrten ein und das mehrfach

Fotos: IDA Integrationsdorf Arendsee GmbH & Co. KG, Daniel Görner, IMG Sachsen-Anhalt mbH

preisgekrönte Jugendfilmcamp sorgte in den

letzten Jahren für überregionale Aufmerksamkeit,

doch Leja hält das touristische

Potenzial der Region noch längst nicht für

ausgeschöpft. Das 30-Millionen-Euro-Projekt

„Waldheim-Ressort“, eine kombinierte Anlage

mit Hotel, Ferien- und Eigentumswohnungen,

kommt beispielsweise nur schleppend voran.

Umso begeisterter ist Daianira Leja deshalb,

dass es dem Integrationsdorf in Kooperation

mit der Kommune gelungen ist, als „Host

Town“ der Special Olympics 2023 in Berlin

ausgewählt zu werden. Die Weltspiele der

Menschen mit geistiger Behinderung sind

die einzige Sportveranstaltung weltweit, der

das Internationale Olympische Komitee die

Nutzung des Namens „Olympics“ und die Verwendung

der olympischen Symbole erlaubt.

„Es gibt deutschlandweit 170 Gastgeberorte,

an denen sich die Teams vor den Spielen aufhalten

und akklimatisieren werden. Arendsee

ist die kleinste der Host Towns“, erklärt Leja

stolz. Im kommenden Jahr werden sie im IDA

Integrationsdorf 60 Sportler aus Syrien samt

Begleitung empfangen. „Die Special Olympics

sind ein riesiges Event mit sehr hohen Anforderungen

an die Gastgeber, bei dem die ganze

Kommune eingebunden wird.“ Der Höhepunkt:

Das olympische Feuer wird auf dem Weg nach

Berlin auch durch Arendsee getragen. Für Leja

ein echter Glücksfall: „Es entsteht ein Marketingwert

für die Region, der gar nicht groß

genug zu beziffern ist.“

Bis es soweit ist, spiegelt sich auch im Berufsalltag

von Daianira Leja das Wechselspiel

von Aufbruchsstimmung und Beharrungsvermögen

in der Altmark täglich wieder. Das

ehemalige Kinder-Café auf dem Gelände etwa,

ein Gebäude im typischen DDR-Baustil, sollte

zeitgemäßer Bebauung weichen. Doch weil

hier einst die Menschen aus der Region ihre

Jugendweihen feierten, regte sich Unmut über

die Abrisspläne für den emotionalen Erinnerungsort.

Jetzt entsteht dort ein Co-Working-Space

– eine Verbindung von Ostalgiecharme

mit modernen Arbeitsformen.

Lichtkunst in Lindstedt

Auch in Lindstedt vor den Toren von Gardelegen

versucht man, Gäste aufs Land zu locken.

An Ideen mangelt es auch hier nicht. So soll

ein Lichtblütenfestival getauftes Event prägnante

Orte wie das alte Rittergut Lindstedt

mit kunstvollen Lichtinstallationen erstrahlen

lassen. Der historische Vierseitenhof verfiel

über Jahre, ehe der Förderverein „Historische

Region Lindstedt“ mühevoll das nach der

Wende scheibchenweise in alle Welt verkaufte

Gebäudeensemble erwarb. Nun finden hier

Kulturveranstaltungen, Seminare, Workshops

und private Feiern statt. Denn während anderswo

in Brandenburg und Sachsen-Anhalt

Gigafabriken und neue Forschungszentren

das Tempo der Zeitenwende diktieren und

Fachkräfte aus aller Welt anziehen, geht es

in der Prignitz und der Altmark noch immer

darum, die Menschen in den Dörfern zu

halten. Die Zeitenwende im ländlichen Raum

– sie wird vor allem von engagierten und

risikobereiten Menschen – Einheimische wie

Zugewanderte – in dem ihnen eigenen Tempo

gestaltet.

Lindstedt: Im alten Gutshof ist wieder

Leben eingezogen.

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


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WIRTSCHAFT+MARKT

ZEITENWENDE

„WIR SIND DIE

STADT DER

FREIHEIT UND

DER VIELFALT“

Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey im W+M-Interview über die Berliner Wirtschaft

in der Krise, die Herausforderungen des Klimaschutzes und den Fachkräftemangel in der Hauptstadt.

W+M: Frau Giffey, angesichts der zahlreichen

Krisen von Corona bis zum Ukraine-Krieg

hatten Sie kaum Zeit zur Einarbeitung. Sind Sie

im Amt schon richtig angekommen oder gibt

es noch Themen, die Sie vorerst hintenangestellt

haben?

Franziska Giffey: Im Roten Rathaus hatte ich

schon an meinem ersten Tag das Gefühl, dass

ich angekommen bin. Es ist für mich eine große

Ehre, Regierende Bürgermeisterin der deutschen

Hauptstadt zu sein und Verantwortung

für rund 3,7 Millionen Menschen zu tragen.

Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey

Die ersten Monate waren aber von Krisen

geprägt. Wir haben unseren Koalitionsvertrag

in einer Zeit vereinbart, in der wir dachten, wir

könnten nach der Pandemie wieder richtig

durchstarten. Dann begann am 24. Februar

der russische Angriffskrieg auf die Ukraine mit

vielen tausend Geflüchteten, die seitdem auch

Berlin erreicht haben. Nach der Pandemie und

der Flüchtlings- und Kriegssituation haben

wir aktuell die Energiekrise mit Fragen der

Versorgungssicherheit, von Preissteigerungen

und Inflation. Das sind alles Geschehnisse, die

zu den drängenden Aufgaben wie Wohnungsbau,

Verwaltungsmodernisierung oder dem

Neustart unserer Wirtschaft hinzukommen

und die wir bewältigen müssen.

Foto: Lena Giovanazzi

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


BERLIN

WIRTSCHAFT+MARKT21

W+M: Wie würden Sie Ihren Politikstil

beschreiben, was ist Ihnen persönlich wichtig

als Regierende Bürgermeisterin von Berlin?

Franziska Giffey: Mein Motto ist seit meiner

Zeit in der Kommunalpolitik: hingehen,

zuhören, anpacken. Nicht die Lage beklagen,

sondern pragmatisch Lösungen finden, sich

kümmern. Als Regierende Bürgermeisterin

bin ich in dieser Verantwortung und arbeite

gemeinsam mit meinem Team und den Mitgliedern

der Landesregierung dafür, dass die

Dinge auch gelingen.

Was mir auch wichtig ist: Berlin hat ein riesiges

Potenzial. Wir sind die Stadt der Freiheit und

der Vielfalt. Wir haben eine Kulturlandschaft,

die einzigartig ist, die größte Start-up-Szene

Europas, eine starke Wirtschaft, einen gut

ausgebauten ÖPNV. Die Berlinerinnen und

Berliner haben allen Grund, stolz auf ihre Stadt

zu sein. Auch das möchte ich durch meine

Arbeit vermitteln.

W+M: Wie geht es der Berliner Wirtschaft?

Franziska Giffey: Unsere Wirtschaft erholt

sich erfreulicherweise recht gut vom Einbruch

während der Pandemie. Im zweiten Halbjahr

2021 ist das Bruttoinlandsprodukt Berlins

im Vergleich zum Vorjahr schon wieder um

3,3 Prozent gewachsen und liegt damit über

dem Bundesdurchschnitt. Die aktuelle Entwicklung,

in der viele Unternehmen und Betriebe

wegen hoher Strom- und Gaspreise unter Druck

geraten, dämpft diesen Trend. Dem steuern wir

mit Wirtschaftshilfen entgegen.

W+M: Wo liegen denn Ihre Schwerpunkte in

Sachen Wirtschaftsentwicklung?

Franziska Giffey: Als Senat setzen wir auf

eine starke und nachhaltige Berliner Wirtschaft.

Berlin soll auch in den nächsten Jahrzehnten

wettbewerbsfähig sein. Die Berliner

Landesregierung fördert deshalb aktiv das

Wachstum sowie Unternehmensansiedlungen

und -gründungen.

W+M: Wie krisenstabil ist die Berliner

Wirtschaft?

Franziska Giffey: Wir kommen vergleichsweise

gut aus der durch die Pandemie

verursachten Krise. Ohnehin war die Berliner

Wirtschaft in sehr unterschiedlicher Weise

getroffen: Besonders Gastronomie, Hotellerie,

Tourismus, die Veranstaltungs-, Film- und Kulturbranche,

aber auch der Einzelhandel hatten

mit großen Einschränkungen zu kämpfen. Aber

wir sehen in diesen Bereichen glücklicherweise

bereits eine deutliche Erholung. Die Stadt ist

wieder voll, es kommen fast so viele Gäste

wie vor der Pandemie zu uns. Messen wie die

ILA und IFA ziehen Tausende von Besuchern

an. Berlin hat nichts von seiner Attraktivität

verloren. Als Land Berlin fördern wir diese Entwicklung

mit unserem Neustart-Programm für

die Berliner Wirtschaft und die Kultur mit über

330 Millionen Euro für 2022 und 2023.

W+M: Welche Branchen waren besonders

krisenfest?

Franziska Giffey: Besondere Krisenfestigkeit

hat die Berliner Digitalbranche bewiesen.

Sie war mit ihren vielen Produkten und

Dienstleistungen gut auf die Anforderungen

vorbereitet, vor denen Gesellschaft und

Wirtschaft durch die Pandemie standen. Die

Krise hat der Digitalisierung insgesamt einen

großen Schub gegeben. Homeoffice, digitaler

Unterricht, innovative Formen von Onlineshopping,

virtuelle Treffen im beruflichen und

familiären Kontext, neue Apps für medizinische

Zertifikate und Gesundheitswarnungen

sowie virtuelle Arztkonsultationen – all

diese neuen Instrumente werden bleiben

und haben uns insgesamt vorangebracht. Die

Digitalwirtschaft ist auch ein wesentlicher

Wachstumsmotor mit fast 120.000 Beschäftigten

und einem Anteil von 18 Prozent

am Berliner Wachstum in den vergangenen

sieben Jahren. Man kann sagen: Berlin ist

schon heute Startup-Metropole Nummer 1

in Europa.

W+M: Welche Folgen hat der Ukraine-Krieg?

Franziska Giffey: Die Folgen des russischen

Angriffskriegs auf die Ukraine treffen

auch Berlin, das gilt insbesondere für die

Baubranche. Energieversorgungssicherheit,

Lieferkettenengpässe, Rohstoffknappheit und

Preissteigerungen sind dabei nur die wichtigsten

Problemstellungen, die natürlich in erster

Linie vom Bund bewältigt werden müssen.

Das Land wird hier wo möglich ergänzend zum

Bund zusätzliche Unterstützungsmaßnahmen

für die Berliner Wirtschaft schaffen.

W+M: Welche Leuchttürme ragen aus der

Berliner Wirtschaft hervor?

Franziska Giffey: Berlin ist schon heute

eine der größten Wissenschaftsregionen

Europas mit international renommierten

Hochschulen und Forschungseinrichtungen.

Zwischen Wissenschaft und Wirtschaft

gibt es eine intensive Zusammenarbeit.

Im Mai war ich beispielsweise beim

Richtfest für zwei moderne Forschungsgebäude

am Charité Campus Virchow-Klinikum,

wo die Technische Universität, Land

und Bund anwendungsorientiert zusammenarbeiten.

Stichworte sind „BeCat –

Berlin Center für Advanced Therapies“ und

„Si-M – Der simulierte Mensch“. Solche

Projekte haben auch eine große wirtschaftliche

Bedeutung.

Berlin verfügt über zahlreiche moderne

Technologiezentren und Zukunftsorte

mit wissenschaftsnaher Infrastruktur.

Das sind ideale Standorte für junge und

technologieorientierte Unternehmen,

Leuchttürme, die auch international ausstrahlen.

Unter dem Label „innoBB 2025“

entwickeln wir im Rahmen der Metropolregion

Berlin-Brandenburg die gemeinsame

Innovations- und Clusterstrategie weiter.

In den fünf länderübergreifenden Clustern

Gesundheitswirtschaft, Informations- und

Kommunikationstechnologien mit Medien

und Kreativwirtschaft, sowie Verkehr, Mobilität

und Logistik, Optik und Photonik und

Energietechnik haben wir viele verschiedene

Leuchtturmvorhaben zu bieten.

W+M: Die Wirtschaft der Bundesrepublik

steht vor einem gewaltigen Umbau in

Sachen Klimaschutz. Wie ist Berlin darauf

vorbereitet?

Franziska Giffey: Der Klimaschutz ist für

uns Querschnittsthema in allen Politikbereichen.

Das hat konkrete Konsequenzen

für unsere Regierungsarbeit: Alle Senatsvorlagen

unterliegen einem Klimacheck, so

dass jeweils im Zweifel klimafreundlichere

Alternativen in der Abwägung gestärkt

werden können. Unsere ambitionierten

Ziele werden wir aber nur gemeinsam mit

unseren Partnern in Wirtschaft, Industrie,

Handwerk und Gewerbe umsetzen können.

Wir nutzen die Innovationsförderung bei

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


22

WIRTSCHAFT+MARKT

ZEITENWENDE

Das Rote Rathaus, Berlins Regierungssitz

der Investitionsbank Berlin für die Unterstützung

der klimafreundlichen Transformation

von Produkten und Unternehmen.

Dabei beziehen wir bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung

von Förderprojekten

die Klimakosten mit ein. Als Senat setzen

wir einen deutlichen Schwerpunkt auf

Investitionen in Klimaschutz und in Klimaanpassungsmaßnahmen

unter anderem

bei der energetischen Sanierung, dem Solarausbau,

der Flächenentsiegelung, dem

Stadtgrün, der Begrünung von Dächern

und Fassaden und beim Regenwassermanagement.

W+M: Gibt es schon greifbare Fortschritte

bei der Modernisierung der Verwaltung?

Franziska Giffey: Unsere Verwaltung

muss Dienstleister für alle Berlinerinnen

und Berliner und natürlich auch für die Unternehmen

sein. Sie muss digital, aber eben

auch nach wie vor analog erreichbar sein.

Unser Ziel ist es deshalb, die Verwaltung

auch personell in die Lage zu versetzen,

diese Aufgaben bewältigen zu können. Das

Thema Verwaltung ist selbstverständlich

auch für den gesamten Bereich der Stadtentwicklung

und des Bauens wichtig. Im

Berliner Wohnungsbündnis haben wir für

den Senat zugesagt, Bau- und Planungsverfahren

zu digitalisieren und auch zu

beschleunigen. Dazu gehören zum Beispiel

die digitale Bauakte und der elektronische

Wohnberechtigungsschein, die bald an den

Start gehen sollen.

W+M: Was braucht eine moderne Verwaltung,

um die anstehenden Aufgaben zu aller

Zufriedenheit erfüllen zu können?

Franziska Giffey: Das „Unternehmen Berlin“

mit seinen etwa 140.000 Mitarbeitenden

muss ein attraktiver Arbeitgeber mit besten

Arbeitsbedingungen sein. Das ist eine zentrale

Voraussetzung für die funktionierende Stadt.

Eine moderne und bedarfsgerechte Verwaltung

ist ohne Digitalisierung nicht möglich.

Deshalb haben wir in dieser Legislaturperiode

mit Ralf Kleindiek erstmals einen Chief Digital

Officer eingestellt. Er arbeitet aktuell zum

Beispiel daran, unsere rund 30 „Topseller“, also

die am meisten nachgefragten Verwaltungsdienstleistungen,

zu digitalisieren. Wenn das

funktioniert, decken wir etwa 90 Prozent des

Bedarfs bei den Anfragen von Bürgerinnen,

Bürgern und der Wirtschaft. Damit wäre schon

sehr viel erreicht. Bei den Bürgerämtern können

wir mittlerweile bei fast 40 Prozent der

Fälle das 14-Tage-Ziel erreichen.

W+M: Fachkräftegewinnung ist überall ein

großes Thema. Hat Berlin besondere Ideen?

Franziska Giffey: Der Fachkräftemangel

betrifft uns in Berlin genauso wie überall.

Wir merken das auch in unserer Verwaltung,

zum Beispiel im Bereich der Lehrkräfte, bei

Polizei und Feuerwehr oder im Öffentlichen

Gesundheitsdienst. Schwerer noch wiegt der

Fachkräftemangel im Handwerk oder in den

Energie- und Klimaberufen, also im technischen

Bereich. Hier bleiben jedes Jahr auch

sehr viele Ausbildungsplätze unbesetzt.

Als Politik müssen wir hier gegensteuern,

soweit wir es können. Der Senat nutzt deshalb

alle Instrumente von einer Ausbildungsoffensive

bis zur deutlichen Verbesserung

der Arbeitsbedingungen. Gemeinsam mit

der Handwerkskammer, mit Verbänden

und Innungen haben wir beispielsweise ein

Programm zur Verbesserung der Aus- und

Fortbildung und der Gewinnung von Fachkräften

für baulichen und gebäudetechnischen

Klimaschutz entwickelt, das auch gezielt

Menschen ohne Abschluss oder mit fehlenden

Grundfertigkeiten einbezieht. Wir werden das

Landeskonzept für die Berufsorientierung und

berufliche Bildung anpassen und auch an Gymnasien

stärker für die duale Ausbildung werben.

Interview: Frank Nehring

Lesen Sie das

ausführliche

Interview im

W+M-Onlinemagazin

Foto: Adobe Stock

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


SACHSEN-ANHALT

SACHSEN-ANHALT

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weltverändernde Ideen entwickelt. Jetzt wird Sachsen-Anhalt

zu einem Knotenpunkt der digitalen Zukunft ausgebaut.

© Intel Corporation

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Sachsen-Anhalt soll Zentrum der europäischen Chip-Produktion werden.

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24

WIRTSCHAFT+MARKT

ZEITENWENDE

„DIE SÄCHSISCHE WIRT-

SCHAFT IST KRISEN- UND

AN PASSUNGSERPROBT“

W+M sprach im Interview mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer über die

aktuelle Lage der Wirtschaft im Freistaat, seine Kritik an der Energiepolitik der Bundesregierung

und die Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel.

Der sächsische Ministerpräsident

Michael Kretschmer im Gespräch

mit W+M-Verleger Frank Nehring

W+M: Welche Preise meinen Sie konkret?

Michael Kretschmer: Wir hatten zuletzt eine

Kostenspirale, die sich in verschiedenen Bereichen

unkontrolliert bewegt, so beim Gas. Es

ist nicht möglich, für die kommenden fünf bis

zehn Jahre ohne russisches Gas in Größenordnungen

diese Volkswirtschaft wettbewerbsfähig

zu halten. Das ist eine bittere Erkenntnis,

aber sie folgt aus vielen Entscheidungen, die

über politische Parteigrenzen hinweg über

Jahrzehnte vorbereitet wurden. Es begann mit

dem Ausstieg aus der Atomenergie, gefolgt

vom Ausstieg aus der Kohleverstromung. Das

alles hat zu einem Mangel an grundlastfähiger

Energie geführt, die durch Gas ersetzt worden

ist. Das ist ein Fakt und ist nicht von heute auf

morgen zu ändern.

W+M: Was ist zu tun?

W+M: Lieferketten sind unterbrochen, die

Energiepreise galoppieren davon und die Inflation

tut ein Übriges. Wie geht es der sächsischen

Wirtschaft angesichts der aktuellen Krisen?

Michael Kretschmer: Die sächsische

Wirtschaft ist sehr breit aufgestellt. Und sie

ist krisen- und anpassungserprobt. Durch die

hier vorhandene Struktur ist sie auch sehr

reaktionsfähig. Aber klar ist auch: Die extrem

steigenden Energiepreise sind eine enorme

Herausforderung. Die Bundesregierung hat

uns hier in eine Richtung geführt, die für

Einzelne existenzgefährdend sein kann. Wir

waren vor diesem furchtbaren Krieg bestrebt,

unabhängiger von China und Asien zu werden.

Deshalb gab es zusätzliche Investitionen in

Europa und auch in Sachsen. Dabei ging es

um erneuerbare Energien und Wasserstoff,

aber auch um neue Mobilitätsformen. Das

war, auch mit Blick auf den Strukturwandel,

eine sehr erfreuliche Entwicklung, die jetzt in

Gefahr ist.

Es liegt in unserer Hand, wie die Energiepolitik

in Deutschland aussieht. Ich kann nur dazu raten,

dass man die Realitäten anerkennt. Dazu

gehört für mich auch, alle Ressourcen, die wir

zur Verfügung haben, jetzt in die Waagschale

zu werfen, um die Preise abzusenken und dauerhaft

niedrig zu halten. Sonst stellt sich die

Frage, ob Produktion hier noch möglich ist. Es

kann aber ja nicht in unserem Interesse sein,

dass hier Produktion zum Stillstand kommt

und Investoren aus dem Ausland einen Bogen

um Deutschland machen.

Michael Kretschmer: Wir müssen

Ressourcen, über die wir verfügen, jetzt

auch mobilisieren. Das beginnt damit, die

vorhandene Atomkraft für die nächsten

Jahre weiter zu nutzen. Die Bundesregierung

hat in den letzten Monaten immer wieder

erklärt, dass dies aus verschiedenen Gründen

nicht geht. Dies wurde längst von Experten

widerlegt. Dazu kommen die Ressourcen der

Braunkohle kraftwerke, aber natürlich auch die

Nutzung des in Deutschland vorkommenden

Erdgases. Es ist doch heuchlerisch, auf der

einen Seite das Frackinggas aus Amerika zu

nutzen und auf die eigenen Ressourcen zu

verzichten. Das geht so nicht. Daneben gibt es

auch viel Potenzial im Bereich der Wasserkraft

oder Biomasse.

Foto: W+M

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


SACHSEN

WIRTSCHAFT+MARKT25

Mancher Grünen-Politiker scheint den

Anstieg der Energiepreise billigend in Kauf zu

nehmen und zu glauben, dass hohe Energiepreise

letztlich für eine Beschleunigung des

Strukturwandels sorgen und neue Technologien

sich so schneller durchsetzen. Aber das

ist ein gefährlicher Irrglaube. Deutschland

verliert auf diesem Wege seine internationale

Wettbewerbsfähigkeit. Deutschland darf seine

Wettbewerbsfähigkeit aber nicht verlieren.

W+M: Sie gehörten schon immer zu den

Vertretern, die auf die Notwendigkeit von russischem

Gas zur erfolgreichen Energiewende

hinwiesen. Allerdings hat man den Eindruck,

dass die Zahl der Befürworter dieser Auffassung

kleiner wird. Ist das so?

Michael Kretschmer: Ich bin Ingenieur und

Ökonom. Ich habe 2011 beim Ausstieg aus der

Atomenergie sehr deutlich gesagt, dass das

mit einer stärkeren Abhängigkeit von ausländischen

Energiequellen einhergeht. Ich habe das

Gleiche 2018 beim Kompromiss zum Braunkohleausstieg

betont. Heute stellen wir fest,

dass die neue Bundesregierung diese Abhängigkeit

durch einen frühen Braunkohleausstieg

sogar noch verstärken und beschleunigen will.

Wenn man dies alles betrachtet, ist es völlig

unverständlich, warum jetzt keine politisch

überzeugenden Entscheidungen getroffen

werden. Es kann ja nur so sein, dass man

entweder aus Unkenntnis oder aus Absicht die

Verteuerung der Energiepreise hinnimmt. Und

das ist etwas, das unseren Wohlstand und

unsere Sicherheit gefährdet.

W+M: Angesichts Ihrer Meinung zur Notwendigkeit

von russischem Gas haben Sie sich

für ein „Einfrieren“ des Ukraine-Krieges ausgesprochen

und dafür von allen Seiten Kritik

erfahren. Wie gehen Sie damit um?

Michael Kretschmer: Wir haben eine

Mehrheitsmeinung in der deutschen und

europäischen Politik, dass dieser Krieg, der ein

großes Unrecht, ein Verbrechen ist, nur auf

dem Schlachtfeld mit dem Sieg der Ukraine zu

beenden ist. Das ist nicht meine Position. Ich

glaube, dass wir so schnell wie möglich alles

dafür tun müssen, um über Verhandlungen zu

einem Stillstand zu kommen. Einfrieren heißt

Waffenstillstand, heißt explizit nicht, dass man

die Besetzung von ukrainischen Landesteilen

als rechtens hinnimmt. Aber es bedeutet ein

Ende der Kampfhandlungen, ein Ende des

Sterbens in der Ukraine, ein Ende eines Prozesses,

der zurzeit die ganze Welt in ein Chaos

stürzt. Es betrifft nicht nur die Ukraine, überall

in der Welt gibt es Verwerfungen.

Ich bleibe dabei: Russland ist eine Realität. Wir

werden mit diesem Land umgehen müssen.

Ein Russland, das sich komplett unabhängig

von Europa entwickelt, ist auch kein sicherer

und kalkulierbarer Partner. Wir brauchen eine

eigene Stärke, wir brauchen einen Raketenabwehrschirm,

wir brauchen Cybersicherheit und

wirtschaftliche Stärke. Aber wir sind auf dem

Weg, diese wirtschaftliche Stärke zu verlieren

und uns damit auch sehr großen Gefahren

auszusetzen.

ENERGIE

FACHKRÄFTE

WIRTSCHAFT

Z U K U N F T

ARBEITSMARKT

UMWELT

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


26

WIRTSCHAFT+MARKT

ZEITENWENDE

W+M: Sie haben die Energiewende als praktisch

gescheitert erklärt. Stimmt das denn?

Michael Kretschmer: Der Umbau der Energiewirtschaft

und der Industrie ist zwingend.

Wir müssen weg von der Energieversorgung

und Industrieprozessen, die in Größenordnungen

CO 2

freisetzen. Der Plan, der in Deutschland

schon seit über zehn Jahren verfolgt wird,

ist der Ausstieg aus der Atomenergie, der Ausstieg

aus der Braunkohleverstromung durch

den Aufbau von 40 bis 50 Gaskraftwerken und

damit einer Gaswirtschaft, die dafür sorgen

würde, dass wir preiswerte Wasserstoffressourcen

bekommen.

Dass wir nun den Ausstieg aus Erdgas angehen,

verstärkt die Abhängigkeiten. Das kann

man so nicht tun, deshalb braucht es hier eine

Neuaufstellung des Systems. Es ist eine Mär,

dass man eine Energiewirtschaft aufbauen

kann, die nicht grundlastfähig ist. Man kann

viel mit erneuerbarer Energie tun, aber auch

hier gibt es limitierende Faktoren. Das sind

weniger die zur Verfügung stehenden Flächen

oder der Umweltschutz als die Kapazitäten

für Solar- und Windstromanlagen sowie für

den Leitungsausbau. Selbst wenn es bis 2030

gelingt, dass wir an guten Tagen die Stromversorgung

rechnerisch komplett aus erneuerbaren

Energien schaffen, wird nachts die Sonne

nicht scheinen und an vielen Wochen im Jahr

der Wind nicht wehen. Deshalb: Es braucht

parallel zu den volatilen erneuerbaren Energieträgern

eine Backup-Struktur an grundlastfähiger

Energie.

Allerdings erweckt die Bundesregierung den

Eindruck, dass man ein Energiesystem aufbauen

könnte, nur auf der Grundlage erneuerbarer

Energien und das noch dazu in kurzer

Zeit. Dass wir damit dafür sorgen, dass wir

nicht über Monate, sondern über Jahre diese

toxisch hohen Energiepreise haben werden,

wird ausgeblendet. Aber es wird die Wettbewerbsfähigkeit

der deutschen Wirtschaft

deutlich beeinträchtigen.

Lesen Sie das

ausführliche

Interview im

W+M-Onlinemagazin

Gegenüber Bundeskanzler Olaf Scholz vertritt Sachsens Ministerpräsident die sächsischen

Standpunkte bei Themen wie Braunkohleausstieg und Fachkräftesicherung.

W+M: Es besteht Einigkeit über den

schnellen Ausbau der erneuerbaren Energie,

aber Sachsen selbst hat beispielsweise beim

Ausbau der Windenergie wenig Erfolge vorzuzeigen.

Wie kommt das?

