Schule der Bewegung
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www.grundschulverband.de · November 2022 · D9607F<br />
Grundschule aktuell<br />
Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft 160<br />
<strong>Schule</strong> <strong>der</strong> <strong>Bewegung</strong><br />
Zum Thema<br />
• Bundesjugendspiele:<br />
ein Schreibgespräch<br />
• Ohne Wasser kann man<br />
nicht schwimmen<br />
Forschung<br />
• Funktioniert die<br />
Jahrgangs mischung<br />
auch in <strong>der</strong> 3. und<br />
4. Jahrgangsstufe?<br />
Rundschau<br />
• Religiöse Bildung in einer<br />
pluralen Grundschule<br />
• Neue Bildungsstandards <strong>der</strong> KMK:<br />
Schreiben mit einer leserlichen Handschrift
Inhalt<br />
Tagebuch<br />
S. 2 Ich bin immer noch dabei, weil … (B. Bertling)<br />
Thema: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
S. 3 Bildung, <strong>Bewegung</strong> und Lernen<br />
(R. Hildebrandt-Stramann)<br />
S. 8 Ressourcen schöpfen, Potenziale entfalten<br />
(H. Städtler)<br />
S. 10 Bundesjugendspiele – aus <strong>der</strong> Zeit gefallen und<br />
diskriminierend? (M. Lassek, H. Brügelmann)<br />
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
S. 12 <strong>Bewegung</strong> und Sprache (R. Zimmer)<br />
S. 14 Wir bringen das Wasser zu den Kin<strong>der</strong>n (A. Touray)<br />
S. 16 Wer nicht ins Wasser geht, kann auch nicht<br />
schwimmen lernen (J. Endisch, V. Semmelmann)<br />
S. 18 Schreibenlernen ist <strong>Bewegung</strong>slernen –<br />
Grundschrift (A. Fruhen-Witzke)<br />
S. 20 Bewegliche Schulräume (F. Milke, T. Karaku)<br />
S. 22 Rhythmisierung von Unterricht als strukturgebendes<br />
Moment zwischen Spannung und<br />
Entspannung (T. Mayerhofer)<br />
S. 24 Grundschule Wohra – immer in <strong>Bewegung</strong><br />
(A. Zinser)<br />
S. 26 Wieso, weshalb? Wald! (A. Herkenhöner)<br />
S. 28 Kin<strong>der</strong>bücher zum Thema <strong>Bewegung</strong> und <strong>Schule</strong><br />
(M. Gutzmann)<br />
Aus <strong>der</strong> Forschung<br />
S. 30 „Funktioniert“ die Jahrgangsmischung auch in<br />
<strong>der</strong> 3. und 4. Jahrgangsstufe? (S. Martschinke,<br />
M. Munser-Kiefer, A. Hartinger, A. Lindl)<br />
Rundschau<br />
S. 34 Projekt Eine Welt in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>: Mit Spiel, Sport<br />
und Theater das Leben von Kin<strong>der</strong>n in an<strong>der</strong>en<br />
Län<strong>der</strong>n kennenlernen<br />
S. 36 Aus dem Vorstand (E. Bohn)<br />
S. 37 Mitwirkung von Kin<strong>der</strong>n beim Bürgerrat Bildung<br />
und Lernen (S. Winkler)<br />
S. 39 Kooperationspartnerin des Grundschulverbandes:<br />
Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule – Verband<br />
für <strong>Schule</strong>n des gemeinsamen Lernens e. V.<br />
(D. Zielinski)<br />
S. 40 Neue Bildungsstandards <strong>der</strong> KMK: „Die Schülerinnen<br />
und Schüler schreiben in einer leserlichen<br />
Handschrift“ (A. Fruhen-Witzke)<br />
S. 42 Religiöse Bildung in einer pluralen Grundschule:<br />
Kin<strong>der</strong> fragen nach dem Leben und <strong>der</strong> Welt<br />
(D. Knapp)<br />
Landesgruppen aktuell – unter an<strong>der</strong>em:<br />
S. 45 Baden-Württemberg: Es tut sich was im Ländle …<br />
„Gespräch mit Dr. Eva Franz, Klaus Zierer und<br />
Heike Schmoll“ nachzuhören in 45 Min. „Frust im<br />
Klassenzimmer“<br />
S. 48 Saarland: Zweites Saarländisches Grundschulforum<br />
„Digital unterwegs in <strong>der</strong> Grundschule“<br />
U III Komplett digital & frei verfügbar: GSV-Band 155<br />
Bildung, <strong>Bewegung</strong> und Lernen<br />
Diese drei Bereiche bilden in einem auf die Interessen und<br />
die Persönlichkeitsentwicklung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> ausgerichteten<br />
Grundschulunterricht eine notwendige didaktische Einheit<br />
mit dem Ziel, den pädagogischen Ansprüchen an einen<br />
mo<strong>der</strong>nen Unterricht gerecht zu werden. Allerdings bildet<br />
diese Trias nur dann einen geeigneten didaktischen Hintergrund,<br />
wenn die jeweiligen Verständnisse von Bildung,<br />
<strong>Bewegung</strong> und Lernen auch theoretisch kompatibel sind.<br />
Deshalb werden in einem ersten Teil dieser Ausführungen<br />
die Verständnishintergründe erläutert. Im zweiten Teil wird<br />
<strong>der</strong> Aspekt des Bewegten Lernens theoretisch und praktisch<br />
hervor gehoben. Seite 3–7<br />
Wir bringen das Wasser zu den Kin<strong>der</strong>n<br />
Eine repräsentative Forsa-Umfrage hat es deutlich aufgezeigt:<br />
59 Prozent <strong>der</strong> Zehnjährigen sind keine sicheren<br />
Schwimmer. Dies gab die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft<br />
(DLRG) 2017 in Hannover bekannt.<br />
„Die Schwimmfähigkeit <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> im Grundschulalter ist<br />
weiterhin ungenügend. Im Durchschnitt besitzen nur 40<br />
Prozent <strong>der</strong> Sechs- bis Zehnjährigen ein Jugendschwimmabzeichen.“<br />
Viele Eltern haben kein Wissen über die beson<strong>der</strong>e<br />
Bedeutung des Schwimmens, können selbst nicht<br />
schwimmen und führen ihre Kin<strong>der</strong> nicht heran. Die Mobile<br />
Schwimmschule Bremen macht hierzu ein Angebot, das<br />
Beachtung finden sollte. Lesenswert ist dazu auch <strong>der</strong> Beitrag<br />
„Wer nicht ins Wasser geht, kann auch nicht schwimmen<br />
lernen.” Seite 14–17<br />
Impressum<br />
GRUNDSCHULE AKTUELL, die Zeitschrift des Grundschulverbandes,<br />
erscheint viertel jährlich und wird allen Mitglie<strong>der</strong>n zugestellt.<br />
Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.<br />
Das einzelne Heft kostet 9,00 € (inkl. Versand innerhalb Deutschlands);<br />
für Mitglie<strong>der</strong> und ab 10 Exemplaren 5,00 €.<br />
Verlag: Grundschulverband e. V., Frankfurt am Main<br />
Frankfurter Straße 74–76, 63263 Neu-Isenburg,<br />
Tel. 06102 8821660, Fax: 06102 8821664,<br />
www.grundschulverband.de, info@grundschulverband.de<br />
Herausgeber: Der Vorstand des Grundschulverbandes<br />
Redaktion: marion.gutzmann@vs-grundschulverband.de,<br />
gabriele.klenk@vs-grundschulverband.de<br />
Fotos und Grafiken: Susanne Winkler / novuprint (Titel illustration<br />
unter Verwendung von Fotos von A. Herkenhöner,<br />
R. Hildebrandt-Stramann, M. Sabelhaus, A. Zinser), A. Touray / Abb. Nr.1,<br />
M. Sabelhaus / Abb. Nr. 2 und 3, M. Reza Hosseini / Abb. Nr. 4 (S.15),<br />
Autorinnen und Autoren (soweit nicht an<strong>der</strong>s vermerkt)<br />
Herstellung: novuprint Agentur GmbH, 30175 Hannover<br />
Anzeigen: Grundschulverband e. V., Tel. 06102 8821660,<br />
info@grundschulverband.de<br />
Druck: WKS Print Partner GmbH, 34587 Felsberg<br />
ISSN 1860-8604 / Bestellnummer: 6104<br />
Beilage: Flyer <strong>der</strong> Sedulus Vertriebs GmbH<br />
In manchen Beiträgen dieser Zeitschrift bringen Autorinnen und Autoren<br />
ihr Bemühen um eine gen<strong>der</strong>sensible Sprache durch be son <strong>der</strong>e schriftsprachliche<br />
Zeichen zum Ausdruck. Da es zurzeit keine allgemein anerkannte<br />
Lösung für das Problem „gen<strong>der</strong>sen sibler“ (Schrift-)Sprache gibt, verwendet<br />
jede Autorin und je<strong>der</strong> Autor ihre o<strong>der</strong> seine bevorzugte Form.<br />
UII<br />
GS aktuell 160 • November 2022
Diesmal<br />
Bewegliche Schulräume –<br />
Rhythmisierung von Unterricht<br />
In diesen beiden Beiträgen werden Möglichkeiten aufgezeigt,<br />
wie das Bedürfnis nach <strong>Bewegung</strong> durch eine<br />
verän<strong>der</strong>te Nutzung von Möblierung erfüllt werden kann.<br />
Was bedeutet es, wenn nur für die Hälfte <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />
Stühle vorhanden sind o<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> keine Schuhe tragen?<br />
Was bringen mehrere 5-minütige <strong>Bewegung</strong>spausen<br />
und wie können sie ohne größere Vorbereitung<br />
gestaltet werden? Hierauf wollen die beiden Beiträge<br />
eine Antwort geben. Seite 20–23<br />
Aus <strong>der</strong> Forschung: Funktioniert die Jahrgangsmischung<br />
auch in <strong>der</strong> 3. und 4. Jahrgangsstufe?<br />
In einem Problemaufriss werden sowohl Hoffnungen als<br />
auch Befürchtungen von Lehrkräften dargestellt.<br />
Folgenden Forschungsfragen wurde nachgegangen:<br />
Wie entwickelt sich die Leistung in Lesen und Mathematik<br />
in jahrgangsgemischten und jahrgangshomogenen<br />
Klassen in <strong>der</strong> 3. und 4. Jahrgangsstufe im Vergleich<br />
(und in den verschiedenen Leistungsgruppen)?<br />
Fühlen sich Dritt- und Viertklässler:innen gleichermaßen<br />
beachtet und geför<strong>der</strong>t?<br />
Welche Unterrichtsmerkmale können guten Unterricht<br />
in <strong>der</strong> Jahrgangsmischung ausmachen?<br />
Seite 30–33<br />
Flexible Mitgliedsbeiträge ab 2023<br />
Lesen Sie zu den neuen flexiblen Mitgliedsbeiträgen<br />
unter „Aus dem Vorstand“.<br />
Seite 36<br />
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und hier das Archiv <strong>der</strong> Zeitschrift:<br />
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grundschulverband.de/archiv/<br />
Marion Gutzmann<br />
(links)<br />
und Gabriele Klenk<br />
das Redaktionsteam<br />
von Grundschule<br />
aktuell<br />
Liebe Leser:innen,<br />
ein Thema, dass alle verbindet und auch ohne Sprache auskommen<br />
kann, ist <strong>der</strong> Sport, die Freude an gemeinsamer<br />
<strong>Bewegung</strong>: „Sport ist herrlich!“. Das findet zumindest <strong>der</strong><br />
Autor und Illustrator Ole Könnecke in seinem Bil<strong>der</strong>buch,<br />
nachzulesen in den Empfehlungen zu Kin<strong>der</strong>büchern zum<br />
Thema des Heftes. In <strong>der</strong> vorliegenden Ausgabe von Grundschule<br />
aktuell werden die umfassende Bedeutung von Bildung,<br />
<strong>Bewegung</strong> und Lernen dargestellt und verschiedene<br />
Handlungsfel<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Gestaltung von <strong>Schule</strong> praxisorientiert<br />
