BLAU (Leseprobe)
Hayley Edwards-Dujardin BLAU – Vom alten Ägypten bis zu Yves Klein 112 Seiten, Hardcover, Euro (D) 22 | Euro (A) 22.90 | CHF 33 ISBN 978-3-03876-229-4 (Midas Collection) Entdecken Sie die Geschichte der Farbe BLAU in der Kunst anhand von 40 ikonischen Darstellungen und ihren Hintergründen: eine präzise Auswahl teils unverzichtbarer, teils überraschender Werke. Mit umfassenden Informationen in Chronologien, Karten, Grafiken, Infoboxen, Anekdoten sowie fundierten Texten zu den einzelnen Werken, aber auch über den herausragenden Einfluss der Farbe BLAU in der Geschichte der Kunst.
Hayley Edwards-Dujardin
BLAU – Vom alten Ägypten bis zu Yves Klein
112 Seiten, Hardcover, Euro (D) 22 | Euro (A) 22.90 | CHF 33
ISBN 978-3-03876-229-4 (Midas Collection)
Entdecken Sie die Geschichte der Farbe BLAU in der Kunst anhand von 40 ikonischen Darstellungen und ihren Hintergründen: eine präzise Auswahl teils unverzichtbarer, teils überraschender Werke. Mit umfassenden Informationen in Chronologien, Karten, Grafiken, Infoboxen, Anekdoten sowie fundierten Texten zu den einzelnen Werken, aber auch über den herausragenden Einfluss der Farbe BLAU in der Geschichte der Kunst.
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BLAU
VOM ALTEN ÄGYPTEN
BIS ZU YVES KLEIN
Hayley Edwards-Dujardin
MIDAS
BLAU
Hayley Edwards-Dujardin
MIDAS
Eines Morgens hatte einer von
uns kein Schwarz mehr und
nahm stattdessen Blau: der
Impressionismus war geboren.
Auguste Renoir
3
Blau in der Kunst
Von Gewalt zu
Frieden
Die Römer verbanden
mit der Farbe Blau
Gewalttaten, wie z. B.
die der keltischen
Soldaten, die sich vor dem
Kampf mit blauer Farbe
einschmierten. Doch auch
die Vereinten Nationen
wählten die Farbe Blau
1945 für ihr Symbol: eine
Erdkugel umgeben von
Olivenzweigen auf blauem
Grund – ein Bild, das für
den Erhalt des Friedens auf
der Welt steht. Was für ein
Sinneswandel!
Lieblingsfarbe
Was ist an der Farbe Blau so besonders? Warum mögen
sie die meisten Menschen? Vielleicht, weil sie so
widersprüchlich ist wie der Mensch selbst. Welche
Farbe symbolisiert schon Hoffnung und Sorge gleichzeitig?
Welche andere Farbe gilt als Emblem der Republik,
verkörperte aber in der Vergangenheit die Monarchie?
Und gibt es eine Farbe, die Träumerei mit Wirklichkeit
vereint?
Die blaue Stunde
Blau – die Farbe hat zweifelsohne ihren festen Platz in der
Kunst, brauchte aber lange Zeit, um diesen Triumphzug zu
vollziehen. Sie kam erst im Mittelalter auf, wurde mit dem
Göttlichen verknüpft und galt als Symbol für die Heilige
Maria. In der Antike, vor allem in Ägypten und auch im
Alten Rom, wandelte sich ihre Bedeutung jedoch erheblich:
Zu dieser Zeit stand sie für Gewalt und Brutalität.
Pastell vs. Pastel
Das Wort »Pastell«
steht für einen Farbstift
zum Zeichnen oder für
eine zarte Farbe. Aber
auch eine Färberpflanze
trägt diesen Namen:
Aus den Blättern der
Pflanze »Pastel« (auch
»Färberwaid« oder
»Deutsche Indigo« genannt)
wird Indigoblau gewonnen.
Natürliche pflanzliche Pigmente
Natürliche mineralische Pigmente
Synthetische Pigmente
Auf der Suche nach Pigmenten
Die Untersuchung der Farbe Blau in der Kunst ist
unweigerlich mit der Geschichte der Pigmente verbunden.
Denn bis zur Erfindung der chemischen Pigmente im
19. Jahrhundert musste jeder, der Blau in seinen Werken
unterbringen wollte, viel Geduld und Geld mitbringen.
Zwar hatten die Ägypter bereits das erste synthetische
Blaupigment der Geschichte erfunden, doch die Formel
dazu blieb leider nicht erhalten. Aus diesem Grund
mussten die Menschen natürliche Ressourcen – von
Steinen wie dem Lapislazuli bis zu Pflanzen wie Indigo und
Pastel – nutzen. Aber das Blau war diese Mühe wert.
Zwar gab es auch andere Lösungen, allerdings von
minderer Qualität. Da in den meisten Werken des
Mittelalters und der Renaissance religiöse Themen
dargestellt wurden, spielte Geld keine Rolle. Und damit
wurde die Farbe Blau zu einem Luxusartikel.
6
Erfindung
Ägyptischblau
Erste Verwendung von
Lapislazuli auf Bildern
(Afghanistan)
um 2500 v. Chr.
Aufkommen von
Lapislazuli in Europa
etwa 5. Jh.
12. Jh.
Gewinnung von Indigoblau
mit Färberwaid (oder Deutsche
Indigo) aus Europa
Erfindung von
Preußischblau
13. Jh.
Europäischer Färberwaid
wird von Indigo aus der
Neuen Welt verdrängt
1706
Erfindung von
Kobaltblau
1562
Erfindung von
synthetischem Indigo
1802
Erfindung von
synthetischem Ultramarin
1895
Erfindung des stabilen,
preisgünstigen Phthaloblau-Pigments
1828
Yves Klein meldet
Patent für IKB an
1930er-Jahre 1960
7
A schwarz, E weiß, I rot, U grün, O blau: Vokale […]
O: seltsames gezisch erhabener posaunen
Einöden durch die erd- und himmelsgeister raunen:
Omega – ihrer augen veilchenblauer strahl.*
Arthur Rimbaud, » Voyelles «, Poésies, 1871
8
Kalt – warm
Goethe beschreibt Blau
in seiner Farbenlehre
(1810) als warme und Gelb
als kalte Farbe. Diese
Kategorisierung gibt es
nicht, es ist lediglich eine
Konvention, die sich im
Laufe der Zeit verändert.
Im Mittelalter und der
Renaissance gilt Blau als
warme Farbe, aber im
Alten China steht sie für
Weiblichkeit und Kälte.
Geheimnisvolles Blau
Jean Cocteau verrät uns
in seinen Gedichten das
Geheimnis der Farbe Blau:
»Wenn sich der Himmel
zurückzieht, bleibt die
Heilige Jungfrau in Neapel
in den Löchern der Wände.
Aber hier ist alles ein
Rätsel: der Saphir, die
Jungfrau, der Wasserlauf,
der Kragen des Matrosen,
die blauen Strahlen, die
blind machen, und dein
blaues Auge, das in mein
Herz dringt.«
Lapislazuli aus Afghanistan
Polierte Platte aus Pyrit, Natural
History Museum London
Der Siegeszug der Farbe Blau
Als synthetische Pigmente erfunden und für jedermann
zugänglich waren, war die Farbe Blau schnell überall zu
sehen. Viele Künstler verwenden sie seitdem nach Lust
und Laune. In der Landschaftsmalerei leuchten Himmel und
Meere in grandiosen Blautönen, aber auch blaue Röcke
und Vorhänge dominieren ganze Bilder. Denn die Farbe
Blau ist in der Kunst die große Verbündete des Lichts.