Michael Kretschmer: Wir werden weiter Tagebauflächen

für Solaranlagen und Windkraftanlagen

zur Verfügung stellen und zudem auch

„Wind über Wald“ ermöglichen, gerade auch

in den vom Borkenkäfer stark betroffenen

Regionen. Wir haben uns sehr dafür eingesetzt,

dass dies nicht gegen die Menschen

gemacht wird, sondern mit der Bevölkerung.

Deshalb auch die Regelung mit 1.000 Metern

Abstand zu Windkraftanlagen. Sie ließ uns

viele Konflikte aus der Welt bringen. Es war ein

guter Kompromiss und es ist schon auch ein

sehr autoritärer Politikstil, dieses Verhandlungsergebnis,

das auf einer regionalen Ebene

in den Ländern erreicht worden ist, jetzt über

ein Bundesgesetz aushebeln zu wollen.

W+M: Mit der Ansiedlung neuer Unternehmen

in Sachsen verbindet sich das Thema Fachkräftemangel.

Wie geht Sachsen damit um?

Michael Kretschmer: Ich halte das Thema

Fachkräfte für eines der wichtigsten für die

Zukunft Sachsens. Hier wird entschieden,

ob dieses Land weiter wachsen kann und

zukunftsfähig bleibt. Wir sind dem Bundeskanzler

sehr dankbar, dass er die Idee der

ostdeutschen Ministerpräsidenten, eine zielgerichtete

eigene Fachkräftezuwanderungsstrategie

für die neuen Länder zu entwickeln,

unterstützt. Die neuen Länder haben nicht die

Erfahrungen wie Baden-Württemberg oder

Nordrhein-Westfalen, wo das über Jahrzehnte

und Generationen eingeübt wurde. Manuela

Schwesig hat das Thema in die Hand genommen.

Anfang Oktober werden wir uns gemeinsam

in Schwerin treffen und eine gemeinsame

Strategie erarbeiten.

Wir haben hier in Sachsen aber auch ein eigenes

Programm, das wir gemeinsam mit der regionalen

Wirtschaft und den Kommunen auf den Weg

gebracht haben. Wir werden fünf bis sechs Zielregionen

mit Personal vor Ort haben, in denen

wir die Berufsausbildung, aber auch den kulturellen

Austausch unterstützen. Wir werden auch

in interessierten Gemeinden Communitybildung

betreiben, um jungen Leuten hier Zukunftschancen

zu geben und sie zu unterstützen. Das geht

nur mit einer Integration in den Arbeitsmarkt

und in das soziale Umfeld. Das ist das gemeinsame

Ziel der Koalition in Sachsen.

W+M: Zum Abschluss eine persönliche

Frage: Wie kommen Sie damit klar, oft konträre

Standpunkte zu vertreten?

Michael Kretschmer: Demokratie lebt von

Debatten und dem Ringen um Mehrheiten. Ich

habe mit großer Freude gesehen und dabei

viel gelernt, wie wir in den 90er-Jahren mit

Kurt Biedenkopf und den Vertretern anderer

Parteien im Meinungsstreit zu guten Lösungen

gekommen sind. Heute haben wir eine Verengung

von Debatten und das ist nicht gut. Das

wiederum heißt, dass wir uns alle einbringen

müssen, anständig in der Sache, klar im Ton

und vor allem über Fakten debattieren. Dazu

gehört auch, andere in die Pflicht zu bringen,

sich zu rechtfertigen.

Interview: Frank Nehring

Foto: Sächsische Staatskanzlei/ Pawel Sosnowski

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


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28

WIRTSCHAFT+MARKT

ZEITENWENDE

„DAS POLITISCHE WOLLEN

MIT DEM MACHBAREN

IN ÜBEREINSTIMMUNG

BRINGEN“

W+M: Mit der Entscheidung über die Intel-Ansiedlung ist Sachsen- Anhalt

in aller Munde. Was macht eine solche Ansiedlung mit Ihrem Bundesland?

W+M sprach mit dem Ministerpräsidenten

Sachsen-Anhalts, Dr. Reiner Haseloff, über

die Ansiedlung von Intel und die Situation

der Wirtschaft angesichts der anspruchsvollen

Klimaziele und der Belastungen

durch den Ukraine-Krieg.

Reiner Haseloff: Die Intel-Ansiedlung ist ein europäisches Projekt,

das auf einer Grundsatzentscheidung der EU basiert, grundlegende und

nachhaltige Technologien im eigenen Zugriffsbereich zu behalten. Und bei der

Chip industrie ist es bislang so, dass etwa 80 Prozent der Produktionskapazitäten

außerhalb der westlichen Welt liegen. Wir sehen gerade, dass man im

Systemwettbewerb eine solche Dysbalance nicht zulassen darf, zumal Taiwan

sich auch nicht in ruhigen politischen Gefilden befindet. Derzeit gibt es einen

Chipmangel, der nicht nur in der Automobilindustrie für Lieferverzögerungen

sorgt, sondern auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hat.

Wir sind als Bundesland froh darüber, im Wettbewerb um die Ansiedlung erfolgreich

gewesen zu sein. Es gab harte Faktoren wie verfügbare Flächen, klare Erschließungsperspektiven,

eine strategisch gute Lage, gerade auch in Bezug auf die Nähe zu

anderen strategischen Partnern der Chipindustrie, das alles konnten wir bieten.

Letztlich wird die Ansiedlung einen mentalen Umbau einer Großregion, wenn nicht

des ganzen Bundeslandes bewirken. Nicht, weil alle bei Intel arbeiten werden, aber die

Wertschöpfungskette und die Arbeitsplätze wirken weit in die Gesellschaft hinein bis

hin zu Schwerpunktsetzungen an den Universitäten zu den entsprechenden Lehrstühlen

und Ausbildungsgängen. Das bietet auch neue Perspektiven für Studierende.

W+M: Die Corona-Pandemie ist noch nicht wirklich vorbei. In der Ukraine tobt ein Krieg, die

angeschlagenen Lieferketten schaffen Engpässe. Wie geht es der Wirtschaft Sachsen-Anhalts?

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff

Reiner Haseloff: Die richtigen Auswirkungen sind aktuell noch

nicht spürbar, weil noch kein Versorgungsnotstand besteht. Um

gewappnet zu sein, habe ich zu einem Energiegipfel in die Staatskanzlei

eingeladen und Vertreter der Kommunen, der Wirtschaft,

von Verbänden und dem Bund an einen Tisch gebracht. In Erwartung

kritischer Situationen insbesondere bei Unternehmen, die

sehr stark von Erdgas abhängig sind, gibt es bereits Bewegungen

am Markt, die die Inflation anheizen und die vor allem durch die

Energiepreise verursacht sind. Die vorhandenen Aufträge können

nicht mehr zu den alten Kosten realisiert werden und irgendwann

ist der Punkt erreicht, wo man in die roten Zahlen kommt. Wenn

ich Düngemittel zum dreifachen Preis produziere, diese Kosten

aber nicht 1:1 am Markt umsetzen kann, weil Wettbewerber aus

Asien, die nicht die Auswirkungen der Sanktionen spüren, das

Rennen machen, haben wir ein Problem. Das ist gerade für die

vielen klein- und mittelständischen Unternehmen im Land problematisch,

die Konsumenten im Inland versorgen, deren Kaufkraft

durch die höheren Preise zusätzlich eingeschränkt wird.

Foto: W+M

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


SACHSEN-ANHALT

WIRTSCHAFT+MARKT29

W+M: Was bedeutet das für die Politik?

Reiner Haseloff: Politisch heißt das für die Bundesregierung, alle Maßnahmen auf ihre Zielführung

und Effizienz zu überprüfen. Ist die Wirkung auf Putin stark und wirksam und größer

als die negativen Effekte auf unsere Wirtschaft? Je länger jedoch dieser Prozess dauert, ist es

nicht nur immer schwieriger, ihn kalkulatorisch darzustellen, sondern auch die Akzeptanz wird

darunter leiden. Sind die Mittel die richtigen und sind sie angemessen und zielgenau? Aus

der jüngeren Geschichte haben wir gelernt, dass Sanktionen nicht immer die gewünschte

Wirkung entfalten.

Eine Destabilisierung der EU durch eine Schwächung ihrer stärksten Volkswirtschaft, die auf

Grund der hohen Exportquote und Abhängigkeit von Rohstoffen besonders verwundbar ist,

wird nur Putin nutzen. Ich habe große Sorge, weil wir die Entwicklung schlecht extrapolieren

können und bisherige volkswirtschaftliche Steuerungsmodelle dafür nicht taugen. Wir

müssen das politische Wollen mit dem Machbaren in Übereinstimmung bringen. Wir sprechen

von der schnellen Schaffung von Alternativen zu Gas und Öl, wissen aber auch, dass

dies – Stichwort Grüner Wasserstoff – noch Jahre dauern wird. Wir werden noch lange

Erdgas benötigen. Auch deshalb sollte das Thema einer Sicherheits- und Versorgungsstruktur

mit Russland nicht grundsätzlich ad acta gelegt werden.

W+M: Sehen Sie in der Bundesregierung Überlegungen, die Sanktionen zurückzufahren?

Reiner Haseloff: Ich vertraue auf die Kompetenz in den Ministerien mit ihren vielen

Experten, die alle Szenarien berücksichtigen. Allerdings habe ich schon in den Beratungen

der Kohlekommission mehrfach darauf verwiesen, dass wir mit dem schnellen

Ausstieg aus der Kohle unsere Abhängigkeit von russischem Gas verstärken.

W+M: Der Umbau der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität wird durch die aktuellen

Konflikte beschleunigt. Wie sind Sachsen-Anhalts Unternehmen darauf

vorbereitet?

Reiner Haseloff: Einer der größten Erdgasverbraucher in Sachsen-Anhalt

und Deutschland, das Stickstoffwerk in Piesteritz, das Ammoniak für die

Dünge mittelproduktion herstellt und für die Versorgung Mitteleuropas mit

AdBlue verantwortlich ist, hat seine Generalwartung vorgezogen und die

Produktion heruntergefahren, weil diese nun unrentabel ist. Wenn wir keine

Lösungen für diese Unternehmen finden, wird es das Ende der Produktion

auch für viele andere Unternehmen bedeuten.

W+M: Die Probleme sind komplex, gibt es eine Lösung?

Reiner Haseloff: Es gibt keine einfache Lösung. Russland hat noch

keinen Panzer zurückgezogen und führt den Krieg unbeirrt weiter.

Die Lösung kann aber nur darin bestehen, dass Russland den Krieg

beendet.

W+M: Der Braunkohleausstieg ist für 2038 beschlossen,

Bundeswirtschafts- und Klimaminister Habeck spricht von 2030.

Wie ist das mitteldeutsche Braunkohlenrevier auf den Ausstieg

vorbereitet?

Reiner Haseloff: Für uns gilt das Gesetz und alles andere ist

unsolide. Wir sind hier in einem Rechtsstaat, und wir haben

den Braunkohleausstieg für 2038 beschlossen. Ich weigere

mich, über 2030 zu sprechen, denn ich habe einen Amtseid

geschworen, dass ich die Gesetze einhalte.

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


30

WIRTSCHAFT+MARKT

ZEITENWENDE

W+M: Wir brauchen mehr erneuerbare Energie. Wie steht

Sachsen-Anhalt in Sachen Ausbau im Vergleich zu anderen

Bundesländern da?

Reiner Haseloff: Mit der installierten Leistung bei Windkraft

an Land von 5.318 MW liegt Sachsen-Anhalt auf Platz 5

der Bundesländer. Bei der installierten Leistung Photovoltaik

lagen wir 2020 auf Platz 6 der Bundesländer.

W+M: Die Klimaziele der Bundesrepublik sind nur zu

schaffen, wenn die Planungs- und Genehmigungsverfahren

drastisch reduziert werden. Wie ist das zu schaffen, was in der

Vergangenheit scheinbar nicht schaffbar war?

Reiner Haseloff: Die Verwaltung kann viel, das haben wir in

der Zeit der Pandemie und in der Flüchtlingskrise bewiesen.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff im Gespräch mit W+M-Verleger Frank Nehring

Selbst wenn es an vielen Stellen bürokratisch aussah, ist alles

nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten abgelaufen, was international

gesehen nicht immer der Fall war. Wenn Deutschland etwas kann,

ist es Verwaltung. Sie ist flexibler, als man gemeinhin denkt. Sie setzt nichts

anderes um als den Rechtsrahmen, der ihr politisch vorgegeben ist.

Wenn dieser verändert wird, kann die Verwaltung auch schneller werden. Gäbe

es weniger Instanzen, wenn man zum Beispiel das Klagerecht für die Umweltverbände

einschränken würde, könnte sie noch schneller entscheiden. Letztlich trägt

der aktuelle Rechtsrahmen dazu bei, dass die Energiewende nicht schneller vorankommt.

Jetzt müssen zügig die Voraussetzungen geschaffen werden, damit die

Neuregelungen beispielsweise für die Kohlekraftwerke kurzfristig auch umgesetzt

werden können. Es braucht eine Reduzierung von Sonderinteressen und eine neue

zeitgemäße Priorisierung, die das Leben des Menschen an erste Stelle setzt.

W+M: Geht das so einfach?

Reiner Haseloff: Wir haben in Deutschland sowohl den Ausstieg aus der Nutzung der

Kernenergie wie der Kohle beschlossen. Solange regenerative Energien aber nicht grundlastfähig

sind, z. B. durch moderne Speicherkapazitäten oder Power-to-Gas-Technologien,

benötigen wir Kraftwerke, die Grundlast bereitstellen. Hier wurde bislang auf Erdgaskraftwerke

gesetzt. Vor dem Hintergrund der schwierigen Versorgungslage mit Erdgas

müssen schnellstens Konzepte her, wie Versorgungssicherheit in Deutschland auch künftig

gewährleistet werden kann. Das heißt Verfahrensbeschleunigungen beim Ausbau der

Nutzung regenerativer Energien, aber auch keine Denkverbote bei der Nutzung konventioneller

Energieträger.

W+M: In der Verwaltung fehlen Fachkräfte. Brauchen wir in der Verwaltung tatsächlich mehr

Fachkräfte oder nur eine höhere Produktivität durch die Digitalisierung der Prozesse?

Lesen Sie das

ausführliche

Interview im

W+M-Onlinemagazin

Reiner Haseloff: Wir haben in der Landesverwaltung hervorragende Fachkräfte, aber natürlich

wollen wir vor dem Hintergrund des demografischen Wandels auch neue Fachkräfte für die

Verwaltung gewinnen, u. a. durch ein attraktives Arbeitsumfeld mit Möglichkeiten der Nutzung von

Homeoffice-Lösungen oder Teilzeitarbeit. Zugleich treiben wir die Digitalisierung voran wie z. B.

durch die Einführung der elektronischen Akte. Ich denke schon, dass unsere Verwaltung produktiv

ist. Sie muss sich allerdings immer auch in dem Rechtsrahmen bewegen, den Bund und EU setzen.

Hier könnte es durchaus, wie schon erwähnt, Vereinfachungen geben.

Interview: Frank Nehring

Foto: W+M

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


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32

WIRTSCHAFT+MARKT

BRANCHE

„DIE AKTUELLE KRISE

LÄSST UNS KEINE ZEIT

FÜR EXPERIMENTE“

W+M sprach mit der Hauptgeschäftsführerin der Nordostchemie-Verbände, Nora Schmidt-Kesseler, über die

Lage der Branche angesichts steigender Energiepreise, Gasknappheit und drohender Produktionsausfälle.

W+M: Frau Schmidt-Kesseler, Sie vertreten

mit dem VCI Nordost und dem AGV Nordostchemie

die Chemie- und Pharmaindustrie im

Osten Deutschlands. Wie geht es der Branche?

Nora Schmidt-Kesseler: Im Zuge des russischen

Angriffskriegs gegen die Ukraine

haben die Energiepreise für Gas und Strom

neue Rekordwerte erreicht. Die exorbitanten

Energiepreise zwingen die Unternehmen in

unserer Branche, Produktionen zu drosseln.

Erste Produktionsanlagen stehen bereits still,

Wertschöpfungsketten beginnen zu reißen.

Wir haben in Ostdeutschland Unternehmen,

bei denen die Produktion bereits um 30 bis

40 Prozent eingebrochen ist. Für den Winter

ist aufgrund eines steigenden Gasverbrauchs

während der Heizperiode mit weiteren Preisanstiegen

zu rechnen. Wie dramatisch die

Entwicklungen sind, ist in der Politik offensichtlich

noch nicht ausreichend durchgedrungen.

Die Lage ist dramatisch, die aktuelle Krise

lässt uns keine Zeit für Experimente. Die Politik

muss jetzt alles tun, um das Schlimmste zu

verhindern.

W+M: Könnten Sie uns das erklären?

Situation betroffen. Gas ist für die Chemie essenziell

und kann trotz größter Bemühungen

der Unternehmen kurzfristig nur in geringem

Maße durch andere Brennstoffe ersetzt werden.

Als Energieträger hat der Sektor in den

letzten Jahrzehnten aus Klimaschutzgründen

auf Gas als Brücke in die Klimaneutralität bis

zur Mitte des Jahrhunderts gesetzt. Außerdem

ist die Chemie die einzige Branche, die Erdgas

auch direkt als Rohstoff zur Herstellung vieler

tausender Chemikalien einsetzt. Diese sind

wiederum wichtig für alle nachfolgenden

Produktionsketten in fast allen Branchen und

machen die chemische Industrie zum Herz des

Industriestandorts Deutschland.

W+M: Wie abhängig ist die deutsche Industrie

von der Leistungsfähigkeit der Chemieindustrie?

Nora Schmidt-Kesseler,

Hauptgeschäftsführerin der

Nordostchemie-Verbände

Nora Schmidt-Kesseler: Wie kaum eine

andere Branche in Deutschland ist die chemisch-pharmazeutische

Industrie als größter

Gasverbraucher Deutschlands, 15 Prozent

Anteil am Gesamtverbrauch, von der aktuellen

Nora Schmidt-Kesseler: Etwa 95 Prozent aller

Industrieerzeugnisse hierzulande benötigen

in ihrem Entstehungsprozess Chemieprodukte.

Seit Monaten haben wir vor drohenden

Dominoeffekten durch Produktionsausfälle

Foto: Hoffotografen

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


CHEMIE & PHARMA

WIRTSCHAFT+MARKT33

gewarnt. Jetzt stecken wir bereits mittendrin.

Unter anderem werden wichtige Chemikalien

für die Abwasserreinigung knapp, gleiches

droht für Düngemittel und AdBlue durch den

Produktionsstopp eines der größten Ammoniakproduzenten

in Deutschland. Am Beispiel

AdBlue lassen sich die weitreichenden Konsequenzen

für jeden Einzelnen in Deutschland

gut verdeutlichen. Denn ohne dieses Mittel

fährt so gut wie kein LKW mehr, ohne LKW

können viele Güter nicht mehr transportiert

werden, ohne die LKW-Transporte bleiben

die Regale – ob im Supermarkt oder auch der

Apotheke – leer.

Beinahe noch schlimmer sind jedoch die Konsequenzen,

die momentan gezogen werden.

Anstatt durch Entlastungen eine zumindest

kostendeckende Produktion wieder möglich

zu machen, sollen beispielsweise Grenzwerte

bei der Abwasseraufbereitung überschritten

werden dürfen mit weitreichenden Folgen

für Flora und Fauna und Produktionsausfälle

sollen über den Einkauf auf dem Weltmarkt

substituiert werden. Dass dies oftmals für die

Verbraucher nicht günstiger ist und weitere

Abhängigkeiten schafft, sollte in der Politik alle

Alarmglocken schrillen lassen.

W+M: Gibt es einen Hebel dem entgegenzuwirken

oder können wir nur auf sinkende

Energiepreise hoffen?

Nora Schmidt-Kesseler: Dass der Markt es

richten wird, sehe ich kurzfristig nicht. Zum

einen, weil weiterhin eine Knappheit bei der

Gasversorgung bestehen wird. Zum anderen

kommen auf die Unternehmen Mehrbelastungen

durch zahlreiche Umlagen zu, die einen

wirtschaftlichen Weiterbetrieb der Anlagen in

vielen Fällen nicht mehr möglich machen. Hier

ist die Politik gefordert, kurzfristig Entlastungen

zu schaffen. Uns ist bewusst, dass der

Gesetzgeber in einem unheimlich hohen Tempo

in einer außergewöhnlichen Drucksituation

handelt. Dass an der ein oder anderen Stelle

Fehler passieren, ist da nicht auszuschließen.

Umso entscheidender ist aber, dass entsprechend

nachjustiert wird, damit die Industrie

– der Motor unserer gesamten Volkswirtschaft

– nicht dauerhaft Schaden nimmt. Das

funktioniert teils gut, teils würden wir uns

mehr Dialogbereitschaft und schnelleres Handeln

wünschen. Auch auf Ebene der Länder

sind wir in einem permanenten Austausch und

erfahren eine sehr breite Unterstützung, für

die wir sehr dankbar sind.

W+M: Lag der Fokus der Politik in den letzten

Monaten zu stark auf der Verfügbarkeit von

Gas anstatt bezahlbarer Preise?

Nora Schmidt-Kesseler: Ohne Gas geht in der

Chemie nichts. Das liegt auch daran, dass die

Unternehmen neben der energetischen Nutzung

Gas als Rohstoff für die Herstellung von

Produkten benötigen – also stofflich verwenden.

Kurz nach Beginn des Krieges wurde von

vielen Seiten – auch verstärkt aus der Politik –

ein Gasembargo gefordert. Es wurde zum Glück

schnell verstanden, dass wir uns mit einem

solchen Embargo selbst mehr als Russland

geschadet hätten. Die Verfügbarkeit von Gas

und die diversen Maßnahmen der Bundesregierung

sind daher wichtig. Trotzdem dürfen wir

die Preiskomponente nicht aus den Augen verlieren.

Was nützt uns die Verfügbarkeit, wenn

die Unternehmen trotzdem am Ende des Tages

aufgrund der fehlenden Wettbewerbsfähigkeit

nicht mehr produzieren können? Das Thema

Verfügbarkeit bleibt aber nach wie vor virulent,

weil jetzt ein Szenario eingetreten ist, vor dem

wir seit Monaten warnen: die Einstellung der

Gaslieferungen von russischer Seite.

W+M: Lässt sich das Erdgas nicht durch

andere Quellen ersetzen?

Nora Schmidt-Kesseler: Speziell in Ostdeutschland,

aber auch im Süden haben wir das

Problem, dass wir fast gänzlich über die Pipelines

aus Russland beliefert werden. Das lässt

sich nicht von heute auf morgen substituieren.

Wir sind aber auf eine konstante Versorgung

angewiesen, da ein flexibles Runter- und Hochfahren

der Anlagen nicht möglich ist. Wo es

möglich ist, haben die Unternehmen in den vergangenen

Monaten Gas eingespart oder haben

auf andere Energieträger wie Öl umgestellt. Die

Maßnahmen sind aber ausgereizt.

W+M: War Gas als Energieträger nicht

bereits vor dem Ukraine-Krieg ein Auslaufmodell?

Nora Schmidt-Kesseler: Zu der Frage des

fossilen Energieträgers als Auslaufmodell

muss bedacht werden, dass Erdgas als

wichtige Brücke gedacht war, um vom fossilen

Energieträger Kohle und auch der Atomenergie

unabhängig zu werden. Daher ist der Bedarf

entsprechend groß, auch weil wir nicht ansatzweise

die Kapazitäten haben, um die Industrie

zu elektrifizieren. Momentan brauchen wir

jede Kilowattstunde – egal ob aus Gas, Kohle

oder auch Atomstrom. Zudem ließe sich Erdgas

energetisch zwar in der Theorie substituieren,

aber wird wie erläutert auch stofflich für

die Herstellung wichtiger Produkte gebraucht.

Interview: Frank Nehring

Foto: W+M

Nora Schmidt-Kesseler sprach mit W+M-Verleger Frank Nehring über die aktuelle Energiekrise.

Lesen Sie das

ausführliche

Interview im

W+M-Onlinemagazin

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


34

WIRTSCHAFT+MARKT

BRANCHE

WACHSENDER STANDORT:

BIOPHARMAPARK DESSAU

Nirgendwo sonst ist die Dichte an Pharmaunternehmen in Sachsen-

Anhalt so groß wie in der Region Dessau-Roßlau. Zu den wichtigsten

Standorten der Branche zählt der Biopharmapark Dessau, einer der

zwölf Zukunftsorte des Landes Sachsen-Anhalt.

Pillen, Kapseln und Infusionen – in Sachsen-Anhalt sorgt ein Netzwerk von Forschung,

Produzenten und Logistik dafür, dass medizinische Produkte dem Gesundheitsmarkt

schnell zur Verfügung stehen. Nicht nur die Aspirin-Produktion in

Bitterfeld-Wolfen, auch Medizinprodukte von Salutas in Barleben oder die Forschungsaktivität

am Technologiepark Weinbergcampus in Halle (Saale) sind Leuchttürme des

Landes. Insgesamt sind rund 5.300 Menschen in der Pharmaindustrie in Sachsen-Anhalt

beschäftigt, ihr Gesamtumsatz lag 2021 bei knapp 1,8 Milliarden Euro. Spätestens durch

die Corona-Pandemie haben die Unternehmen neue Aufmerksamkeit erhalten und ihre

Entwicklung und das Wachstum mit Investitionen verstärkt.

Zu den wichtigsten Standorten zählt die Region Dessau-Roßlau. Im Biopharmapark Dessau

etwa sind Forschung und Produktion eng vernetzt, was innovative Entwicklungen anstößt. Die

hier ansässigen Unternehmen verfügen über hohe Kompetenz in der pharmazeutischen Fertigung

und Verpackung, in der innovativen Impfstofftechnologie, in Qualitätskontrolle und Compliance

sowie in der Forschung und Entwicklung. Die Unternehmen profitieren im Biopharmapark

Dessau von einer langjährigen Erfahrung und einer bestehenden

Produktionsinfrastruktur, außerdem sind in einem gewachsenen Umfeld

noch größere Flächen bis 25 Hektar verfügbar.

IDT Biologika wächst durch Impfstoffe

Das Beispiel IDT Biologika GmbH zeigt sehr deutlich, wie die Corona-

Krise das Wachstum der Pharma industrie geboostert hat. Der

Auftragshersteller für virale Impfstoffe, der aus der traditionellen

Impfstoffproduktion am Standort hervorgegangen ist, wurde im

Jahr 2021 vom Pharmakonzern AstraZeneca als strategischer

Partner bei der Covid-Impfstoffproduktion ausgewählt.

Insgesamt hat IDT Biologika begonnen, einen dreistelligen Millionenbetrag

für die Kapazitätserweiterung aufzuwenden, die unter

anderem die Installation von bis zu fünf 2.000-Liter-Bioreaktoren

umfasst. Darin können mittelfristig pro Monat mehrere zehn Millionen

Dosen des COVID-19-Impfstoffs von AstraZeneca oder anderer

Impfstoffe mit ähnlichen Herstellverfahren produziert werden. IDT Biologika wird damit über die größten

Kapazitäten dieser Art in Europa verfügen. Die neuen Anlagen gehen voraussichtlich Ende 2022 in Betrieb.

Merz-Gruppe feierte Jubiläum im Biopharmapark

Auch bei der Merz-Gruppe sprachen für die Ansiedlung im Biopharmapark Dessau-Roßlau die fachliche

Kompetenz vor Ort und die attraktiven Erweiterungsoptionen. Zudem profitiert Merz von der Nähe zu den

Wissenschaftsstädten Leipzig und Halle, Magdeburg und Berlin, aus den Einzugsgebieten kommen Ingenieure,

Chemiker, Biologen, Apotheker und Laboranten.