präsentiert. Das Beispiel <strong>der</strong> „Bewegten, gesunden<br />
<strong>Schule</strong>“ in Nie<strong>der</strong>sachsen, vorgestellt von Hermann Städtler,<br />
zeigt, wie sehr sich das Lehr- und Lernklima än<strong>der</strong>n können,<br />
wenn <strong>Bewegung</strong> als Ressource erkannt und genutzt wird.<br />
Gerne können Sie im Kollegium über das Schreibgespräch<br />
von M. Lassek und H. Brügelmann diskutieren. Generell<br />
kommt es nicht nur beim Sport vor allem auf das Klima in <strong>der</strong><br />
<strong>Schule</strong> an, auf den Umgang miteinan<strong>der</strong> und auf die Art, wie<br />
Leistungen generell gewürdigt werden: primär im Vergleich<br />
mit an<strong>der</strong>en o<strong>der</strong> bezogen auf die individuellen Fortschritte,<br />
also gemessen an den jeweiligen Voraussetzungen und Lernund<br />
Lebensbedingungen. Dies findet sich im aktuell überarbeiteten<br />
Standpunkt Leistung wie<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Leistungsermittlung<br />
und -bewertung in den Fokus „Kindheit heute“ stellt.<br />
Inzwischen liegen die ersten Monate des neuen Schuljahres<br />
hinter Ihnen – bundesweit stellte <strong>der</strong> Schulstart <strong>Schule</strong>n vor viele<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen. In diese Zeit fällt auch die Veröffentlichung<br />
<strong>der</strong> Ergebnisse des IQB-Bildungstrends 2021. Die erzielten Testleistungen<br />
<strong>der</strong> 4. Jahrgangsstufe lassen vor allem auf einen erheblichen<br />
Investitionsbedarf in die grundlegende Bildung schließen.<br />
Deutlich wird, dass es nicht nur um „Aufholprogramme“<br />
gehen kann, son<strong>der</strong>n dass die Bedingungen, unter denen Kin<strong>der</strong><br />
lernen, verbessert werden müssen. Aus unserer Sicht sollte <strong>der</strong><br />
Blick auf die Ergebnisse vor allem dazu beitragen, die Verantwortung<br />
<strong>der</strong> Politik für die personelle und sächliche Ausstattung von<br />
Grundschulen im Vergleich zu den darauf aufbauenden weiterführenden<br />
<strong>Schule</strong>n zu prüfen und endlich die strukturelle Benachteiligung<br />
<strong>der</strong> Grundschulen aufzulösen. Gern bleiben wir<br />
als Fachverband mit Ihnen weiterhin dazu im Gespräch.<br />
Als Redaktionsteam möchten wir es nicht versäumen, Kompliment<br />
und Anerkennung allen Autorinnen und Autoren dieses<br />
Heftes auszusprechen, insbeson<strong>der</strong>e auch an die Betreuung<br />
<strong>der</strong> Rubrik „Aus <strong>der</strong> Forschung“ für das gewählte Format, mit<br />
dem das Autorenteam die Praxisbedeutung ihrer Befunde erneut<br />
deutlich macht.<br />
Herzlichst<br />
Marion Gutzmann und Gabriele Klenk<br />
sowie Maresi Lassek und Hans Brügelmann<br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
1
Tagebuch<br />
Ich bin immer noch<br />
dabei, weil …<br />
Baldur Bertling<br />
Rektor a. D. Averbruch-Grundschule Dinslaken,<br />
Mitglied des Vorstands <strong>der</strong> GSV-Landesgruppe NRW<br />
Als ich vor vielen Jahren meine Ausbildung zum Grundund<br />
Hauptschullehrer mit dem Schwerpunkt Hauptschule<br />
abgeschlossen hatte, fragte mich <strong>der</strong> damals für die<br />
Lehrerzuweisung zuständige Schulrat, ob ich es mir denn<br />
vorstellen könnte, auch an einer Grundschule eingesetzt<br />
zu werden. Damals wurden in Nordrhein-Westfalen<br />
gerade die Konfessionsschulen in Gemeinschaftsschulen<br />
umgewandelt und an den vormals katholischen Grundschulen<br />
fehlten evangelische Religionslehrer. Wenn mir<br />
die Arbeit mit den kleineren Kin<strong>der</strong>n dann doch nicht<br />
läge, so versprach <strong>der</strong> Schulrat, würde ich selbstverständlich<br />
an einer Hauptschule eingesetzt.<br />
Nun brauchte ich umfassende Informationen und da<br />
lag <strong>der</strong> Gedanke nah, mich als Mitglied dem Arbeitskreis<br />
Grundschule anzuschließen. Das war damals wie heute<br />
<strong>der</strong> einzige Fachverband, <strong>der</strong> sich hauptsächlich und umfassend<br />
mit Fragen rund um die Grundschule beschäftigt.<br />
Ich las alles, was zur Verfügung stand, empfand eine gewisse<br />
geistige Nähe zu den Autoren und entdeckte, dass<br />
ich mit meiner pädagogischen Haltung doch nicht exotisch<br />
war. Von Anfang an war mir nämlich wichtig, jedes<br />
einzelne Kind mit seinen ganz beson<strong>der</strong>en Ansprüchen<br />
und Möglichkeiten als lernenden Menschen kennenzulernen<br />
und ernst zu nehmen.<br />
Viel zu oft aber ging es in den Beratungen an <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
um störungsfreien Unterricht, um Lernen im Gleichschritt<br />
und Leistung als Vorbereitung auf die richtige Einordnung<br />
in die weiterführende <strong>Schule</strong>. Selbst bei <strong>der</strong> damals allmählich<br />
in Mode kommenden inneren Differenzierung<br />
ging es häufig eben nicht um offene Angebote, son<strong>der</strong>n<br />
um eher enge Aufgaben, die <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Lehrkraft eingeschätzten<br />
Leistungsfähigkeit <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> entsprach. Wie<br />
„Ich bin Mitglied im<br />
Grundschulverband, weil ich in<br />
40 Dienstjahren immer wie<strong>der</strong> erlebt habe,<br />
wie meine Arbeit für eine kin<strong>der</strong>freundliche Grundschule<br />
durch vielfältige Angebote des Verbandes<br />
begründet, bestärkt und beflügelt wurde. Damit das<br />
weitergehen kann, bin ich auch acht Jahre nach<br />
meiner Pensionierung immer noch gerne Mitglied<br />
im Grundschulverband und unterstütze<br />
wohltuend und ermutigend<br />
waren da die<br />
Schriften des Grundschulverbandes<br />
zum<br />
offenen Unterricht,<br />
zum ganzheitlichen<br />
Lernen, zur Leistungserziehung<br />
ohne Ziffernnoten,<br />
zum Klassenraum als kin<strong>der</strong>gerecht<br />
gestaltetem Lernort usw.<br />
Bereits nach meinem ersten Jahr in <strong>der</strong><br />
Grundschule, damals als Klassenlehrer eines neu gebildeten<br />
dritten Schuljahres, stand für mich fest, dass Grundschule<br />
mein Ding sein kann.<br />
Die große Bandbreite an Begabungen und Interessen bei<br />
den Kin<strong>der</strong>n passte sehr gut zu den Vorstellungen einer Gesamtschule,<br />
an <strong>der</strong> alle Kin<strong>der</strong> eines Stadtteiles gemeinsam<br />
lernen, wie ich sie während des Studiums kennengelernt<br />
hatte und von <strong>der</strong> viele von uns damals glaubten, dass sie in<br />
wenigen Jahren flächendeckend Wirklichkeit würde.<br />
Jetzt fünfzig Jahre später ist dieses Ziel immer noch<br />
nicht erreicht. Und auch die kin<strong>der</strong>orientierte <strong>Schule</strong> ist<br />
noch nicht überall verwirklicht. Immer noch geht es viel<br />
zu oft um optimale Vorbereitung auf den Übergang in die<br />
‚richtige‘ weiterführende <strong>Schule</strong>, um Leistungsmessung<br />
mit Zensuren zur Einordnung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> o<strong>der</strong> um die<br />
Bildung möglichst homogener Lerngruppen für optimal<br />
passenden Unterricht.<br />
Der GSV ist dagegen das Bollwerk für die kin<strong>der</strong>freundliche,<br />
zukunftsorientierte Grundschule. In den ‚Standpunkten‘<br />
sind seine Vorstellungen überzeugend zusammengefasst.<br />
Dabei werden auch immer die dafür notwendigen<br />
Bedingungen beschrieben und entsprechende For<strong>der</strong>ungen<br />
an die Bildungspolitik formuliert.<br />
Gleichzeitig drücken die Standpunkte eine pädagogische<br />
Haltung aus, die in die konkrete pädagogische Praxis<br />
ausstrahlt und sich auf vielfältige Weise in konkretem<br />
Handeln wi<strong>der</strong>spiegelt. Das bedeutet, auch bevor die optimalen<br />
Bedingungen erreicht sind, Unterricht so zu gestalten,<br />
dass jedes Kind mit seinen beson<strong>der</strong>en Begabungen<br />
offene Angebote für seine weitere Entwicklung finden<br />
und auf seinem Lernweg ermutigende Rückmeldungen erfahren<br />
kann.<br />
Für diese bildungspolitische Arbeit kann <strong>der</strong> Grundschulverband<br />
we<strong>der</strong> auf Sponsoren noch an<strong>der</strong>e finanzielle<br />
För<strong>der</strong>ung zurückgreifen. Die Arbeit wird allein mit den<br />
Mitgliedsbeiträgen finanziert.<br />
Da kommt es eben auch auf die Beiträge von uns Pensionären<br />
an!<br />
mit meinem Mitgliedsbeitrag die<br />
Arbeit des GSV.“<br />
Alle Statements<br />
finden Sie auf<br />
Youtube<br />
2<br />
GS aktuell 160 • November 2022
Thema: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Reiner Hildebrandt-Stramann<br />
Bildung, <strong>Bewegung</strong> und Lernen<br />
Bildung, <strong>Bewegung</strong> und Lernen bilden eine in einem auf die Interessen und die<br />
Persönlichkeitsentwicklung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> ausgerichteten Grundschulunterricht<br />
notwendige didaktische Einheit, mit dem Ziel, den pädagogischen Ansprüchen<br />
an einen mo<strong>der</strong>nen Unterricht gerecht zu werden. Allerdings bildet diese Trias<br />
nur dann einen geeigneten didaktischen Hintergrund, wenn die jeweiligen<br />
Verständnisse von Bildung, <strong>Bewegung</strong> und Lernen auch theoretisch kompatibel<br />
sind. Deshalb werden in einem ersten Teil dieser Ausführungen die Verständnishintergründe<br />
erläutert. Im zweiten Teil wird <strong>der</strong> Aspekt des Bewegten Lernens<br />
theoretisch und praktisch hervorgehoben.<br />
Kin<strong>der</strong> gehen in die <strong>Schule</strong>, um zu<br />
lernen. Das Verständnis von<br />
schulischem Lernen hat sich in<br />
den letzten zweihun<strong>der</strong>t Jahren immer<br />
wie<strong>der</strong> gewandelt. Dieser Wandel wird<br />
heute mit einem Paradigmenwechsel<br />
„vom Lehren zum Lernen“ gekennzeichnet.<br />
Mit einer auf „Lehre“ ausgerichteten<br />
<strong>Schule</strong> ist das Grundmuster<br />