Künstler setzen die Farbe in großer Vielfalt ein und
scheuen dabei auch keine kühnen Interpretationen. Schon
lange haben das Meer und das Firmament ihr Vorrecht auf
Blau verloren. Seit Ende des 19. Jahrhunderts wagen es
viele Künstler, auch Gesichter oder Körper blau zu malen,
ebenso Tiere und städtische Gebäude. Mit ihrem realistischen
Klang reflektiert die Farbe Blau gleichzeitig
Emotionen.
Das blaue Leben
Im 20. Jahrhundert nahm Blau in der Biografie zahlreicher
Künstler eine Vorrangstellung ein. Bei Picasso symbolisiert
die Farbe den Rückzug aus einem schmerzvollen Leben,
während sie bei den Gründern des Blauen Reiter (S. 46),
Franz Marc und Wassily Kandinsky, für eine revolutionäre
Künstlerbewegung steht. Und wie steht es mit Yves Klein,
der ihr seinen Namen geschenkt hat?
Die Farbe Blau ist zu einem absoluten Muss geworden,
ob mit naturalistischen, dekorativen oder sentimentalen
Konnotationen. Wie bedeutend sie ist, zeigt diese
Anekdote: Als Forscher im 19. Jahrhundert feststellten,
dass auf den Kunstwerken des Alten Griechenlands gar
kein Blau verwendet wurde, schlussfolgerten sie (selbstverständlich
zu Unrecht), dass die Griechen unter einer
Sehschwäche leiden müssten, aufgrund derer sie kein Blau
erkennen konnten. Denn es war unvorstellbar, dass ein
Künstler nicht mit Blau malen möchte.
* Stefan George, Zeitgenössische Dichter. Übertragungen, Zweiter Teil,
Gesamtausgabe der Werke, Band 16, Berlin 1929, S. 47
Geografische Vorkommen
Herkunft der
wichtigsten Pigmente
Natürliche
Pflanzenpigmente
Indigostaude
Afrika, Indien und Südamerika
Färberwaid oder Pastel
Nordengland und Frankreich
(Elsass, Normandie,
Languedoc)
Natürliche
Mineralpigmente
Lapislazuli
Afghanistan (historisch), heute
in Mienen auf der ganzen
Welt
Azur
Ungarn (historisch), dann
Namibia, Arizona und
Frankreich (Chessy im 19. Jh.,
heute fast überall)
Synthetische
Pigmente
Ägyptischblau
Ägypten
Ultramarinblau
Frankreich
Kobaltblau
Frankreich
Indigoblau
Deutschland
Preußischblau
Deutschland
10
Wertvolle Fundorte
Ein Großteil des Lapislazuli,
mit dem vor dem
18. Jahrhundert im Osten
das Ultramarin-Pigment
hergestellt wurde, stammte
aus den Mienen von Sar-e
Sang in Afghanistan. Im
Jahr 1271 entdeckte Marco
Polo diesen »großen Berg,
aus dem man das schönste
Blau extrahieren kann.«
11
Die Farbpalette
Vom Pigment in die Tube
Grundlage aller Farben ist ein natürliches (aus
einer Pflanze oder einem Stein gewonnenes) oder
synthetisches (chemisch hergestelltes) Pigment.
Doch will man eine Farbe nach ihrem zugrunde
liegenden Pigment bezeichnen, wird die Namensgebung
schnell zu komplex. Welche Farbe würden
Sie sich zum Beispiel unter dem Namen »Ferrocyanin«
vorstellen? Sicherlich nicht Preußischblau.
Obwohl genau das richtig ist. Um allen Missverständnissen
aus dem Weg zu gehen, stützen sich
die Farbhersteller auf den internationalen Colour
Index, eine Datenbank, in der Preußischblau
beispielsweise unter der Referenz PB27 zu finden
ist. Um eine einsatzbereite Farbe zu erhalten,
muss ein Pigment (oder mehrere Pigmente) mit
einem Bindemittel (Wachs, Harz, Öl) und anderen
Zusatzstoffen versehen werden.
Namensgebung
Nehmen wir
Ultramarinblau als Beispiel.
Es wurde aus Lapislazuli
gewonnen und definiert
Nuancen von tiefblau
bis hin zu violett. Auf
Farbpaletten finden
sich recht fantasievolle
Namen wie »Guimet-Blau«
(nach seinem Erfinder)
und »Göttlichblau«
oder »Taubenblau« und
»Capriblau«. Schließlich
erfand Yves Klein
das berühmte IKB
(International Klein Blue).
Was für eine Spielerei!
Lapislazuli
oder
Aluminiumnatrium
silicat (PB29)
+
Ultramarinblau
Bindemittel/
Zusatzstoffe
Indigostaude
oder
Färberwaid
oder
Indigoblau
+
Bindemittel/
Zusatzstoffe
Synthetisches Indigo
(PB 66)
12
PB 15
Phthaloblau,
Primärblau
PB 27
Preußischblau
> Die große Welle von
Kanagawa (S. 35)
PB 28
Kobaltblau
> Sternennacht (S. 37)
> Die goldene Zelle (S. 83)
PB 29
Ultramarinblau
> Das Stundenbuch des
Duc de Berry (S. 25)
> Briefleserin in Blau (S. 31)
PB 30
Azurblau
PB 31
Ägyptischblau
> Sphinx d’Amenhotep III (S. 17)
> Diana (S. 65)
PB 32
Smalteblau
PB 33
Manganblau
PB 35
Coelinblau
13
IM
RAMPENLICHT
Sphinx des Amenhotep III
Der Traum des Joachim
Meiping-Vase
Stundenbuch des Duc de Berry
Die Krönung von Ludwig VIII.
Jungfrau der Schmerzen
Briefleserin in Blau
Hochzeitsmarsch
Die große Welle von Kanagawa
Sternennacht
Les Îles d’Or
Die großen Badenden
Selbstporträt
Blaues Pferd
Blaue Seerosen
Das ist die Farbe meiner Träume
Blauer Akt III
PR-1, Reliefporträt von Arman
A Bigger Splash
IM RAMPENLICHT
Sphinx des Amenhotep III
Um 1390–1352 v. Chr.
Herstellung von
Ägyptischblau
Es wird aus dem Mineral
Cuprorivait, Kalziumsilikat
und Kupfer (Quarz)
hergestellt. Die Mischung
wird bei einer Temperatur
von 870 bis 1.100 °C
gekocht. Die entstehende
Glaspaste wird zu feinem
Pulver zerkleinert, das als
Pigment verwendet wird.
Produktionsgeheimnis
Die ägyptischen Künstler
gaben ihr Wissen in der
Regel mündlich weiter.
Davon zeugt eine
Inschrift auf einer Stele
des Künstlers Irtysen
um 2030 v. Chr.: »Ich
weiß, wie man Pigmente
und Schmelzprodukte
herstellt, die nicht im Feuer
verbrennen und sich nicht
im Wasser auflösen. Ich
verrate dieses Geheimnis
niemandem außer mir
selbst und meinem ältesten
Sohn, der, wie von Gott
befohlen, in diese Kunst
eingeweiht wird …«
Das ewige Blau
Unter der Herrschaft des Pharaos Amenhotep III
erreicht die Herstellung farbiger Fayencen im Alten
Ägypten ihre Blütezeit. Diese Kunst wird – genauso wie
der Souverän – als »tjehnet« (»funkelnd«) bezeichnet.
Wertvolle Geschenke, aber auch Grabbeigaben und
Kultgegenstände werden aus farbenfroher Keramik
hergestellt.