Foto: IDT Biologika/Hartmut Boesener

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


CHEMIE & PHARMA

WIRTSCHAFT+MARKT35

Mit zwei Mitarbeitern im Jahr 2002 gestartet, sorgen inzwischen 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

bei Merz in Dessau-Roßlau für knapp 50 Prozent des gesamten Konzernumsatzes. Beim

Jubiläumsfest Anfang September wurden deshalb nicht nur das 20-jährige Bestehen des Unternehmens

im Biopharmapark gefeiert, sondern auch die großen Erfolge, die das Unternehmen dort

erzielen konnte. In den vergangenen 20 Jahren erfuhr der Standort einen stetigen Ausbau, wobei

bisher mehr als 70 Millionen Euro investiert wurden.

Basierend auf der gestiegenen Nachfrage an Merz-Produkten werden dort derzeit weitere 40

Millionen Euro investiert, um die Produktionskapazität weiter auszubauen. Ende Oktober plant

das Unternehmen das Richtfest für die derzeitige Großbaustelle für ein neues Multifunktionsgebäude,

das ein Lager sowie produktionsunterstützende Prozesse umfassen wird und einen

wesentlichen Bestandteil für nachgelagerte Prozessschritte bildet.

Dienstleister Oncotec GmbH investiert weiter

In unmittelbarer Nachbarschaft im Biopharmapark befindet sich die Oncotec GmbH, die ihren

25-jährigen Festtag eine Woche vor Merz feierte. Für Oncotec arbeiten derzeit 310 Beschäftigte

und erwirtschaften mit Krebs- und Rheumamedikamenten einen Umsatz von über 44,5 Millionen

Euro. Oncotec vermarktet die Produkte nicht unter eigenem Namen,

sondern ist Lohnfertiger für das Mutterunternehmen Medac und

weitere Firmen.

Als Dienstleister bildet Oncotec alles von der Prozessentwicklung

über die Zulassungsunterstützung bis zur Produktion, Qualitätskontrolle

und Verpackung ab. 1995 noch als gemeinsames Unternehmen

mit der IDT gegründet, dauerte es zwei Jahre bis zum Produktionsstart

mit gerade einmal 20 Mitarbeitern. 63 Millionen Euro

wurden seither am Standort investiert, unterstützt auch vom Land

Sachsen-Anhalt. In den nächsten drei Jahren will man weitere 50

Millionen Euro in Biotechnologie investieren und damit 30 Arbeitsplätze

schaffen, um die benötigten Wirkstoffe selbst zu erzeugen.

Auch für Start-ups interessant

Der Standort Dessau zieht aber nicht nur große Produzenten,

sondern auch digitale Gründer an: „Change Work & World“ – CWW

GmbH heißt ein Start-up aus Dessau-Roßlau, das neue Arbeitswelten in ansonsten

streng regulierten Bereichen schaffen will. Die Gründer kommen aus der Pharmazie

und aus der Chemie und kennen die Bedarfe in diesen Branchen. Deren strengen Regularien,

was Sicherheit, Zulassungen und Kontrollen betrifft, stehen dynamische

Veränderungen in der Wirtschaft gegenüber, bedingt etwa durch Fachkräftemangel,

unsichere Verfügbarkeit von Materialien und sich verändernde Lieferketten.

Foto: IMG - Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt mbH

CWW begleitet u.a. das Pharmaunternehmen Merz Pharma Dessau auf seinem

Weg, moderne Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Im September 2020 gegründet,

entwickelte CWW seitdem eine digitale Plattform für die Life Sciencesund

Pharmabranche, die wie eine Dating-Plattform funktioniert. Auf CROWD-

BAG kann sowohl Fachexpertise angeboten als auch gesucht werden, um

Wissen zu teilen, Probleme zu lösen und Innovationen zu generieren.

Die Perspektiven für die Pharmabranche sind also gut, eine der größten

aktuellen Herausforderungen ist wie in vielen anderen Branchen jedoch der

Fachkräftemangel. Gemeinsam mit der Investitions- und Marketinggesellschaft

Sachsen-Anhalt haben die zwölf Zukunftsorte in Sachsen-Anhalt

deshalb eine Kampagne gestartet, um Fachkräfte für den Standort zu

begeistern und die innovativen Branchen Pharma und Biotech weiter

voranzubringen.

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


36

WIRTSCHAFT+MARKT

BRANCHE

Lesen Sie das

ausführliche

Interview im

W+M-Onlinemagazin

CHIRACON AUF

EXPANSIONSKURS

Es gibt 61-Jährige, die über den Ruhestand nachdenken und es gibt 61-Jährige, die noch mal so richtig durchstarten

wollen. Der promovierte Chemiker und geschäftsführende Gesellschafter der Chiracon GmbH aus Luckenwalde

Ralf Zuhse ist so einer. Aktuell investiert er in einen Neubau, der mehr Platz für seine Produktion bietet und neue

Geschäftsmodelle realisierbar macht. W+M hat mit ihm gesprochen.

W+M: Was war der Grund, sich in Luckenwalde

niederzulassen?

wir auch für Mitarbeiter aus Berlin interessant

geworden sind.

Chiracon-CEO Ralf Zuhse will mit seinem

Unternehmen weiter wachsen.

W+M: Herr Zuhse, wie kam es zur Gründung

der Chiracon GmbH im Jahr 1998?

Ralf Zuhse: Nach der Promotion an der

Freien Universität Berlin bin ich drei Jahre im

Ausland gewesen und habe dort weiterhin

Forschung betrieben. Im Anschluss bin ich zu

einem Unternehmen in Hamburg gegangen,

das mir die Möglichkeit bot, zwei Welten

miteinander zu verbinden. Dies war die Welt

der modernen Chemie und die des Projektmanagements,

einschließlich der wirtschaftlichen

und finanziellen Aspekte. Ich habe in

der Zeit gelernt, wie Projekte berechnet und

wirtschaftlich aufgestellt werden.

Ralf Zuhse: Luckenwalde bot vor 25 Jahren

die Möglichkeit, unmittelbar in fertige Labore

einzuziehen und mit der Arbeit zu beginnen.

Nachdem die Chiracon nach einigen Jahren ein

solides und stabiles und vor allem ein ertragreiches

Unternehmen geworden ist, haben wir

starke Unterstützung bei den Landesinstitutionen

und Banken erfahren.

W+M: Das klingt nicht nach uneingeschränktem

Lob?

Ralf Zuhse: Brandenburg ist kein einfaches

Land für Unternehmer und es ist auch kein

Pharmaland, denn an die pharmazeutische

Industrie werden viele gesonderte Anforderungen

gestellt, die auch von den Genehmigungsbehörden

allerhand abverlangen. Wenn

die starke Unterstützung der Wirtschaftsförderung

des Landkreises Teltow-Fläming und

des Landes Brandenburg sowie der Investitionsbank

(ILB) nicht gewesen wäre, hätte ich

mich für ein anderes Bundesland entschieden.

Ein weiterer Grund, der für Brandenburg

spricht, sind die Menschen in der Region. Viele

meiner Mitarbeiter sind aus Brandenburg und

leben sehr gerne hier. Die Infrastruktur, speziell

die Anbindung von Luckenwalde, hat sich in

den letzten Jahren stark verbessert, so dass

W+M: Welche Ziele verfolgen Sie mit dem

weiteren Ausbau Ihres Unternehmens?

Ralf Zuhse: Ich will die Chiracon zu einem

Unternehmen machen, welches Wirkstoffe

für den europäischen und natürlich auch für

den Weltmarkt zur Verfügung stellt, die in der

Herstellung aufwendig und technologisch anspruchsvoll

sind. Dies sind meist Wirkstoffe, die

in kleinster Dosierung wirken und somit nicht

im Tonnenmaßstab benötigt werden. Das heißt

natürlich nicht, dass unsere Wirkstoffe von nur

wenigen Patienten gebraucht werden. Bereits

jetzt versorgen wir 3,5 Millionen Patienten mit

unseren Wirkstoffen. In wenigen Jahren werden

es über 20 Millionen Patienten werden.

Damit wir dieses Ziel erreichen, haben wir

einen Neubau geplant, der uns die Möglichkeiten

zur Produktion von größeren Mengen von

Wirkstoffen ermöglicht. Dieses Bauvorhaben

werden wir in diesem Jahr beginnen und zum

Ende des kommenden Jahres fertigstellen. Mit

einem Bauvolumen von rund 7,5 Millionen Euro

wird eine moderne Anlage entstehen, die neue

und seltene Wirkstoffe für moderne Therapien

zur Verfügung stellt.

Ein weiterer Plan, der mich schon seit Jahren

beschäftigt, ist die Herstellung eigener Medikamente.

Wenn wir schon Wirkstoffe herstellen,

die einzigartig sind, dann können wir auch

Foto: Chiracon GmbH

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


CHEMIE & PHARMA

WIRTSCHAFT+MARKT37

das Endprodukt produzieren. Dies werden wir

allerdings nur in Einzelfällen machen können.

Ich habe dazu vor einigen Monaten die

Chiracon Pharma gegründet. Auch diese Firma

entwickeln wir planmäßig.

W+M: Was hat es mit der Chiracon Pharma

auf sich?

Ralf Zuhse: Die Chiracon Pharma ist die

logische Erweiterung der Dienstleistungen

der Chiracon. In den letzten 20 Jahren haben

wir Arzneistoffsynthesen für unsere Kunden

und für den freien Markt entwickelt. Wir haben

erkannt, dass viele generische Wirkstoffe nicht

in die übliche Schublade der billigen Nachahmerpräparate

gehören, sondern hochpreisige,

spezialisierte Produkte sind, die nicht durch

Großproduktion hergestellt werden müssen.

Das kam unserer Ausrichtung im Markt als

technologielastige und auf regulatorisch

anspruchsvolle Wirkstoffe spezialisierte Firma

absolut entgegen. Es lag auf der Hand, nach

dem nächsten Schritt zu fragen. Wie können

wir die Wirkstoffe noch effektiver in den Markt

bringen? Die Antwort lautet: Indem wir als

Chiracon Pharma bei der Synthese einen weiteren

Wertschöpfungsschritt hinzufügen. Im

Pharmabereich bedeutet dies, die Wirkstoffe

zu formulieren und in ein Medikament zu

überführen.

Wir wollen in den nächsten Jahren keine Produktion

von Tabletten oder dergleichen durchführen,

dazu gibt es bereits viele spezialisierte

Unternehmen in Deutschland, die gut etabliert

sind. Wir wollen lediglich das finale Produkt

anbieten und andere Firmen im Netzwerk

als Lohnproduzenten einbinden.

Produktion bei Chiracon in Luckenwalde

W+M: Mitarbeiter zu gewinnen ist das eine, W+M: Was empfehlen Sie jungen Menschen,

wie halten Sie Ihre Mitarbeiter?

die sich selbstständig machen wollen?

Ralf Zuhse: Neben der Laborantenausbildung

haben wir ein eigenes internes Pro-

als erstes einen Kunden braucht. Man muss

Ralf Zuhse: Ich bin der Meinung, dass man

gramm zur Mitarbeiterbindung entwickelt. sich fragen: Habe ich ein Produkt, das für potenzielle

Kunden einen Mehrwert besitzt? Ist

Unsere Mitarbeiter erhalten neben einer guten

Bezahlung auch zusätzliche Incentives. Von für mein Produkt bereits ein Markt vorhanden

großer Bedeutung ist das Arbeitsklima. Alle oder muss ich ihn erst bereiten? Wenn beides

müssen kommunikativ sein. Darauf achten wir bejaht werden kann, dann ergibt sich der Rest

sehr bei der Einstellung. Ein gutes Arbeitsklima der Herausforderungen von allein.

ist im Bereich komplexer Arbeitsvorgänge und

häufiger Entscheidungen sehr wichtig. Wir Interview: Frank Nehring

haben durch Managementsysteme auch die

Zuständigkeiten transparent gehalten, ohne

dabei Abgrenzungen zu schaffen.

Chiracon GmbH

Die Chiracon GmbH ist 1998 mit dem Ziel gegründet worden, weltweit Ansprechpartner

für die Herstellung hochwertiger Zwischen- und Endprodukte für den Pharmabereich mit

innovativen Herstellungsprozessen zu werden.

Foto: Chiracon GmbH

W+M: Wie ist es Ihnen gelungen, qualifiziertes

Personal nach Luckenwalde zu bekommen?

Ralf Zuhse: Zurzeit arbeiten bei uns 36 Mitarbeiter:

9 promovierte Naturwissenschaftler,

14 Laboranten, 4 Ingenieure, 5 Kaufleute und

4 Azubis. Bei den Naturwissenschaftlern und

Ingenieuren haben wir gute Mitarbeiter und

bekommen auch qualifizierte Bewerbungen.

Hier haben wir keine Bedarfsprobleme. Bei

den Laboranten sieht es ein wenig anders

aus. Hier haben wir uns schon vor Jahren

entschieden, den Weg der eigenen Ausbildung

zu beschreiten.

In den Gründerjahren lag der Fokus zunächst auf Chemo- und Enzymkatalysen zur Herstellung

von „Small Molecules“ als chirale Intermediate oder Produkte und begründete

eine Produktsparte des Unternehmens, welche mittlerweile mehr als 80 hochwertige und

am Markt gefragte Chemikalien umfasst.

Heute stellt eines der Markenzeichen das Angebot an die pharmazeutische Industrie

und an Forschungseinrichtungen dar, neue Wirkstoffkandidaten sowie Generika von der

Struktur über F&E und Scale-up zu einer anwendungsreifen Wirkstoffsynthese innerhalb

kürzester Zeit zu entwickeln, Zulassung zum „Drug Product“ und zugehörige Dokumentation

inbegriffen.

Die kontinuierlich wachsende Nachfrage nach den Chiracon-Produkten machte bereits im

Jahr 2019 die Erweiterung der Produktionsfläche erforderlich. Mit dem geplanten Neubau

kann nicht nur die Produktionsfläche verdoppelt werden, sondern das Unternehmen bleibt

auch Luckenwalde treu und will die Wertschöpfung in der Region weiter erhöhen sowie

neue, qualifizierte Arbeitsplätze mit einer nachhaltigen Perspektive schaffen.

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


38

WIRTSCHAFT+MARKT

BRANCHE

„DIE DEUTSCHE

INDUSTRIE

BRAUCHT PLANUNGS-

SICHERHEIT“

Jürgen Fuchs, Vorsitzender der Geschäftsführung der BASF Schwarzheide GmbH, spricht im

W+M-Interview über die aktuelle Energiekrise, die Transformation der Chemieindustrie und

die Bedeutung des BASF-Produktionsstandorts für die Lausitz.

W+M: Herr Fuchs, der BASF geht es auch in

den aktuellen Krisenzeiten gut. Gilt das auch

für das Werk in Schwarzheide?

Jürgen Fuchs: Das erste Halbjahr ist für die

BASF-Gruppe sehr gut gelaufen, auch weil wir

in der Lage waren, die gestiegenen Rohstoffpreise

und Energiekosten weiterzugeben. Die

Nachfrage war unverändert hoch und hat auch

in Schwarzheide für eine gute Auslastung der

Produktionsanlagen gesorgt. Gleichwohl sehen

wir die weitere Entwicklung mit gewisser

Sorge und stellen uns auf herausfordernde

Zeiten ein.

W+M: Welche Gefahren drohen?

Jürgen Fuchs: „Wir dürfen nicht die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie aus den Augen verlieren.“

Jürgen Fuchs: Schwarzheide ist ein energieintensiver

Standort, die Energiekosten machen

einen hohen Anteil an unseren Herstellungskosten

aus. Nicht nur die Erdgaspreise sind

massiv gestiegen, auch die Rohstoffkosten

haben sich deutlich erhöht. Die Herstellkosten

einiger unserer Produkte haben sich dadurch

fast verdoppelt im Vergleich zum Vorkrisenniveau.

Mit dem Effekt, dass wir zur Zeit bei

uns und in der gesamten chemischen Industrie

einen Rückgang bei der Nachfrage nach

Chemie produkten spüren.

Foto: W+M

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


CHEMIE & PHARMA

WIRTSCHAFT+MARKT39

W+M: Ostdeutschland ist nahezu vollständig

vom russischen Gas abhängig. Woher bezieht

die BASF in Schwarzheide ihr Gas?

Jürgen Fuchs: Wir beziehen Erdgas von

westeuropäischen Lieferanten. Es ist davon

auszugehen, dass der regionale Mix des von

uns bezogenen Erdgases dem in Deutschland

entspricht. Derzeit erfolgt die Belieferung mit

Erdgas an allen europäischen Standorten der

BASF bedarfsgerecht, so auch in Schwarzheide.

Es gibt aktuell keine gasversorgungsbedingten

Abstellungen oder Drosselungen.

Sorge bereitet uns der sehr hohe Preis für

Erdgas, der um ein Vielfaches gestiegen ist.

W+M: Wie ist BASF Schwarzheide auf

mögliche Versorgungsengpässe vorbereitet?

Foto: W+M

Jürgen Fuchs: Wir betreiben in Schwarzheide

ein eigenes Gas- und Dampfturbinenkraftwerk

zur Erzeugung von Wärme und

Strom für unsere 13 Produktionsanlagen. Um

die Dimensionen zu verdeutlichen: Mit der

Energie, die wir hier am Standort erzeugen

und verbrauchen, könnte eine Stadt mit zirka

150.000 Einwohnern ein Jahr lang mit Strom

und Wärme versorgt werden.

Der Produktionsstandort Schwarzheide hat

sich auf Szenarien mit reduzierten Erdgaslieferungen

vorbereitet. Wenn die Bundesregierung

im Notfallplan Gas die dritte Alarmstufe

ausruft, würde Erdgas von der Bundesnetzagentur

zugeteilt. Falls wir in diesem Fall

weniger Gas beziehen können, benötigen wir

alternative Energieträger, um den Standort

mit Energie und damit unsere Kunden mit

Produkten zu versorgen. Dabei können wir

zum einen Strom vom Markt beziehen oder

unser Kraftwerk zum Teil mit anderen Brennstoffen

wie zum Beispiel Heizöl betreiben.

Nach der jüngst abgeschlossenen Modernisierung

könnten wir in unserem Kraftwerk

auch Wasserstoff als Energieträger einsetzen,

so dieser zur Verfügung stünde. Im August

haben wir zudem unseren Solarpark in Betrieb

genommen, den wir in Kooperation mit dem

Energieversorger enviaM errichtet haben. Es

ist das erste Solarkraftwerk industrieller Größenordnung

innerhalb der BASF-Gruppe und

deckt etwa zehn Prozent des Strombedarfs

am Standort ab.

Jürgen Fuchs, Vorsitzender der Geschäftsführung der BASF Schwarzheide GmbH,

im Gespräch mit W+M-Verleger Frank Nehring

W+M: Deckt sich die Situation bei BASF

in Schwarzheide mit der Chemieindustrie

insgesamt?

Jürgen Fuchs: Hier sollte man differenzieren.

Je nach Energiebedarf, Energieträger oder

Produktportfolio ergeben sich unterschiedliche

Situationen und damit Lösungsansätze.

Wir sehen, dass mittlerweile manche Chemieprodukte

zu deutlich niedrigeren Preisen aus

dem Ausland importiert werden, als wir sie in

Deutschland herstellen können. Und hier rede

ich nicht von Unterschieden im zweistelligen

Prozentbereich, sondern um Faktoren. Diese

Schieflage, insbesondere die um ein Vielfaches

günstigeren Erdgas- und Energiepreise in beispielsweise

Nordamerika, ist eine Bedrohung

für alle energieintensiven Branchen und könnte

zu einer De-Industrialisierung in Europa und

Deutschland führen.

W+M: Sind diese Risiken der Öffentlichkeit

ausreichend bewusst?

Jürgen Fuchs: Die politische Diskussion fokussiert

zurzeit stark auf die Folgen der Inflation

und die Belastungen für die Bevölkerung

durch hohe Energiepreise. Das ist wichtig,

vor allem für den Erhalt des gesellschaftlichen

Friedens. Doch wir dürfen darüber nicht

die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie aus

den Augen verlieren. Die deutsche Industrie

braucht wettbewerbsfähige Energiepreise,

Versorgungs- und Planungssicherheit.

W+M: Die Energiepreise sind nicht die

einzige Bedrohung für die Wettbewerbsfähigkeit.

Welche weiteren Herausforderungen

sehen Sie?

Jürgen Fuchs: Die chemische Industrie

befindet sich inmitten eines kapitalintensiven

Transformationsprozesses hin zur Klimaneutralität.

Dieses Ziel unterstützen wir als BASF

und haben uns in unserem Unternehmenszweck

auch der Nachhaltigkeit verschrieben:

„Wir machen Chemie, die verbindet, für eine

nachhaltige Zukunft.“ Doch auf dem Weg

liegen weitere potenzielle Hürden.

Im Green Deal der EU ist eine Chemikalienstrategie

verankert. Dies ist ein Paket von mehr

als 80 Einzelmaßnahmen mit weitreichenden

Auswirkungen. Rund 12.000 Chemikalien sind

aller Voraussicht nach davon betroffen – und

zwar in allen Lebensbereichen, vom Auto über

Haushalt bis hin zu Kosmetik. Viele dieser

Stoffe werden wir durch Neuentwicklungen

ersetzen – aber das braucht Zeit. Wenn ganze

Gruppen von Stoffen auf einen Schlag gesammelt

verboten werden, fehlen an vielen Stellen

erst einmal wichtige Materialien für Hygiene-,

Automobil- oder Bauprodukte. Hinzu kommen

die wirtschaftlichen Effekte: Die europäische

Chemieindustrie könnte nach einer

Abschätzung des unabhängigen Wirtschaftsforschungsunternehmens

Ricardo Energy &

Environment bis 2040 mindestens zwölf

Prozent an Marktanteilen verlieren. Manchem

kleinen und mittelständischen Unternehmen

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


40

WIRTSCHAFT+MARKT

BRANCHE

in der Branche zieht das den Boden unter den

Füßen weg.

Die deutsche Chemieindustrie sieht sich

gegenwärtig geballten Herausforderungen

ausgesetzt, die ich persönlich in der Komplexität

in rund dreißig Jahren Berufsleben so

nicht annähernd erlebt habe. Der Politik muss

aber klar sein: Die chemische Industrie ist

Grundstofflieferant für fast alle anderen Branchen

des produzierenden Gewerbes. Unsere

Produkte, sei es in der Herstellung oder der

Anwendung, zahlen auf die Nachhaltigkeitsziele

erheblich ein. Damit sind wir Schlüsselindustrie

und Lösungsanbieter auf dem Weg zu

einer klimaneutralen Zukunft.

W+M: Nicht nur die Chemieindustrie sieht

sich einem Veränderungsprozess gegenüber,

auch Ihr Standort, die Lausitz, befindet sich

im Strukturwandel. Welchen Beitrag kann die

BASF leisten, um diesen Strukturwandel zu

unterstützen?

Jürgen Fuchs: BASF macht sich für seinen

Standort in der Lausitz stark und hat

dieses Bekenntnis zum Standort auch

jüngst in einer gemeinsamen Erklärung mit

der brandenburgischen Landesregierung

erneut bekräftigt. Wir sind für den Süden

Brandenburgs und die Lausitz ein strukturbestimmendes

Unternehmen und uns dieser

Verantwortung sehr bewusst. Wir beschäftigen

hier etwa 2.100 Mitarbeiterinnen und

Mitarbeiter, die erfahren sind im Umgang mit

Transformationsprozessen. Daneben arbeiten

auf dem Werksgelände weitere 1.500 Personen

bei angesiedelten Unternehmen sowie

Dienstleistern und Partnern.

Lesen Sie das

ausführliche

Interview im

W+M-Onlinemagazin

Die Produktionsanlagen der BASF in Schwarzheide

Der Standort Schwarzheide ist auf Wachstum

ausgerichtet. Die BASF hat sich für Schwarzheide

als Standort entschieden, um die erste

Fabrik für Kathodenmaterialien in Europa zu

bauen. Diese Anlage befindet sich bereits im

Bau und wir haben kürzlich den Spatenstich

für eine Prototypanlage für Batterierecycling

zelebriert. Damit tragen wir nicht nur

maßgeblich zum Entstehen der europäischen

Wertschöpfungskette für Elektromobilität bei,

sondern erhöhen gleichzeitig die Attraktivität

für andere Unternehmen, die im Wertschöpfungsnetzwerk

Elektromobilität bereits aktiv

sind oder es werden wollen, in der Lausitz und

in Brandenburg – als Mobilitätsland Europas –

zu investieren.

Darüber hinaus pilotieren wir in Schwarzheide

die Energiewende für mittelgroße

BASF-Standorte und haben uns zum Ziel

gesetzt, einer der ersten CO 2

-neutralen

BASF-Produktionsstandorte zu werden. Wir

setzen uns auch stark für Aus-, Fort- und

Weiterbildung ein und unterstützen mit viel

Engagement z. B. den geplanten Bau des Leistungszentrums

Westlausitz, einer Einrichtung

der überbetrieblichen Bildung, von der rund 80

Unternehmen der Region profitieren könnten,

weil sie auf höchstem Niveau zur Fachkräftesicherung

beitragen wird.

W+M: Wie schwierig ist es denn, Fachkräfte

in die Lausitz zu holen?

Jürgen Fuchs: Unsere Beschäftigtenzahlen

steigen. Vor fünf Jahren waren es knapp

über 1.700 Beschäftigte, heute sind es ca.

2.100. Im vergangenen Jahr konnten wir alle

offenen Stellen mit entsprechend Qualifizierten

besetzen. Die Fachkräftesicherung

zählt trotzdem weiterhin zu unseren größten

Herausforderungen. Wir bieten attraktive

Arbeitsplätze, gute Gehälter, Entwicklungsund

Entfaltungsmöglichkeiten, sinnstiftende

Aufgaben sowie Tarifbindung – aber

das alleine reicht heutzutage nicht mehr

aus. So fördern wir beispielsweise flexible

Arbeitsmodelle, wir setzen auf Digitalisierung,

Freude bei der Arbeit u.v.m. Es braucht

aber auch ein lebenswertes Umfeld mit der

entsprechenden Infrastruktur, bezahlbarem

Wohnraum, Kitas, Schulen, Anbindung und

Freizeitmöglichkeiten.

Wir haben uns viel vorgenommen in Schwarzheide.

Wir haben Pläne und Konzepte

erarbeitet, wie wir durch die Krise kommen

wollen. Wir haben einen Fahrplan zu unserer

Transformationsreise mit neuen Produkten

und Technologien, in dem der Nachhaltigkeitsgedanke

zum Treiber für Innovation wird. Wir

haben aber vor allem eins: ein tolles Team in

Schwarzheide – und das gibt mir die Zuversicht

und den Optimismus, dass wir die großen

Herausforderungen meistern werden.

Interview: Frank Nehring

Foto: BASF Schwarzheide GmbH

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


CHEMIE & PHARMA

WIRTSCHAFT+MARKT41

36 TOP-UNTERNEHMEN DER

CHEMIE- UND PHARMAINDUSTRIE

Die chemisch-pharmazeutische Industrie ist eine der wichtigsten Branchen in Ostdeutschland. 2021 erreichte sie mit

über 31 Milliarden Euro einen neuen Umsatz-Höchststand. W+M-Online stellt in einer mehrteiligen Serie prägende

Unternehmen der Branche vor. Die porträtierten Unternehmen in der Übersicht.

BERLIN

Berlin steht in erster Linie für die Pharmaindustrie.

Mehr als 90 Prozent der Umsätze

werden in der Pharmasparte verdient.

Entsprechend arbeiten auch 80 Prozent der

Beschäftigten der Branche in der Hauptstadt

in der Pharmaproduktion, vornehmlich bei den

fünf größten Unternehmen der Branche.

Porträtierte Unternehmen

• Berlin-Chemie AG, Berlin-Adlershof

• Bayer AG, Berlin-Wedding

• B.Braun SE, Berlin-Rudow

BRANDENBURG

Biopolymere, innovative Verbundwerkstoffe

für den Leichtbau, Spezialfolien, Kraftstoffe –

Brandenburgs Chemie- und Pharmaindustrie

beeindruckt durch die Vielfalt ihrer Produkte.

Mit dem Chemiestandort Schwarzheide, dem

Industriepark Schwedt und den Industriestandorten

Schwarze Pumpe, Guben,

Oranienburg und Premnitz ist die Chemieindustrie

auch regional in Brandenburg breit

aufgestellt.