eines überholten schulpädagogischen<br />
Denkens verbunden mit <strong>der</strong> Annahme,<br />
die ältere Generation könne <strong>der</strong> jüngeren<br />
durch die systematische Darbietung<br />
wohlgeordneten und geprüften Wissens<br />
– gleichsam durch Belehrung – einen<br />
komprimierten Wissensstand vermitteln,<br />
<strong>der</strong> Orientierung und Halt in<br />
<strong>der</strong> vorhersehbaren Zukunft bietet.<br />
„Eine solche Vorstellung passt zum<br />
Denken und Lebensgefühl von vormo<strong>der</strong>nen<br />
Kulturen, die auf langsame,<br />
vorhersehbare Verän<strong>der</strong>ungsprozesse<br />
bauen“ (Fauser u. a. 2009, 17). „Lernen“<br />
ist in diesem Bild die möglichst buchstabengetreue<br />
Übernahme dessen, was<br />
gelehrt wird.<br />
Seit <strong>der</strong> Entwicklung des mo<strong>der</strong>nen<br />
Begriffs <strong>der</strong> allgemeinen Bildung im<br />
18. und 19. Jahrhun<strong>der</strong>t werden Lernen<br />
und Aufwachsen von Grund auf neu gesehen.<br />
Im Kern wird Bildung dabei „als<br />
Potenzial beziehungsweise als Weg aufgefasst,<br />
<strong>der</strong> durch Lernen zur individuellen<br />
Mündigkeit führt und Wissen,<br />
Urteilsvermögen, Problembewusstsein<br />
und Handlungsfähigkeit des Einzelnen<br />
als Mitglied <strong>der</strong> Gesellschaft zum Ziel<br />
hat“ (vgl. Fauser u. a. 2009, 17). Deutlich<br />
zeigt sich <strong>der</strong> Zusammenhang zwischen<br />
Bildung und Lernen. Bildung beruht auf<br />
Lernen, deshalb gehört zu den pädagogischen<br />
Grundlagen einer <strong>Schule</strong> auch<br />
ein Konzept des Lernens, das, wenn die<br />
Bildungsziele erreicht werden sollen,<br />
sich an den Kriterien <strong>der</strong> Individualität,<br />
Mündigkeit und Sozialität zu orientieren<br />
hat. „Ein solches Lernen ist nicht reproduktiv<br />
und auf die Wie<strong>der</strong>gabe isolierter<br />
Fakten angelegt, son<strong>der</strong>n aktiv-konstruktiv,<br />
auf Zusammenhänge, Sinnbezüge<br />
ausgerichtet“ (Fauser 2010, 24).<br />
Mit <strong>der</strong> Kennzeichnung von Lernen<br />
als aktiv-produktive Leistung wird ein<br />
weiteres Merkmal hervorgehoben, das<br />
den mo<strong>der</strong>nen Lernbegriff (holistisch)<br />
ganzheitlich charakterisiert und Körper<br />
und Psyche als eine Einheit auffasst. Das<br />
trifft vor allem auf das Lernen von Kin<strong>der</strong>n<br />
im Grundschulalter zu. „Das Kind<br />
erfährt (…) die Welt nicht nur durch<br />
seinen Kopf, son<strong>der</strong>n über seine <strong>Bewegung</strong><br />
und die Sinne; sein Leben geht zunächst<br />
vor allem in motorischen Formen<br />
vor sich“, schreibt Liechti (2000,<br />
247). In dieser körperlichen Verfasstheit<br />
kann <strong>Bewegung</strong> für die Kin<strong>der</strong> als „Zugang<br />
zur Welt“ (Hildebrandt-Stramann<br />
2010, 235) gesehen werden. Wenn wir<br />
von einem Bewegten Lernen sprechen,<br />
dann kommt es zunächst einmal darauf<br />
an, <strong>Bewegung</strong> und Lernen miteinan<strong>der</strong><br />
zu verbinden.<br />
Lernen mit<br />
<strong>Bewegung</strong><br />
Lernen durch<br />
<strong>Bewegung</strong><br />
lernbegleitende<br />
Funktion<br />
lernerschließende<br />
Funktion<br />
Abb. 1: Ebenen des Bewegten Lernens<br />
Prof. Dr. Prof. h. c. Reiner<br />
Hildebrandt-Stramann i. R.<br />
Bis 2020 Leiter des Instituts für Sportwissenschaft<br />
und <strong>Bewegung</strong>spädagogik<br />
<strong>der</strong> Technischen Universität Braunschweig.<br />
Arbeitsschwerpunkte: <strong>Bewegung</strong><br />
und Ganztagsschulentwicklung;<br />
<strong>Bewegung</strong> und Lernen; Pädagogik und<br />
Didaktik <strong>der</strong> <strong>Bewegung</strong>serziehung.<br />
<strong>Bewegung</strong> und Lernen<br />
Aus den entwicklungspsychologischen<br />
Arbeiten von Piaget (1973), Bettelheim<br />
(1983) und Spitz (1969) wissen<br />
wir, dass Kin<strong>der</strong> ihre Erkenntnisse von<br />
<strong>der</strong> und über die Welt aus einer aktiven<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzung mit ihr gewinnen.<br />
Dabei suchen sie sich die Gegenstände<br />
<strong>der</strong> Welt so zurechtzumachen,<br />
wie es ihrer körperlich-sinnlichen<br />
Erfahrung entspricht. Wie Erkenntnis<br />
in <strong>der</strong> Erfahrung ihren Anfang hat, so<br />
fängt Erfahrung mit dem Selbsttun an.<br />
Das heißt, sinnliche Erfahrung, Sinndeutung,<br />
Wertung und Handlung bilden<br />
einen Funktionszusammenhang,<br />
<strong>der</strong> erst im Nachhinein reflexiv aufgeschlossen<br />
werden kann.<br />
<strong>Bewegung</strong>spausen<br />
Bewegtes Mobiliar<br />
Wochenplan-, Freiarbeit;<br />
Laufdiktat; Stationenlernen<br />
im Fachunterricht<br />
im fächerübergreifenden<br />
Unterricht<br />
im Projektunterricht<br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
3
Thema: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Konzepte des Bewegten Lernens gehen<br />
von <strong>der</strong> Grundannahme aus, dass<br />
Kin<strong>der</strong> mit umso stärkerer innerer Beteiligung<br />
und Bereitschaft lernen wollen,<br />
je intensiver die <strong>Schule</strong> als Lebens- und<br />
Lernort auf ihre körperlichen, emotionalen,<br />
materialen und sozialen Lebensbedürfnisse<br />
eingeht. Damit dies möglich<br />
wird, soll Kin<strong>der</strong>n mehr <strong>Bewegung</strong>sraum<br />
gegeben werden, und zwar<br />
im Unterricht, beim Lernen, im Schulhaus<br />
und auf dem Schulgelände. Es geht<br />
im Sinne von ganzheitlichen Lernprozessen<br />
darum, die Betätigung <strong>der</strong> Sinne,<br />
<strong>der</strong> Hände, <strong>der</strong> Beine, des Körpers nicht<br />
nur in jeweils zwei Stunden Kunst, Musik<br />
und Sport anzuregen, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong><br />
gesamten schulischen Lebenswelt. Ich<br />
beschränke mich im Folgenden auf den<br />
Aspekt des Bewegten Lernens im schulischen<br />
Unterricht.<br />
Konzepte des Bewegten Lernens<br />
Bezogen auf das Lernen im Unterricht<br />
wird zwischen zwei Ebenen des<br />
Bewegten Lernens unterschieden (Abb. 1;<br />
vgl. Hildebrandt-Stramann u. a. 2017):<br />
1. Lernen mit <strong>Bewegung</strong> und<br />
2. Lernen durch <strong>Bewegung</strong><br />
Das Lernen mit <strong>Bewegung</strong> hat eine<br />
lernbegleitende Funktion. Beispiele hierfür<br />
sind <strong>Bewegung</strong>spausen, tägliche<br />
<strong>Bewegung</strong>szeiten o<strong>der</strong> selbst initiierte<br />
<strong>Bewegung</strong>sphasen, ein bewegliches<br />
Mobiliar in einem mobilen Klassenzimmer<br />
o<strong>der</strong> auch Arbeitsformen wie<br />
Wochenplan- und Freiarbeit.<br />
Eine in fast je<strong>der</strong> <strong>Schule</strong> praktizierte<br />
Form <strong>der</strong> Integration von <strong>Bewegung</strong> in<br />
den Unterricht sind die <strong>Bewegung</strong>spause<br />
o<strong>der</strong> auch tägliche <strong>Bewegung</strong>szeiten,<br />
die den Unterricht mit gezielten <strong>Bewegung</strong>sübungen<br />
zur Wie<strong>der</strong>herstellung<br />
<strong>der</strong> Konzentrationsfähigkeit unterbrechen.<br />
Im Verständnis vieler Lehrer*innen<br />
handelt es sich meist um eine „bewegte<br />
Auszeit“, zu <strong>der</strong> Entspannungspausen<br />
bzw. Entspannungsphasen (z. B.<br />
Yoga-Übungen; Phantasiereisen, Stilleübungen),<br />
<strong>Bewegung</strong>sspiele (z. B. Jonglieren),<br />
Gymnastik (auch Finger- und<br />
Kompensation von Aufmerksamkeitsdefiziten.<br />
Während es sich bei den zuvor erläuterten<br />
Formen <strong>der</strong> <strong>Bewegung</strong>spause um<br />
mehr o<strong>der</strong> weniger von <strong>der</strong> Lehrkraft verordnete<br />
Pausen handelt, sind mit selbst<br />
initiierten <strong>Bewegung</strong>sphasen solche gemeint,<br />
über die das Kind selbst entscheidet.<br />
Hierbei ist noch einmal zu unterscheiden<br />
zwischen selbst initiierten Phasen<br />
in einem mehr o<strong>der</strong> weniger stark<br />
von <strong>der</strong> Lehrkraft angeleiteten und einem<br />
eher durch offene Organisationsformen<br />
gekennzeichneten Unterricht. In einem<br />
von <strong>der</strong> Lehrkraft angeleiteten Unterricht<br />
bestehen zusätzlich zu den angeleiteten<br />
„Das Kind erfährt (…) die Welt nicht nur durch seinen<br />
Kopf, son<strong>der</strong>n über seine <strong>Bewegung</strong> und die Sinne;<br />
sein Leben geht zunächst vor allem in motorischen<br />
Formen vor sich.“ (Liechti 2000)<br />
Handgymnastik), aber auch das Spielen<br />
o<strong>der</strong> das einfache Rennen auf dem<br />
Schulhof gehören. <strong>Bewegung</strong>spausen<br />
werden eingesetzt, wenn die Lehrer*innen<br />
merken, dass die Kin<strong>der</strong> unruhig<br />
und unkonzentriert werden und somit<br />
nicht mehr aufmerksam zuhören bzw.<br />
dem Unterricht folgen können. In solchen<br />
Fällen dienen <strong>Bewegung</strong>spausen<br />
dazu, dass die Kin<strong>der</strong> danach wie<strong>der</strong><br />
stillsitzen können. <strong>Bewegung</strong>spausen<br />
haben in diesem Sinn die Funktion <strong>der</strong><br />
<strong>Bewegung</strong>spausen Möglichkeiten, eine<br />
<strong>Bewegung</strong>sphase selbst zu initiieren. Damit<br />
sind Gänge zum Holen und Wegbringen<br />
von Schulmaterial gemeint, <strong>der</strong> Gang<br />
zum Lehrerpult bei einer Stillarbeitsphase,<br />
<strong>der</strong> Toilettengang. Grundsätzlich eine<br />
an<strong>der</strong>e Qualität haben selbst initiierte<br />
<strong>Bewegung</strong>sphasen, wenn sie vom Unterrichts-<br />
und Lernkonzept gefor<strong>der</strong>t werden.<br />
Das können u. U. die gleichen <strong>Bewegung</strong>stätigkeiten<br />
sein, die aber in einem<br />
zu den zuvor beschriebenen Möglichkei-<br />
Fotos 1 bis 3:<br />
Würfel o<strong>der</strong> Halbwalzen,<br />
die entwe<strong>der</strong> aus Styropor<br />
bestehen und mit<br />
Teppichboden überzogen<br />