Auf dieser kleinen Sphinx ist der Name des Pharaos
eingraviert. Ihre stilisierten Gesichtszüge erinnern an den
König. Anstelle von Löwentatzen verfügt sie über Arme
und hält Opfergaben in den Händen. Die Figur stellt nicht
nur Amenhotep III dar, sondern reflektiert auch einen
diesem Herrscher gewidmeten Kult, dem über seinen Tod
hinaus in einem zu seinen Ehren errichteten Tempel
gehuldigt wird.
Die blaue Glasur ist weder selten noch unbedeutend. Für
die Ägypter ist Blau eine wichtige Farbe, denn sie symbolisiert
den Himmel, das Wasser und vor allem die Schöpfung,
die Wiedergeburt und die Göttlichkeit gleichermaßen.
Diese Art von Figuren finden sich häufig als Beigaben
in Gräbern. Ein wichtiger Hinweis darauf, dass sie wahrscheinlich
als Talisman galten – zum einen aufgrund ihres
Themas (die Sphinx/der Pharao als mächtiger Herrscher
und Beschützer), zum anderen auch aufgrund ihrer
überirdischen Wirkung als Schutz vor bösen Geistern.
Die Ägypter sind die ersten, die um 2.500 v. Chr. ein
künstliches Blaupigment – Ägyptischblau – herstellen. Das
Produktionsgeheimnis wird im 19. Jahrhundert wiederentdeckt.
Seitdem heißt die Farbe »Pompejiblau« – ein ohne
Zweifel attraktiver Anachronismus, in dem eine traumhafte,
jedoch zerstörte Vergangenheit weiterlebt.
Sphinx des Amenhotep III
um 1390–1352 v. Chr.
Fayence
Metropolitan Museum of Art, New York
16
Ich thront im Azurblau wie eine missverstandene Sphinx.
Charles Baudelaire, »Die Schönheit«, aus Die Blumen des Bösen
17
IM RAMPENLICHT
Der Traum des Joachim
1303-1305
Ein Trick
des Künstlers
Weil bei der Freskomalerei
die Farbmasse frisch
aufgetragen werden
muss, hat Giotto das
Pigment Azurit auf
ausgewählten Wänden
trocken aufgetragen.
Nur so konnte er ein
so tiefes Blau erzielen.
Ein Ultramarinblau, das
nur auf feuchtem Gips
angewendet kann, wäre für
die Oberfläche der Kapelle
zu kostspielig geworden.
Eine gut versteckter Trick!
Von Giotto
zu Twombly
Im Jahr 2010 zeigt der
Louvre ein Deckengemälde
des Künstlers Cy Twombly,
auf dem eine Reihe von
Kugeln über einen blauen
Himmel gleiten. Dieses Blau
beschreibt der Künstler
so: »Es ist nicht das Blau
Griechenlands, nicht des
Himmels und nicht des
Meeres. Ich habe nach dem
Blau der Malerei, dem Blau
von Giotto gesucht. Ein
einfaches Blau zwischen
Kobalt und Lapislazuli.«
Im Blau verliert sich der Blick
Der Händler Enrico Scrovegni lässt Anfang des
14. Jahrhunderts im Herzen von Padua neben seinem
Palast eine Familienkapelle errichten, die er seinem
Vater widmet.
Die Mauern und das Gewölbe dieser Kapelle sind vollständig
von Fresken zu den Büchern des Alten und Neuen
Testaments sowie mit Malereien zu den Tugenden und
Lastern bedeckt. Alle Malereien wurden von dem florentinischen
Künstler Giotto angefertigt. Die Scrovegni-Kapelle
gilt als eines seiner wichtigsten Werke und wird zum
Inbegriff für die Kunst des Trecento.
Giotto wählt für seine Fresken eine erzählerische Sprache
und behandelt sowohl Hauptthemen als auch Nebenpersonen
und -geschichten gleichwertig. Damit hebt er die
tradierten Grenzen zwischen dem Göttlichen und dem
Irdischen, dem Außergewöhnlichen und dem Alltäglichen
auf.
Der Leitfaden des gesamten Werks ist das tiefe Blau. Es
symbolisiert das Firmament, das sich über einen Teil des
Gewölbes erstreckt, dient aber auch als himmlischer
Hintergrund für die einzelnen Bücher. Das Ultramarinblau
versinnbildlicht das Mystische und deutet gleichzeitig den
exklusiven Wert des aus dem orientalischen Lapislazuli
gewonnenen Pigments hin. Damit lenkt es den Blick des
Betrachters in Richtung Unendlichkeit.
Das hier gezeigte Detail ist ein Ausschnitt aus dem Traum
des Joachim, einer Bibelstelle, in der ein Engel Joachim
mitteilt, dass seine unfruchtbare Frau Anne ein Kind
gebären wird: Maria, die später die Mutter des Gottessohnes
werden wird. Das Thema hebt die träumerische
Ästhetik des Werkes hervor. Der Engel löst sich in einer
intensiven Bewegung wie aus dem Nichts aus dem blauen
Hintergrund. Damit wird er – ganz wie das durchdringende
Blau – zum Bindeglied zwischen der Spiritualität und dem
Irdischen.
18
Ich betrat die Giotto-Kapelle, in der das gesamte Gewölbe
und die Rückseite der Fresken so blau sind, dass es den
Anschein hat, als hätte der strahlende Tag zusammen mit
dem Besucher die Schwelle überschritten …
Marcel Proust über das Blau in der Scrovegni-Kapelle
Der Traum des Joachim
Giotto (1267–1337)
1303–1305
Fresko
Scrovegni-Kapelle, Padua
19
IM RAMPENLICHT
Meiping-Vase
um 1350
Zitat von
Marco Polo:
»Nur in Longquan
werden sehr schöne
Porzellangefäße in
großer Menge und
zu einem günstigen
Preis produziert; drei
für einen Groschen
venezianischen Silbers.
Hier findet man die
Schönsten: Und von
hieraus werden sie
überall hin gebracht.«
ZEITACHSE
»Blau-Weiß-Porzellan«
Yuan-Dynastie
(1279–1368)
Export in den
Nahen Osten
15. Jahrhundert
Goldenes
Zeitalter der
Blaumalerei
16. Jahrhundert
Kobaltblau
und üppiges,
meisterhaftes
Dekor
Erste
»Blaumalerei«
14. Jahrhundert
Einfluss auf
iranisches
Geschirr
Ming-Dynastie
(1368–1644)
Export nach
Europa
Qing-Dynastie
(1644–1912)
Eine symbolische Allianz
Von 1279 bis 1368 regierte die mongolische Yuan-
Dynastie in China. Die Herrscher dieser Zeit unterstützten
die Entwicklung der Keramikherstellung und
vor allem der Technik der Blaumalerei (»Blau-Weiß-
Porzellan«).
Erst als Kobalt über den Persischen Golf importiert
wurde, konnten die Künstler der Yuan-Dynastie neue
Werke im weiß-blauen Dekor (auch als »Blaumalerei«
bezeichnet) schaffen. Das war nicht selbstverständlich,
gehört doch Kobalt, wie auch das aus Kupfer und Eisen
gewonnene Rot, zu den wenigen Pigmenten, die den für
das Brennen von Porzellan nötigen hohen Temperaturen
standhalten.
Die ersten Blaumalereistücke der Yuan-Dynastie sind
klein und zeigen dunkelblaue Ornamente auf weißem
Grund. Doch mit wachsender Perfektionierung ihrer
Technik schufen die Kunsthandwerker auch große Stücke
und wagten, noch intensivere Blautöne zu verwenden.
Dies ist gut an der Meiping-Vase zu erkennen – ein
Vasentyp, auf dem ein Zweig eines Pflaumenbaums in
voller Blüte abgebildet ist. Die Vase ist tiefblau, geschmückt
mit einem weißen Drachen in feinster Detailzeichnung.