Porträtierte Unternehmen

• BASF Schwarzheide GmbH, Schwarzheide

• Takeda GmbH, Oranienburg

• PCK Raffinerie GmbH, Schwedt

• Trevira GmbH, Guben

• ORAFOL Europe GmbH, Oranienburg

MECKLENBURG-

VORPOMMERN

Die Corona-Pandemie rückte die Insel Riems

im Greifswalder Bodden in das Bewusstsein

der Öffentlichkeit, forscht hier doch das

Friedrich-Loeffler-Institut an der Ausbreitung

von Tierseuchen. Auch die Städte Greifswald

und Rostock sind Standorte der Pharma-

industrie, an denen Impfstoffe und Pharmaka

für Mensch und Tier produziert werden.

Porträtierte Unternehmen

• YARA GmbH & Co. KG, Rostock

• Cheplapharm Arzneimittel GmbH,

Greifswald

• Ceva Tiergesundheit GmbH, Greifswald –

Insel Riems

SACHSEN

Die chemisch-pharmazeutische Industrie in

Sachsen umfasst ein breites Spektrum an

Produzenten, deren Angebote von chemischen

Stoffen auf Silicium-Basis über

Industrielacke, Impfstoffe bis hin zu Reinigungsmitteln

reicht. Rund ein Fünftel der in

Ostdeutschland in der Branche Beschäftigten

arbeitet im Freistaat.

Porträtierte Unternehmen

• Wacker Chemie AG, Nünchritz

• Herlac Coswig GmbH, Coswig

• CUP Laboratorien Dr. Freitag GmbH, Radeberg

• GlaxoSmithKline Biologicals NL der Smith-

Kline Beecham Pharma GmbH & Co. KG,

Dresden

• Fit GmbH, Hirschfelde

SACHSEN-ANHALT

Sachsen-Anhalt ist das Zentrum des

mitteldeutschen Chemiedreiecks mit Global

Playern aus aller Welt und einer Vielzahl

mittelständischer Unternehmen an traditionsreichen

Standorten wie Leuna, Schkopau

oder Bitterfeld-Wolfen. In fünf Chemieparks

wird die komplette Wertschöpfungskette der

Chemieindustrie abgebildet. Polymersynthese,

Agrochemie oder Fein- und Spezialchemie

stehen für das Leistungsangebot der

Chemie in Sachsen-Anhalt.

Porträtierte Unternehmen

• Chemiepark Leuna (InfraLeuna GmbH), Leuna

• DOMO Caproleuna GmbH, Leuna

• Linde GmbH, Leuna

• Leuna-Harze GmbH, Leuna

• Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme

IWES, Leuna

• Dow Value Park (DOW Olefinverbund GmbH),

Schkopau

• Trinseo Deutschland GmbH, Schkopau

• Synthos Schkopau GmbH, Schkopau

• Chemie- und Industriepark Zeitz (Infra-Zeitz

Servicegesellschaft mbH), Zeitz

• IDT Biologika GmbH, Dessau-Roßlau

• Serumwerk Bernburg AG, Bernburg

• DAW SE, Köthen / Nerchau

• SKW Stickstoffwerke Piesteritz,

Lutherstadt Wittenberg

• Chemiepark Bitterfeld-Wolfen GmbH,

Bitterfeld-Wolfen

• Heraeus Quarzglas Bitterfeld GmbH & Co.

KG, Bitterfeld-Wolfen

• Bayer Bitterfeld GmbH, Bitterfeld-Wolfen

• Nobian GmbH, Bitterfeld-Wolfen

THÜRINGEN

Thüringen ist geprägt von mittelständisch

strukturierten Unternehmen in der Kunststoff-

und Gummiproduktion mit einer über 100-jährigen

Tradition. Aber auch pharmazeutische

Betriebe, Farben-, Lacke- oder Reinigungsmittelhersteller

sind im Freistaat ansässig.

Porträtierte Unternehmen

• Laborchemie Apolda, Apolda

• Polytives GmbH, Jena

• Leuchtstoffwerk Breitungen GmbH,

Breitungen

Lesen Sie die

ausführliche

Serie im W+M-

Onlinemagazin

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


42

WIRTSCHAFT+MARKT

BRANCHE

„DIE PROZESSE MÜSSEN

BESCHLEUNIGT WERDEN“

Im W+M-Interview spricht Stefan Dohler, Vorstandsvorsitzender

der EWE AG, über die Versorgungssicherheit von Gas und Strom,

den Ausbau der erneuerbaren Energien und bürokratische

Hemmnisse, welche die Energiewende bremsen.

sind Versorgungsengpässe beim Gas nach wie

vor möglich.

W+M: Wie sehr belastet die Explosion der

Gaspreise Ihr Unternehmen?

Stefan Dohler: Wir erleben in Teilen eine Verzehnfachung

der Preise. Selbst wenn wir die höheren

Beschaffungskosten teilweise an unsere

Kunden weitergeben können, müssen diese von

uns zunächst vorfinanziert werden. Das heißt

zum Beispiel, dass wir jetzt deutlich höhere

Sicherheitsleistungen hinterlegen müssen.

Stefan Dohler, Vorstandsvorsitzender der EWE AG

W+M: Herr Dohler, welche wirtschaftlichen

Gefahren drohen EWE angesichts

der aktuellen Energiekrise?

Stefan Dohler: Die Lage ist zurzeit bei allen

Energieversorgern extrem angespannt. Und

dies betrifft gleich zwei Aspekte: Die Versorgungssicherheit,

die für uns sehr lange Zeit

gar nicht zur Debatte stand, sondern selbstverständlich

war, sowie die Entwicklung der

Preise. Beides steht natürlich in einem engen

Zusammenhang.

EWE-Projekte in Brandenburg und MV

W+M: Ist die ausreichende Versorgung mit

Gas für den bevorstehenden Winter noch

gewährleistet?

Stefan Dohler: Unsere Gasspeicher sind

nahezu komplett gefüllt, auch in der restlichen

Energiewirtschaft sind die Speicher mittlerweile

gut ausgelastet. Damit kann aber nicht

jedes denkbare Krisenszenario in den kommenden

Monaten völlig ausgeschlossen werden.

Wenn der Winter sehr kalt oder lang wird

und wir nicht genügend Energie einsparen,

Auch in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern hat EWE Projekte zum Umbau der

Energiewirtschaft auf den Weg gebracht. In Brandenburg sind beispielsweise 32 EWE

Go-Ladepunkte am Tropical Islands in Betrieb gegangen. Geplant ist auf dem Gelände

der tropischen Urlaubswelt auch die Erzeugung von Wärme und Strom aus erneuerbaren

Energien, wenn die Politik die Weichen stellt und die Flächennutzung genehmigt. Zudem

unterstützt EWE in Jüterbog einen Investor bei der energetischen Sanierung eines historischen

Vierseithofs mit Landgasthof und Reiteranlage. Dieser wird gerade zum Treffpunkt

für Arbeit, Kultur und Freizeit umgebaut, mit Restaurant, Co-Working und Co-Living. EWE

installiert für den Betreiber in den nächsten Monaten eine Luft-Wärme-Pumpe und eine

PV-Anlage, die den überwiegenden Strombedarf decken soll. Zudem setzt EWE zunehmend

auf grüne Gase. So baut das Unternehmen gerade neue, mit Biogas betriebene Blockheizkraftwerke

in Finowfurt und Strausberg.

Wir spüren bereits jetzt schon, dass einige

Kunden mit den gestiegenen Preisen überfordert

sind. Dies wird in naher Zukunft eher

zunehmen, deshalb muss die Politik helfend

eingreifen. Die Frage wird sein, ob die bisher

geschnürten Entlastungspakete für die Bürger

schnell genug greifen und die richtigen Adressaten

erreichen. Als Unternehmen versuchen

wir darüber hinaus so flexibel wie möglich,

Kunden in Zahlungsschwierigkeiten Zeit zu

geben, Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen.

W+M: Wie sieht es bei kleinen und mittelständischen

Unternehmen aus, die durch

die massiv steigenden Kosten in Schieflage

geraten sind?

Stefan Dohler: Bei den gewerblichen Kunden

gelten zurzeit vielfach noch längerfristige

Verträge zu günstigeren Konditionen, die

wir vertragstreu erfüllen, trotz der höheren

Beschaffungskosten. Viele dieser Jahreskontrakte

laufen aber nun aus. Das bereitet den

Unternehmen natürlich Sorge, weil viele von

ihnen die aktuellen Energiekosten nicht oder

nur in Teilen an ihre Kunden weiterreichen

können und so absehbar in wirtschaftliche

Schwierigkeiten kommen werden. Auch hier

muss der Staat den KMU mit zielgenauen

Entlastungspaketen zur Seite stehen. Dies

Foto: Mohssen Assanimoghaddam

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


ENERGIE

WIRTSCHAFT+MARKT43

erachte ich im Übrigen als sinnvoller und praktikabler

als direkte staatliche Eingriffe in den

Energiemarkt.

In Rüdersdorf baut EWE in 1.000 Metern Tiefe eine Testkaverne

zur Speicherung von 100 Prozent Wasserstoff.

W+M: Gibt es für EWE auch positive

Entwicklungen in dieser aktuellen Lage?

Stefan Dohler: Wir haben die Genehmigung

für eine Gasanbindungsleitung zum LNG-Terminal

in Wilhelmshaven vorliegen und werden

rund 160 Millionen Euro investieren, um bis

zum Winter 2023 die Anbindung an unsere

Gasspeicher im Nordwesten und das Ferngassystem

zu realisieren. Davon partizipieren

dann auch andere Regionen wie Brandenburg

oder Mecklenburg-Vorpommern. Zudem

können wir mittlerweile über unsere Windkraftanlagen

vier Terrawattstunden Strom

pro Jahr selbst erzeugen. Angesichts unserer

gesamten Stromverkäufe von 18 Terrawattstunden

ist dies aber noch ein geringer Anteil,

Foto: Andreas Prinz

so dass die aktuell höheren Erlöse in diesem

Geschäftsfeld nur bedingt ins Gewicht fallen.

W+M: Was bedeutet die gegenwärtige Krise

aus Ihrer Sicht für das Gelingen der Energiewende?

Stefan Dohler: Das Verständnis für den

Ausbau der erneuerbaren Energien und der

gleichzeitigen Reduzierung der Importabhängigkeiten

ist stark gewachsen. Wir erleben,

dass sehr viele, auch gewerbliche Kunden

jetzt beispielsweise PV-Anlagen nachfragen.

Die nächsten beiden Jahre, insbesondere

die Wintermonate, werden dennoch eine

schwierige Zeit. Danach werden wir, so meine

Einschätzung, ausreichend LNG-Importe

haben, wir werden eine deutliche Absenkung

des Energieverbrauchs erleben, der europäische

Verbund wird besser funktionieren

und der Ausbau der erneuerbaren Energien

deutlich vorangeschritten sein. Auch beim

Umbau der Wärmeversorgung, vor allem

durch einen stärkeren Einsatz von Wärmepumpen,

wird es in diesem Zeitraum positive

Entwicklungen geben. Das alles wird zu einer

Stabilisierung der Preise führen, wenn auch

auf einem höheren Niveau als vor der Krise.

Wir müssen jetzt möglichst schnell das Angebot

an Energie aus unterschiedlichen Quellen

erhöhen und den Energieverbrauch senken.

Lesen Sie das

ausführliche

Interview im

W+M-Onlinemagazin

Letzteres wird automatisch passieren, wenn

die hohen Energiepreise endgültig die Kunden

erreicht haben.

W+M: Auch EWE investiert zurzeit in den Ausbau

der erneuerbaren Energien. Wie weit sind

Sie auf diesem Weg bereits voran gekommen?

Stefan Dohler: Wir haben gemeinsam mit der

Aloys Wobben Stiftung ein Gemeinschaftsunternehmen,

die Alterric GmbH mit Hauptsitz

im ostfriesischen Aurich, gegründet. Dies ist

der größte Onshore-Windpark-Betreiber in

Deutschland mit 2.300 Megawatt installierter

Leistung. In unserer Projekt-Pipeline in ganz

Europa warten weitere 9.000 Megawatt.

Die Alterric GmbH wächst zurzeit sehr stark.

Unser Ziel ist es, bis 2030 mindestens 200

Megawatt Zubau jährlich in der Windenergie

zu verwirklichen. Dafür haben wir in diesem

Jahr noch mal zusätzlich 100 Mitarbeiter und

Mitarbeiterinnen eingestellt. Auch in Brandenburg

und Mecklenburg-Vorpommern setzen

wir bereits Projekte um.

W+M: Schreitet der Ausbau schnell genug

voran?

Stefan Dohler: Die Geschwindigkeit hängt

sehr stark davon ab, wie schnell wir die

Genehmigungen und Freigaben für solche

Windparks bekommen. Die bürokratischen

Genehmigungsprozesse hemmen den Ausbau

derzeit noch massiv, auch weil die personelle

Ausstattung der Behörden nicht ausreichend

ist. Das muss sich ändern, die Prozesse

müssen deutlich beschleunigt werden.

W+M: Die Politik hat selbst angekündigt,

die Genehmigungsprozesse beschleunigen

zu wollen. Ist dieser Wille bereits in der

Praxis spürbar?

Stefan Dohler: Die Vorhaben, das Repowering

schneller umsetzen zu können,

die Flächenausweitung für die Windkraft

oder die Anpassungen beim Arten- und

Naturschutz sind richtige und notwendige

Schritte. Die Umsetzung ist aber in der

Praxis der lokalen Genehmigungsbehörden

oftmals noch nicht angekommen.

W+M: Muss die Energiewirtschaft hier

mehr Druck auf die Politik ausüben?

Stefan Dohler: EWE hat bereits einen

16-Punkte-Plan vorgelegt, der konkret

benennt, mit welchen Maßnahmen die

Prozesse und der Ausbau der erneuerbaren

Energien deutlich schneller umgesetzt

werden können. Das Beispiel des LNG-Beschleunigungsgesetzes

hat aktuell gezeigt,

wie kurzfristig der Gesetzgeber Lösungen

finden kann, wenn der politische Wille dazu

vorhanden ist. Dasselbe wäre aus meiner

Sicht mit einem Erneuerbare-Energien-

Beschleunigungsgesetz ebenfalls denkbar.

Interview: Frank Nehring und

Matthias Salm

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


44

WIRTSCHAFT+MARKT

FACHKRÄFTE

DER OSTDEUTSCHEN

WIRTSCHAFT GEHEN

DIE FACHKRÄFTE AUS

In vielen ostdeutschen Branchen bremsen offene Stellen den Aufschwung aus. Die für die Transformation

benötigten Fachkräfte fehlen nicht nur dem Mittelstand. Auch Großansiedlungen wie Intel oder Tesla

erhöhen den Druck auf den Arbeitsmarkt.

VON MATTHIAS SALM

AAnfang des Jahres schlugen Sachsens Kammern

Alarm. Die sächsischen Industrie- und

Handelskammern und die Handwerkskammern

hatten ihre Mitglieder befragt und das

Ergebnis war eindeutig: Mit 64 offenen Stellen

je 1.000 Beschäftigte wurde der bisherige

Höchstwert von 52 offenen Stellen aus dem

Jahr 2018 nochmals deutlich überschritten.

Besonders fehlt es laut Umfrage an Technikern

und Meistern. Gerade der kleine Mittelstand

– Unternehmen mit weniger als zehn

Mitarbeitern – leidet unter dem Fachkräftemangel.

Bis 2030 werden 150.000 Erwerbsfähige

auf dem sächsischen Arbeitsmarkt

fehlen im Vergleich zu 2020. 2035 soll die

Lücke schon 210.000 Beschäftigte betragen.

Der Freistaat will die Misere auf dem

Arbeitsmarkt gleich auf mehreren Ebenen

bekämpfen. Allein 132 Millionen Euro will die

sächsische Regierung in den nächsten Jahren

in die Förderung des akademischen Nach­

wuchses pumpen. Das Wirtschaftsministerium

hat darüber hinaus einen 31-Punkte-Plan

zur Gewinnung internationaler Arbeitskräfte

aufgelegt, für dessen Umsetzung zunächst

17,5 Millionen Euro eingeplant sind. Zu den

Maßnahmen zählen beispielsweise eine

schnellere Anerkennung ausländischer

Berufsabschlüsse, Praktika für im Ausland

lebende Menschen bei sächsischen Unternehmen

und die Schaffung kommunaler Integrationszentren

als Anlaufstelle.

Foto: Matthias Salm

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


OSTDEUTSCHLAND

WIRTSCHAFT+MARKT45

Der Maschinenbau sucht Nachwuchs

In einer der sächsischen Schlüsselindustrien,

dem Maschinenbau, fehlt es nicht nur im Freistaat,

sondern in ganz Ostdeutschland schon

jetzt an geeignetem Nachwuchs. Vier von fünf

ostdeutschen Maschinen- und Anlagenbauern

bilden ihren Fachkräftenachwuchs noch selbst

aus. Doch die Bewerberzahlen sinken und die

Betriebe klagen zudem über eine unzureichende

Ausbildungsfähigkeit der Berufsstarter.

Dies ergab eine Umfrage des Branchenverbands

des Maschinenbaus VDMA Ost unter

seinen 350 Mitgliedern.

„Das Fachkräftedilemma der Branche beginnt

bereits bei den Jüngsten. So hatten in diesem

Jahr nahezu 60 Prozent der Betriebe Probleme,

geeignete Mädchen und Jungen für eine

kaufmännische oder gewerblich-technische

Berufsausbildung zu gewinnen“, beschreibt

Oliver Köhn, Geschäftsführer des VDMA Ost,

die Lage. „Besonders schwierig ist die Situation

in den technischen Berufsfeldern. Hier gibt es in

vier von zehn Firmen freie Ausbildungsplätze.“

Dem großen Angebot an gewerblich-technischen

Ausbildungsstellen im ostdeutschen

Maschinenbau steht eine schrumpfende

Nachfrage gegenüber. Gründe hierfür sind der

demografische Wandel, die Konkurrenz von

Konzernen und großen Mittelständlern und

die hohe Studienneigung vieler Jugendlicher.

Übrigens ist die Mangellage im Maschinenbau

kein rein ostdeutsches Problem. Laut

ifo-Institut sahen sich im Juli 2022 43 Prozent

der befragten Maschinenbau-Unternehmen

in Deutschland durch fehlende Fachkräfte

in ihren Produktionsaktivitäten gebremst.

Besonders die Berufsgruppen Mechatronik,

Automatisierungstechnik, spanende Metallbearbeitung,

Maschinen- und Betriebstechnik

sowie Elektrotechnik erweisen sich als

Problemzone.

Thüringer Betrieben fehlen IT-Kräfte

In Thüringen erlitten 2021 neben dem Chemieund

Textilsektor auch die Reisebranche sowie

der Messe- und Vermietungsbereich den

stärksten Einbruch beim Fachkräftepersonal,

ergab eine Auswertung der Regionaldirektion

Halle der Agentur für Arbeit. Vor allem

aufgrund der Verrentung müssen jährlich

knapp 25.000 Mitarbeiter im Freistaat ersetzt

werden. Schon jetzt liegt das Land deutschlandweit

auf dem letzten Platz bei der Dauer

der Wiederbesetzung von offenen Stellen.

Den Engpass bei den IT-Kräften teilen die

Thüringer mit ganz Ostdeutschland. Lediglich

in Berlin, ergab eine Studie des Instituts

der deutschen Wirtschaft (IW), ist die Lage

noch entspannt. In Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern

gestaltet sich die Suche

nach Personal mit Digitalisierungskompetenzen

hingegen besonders schwierig. Die Studie

warnt davor, dass Ostdeutschland bei der

Digitalisierung aus Mangel an Humankapital

abgehängt werden könnte. Hinzu kommt für

den Mittelstand die Konkurrenz durch Großinvestoren

in Ostdeutschland. Allein der IT-Konzern

Intel sucht für seine Gigafabrik in Magdeburg

3.000 Fachkräfte (siehe auch S. 48).

Experten rechnen damit, dass im Umfeld der

Intel- Investition bei Zulieferer firmen weitere

Zukunft braucht jemanden,

der in sie investiert: die

neue SIGNAL IDUNA

Lebensversicherung AG.

Nachhaltig

ausgerichtet

Gemeinsam verantwortungsvoll Zukunft gestalten:

Die SIGNAL IDUNA Lebensversicherung AG ist ein

junges Unternehmen, das nachhaltige und digitale

Lösungen für private und betriebliche Altersvorsorge,

Einkommensschutz und Risikovorsorge bietet. Nachhaltigkeit

ist zentraler Teil unseres Selbstverständnisses.

Damit übernehmen wir soziale Verantwortung

und richten unser Unternehmen von Anfang an und

in allen Geschäftsbereichen an unseren Nachhaltigkeitsgrundsätzen

aus.

Foto: XXX

signal-iduna.de/lv

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


46

WIRTSCHAFT+MARKT

FACHKRÄFTE

Naturwissenschaftlerinnen sind für die Chemieunternehmen

hingegen noch ausreichend zu

gewinnen, so die Nordost chemie-Verbände.

Das Handwerk schlägt Alarm

In der Hauptstadtregion treffen in vielen

Branchen ebenfalls zu wenig Arbeitsuchende

auf zu viele offene Stellen. Auswertungen

der Arbeitsagentur bescheinigen besonders

dem Flächenland Brandenburg wachsende

Schwierigkeiten bei der Besetzung freier

Stellen bei Pflegeberufen, in der Mechatronik,

der Medizin- und Energietechnik, der Pharmazie,

bei Rettungsdiensten, aber auch bei

Klimatechnikberufen. Gerade der Fachkräftemangel

im Handwerk könnte das Gelingen der

Energiewende auf eine harte Probe stellen,

schließlich sind es die Handwerker, die etwa

die Umrüstung in der Wärmeversorgung auf

Wärmepumpen umsetzen müssen. Dass sich

manche Ausbildungsberufe, etwa bei Sanitär-,

Heizungs- und Klimatechnikern oder in der

Dachdeckerei, laut einer Studie des Instituts

der deutschen Wirtschaft (IW) wieder größerer

Beliebtheit erfreuen, auch weil sie sich in

der Corona-Pandemie als krisenresistent erwiesen

haben, kann den wachsenden Bedarf

allein nicht decken.

In Brandenburg arbeiten LEAG und Deutsche Bahn in der Ausbildung zusammen.

Arbeitsplätze – insgesamt rund 10.000 – entstehen

werden, die es zu besetzen gilt.

mit Ausnahme weniger Arbeitsagentur-

rung suchen die ostdeutschen Chemiefirmen

bezirke flächendeckend nach geeignetem

Chemie benötigt Digitalexperten Personal. Regionale Fachkräfteengpässe in

chemierelevanten Berufen gibt es auch in

Auch in der für Ostdeutschland wirtschaftlich der Forschung und Entwicklung, beispielsweise

bei den pharmazeutisch-technischen

lebensnotwendigen Chemieindustrie schauen

die Betriebe mit Sorge auf die Entwicklungen Assistenten / Assistentinnen. Insbesondere in

am Arbeitsmarkt. Der Verband der Chemischen

Industrie in Ostdeutschland stellt

pommerns können über 70 Prozent der

Teilen Brandenburgs und Mecklenburg-Vor-

bei Facharbeitern und Facharbeiterinnen

offenen Stellen in chemierelevanten Berufen

Engpässe vor allem in den Produktionsberufen der Forschung und Entwicklung nicht besetzt

fest, z. B. in den Berufsfeldern Chemikanten werden, weil passend qualifizierte Arbeitslose

fehlen. Beim akademischen Fach- und

oder Verfahrensmechaniker für Kunststoffund

Kautschuktechnik, bei den Laborberufen, Führungspersonal tritt hingegen der Mangel

den Berufen der Instandhaltung sowie in den nur in bestimmten Bereichen auf, etwa in der

Berufen der IT und Softwareentwicklung. Informatik/Wirtschaftsinformatik und im

Gerade bei den Fachkräften für die Digitalisie- Ingenieurwesen. Naturwissenschaftler und

Es gibt faktisch kein Gewerk, das vom Fachkräftemangel

verschont bleibt. Besonders

hoch ist der Bedarf im Bauhaupt- und im

Ausbaugewerbe. Es fehlen Installateure und

Heizungsbauer, Kälteanlagenbauer, Metallbauer

und Elektroniker. Aber auch in den

Gesundheitshandwerken wie etwa bei den

Augenoptikern oder Hörakustikern steigt der

Bedarf an neuem Personal weiter.

„Die Beschäftigtenzahlen gehen auch im

Brandenburger Handwerk seit Jahren zurück.

Ursächlich sind u.a. der demografische Wandel

und sinkende Geburtenzahlen. Zudem sind

vom demografischen Wandel auch eine hohe

Zahl von Inhabern betroffen, die ebenfalls

nicht in ausreichender Zahl Betriebsnachfolger

finden“, sagt Ines Weitermann, Pressesprecherin

der Handwerkskammer Potsdam.

Wie hoch die Dringlichkeit von Unternehmensnachfolgen

oder Gründungen im Handwerk

ist, zeigen die aktuellen Zahlen am Beispiel

des Kammerbezirks Potsdam: In rund 43

Prozent der 17.400 Mitgliedsbetriebe sind die

Betriebsinhaberinnen oder Betriebsinhaber in

Westbrandenburg 55 Jahre oder älter. Konkret

Foto: LEAG

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


OSTDEUTSCHLAND

WIRTSCHAFT+MARKT47

sind damit in den nächsten Jahren zirka 7.500

Handwerksbetriebe mit rund 30.000 Mitarbeitern

nur allein in Westbrandenburg vom

Thema Nachfolge betroffen.

Das Handwerk selbst versucht entgegenzuwirken,

mit Ausbildungscoachings für Azubis

und Workshops für Ausbilder, mit Willkommenslotsen

für Geflüchtete bzw. ausländische

Fachkräfte und mit Nachfolgeprojekten.

Aber nicht nur das Handwerk in Brandenburg

muss auf die personelle Notlage reagieren.

Auch Großbetriebe wie die LEAG und die

Deutsche Bahn (DB) arbeiten mittlerweile

eng zusammen und setzen einen Trend zu gemeinsamen

regionalen Ausbildungsinitiativen.

Der Ausbildungspakt des Energiekonzerns

mit der Deutschen Bahn für die gemeinsame

Strukturentwicklung in der Lausitz sieht

vor, dass die DB bis zum Jahr 2025 einen Teil

ihrer Auszubildenden unter Federführung der

LEAG in der Ausbildungsstätte Jänschwalde

ausbilden lässt. Die DB wird diese Einrichtung

dann ab 2025 betreiben. Dann wird dort der

Nachwuchs der DB, der LEAG und auch von

Drittunternehmen beruflich fit gemacht für

die Zukunft.

Flaute in der Tourismuswirtschaft

Kaum eine Branche hat unter den Beschränkungen

der Corona-Pandemie so gelitten

wie das Hotel- und Gaststättengewerbe. Mit

fatalen Folgen: 216.000 Kellner, Köche und

Hotelangestellte verließen 2020 deutschlandweit

ihren Beruf, so eine weitere IW-Analyse.

Viele von ihnen suchten ihr Glück im Einzel-

Die Gastronomie hat in der Corona-Pandemie einen Einbruch bei den Mitarbeiterzahlen erlitten.

handel oder in der Logistik. Besonders hart Verkehrsträger zu 100 Prozent und wassertouristische

Betriebe zu 31 Prozent. Beson-

trifft diese Entwicklung das Tourismusland

Mecklenburg-Vorpommern. Nirgends in

ders drückt der Schuh in den Betrieben beim

Deutschland ist die Stellenüberhangquote mit Service, Housekeeping und beim Küchenpersonal.