o<strong>der</strong> aus Holz<br />
gefertigt sind ermöglichen<br />
dynamisches Sitzen<br />
4 GS aktuell 160 • November 2022
Thema: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Foto 4: Deutschunterricht: das szenische<br />
Spiel zur Erschließung von Textaussagen<br />
Foto 5 und 6:<br />
Im naturwissenschaftlichen<br />
Unterricht das<br />
Spüren von naturwissenschaftlichen<br />
Phänomenen (zum<br />
Beispiel „die Kraft<br />
von Luft und<br />
Wasser spüren“<br />
ten gegensätzlichen pädagogischen Konzept<br />
von Unterricht eingebunden sind.<br />
In einem solchen Konzept ist <strong>der</strong> Klassenraum<br />
als Lernlandschaft gestaltet, es<br />
überwiegen Organisations- bzw. Lernformen<br />
wie Stationenlernen, Gruppen-,<br />
Frei- o<strong>der</strong> Wochenplanarbeit. Hier sind<br />
die Schüler*innen auf <strong>Bewegung</strong> angewiesen,<br />
um sich Informationen über Inhalte<br />
und Themen zu besorgen und um<br />
mit den an<strong>der</strong>en Gruppenmitglie<strong>der</strong>n<br />
zu kommunizieren. Solche Lernformen<br />
sind vor allem mit dem reformpädagogischen<br />
Unterrichtskonzept eines individualisierten<br />
Unterrichts verbunden, <strong>der</strong><br />
verstärkt das jeweilige Kind in den Blick<br />
nimmt, das nicht nur einer geistig individuellen<br />
För<strong>der</strong>ung bedarf, son<strong>der</strong>n auch<br />
sozial-emotionale Bedürfnisse mitbringt<br />
und sich zudem körperlich entwickelt.<br />
Ein Wochenplan o<strong>der</strong> auch ein Plan für<br />
die Freiarbeit kann grundsätzlich <strong>Bewegung</strong>saufgaben<br />
beinhalten, die die Schüler*innen<br />
nicht nur zum Bewegen auffor<strong>der</strong>n,<br />
son<strong>der</strong>n auch zur Reflexion, indem<br />
sie den körperlichen Wirkungen solcher<br />
<strong>Bewegung</strong>stätigkeiten nachspüren und<br />
darüber auch nachdenken.. Insofern eröffnen<br />
solche offenen Lernformen den<br />
Schüler*innen eine Individualisierung<br />
ihrer <strong>Bewegung</strong>sbedürfnisse.<br />
Es ist wichtig, dass Schüler*innen gestärkt<br />
werden sollen, sich ihrer Lernumgebung<br />
in ihrem Klassenraum möglichst<br />
selbsttätig zuzuwenden. Dafür ist<br />
eine vielfältige und anregend gestaltete<br />
und räumlich strukturierte Lernumgebung<br />
notwendig. Von dieser Grundeinstellung<br />
ausgehend haben Hildebrandt-<br />
Stramann (1999, 2007) und Sobczyk und<br />
Landau (2003) mobiles Sitz- und Tischinventar<br />
entwickelt, das als Bausatz Lehrer*innen<br />
und Schüler*innen eine aktive<br />
Raumgestaltung und eine bewegte Inszenierung<br />
von Unterricht ermöglichen.<br />
Die Stühle werden durch bewegliche<br />
Sitzelemente ergänzt bzw. ersetzt. Diese<br />
Sitzelemente sind Würfel o<strong>der</strong> Halbwalzen,<br />
die entwe<strong>der</strong> aus Styropor bestehen<br />
und mit Teppichboden überzogen<br />
(Foto 1) o<strong>der</strong> aus Holz gefertigt sind<br />
(siehe Foto 2). Sie erlauben den Kin<strong>der</strong>n,<br />
unterschiedliche Arbeitshaltungen<br />
während des Unterrichts einzunehmen<br />
(dynamisches Sitzen; Foto 3) und<br />
sich an <strong>der</strong> aktiven Gestaltung und Inszenierung<br />
des Unterrichts zu beteiligen.<br />
So kann man mit diesen Sitzelementen<br />
Gruppentischsitzordnungen für arbeitsgleiche<br />
und arbeitsteilige Gruppenprozesse<br />
ohne Lärm und größeren Zeitverlust<br />
einrichten. Damit wird werkstattähnliches<br />
Arbeiten auf <strong>der</strong> Grundlage<br />
interessenorientierter Differenzierung<br />
und ein Arbeiten in projektorientierten<br />
Bezügen unterstützt.<br />
Zu dieser lernbegleitenden Funktion<br />
von <strong>Bewegung</strong> liegen mittlerweile einige<br />
empirische Untersuchungsergebnisse<br />
vor, die ein uneinheitliches Bild<br />
zeigen: Einige Untersuchungen kommen<br />
zu dem Ergebnis, dass Kin<strong>der</strong>, die<br />
an einem <strong>der</strong>artig bewegten Unterricht<br />
teilnehmen, eine deutlich bessere Konzentrationsfähigkeit<br />
aufweisen als Kin<strong>der</strong><br />
ohne <strong>Bewegung</strong>sakzentuierung im<br />
Unterricht. Früauf, Ruedl, Kirschner,<br />
Schott und Kopp (2016) weisen darauf<br />
hin, dass es neurophysiologische Belege<br />
für einen Zusammenhang zwischen<br />
körperlichen und kognitiven Fähigkeiten<br />
gibt, sie erklären aber auch explizit,<br />
dass die Datenlage noch zu gering ist,<br />
um „eindeutig kausale Schlussfolgerungen<br />
ziehen zu können“ (10).<br />
Das Lernen durch <strong>Bewegung</strong> hat<br />
eine lernerschließende Funktion. Die<br />
Intention dabei ist, dass Schüler*innen<br />
sich durch <strong>Bewegung</strong>shandlungen ein<br />
Lernthema erschließen, dabei etwas erkennen,<br />
erfahren, leibhaftig spüren und<br />
eventuell auch besser verstehen. In <strong>der</strong><br />
Konzepte des Bewegten Lernens gehen von <strong>der</strong><br />
Grundannahme aus, dass Kin<strong>der</strong> mit umso stärkerer<br />
innerer Beteiligung und Bereitschaft lernen wollen,<br />
je intensiver die <strong>Schule</strong> als Lebens- und Lernort auf ihre<br />
Lebensbedürfnisse eingeht.<br />
Regel finden wir diese Ebene des Bewegten<br />
Lernens in fächerübergreifenden<br />
Lernzusammenhängen. Beispiele hierfür<br />
sind im Deutschunterricht das szenische<br />
Spiel zur Erschließung von Textaussagen<br />
(Hildebrandt-Stramann u. a.<br />
2017; Foto 4), im naturwissenschaftlichen<br />
Unterricht das Spüren von naturwissenschaftlichen<br />
Phänomenen (zum<br />
Beispiel „die Kraft von Luft und Wasser<br />
spüren“, Foto 5 und 6), im Sach- und<br />
Sportunterricht das Lernen über körperinterne<br />
Vorgänge am Beispiel von Körper-<br />
und Haltungsthemen o<strong>der</strong> in Verbindung<br />
mit dem Mathematikunterricht<br />
„das Üben und Vertiefen <strong>der</strong> Zahlreihe<br />
und des Zehnersystems“ (Hildebrandt-<br />
Stramann 1999, 76-84; Foto 7) o<strong>der</strong> die<br />
Einführung in die „Symmetrieachse“<br />
(Foto 8).<br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
5
Thema: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Foto 7: Zahlreihe des<br />
Zehnersystems mit<br />
großen Würfeln aufbauen<br />
Die zuvor genannte Einrichtung eines<br />
mobilen Klassenzimmers mit mobilen<br />
Sitzelementen sollte immer in Verbindung<br />
mit einer Projekt- und Erfahrungsphase<br />
passieren, in <strong>der</strong> es um<br />
Körper- und Haltungsthemen geht, die<br />
den Körper beim Lernen grundsätzlich<br />
als Verbündeten betrachten. Damit die<br />
Schüler*innen den Sinn solcher Verän<strong>der</strong>ungen<br />
verstehen, ist es notwendig,<br />
in einem ersten Projektschritt im Sinne<br />
eines forschenden Lernens ihre Aufmerksamkeit<br />
auf das Sitzen zu zentrieren.<br />
Dabei stellen sie fest, dass sie während<br />
einer Unterrichtsstunde schon auf<br />
dem Stuhl mehrere Sitzvarianten einnehmen.<br />
In <strong>der</strong> Folge kann man dann<br />
mit den Schüler*innen anhand <strong>der</strong> mobilen<br />
Sitzmöbel das „dynamische Sitzen“<br />
auch aus einer physiologischen Sicht<br />
thematisieren. Dazu gehören solche<br />
Themen wie „Meine Stuhllehne ist weg<br />
– wie halte ich mich?“, „Mein Rücken ist<br />
meine Lehne“, „Sich anspannen und entspannen“<br />
und „Sich auf einer Halbwalze<br />
im Gleichgewicht halten“. 1<br />
Allerdings liegen zu dieser lernerschließenden<br />
Funktion von <strong>Bewegung</strong> bisher<br />
wenig empirisch gesicherte Erkenntnisse<br />
vor, ob die o. g. Lernansprüche auch<br />
wirklich erreicht werden. Gleichwohl gibt<br />
es für die Verbindung von Lernen und<br />
Sich-Bewegen verschiedene lerntheoretische,<br />
leibanthropologische und neurobiologische<br />
Erklärungen, die insgesamt weniger<br />
auf Wirkungsannahmen ausgerichtet<br />
sind, son<strong>der</strong>n mehr von <strong>der</strong> Grundannahme<br />
ganzheitlichen Lernens und einer<br />
damit verbundenen För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Lernbereitschaft<br />
ausgehen. 2 Durch das Sammeln<br />
von sinnlich-leibhaftigen Eindrücken<br />
werden zum Beispiel Einsichten in<br />
physikalische Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten<br />
o<strong>der</strong> literarische Aussagen so<br />
vorbereitet, dass sie später auch mit Leben<br />
gefüllt werden können.<br />
Gelingensbedingungen für einen<br />
Unterricht mit bewegtem Lernen<br />
Foto 8: In die Spiegelsymmetrie bewegt einführen<br />
Ich bezeichne die konsequente Berücksichtigung<br />
<strong>der</strong> <strong>Bewegung</strong> bei <strong>der</strong><br />
Gestaltung und Realisierung von Lehr-<br />
Lern-Prozessen auch als Lehrkunst. Eine<br />
wichtige Frage ist die nach den Voraussetzungen,<br />
unter denen sich die Lehrkunst<br />
so entfalten kann, dass es zu solchen<br />
eigenaktiven und bewegungsbezogen<br />
Lernprozessen kommt. Ein<br />
Lernen mit und durch <strong>Bewegung</strong><br />
gelingt, wenn körperlich bedeutsame<br />
Erfahrungen identifiziert werden, die,<br />
wie zum Beispiel das Problem des Sitzens,<br />
das Problem des Sich-Bewegens<br />
gegen Wi<strong>der</strong>stand beim Erspüren <strong>der</strong><br />
Kraft von Wind und Wasser, das Problem<br />
<strong>der</strong> Achsensymmetrie bei <strong>der</strong> genau<br />
gegengleich laufenden Spiegelung <strong>der</strong><br />
<strong>Bewegung</strong> o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Mitteilung beim<br />
szenischen Spiel o<strong>der</strong> dem <strong>Bewegung</strong>s-<br />
6 GS aktuell 160 • November 2022
Thema: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
theater, zum Anlass für Experimente,<br />
Untersuchungen, spielerische Aktionen<br />
und vertiefende Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />
genommen werden. Ein solches Lernen<br />
gelingt, wenn Lehrkräfte Fachleute für<br />
<strong>Bewegung</strong> und Sachunterricht, Mathematik,<br />