Sein verschlungener Körper steht im Kontrast
mit der bauchigen Form der Vase und hebt sich von dem
tiefen Kobaltblau deutlich ab.
Mit dem Blau und Weiß assoziiert der Betrachter zudem
die symbolische Identität der Mongolen, eines Volkes, das
aus der Verbindung eines blauen Wolfes mit einer weißen
Hirschkuh entstammen soll. So verbindet die Keramik den
Glauben mit dem politischen Apparat.
Meiping-Vase mit Drachenmotiv
um 1350
Porzellan
Musée Guimet, Paris
22
IM RAMPENLICHT
Stundenbuch des Duc de Berry
1416
Sterne und
Horoskope
Im 12. Jahrhundert
entwickelt sich das Wissen
über Astronomie und
Astrologie (die damals noch
zusammengehörten) in der
arabischen Welt und dehnt
sich nach Europa aus. Beide
Wissenschaften werden an
den Universitäten gelehrt
und genießen das Interesse
und Wohlwollen des
Papstes und der Könige. In
der Renaissance erlebt die
Astrologie einen deutlichen
Aufschwung. Jeder
Königshof unterhält einen
eigenen Astrologen, wie
John Dee am Hof Elisabeth I.
oder Nostradamus am Hof
Caterina de‘ Medici.
1407
Stundenbuch
des Etienne de
Chevalier
1500
Stundenbuch
der Anne de
Bretagne
ZEITACHSE
Berühmte Stundenbücher
Egerton (dem
König Renatus
von Anjou zugeschrieben)
1452–1460
Stundenbuch
der Johanna I.
von Kastilien
1503–1508
Stundenbuch des Duc de Berry
Kalenderblatt, Nr. 9, September
Brüder von Limburg
1416
Musée Condé, Chantilly
Pigmente für die Tierkreiszeichen
Im Mittelalter besaßen gläubige Katholiken ein Liturgiebuch.
In diesem »Stundenbuch« waren die Gebete für die
einzelnen Stunden des Tages aufgeführt. Es bestand aus
den Psalmen und einem Kalender. Besonders wertvolle
Ausgaben waren mit üppigen Illustrationen versehen.
Auch der Duc de Berry gibt 1410 ein Stundenbuch bei den
Brüdern von Limburg in Auftrag, die als Maler tätig waren.
Er erhält ein außergewöhnliches Manuskript, das neben
den kalligraphierten Texten und prunkvoll gestalteten
Rändern Hunderte von Miniaturen schmücken – eine so
prachtvoll wie die andere.
Die bekanntesten Illustrationen des Stundenbuch des Duc
de Berry befinden sich im Kalenderteil. Der Auftraggeber
hatte viel Geld investiert, sodass die an dem Werk tätigen
Künstler wertvolle Pigmente wie Lapislazuli für Blau,
Zinnoberrot und Rosenlack verwenden konnten. Damit
konnten sie die einzelnen Szenen in lebhaften Farben und
höchster Präzision darstellen und sie durch künstlerische
Gesten hervorheben, deren perspektivische Wirkung der
der italienischen Künstler in Nichts nachsteht.
Die hier dargestellte Miniatur symbolisiert den Monat
September. Sie zeigt eine Ernteszene vor dem Schloss
Saumur. Das Blau des Himmels bedeckt einen erheblichen
Teil des Bildes und verlängert sich in einen Halbkreis im
oberen Teil, in dem detaillierte astrologische Daten
aufgeführt sind. Hier finden sich zudem die Tierkreiszeichen
für den Monat September sowie die Heilige Jungfrau
und die Waage, die über dem von der Sonne begleiteten
König Apollo in seinem Wagen schweben. Der Himmel
dient als Vorwand für die Verwendung der blauen Farbe
und weist bewusst auf den Reichtum und Glanz nachfolgender
Auftraggeber hin. Und davon gibt es mehr als
genug. Das Stundenbuch war beim Tod der Maler und des
Duc de Berry im Jahr 1416 unvollendet und wurde erst etwa
1485 von Jean Colombe für den Duc de Savoie fertiggestellt.
24
IM RAMPENLICHT
Krönung von Ludwig VIII.
1460
Insignien
Dieser Begriff bezeichnet
symbolische Gegenstände,
die bei der Krönungszeremonie
für die Könige
Frankreichs verwendet
werden. Die meisten
Insignien – zumindest die,
die nicht verschwunden
sind –, befinden sich
im Louvre oder in der
Abteikirche Saint-Denis.
Dazu gehören unter
anderen Joyeuse, das
Schwert Karls des Großen,
das Zepter Karls V. oder
die Krone Ludwigs XV.
Die Symbole des
Königtums
Krone : Souveränität
Zepter : politische Macht
Justizia : Gerechtigkeit
Schwert : militärische
Macht
Sporen : Ritterlichkeit
Mantel mit Lilien : von Gott
geerbte Macht
Heiliges Blau – zu Ehren der Könige
Im Jahr 1260 bittet der Heilige Ludwig den Primaten des
Klosters Saint-Denis, eine Chronik der französischen
Monarchie anzufertigen. Diese 1274 fertiggestellte Chronik
erhält den Titel Le Roman des rois (Der Roman der Könige).
Andere Mönche wie auch die folgenden Könige Frankreichs
führen das Werk des Primaten (Klostervorstehers) fort und
fügen dem Manuskript unter dem Namen Grandes chroniques
(Große Chroniken) weitere Teile hinzu. Seit der Regentschaft
Karls V. ist diese Geschichte der französischen Könige
sehr populär. Dennoch richtet sie sich eher an Prinzen und
deren Entourage, ist das Werk doch mit ausfeilten Miniaturen
illustriert und aus diesem Grund ausgesprochen wertvoll.
Mitte des 15. Jahrhunderts übernimmt der Künstler Jean
Fouquet die mühevolle Aufgabe. Er illustriert das zwischen
1415 und 1420 überarbeitete Werk und vollendet es zwischen
1455 und 1460. Zwar muss er sich an die Texte halten, wählt
jedoch häufig andere Szenen aus, denn die Chronik soll den
Ruhm der Adligen herausheben, in diesem Bild vor allem
Karls VII. (der Auftraggeber für diese Darstellung ist unbekannt).
Die meisten Miniaturen in den Chroniken behandeln
Themen wie Krönungen oder Kreuzzüge.
Jean Fouquet stellt die Krönung Ludwigs des Löwen
(Ludwigs VIII.) und seiner Gattin Blanche de Castille im Jahr
1223 in Reims dar. Der Künstler und Hofmaler lässt sich von
der italienischen Renaissance inspirieren und erschafft größte
Farbenpracht. Er kombiniert seine Techniken zu einer detaillierten
Komposition, in der die Farbe Gold heraussticht.
Die Farbe Blau durchdringt das Werk – und das ist wenig
erstaunlich. Denn nachdem sie in der religiösen Ikonografie
und vor allem als Symbol für die Heilige Maria Einzug gehalten
hatte, wurde ihr auch eine politische Bedeutung zugeschrieben.
Die Lilie auf azurblauem Grund (Familienwappen der
Kapetinger) wird zum Emblem des Königs von Frankreich. Es
ist überall zu finden: Vom Boden über die Gewänder bis an die
Wände – dem Glanz des Königs kann sich niemand entziehen.