Reagieren wollen die Unternehmen

rund 60 Prozent höher als im Küstenland.

ganz unterschiedlich auf die angespannte

Rund jedem zweiten Tourismus-Unternehmen Personallage. Einer höheren Entlohnung der

(49 Prozent) zwischen Müritz und Ostsee Arbeitskräfte und einer verstärkten Rekrutierung

von Menschen aus anderen Regionen in

setzt der Arbeitskräftemangel laut einer

Umfrage des Tourismusverbands Mecklenburg-Vorpommen

zu. Im Einzelnen sind es die schränkte Öffnungszeiten oder eine Verknap-

Deutschland oder der EU stehen auch einge-

Beherbergungsbetriebe zu 55 Prozent, Gastronomen

zu 58 Prozent, Freizeitanbieter zu 38

pung des Angebots als Optionen gegenüber.

Prozent, Tourist-Informationen zu 25 Prozent, Das Land will mit der Gründung einer

Tourismusakademie gegensteuern. „Die

Fachkräftesicherung im Tourismus ist eine

der drängendsten Herausforderungen der

Branche. Wir wollen vor allem auch deshalb

eine Tourismusakademie in Mecklenburg-Vorpommern

aufbauen mit dem Ziel, Fachkräfte

für unser Land auszubilden, zu qualifizieren

und auch hier zu halten“, so MV-Wirtschaftsminister

Reinhard Meyer.

Fotos: DEHOGA / Cordula Giese, W+M (unten)

MV-Wirtschaftsminister Reinhard Meyer: „Wir wollen eine

Tourismusakademie in Mecklenburg-Vorpommern aufbauen.“

Unter Federführung des Wirtschaftsministeriums

wird nun eine Fachkräftestrategie für

Mecklenburg-Vorpommern erarbeitet. Sie soll

vier Säulen umfassen: die Qualifizierung von

Fachkräften, die Sicherung und Ausschöpfung

von Erwerbspotenzialen, die Gewinnung von

Fachkräften aus dem In- und Ausland sowie

die Schaffung attraktiver Arbeitsbedingungen

im Land.

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


48

WIRTSCHAFT+MARKT

FACHKRÄFTE

WIE INTEL 3.000 FACHKRÄFTE

NACH MAGDEBURG LOTSEN WILL

Als „Quantensprung“ für die Region bezeichnete Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff den geplanten

Bau der Intel-Halbleiterfabriken in Magdeburg. In der Tat sind die Arbeitsplätze, die in Zusammenhang mit dem

Projekt entstehen, erst der Anfang. Intel-Personalchef Bernd Holthaus erklärt die Gründe für die Standortwahl und

beleuchtet die Suche nach Fachkräften.

VON BERND HOLTHAUS

Bernd Holthaus ist Personalchef von Intel

Magdeburg. In seiner vormaligen Beschäftigung

hat er als Human Ressources Director die Region

DACH und Polen verantwortet.

Eine Delegation der Stadt Magdeburg und des Landes Sachsen-Anhalt besuchte die Intel-Fabrik in Irland.

7.000 Arbeitsplätze allein in der Bauphase,

600.000 Kubikmeter Beton und 16.000

Kilometer Stahlträger, verbaut auf einem Areal

von rund 450 Hektar – es ist ein gigantisches

Vorhaben, das Intel im Industriegebiet

Eulenberg im Südwesten Magdeburgs plant.

Ab 2027 sollen die zunächst zwei Halbleiterfabriken

ihren Betrieb aufnehmen. Zu den etwa

3.000 Hightech-Jobs, die dadurch entstehen,

kommen Zehntausende weitere Stellen bei

Zulieferern und Partnern. Dennoch ist das nur

der erste Schritt. Langfristig planen wir den

Ausbau des Standorts zu einer Megafab mit

bis zu acht zusammenhängenden Fabriken.

Das bislang größte Projekt von Intel in

Deutschland ist zentraler Teil eines großangelegten

europäischen Investitionsprogramms.

Unser Ziel: die Erweiterung des

hochmodernen Halbleiter-Ökosystems für

Europa, mit dem wir eine größere Nähe zum

Kunden sicherstellen. So entsteht aktuell in

Frankreich ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum.

An bestehenden Standorten,

etwa in Irland, Polen und Spanien,

werden Kapazitäten ausgebaut. Die Investitionen

fügen sich nahtlos ein in unsere „IDM

2.0 Strategie“. Als IDM (Integrated Device

Manufacturer) entwickelt und fertigt Intel

eigene Chips. Im Rahmen von IDM 2.0 wollen

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


STANDORT

WIRTSCHAFT+MARKT49

wir stärker den Bereich der Auftragsfertigung

in den Fokus nehmen.

Idealer Standort für Intel

Für den Standort Magdeburg haben wir uns

sehr bewusst entschieden. Die Hauptstadt

Sachsen-Anhalts bietet ideale Voraussetzungen:

Im Herzen Deutschlands und Europas

gelegen und dank guter Anbindung an Autobahnen,

Flughäfen und Wasserstraßen, kann

Magdeburg mit logistischen Vorteilen punkten.

Die Großstädte Berlin, Leipzig und Hannover

liegen im Einzugsgebiet. Im regionalen

Umkreis befinden sich sieben verschiedene

Universitäten und Hochschulen. Direkt vor Ort

gibt es die Otto-von-Guericke-Universität mit

technischen Forschungsschwerpunkten sowie

die Hochschule Magdeburg-Stendal.

Auch das Gelände des Industriegebiets ist

ideal. Es ist altlastenfrei, erdbebensicher und

bietet ausreichend Platz für unsere Fabriken

– die im Übrigen laut Zielsetzung mit 100

Prozent Ökostrom betrieben werden sollen.

Eine Rolle bei der Standortwahl spielte zudem

die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit

Partnern auf Bundesebene sowie vor Ort.

Wir haben äußerst positive Eindrücke von

der Region, der Stadt und den Menschen. Die

Offenheit und Aufbruchstimmung, die wir bei

der Bevölkerung in vielen persönlichen Gesprächen

spüren, beeindrucken uns und haben

die Entscheidung für Magdeburg maßgeblich

mit beeinflusst.

Dass die Besetzung dieser Stellen eine

Herausforderung wird, ist uns bewusst.

Fachkräfte werden überall händeringend

gesucht – erst recht in einer hochmodernen

und -spezialisierten Branche wie der

Chipfertigung. Intel verfolgt daher langfristige

Pläne, um das benötigte Talent aufzubauen.

Unter anderem setzen wir dabei auf eine enge

Zusammenarbeit mit Hochschulen. So könnte

die Uni Magdeburg schon ab 2023 passende

Studiengänge in der Halbleitertechnologie

anbieten. Mit weiteren Partnern wie der

Agentur für Arbeit oder der IHK stehen wir

ebenfalls in engem Kontakt und eruieren die

Möglichkeiten von entsprechenden Ausbildungs-

und Förderprogrammen.

Intel als Arbeitgeber

Am neuen Standort möchten wir möglichst viel

Personal aus der Region einstellen. Gleichzeitig

ist es unser Anspruch, die weltbesten

Talente zu finden. In Magdeburg haben sie

die Möglichkeit, die Zukunft mitzugestalten

und den digitalen Wandel Europas voranzutreiben.

Das allein reicht aber nicht aus, um

Topkräfte von Intel zu überzeugen. Wir bieten

top Bezahlung, flexible Arbeitszeitmodelle

und eine ganze Reihe von Zusatzleistungen.

Intel-Mitarbeitende können beispielsweise

Unternehmensaktien günstiger erwerben. Zu

den Benefits, die das Arbeiten angenehmer

machen, gehören unter anderem Job-Räder,

Sabbaticals oder ein in Magdeburg geplantes

firmeneigenes Fitness-Center.

Nicht zuletzt bauen wir bei Stellenbesetzungen

auch auf Hinweise unserer Mitarbeitenden.

Gute Leute kennen schließlich andere

gute Leute. Doch nur wer sich mit Intel identifiziert,

kann das nach außen tragen und andere

überzeugen. Die Tatsache, dass das bei Intel

regelmäßig gelingt, spricht aus meiner Sicht

für eine wertschätzende Unternehmenskultur.

Das fängt noch vor Jobbeginn an. Wenn wir

Fachkräfte aus der ganzen Welt nach Magdeburg

holen, unterstützen wir sie vorab beim

Umzug, bei Behördengängen oder der Suche

nach einer Schule für ihre Kinder. Im Rahmen

des Programms „Global Workforce Mobility“

wird das konzernweit seit Jahren erfolgreich

umgesetzt. Auch die Initiative „Warmline“

ist Ausdruck einer Kultur, die Zusammenhalt

und Inklusion aktiv fördert. Warmline gibt

Intel-Mitarbeitenden die Möglichkeit, sich vertraulich

an eine Beratungsstelle zu wenden –

etwa, wenn sie sich schlecht integriert oder

von Führungskräften missverstanden fühlen.

Mit diesen Maßnahmen und Strategien sind

wir bestens gewappnet für die Herausforderung,

Fachkräfte für die neu entstehenden Positionen

zu finden. Unser Ziel für den Standort

Magdeburg geht aber über die reine Stellenbesetzung

hinaus. Wir arbeiten darauf hin, einen

nachhaltigen Talentpool aufzubauen, von dem

auch Dienstleister und Zulieferer profitieren.

So entsteht ein Ökosystem, das mit der Zeit

wachsen und kontinuierlich Arbeitsplätze in

der Region, Europa und der gesamten Branche

schaffen wird.

3.000 Fachkräfte gesucht

Modell der geplanten Giga-Fabrik in Magdeburg

Noch ist etwas Zeit bis zum geplanten Baubeginn.

Erste Stellen haben wir aber bereits ausgeschrieben

oder schon besetzt – vor allem

für die Genehmigungs- und Planungsphase,

aber auch in der Werksleitung, Konstruktion

oder Öffentlichkeitsarbeit. Auch wenn der

Großteil der neuen Jobs erst in den kommenden

Jahren ausgeschrieben wird, nehmen wir

Initiativbewerbungen gerne entgegen.

Fotos: Intel Corporation

Etwa 3.000 Fachkräfte sind für die beiden ersten

Fabriken vorgesehen. Rund 70 Prozent von

ihnen sollen direkt in der Produktion arbeiten.

Erfahrungen in der Mikrosystemelektronik, der

Automatisierungstechnik oder im Bereich Elektrotechnik

oder Mechatronik wären hierfür ein

geeigneter beruflicher Hintergrund. Ein Viertel

der geplanten Jobs sind für Hochschulabsolventen

aus dem Ingenieurswesen interessant.

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


50

WIRTSCHAFT+MARKT

MANAGEMENT

OSTDEUTSCHE ENTSCHEIDER

HALTEN STANDORT

FÜR ZUKUNFTSFÄHIG

Eine Umfrage im Auftrag von „Deutschland – Land der Ideen“ zeigt, wie ostdeutsche

Führungskräfte aktuelle Themen wie Fachkräftegewinnung, Großansiedlungen und

den Erfolg von Strukturwandelprozessen in Ostdeutschland einschätzen.

RRund 60 Prozent der Entscheider in den ostdeutschen

Bundesländern äußern sich positiv

zum Potenzial des ostdeutschen Wirtschaftsstandorts

– rund 22 Prozent sogar sehr

positiv. Dies ergab das aktuelle OWF-Transformationsbarometer.

Dafür wurden privatwirtschaftliche

Führungskräfte in den neuen

Bundesländern von der CIVEY GmbH im

Auftrag von „Deutschland – Land der Ideen“ in

Partnerschaft mit der Deutschen Kreditbank

AG (DKB) befragt. Die Ergebnisse wurden auf

dem diesjährigen Ostdeutschen Wirtschaftsforum

präsentiert, der seit 2016 führenden

Wirtschaftskonferenz in Ostdeutschland für

Vordenker und Macher aus Wirtschaft, Politik,

Wissenschaft und Gesellschaft.

Allerdings stehen insgesamt mehr als die

Hälfte (56,4 Prozent) der Befragten einem

Gelingen des Strukturwandels in den neuen

Bundesländern innerhalb der kommenden

zehn Jahre skeptisch gegenüber. Ebenfalls

Ute Weiland, Geschäftsführerin von

„Deutschland – Land der Ideen“ und

Veranstalterin des OWF22

Foto: Bernd Brundert

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


TRANSFORMATIONSBAROMETER

WIRTSCHAFT+MARKT51

knapp die Hälfte (47,2 Prozent) der Befragten

geht zusätzlich davon aus, dass der Strukturwandel

von der ostdeutschen Bevölkerung

eher als Risiko wahrgenommen wird.

Woher rührt diese Skepsis? Besonders kritisch

wird die mangelnde Unterstützung durch die

Politik sowie die fehlende Vernetzung der

ostdeutschen Akteure gesehen. 61,2 Prozent

der Entscheider fühlen sich mit ihrem eigenen

Unternehmen durch die Politik schlecht

unterstützt – ganze 36 Prozent stellen der

Politik sogar ein noch verheerenderes Zeugnis

aus und bezeichnen die Unterstützung als sehr

schlecht. 60 Prozent der Befragten wünschen

sich einen deutlichen Abbau von Bürokratie als

wichtigste Hilfestellung durch die Regierenden.

Knapp 40 Prozent sprechen sich für eine

Stärkung von Wissenschaft und Forschung in

den neuen Bundesländern aus.

Fehlende Vernetzung beklagt

Zudem, so die Umfrage, seien Politik, Wirtschaft

und Verbände bei der Bewältigung des

Strukturwandels schlecht vernetzt: 58 Prozent

halten die Kooperation und den Austausch der

wichtigsten Akteure untereinander aktuell für

unzureichend. Ute Weiland, Geschäftsführerin

von „Deutschland – Land der Ideen“ und

Veranstalterin des OWF22, sieht deshalb eine

stärkere Vernetzung als dringend geboten an:

„Die Ergebnisse des OWF-Transformationsbarometers

bringen die Herausforderungen im

Zusammenhang mit dem Strukturwandel auf

den Punkt. Klar ist, dass die Transformation

des Wirtschaftsstandorts Ostdeutschland

nur durch eine Vernetzung und im Dialog mit

allen relevanten Akteuren gelingen kann. Mit

dem Ostdeutschen Wirtschaftsforum und der

gleichnamigen Initiative bieten wir eine Plattform,

um sämtliche Kräfte zu bündeln, damit

wir die Transformation aktiv gestalten.“

und erzielt hohe Zustimmungswerte: Fast 70

Prozent bewerten diese im Sinne der Standortentwicklung

als positiv, 45 Prozent der

Befragten stufen diese Entwicklung als sehr

positiv ein. Als positive Standortfaktoren für

Unternehmen werden die Flächenverfügbarkeit

(rund 40 Prozent) und die Verkehrsinfrastruktur

(rund 25 Prozent) angesehen.

Auch die eigene Belegschaft macht vielen

ostdeutschen Chefs Mut. 62 Prozent der

Befragten sehen im Engagement der eigenen

Mitarbeitenden eine Chance, das Potenzial der

ostdeutschen Wirtschaft auszuschöpfen. In 39

Prozent der Fälle sehen sie die Mitarbeitenden

für eine Anpassung an den Wandel gut gerüstet.

Dabei ist der ostdeutsche Arbeitsmarkt

aus Sicht der Befragten in vielerlei Hinsicht

attraktiv: Fast 47 Prozent nennen bezahlbaren

Wohnraum und 30 Prozent die geringeren Lebenshaltungskosten

als Vorteile des ostdeutschen

Standorts bei der Mitarbeitersuche.

Dennoch gibt es noch viel zu tun. 63 Prozent

der Befragten glauben, dass ein Ausbau der

Infrastruktur – sowohl bei der Digitalisierung

als auch im Verkehr und in der sozialen Infrastruktur

– bei der Bekämpfung des Facharbeitermangels

besonders hilfreich sein könnte.

In welchen Bereichen wird die ostdeutsche

Wirtschaft weiter wachsen? In der alternativen

Energiegewinnung und -speicherung sehen

die Befragten die größten wirtschaftlichen

Potenziale: Hier erwartet nahezu die Hälfte

der Befragten (49 Prozent) künftig ein expansives

Geschehen. 23 Prozent erwarten einen

Aufschwung in der Tourismusbranche.

Als größte Herausforderung sehen die

Tilo Hacke, Vorstandsmitglied der DKB

Befragten den Wettbewerb um Talente – noch

vor der Sorge um die Entwicklung der Energiepreise:

Fast 70 Prozent der Führungskräfte

geben an, dass das Halten und Werben neuer

Fachkräfte zu den wichtigsten Aufgabenstellungen

gehört. Rund 50 Prozent sorgen sich

aktuell über die steigenden Kosten für Energie.

Tilo Hacke, Vorstandsmitglied der DKB, bewertet

die Ergebnisse des OWF-Transformationsbarometers

differenziert: „Die Ergebnisse

des OWF-Transformationsbarometers zeigen

sehr deutlich, vor welchen Herausforderungen

ostdeutsche Unternehmen stehen, gerade

hinsichtlich des wirtschaftlich benötigten

Strukturwandels. Sie führen aber auch vor

Augen, welch großes Wirtschaftspotenzial

noch immer in den neuen Bundesländern

schlummert.“ Sein Fazit: „Entscheidend ist,

erfolgversprechende Verkehrs-, Umwelt- und

Wirtschaftskreisläufe, neue Beschäftigung

und innovative Geschäftsmodelle vorzudenken

und gemeinsam in die Praxis zu bringen.“

Foto: Dennis Scholz/dkb.de

Worin macht sich für die Unternehmenslenker

der Strukturwandel in Ostdeutschland

überhaupt bemerkbar? Für 37 Prozent der Entscheider

im Kohleausstieg und dessen Folgen,

für 36 Prozent in der Ansiedlung internationaler

Großkonzerne wie Tesla oder Intel. Doch

trotz der aktuellen Veränderungsprozesse

ist die Grundstimmung in der ostdeutschen

Wirtschaft positiv. Gut sieht es beispielsweise

bei der Bewertung der Zukunftsfähigkeit des

Standorts Ostdeutschland aus. Besonders

die Ansiedlung internationaler Großunternehmen

in jüngster Zeit nährt den Optimismus

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


52

WIRTSCHAFT+MARKT

MANAGEMENT

OSTDEUTSCHE IN FÜHRUNGS­

POSITIONEN STARK

UNTERREPRÄSENTIERT

Auch mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung sind Ostdeutsche in Führungspositionen bezogen auf

ihren Bevölkerungsanteil stark unterrepräsentiert, sowohl in gesamtdeutschen Führungspositionen als auch

in Ostdeutschland selbst. Das ergab eine Datenerhebung des MDR und der Universität Leipzig.

Ost-Beauftragter:

Der Erfurter Carsten Schneider fordert

mehr Ostdeutsche in Elitepositionen.

Ein in den letzten Jahren erwartetes Nachrücken

Ostdeutscher in Elitepositionen fand

in vielen der untersuchten gesellschaftlichen

Bereiche nicht statt, so die Studie. Während in

den Bereichen, in denen die fachliche Qualifi­

kation ein wesentliches Auswahlkriterium ist,

also beispielsweise Justiz und Wissenschaft,

das Nachrücken Ostdeutscher in Führungspositionen

durchaus stattgefunden hat, sind in

den Bereichen Politik, Wirtschaft und Medien

teilweise sogar Rückgänge zu verzeichnen.

Carsten Schneider, Staatsminister und

Beauftragter der Bundesregierung für

Ostdeutschland, fordert angesichts dieser

Entwicklung Veränderungen: „Ostdeutsche

sind in Führungspositionen nach wie vor

unterrepräsentiert. Das muss sich, 30 Jahre

nach der Wiedervereinigung, ändern. Denn es

geht dabei um Teilhabechancen und darum,

ob ostdeutsche Sichtweisen und Erfahrungen

in Entscheidungsprozessen berücksichtigt

werden. Und es geht um das große Potenzial

der Ostdeutschen, das zu wenig genutzt wird.“

Schneider kündigt deshalb Konsequenzen

an: „Die Ampel-Koalition hat vereinbart, die

Repräsentation Ostdeutscher in Führungspositionen

und Entscheidungsgremien in allen

Bereichen zu verbessern und für die Ebene des

Bundes bis Ende 2022 ein Konzept vorzulegen.“

Im Einzelnen stellen sich die Entwicklungen in

den wichtigsten gesellschaftlichen Führungsbereichen

wie folgt dar:

Bundesumweltministerin:

die Dessauerin Steffi Lemke

Fotos: Photothek, Bundesregierung / Steffen Kugler (rechts)

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


ELITESTUDIE

WIRTSCHAFT+MARKT53

Fotos: Munich Re Fotograf Andreas Pohlmann, MDR / Kirsten Nijhof (rechts), Grafik: Uni Leipzig/MDR/Hofrichter&Jacobs GmbH

Politik

In den ostdeutschen Landesregierungen lagen

die Anteile Ostdeutscher in den Jahren 1991,

2004 und 2016 bei mindestens 70 Prozent, aktuell

liegen sie bei nur noch 60 Prozent. Etwas

besser stellt sich das Bild auf der Ebene der

Staatssekretäre und Staatssekretärinnen dar.

Hier ist der Anteil seit 2016 stetig gestiegen.

Er beläuft sich auf mittlerweile 52 Prozent. In

der aktuellen Bundesregierung sieht es nicht

so gut aus. Lediglich zwei ostdeutsche Frauen

bekleiden Ministerämter – bei einem ostdeutschen

Bevölkerungsanteil von 17 Prozent.

Dax-Vorstand: Der studierte Mathematiker

Torsten Jeworrek aus Oschersleben sitzt im

Vorstand der Münchener Rück AG.

Wirtschaft

An der Spitze der 100 größten ostdeutschen

Unternehmen liegt der Anteil Ostdeutscher

Anteil Ostdeutscher in Elitepositionen

im Jahr 2022 bei 20 Prozent, 2016 lag er noch

bei 25 Prozent. Auf der Vizeposition ist er von

52 Prozent (2004) über 45 Prozent (2016) auf

nur noch magere 27 Prozent gesunken. In den

bundesdeutschen DAX-Vorständen ist das

Bild nicht besser. Die Studie ermittelte ganze

zwei ostdeutsche Dax-Vorstände.

Wissenschaft

Spitzenpositionen in der Wissenschaft

bekleiden Hochschulrektoren und Hochschulpräsidenten

bzw. ihre weiblichen Pendants.

An den größten ostdeutschen Hochschulen

hatten lediglich 17 Prozent in diesen Ämtern

eine ostdeutsche Herkunft. Bei den Kanzlern

und Kanzlerinnen, also den Verwaltungschefs,

sind es 50 Prozent. Die Werte erwiesen sich in

der aktuellen Studie als stabil gegenüber den

Vorjahren. An der Spitze ostdeutscher Forschungsinstitute

stieg der Anteil Ostdeutscher

von 15 auf 20 Prozent. Bezogen auf die 100

größten Hochschulen in Deutschland gab es

allerdings nur exakt eine Person ostdeutscher

Herkunft an der Spitze.

Justiz

Besser sieht es an den Gerichten aus. An

den obersten ostdeutschen Gerichten stieg

der Anteil Ostdeutscher auf mittlerweile 22

Prozent. Unter den ermittelten Vorsitzenden

Richtern und Richterinnen ging er allerdings

von knapp sechs auf 4,5 Prozent zurück. Bei

den Bundesgerichten ist der Ost-Anteil von

zwei Prozent (2016) auf fünf Prozent (2021)

gewachsen. Erstmals rückte eine Ostdeutsche

in die Position einer Vorsitzenden Richterin.

Medien

Intendantin: Die Chemnitzer Juristin

Karola Wille leitet den MDR.

Gegenteilige Entwicklung: In den Chefredaktionen

der großen Regionalzeitungen ging der

Anteil Ostdeutscher von 62 Prozent (2016) auf

43 Prozent zurück. Bei den Verlagsleitungen

stieg er hingegen von 9 auf 20 Prozent. Die

drei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten,

die ihr Sendegebiet ganz oder teilweise

in Ostdeutschland haben, verzeichnen einen

steigenden Anteil Ostdeutscher. Er liegt bei

31 Prozent. In den Chefetagen der deutschen

Medienkonzerne sitzen allerdings keine

Ostdeutschen, in den Chefredaktionen der

auflagenstärksten Printmedien sind es zwei.

Hinzu kommt eine ostdeutsche Intendantin

bei einer ARD-Anstalt.

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


54

WIRTSCHAFT+MARKT

MANAGEMENT

„WIR BRAUCHEN EIN

NEUES VERSTÄNDNIS

VON FÜHRUNG“

Digital-Unternehmerin Constanze Buchheim im W+M-Interview über das ostdeutsche Verständnis

von Elite, den Wandel in der Unternehmenskultur und die Führungspersönlichkeiten von morgen.

W+M: Frau Buchheim, was sind Ihrer Einschätzung

nach die wichtigsten Gründe dafür,

dass auch nach 32 Jahren deutscher Einheit

Ostdeutsche in der Wirtschaft unterrepräsentiert

sind?

getroffen, die ihre Herkunft verheimlicht

haben, um nicht in einer Schublade zu landen.

Es ist also mehr denn je an der Zeit, neue Wege

einzuschlagen, damit sich nicht die permanent

gleiche Elite fortlaufend reproduziert.

bindung nach Ostdeutschland öffentlichkeitswirksam

gemacht werden, denn die gibt es. Nur

so können Vorurteile aufgehoben werden, weil

Menschen nun mal durch Vorbilder inspiriert

werden und solche gut nachahmen können.

Constanze Buchheim: Zum einen haben wir

in Deutschland ein offensichtliches Diversity-​

Problem. Machtstrukturen und stereotypische

Führungsriegen reproduzieren sich permanent

selbst. Besetzungsentscheidungen werden

auf Basis des Ähnlichkeitsprinzips getroffen

statt durch rationale Besetzungsprozesse.

Gerade in unsicheren Zeiten – das ist wissenschaftlich

belegt – sorgen unbewusste

Vorannahmen dafür, dass Unternehmensentscheider/innen

offene Stellen nach Ähnlichkeit

und damit Bauchgefühl besetzen.

Dies ist umso problematischer, als wir noch

immer eine Stigmatisierung der ostdeutschen

Bevölkerung erleben. Ich habe Menschen

W+M: Welche Schritte sind dafür notwendig?

Constanze Buchheim: Als Allererstes sollten

wir damit aufhören davon zu sprechen, Ostdeutschland

„helfen zu wollen“. Diese Sprache

steht sinnbildlich für eine Haltung der Überlegenheit

bzw. der fehlenden Gleichwertigkeit.

Ja, Strukturschwäche ist ein Problem, aber

diese gibt es auch in anderen Regionen. Es ist

daher vielmehr Aufgabe der politischen und

wirtschaftlichen Entscheider/innen und auch

der Medien, das Bild von Ostdeutschland und

den Menschen in der Region zu verändern und

Arbeitsplätze in strukturschwache Regionen zu

bringen, um das vorhandene Potenzial auszuschöpfen.

Es müssen Vorbilder mit klarer Ver-

W+M: Kann es sein, dass die Zugehörigkeit

zu Eliten nichts Erstrebenswertes mehr ist

und es dabei einen Clash zwischen Ost- und

Westdeutschland gibt?

Constanze Buchheim: Ganz grundsätzlich

streben im Verhältnis zu Westdeutschland weniger

Ostdeutsche nach Führungspositionen,

weil sie den Begriff der Elite per se ablehnen.

Vielerorts gibt es in Ostdeutschland keinen

stark ausgeprägten Wunsch, sich hierarchisch

abzusondern und einem ausgewählten

Kreis anzugehören. Die Werte, die vorrangig

gelebt werden, sind soziale Gemeinschaft und

Zusammenhalt. Der Elitebegriff widerspricht

diesen wichtigen Grundwerten.

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


FÜHRUNGSKRÄFTE

WIRTSCHAFT+MARKT55

Lesen Sie das

ausführliche

Interview im

W+M-Onlinemagazin

Mitmenschen für ihre Mission zu begeistern,

indem sie zu 100 Prozent hinter ihren eigenen

Werten stehen.