Deutsch o<strong>der</strong> Religion o<strong>der</strong><br />
an<strong>der</strong>e Fächer sind und das Thema von<br />
daher aus <strong>der</strong> <strong>Bewegung</strong>sperspektive<br />
erfassen und strukturieren können. Es<br />
gelingt nicht, wenn die <strong>Bewegung</strong> nur<br />
als bloße Beschäftigung eingebracht<br />
wird und nicht in einer erkenntnisför<strong>der</strong>nden<br />
Weise funktioniert, son<strong>der</strong>n<br />
lediglich als Pause, Lückenbüßer,<br />
Erfrischung dient. Rituale und<br />
<strong>Bewegung</strong> im Unterricht schaffen eine<br />
gute Ausgangslage für den Unterricht<br />
durch Orientierung und Entspannung,<br />
sie haben aber einen an<strong>der</strong>en Schwerpunkt<br />
als „bewegtes Lernen“, das im leiblichen<br />
Begreifen <strong>der</strong> Welt besteht und<br />
das sich symbolisch ausdrückt in Einsichten,<br />
Erfahrungen und Begriffen.<br />
Anmerkungen<br />
1<br />
) Detaillierte inhaltliche Beschreibungen<br />
des Projektverlaufs vgl. Hildebrandt-Stramann<br />
(1999, 44-74).<br />
2<br />
) Entsprechende Aussagen liegen auch von<br />
Grundschullehrer*innen vor, die im Rahmen<br />
einer repräsentativen, qualitativen Studie<br />
über <strong>Bewegung</strong>, Spiel und Sport in <strong>der</strong><br />
Ganztags(grund)schule erhoben wurden<br />
(vgl. Hildebrandt-Stramann 2014, 469-486).<br />
Literatur<br />
Bettelheim, B. (1983): Die Geburt des Selbst.<br />
Frankfurt: Fischer.<br />
Fauser, P./Prenzel, M./Schratz, M. (2009):<br />
Was für <strong>Schule</strong>n! Wie gute <strong>Schule</strong> gemacht<br />
wird – Werkzeuge exzellenter Praxis.<br />
Seelze-Velber: Friedrich.<br />
Fauser, P. (2010): Was gute <strong>Schule</strong>n auszeichnet?<br />
Bildung, Lernen und Ganztagsschule aus<br />
<strong>der</strong> Sicht des Deutschen Schulpreises. In:<br />
Böcker, P./Laging, R. (Hrsg.): <strong>Bewegung</strong>,<br />
Spiel und Sport in <strong>der</strong> Ganztagsschule.<br />
Baltmannsweiler: Schnei<strong>der</strong>, 15-40.<br />
Frühauf, A./Ruedl, G./Kürschner, W./Schott,<br />
N./Kopp, M. (2016): Körperliche Aktivität<br />
und kognitive Fähigkeiten. In: <strong>Bewegung</strong><br />
und Sport, 70 Jg., H. 4, 5-11.<br />
Hildebrandt-Stramann, R. (1999): Bewegte<br />
Schulkultur. <strong>Schule</strong>ntwicklung in <strong>Bewegung</strong>.<br />
Butzbach-Griedel: Afra.<br />
Hildebrandt-Stramann, R. (Hrsg.) (2007):<br />
Bewegte <strong>Schule</strong> – <strong>Schule</strong> bewegt gestalten.<br />
Baltmannsweiler: Schnei<strong>der</strong>.<br />
Hildebrandt-Stramann, R. (2010): Mit<br />
<strong>Bewegung</strong> die Welt erschließen. In: Laging,<br />
R. (Hrsg.): <strong>Bewegung</strong> vermitteln, erfahren<br />
und lernen. Festschrift anlässlich <strong>der</strong><br />
Emeritierung von Jürgen Funke-Wieneke.<br />
Baltmannsweiler: Schnei<strong>der</strong>, 233-246.<br />
Hildebrandt-Stramann, R. (2014): <strong>Bewegung</strong><br />
und Lernen im Unterricht von Ganztagsschulen.<br />
In: Hildebrandt-Stramann, R./<br />
Laging, R./Teubner, J. (Hrsg.): <strong>Bewegung</strong><br />
und Sport in <strong>der</strong> Ganztagsschule.<br />
Baltmannsweiler: Schnei<strong>der</strong>, 464-491.<br />
Hildebrandt-Stramann, R./Beckmann, H./<br />
Neumann, D./Probst, A./Wichmann, K.<br />
(2017): Bewegtes Lernen. Theoretische<br />
Grundlagen und reflektierte Unterrichtsbeispiele.<br />
Baltmannsweiler: Schnei<strong>der</strong>.<br />
Liechti, M. (2000): Erfahrung am eigenen<br />
Leibe. Taktil-kinästhetische Sinneserfahrung<br />
als Prozess des Weltbegreifens. Heidelberg:<br />
Edition S.<br />
Piaget, J. (1973): Das Erwachen <strong>der</strong> Intelligenz<br />
beim Kinde. Stuttgart: Klett-Cotta.<br />
Sobczyk, B./Landau, G. (2003): Das mobile<br />
Klassenzimmer. Immenhausen bei Kassel:<br />
Prolog.<br />
Spitz, R. (1969): Vom Säugling zum<br />
Kleinkind. Stuttgart: Klett-Cotta.<br />
„<strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> – Lesenswertes“<br />
Grundschulverband:<br />
Beiträge zur Reform <strong>der</strong> Grundschule Band 150<br />
KINDER LERNEN ZUKUNFT Anfor<strong>der</strong>ungen und tragfähige<br />
Grundlagen<br />
– Dr. Andrea Probst, Tragfähige Grundlagen: <strong>Bewegung</strong> und<br />
Sport, S. 241<br />
– Herke Alberts, Sport und <strong>Bewegung</strong> in offenen Ganztagsschulen,<br />
S. 251<br />
– Viktoria Markmann, <strong>Bewegung</strong>serfahrungen sammeln und<br />
seinen Körper kennenlernen, S. 262<br />
Beiträge zur Reform <strong>der</strong> Grundschule Band 151<br />
KINDER LERNEN ZUKUNFT Über die Fächer hinaus<br />
Stephan Riegger, Gesunde <strong>Schule</strong>. Möglichkeiten <strong>der</strong> Gesundheitsför<strong>der</strong>ung<br />
durch Neugestaltung <strong>der</strong> Schulhöfe, S. 47<br />
Bundesministerium für Gesundheit:<br />
Broschüre zum Herunterladen: https://t1p.de/BMfG-bewegung<br />
Links zum Thema aus <strong>der</strong> Broschüre<br />
– https://deutsches-schulportal.de/konzepte/bewegte-schulekonzentration-durch-springen-rennen-kraefte-messen/<br />
– www.thedailymile.de/schulen/<br />
– www.in-form.de/wissen/bewegung-in-kita-und-schule/<br />
– www.grundgesund.bzga.de/fuer-fachkraefte/<br />
kin<strong>der</strong>-jugendgesundheit/kin<strong>der</strong>-in-bewegung/<br />
mehr-bewegung-in-<strong>der</strong>-schule/<br />
– www.dguv-lug.de/primarstufe/bewegteschule/bewegte-pause/<br />
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung<br />
Unterricht in <strong>Bewegung</strong><br />
Materialien für die Grundschule (1.–4. Klasse) zur Unterstützung<br />
von Lehrerinnen und Lehrern, <strong>Bewegung</strong> gezielt im Unterricht<br />
einzusetzen.<br />
Die Publikation möchte Lehrerinnen und Lehrer <strong>der</strong> Grundschule<br />
dabei unterstützen, mehr <strong>Bewegung</strong> in <strong>Schule</strong> und<br />
Unterricht zu bringen.<br />
Deutsche gesetzliche Unfallversicherung DGUV<br />
… die für die Primarstufe Informationen zu Themen<br />
anbietet wie:<br />
– Bleib in Balance<br />
– <strong>Bewegung</strong>sdetektive<br />
– Ringen und Kämpfen können<br />
– Bewegte Pause<br />
GVG Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und<br />
-gestaltung e. V.<br />
Praxisdatenbank (geför<strong>der</strong>t durch das Bundesministerium<br />
für Gesundheit)<br />
Beispiele aus Regionen unterschiedlicher Bundeslän<strong>der</strong>, die sich<br />
2017 an einem Ideenwettbewerb beteiligt hatten.<br />
https://ideenwettbewerb.gvg.org/praxisdatenbankverhaeltnispraevention/<br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
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Thema: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Hermann Städtler<br />
Ressourcen schöpfen,<br />
Potenziale entfalten<br />
Wie bewegendes Lernen gelingt<br />
<strong>Bewegung</strong> ist für die physische, psychische, soziale und kognitive Entwicklung von<br />
Kin<strong>der</strong>n essenziell. Gleichwohl klebt <strong>der</strong> Unterricht weiterhin am Stuhl. Wie sehr<br />
sich das Lehr- und Lernklima än<strong>der</strong>n können, wenn <strong>Bewegung</strong> als Ressource erkannt<br />
und genutzt wird, das zeigt das Beispiel <strong>der</strong> „Bewegten, gesunden <strong>Schule</strong>“.<br />
Die jüngsten <strong>Schule</strong>ingangsuntersuchungen<br />
lassen aufschrecken:<br />
Nach nahezu drei Jahren Pandemie<br />
haben viele Kin<strong>der</strong> sprachliche,<br />
motorische und sozial-kognitive Entwicklungsverzögerungen.<br />
Auch fallen<br />
immer mehr Kin<strong>der</strong> mit Gesundheitsbeeinträchtigungen<br />
auf. Die Zahl <strong>der</strong><br />
Mädchen und Jungen mit Übergewicht,<br />
Adipositas o<strong>der</strong> seelischen Nöten und<br />
Ängsten steigt.<br />
Der Blick auf die Lehrkräfte ist nicht<br />
min<strong>der</strong> besorgniserregend. Der Berufsstand<br />
hat neben Polizist*innen und Pflegekräften<br />
die höchste Burn-out-Quote<br />
überhaupt. Nur ein kleiner Teil <strong>der</strong> Lehrerschaft<br />
fühlt sich rundum gesund. Zu<br />
den häufigsten Erkrankungen unter Lehrer*innen<br />
zählen Depressionen, Burn-out<br />
und Anpassungsstörungen. Viele erleben<br />
nicht mehr ausreichend Selbstwirksamkeit.<br />
Sie haben das Gefühl, sich schützen<br />
zu müssen, um gesund zu bleiben.<br />
<strong>Bewegung</strong>sverführungen für<br />
spontanes Tun<br />
Eine gute <strong>Schule</strong> braucht Lehrende,<br />
die sich gesund fühlen. Nur wenn Erwachsene<br />
stark sind, werden Heranwachsende<br />
stark. Auch möchte niemand<br />
eine <strong>Schule</strong>, die zentrale Ressourcen von<br />
Kin<strong>der</strong>n und Lehrkräften außer Acht<br />
lässt. Und doch wird das Gesundheits-,<br />
Entwicklungs- und Lernpotenzial, das in<br />
<strong>der</strong> <strong>Bewegung</strong> steckt, bis heute an vielen<br />
Bildungseinrichtungen nicht annähernd<br />
genutzt. So lernen Kin<strong>der</strong> während ihrer<br />
Grundschulzeit rund 6800 Stunden im<br />
Sitzen. In weiterführenden <strong>Schule</strong>n liegt<br />
die bewegungsfeindliche Zeitspanne<br />
noch höher. Selbst die Ganztagsschulen<br />
erhöhen nicht selten das <strong>Bewegung</strong>sdefizit,<br />
indem <strong>der</strong> „sitzende Lebensstil“<br />
<strong>der</strong> Heranwachsenden unbedacht in den<br />
Nachmittag verlängert wird.<br />
Mit Blick auf die eingangs genannten<br />
Befunde müssen wir heute mehr denn<br />
je die gesundheitliche Perspektive ernst<br />
nehmen. Es gilt, <strong>Schule</strong> so zu gestalten,<br />
dass Gesundheit entstehen kann. Dabei<br />
hilft das Konzept <strong>der</strong> Bewegten <strong>Schule</strong>.<br />
Ausgehend von <strong>der</strong> WHO-Definition,<br />
wonach Gesundheit ein Zustand des<br />
vollständigen körperlichen, geistigen<br />
und sozialen Wohlbefindens ist, wird<br />
solch ein Wohlbefinden auch als wichtige<br />