26
Krönung von Ludwig VIII.
und der Königin Blanche de Castille im Jahr 1223
Manuskript aus Saint-Denis
Jean Fouquet (1420–1478/1481)
1460
Französische Nationalbibliothek, Paris
27
IM RAMPENLICHT
Jungfrau der Schmerzen
1657
Eine moderne
Legende
Lapislazuli kam im
Mittelalter und in der
Renaissance aufgrund
seiner hohen Kosten
weniger zum Einsatz, als
man denken mag. Meistens
wurde das Blaupigment
aus dem Mineral Azurit
gewonnen. Zwar hatte es
weniger Leuchtkraft, war
aber sehr ansprechend.
um 1450
Maria der
Verkündigung,
Antonello de
Messine
1530
Die Jungfrau Maria
in Anbetung
der Hostie,
Jean Auguste
Dominique
Ingres
ZEITACHSE
Einige Jungfrauen
in Blau
1934
Madonna mit
dem Kind,
Fra Angelico
um 1475
Maria mit Kind
und Heiligen,
Tizian
1854
Junges Mädchen
in blau, Tamara
de Lempicka
Jungfrau der Schmerzen
am Fuß des Kreuzes
Philippe de Champaigne (1602–1674)
1657
Öl auf Leinwand
178 × 125 cm
Louvre, Paris
Das Göttliche hat seinen Preis
Die Jungfrau Maria wird häufig eingehüllt in einem großen
blauen Mantel dargestellt – ein traditionelles Symbol in
der Ikonografie. Aber was würden Sie sagen, wenn der
Grund dafür gar nicht so geheimnisvoll ist?
Etwa ab dem 15. Jahrhundert ist die Farbe Blau auf Bildern
der Jungfrau Maria typisch. Davor war die Jungfrau in Grau,
Braun oder sogar Schwarz gekleidet, was das Leiden der
Mutter Gottes darstellen sollte. Aber seit ihre heilige Größe
und Reinheit dargestellt werden sollte, verwendeten die
Künstler eher Rot, Gold oder Weiß. Aber warum Blau?
Die Anspielung auf den Himmel liegt auf der Hand: Die
Jungfrau ist die Mittlerin zwischen dem Göttlichen und dem
Menschen.
Doch es gibt noch eine andere pragmatischere Interpretation,
die nicht selten der Eitelkeit der Auftraggeber geschuldet
war. Die Marienverehrung spielte eine immer größere
Rolle. Um der Jungfrau in ihrer ganzen Größe und Ehre zu
huldigen, waren die Auftraggeber für religiöse Werke
bereit, einen hohen Preis zu bezahlen. Dieser kam durch das
Ultramarinblau zustande, das nur schwer und kostspielig aus
dem aus Afghanistan importierten Lapislazuli gewonnen
wurde. Das Tiefblau für die Heilige Maria wurde damit zum
wichtigsten Verhandlungsgegenstand.
Die Jungfrau der Schmerzen von Philippe de Champaigne
strahlt weniger Glorie, denn Wehmut aus, weshalb sie in
einem zurückhaltenden, melancholischen Blau dargestellt
ist. Der Maler zeigt eine Jungfrau des Schmerzes angelehnt
an das Kreuz, an dem ihr Sohn geopfert wurde. Zu Füßen
der Mutter Jesu liegen als christliche Symbole die Dornenkrone
und die Kreuznägel, während sich im Hintergrund das
düstere Jerusalem erhebt. Der Künstler verleiht der Gottesmutter
ein menschliches, tief bekümmertes Gesicht.
Resignierend die Hände im Schoss gefaltet, sitzt sie in sich
zusammengefallen auf einer Bank – eine völlig verzweifelte
Frau. Nur das großflächige Blau verleiht der tiefen Traurigkeit
einen überirdischen Hoffnungsschimmer.
28
29
IM RAMPENLICHT
Briefleserin in Blau
1662-1663
Beschreibung
durch Farbe
Van Gogh schreibt 1888
an Émile Bernard: »Du
kennst bestimmt den Maler
Vermeer. Er hat eine sehr
schöne und schwangere
holländische Frau gemalt.
Dieser Maler verwendet
die Farben Blau, Gelb,
Zitronengelb, Perlgrau,
Schwarz und Weiß. Es gibt
von ihm nur wenige Werke
in der vollen Farbpalette:
Aber die Gestaltung in
Zitronengelb, Blassgrau,
Perlgrau ist so typisch für
ihn wie für Vélasquez die
Farben Schwarz, Weiß,
Grau und Rosa.«
um 1560
Frau in Blau,
Thomas Gainsborough
1853
Die Frau in Blau,
Camille Corot
1911
Frau in Blau,
Pablo Picasso
ZEITACHSE
Einige Damen
in Blau
Porträt einer
Venezianerin
(La Belle Nani),
Paolo Veronese
1775-1785
Prinzessin
Pauline-Eleonore
de Broglie,
Jean Auguste
Dominique Ingres
1874
Das blaue
Kleid, Kees von
Dongen
1944
»Ich schreibe Ihnen diesen Brief …«
Dem Betrachter eines Bildes von Vermeer öffnet sich
die ganze Welt. Ein scheinbar intimes und ruhiges
Universum, aber genau darin liegt die Täuschung. Was
geschieht wohl gerade in der Welt der dargestellten
Personen?
Auf diesem Bild ist eine Frau zu sehen, die ganz in die
Lektüre eines Briefes vertieft ist. Sie hält ihn fest in der
Hand und scheint jeden Buchstaben konzentriert zu
entziffern. Der Betrachter erhält einen Einblick in das
Zimmer; dem Lichteinfall zufolge steht sie an einem
Fenster. Doch viel mehr wissen wir nicht! An der Wand
hängt eine geografische Karte, die nicht vollständig in den
Bildrahmen passt. Sie scheint eine Reise zu symbolisieren,
vielleicht für eine Person, die in dem Zimmer fehlt, denn
die Frau ist allein. Ist es vielleicht der Absender des
Briefes?
Wir könnten vermuten, dass die junge Frau schwanger ist,
wodurch sich der Eindruck des abgeschlossenen Zimmers
als Kokon verstärkt, der von dem Werk ausgeht. Ihre
füllige Gestalt stellt jedoch eher einen Zusammenhang mit
der Mode des 17. Jahrhunderts her, die pralle Figuren und
breite Hüften bevorzugt.
Vor allem fällt das Ultramarinblau ins Auge, das Vermeer
besonders liebt und dem Bild, wie nur selten in seinem
wenig umfassenden Werk, eine nahezu monochrome
Ästhetik verleiht. Von der Jacke, die die Frau trägt, über die
Stühle bis hin zu dem kleinen Band auf dem Tisch finden
sich überall blaue Elemente. Die Szene strahlt eine solche
Ruhe aus, dass das Blau den Gedanken an das Meer auf -
kommen lässt. Oder vielleicht verkörpert es die Melancholie?
Denn sehen Sie den Stuhl hinter der Frau? Es scheint,
als habe sie ihn brüsk zurückgeschoben. Vielleicht hat sie
im Sitzen gelesen und sich plötzlich erhoben? Was steht
wohl in diesem geheimnisvollen Brief?
30
Briefleserin in Blau
Jan Vermeer (1632–1675)
1662–1663
Öl auf Leinwand
Rijksmuseum, Amsterdam
31
IM RAMPENLICHT
Hochzeitsmarsch
Ende des 18. Jahrhunderts
Einige
Vokabeln
Porzellan: Masse
aus Kaolin, Feldspath
(kaliumhaltiger Stein)
und Quarz, die geformt
und bei 800 bis 1.000 °C
vorgebrannt wird, damit
das Werkstück sein
Dekor aus Glasemaille
erhält. Danach wird es bei
1.400 °C gebrannt, poliert
und bemalt.
Biskuit: Porzellanstück
im Rohzustand nach dem
ersten Brennen.
Wedgwood
oder Sèvres?
Wenn es um Porzellan
geht, ist in England
Wedgwood und in
Frankreich Sèvres führend.