Die viel wichtigere Frage, ungeachtet von

Ost und West, lautet allerdings, was die

Führungskräfte von morgen eint. Und dieser

gemeinsame Nenner beruht auf einem sich

ändernden Wertesystem in der Gesellschaft:

Für aufstrebende Talente genießen Geld,

Macht und Karriere längst nicht mehr so einen

hohen Stellenwert wie beispielsweise frei

verfügbare Lebenszeit oder Autonomie. Damit

Mitarbeitende darüber verfügen können,

ist es extrem wichtig, dass Führungskräfte

ihnen alle wichtigen Informationen stets

zugänglich machen.

Das neue Credo für sie lautet daher: Sprich

die Wahrheit, damit jede und jeder in der Lage

ist, seine eigenen Entscheidungen treffen zu

können. Das bedeutet auch, Probleme so klar

anzusprechen, wie man sie sieht, anstatt sich

und sein Umfeld in Watte zu packen. Ich bezeichne

diese Kultur als „Mature Leadership“,

also als „reife“ Führung.

Constanze Buchheim: Wenn wir unbedingt

an dem Elite Begriff festhalten wollen: In zehn

Jahren werden zur Elite die Persönlichkeiten

zählen, die heute verstanden haben, wie sie

Kapital – und dazu zählt in Zeiten des Fachkräftemangels

insbesondere das Führen von

Menschen – nutzen können und dies in einen

gesellschaftlich notwendigen Wandel einbringen

und hier Verantwortung in der Gestaltung

der Zukunft übernehmen. In zehn Jahren

besteht unsere Elite mit Sicherheit nicht mehr

aus Persönlichkeiten, die sich hierarchischen

Machtstrukturen unterwerfen. Es sind vor

allem Unternehmer/innen, die etwas Eigenes

auf die Beine gestellt und Neues gestaltet haben,

das eine hohe gesellschaftliche Relevanz

hat und zur Lösung der Herausforderungen der

heutigen Zeit beiträgt.

Diese Persönlichkeiten werden bereits

heutzutage das Heft in die Hand nehmen. Zu

groß sind die aktuellen Herausforderungen,

als dass wir uns weiterhin wie verzweifelt

an das Bewahren des Status Quo klammern

können. Jetzt braucht es ein unternehmerisches

Mindset, das auf der felsenfesten

Überzeugung beruht, die Welt selbst zum

Positiven gestalten zu können, ganz gleich

wie groß die Herausforderungen auch sind.

Solchen Führungspersönlichkeiten gelingt es,

W+M: Wie können ostdeutsche Kompetenzen

denn optimal im Sinne einer geeinten

deutschen Wirtschaft genutzt werden?

Constanze Buchheim: Wie gesagt sollten

wir ganz grundsätzlich alle Regionen im Blick

behalten und überlegen, wie wir ihr Potenzial

am besten nutzen können. Wir erleben einen

massiven Fachkräftemangel, der sich noch verschärfen

wird, wenn die Baby-Boomer in Rente

gehen. Gleichzeitig ändert sich das Anforderungsprofil

an Berufe aufgrund der digitalen

Transformation rascher als jemals zuvor.

Menschen ganz gezielt auf die eine passende

Stelle auszubilden, ist daher kein realistisches

Modell mehr. Zu schnell ändern sich das

Umfeld und damit die Anforderungen an eine

Stelle, zu rasch ändern sich heutzutage ganze

Unternehmen. Der Fokus in der Ausbildung

muss daher auf Persönlichkeiten liegen.

Verfügen Organisationen über ausreichend

Menschen mit entsprechendem Mindset,

entsteht eine Unternehmenskultur, die sie in

die Lage versetzt, sich in einer sich permanent

ändernden Umwelt stetig anzupassen und

weiterzuentwickeln – diese bestenfalls sogar

aktiv zum Besseren zu gestalten.

Interview: Frank Nehring

Viel mehr als über die Zugehörigkeit zur Elite

zu diskutieren, geht es doch darum, dass

Persönlichkeiten, die den aktuellen Herausforderungen

etwas entgegensetzen können,

Gestaltungsspielräume gegeben werden. Wir

brauchen Persönlichkeiten, die in der Lage

sind, Organisationen und Mitarbeitenden den

Weg gen Zukunft zu weisen. Zu lange haben

wir in Deutschland Wohlstand mit Fortschritt

verwechselt und uns auf den wirtschaftlichen

Lorbeeren vergangener Tage ausgeruht.

Foto: i-potentails GmbH, Fotografin Anette Koroll

Das hat durchaus auch mit einem überholten

Verständnis von Elite zu tun, in der Personen

quasi Kraft ihres Amtes und ihrer Titel

entscheidungsbefugt sind. Wir sollten uns

davon weg bewegen und hin zu einem neuen

Verständnis von Führung.

W+M: Die Eliten sind im Durchschnitt zwischen

50 und 65 Jahre alt. Wird alles anders, wenn

diese Generation in zehn Jahren in Rente geht?

Digital-Unternehmerin Constanze Buchheim

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


56

WIRTSCHAFT+MARKT

OWF

OWF-PREIS VORSPRUNG:

DIE SECHS

PREISTRÄGER 2022

Jedes Jahr verleiht das Ostdeutsche Wirtschaftsforum den Wirtschaftspreis

VORSPRUNG an hervorragende Unternehmerpersönlichkeiten. In diesem

Jahr stand der OWF-Preis unter der Schirmherrschaft von Carsten Schneider,

Staatsminister und Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland.

DIE PREISTRÄGER IM PORTRÄT

Preisträger Berlin

LAT Gruppe

Sitz: Berlin-Friedrichshain

Geschäftsführerinnen:

Arabelle Laternser und

Larissa Zeichhardt

Mitarbeiterzahl: 130

und Produkte für die Verkehrswirtschaft,

das Gesundheitswesen und den öffentlichen

Raum an. Das reicht vom Kabeltiefbau über

Bahnstromanlagen bis hin zu Funk- und Fernmeldeanlagen

sowie Technik zur Videoüberwachung.

Das Unternehmen arbeitet bewusst

nachhaltig. Es investiert in CO 2

-reduzierte

Technologien und Lösungen und beteiligt sich

an innovativen Start-ups. Im Unternehmen

wird das Thema Digitalisierung besonders

konsequent umgesetzt.

„DER OSTEN BOOMT! UND DAS

NICHT NUR DANK NEUER GROSS-

INVESTITIONEN, SONDERN VOR

ALLEM DANK DES GROSSEN

GESTALTUNGSWILLENS VIELER

VERSCHIEDENER UNTERNEHMEN

AUS DEN OSTDEUTSCHEN

Die LAT Gruppe, das sind die LAT Fernmelde-

Montagen und Tiefbau GmbH und die LAT

Funkanlagen-Service GmbH. Das 1969 vom

gelernten Fernmeldetechniker Heinz Laternser

gegründete Familienunternehmen wird in

zweiter Generation von den Schwestern

Arabelle Laternser und Larissa Zeichhardt

geführt. Mit 130 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen

bietet die LAT Gruppe Dienstleistungen

Alexander Möller, Technischer Leiter LAT Gruppe, und

Arabelle Laternser, Geschäftsführerin der LAT Gruppe

Preise sind für die LAT-Gruppe aus Berlin-

Friedrichshain keine Seltenheit. So erhielten

die Friedrichshainer bereits Ehrungen für die

besondere Familienfreundlichkeit des Unternehmens

und für die gelungene familieninterne

Nachfolgelösung. Die LAT Gruppe

fördert die Gleichberechtigung im Unternehmen,

die Vereinbarkeit von Familie und Beruf

und eine stärkere Sichtbarkeit von Frauen in

MINT-Berufen.

LAT-Mitarbeiter im Einsatz

BUNDES LÄNDERN. DIE MIT DEM

WIRTSCHAFTSPREIS VOR-

SPRUNG AUSGEZEICHNETEN UN-

TERNEHMEN SIND LEUCHTENDE

BEISPIELE FÜR EBEN JENEN

VORSPRUNG, DEN DIE OSTDEUT-

SCHE WIRTSCHAFT IN VIELEN

BEREICHEN SCHON HAT UND

DEN WIR – GEMEINSAM MIT

DEN UNTERNEHMEN – WEITER

AUSBAUEN WOLLEN.“

Carsten Schneider, Staatsminister und

Beauftragter der Bundesregierung für

Ostdeutschland sowie Schirmherr des

Wirtschaftspreises VORSPRUNG

Fotos: Land der Ideen Management GmbH / Felix Zahn, LAT-Gruppe, Photothek (v.l.n.r.)

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


PREISTRÄGER

WIRTSCHAFT+MARKT57

Der Firmensitz der ORAFOL GmbH in Oranienburg

zahlreiche Branchen veredelt werden. Dafür

werden fünf neue Produktionsanlagen zum

Kaschieren und Beschichten eingerichtet. Dr.

Holger Loclair, Chairman und CEO der ORAFOL

Gruppe, sagt dazu: „ORAFOL hat sich in den

letzten fünf Jahren als Großunternehmen

konsolidiert. Mit unserem aktuellen Investitionszyklus

bis 2024 legen wir den Grundstein

für nachhaltiges Wachstum durch Diversifizierung.“

Preisträger Brandenburg

ORAFOL EUROPE GMBH

Sitz: Oranienburg

Geschäftsführer: Dr. Holger Loclair

Mitarbeiterzahl: 2.500

Die ORAFOL Europe GmbH aus Oranienburg

hat eine beeindruckende Entwicklung genommen.

Die innovativen Spezialfolien des

Unternehmens werden in mehr als 100 Länder

vertrieben. Dr. Holger Loclair hat das Familienunternehmen

zu einem der weltweit führenden

Betriebe im Bereich der Kunststoffveredlung

aufgebaut. ORAFOL gilt mittlerweile als

das größte industrielle Familienunternehmen

in Ostdeutschland.

Personen- und Arbeitsschutzes sowie von der

graphischen Industrie weltweit eingesetzt.

Mit 17 Tochtergesellschaften ist die Gruppe in

Europa, in Nord- und Südamerika, in Australien

sowie in Asien vertreten. Produktionsstandorte

befinden sich in Deutschland, Irland,

den USA, Mexiko, China und Australien.

Und die Oranienburger wachsen weiter: Bis

2024 investiert das Unternehmen rund 160

Millionen Euro in die Erweiterung der Produktion

im Norden Brandenburgs. Die geplanten

Investitionen umfassen den Neubau von zwei

Produktionshallen und die Anbindung an das

digitale Produktionsplanungssystem. Im

ersten Schritt entsteht ein komplett autarker

Produktionsbereich, in dem Kunststoffe für

Mit der Erweiterung steigert ORAFOL ab 2024

seine Produktionskapazitäten für graphische

Folien und ermöglicht die Herstellung neuer

Produkte. Das Unternehmen will künftig

selbstklebende Folien produzieren, die deutlich

breiter als die aktuell im Markt verfügbaren

sind. Gleichzeitig wird die Herstellung von

Folien mit innovativen Funktionsschichten

möglich. Das sind laut ORAFOL zum Beispiel

PVC-freie Schutzfilme für Oberflächen, von

denen sich das Brandenburger Unternehmen

weiteres Wachstum für die Firmengruppe

verspricht. Zusätzliche Investitionen werden

aufgrund der aktuellen Situation in Energieeinsparmaßnahmen

fließen.

Für Firmenchef Dr. Holger Loclair sind die

Ausbaupläne auch ein Bekenntnis zum Standort

Brandenburg: „Die erneute Investition in

unser europäisches Hauptproduktionswerk

untermauert meinen festen Glauben an den

Industriestandort Deutschland und die regionale

Stärke des Landes Brandenburg.“

Fotos: ORAFOL GmbH, Deutschland – Land der Ideen / Bernd Brundert (rechts)

Produktion bei der ORAFOL GmbH

Am Stammsitz in Oranienburg produziert

ORAFOL mit 1.100 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen.

Die Produkte werden unter

anderem auf Verkehrszeichen und bei

Verkehrssicherungssystemen, im Bereich des

Elke Beune, Leiterin Kommunikation ORAFOL Europe GmbH,

und Dr. Holger Loclair, Geschäftsführer ORAFOL Europe GmbH

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


58

WIRTSCHAFT+MARKT

OWF

Preisträger

Mecklenburg-Vorpommern

Baumgarten Bootsbau

Sitz: Warin

Geschäftsführer: Eike Baumgarten

Mitarbeiterzahl: 11

Der Boots- und Schiffbauermeister Eike

Baumgarten produziert seit 1988 Ruderboote.

Im Jahr 1995 hat das Handwerksunternehmen

Baumgarten Bootsbau seine

aktuelle Produktionshalle in der Kleinstadt

Warin im Osten des Landkreises Nordwestmecklenburg

bezogen. Seither erweitert

der Handwerker seine Produktion kontinuierlich.

Heute ist Baumgarten Bootsbau der

größte Hersteller von Gig-Ruderbooten für

Blick in die Produktion von Baumgarten Bootsbau

Rudervereine und Privatleute in Deutschland.

Vertrieben werden die Boote in ganz Europa.

Für den Bereich der Langstrecken- Regatten In diesem Jahr wird der Mecklenburger eine

wurde eine komplett neue Produktlinie

zusätzliche Produktionshalle bauen. In dieser

(RS-Class) mit innovativem Rumpf-Konzept soll dann auch ein 5-Achsen-CNC-Bearbeitungszentrum

installiert werden. Mit dieser

entwickelt. Auch Profi-Sportler beziehen ihre

Boote aus Warin. Weil während der Pandemie Maschine wird nicht nur die Produktivität der

viele Sportmöglichkeiten nicht nutzbar

Fertigung erhöht, sondern auch die Produktion

von neu entwickelten Bootsformen

waren, hat die Nachfrage nach Ruderbooten

noch zugenommen.

deutlich beschleunigt. Im Unterschied zu

Stefan Biastock und Geschäftsführer Eike Baumgarten von Baumgarten Bootsbau

der bereits vorhandenen 3-Achs-CNC-Fräse

lassen sich mit der neuen Anlage nicht nur

Holz und Karbon, sondern auch Aluminium

bearbeiten. Das gibt dem Unternehmen neue

Fertigungsmöglichkeiten. Der Betrieb vereint

so in mittlerweile dritter Generation traditionelles

Handwerk mit moderner Technologie.

In den letzten zwei Jahren sind in Warin vier

neue Bootstypen entwickelt worden, so dass

die Kunden nun aus über 40 verschiedenen

Bootsrümpfen auswählen können. Außerdem

ist Baumgarten Bootsbau als einziger

deutscher Hersteller in den Zukunftsmarkt der

Coastal-Boote eingestiegen, eine Bootsklasse,

die bald auch olympisch sein soll.

Coastal-Rudern ist die Ruder-Variante in

rauem Wasser mit Wellengang, also vor allem

Rudern auf dem offenen Meer. Der Trendsport

verlangt spezielle Boote: Sie haben beispielsweise

ein offenes Heck, damit das Wasser

problemlos ablaufen kann. Coastal-Boote

liegen stabil im Wasser und sind durch ihre

Bauweise nahezu unsinkbar.

Als erster Ruderboot-Hersteller weltweit hat

Baumgarten Bootsbau zudem im Dezember

vergangenen Jahres ein Ruderboot aus Flachsfasern

vorgestellt. Das Öko-Boot verspricht

mehr Nachhaltigkeit, denn die nachwachsende

Naturfaser reduziert den ökologischen Fußabdruck

der Boote um 75 Prozent.

Fotos: Deutschland – Land der Ideen/Bernd Brundert, Baumgarten Bootsbau (oben)

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


PREISTRÄGER

WIRTSCHAFT+MARKT59

bei der Produktionsplanung, versprechen

die Dresdner. „Die Logistik wird nachhaltiger

gestaltet und es werden automatisierte

Nachbestellungen ausgelöst. Darüber hinaus

ermöglicht unsere Lösung das Anbieten neuer

Services, wie z. B. Vendor-Managed- Inventory-

Modelle oder Konsignationslager, die für Kunden

einen signifikanten Wettbewerbsvorteil

darstellen“, schildert Packwise-Geschäftsführerin

Gesche Weger.

Packwise ist derzeit in über 20 Ländern im

Einsatz. Die Sachsen arbeiten mit mehr als

40 Industriekunden in Deutschland, Europa

und den USA zusammen und wurden 2021

gemeinsam mit der Firma BASF mit dem

German Innovation Award ausgezeichnet.

Das Team der Firma Packwise

Preisträger Sachsen

Packwise GmbH

Sitz: Dresden

Geschäftsführerin: Gesche Weger

Mitarbeiterzahl: 16

Mit Hilfe der Packwise-Lösung, bestehend aus

einem hochpräzisen Sensor, dem Packwise

Smart Cap, sowie der zugehörigen Plattform

Packwise Flow, wird es Unternehmen

ermöglicht, über die Verfügbarkeit von Daten

zu Containern und den darin enthaltenen

Produkten Logistik-Prozesse zu optimieren.

Die mit Hilfe eines digitalen Zwillings der

Industrieverpackung gewonnenen Erkenntnisse

eröffnen Kunden völlig neue Möglichkeiten

Das überzeugt auch die Investoren. Zuletzt

konnte das Dresdner Unternehmen erfolgreich

eine Finanzierungsrunde in siebenstelliger

Höhe mit dem Technologiegründerfonds

Sachsen sowie privaten Investoren abschließen.

Mit dem neugewonnenen Kapital

möchte Packwise die Expansion in Europa

vorantreiben, Entwicklungs- und Vertriebspartnerschaften

weiter ausbauen sowie neue

internationale Märkte bearbeiten. Zu diesem

Zweck strebt Packwise die Zulassung seiner

Hardware für Nordamerika und weitere internationale

Märkte an.

Fotos: Packwise GmbH, Land der Ideen Management GmbH / Felix Zahn (unten)

Das junge Start-up Packwise GmbH aus der

sächsischen Landeshauptstadt Dresden,

gegründet 2017, ist ein Industrial Internet

of Things-Start-up. Packwise wurde von

Geschäftsführerin Gesche Weger, Felix

Weger und René Bernhardt aus der Taufe

gehoben, um die Digitalisierung rund um die

Wiederaufbereitung und Wiederverwendung

von Intermediate Bulk Containern (IBC) und

Fässern sowie eine intelligente Kreislaufwirtschaft

voranzutreiben.

Die Dresdner verstehen sich als Dienstleistungs-

und Beratungsunternehmen im

Bereich der intelligenten Organisation von

Transportverpackungen für die Chemie-,

Pharma-, Kosmetik- und Lebensmittelindustrie.

Dazu bietet Packwise an, die

gesamte Verpackungsorganisation eines

Industrie unternehmens zu übernehmen und

die Wiederverwendung von Transportverpackungen

zu fördern.

Gesche Weger, Geschäftsführerin Packwise GmbH, und René Bernhardt, CTO Packwise GmbH

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


60

WIRTSCHAFT+MARKT

OWF

Preisträger

Sachsen-Anhalt

MECOTEC GmbH

Sitz: Bitterfeld-Wolfen

Geschäftsführer: Enrico Klauer

und Dr. Friedrich Rheinheimer

Mitarbeiterzahl: mehr als 100

global erfolgreich. Mehr als 700 Kältekammern

aus ihrer Produktion sind weltweit im

Einsatz, sei es in der Medizin, in Reha-Zentren

und Sporteinrichtungen, in den SPA-Bereichen

gehobener Hotels, in der Fußball-Bundesliga

oder der amerikanischen Football-Liga NFL.

Daneben stellt MECOTEC auch medizinische

Kaltluftgeräte für die lokale Schmerztherapie

her. 2020 wurden die weltweit ersten zertifizierten

Containerleistungen zur Lagerung von

Impfstoffen erbracht.

seine Kernmärkte. Hierfür wurde das M-Lab

gegründet, eine Ideen-Schmiede für Innovationen.

Zuletzt entstand am Firmensitz zudem

ein Showroom, in dem eine cryo:one-Kältekammer,

eine cryo:one plus-Kältekammer

und das Kaltluft-Therapiegerät cryoair C600

mit der weltweit einmaligen Temperatur von

-60 Grad Celsius getestet werden können.

Die MECOTEC GmbH hat sich 2013 in Sachsen-Anhalt

im Solar Valley angesiedelt. Sie ist

der Spezialist für Tiefst-Kältetechnologie und

Weltmarktführer bei elektrischen Kältekammern

für den Medizin-, Rehabilitations-,

Hotellerie-, Wellness- und Sportbereich.

MECOTEC setzt auf zwei aktuelle Megatrends:

New Health und Tiefst-Kältelagerung. New

Health beschreibt in der Medizin den Wandel

von regenerativer zu präventiver Medizin auf

der Basis von Echtzeit-Monitoring von Daten.

Tiefst-Kältelösungen wiederum finden immer

breitere Anwendung bei der Lagerung von

sensiblen Stoffen wie z. B. mRNA-Impfstoffen.

Im globalen Markt der Kältetherapie erwartet

MECOTEC bis 2025 einen jährlichen Umsatz

von knapp sechs Milliarden Dollar.

Aus dem Hause MECOTEC stammte die

erste elektrisch betriebene Kältekammer in

Deutschland. Heute sind die Sachsen-Anhalter

Geführt wird das Unternehmen bis heute von

seinem Gründer und Geschäftsführer Enrico

Klauer sowie von Dr. Friedrich Rheinheimer,

der seit Anfang 2022 das operative Geschäft

verantwortet. Weltweit arbeiten mehr als 100

Mitarbeitende für MECOTEC, davon über 80

in Deutschland. Um auch in Zukunft erfolgreich

sein zu können, tüftelt Firmengründer

Enrico Klauer ständig an neuen Lösungen für

Eine cryo:one plus-Kältekammer der Firma MECOTEC

„TRANSFORMATION IST NUR

DURCH INNOVATION MÖGLICH

– UND DER OSTEN IST VOLL

DAVON. DAS REICHT VON

START-UPS BIS HIN ZU UNTER-

NEHMEN, DIE SCHON LANGE AM

MARKT SIND UND SICH IMMER

WIEDER ERFOLGREICH AN NEUE

RAHMENBEDINGUNGEN ANGE-

PASST HABEN. ZIEL DES UNTER-

Die Geschäftsführer der MECOTEC GmbH Dr. Friedrich Rheinheimer und Enrico Klauer

NEHMERPREISES VORSPRUNG

IST ES, DIES ÖFFENTLICH ZU

MACHEN UND DIE MENSCHEN

DAHINTER ZU ZEIGEN. DIE

DIESJÄHRIGEN PREISTRÄGER

VERDEUTLICHEN SEHR GUT

DAS INNOVATIVE POTENZIAL

OSTDEUTSCHLANDS.“

Ute Weiland, Geschäftsführerin Deutschland

– Land der Ideen und Veranstalterin OWF

Fotos: Deutschland – Land der Ideen / Bernd Brundert, MECOTEC GmbH, Bernd Brundert (v.l.n.r.)

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


PREISTRÄGER

WIRTSCHAFT+MARKT61

Der Firmensitz der PETKUS GmbH

Preisträger Thüringen

PETKUS Technologie GmbH

Sitz: Wutha-Farnroda

Geschäftsführer: Mark Scholze

Mitarbeiterzahl: 200

„Strong Seed, Healthy Grain“ lautet das Motto

der international agierenden PETKUS Gruppe

aus dem thüringischen Wutha-Farnroda. Bei

PETKUS dreht sich alles ums Saatgut und

die Getreideverarbeitung. Dabei kann das

Unternehmen auf eine lange Tradition zurück-

Fotos: PETKUS GmbH, Land der Ideen Management GmbH / Felix Zahn (unten)

blicken. Schon 1852 fertigte PETKUS-Gründer

Christian Friedrich Röber Ackerwagen und

Pflüge für die Landwirtschaft. Später rückten

Saatgutreinigungsmaschinen in den Fokus.

Während der deutschen Teilung spaltete sich

auch das Unternehmen. Nach der Wende führte

Mark Scholze die west- und ostdeutschen

Betriebe in Wutha-Farnroda im Wartburgkreis

wieder zusammen.

Die PETKUS Gruppe hat in den letzten fünf

Jahren technologische Lösungen und Produkte

in 91 Länder exportiert. Das Unternehmen hat

sich als führender Anbieter für Saatguttechnologien

etabliert. Dabei stehen die Thüringer

für Innovationen wie die speziell entwickelte

MultiCoater-Technologie und -Ausrüstung. Die

einzigartige Neuentwicklung stammt aus dem

zur PETKUS Gruppe gehörenden Röber Institut

und wurde 2014 auf den Markt gebracht.

Anja Scholze und PETKUS-Geschäftsführer Mark Scholze

Mit Hilfe weiterer Innovationen wie beispielsweise

optischen Sortierverfahren,

strömungs technischen Komponenten, Coating-

und Desinfektions-Technologien und die

Implementation KI-gesteuerter Verfahren

konnten hochmoderne Anlagen entwickelt

werden, die weltweit einzigartig auf dem

Markt sind.

Ein Beispiel für den internationalen Erfolg

von PETKUS: 2021 hat das Unternehmen

die wahrscheinlich größte Grassamenlinie

außerhalb der USA in Neuseeland in Betrieb

nehmen können. Die Anlage ist in der Lage,

mehr als 3,5 t/h Weidegras und 10 t/h Getreide

zu verarbeiten. Für global agierende Firmen

baut PETKUS komplette Anlagen inklusive

der nötigen Infrastruktur, die schlüsselfertig

übergeben werden.

Neue Standards setzt PETKUS auch in der

Saatgutdesinfektion ohne den Einsatz von

Chemie. Die aktive Dampfbehandlung mittels

des „MultiCoater CM HySeed bio“ befreit

Saatgut effektiv von verschiedensten Saatgutpathogenen.

Herkömmlich wird Saatgut

chemisch gebeizt, um es vor am Saatgut

anhaftenden oder im Boden vorkommenden

Krankheitserregern zu schützen. Der Einsatz

der Chemikalien wird mittlerweile jedoch sehr

kritisch gesehen und streng reguliert. So entstand

als Alternative eine auf aktiver Dampfbehandlung

basierende, universell einsetzbare

Anlage zur Saatgutbehandlung.

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


62

WIRTSCHAFT+MARKT

INTERNATIONALE MÄRKTE

GTAI-REPORT:

IN DER KRISE

WELTWEIT

EXPORTIEREN

Die aktuellen Krisen haben für viele deutsche Mittelständler

ein Umdenken im Exportgeschäft erforderlich gemacht.

Neue Märkte rücken in den Fokus. Der GTAI-Report widmet

sich in dieser Ausgabe den USA, Polen, der Schweiz,

Kasachstan und Vietnam.

VON ULLRICH UMANN (USA), CHRISTOPHER FUSS (POLEN),

KARL-HEINZ DAHM (SCHWEIZ), JAN TRIEBEL (KASACHSTAN),

DR. FRAUKE SCHMITZ-BAUERDICK (VIETNAM)

USA:

EXPORTE DEUTSCHER WIRTSCHAFT STEIGEN

Die Vereinigten Staaten von Amerika bleiben

der wichtigste Handelspartner deutscher

Unternehmen. Für die deutsche Industrie ist

der US-Markt zuletzt sogar noch attraktiver

geworden, seit sich die außenwirtschaftlichen

Unwägbarkeiten nach Ausbruch des Ukraine-Krieges

vervielfältigt haben.

Vor allem Unternehmen aus den neuen

Bundesländern suchen derzeit nach Möglichkeiten,

ihre Lieferausfälle mit Russland und der

Ukraine zu kompensieren. Hinzu kommen die

anhaltenden coronabedingten Probleme beim

Chinageschäft. Die Aktivierung des Vertriebs

auf dem riesigen US-Markt bietet sich daher

regelrecht an.

Exporte in die USA wachsen

Bereits im vergangenen Jahr stiegen die

deutschen Ausfuhren in die Vereinigten

Staaten überdurchschnittlich stark. Während

die Gesamtexporte um knapp 14 Prozent zulegten,

wuchsen die Lieferungen in die USA um

18 Prozent und erreichten 122 Milliarden Euro.

Unternehmen aus den neuen Bundesländern

steigerten ihre Exporte im Jahr 2021 sogar um

23 Prozent und verkauften Waren im Wert von

knapp 8,8 Milliarden Euro.