Voraussetzung für angstfreies und effektives<br />
Lernen verstanden. Selbst wenn<br />
zur Entwicklung des Wohlbefindens in<br />
Wir brauchen heute den Mut, Routinen in Frage zu<br />
stellen und stärker out of the box zu denken.<br />
Die Kin<strong>der</strong> von heute haben womöglich mehr körperliche<br />
Nachteile als je zuvor. Doch sie sind lernoffen und<br />
begeisterungsfähig wie eh und je.<br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong> weitere kognitive und emotionale<br />
Einflussfaktoren zählen, wie<br />
positive Beziehungen zu Lehrpersonen,<br />
Mitschüler*innen, eine gute Unterrichtsqualität<br />
und <strong>Schule</strong>rfolg, sind <strong>Bewegung</strong>saktivitäten<br />
als natürliche Ressource<br />
beson<strong>der</strong>s wirkungsvoll.<br />
Hier mag ein kurzer persönlicher<br />
Rückblick einen Eindruck vermitteln,<br />
was durch <strong>Bewegung</strong> erreicht werden<br />
kann: In meiner Zeit als Schulleiter kamen<br />
Kin<strong>der</strong> aus 28 Nationen in unsere<br />
<strong>Schule</strong>, die nicht immer ausreichend<br />
Deutsch sprachen. Über <strong>Bewegung</strong><br />
konnte unser Kollegium die Schüler*innen<br />
sofort beteiligen – und zwar alle.<br />
Auch ließen sich „Unterrichts-Störungen“<br />
mit <strong>Bewegung</strong> gut abfangen. Selbst<br />
hartnäckige Konflikte bekamen wir mit<br />
einer <strong>Bewegung</strong>saufgabe in den Griff –<br />
an einer Kletterwand, an <strong>der</strong> die Konfliktparteien<br />
gemeinsam eine Aufgabe<br />
lösten. <strong>Bewegung</strong> war zentrales Element<br />
bis hin ins Lehrerzimmer, wo ein Trampolin<br />
stand. Die Lehrerzufriedenheit lag<br />
bei 97 Prozent.<br />
<strong>Bewegung</strong> ermöglichen,<br />
nicht machen<br />
<strong>Bewegung</strong> als Ressource im Schulalltag<br />
zu begreifen, heißt weniger „<strong>Bewegung</strong><br />
machen“ als vielmehr „<strong>Bewegung</strong><br />
ermöglichen“. Lei<strong>der</strong> wird das Konzept<br />
<strong>der</strong> „Bewegten, gesunden <strong>Schule</strong>“ oft<br />
missverstanden als kompensatorisches<br />
sportives Rezept gegen die Folgen des<br />
Sitzens. In solchen Fällen führt es die<br />
8 GS aktuell 160 • November 2022
Thema: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Hermann Städtler<br />
leitete 26 Jahre lang die Fridtjof-Nansen-<strong>Schule</strong><br />
in Hannover. Die „Brennpunkt-Grundschule“<br />
gewann unter<br />
an<strong>der</strong>em den Deutschen Präventionspreis<br />
und den Integrationspreis des<br />
DFB. Bis heute leitet <strong>der</strong> Sportpädagoge<br />
im Auftrag des nie<strong>der</strong>sächsischen<br />
Kultusministeriums das Programm <strong>der</strong><br />
„Bewegten, gesunden <strong>Schule</strong>“.<br />
ermüdenden verkündungsorientierten<br />
Unterrichtsformen unbeabsichtigt<br />
weiter. Immer, wenn die Schüler den<br />
Sitz-Unterricht nicht mehr aushalten,<br />
werden belebende <strong>Bewegung</strong>shäppchen<br />
eingesetzt. Selbst wenn solche<br />
<strong>Bewegung</strong>seinheiten kurzfristig entlasten<br />
können, so ist doch entscheidend,<br />
<strong>Bewegung</strong> nicht nur auf den kompensatorischen<br />
Effekt zu reduzieren.<br />
Denn ein <strong>der</strong>art funktioneller Einsatz<br />
von <strong>Bewegung</strong> entspricht nicht den<br />
Aneignungsmechanismen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>:<br />
Sie brauchen <strong>Bewegung</strong> weniger<br />
als Ausgleich, son<strong>der</strong>n eher als Lernressource.<br />
Wie kommt man nun also zu einer bewegten<br />
<strong>Schule</strong>, die <strong>Bewegung</strong> als Entwicklungs-<br />
und Lernpotenzial nutzt? Die<br />
gute Nachricht: Man muss sich nicht<br />
vollkommen neu erfinden. <strong>Schule</strong>ntwicklung<br />
darf gerade in diesen<br />
Drei Handlungsfel<strong>der</strong><br />
greifen<br />
ineinan<strong>der</strong> und<br />
bewegen das<br />
Ganze.<br />
Zeiten nicht zu einer weiteren Belastung<br />
des Kollegiums werden. Es reicht aus,<br />
sich zunächst <strong>der</strong> eigenen Stärken zu vergewissern.<br />
Dabei definiert das Konzept<br />
<strong>der</strong> „Bewegten, gesunden <strong>Schule</strong>“ drei<br />
Handlungsfel<strong>der</strong>, in die alle Aktivitäten<br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong> eingeordnet werden können<br />
und die wechselseitig aufeinan<strong>der</strong> wirken.<br />
● „Lern- und Lebensraum <strong>Schule</strong>“<br />
(Wie können die Rahmenbedingungen<br />
einer <strong>Schule</strong> – Innen- und Außenräume<br />
– dazu beitragen, <strong>Bewegung</strong> zuzulassen,<br />
zu for<strong>der</strong>n und zu för<strong>der</strong>n?)<br />
● „Lehren und Lernen“ (Wie können<br />
Lernprozesse durch bewegende Impulse<br />
motivieren<strong>der</strong> und wirkungsvoller<br />
gelingen?)<br />
● „<strong>Schule</strong> steuern und organisieren“<br />
(Wie lassen sich för<strong>der</strong>liche Bedingungen<br />
für eine bewegte <strong>Schule</strong> in die<br />
Schulorganisation einbinden?)<br />
Da diese drei Handlungsfel<strong>der</strong> wie<br />
Zahnrä<strong>der</strong> ineinan<strong>der</strong>greifen, können<br />
schon Verän<strong>der</strong>ungen an einem<br />
„Zahn“ das Ganze mitbewegen. So<br />
kann man beispielsweise zunächst die<br />
Innen- und Außenräume unter die<br />
Lupe nehmen und sich fragen: Ist es<br />
eine Umgebung, die die natürliche, im<br />
Menschen angelegte <strong>Bewegung</strong>sfreude<br />
unterstützt? Gibt es beispielsweise in<br />
Klassenräumen auch Stehtische und ergonomische<br />
Sitzgelegenheiten und dürfen<br />
Kin<strong>der</strong>, die auf ihren Stühlen herumrutschen,<br />
eine Weile still durchs Zimmer<br />
wandeln? Wie sieht es im Flur aus? Ist es<br />
ein Gang mit Klei<strong>der</strong>haken o<strong>der</strong> gibt es<br />
dort auch <strong>Bewegung</strong>sverführungen wie<br />
Hangelgelegenheiten o<strong>der</strong> eine Boul<strong>der</strong>wand?<br />
Und nicht zuletzt <strong>der</strong> Pausenhof:<br />
Ist er eine Erkundungsfläche mit <strong>Bewegung</strong>sanreizen<br />
o<strong>der</strong> erinnert er an<br />
den Parkplatz eines Supermarkts?<br />
Innerer Raum für<br />
<strong>Bewegung</strong><br />
Raum für <strong>Bewegung</strong> wird<br />
sich an einer bewegten<br />
<strong>Schule</strong> auch in <strong>der</strong> inneren<br />
Haltung <strong>der</strong> Lehrenden wi<strong>der</strong>spiegeln.<br />
Statt „Unterrichten<br />
müssen“ und „Betreuen müssen“<br />
geht es vielmehr um Lernbegleitung,<br />
Wertschätzung und<br />
soziale Nähe. Eine von solchen<br />
Werten getragene Kultur lässt sich<br />
nicht planen, sie ist das Ergebnis<br />
einer Haltung. Und solch eine aus <strong>der</strong><br />
Haltung erwachsende Schulkultur wirkt<br />
wie<strong>der</strong>um entscheidend aufs Lernklima<br />
ein. Die Hirnforschung hat gezeigt, wie<br />
sehr wir Menschen immer das Ganze<br />
abspeichern. Lernen, Gedächtnis und<br />
Emotionen sind im limbischen System<br />
eng verknüpft. Jede*r, die o<strong>der</strong> <strong>der</strong> an<br />
einer <strong>Schule</strong> unglücklich war, erinnert<br />
noch als Erwachsener ihren Geruch.<br />
Ein ganz wesentlicher Punkt für bewegendes<br />
Lernen ist schließlich <strong>der</strong><br />
Faktor Zeit: Noch folgen viele <strong>Schule</strong>n<br />
linearen Zeitkonzepten, in denen Schüler<br />
zum Empfänger und Lehrkräfte zum<br />
Verkün<strong>der</strong> von Informationen werden.<br />
<strong>Schule</strong>n mit verän<strong>der</strong>ten Zeitstrukturen<br />
gehen indes von den Ressourcen <strong>der</strong><br />
Schüler und ihrer Lehrkräfte aus. Sie akzeptieren<br />
die „Eigenzeit“ als Lern- und<br />
Aneignungstakt <strong>der</strong> Individuen und geben<br />
damit Lernprozessen den notwendigen<br />
Raum. Erste Schritte auf dem Weg<br />
zu einer guten Rhythmisierung ist die<br />
Abschaffung des Beschleunigungsdrucks<br />
von Lernprozessen im 45/50-Minuten-<br />
Takt. Stattdessen wird Stoffvermittlung<br />
und -aneignung in längeren Lernzeiten<br />
handlungsbezogen und spannend organisiert.<br />
Dabei gilt es, auch Anspannung<br />
und Entspannung in ein ausgewogenes<br />
Verhältnis zu bringen. Pausen<br />
beispielsweise sind länger als 20 Minuten<br />
und werden nicht mehr als „Erholung<br />
vom Unterricht“, son<strong>der</strong>n als erstklassige<br />
Selbstlernzeiten verstanden. In<br />
solch einem Setting führen Erwachsene<br />
dann nicht „Aufsicht“, son<strong>der</strong>n eher<br />
„Mitsicht“. Sie erleben ihre Schüler*innen<br />
und haben Anknüpfungspunkte für<br />
Beziehung. Warum erlauben wir den Pädagog*innen<br />
dabei nicht, mit einer Tasse<br />
Kaffee über den Hof zu gehen, damit<br />
auch sie sich wohlfühlen?<br />
Wir brauchen heute den Mut, Routinen<br />
in Frage zu stellen und stärker out of<br />
the box zu denken. Die Zeit, zu handeln,<br />
ist gekommen. Die Kin<strong>der</strong> von heute haben<br />
womöglich mehr körperliche Nachteile<br />
als je zuvor. Doch sie sind lernoffen<br />
und begeisterungsfähig wie eh und<br />
je. Nutzen wir also die elementare Sprache<br />
und Ressource, die dem Menschen<br />
gegeben ist: die <strong>Bewegung</strong>.<br />
Noch mehr Infos finden Sie unter<br />
www.bewegteschule.de<br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
9
Thema: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Maresi Lassek, Hans Brügelmann<br />
Bundesjugendspiele – aus <strong>der</strong> Zeit<br />
gefallen und diskriminierend?<br />
Hans Brügelmann (HB): Maresi, als<br />
wir kürzlich mit einigen Kolleg*innen<br />
über Sport und <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
diskutiert haben, plädierte eine von<br />
ihnen dafür, die Bundesjugendspiele<br />
abzuschaffen. Du hast da zu meiner<br />
Überraschung sehr entschieden wi<strong>der</strong>sprochen.<br />
Warum?<br />