Die berühmte französische
Manufaktur hat zudem ihr
eigenes Blau: Sèvres-Blau,
ein 1778 definiertes
Kobaltblau, das Weltruhm
erlangt hat.
Hochzeitsmarsch
Zierfliese
Ende des 18. Jahrhunderts
Keramik – Wedgwood
Musée national Adrien-Dubouché,
Limoges
Englischblau
In Frankreich genoss das Kunstgewerbe im Rokoko
hohes Ansehen. In Großbritannien versuchte man, sich
davon abzusetzen und übernahm eine neoklassische
Ästhetik, die von den archäologischen Ausgrabungen in
Herculaneum und Pompeji inspiriert war.
Als Josiah Wedgwood sein Keramikatelier eröffnete,
wollte er die Formen und den aus der Antike geerbten Stil
vereinfachen. Für sein Unternehmen begann damit der
wirtschaftliche Höhenflug.
In den 1770er-Jahren entwickelte er die Jaspertechnik,
eine Art Halbprozellan aus einer sehr harten und matten,
dem Biskuit ähnlichen Masse, die sich leicht einfärben
lässt. Sehr schnell erlangte die hellblaue Jasperware, die
später als »Wedgwood-Blau« bezeichnet wurde, einen
beachtlichen Ruf. Für die vom antiken Dekor inspirierten
Werke von Wedgwood ist das Flachrelief charakteristisch,
dessen Weiß sich strahlend vom blauen Hintergrund
abhebt. Diese Keramik wird für kleine Stücke verwendet
wie Medaillons und Zierfliesen, die als »Wedgwood«
bezeichnet werden. Später wird sie in der Massenproduktion
von Gefäßen eingesetzt.
Ein Großteil der in den Wedgwood-Ateliers hergestellten
Stücke werden ab 1775 vom Bildhauer John Flaxman Jr.
geschaffen. Er orientiert sich in seinen Werken an den
Sammlungen antiker Gefäße, die zu der Zeit in Großbritannien
zu sehen waren.
Diese sehr beliebten dekorativen Kacheln stellen meist
recht delikate Themen dar, sind häufig von pummeligen
Engelchen bevölkert und vermitteln durch die »Babyfarben«
Weiß und Blau einen eher naiven Charakter.
Vermutlich wurde die hier dargestellte Hochzeitsmarsch-
Szene als Hochzeitsgeschenk gefertigt. Ein sehr symbolisches
Geschenk, das damals hoch im Trend lag!
32
Von Tag zu Tag fällt es mir schwerer, auf dem Niveau
meines blauen Porzellans zu leben.
Oscar Wilde
IM RAMPENLICHT
Die große Welle von Kanagawa
um 1830
Popikone
Selbst die Popkultur lässt
sich von dem berühmten
Stil von Hokusai inspirieren.
Seine Grafik diente als
Ausgangspunkt für das
Logo der Marke Quiksilver
und für ein universelles
Piktogramm: das Emoji für
die »Welle«.
1866–1867
Camille Claudel,
Die Welle
1900
Claude Debussy,
La Mer
(Der Holzschnitt
ziert das
Deckblatt der
Partitur)
1906–1907
Roy
Lichtenstein,
Drowning Girl
ZEITACHSE
Die Große Welle
als Quelle der Inspiration
Claude Monet,
Die grüne Welle
1897
Fritz Endell,
Die Welle
1905
Rainer Maria
Rilke, Der Berg
1963
Eine blaue Welle
Japan erlebte in der Edo-Zeit einen Aufschwung des
wohlständigen und städtischen Bürgertums. Die Kunst
reagierte auf den Geschmack dieses neuen Publikums
und produzierte Grafiken in großem Stil: Das aufkommende
Genre »Ukiyo-e« bezeichnet »Bilder einer
vergänglichen und fließenden Welt«.
Die große Welle von Hokusai ist ein Musterbeispiel für
diese Ästhetik und die Ukiyo-e-Bewegung, die die
Vergänglichkeit des Lebens und der Natur hinterfragt. In
ihrer scheinbaren Bereitschaft, alles zu verschlingen,
verkörpert diese überwältigende Welle die Instabilität der
Welt. Um die Welle noch monströser erscheinen zu
lassen, formt der japanische Künstler ihre Enden wie
gebogene Finger, die aus der bedrohlichen Gischt herausgreifen.
Die Dynamik des Meeres steht im Kontrast zum
unbewegten Berg Fuji im Hintergrund, der überschwemmt
zu werden droht und gleichzeitig stoisch dasteht. Ein
Symbol für das Unausweichliche: Auf den Sturm folgt die
Ruhe. Dieser Eindruck der Gelassenheit wird auf seltsame
Weise durch die Barken in den Wellentälern akzentuiert.
Sie folgen der Bewegungen und verbinden sich mit ihr.
Dieses Werk wird häufig als Emblem für die japanische
Kunst herangezogen, zeigt aber auch den deutlichen
Einfluss des Westens. Japanische Künstler fanden in
niederländischen Kunstwerken, die in der Edo-Zeit
importiert wurden, eine Perspektive, die auch Hokusai
umsetzt. Er verwendet als einer der ersten Künstler ein
Blaupigment aus Deutschland, Preußischblau, das 1829
nach Japan kam. Nach Herzenslust hat er es in seiner
Serie 36 Ansichten des Berges Fuji, aus der Die große
Welle entstanden ist, angewandt. Preußischblau ist
intensiver als das bis dahin von den japanischen Malern
verwendete natürliche Indigo und ermöglicht ein kräftigeres
Spiel mit Kontrasten. Die große Welle ist so die
perfekte Synthese aus dem Osten und dem Westen.
34
Mit seinen Fluten richtet sich das Meer empor und scheint bis
an den Himmel zu schlagen, die Wolken, die das Meer
überzogen haben, mit Gischt zu besprühen.*
Ovid, Metamorphosen, Buch XI
* Übersetzung Michael von Albrecht, Reclam Verlag 2010, S. 675
Die große Welle von Kanagawa
Katsushika Hokusai (1760–1849)
um 1830
Farbholzschnitt
Privatsammlung
35
IM RAMPENLICHT
Sternennacht
1889
Van Gogh
In seiner seit 1885
geführten Korrespondenz
schreibt Van Gogh über die
Kraft des Blaus: »Kobalt ist
eine göttliche Farbe, und
es gibt nichts Schöneres,
um den Raum rund um ein
Objekt zu füllen.«
September
1888
Sternennacht
über der Rhône
(Paris, Musée
d’Orsay)
ZEITACHSE
Schritt für Schritt zur Sternennacht
Juni 1889
Caféterrasse
am Abend an
der Place du
Forum in Arles
(Otterlo, Kröller-
Müller-Museum)
September
1888
Sternennacht
(New York,
MoMA)
Eine magische Nacht
Im Frühjahr 1889 lässt sich Van Gogh in der Nähe von
Saint-Rémy in der Provence in eine Nervenheilanstalt
einweisen. Er leidet seit mehreren Jahren unter psychischen
Störungen. Doch seine Qualen und sein Fieber sind
gleichsam Nahrung für seine Arbeit.
Vom Wunsch, die Nacht und die Sterne zu malen, ist Van
Gogh besessen. Häufig spricht er in Briefen an seine Familie
und Freunde von dieser Idee. Auch an Émile Bernard schreibt
er: »Aber wann schaffe ich endlich den Sternenhimmel, das
Bild, das mich immer beschäftigt?« Er erfüllt sich seinen
Wunsch zunächst mit Sternennacht über der Rhône und
anschließend mit dem noch eindringlicheren Gemälde
Sternennacht.