Zwar wächst auch in den USA die Inflationsgefahr

und zuletzt wurden die Wachstumserwartungen

für die größte Volkswirtschaft der

Erde nach unten korrigiert. Dennoch erweist

sich das Land als Stabilitätsanker für die

Weltwirtschaft, wie die jüngste Prognose der

Blue Chip Economic Indicators vom Mai zeigt.

Laut dieser soll das Bruttoinlandsprodukt im

Jahr 2022 um real 2,6 Prozent zulegen, für

Investitionen und Konsum wird ein Plus von

5,7 beziehungsweise 3,0 Prozent erwartet.

Absatzchancen erwachsen der deutschen

Exportwirtschaft zum Beispiel aus dem

Infrastrukturpaket der US-Regierung im

Gesamtumfang von 1,2 Billionen US-Dollar.

Mit diesem Geld sollen unter anderem die

Verkehrsinfrastruktur ausgebaut und die

ULLRICH UMANN

Ullrich Umann arbeitet seit 2018 als Wirtschaftskorrespondent

im Büro von Germany

Trade & Invest in Washington, D.C.

Vorher war er für mehrere Jahre in gleicher

Funktion an den Standorten Riga, Warschau,

Mexiko-Stadt, New York und Moskau tätig.

Fotoa: GTAI, AdobeStock

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


GTAI-REPORT

WIRTSCHAFT+MARKT63

New York im Blick der Investoren

kürzer die Lieferzeiten, desto höher die Chancen

einen Zuschlag zu erhalten. Zudem steht der

Bau von Anlagen zur Gasverflüssigung sowie

von Verladeterminals für Flüssiggas am Golf

von Mexiko an.

Weitere Absatzmöglichkeiten bietet die von

der Biden-Regierung geförderte Erschließung

alternativer Quellen in der Energiewirtschaft,

die vielerorts geplante Errichtung energieeffizienter

Häuser sowie die Einführung intelligenter

und datenbasierter Produktionsverfahren in

der nachhaltigen Landwirtschaft.

Zielmarkt für Direkt investitionen

Auch als Investitionsstandort sind die USA

von einer herausragenden Bedeutung für

Foto: AdobeStock

Wasserwirtschaft modernisiert werden. Auch

der tiefgreifende Strukturwandel im verarbeitenden

Gewerbe der USA eröffnet deutschen

Unternehmen Geschäftspotenziale. So stellt

sich die Kfz-Zulieferindustrie wegen der

Transformation zur Elektromobilität derzeit

komplett neu auf. Weitere Chancen bieten die

Automatisierung und Digitalisierung der Logistikketten,

der Produktion und des Vertriebs,

die inzwischen selbst kleine und mittlere

amerikanische Unternehmen angehen.

Die gegenwärtige Renaissance der amerikanischen

Öl- und Gasindustrie löst eine starke

Nachfrage nach Bohrausrüstungen aus. Dabei

gilt für deutsche Exporteure die Faustregel: Je

deutsche und europäische Unternehmen. Der

europäische Flugzeughersteller Airbus will

beispielsweise zwei weitere Montagelinien am

Standort Mobile, Alabama, errichten. Damit

möchte das Unternehmen die Fertigung des

meistverkauften Schmalrumpfflugzeugs

A-320 bis 2025 um 50 Prozent auf 75 Stück

pro Monat steigern.

STARK IN

BRANDENBURG –

STARK IN DER WELT

Mit nur einer Maschine und einer großen Portion

Optimismus – so sind wir bei ORAFOL vor mehr als

30 Jahren gestartet. Mit einem loyalen Team haben

wir es geschafft, uns einen Namen als Kunststoffveredler

zu machen. Weltweit.


64

WIRTSCHAFT+MARKT

INTERNATIONALE MÄRKTE

Trotz der umfangreichen Geschäftschancen

müssen sich deutsche Firmen auf einen

Markteintritt gut vorbereiten: In jedem

Bundesstaat existieren eigene Normen und

Standards, eigene Rechtssysteme, eigene

Steuersätze oder auch eigene Vorschriften

zur Anerkennung von Bildungsabschlüssen.

Und sogar eigene Regelwerke zur Ausübung

bestimmter Berufe.

Der Aufwand bei der Wahl eines geeigneten

Standortes ist damit groß und verursacht hohe

Startkosten. Wertvolle Hilfestellungen bietet

die AHK USA mit ihren regionalen Niederlassungen.

Germany Trade & Invest (GTAI)

GTAI ist die Außenwirtschaftsagentur der Bundesrepublik Deutschland.

Mit über 50 Standorten weltweit und dem Partnernetzwerk unterstützt

Germany Trade & Invest deutsche Unternehmen bei ihrem Weg ins

Ausland, wirbt für den Standort Deutschland und begleitet ausländische

Unternehmen bei der Ansiedlung in Deutschland.

POLEN:

STABILER MARKT IN KRISENZEITEN

Die deutsch-polnischen Wirtschaftsbeziehungen

der vergangenen Jahre sind eine

beeindruckende Erfolgsgeschichte. Polen

liegt mittlerweile auf dem fünften Platz in der

Rangfolge der größten Außenhandelspartner

Deutschlands – vor Italien oder Österreich.

Der Wert aller zwischen Deutschland und

Polen gehandelten Waren stieg 2021 im

Jahres vergleich um stolze 19 Prozent auf das

Allzeithoch von 147 Milliarden Euro.

Die ostdeutschen Bundesländer haben maßgeblich

zu dieser Entwicklung beigetragen.

Brandenburg und Sachsen-Anhalt exportieren

heute in kein Land so viele Produkte wie

nach Polen. Der Wert des Außenhandels

zwischen Polen und Sachsen hat sich seit

2010 verdoppelt. Industriegrößen wie der

Batteriehersteller Tesvolt aus Wittenberg

oder der Brandenburger Kunststoff-Veredler

Orafol sind in Polen aktiv. Zahlreiche polnische

Windparks arbeiten mit Turbinen von Nordex

aus Mecklenburg-Vorpommern. Polnische

Investoren wiederum sichern auch im Osten

Deutschlands hunderte Arbeitsplätze, darunter

die Chemiekonzerne Ciech in Staßfurt oder

Azoty in Guben.

Gleichzeitig wachsen die grenznahen Regionen

enger zusammen. Deutschland und Polen

bauen gemeinsam die Bahnstrecke zwischen

Berlin und dem polnischen Szczecin aus.

Mecklenburg-Vorpommern und Szczecin koordinieren

ihre Wirtschaftspolitik im Rahmen des

Industrieparks Berlin-Szczecin.

Folgen des Ukraine-Krieges

Bislang konnte sich Polens Wirtschaft auch

in Krisenzeiten behaupten. Rückgänge des

Bruttoinlandsproduktes im Corona-Jahr 2020

holte das Land bis zum Sommer 2021 wieder

auf. Der Krieg im Nachbarland Ukraine stellt

polnische Unternehmen aber vor Herausforderungen.

Die für Polen wichtige Möbelindustrie

klagt nach Importstopps aus Belarus über

Holzmangel. Hersteller von Haushaltsgeräten

befürchten Probleme bei Metalllieferungen.

Deutsche Automobilfirmen mussten wegen

fehlender Kabelbäume ihre Produktion zeitweise

einstellen.

Einen Teil seines Energiebedarfs deckt Polen

mit fossilen Brennstoffen aus Russland.

Die polnische Regierung arbeitet seit Jahren

daran, diese Abhängigkeit zu reduzieren. Jetzt

beschleunigt Polen seine Energietransformation.

Ab 2040 sollen erneuerbare Energien

die Hälfte der heimischen Stromproduktion

ausmachen. Heute liegt der Anteil erst bei

15 Prozent. Große Hoffnungen setzt Polen

auf Offshore-Windkraft. Bis voraussichtlich

2030 gehen in der Ostsee neue Anlagen mit

einer Leistung von rund sechs Gigawatt ans

Netz. Deutsche Unternehmen wie RWE und

Siemens sind an den Projekten beteiligt. Dank

staatlicher Subventionen boomt auch der Absatz

von Photovoltaik-Anlagen. Davon können

Solarhersteller wie das in Ostdeutschland

produzierende Unternehmen Meyer Burger

profitieren.

CHRISTOPHER FUSS

Christopher Fuß leitet seit Januar 2022 das

Büro von Germany Trade & Invest (GTAI) in

Warschau. Zuvor war er als Marktberater

bei der Deutsch-Polnischen Industrie- und

Handelskammer (AHK Polen) tätig.

Seit April 2022 bezuschusst Polen den Einbau

von Energiespeichern und von Wärmepumpen

in Privathaushalten mit bis zu 4.600 Euro.

Branchenverbände erwarten darum ein deutliches

Nachfrageplus. Parallel investiert Polen

in Wasserstoff. Über 2.000 Elektrolyseanlagen

will das Land bis 2030 aufbauen. Entscheidenden

Anteil an der Umsetzung hat der staatliche

Mineralölkonzern PKN Orlen. Das Unternehmen

investiert bis 2030 rund 1,7 Milliarden Euro in

Wasserstoffprojekte.

Foto: GTAI, AdobeStock

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


GTAI-REPORT

WIRTSCHAFT+MARKT65

Das Stromnetz der Kohlenation Polen ist

bislang darauf ausgelegt, Energie aus wenigen

Großkraftwerken aufzunehmen und zu

verteilen. Um die Leitungen fit zu machen für

eine dezentrale Versorgung, investiert der

Übertragungsnetzbetreiber PSE bis 2032 rund

acht Milliarden Euro.

Die polnische Hauptstadt Warschau

Impulse durch staatliche Projekte

Nicht nur Polens Energiesektor befindet sich

im Wandel. Auch das Schienennetz steht vor

Umbrüchen. Den geplanten Großflughafen CPK

bei Warschau möchte Polens Regierung zum

Knotenpunkt für den Bahnverkehr ausbauen.

1.800 Schienenkilometer will die zuständige

Projektgesellschaft verlegen oder sanieren.

Ländliche Regionen und mittelgroße Städte

Foto: AdobeStock

können auf neue Anschlüsse hoffen. Für die in

Brandenburg starke Bahnindustrie eröffnet

das Infrastrukturprojekt Exportmöglichkeiten.

Auch Polens Industrie wird modernisiert.

Unternehmen erhalten seit Anfang 2022

beim Kauf von Automatisierungstechnik

wichtige Steuererleichterungen. Über das

mit EU-Geldern finanzierte Programm FENG

stellt Polen bis 2027 rund acht Milliarden

Euro für moderne Produktionstechnik bereit.

Der deutsche Maschinen- und Anlagenbau

konnte dank solcher Fördermaßnahmen neue

Kunden in Polen gewinnen. Untersuchungen

von Anfang 2022 zeigen, dass vor allem

die polnische Kunststoffindustrie und die

Metallverarbeiter mehr Geld für Investitionen

bereitstellen wollen.

Nicht erst seit der Pandemie gilt Polens

Medizinsektor als unterfinanziert. Bislang

liegen die öffentlichen Ausgaben für das

Gesundheitssystem bei nur etwa fünf Prozent

des Bruttoinlandsproduktes – deutlich unter

dem EU-Durchschnitt. Bis 2027 soll der Anteil

auf sieben Prozent steigen. Mit den Geldern

werden auch neue Geräte für Krankenhäuser

und Arztpraxen finanziert. Profitieren können

internationale Hersteller von Medizintechnik,

beispielsweise die Carl Zeiss AG in Jena.

Natürlich kämpft auch Polens Wirtschaft mit

Herausforderungen. Nach Russlands Angriff

auf die Ukraine haben sich viele Entwicklungen

weiter verschärft. Die Inflation stieg im April

2022 auf 12,3 Prozent. Kredite sind deutlich

teurer geworden. Darunter leidet der Konsum.

Bauunternehmen und das Transportgewerbe

klagen nicht zuletzt aufgrund fehlender

Mitarbeiter aus der Ukraine über Fachkräftemangel.

Außerdem beschweren sich Firmen

über unklare rechtliche Rahmenbedingungen.

Die Weigerung der polnischen Regierung, Teile

einer umstrittenen Justizreform zurückzuziehen,

blockiert wichtige EU-Gelder.

Und dennoch: Der Produktionsindex der

Indus trie Polens wächst seit Monaten

im zweistelligen Bereich. Die Beschäftigungszahlen

ent wickeln sich gut. Der

Außenhandels umsatz zwischen Deutschland

und Polen lag in den ersten Monaten 2022

über den Vorjahreswerten.

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


66

WIRTSCHAFT+MARKT

INTERNATIONALE MÄRKTE

SCHWEIZ:

WICHTIGER HANDELSPARTNER FÜR DEUTSCHLAND

Trotz der geringen Größe des Landes zählt die

Schweiz zu den führenden Industrienationen.

Beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf liegt

sie mit 8,7 Millionen Einwohnern im weltweiten

Vergleich auf Platz zwei hinter Luxemburg. Die

Kaufkraft der schweizerischen Haushalte ist

trotz eines hohen Preisniveaus die höchste

in Europa.

Deutschland und die Schweiz pflegen enge

Wirtschaftsbeziehungen. Das Handelsvolumen

zwischen beiden Ländern machte 2021

rund 100 Milliarden Euro aus, ein Plus von

10,2 Prozent gegenüber dem pandemiebedingt

schwachen Vorjahr. Im Ranking der

größten Außenhandelspartner Deutschlands

belegte die Schweiz 2021 den 9. Platz.

Die Schweiz importiert aus Deutschland vor

allem Chemie- und Pharmaprodukte, Maschinen

und Anlagen sowie Fahrzeuge. Laut dem

schweizerischen Bundesamt für Statistik waren

2020 rund 3.435 deutsche Unternehmen

in der Schweiz ansässig. Insgesamt stellen

deutsche Firmen etwa 126.500 Arbeitsplätze

im Land.

Deutsche Unternehmen, die in der Schweiz

tätig sind, loben immer wieder die erstklassige

Infrastruktur sowie unter anderem die Verfügbarkeit

von hochqualifizierten und motivierten

Arbeitskräften. Letztere werden allerdings

inzwischen knapp. Erstmals seit Jahrzehnten

meldet die schweizerische Regierung 2022

mehr offene Stellen als Arbeitslose. Nach

Angaben des eidgenössischen Personalunternehmens

X28 stehen den derzeit rund 91.000

Arbeitslosen etwa 250.000 offene Stellen

gegenüber.

Abkühlung der Konjunktur erwartet

Konjunkturforscher gehen von einer deutlichen

Abkühlung der Wirtschaftsleistung in

den kommenden Monaten aus. Besonders

steigende Rohstoff- und Energiekosten,

eine drohende Rezession in Deutschland

und europäischen Nachbarländern dürften

KARL-HEINZ DAHM

Karl-Heinz Dahm ist seit vielen Jahren

als Redakteur und Länderexperte für

die Schweiz bei GTAI in Bonn im Bereich

Marktbeobachtung tätig.

Die Schweizer Wirtschaftsmetropole Zürich

Fotos: AdobeStock, GTAI Frank May

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


GTAI-REPORT

WIRTSCHAFT+MARKT67

die schweizerische Exportindustrie und die

Wirtschaft insgesamt belasten. Auch könnte

es zu einem Mangel an Vorprodukten für die

heimische Industrie durch gestörte Lieferketten

kommen.

Bislang lief die schweizerische Wirtschaft erstaun

lich rund. Die günstige Entwicklung am

Arbeitsmarkt und Aufholeffekte nach dem Ende

der Corona-Beschränkungen im April 2022

stärkten den Privatkonsum. Davon profitierte

vor allem das Hotel- und Gaststätten gewerbe,

das unter anderem auch dank gestiegener

Touristenzahlen aus Europa und den USA ein

starkes Wachstum hinlegte. Günstig wirkt sich

auch eine im internationalen Vergleich niedrige

Inflation in der Schweiz aus.

Zürich über hervorragende Forschungseinrichtungen

im KI-Sektor. Auch das stabile

politische Umfeld und eine gut ausgebaute

Infrastruktur sind ideale Standortfaktoren für

KI-Unternehmen.

Im Bereich Robotik und Drohnen gelten die

Schweizer seit Jahren als führend. Switzerland

Global Enterprise, die schweizerische Organisation

für Exportförderung und Standortmarketing,

konstatiert, dass sich die Schweiz

aufgrund ihres etablierten Ökosystems als

„Silicon Valley“ der Robotik einen Namen gemacht

hat. Ein interessanter Wachstumsmarkt

ist auch die schweizerische Biotech-Branche.

Sie konnte 2021 Investitionen im Umfang von

rund drei Milliarden Euro generieren.

Die Schweiz führt seit Jahren das internationale

Ranking der innovativsten Länder an. Der

schweizerische Bundesrat hat im Juni 2022

erstmals einen staatlichen Innovationsfonds

ins Leben gerufen. Dieser soll jungen, innovativen

KMU und Start-ups die Finanzierung in

der Wachstumsphase ihrer Unternehmung erleichtern.

Dabei stehen besonders die Themen

Dekarbonisierung und Digitalisierung im Fokus.

Digitalisierung bietet Chancen

Die Bereiche Digitalisierung und Künstliche

Intelligenz (KI) dürfte in den kommenden Jahrzehnten

immer mehr an Bedeutung gewinnen.

Die Schweiz verfügt unter anderen mit der

Eidgenössischen Technischen Hochschule

Von der Struktur zum Wirkstoff

Die Chiracon GmbH stellt Wirkstoffe und Rezeptursubstanzen

zur Humananwendung her. Unsere Kunden reichen von

Forschungseinrichtungen bis zu Forschungsabteilungen

großer produzierender Pharmafirmen. Für diese bieten

wir unser langjähriges Know-how im Bereich der Wirkstoffentwicklung

und -herstellung an.

Mit unserer Wirkstoffentwicklung und -produktion

„Made in Brandenburg“ tragen wir nicht nur zur Versorgungssicherheit

Deutschlands und der Entlastung

der Krankenkassen bei, sondern sind auch aktiv an der

Entwicklung zukünftiger Pharmaka beteiligt.

Arzneistoffe aus Luckenwalde

Wirkstoffe Klinische Prüfmuster Chirale Intermediate Auftragssynthese

Chiracon GmbH

Biotechnologiepark

14943 Luckenwalde

Germany

Tel.: +49 (0) 3371-400 2 400

Fax: +49 (0) 3371-400 2 401

E-Mail: info@chiracon.de

www.chiracon.de

Chiracon ist Wirkstoffhersteller und wurde inspiziert gemäß – Art. 111

(1) der Richtlinie 2001/83/EG umgesetzt in das deutsche Recht durch:

§ 64 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (GMP Zertifikat).


68

WIRTSCHAFT+MARKT

INTERNATIONALE MÄRKTE

KASACHSTAN:

MEHR ALS NUR ÖL

Kasachstan ist für Deutschland wichtigster

Wirtschaftspartner in Zentralasien. Die

Bedeutung macht der deutsche Außenhandel

mit der Region deutlich: Bei einem Gesamtumsatz

von etwa sechs Milliarden Euro, den

Deutschland 2021 mit den fünf Ländern in

der Region erzielte, entfielen 85 Prozent auf

Kasachstan. Damit lag das neuntgrößte Land

der Erde in der Rangfolge aller Handelspartner

weltweit bei den deutschen Importen auf Platz

41, bei den Exporten auf Platz 62. Deutschland

führt ein breites Spektrum von Waren nach

Kasachs tan aus – am meisten werden

Maschinen, chemische Erzeugnisse und

Fahrzeuge nachgefragt. Aus Kasachstan wird

hauptsächlich Rohöl importiert.

Astana ist die Hauptstadt

von Kasachstan.

Die Ölimporte nahmen im 1. Halbjahr 2022 um

rund neun Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum

auf 4,4 Millionen Tonnen zu. Deutschland

deckte seinen Bedarf an Importöl somit

zu gut einem Zehntel mit Lieferungen aus

Kasachstan. Das Land war hinter Russland

und den USA die drittwichtigste Bezugsquelle

für Rohöl.

Kasachische Öllieferungen könnten für

den deutschen Markt noch an Bedeutung

gewinnen. Grund dafür ist das Anfang Juni

verabschiedete 6. Sanktionspaket der EU

JAN TRIEBEL

Jan Triebel berichtet für GTAI seit 2018 von

Almaty aus über Kasachstan, Kirgisistan und

die Mongolei. Zuvor war er als Korrespondent

an den Standorten Moskau, Riga, Kiew und

Belgrad tätig.

gegen Russland. Es zielt insbesondere auf ein

weitreichendes Ölembargo gegen Russland

ab. Um das russische Öl zu ersetzen, werden

in Deutschland derzeit auch zusätzliche

Importe aus Kasachstan geprüft. Als einer der

möglichen Abnehmer dieser Lieferungen gilt

laut Zeitungsberichten die PCK Raffinerie in

Schwedt.

Konjunktur entwickelt sich robust

Kasachstan erwies sich in der jüngeren Vergangenheit

als recht krisenresistent. Der leichte

Rückgang der Wirtschaftsleistung im Corona-Jahr

2020 war bereits ein Jahr später wieder

wettgemacht. Auch die Auswirkungen der Unruhen

Anfang des Jahres blieben letztlich recht

überschaubar. Diese hatten das öffentliche

Leben vor allem im Großraum der Wirtschaftsmetropole

Almaty tagelang gelähmt.

Mittlerweile stellt der Krieg, den Russland in

der Ukraine führt, jedoch auch die kasachischen

Unternehmen vor neue Herausforderungen.

Bei einer Umfrage Mitte 2022 gab

mehr als die Hälfte von ihnen an, dass die

gegen Russland verhängten Sanktionen sich

vorwiegend negativ auf ihre geschäftlichen

Aktivitäten auswirken. Der anhaltend hohe

Preis für das Hauptexportgut Öl trägt jedoch

maßgeblich dazu bei, dass die Wirtschaft

des Landes auf Wachstumskurs bleibt. Laut

Regierung dürfte sie 2022 real um etwa drei

Prozent zulegen.

Erneuerbare auf dem Vormarsch

Im Energiesektor bietet der Ausbau- und

Modernisierungsbedarf gute Chancen für

deutsche Unternehmen. Kasachstan will

Klimaneutralität bis 2060 erreichen. Aktuell

werden noch 70 Prozent des Stroms mit

Kohle erzeugt. Bis 2030 soll der Kohleanteil

auf 40 Prozent sinken. Der dazu nötige

Umstieg auf alternative Energiequellen ist

bereits im Gange.

Die erneuerbaren Energiequellen Sonne und

Wind stehen bei der Energiewende mit im

Fokus. Daneben soll auch stärker als bisher auf

Erdgas zurückgegriffen werden. Zudem plant

Kasachstan zukünftig auch Strom mithilfe der

Kernenergie zu erzeugen.

Bei erneuerbaren Energien bieten aktuell

mehrere Auktionsrunden Investoren und

Projektentwicklern Chancen für einen Eintritt

in den kasachischen Markt. Die zwischen Ende

Oktober und Ende November 2022 angesetzten

Versteigerungen sollen den Ausbau zur

Gewinnung von grünem Strom um weitere

690 Megawatt Leistung anstoßen. Mitte 2022

belief sich die installierte Leistung in Erneuerbare-Energien-Anlagen

auf 2.330 Megawatt.

Kasachstan strebt an, im Jahr 2050 rund die

Hälfte seines Stroms aus erneuerbaren Energiequellen

zu produzieren. Bis 2030 soll der

Anteil 15 Prozent erreichen; Mitte 2022 lag er

bei rund vier Prozent.

Fotos: AdobeStock, Studio Prokopy

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


GTAI-REPORT

WIRTSCHAFT+MARKT69

VIETNAM:

OSTDEUTSCHE FIRMEN BESONDERS WILLKOMMEN

DR. FRAUKE

SCHMITZ-BAUERDICK

Dr. Frauke Schmitz-Bauerdick berichtet seit

2017 im Auftrag von Germany Trade and

Invest (GTAI) über den vietnamesischen

Markt. Zuvor war sie am Bonner GTAI-Standort

verantwortlich für den Bereich Recht und

Steuern Asien mit den Schwerpunkten China,

Indien und Vietnam.

Vietnams Wirtschaft gewinnt wieder deutlich

an Schwung. Experten erwarten für das laufende

Jahr ein Wirtschaftswachstum von real 6,0

bis 6,5 Prozent. Grundlage für den erwarteten

Konjunkturschub sind die steigenden vietnamesischen

Exporte, zunehmende ausländische

Investitionen sowie eine stetig wachsende, sehr

konsumfreudige Mittelschicht.

In den vergangenen Jahren etablierte sich

Vietnam als wichtiger Bestandteil internationaler

Lieferketten. Das Land ist durch mehrere

Freihandelsabkommen in den Welthandel

eingebunden. So erleichtert das im Jahr 2020

in Kraft getretene EU-Vietnam Free Trade

Agreement auch den Handel zwischen Vietnam

und Deutschland.

Perspektiven für deutsche Ausrüster

Der deutsch-vietnamesische Außenhandel

entwickelte sich allerdings in den Coronajahren

zumindest aus deutscher Sicht weniger positiv.

Während die vietnamesischen Lieferungen

2020 und 2021 zulegten, brachen die deutschen

Ausfuhren nach Vietnam 2020 um

knapp 30 Prozent ein. Zwar stiegen sie 2021

wieder, sie erreichten aber noch nicht das

Vorkrisenniveau. Gerade die Ausfuhren von

Maschinen und Anlagen litten unter der Krise.

Mittelfristig aber dürfte sich für deutsche

Lieferanten die positive Wirkung der Einbindung

Vietnams in internationale Lieferketten bemerkbar

machen. Unternehmen, die in Vietnam

für anspruchsvolle Märkte wie die EU, die USA

oder Japan produzieren, benötigen Maschinen

und Anlagen, die Qualität liefern können.

Welle von neuen Investitionen

Selbst im Krisenjahr 2021 stiegen die Neuinvestitionen

ausländischer Unternehmen in

Vietnam wertmäßig um gut vier Prozent. Nach

Aufhebung der Grenzschließungen im März

2022 wird für das laufende Jahr eine weitere Investitionswelle

erwartet. Dabei gehen Experten

auch von einer verstärkten Umorientierung von

Unternehmen aus, die bislang in China produzieren.

Vietnam ist aufgrund seines attraktiven

Investitionsumfelds eines der Hauptziele internationaler

Verlagerungsbestrebungen.

Die meisten ausländischen Investoren kommen

aktuell aus den ostasiatischen Nachbarstaaten

Südkorea und Japan. Europäische Unternehmen

aber zieht es ebenfalls nach Vietnam, darunter

auch viele deutsche. So baut aktuell die

Beiersdorf-Tochter Tesa eine Produktion im

nördlichen Haiphong und die Kurz-Gruppe

investiert in eine Prägefolienproduktion in der

zentralvietnamesischen Provinz Binh Dinh.

Ostdeutschland und Vietnam

Ostdeutsche Unternehmen sind bereits

vor Ort und weitere sind hoch willkommen.

Zwischen den ostdeutschen Bundesländern

und dem ehemaligen Bruderstaat besteht

ein historisch gewachsenes Verhältnis.

Rund 100.000 Vietnamesen haben bis 1989

zumindest zeitweise in Ostdeutschland als

Vertragsarbeiter gearbeitet oder an ostdeutschen

Universitäten studiert.

Das aus Rostock stammende Planungsunternehmen

Inros Lackner ist seit 15 Jahren

in Vietnam aktiv und hat an bedeutenden

Projekten wie der vietnamesischen Nationalversammlung,

dem Museum für Stadtgeschichte

in Hanoi oder zuletzt dem Obersten Gerichtshof

mitgewirkt. Aone aus Leipzig betreibt in Hanoi

ein Wasserwerk und baut in der südlichen

Provinz Long An eine weitere Anlage.

Auch Landesvertretungen wie die LEG

Thüringen engagieren sich bei der Vertiefung

der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen

Unternehmen aus Ostdeutschland und Vietnam.