Maresi Lassek (ML): Weil für mich<br />
in dem Zusammenhang viele Hintergrundfragen<br />
o<strong>der</strong> Drittfaktoren eine<br />
Rolle spielen. Sport kann als Wettkampf,<br />
Leistungsmessen und in den Kategorien<br />
Gewinner und Verlierer gesehen werden.<br />
Zu (hinter)fragen wäre z. B.: Wird<br />
<strong>der</strong> Wettbewerb als solcher abgelehnt<br />
o<strong>der</strong> sind es die klassischen Disziplinen<br />
o<strong>der</strong> vielleicht die Tatsache, dass<br />
die Übungsmöglichkeiten in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
begrenzt o<strong>der</strong> ungeliebt sind und auf<br />
das Talent o<strong>der</strong> das im Freizeitbereich<br />
Geübte zurückgegriffen werden muss?<br />
HB: Für mich gibt es noch ein weiteres<br />
Problem, dass nämlich –wie<br />
bei Deutsch und Mathematik – für<br />
alle Kin<strong>der</strong> gleiche Ziele zur gleichen<br />
Zeit gesetzt werden. Unabhängig von<br />
den Voraussetzungen und den Lernmöglichkeiten.<br />
Das ist unfair, was die<br />
Leistungsbewertung angeht – und es<br />
schwächt auch die Motivation, sich auf<br />
die Anfor<strong>der</strong>ung, durch Übung besser<br />
zu werden, überhaupt einzulassen.<br />
ML: Richtig, wie in den an<strong>der</strong>en<br />
Fächern – und da ist <strong>der</strong> ästhetische<br />
Bereich keineswegs ausgenommen –<br />
können niemals alle die gleichen Ziele<br />
und schon gar nicht zur gleichen Zeit<br />
erreichen. Unbedingt muss man sich<br />
über grundlegende Ziele verständigen,<br />
aber mit <strong>der</strong> Klarheit: Kin<strong>der</strong> bringen<br />
unterschiedliche Vorerfahrungen mit,<br />
unterschiedliche Talente bzw. Stärken<br />
und Schwächen und unterschiedliche<br />
Arbeitsweisen, die wie<strong>der</strong>um auch von<br />
ihrem jeweiligen Interesse und ihrer<br />
Motivation abhängen. Vertrauen in<br />
sich selbst und in das soziale Umfeld<br />
sind weitere Faktoren, über die nachzudenken<br />
wäre. Was bedeutet das für den<br />
Schulsport, die Leistungsmessung dort<br />
und vor allem für Veranstaltungen in<br />
diesem Lernbereich? Und, warum empfinden<br />
manche die Bundesjugendspiele<br />
als beson<strong>der</strong>s ungerecht?<br />
HB: Ich denke, das direkte gegeneinan<strong>der</strong><br />
Laufen und Werfen verschärft<br />
die Konkurrenzerfahrung. Es ist ja nicht<br />
nur das Messen an gleichen Zielen zur<br />
gleichen Zeit, son<strong>der</strong>n die sinnlich<br />
spürbare Erfahrung des „Besser“- o<strong>der</strong><br />
„Schlechter“-Seins. Wie wenn die Lehrerin<br />
die Hefte nach <strong>der</strong> Klassenarbeit<br />
vor allen verteilt und dabei die Noten<br />
laut bekannt gibt.<br />
ML: Konkurrenzerfahrung, Messen,<br />
sinnlich spürbare Erfahrung, ja, das alles<br />
ist beson<strong>der</strong>s sichtbar im sportlichen<br />
Sich-Messen. Der Wettbewerb beim<br />
Sportfest ist frustrierend, wenn nur<br />
<strong>der</strong> Einzelsieg zählt. Bei den Bundesjugendspielen<br />
werden Gesamtpunkte<br />
aus drei Disziplinen errechnet, ein Sieg<br />
in einem Lauf ist nicht das En<strong>der</strong>gebnis.<br />
Das muss für die Kin<strong>der</strong> transparent<br />
gemacht werden. Das Erleben hängt<br />
von Information und von Einstellungen<br />
sowie dem Sozialgefüge ab. Und mal<br />
ehrlich, geschehen diese Erfahrungen<br />
nicht ständig und beson<strong>der</strong>s in pädagogisch<br />
nicht gesteuerten Situationen?<br />
Müssen wir uns nicht genau aus dem<br />
Grund explizit damit auseinan<strong>der</strong>setzen,<br />
was in Pausen, auf Schulwegen<br />
und ausgeprägt im Freizeitbereich im<br />
sozialen Miteinan<strong>der</strong> und in Konfliktsituationen,<br />
aber auch in an<strong>der</strong>en<br />
Fächern abläuft?<br />
Maresi Lassek<br />
ehemalige Schulleiterin in Bremen,<br />
Bundesvorsitzende des Grundschulverbands<br />
bis 2020<br />
Prof. i. R. Dr. Hans Brügelmann<br />
Mitglied im Vorstand <strong>der</strong><br />
GSV-Landesgruppe Bremen<br />
HB: Das sind in <strong>der</strong> Tat wichtige Fragen.<br />
Deine Beispiele zeigen, wie stark<br />
die Wirkung pädagogischer o<strong>der</strong> didaktischer<br />
Konzepte von ihrer Umsetzung<br />
abhängt. Ganz wesentlich ist auch hier<br />
wie<strong>der</strong>, wie solche Wettbewerbe durchgeführt<br />
werden. Vor allem kommt es<br />
auf das Klima in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> an, auf den<br />
Umgang miteinan<strong>der</strong> und auf die Art,<br />
wie Leistungen generell gewürdigt werden:<br />
primär im Vergleich mit an<strong>der</strong>en<br />
o<strong>der</strong> bezogen auf die individuellen Fortschritte,<br />
also gemessen an den jeweiligen<br />
Voraussetzungen und Lern- und<br />
Lebensbedingungen. Wird honoriert,<br />
dass ich schneller gelaufen bin als im<br />
Training („persönliche Bestzeit“), o<strong>der</strong><br />
nehmen Lehrerin und Mitschüler*innen<br />
nur den Platz in <strong>der</strong> Rangliste wahr<br />
(„ferner liefen“)?<br />
ML: Wie Kin<strong>der</strong> lernen können, mit<br />
Konkurrenz ohne Verletzungen für sich<br />
und im Miteinan<strong>der</strong> umzugehen, das ist<br />
die Herausfor<strong>der</strong>ung. Sind Konkurrenzerfahrung<br />
und Gemessenwerden<br />
unbedingt zu vermeiden o<strong>der</strong> sind sie<br />
Teil von Stationen in <strong>der</strong> Entwicklung<br />
von Selbstbewusstsein und Toleranz?<br />
HB: Wie du sagst, gibt es im Unterricht<br />
und im Alltag schon so viel Konkurrenz,<br />
da wäre es für die Entwicklung <strong>der</strong><br />
Kin<strong>der</strong> hilfreich, wenn die <strong>Schule</strong> auch<br />
Räume anbieten bzw. sichern könnte,<br />
in denen es nicht darauf ankommt,<br />
besser zu sein als an<strong>der</strong>e, son<strong>der</strong>n wo<br />
10 GS aktuell 160 • November 2022
Thema: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Kin<strong>der</strong> ihre Möglichkeiten in <strong>der</strong> Breite<br />
ohne Versagensangst erproben und<br />
entwickeln können. Wer beson<strong>der</strong>e<br />
Talente hat, kann sich dann auf eigenen<br />
Wunsch mit an<strong>der</strong>en im Wettkampf<br />
messen. In an<strong>der</strong>en Fächern ist die Teilnahme<br />
an Wettbewerben ja auch freiwillig.<br />
An Lese-, Mathe- o<strong>der</strong> Musik-<br />
Wettbewerben nehmen ja auch nur die<br />
teil, die sich in diesen Bereichen als<br />
beson<strong>der</strong>s leistungsstark erleben. Vielleicht<br />
könnte man trennen zwischen <strong>der</strong><br />
Anfor<strong>der</strong>ung, in einer vorgegebenen<br />
Breite verschiedener Sportarten Grun<strong>der</strong>fahrungen<br />
zu machen, die nicht vergleichend<br />
bewertet werden, und sich in<br />
selbst gewählten Bereichen Leistungsprüfungen<br />
zu stellen.<br />
ML: Mit Grun<strong>der</strong>fahrungen sprichst<br />
du einen wichtigen Punkt an. Wir müssen<br />
uns vergegenwärtigen, dass die vielfältigen<br />
Aktivitäten des Sports in <strong>der</strong><br />
Grundschule nur in einer kleinen Auswahl<br />
vermittelt werden (können). Es<br />
geht um Elemente von <strong>Bewegung</strong>sabläufen,<br />
die überall umsetzbar und altersgemäß<br />
sind. Dabei haben Ausbildung<br />
und Stärken <strong>der</strong> Sportlehrkraft Einfluss,<br />
genau wie ein häufig fachfremd erteilter<br />
Unterricht. Die sportlichen Aktivitäten<br />
in <strong>der</strong> Familie prägen die Vorliebe<br />
zu einzelnen Sportarten mehr als <strong>der</strong><br />
Unterricht.<br />
Die Geschichte <strong>der</strong> Bundesjugendspiele<br />
beginnt 1951 und geht auf die<br />
Reichsjugendwettkämpfe <strong>der</strong> Weimarer<br />
Republik zurück. In <strong>der</strong> DDR hieß die<br />
entsprechende Veranstaltung Kin<strong>der</strong>und<br />
Jugendspartakiade.<br />
Die Teilnahme <strong>der</strong> Schülerinnen und<br />
Schüler ist laut Kultusministerkonferenz<br />
(Beschluss von 1997) verpflichtend.<br />
Die erzielten Leistungen werden mit<br />
Punkten bewertet, bei entsprechenden<br />
Punktezahlen erhalten die Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer eine Siegerurkunde,<br />
eine Ehrenurkunde o<strong>der</strong> eine Teilnehmerurkunde.<br />
Schülerinnen und Schülern mit und<br />
ohne Behin<strong>der</strong>ung wird ein auf sie zugeschnittenes<br />
Angebot zur gleichberechtigten<br />
Teilnahme an den Bundesjugendspielen<br />
unterbreitet.<br />
HB: Für die „Grun<strong>der</strong>fahrungen“ finde<br />
ich die Idee des „Führerscheins“ hilfreich,<br />
die ja auch in Deutsch und Mathe<br />
zunehmend für das Zertifizieren von<br />
Basiskompetenzen genutzt wird: Es werden<br />
grundlegende Lernziele verbindlich<br />
benannt – z. B. das kleine und das große<br />
Einmaleins o<strong>der</strong> ein Grundwortschatz<br />
an häufigen Funktionswörtern in <strong>der</strong><br />
Rechtschreibung –, aber die Kin<strong>der</strong> melden<br />
sich erst zur Prüfung, wenn sie sich<br />
die Bewältigung dieser Anfor<strong>der</strong>ung<br />
zutrauen. So flexibel wird es ja auch<br />
beim Schwimmen mit „Seepferdchen“<br />
usw. gehandhabt.<br />
ML: Ja, aber neben dieser Grundbildung<br />
hat <strong>der</strong> Lernbereich Sport noch<br />
einen zweiten Auftrag, <strong>der</strong> elementar<br />
für die Gesundheit und Entwicklung<br />
aller Kin<strong>der</strong> ist. Es geht um <strong>Bewegung</strong>,<br />
<strong>Bewegung</strong>sfreude und Ausgleich von<br />
<strong>Bewegung</strong>sdefiziten. Die <strong>Schule</strong> hat<br />
hier – insbeson<strong>der</strong>e mit Blick auf den<br />
Ganztag und auf die sehr geringe Quote<br />
von Kin<strong>der</strong>n aus ärmeren Familien, die<br />
einem Verein angehören – eine verantwortungsvolle<br />
Aufgabe weit über<br />
den Sportunterricht hinaus: Motivation<br />
schaffen, <strong>Bewegung</strong>sfreude auslösen<br />
und Anstrengungsbereitschaft<br />
entwickeln.<br />