Seine wie in Eile gesetzten Pinselstriche und die gewundenen,
wirbeligen Linien drücken die Unruhe aus, die den Künstler
antreibt. Sein Werk brennt wie ein intensives Feuer, das dem
Chaos sehr nahe kommt, es aber geschickt abwendet.
Der schwungvolle Pinselstrich erzeugt ein schwindelerregendes
Bild, in dessen Vordergrund sich Zypressen wie hungrige
Feuerzungen erheben. Zum Ausgleich verleiht Van Gogh
dem Abendhimmel eine zarte Poesie. Die Sterne und der
Mond strahlen über einen Großteil des Raumes, während
Lichtreflexionen die blaue Himmelsnacht und die Landschaft
durchziehen. Der Kosmos projiziert damit einen beruhigenden
Schimmer, so wie die Hoffnung Licht in die mentale
Unruhe Van Goghs bringt. Das Blau verkörpert die gesamte
mystische Vorstellungskraft des Künstlers und vermittelt
einen fast magischen Eindruck.
Stellen Sie sich Van Gogh in dieser esoterischen Nacht vor:
Er ist nervös, denkt gar an Selbstmord. Dann hebt er den
Kopf zum nächtlichen Himmel der Provence und sieht die
Tiefe und die funkelnden Sterne. Vielleicht beruhigen sich
seine Gedanken, vielleicht fühlt er sich klein in der immensen
Weite des Universums und ihm gehen Herz und Augen über
vor der Leuchtkraft der Sterne.
36
Sternennacht
Vincent van Gogh (1853–1890)
1889
Öl auf Leinwand
Museum of Modern Art, New York
37
IM RAMPENLICHT
Les Îles d’Or
1891–1892
Pinsel-Pixel
Georges Seurat entwickelt
in den 1880er Jahren
eine Technik, bei der
winzige Punkte auf dem
Bild nebeneinander
gelegt werden. Aus der
Entfernung betrachtet
verschwinden die Punkte
und verschmelzen in
perfekter Farbharmonie
zu einem Motiv. Seurat
nennt diese Technik
Divisionismus, doch Félix
Fénéon prägt den Stil
Pointillismus.
Simultaner
Farbkontrast
Diese Besonderheit in
der Wahrnehmung von
Farben wird 1839 von
Michel-Eugène Chevreul
entdeckt: Legt man zwei
Farben auf einem neutralen
Hintergrund direkt
nebeneinander, entsteht
für den Betrachter ein
starker Kontrast. So kann
Gelb neben Grün leicht
rötlich aussehen, neben
Rot aber einen Grünstich
aufweisen.
Im Rausch der Tiefe
Henri-Edmond Cross arbeitet seit Kurzem mit der
neo-impressionistischen Technik des Pointillismus. Die
meiste Zeit des Jahres lebt er im Lavandou in Südfrankreich,
wo er das weite Meer und die Landschaft als
Quelle für seine Lichtinspirationen findet.
Zwar ist sein Stil pointillistisch, doch Henri-Edmond Cross
verleiht seinem Werk Tiefe, indem er mit der Größe der
Punkte spielt: Die größeren Punkte im Vordergrund
werden in Richtung Hintergrund immer kleiner. Dieses
Verfahren steht in genauem Widerspruch zu dem von
Georges Seurat, der davon ausgeht, dass der einzelne
Punkt nicht sichtbar sein und in der Größe nicht verändert
werden darf. Jenseits dieser Perspektive erzeugt die
Variation der Punktgröße eine Modulation im Bild, die an
eine Meeresströmung oder eine zarte Windbrise in der
Provence erinnert.
Der Titel des Bildes lenkt die Aufmerksamkeit auf die
Inseln vor Hyères, die man auch ganz im Hintergrund
wahrnimmt – was dem Künstler wohl sehr wichtig war.
Doch gleichzeitig mischen sich die Lichteffekte und
Elemente über das gesamte Bild zu einer klaren und
poetischen Atmosphäre.
Henri-Edmond Cross sprenkelt hellblaue Punkte über die
Fläche und verleiht ihr damit eine zauberhafte Bewegung.
Man sieht das Wasser unter den Sonnenstrahlen quasi
funkeln. Um das Werk zu verstehen, braucht der Betrachter
keine konkreten Elemente – das Licht und das Blau des
Mittelmeers sprechen für sich: Ein sehr sonniger Tag. Sie
stehen am Strand, blinzeln und lassen den Blick über das
glitzernde Wasser schweifen. Purer Genuss.
38
Les Îles d’Or
Henri-Edmond Cross (1856–1910)
1891–1892
Öl auf Leinwand
Musée d’Orsay, Paris
IM RAMPENLICHT
Die großen Badenden
1894–1905
Bild und Farbe
»Je besser die Farben
harmonieren, desto
genauer wird das Bild. Die
Farbe macht den Reichtum,
die Form die Fülle eines
Bildes aus. Die Kontraste
und das Verhältnis der
Farbtöne zueinander
sind das Geheimnis der
Modellierung eines Bildes.«
Diese Überlegungen
werden 1904 vom Maler
und Kritiker Émile Bernard
in einem Artikel zitiert.
1718
Jean-Honoré
Fragonard,
Die Badenden
1808
Gustave
Courbet,
Die Badenden
1863
Henri Matisse,
Badende mit
Schildkröte
1912
Pablo Picasso,
La Baignade
ZEITACHSE
Badende
in der Kunst
Nicolas Lancret,
Die Badenden
1772
Jean Auguste
Dominique
Ingres,
Die Badende
von Valpinçon
1853
Édouard Manet,
Frühstück im
Grünen
1907–1908
Maurice Denis,
Badende bei
Perros-Guirec
1937
Rückkehr zur Natur
Cézanne malt seit den 1870er Jahren zahlreiche Kompositionen
mit Badenden. In seinen späteren, recht großen
Leinwänden nimmt er das Thema bis zu seinem Tod
immer wieder auf. Es wird zu seinem künstlerischen
Testament, das den Beginn der Moderne des 20. Jahrhunderts
einläutet.
Die Darstellung von nackten Frauen in einer Landschaft ist
kein neues Motiv, sondern gehört zu den klassischen
Themen in der Kunst. Aber Cézanne behandelt es auf
seine eigene Weise. Vor allem zieht er entgegen der
Tradition keine literarische oder mythische Quelle als
Referenz heran. Die weiblichen Figuren sind anonym und
ihre Nacktheit untermalt die Arbeit an der Form.
So unterscheidet Cézanne auf diesem Bild keine Ebenen:
Er malt die Körper und die Natur auf die gleiche Weise –
flächig und in gleichmäßigen Farbtönen –, die dem gesamten
Bild eine neue geometrische Harmonie verleiht. Der
nackte Körper ist nicht erotisch oder verführerisch,
sondern wird, wie die Erde oder die Bäume, zu einem
organischen Element. Die Körper verströmen keine
Sinnlichkeit, denn die Nackten bilden eine architektonische
Masse, die wenig Raum für eine anatomische Beschreibung
lässt. Die Sinnlichkeit entströmt eher der
Natürlichkeit.
Die von Cézanne bevorzugte Blau- und Grünpalette
unterstreicht diesen Bezug zwischen Körper und Natur.
Die Farbtöne saugen die Körper förmlich ein und heben
die Regeln der Perspektive nahezu auf. Der Künstler stellt
uns eine spirituelle Gemeinschaft zwischen Erde und
Himmel vor. Die vereinfachten Körper leiten den Kubismus,
die hervorgehobenen Konturen den Expressionismus
ein. Durch die Verbindung von Mensch und Natur bereitet
Cézanne den Weg für die moderne Kunst.
40
Cézanne ist der Vater von uns allen.