Sie unterstützen ostdeutsche Unternehmen

auf den Weg in einen vielfältigen, aber nicht

immer ganz einfachen Markt.

Die vietnamesische Metropole Hanoi

Fotos: AdobeStock, GTAI

Trotz Pandemie stiegen Vietnams Exporte 2021

um 19 Prozent und erreichten mit 336 Milliarden

US-Dollar einen neuen Rekord. Internationale

Elektronikgiganten wie Samsung oder der

Applezulieferer Foxconn produzieren in Viet nam

für den Weltmarkt. Auch bei Bekleidung und

Schuhen, Möbeln sowie Nahrungsmitteln wie

Kaffee und Meeresfrüchten zählt Vietnam zu

den wichtigsten Lieferanten der Welt.

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


70

WIRTSCHAFT+MARKT

GESELLSCHAFT

Wintergenuss

mit großer Tradition

Im sächsischen Elbtal liegt eine der kleinsten, aber auch schönsten

Weinregionen Deutschlands – mit einer jahrhundertelangen Genussgeschichte,

einer traumhaften Weinkulturlandschaft und zahlreichen barocken Sehenswürdigkeiten.

ZUTATEN

Glühwein-Rezept

des Raugrafen

von Wackerbarth

für eine Dresdner Kanne (0,93 Liter):

4 Loth Zimmet-Puder

2 Loth Ingwer

1 Loth Anis-Körner

1 Loth Galganat (Granatapfel)

2 Loth Muskatnüsse

1 Loth Kardamom

1 Gran Safran

Erhitze, misch und seihe (siebe) es und

munde es mit Honig und Zucker ab!

(1 Loth = 14 Gramm, 1 Gran = 1/2 Gramm)

Seit mehr als 850 Jahren prägt der Weinbau

die Landschaft und das Leben im Elbtal. In

einer der sonnigsten Regionen Deutschlands

reifen in eindrucksvollen Steillagen und terrassierten

Weinbergen die Trauben für ausgezeichnete

Weine, klassische Flaschengärsekte

und traditionsreiche Wintergetränke.

Ein Höhepunkt der sächsischen Weinkultur ist

Schloss Wackerbarth: Im Herzen der Sächsischen

Weinstraße in Radebeul befindet sich

heute das erste Erlebnisweingut Europas.

Unlängst ausgezeichnet als eines der einzigartigen

Weingüter der Welt. Es besticht mit

einem Ensemble aus barocker Schloss- und

Gartenanlage, Weinkulturlandschaft und moderner

Manufaktur mit erlesenen Veranstaltungen

und feiner Kulinarik. Wein & Sekt wird

auf Schloss Wackerbarth zu einem Erlebnis für

die Sinne. Jeden Tag und zu jeder Jahreszeit.

Wärmender Genuss seit 1834

Wenn die Tage kürzer werden und die Temperaturen

sinken, ist die Zeit wärmender

Wintergetränke gekommen. Vor allem eines ist

dann hierzulande in aller Munde: der Glühwein.

Aber wer hat ihn erfunden? Eine Spur führt ins

Elbtal und fast 190 Jahre zurück.

Im Dezember 1834 notierte August Raugraf

von Wackerbarth, ein Nachfahre des Erbauers

von Schloss Wackerbarth, im winterlichen Radebeul

ein besonderes Rezept: Der Kunst- und

Genussliebhaber suchte nach einem Getränk,

welches die Kälte vergessen macht und das Herz

erwärmt. So fügte er unter anderem Safran, Anis

und Granatapfel in weißen Wein und hatte eine

geistreiche Idee – er erwärmte die Flüssigkeit.

Wackerbarths Weiß & Heiß

Fotos: Rene Jungnickel, Martin Förster (unten)

W+M – HERBST/WINTER 2022/2023


WEINKUNDE

WIRTSCHAFT+MARKT71

Genussmomente verschenken

Das Original-Rezept des

Raugrafen von Wackerbarth

Die Kalenderblätter fallen und ehe man sich versieht, ist die Weihnachtszeit wieder da.

Mit „Wackerbarths Weiß & Heiß“ kann man Genuss pur verschenken – egal ob als Präsente

mit exklusiven Glühweintassen oder im Set mit alkoholfreiem Glühwürmchenpunsch.

Lassen Sie sich von den vielfältigen Geschenkideen von Schloss Wackerbarth

inspirieren, vor Ort oder im Online-Shop des Weinguts. Gern stellen Ihnen die Winzer

auch ein individuelles Präsent ganz nach Ihren Wünschen zusammen.

Lange verschollen und vergessen, wurde dieses

Rezept Ende 2013 im Nachlass des Raugrafen

im Sächsischen Hauptstaatsarchiv in

Dresden wiederentdeckt. Nach eingehender

Prüfung durch Historiker war klar, dass es

sich um eine besondere Rezeptur handelte,

die man heute als Glühwein bezeichnen

würde. Damit ist es das älteste bekannte

Glühwein rezept Deutschlands.

PRÄSENT

" Winterzauber - Weiß & Heiß"

1 Flasche Wackerbarths Weiß & Heiß

+ 2 Glühwein-Tassen

19,90 €

Wackerbarths Winzer füllten diese besondere

Tradition mit neuem Leben, begaben

sich sofort auf die Suche nach den geeigneten

sächsischen Weißweinen; der Chefkoch

passte das historische Rezept behutsam an

den heutigen Geschmack an. „Wackerbarths

Weiß & Heiß“ war geboren, ein feinfruchtiges

Wintergetränk aus sächsischem Weißwein,

Traubensaft und fein würzenden Zutaten.

PRÄSENT

" Weihnachten in Familie“

1 Flasche Wackerbarths Weiß & Heiß

+ 1 Flasche Glühwürmchen-Punsch

(alkoholfrei)

19,90 €

Schloss Wackerbarth im Winterzauber

Im Reich der Sinne

Fotos: So geht sächsisch. Sebastian Arlt , Schloss Wackerbarth, Rene Jungnickel (unten)

Die dunkle Jahreszeit wird auf Schloss

Wackerbarth nicht nur von wärmenden

Gaumenfreuden, sondern auch von Lichterglanz

erhellt: Von November bis Februar

verwandelt sich das Erlebnisweingut jeden

Abend in eine märchenhafte Welt aus Licht,

Musik und Genuss. Weinberge erstrahlen,

Lichtskulpturen leuchten und Märchenlaternen

erwecken bekannte Geschichten zum Leben:

Alle großen und kleinen Gäste werden so zu

einem gemütlichen Spaziergang durch das

beleuchtete Ensemble eingeladen.

www.schloss-wackerbarth.de

W+M – HERBST/WINTER 2022/2023


72

WIRTSCHAFT+MARKT

GESELLSCHAFT

Berlin Capital Club –

Impressionen eines Jahres

Der Berlin Capital Club, der von der CCA Gruppe gemanagt wird, prägt mit seinen Mitgliedern und

deren Netzwerken das gesellschaftliche Leben der Hauptstadt. Nachdem das Jahr 2022 für die

Mitglieder des Berlin Capital Club pandemiebedingt nochmal mit einem Neujahrsempfang to go

gestartet ist, konnten ab Frühjahr wieder verstärkt Präsenzveranstaltungen stattfinden.

Patrick Brauckmann, Ralf Kern (Franck Muller),

Ron Uhden (Juweliere Leicht) und Manfred Gugerel

die Uhrenliebhaber in die Welt von Hublot, im Juni

folgte die Manufaktur Franck Muller und im Oktober

wird man in Berlin bei ASKANIA zu Gast sein.

Die Piper-Heidsieck-Repräsentanten Agnes Kalinska und Roman Drobeck

Aus der Ladies Lounge

Frühlingsfest

“Members & Friends”

Endlich wieder live und in Farbe: Am

25. März 2022 genossen über 150 Mitglieder

und ihre Gäste einen entspannten Abend

bei köstlichem Essen, prickelndem Champagner

aus dem Hause Piper-Heidsieck,

hervorragenden Weinen der Hauswinzer

Luigi Brunetti und Martin Pasler sowie

Unterhaltung der Partner-Repräsentanten

in den Clubräumen.

Im Boardroom konnte man sich mit Brille,

Helm und Lederjacke in einen Biker verwandeln

und auf einem Motorrad von BMW

Wernecke posieren. Die Damen zog es

besonders in den Salon Oriental, wo Mitglied

Desiree Sielaff ihren außergewöhnlichen

Schmuck präsentierte.

Beim Frühlingsfest: Mark Drescher und Begleitung &

Marvin Robert Switala und Dr. Claudia Zech

WatchLounge@

BerlinCapitalClub

Eine wertige Armbanduhr schmückt nicht

nur einen Herren und transportiert durch ihre

Machart seinen Stil – Uhren begeistern auch als

technische Erfindung. Daher hat der Club 2022

gemeinsam mit Clubmitglied Patrick Brauckmann

die WatchLounge@BerlinCapitalClub neu etabliert.

Die Premiere am 24. März 2022 entführte

Unter dem Motto Frühlingserwachen „Schönheit

von Innen und Außen“ präsentierten

am 15. März 2022 eine Expertinnenrunde

um Clubmitglied Birgit Stasch-Karbstein die

Wege, wie unsere Ladies Lounge-Damen

durch passende Farben und Frisuren ihren

persönlichen Typ unterstreichen und mittels

gezielten Einsatzes innerer Booster strahlend

schön in den Frühling starten können.

Auf eine Duftreise des Parfumhauses Krigler –

ein Hauch von Hollywood in Berlin – entführte

die Damen am 10. Mai 2022 Dr. Denis Ljuljanovic

mit alten und neuen „Duftgeschichten“.

Am 14. Juni 2022 waren die Initiatoren der

Online-Plattform Krisenchat, Deutschlands

erfolgreichste Plattform für psychologische

Online-Hilfe speziell für Kinder und Jugendliche,

zu Gast in der Ladies Lounge. Im November

hat La Maison Valmont in ihre Dependance am

Kurfürstendamm eingeladen.

Fotos: CCA Projekt GmbH, Berlin Capital Club

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


BERLIN CAPITAL CLUB

WIRTSCHAFT+MARKT73

Aus einem

Abgeordnetenleben

Am Palindromdatum, dem 22.02.2022, hatten

der Berlin Capital Club und Marion Uhrig-Lammersen

zum Frühstück eingeladen. Basis der

Einladung war das im November 2021 von Dr.

Sten Martenson und Marion Uhrig-Lammersen

veröffentlichte Buch mit dem Titel „MdB a.D. –

Kurioses und Ernstes aus dem Abgeordnetenleben“.

Nun sollten 120 Tage nach dem Ein- und

Auszug aus dem Bundestag Ehemalige und

Neue des Bundestages berichten, was sich

denn beruflich auf beiden Seiten getan hat.

Club Lounge im

Berlin Capital Club

Die nachweisliche Transformationserfahrung

der Ostdeutschen ist zu differenziert, um

sich konkret festzulegen. So das Ergebnis der

Diskussionsrunde von Frank Nehring anlässlich

der monatlichen Club Lounge am 23. März

2022 mit Prof. Dr. Steffen Mau, Soziologe und

Professor für Makrosoziologie am Institut für

Sozialwissen schaften der Humboldt-Universität

zu Berlin, und Prof. Dr. Joachim Ragnitz,

Wirtschaftswissenschaftler und Managing

Director des Ifo-Instituts Dresden zum Thema

„Sind wir bereit für die bevorstehende Transformation?“

Gruppenfoto mit den Golf-Siegern (v.l.n.r.): Patric Neeser, Olaf Wernecke, Eugen Mesares, Dirk Wagner (Brutto sieger),

Olcay Iyigün Nettosiegerin (48 Nettopunkte / 102 Schläge), Andrea Becher (Bruttosiegerin), Manfred Gugerel

Talks mit

Maren Courage

Spannende Talks führte Maren Courage von

VR Business Club beim Frühstück in diesem

Jahr u. a. mit Prof. Dr. Stephan Frucht, Siemens

AG, Stefan Jenzowsky, Kopernikus Automotive,

Christoph Beck, Vorstandsmitglied der Degewo

AG, Martell Beck, Head of Marketing and

Transport Policy bei DB Cargo AG, und Mathias

Trunk, Vertriebsvorstand der GASAG AG, zu

den Trends der Digitalisierung der Wirtschaft.

Übrigens: Martell Beck war früher schon bei

der BVG als Head of Marketing für den „Is mir

egal“-Spot verantwortlich.

Danke an die Sponsoren für einen tollen Golftag

Am 20. Juni 2022 ging es in diesem Jahr nicht

um den Pokal für den Siegerflight, sondern

um eine Einladung für den Netto-Sieger zum

MAXX ROYAL Finale vom 10. bis 14. Dezember

2022 im türkischen Belek sowie natürlich wieder

um eine ganze Menge Spaß am Spiel.

21 Jahre

Berlin Capital Club

Im Sommer stand das Thema „Was können

Fotos: CCA Projekt GmbH, Berlin Capital Club

Unternehmer und Führungskräfte von Spitzensport(lern)

lernen?“ im Fokus. Andreas Hülsen

hatte als Überraschungsgast den deutschen

Volleyball- und Beachvolleyballspieler Henry

Glöckner eingeladen, der anhand seiner

Erfahrungen zu Leistungssport und Karriere

die Strategien von Andreas Hülsen belegte.

Zu Gast in der Club Lounge: W+M-Verleger Frank

Nehring, Prof. Dr. Joachim Ragnitz, Managing

Director des Ifo- Dresden, und Prof. Dr. Steffen Mau,

Soziologe und Professor für Makrosoziologie am

Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-

Universität zu Berlin

Maren Courage Digital Talk mit Martell Beck, Head of

Marketing and Transport Policy bei der DB Cargo AG

Im November 2022 ist Marija Kolak, CEO und

Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen

Volksbanken und Raiffeisenbanken, zu

Gast bei Maren Courage.

Berlin Capital Club

Golf Cup

Golf in seiner schönsten Form hieß es wieder

beim XIX. Berlin Capital Club Golf Cup powered

by BMW Wernecke GmbH und mit freundlicher

Unterstützung von MAXX ROYAL Resorts &

Sun Express Airlines im Golfclub Motzen.

Der Berlin Capital Club kann heute auf eine

äußerst erfolgreiche Zeit zurückblicken: Am 6.

November 2022 steht für den Club mit seinen

mittlerweile über 1.600 Mitgliedern das

21-jährige Clubjubiläum an.

„Der Erfolg des Berlin Capital Club hat uns Recht

gegeben. Wir haben zum richtigen Zeitpunkt am

richtigen Ort investiert und uns innerhalb kurzer

Zeit als der Business- und Gesellschaftsclub

Berlins etabliert“, bilanziert Dieter R. Klostermann,

Chairman der CCA Gruppe und Gründer

des Berlin Capital Club. Die Mitgliedschaft im

Berlin Capital Club öffnet weltweit exklusiv

die Türen zu rund 250 privaten Stadt-, Golf-,

Sport- und Countryclubs, die den International

Associate Clubs (IAC) – dem größten Clubnetzwerk

der Welt – angeschlossen sind.

www.berlincapitalclub.de

www.iacworldwide.com

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


74

WIRTSCHAFT+MARKT

GESELLSCHAFT

Mit hoher Geschwindigkeit und vollem Körpereinsatz unterwegs

Polo in Warnemünde –

ein wahres Highlight

Das 11. ICE GUERILLA Beach Polo World Masters fand vom 9. bis 11. September 2022

wieder am Strand von Warnemünde statt. Der Veranstalter Matthias Ludwig,

CEO von Polo Riviera Deutschland, zieht eine positive Bilanz.

Trotz prognostizierten Schlechtwetters

hat die Sonne es mit dem internationalen

Spielerteam, den großartigen Polopferden

und den zahlreichen Zuschauern gut gemeint.

Acht internationale Teams mit Spielern und

Spielerinnen aus Frankreich, Japan, Iran und

Deutschland begeisterten die Zuschauer.

Veranstalter Matthias Ludwig, CEO von Polo

Riviera Deutschland: „Es freut mich wirklich

sehr, dass sich unser Event in den vergangenen

elf Jahren nicht nur beim Publikum enorm

etablieren konnte, sondern auch immer internationaler

geworden ist. Auch die Vielfalt der

Sponsoren und Partner unterstreicht diesen

Trend eindrucksvoll. Neben dem sportlichen

Aspekt ist auch die Bedeutung der Beach Polo

World Masters als Wirtschaftsfaktor für die

Region und den Tourismus zu betonen.“

Mariella Ahrens und Veranstalter Matthias Ludwig

Fotos: Gunnar Rosenow

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


BEACHPOLO

WIRTSCHAFT+MARKT75

Gute Laune bei der Players Night

Lea Kawamoto (l) war erneut die erfolgreichste Spielerin beim Turnier.

Auch beim Ladies Cup wurde sich nichts geschenkt.

Moderatoren und Poloexperten:

Alexander Schwarz und Jan-Erik Franck

Das Gewinnerteam mit

Leopold Ludorf und Ken Kawamoto

Jan-Erik Franck und W+M-Chef Frank Nehring

Im Gespräch mit “The Voice of Polo”

Jan-Erik Franck

Neben den sehenswerten sportlichen Leistungen auf dem Polospielfeld

gehört die Moderation des 22-fachen Deutschen Polomeisters Alexander Schwarz und

des Poloexperten Jan-Erik Franck, unterstützt von Schauspielerin Mariella Ahrens, zu

den Highlights des Turniers. W+M sprach mit Jan-Erik Franck exklusiv.

Foto: Gunnar Rosenow, W+M/W. Schröder (unten rechts)

W+M: Jan-Erik Franck, Dich kennen hier alle

als „The Voice of Polo“. Wie kam es zu diesem

Namen?

Jan-Erik Franck: Ich habe mir den Namen

nicht selbst gegeben, er stammt von einer

Journalistin, die der Meinung war, wer weltweit

auf so vielen Poloturnieren wie ich unterwegs

ist, sollte „The Voice of Polo“ sein. Ich nahm es

anfänglich als Spaß. Nun ist der Name zehn

Jahre alt geworden. Ich empfinde mich aber als

Teil des Teams, zu dem Spieler, Schiedsrichter,

Hufschmied, Veterinär und viele mehr gehören.

W+M: Du bist weltweit unterwegs. Was war

das Highlight?

Jan-Erik Franck: Eines der Highlights, auch

aufgrund der Kulisse, ist zum Beispiel St. Moritz,

da spielt man auf einem gefrorenen See, ein

weiteres Highlight ist das Miami Beach Polo.

Für mich ist aber Warnemünde, genau wie das

Beach Polo auf Sylt, das Miami Europas. Es ist

einfach schön, dass man auch hier in Deutschland

den Polosport fördert. Matthias Ludwig,

der das Turnier hier seit elf Jahren veranstaltet,

macht das wunderbar.

W+M: Was sagst Du konkret zum Polo

in Warnemünde?

Jan-Erik Franck: Ich liebe den Sport und

wenn ich sehe, was für eine Menschenmenge

hier einfach vorbeikommt, zuschaut und sich

für Polo begeistert, dann ist das einfach toll.

Was ich in Deutschland und natürlich auch hier

in Warnemünde gerne sehen würde, dass man

noch mehr den öffentlichen Bereich erweitert

und so die Polofamilie immer größer werden

lässt. Mit der wachsenden Begeisterung

wächst dann auch der Sport.

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


76

WIRTSCHAFT+MARKT

GESELLSCHAFT

Overdressed schlägt

underdressed

Wie kleide ich mich richtig zum Vorstellungsgespräch? Diese Frage wird einer Maßschneiderin

besonders häufig gestellt, denn hier gilt es, nicht nur mit seinen beruflichen Fähigkeiten, sondern

auch durch ein passendes Äußeres zu glänzen.

VON BEATE LECLOUX,

INHABERIN VON CUT FOR YOU

Die perfekte Armlänge

dem immer flüchtigeren Zeitgeist gemeinsam

verwehen und nach Jahren auch wieder

erscheinen.

Stilsicher im mitternachtsblauen

Nadelstreifen

Zu den lieb gewonnenen Aufgaben einer

Maß schneiderin gehört, wenn vom Kunden gewünscht,

auch eine aktuelle Übersicht darüber

vermitteln zu können, welcher Kleidungsstil zu

welchem Anlass aus der Sicht der erfahrenen

Schneiderin empfehlenswert ist, welche stilvollen

Abweichungen von diesen Empfehlungen

möglich sind und welche textilen Fettnäpfchen

man auf gar keinen Fall betreten sollte.

Und wer wie die Verfasserin dieser Zeilen seit

vielen Jahren begeistert in ihrem Beruf tätig

ist, weiß auch, dass nur wenige Bekleidungsregeln

wirklich ehern sind, während viele mit

Interessant ist dabei für mich, dass die inneren

Werte – also Fertigungsqualität und Passform

– hochwertiger Bekleidung seit Jahren völlig

unabhängig von den bestimmenden Modetrends

auch und gerade von jungen Kunden

immer stärker beachtet werden.

Aber zum Thema: Neben der aktiven und

passiven Teilnahme an Hochzeiten gehört die

Vorbereitung des nächsten Karriereschrittes

zu den Ereignissen im Leben unserer Kunden,

zu denen häufig Kleidungstipps nachgesucht

werden. Anders gefragt: Was zieht man zum

Vorstellungsgespräch an?

Mir ist bewusst, dass die Leser dieses Wirtschaftsmagazins

in den allermeisten Fällen

keine Berufseinsteiger sind, deshalb gibt es

hier nur Tipps für Vorstellungsrunden für die

nächsten Karriereschritte.

Schuhe mit passenden Gürteln

Falls Sie sich nicht in der Werbebranche

vorstellen, wo unkonventionelles Styling ein

Wettbewerbsvorteil sein kann, beachten Sie

bitte folgende Tipps:

Holen Sie vorab so viele Informationen über Ihr

Zielunternehmen ein, wie Sie erhalten können.

Schauen Sie sich die Bilder auf der Website

an: Tragen die Herren in der Geschäftsführung

Krawatte, die Damen Blazer? Welche Kleidung

tragen Mitarbeiter, die vielleicht während

eines Meetings abgebildet wurden?

Berücksichtigen Sie dann die Regel in der

Überschrift: Seien Sie im Zweifel im Vorstellungsgespräch

immer ein wenig formeller

gekleidet als die Menschen, die Sie in der

Firma gesehen haben.

Foto: Scabal, Cut For You

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


MODE

WIRTSCHAFT+MARKT77

Tipps für die Herren

Verzichten Sie auf eine Kombination und tragen

Sie einen Anzug in dunklen Farben. Dunkelblau

geht immer, grau nur bei eher dunklem

Teint, schwarz nur bei sehr konservativen

Unternehmen. Bitte tragen Sie ein unifarbenes

oder dezent gestreiftes Hemd, kein T-Shirt

oder Pullover. Kurzärmelige Hemden sind auch

im Sommer ein No-go. Wenn Sie sich gegen

eine Krawatte entschieden haben, tragen

Sie in jedem Fall ein wertiges Einstecktuch in

Ihrem Sakko.

Achten Sie auf eine sehr gute Passform

sowohl Ihres Anzugs als auch Ihres Hemdes.

Wenn Sie sich in Ihrer Kleidung unwohl fühlen

und während des Gesprächs an Ihrem Ärmel

zupfen, wirken Sie unsicher.

Tipps für die Damen

Ich kann Ihnen nur empfehlen, für Ihr Vorstellungsgespräch

ein passformgenaues klassisches

Kostüm oder auch einen Hosenanzug

in eher dunklen Farben zu wählen. Bitte kein

Rot oder Gelb, das wirkt auf viele Personaler

aggressiv. Kombinieren können Sie Ihr Kostüm

mit einer farblich abgestimmten Bluse oder

einem wertigen Pullover.

Bitte verzichten Sie auf weniger als knielange

Röcke und tragen Sie auch im Hochsommer

immer eine Strumpfhose. Verwenden Sie

wenig und dezenten Schmuck. Tragen Sie

geschlossene Schuhe, in denen Sie wirklich

sicher laufen können.

Bitte richten Sie Ihr Augenmerk auf Ihre Schuhe.

Die sollten wertig, gepflegt und geputzt

sein und unbedingt die Farbe des unverzichtbaren

Gürtels aufgreifen. Der Klassiker:

Lassen Sie im Sitzen nie ihre Waden sehen –

tragen Sie ausreichend lange Socken.

Noch ein Tipp: Personaler achten darauf, wie

Sie mit Ihren persönlichen Sachen umgehen.

Lassen Sie also ihre Lieblingshandtasche mit

der unglaublichen Inhaltsvielfalt zu Hause und

verwenden Sie eine wertige Konferenzmappe

für Ihre Gesprächsunterlagen.

Foto: Randy Tarango

Fazit:

Wenn Sie diese kleinen textilen Ratschläge befolgen,

kann Ihrer weiteren Karriere fast nicht mehr im Wege stehen.

Übrigens freue ich mich, wenn Sie mich bei Fragen zu diesem Artikel

direkt anrufen oder mir eine E-Mail schicken.

Beate Lecloux

ist Inhaberin von Cut For You, dem

Maßbekleider für Damen und Herren,

mit Sitz in der Reinhardtstraße 38

in Berlin-Mitte.

www.cutforyou.com

www.facebook.com/cutforyouberlin

beate.lecloux@cutforyou.com

W+M – HERBST / WINTER 2022 / 2023


gültig ab 01. Januar 2023

MEDIADATEN 2023

Hoher Bekanntheitsgrad +++ Exzellente Positionierung in der Zielgruppe Unternehmer / Entscheider im Osten +++

Einmalig in der Verbreitung +++ Journalistische Qualität +++ Gute Vernetzung in Politik und Wirtschaft.

Verlagsangaben

Verlag:

W+M Wirtschaft und Markt GmbH

Gustav-Freytag-Straße 7, 10827 Berlin

Tel.: +49 30 505638-00

E-Mail: info@wirtschaft-markt.de

Web: www.wirtschaft-markt.de

Geschäftsführender Gesellschafter:

Frank Nehring

Jahrgang: 34 (2023)

Copypreis: 9,50 Euro

tvA: 10.000 Exemplare

Verlag: redaktion@wirtschaft-markt.de

marketing@wirtschaft-markt.de

Es gelten unsere Allgemeinen Geschäftsbedingungen,

einsehbar unter

www.wirtschaft-markt.de/mediadaten

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Beschnittzugaben: oben 6 mm, an den Außenseiten

und unten je 3 mm.

Anzeigen im Anschnitt werden in Bezug auf

das Layout bevorzugt.

Advertorial-Preise entsprechen denen der

Anzeigen. Gern unterstützen wir Sie bei der Gestaltung.

Advertorials werden gekennzeichnet.

Abstand zum Bund: Bitte berücksichtigen Sie

bei Anzeigen, die den Bund tangieren, einen

Sichtbarkeitsabstand von 8 mm.

Anzeigenformate (B x H in mm) und Preise im Printmagazin

Die Preise gelten einheitlich bis 4c.

Format Anschnitt (mm) Satzspiegel (mm) Preis

1 / 1 210 x 280 176 x 231 6.300 Euro

2 / 3 hoch 134 x 280 116 x 231 4.400 Euro

2 / 3 quer 210 x 186 176 x 154 4.400 Euro

1 / 2 quer 210 x 140 176 x 116 3.300 Euro

1 / 3 hoch 73 x 280 55 x 231 2.200 Euro

1 / 3 quer 210 x 93 176 x 77 2.200 Euro

1 / 4 quer 210 x 69 176 x 58 1.600 Euro

1 / 6 hoch 73 x 140 55 x 117 800 Euro

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Bitte beachten Sie, dass es sich um Nettopreise

handelt. Mögliche Agenturprovisionen (AE) und

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Im Lausitzer Revier wächst Zukunft. Wind­ und Photovoltaikanlagen auf Bergbaufolgeland

in Kombination mit intelligenten Speicherlösungen – das ist die GigawattFactory der LEAG.

Ökostrom – sicher verfügbar, bezahlbar, importunabhängig – wird zum Motor für Industrieansiedlung

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