Pablo Picasso
Die großen Badenden
Paul Cézanne (1839–1906)
1894–1905
Öl auf Leinwand
National Gallery, London
IM RAMPENLICHT
Selbstporträt
1901
Bemerkung eines
Freundes
Guillaume Apollinaire, ein
enger Freund von Pablo
Picasso schreibt in einem
1905 erschienenen Artikel:
»Ein ganzes Jahr lang
lebte Picasso in diesem
farbfeuchten Bild mit
seinem blauen, mitleiderregenden
Hintergrund,
der sich wie eine
Kluft auftut.«
Nachtarbeit
Wahrscheinleich
hat Picasso dieses
Selbstporträt nachts
in seinem Atelier
unter dem Schein
einer Petroleumlampe
angefertigt. Diese
Lichtquelle muss die
Umgebungsfarben
verändert haben, was
die Entwicklung seiner
aufkommenden blauen
Phase begünstigt haben
könnte.
Selbstporträt
Pablo Picasso (1881–1973)
1901
Öl auf Leinwand
Museum Picasso, Paris
Morbides Blau
»Als ich anfing, in Blau zu malen, dachte ich an
Casagemas«, vertraute Pablo Picasso seinem Freund
Pierre Daix an, einem Journalisten, Schriftsteller und
Kunsthistoriker. Damit waren die Grundlagen geschaffen:
Der Selbstmord seines spanischen Freundes im Jahr 1901
war der Beginn der Phase einer melancholischen, ja sogar
trübsinnigen Ästhetik des Künstlers.
Das Selbstporträt zeigt einen gealterten Mann mit eingefallenen
Wangen und blassem Teint. Der offenbar unverarbeitete
Tod Casagemas’ machte es Picasso unmöglich, seiner
Kunst weiter Lebendigkeit einzuhauchen. Nun schleichen
der Tod und das Leiden durch seine Werke: Kranke Gefangene,
schmerzerfüllte Körper, unglückliche Seelen und der
Tod seines Freundes werden zum Haupt thema unzähliger
Zeichnungen und Gemälde.
In dieser sogenannten »blauen Phase«, die sich bis 1904
erstreckt, stützt sich Picasso auf den Stil anderer Künstler.
Er imitiert die glatten Farbtöne und Augenringe von Van
Gogh und Toulouse-Lautrec, während die offensichtliche
Vergänglichkeit und die deformierten Körper faszinierender
Bilder wie La Vie (1903, Cleveland Museum of Art) an
Greco erinnern.
Fühlt sich der Künstler schuldig? Man munkelt, Picasso habe
das attraktive Modell Germaine verführt, was Casagemas
zum Selbstmord veranlasst habe. Verkörpert dieses Blau
die Gram oder dient es als unseliger Vorhang, hinter dem
er seine Scham versteckt. Picasso stellt sich wie ein
Gespenst dar, das mit dem fast erstickenden Blauton des
Hintergrunds verschmilzt.
Ist es wirklich die Farbe Blau, die das Unglück reflektiert
oder eher den Umgang damit? Selbst in der rosa Phase des
Künstlers (1904–1906) vermitteln der zarte Farbton und die
glücklicheren Themen keinen fröhlichen Eindruck. Auch aus
den Bildern dieser Phase spricht die Melancholie. Ist das
Gefühl also wirklich eine Frage der Farbe?
44
45
IM RAMPENLICHT
Blaues Pferd
1911
Der Blaue Reiter
Franz Marc und Wassily
Kandinsky veröffentlichen
1912 einen Almanach mit
dem Titel Der Blaue Reiter.
Ihr Hauptanliegen ist es,
die göttliche Essenz in
der Kunst zu verstehen.
Mit dem »Blauen Reiter«
nehmen sie eine mystische
Figur aus der Romantik
auf, der sie eine tragende,
spirituelle Farbe geben.
Auch Paul Klee, Robert
Delaunay und August
Macke gehören dieser
Bewegung an. Durch die
Kriegswirren löst sich Der
Blaue Reiter 1914 auf.
Branding
Der Name Der Blaue
Reiter scheint sich quasi
aufzuzwingen. Davon
zeugt ein Zitat Wassily
Kandinskys: »Wir alle
liebten die Farbe Blau.
Marc liebte Pferde, ich
liebte Reiter. Der Name
kam uns wie von selbst
in den Sinn.«
Blaues Pferd
Franz Marc (1880–1916)
1911
Öl auf Leinwand
Städtische Galerie
im Lenbachhaus, München
Utopisches Refugium
Ein junger Mann befindet sich im Weltkrieg an der Front
und malt. In seinen Skizzenbüchern, die nach seinem
Tod im Jahr 1916 entdeckt werden, finden sich Skizzen
von Pferden – viele davon sind verletzt. Ein Symbol für
ein Ideal, das durch die auf dem Schlachtfeld erlittenen
Qualen schwerste Verletzungen erlitten hat.
Der Soldat ist Franz Marc, ein deutscher Maler, der 1911 in
München gemeinsam mit Wassily Kandinsky die expressionistische
Bewegung Der Blaue Reiter gründet. Zu der
Zeit studiert er Philosophie und Theologie, bevor er sich
der bildenden Kunst und der Darstellung von Tieren
zuwendet. Er bevorzugt in seinen Werken Pferde und
entwickelt ab 1905 eine abstrakte Ästhetik.
Mit seiner Leidenschaft und seinem Stil nähert sich Franz
Marc der Spiritualität: »Ich fand den Menschen schon sehr
früh in meinem Leben hässlich. Tiere waren für mich
schöner und reiner, aber auch in ihnen entdeckte ich
Hässliches und Inakzeptables. Darum wurde meine Kunst
immer schematischer und abstrakter.« Die Werke des
Künstlers werden zu symbolischen Universen, in denen die
Primärfarben und die Tiere Emotionen vermitteln, aus
denen die menschliche Psychologie widerhallt.
Der deutsche Künstler dekliniert das Thema des blauen
Pferdes durch mehrere Werke. In diesem Bild steht ein
kraftvolles Pferd im Vordergrund – als Sinnbild für die
Jugend. Seine Kurven nehmen die Wellen der farbigen
Hügel auf, vor denen es sich erhebt, als forme das Tier ein
organisches, harmonisches und dynamisches Ganzes mit
dem Hintergrund.
Mit der Farbe Blau wählt Franz Marc ein mystisches und
friedliches Vokabular. Ein blaues, utopisches Pferd, das
durch das Ideal einer absoluten Welt inspiriert ist. Sicher
ist es nicht die Welt des Jahres 1910 mit all seinen Unsicherheiten
und Wendepunkten.
46
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Blau
© 2022
Midas Collection
Ein Imprint der Midas Verlag AG
ISBN 978-3-03876-229-4
1. Auflage
Übersetzung: Martina Panzer
Lektorat: Dr. Friederike Römhild
Layout: Ulrich Borstelmann
Midas Verlag AG
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E-Mail: kontakt@midas.ch
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Franzöische Originalausgabe:
»Bleu«
© 2019, éditions du Chêne -
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Text: Hayley Edwards-Dujardin
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EINE FEIER DER FARBE DES
HIMMELS UND DES MEERES
Azur, Ultramarin, Indigo, Kobalt, Lapislazuli … dieses Buch
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BLAU. Welche Farbe kann sich rühmen, so viel Faszination
auszustrahlen, so viele Facetten zu haben und so beliebt
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HAYLEY EDWARDS-DUJARDIN ist Kunst- und Modehistorikerin,
Ausstellungskuratorin, Autorin und Übersetzerin. Sie ist Absolventin
der École du Louvre (2003-2008) und des London College of Fashion
(2008-2010). Sie lebt und arbeitet in Frankreich.
ISBN 978-3-03876-229-4
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