Ein Sich-Messen zulassen, um darüber<br />
zu erfahren, dass es unterschiedliche<br />
individuelle Stärken gibt und diese anzuerkennen<br />
sind, wäre dabei ein sozialför<strong>der</strong>liches<br />
Ziel.<br />
Kann mit diesem Ansatz ein Sportfest<br />
nicht ein <strong>Schule</strong>reignis sein, das zur<br />
In Übereinstimmung mit den Rahmenplänen<br />
<strong>der</strong> Primarstufe 1 bis 4 <strong>der</strong> Län<strong>der</strong><br />
soll bei den Bundesjugendspielen<br />
eine sportliche Frühspezialisierung vermieden<br />
werden. Zugleich werden die<br />
Kin<strong>der</strong> systematisch an die drei Grundsportarten<br />
Leichtathletik, Gerätturnen<br />
und Schwimmen herangeführt.<br />
Am bekanntesten ist die Leichtathletikvariante:<br />
– schnell laufen<br />
– weit o<strong>der</strong> hoch springen<br />
– weit werfen<br />
– ausdauernd laufen<br />
Seit 2015 wird über den Sinn und die<br />
Durchführung <strong>der</strong> Bundesjugendspiele<br />
auch in <strong>der</strong> Öffentlichkeit kontrovers<br />
diskutiert.<br />
Was meinen Sie?<br />
Schreiben Sie uns<br />
gerne zu Ihren<br />
Erfahrungen und<br />
Überlegungen an<br />
maresi.lassek@web.de und/o<strong>der</strong><br />
hans.bruegelmann@gmx.de<br />
Gemeinschaftsför<strong>der</strong>ung beiträgt und<br />
<strong>der</strong> Persönlichkeitsentwicklung zuträglich<br />
ist? Wo gerade auch Kin<strong>der</strong>, die in<br />
Deutsch und Mathe Schwierigkeiten haben,<br />
Anerkennung erfahren und auch<br />
mal die Nase vorn haben gegenüber den<br />
sonst immer Leistungsstärkeren. Bundesjugendspiele<br />
als für Kin<strong>der</strong> beschämend<br />
und einen für die Grundschule<br />
ungeeigneten Konkurrenzkampf grundsätzlich<br />
abzulehnen ist mir zu kurz gegriffen.<br />
Der Leistungsvergleich ist ja auch<br />
nicht weg, wenn Qualifizierungsschritte<br />
zu unterschiedlichen Zeiten geprüft werden.<br />
Kin<strong>der</strong> merken, wenn die Freundin<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Freund ein Zertifikat früher<br />
erhält als sie selbst. Lernerfahrungen<br />
dann zu prüfen, wenn sie gemacht sind,<br />
ist unbestritten <strong>der</strong> bessere Weg. Trotzdem<br />
entbindet das nicht davon, dass wir<br />
die tragfähigen Grundlagen für soziales<br />
Miteinan<strong>der</strong>auskommen vermitteln<br />
und stärken müssen: Erfahrungen von<br />
Selbstwirksamkeit, Beteiligung, Verantwortung,<br />
Wertschätzung, Diskursfähigkeit<br />
und Autonomie. Was bietet <strong>Schule</strong><br />
an, damit Kin<strong>der</strong> diese grundlegenden<br />
Erfahrungen entwickeln können – auch<br />
im Sportunterricht? <br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
11
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Renate Zimmer<br />
<strong>Bewegung</strong> und Sprache<br />
Über <strong>Bewegung</strong> Sprachanlässe schaffen<br />
Die Zahl <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>, die beim Eintritt in die Grundschule nicht über ausreichende<br />
Deutschkenntnisse verfügen, nimmt zu. Vor allem Kin<strong>der</strong> mit Migrations-<br />
bzw. Fluchthintergrund bedürfen einerseits <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Aufmerksamkeit<br />
hinsichtlich ihrer Integration in die Klasse, sie benötigen an<strong>der</strong>erseits aber<br />
auch beson<strong>der</strong>e Maßnahmen beim Erwerb <strong>der</strong> deutschen Sprache.<br />
Kin<strong>der</strong> entfalten ihr Sprachpotenzial<br />
im sozialen Kontext,<br />
im Austausch mit an<strong>der</strong>en – mit<br />
Kin<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> Erwachsenen. Sie entwickeln<br />
es aber auch in Handlungszusammenhängen,<br />
die ihnen wichtig<br />
erscheinen, die ihre eigenen Interessen<br />
berühren. Situative, aber auch bewusst<br />
inszenierte <strong>Bewegung</strong>sangebote stellen<br />
solche individuell bedeutsamen Handlungszusammenhänge<br />
dar. Sie bieten<br />
Kin<strong>der</strong>n Anlässe zum Sprechen, zum<br />
Erweitern und Differenzieren ihres<br />
Wortschatzes, zum Hören und Einprägen<br />
von Satzmustern. Eine Spielidee<br />
liefert den Anlass für <strong>Bewegung</strong>shandlungen<br />
wie auch für Sprachhandlungen.<br />
Spiel- und <strong>Bewegung</strong>ssituationen werden<br />
„versprachlicht“. Damit können<br />
Spielhandlungen<br />
Ich werfe<br />
den Ball!<br />
zugleich zu komplexen Sprachlernsituationen<br />
werden.<br />
Durch das Handeln gewonnene Erfahrungen<br />
werden in Verbindung mit<br />
<strong>der</strong> Sprache zu Begriffen. Zeitliche Begriffe<br />
wie „langsam“ und „schnell“,<br />
räumliche Begriffe wie „hoch“ und „tief “<br />
erfahren Kin<strong>der</strong> z. B. in einfachen und<br />
komplexen <strong>Bewegung</strong>shandlungen, die<br />
sie in Raum und Zeit variieren. So erwerben<br />
sie auf <strong>der</strong> semantisch-lexikalischen<br />
Ebene eine Erweiterung des Wortschatzes<br />
und die Voraussetzung für das<br />
Verständnis sprachlicher Klassifizierungen.<br />
Wortschatz und Wortbedeutung<br />
Ich fange<br />
den Ball!<br />
<strong>Bewegung</strong>sspielsituationen bieten ideale<br />
Gelegenheiten für den Aufbau eines<br />
aktiven und passiven Wortschatzes und<br />
auch für das Verständnis von Wortbedeutungen.<br />
Objekten werden<br />
Wörter zugeordnet, im Umgang<br />
mit Objekten und Materialien<br />
können Begriffe erfahren werden,<br />
in <strong>Bewegung</strong>sspielsituationen werden<br />
Begriffskategorien gebildet. Sinnliche<br />
Erfahrungen erweitern den Wortschatz:<br />
Was ist rund, was ist eckig, hart, weich?<br />
Wie viele unterschiedliche Varianten<br />
des Gehens gibt es? Beim Schleichen,<br />
Schlurfen und Stampfen lernen die Kin<strong>der</strong><br />
nicht nur die <strong>Bewegung</strong>squalitäten,<br />
son<strong>der</strong>n auch die dazugehörigen Begriffe<br />
kennen. Sie benennen die Gegenstände,<br />
mit denen sie sich bewegen (Reifen,<br />
Kreisel, Balancierbrett) und ordnen sie<br />
in ein Kategoriensystem ein (zu den<br />
Bällen gehören sowohl Tischtennisbälle,<br />
Wasserbälle als auch Schaumstoffbälle<br />
– obwohl sie ganz unterschiedlich<br />
groß und aus unterschiedlichem Material<br />
sind) und erfinden neue Namen für<br />
<strong>Bewegung</strong>sgeräte (Hüpfball, Sprungball,<br />
Flugball, Riesenball).<br />
In <strong>Bewegung</strong> zu den Regeln<br />
<strong>der</strong> Sprache finden<br />
Auch grammatikalische Regeln können<br />
über <strong>Bewegung</strong> bewusst gemacht und<br />
geübt werden. In Spielsituationen gibt<br />
es Gelegenheiten, in denen die Kin<strong>der</strong><br />
den Plural bilden (Gib mir die Bälle),<br />
die Wortstellung beachten (Ich baue<br />
ein Haus. Ich brauche den Kasten) und<br />
Kausalsätze formulieren: Ich brauche<br />
den Kasten, weil ich ein Haus bauen<br />
will. Die Kin<strong>der</strong> erleben sich als Subjekt<br />
o<strong>der</strong> Objekt, d. h., es wird auf <strong>der</strong><br />
sprachlichen Ebene die Unterscheidung<br />
in aktive und passive Modi vorge nommen:<br />
Im <strong>Bewegung</strong>sspiel fangen sie<br />
die an<strong>der</strong>en o<strong>der</strong> werden gefangen,<br />
sie schieben das Rollbrett o<strong>der</strong> werden<br />
geschoben. <strong>Bewegung</strong> ermöglicht ihnen,<br />
mit Zeit und Geschwindigkeit zu experimentieren,<br />
dabei erleben sie auf sensomotorischer<br />
Ebene die Bildung und<br />
Bedeutung des Komparativs (schnell –<br />
schneller laufen, hoch – höher klettern).<br />
Es gibt Gelegenheiten für den Artikelgebrauch<br />
und für Flexionen <strong>der</strong> Verben<br />
(Ich habe das Haus gebaut). Auch hier<br />
können <strong>Bewegung</strong>sanlässe zu Sprach-<br />
12<br />
GS aktuell 160 • November 2022
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Prof. Dr. Renate Zimmer<br />
Erziehungswissenschaftlerin mit dem<br />
Schwerpunkt Frühe Kindheit und<br />
Professorin für Sportwissenschaft (i. R.)<br />
an <strong>der</strong> Universität Osnabrück. Grün<strong>der</strong>in<br />
und Leiterin des Instituts Bewegte<br />
Kindheit. Autorin von mehr als 70 Fachbüchern<br />
zu den Themen <strong>Bewegung</strong><br />
und Sprache, Psychomotorik, <strong>Bewegung</strong>serziehung,<br />
Bewegtes Lernen,<br />
Sinneswahrnehmung etc.<br />
www.renatezimmer.de<br />
anlässen werden, die auf <strong>der</strong> morphologisch-syntaktischen<br />
Ebene den<br />
Spracherwerb des Kindes unterstützen<br />
(Zimmer 2019).<br />
Die kommunikative<br />
Funktion <strong>der</strong> Sprache<br />
Sprache wird nicht <strong>der</strong> Sprache wegen<br />
erlernt, son<strong>der</strong>n aus einer kommunikativen<br />
Absicht heraus. Sich mit jemandem<br />
verständigen zu können, seine<br />
Wünsche zu entziffern, die eigenen Botschaften<br />
zu übermitteln, mit ihm zu<br />
verhandeln, etwas zu erreichen – das<br />
benötigt ein gemeinsames System. Hier<br />
geht es zunächst einmal nicht um die<br />
grammatikalische Richtigkeit, die Vielfalt<br />
<strong>der</strong> Wörter, es geht vielmehr darum,<br />
dass man sich über Sprache mitteilen,<br />
mit an<strong>der</strong>en kommunizieren kann.<br />
<strong>Bewegung</strong>sspiele erfor<strong>der</strong>n die Absprache<br />
von Regeln, das Verteilen von<br />
Rollen, die Festlegung <strong>der</strong> Spielhandlung.<br />
Fragen und Antworten, Zuhören<br />
und Erklären werden in <strong>der</strong> Spielsituation<br />
geübt.<br />
<strong>Bewegung</strong>s- und<br />
Sprechanlässe schaffen<br />
Ebenso können umgekehrt Sprachhandlungen<br />
zu <strong>Bewegung</strong>sanlässen werden:<br />
Die Beschreibung einer Situation wird<br />
durch Gestik begleitet, ein Rollenspiel<br />
lebt zwar durch die sprachliche Kommunikation<br />
<strong>der</strong> am Spiel Beteiligten, es<br />
wird gleichzeitig aber auch körperlich<br />
inszeniert. So können Spielhandlungen<br />
als komplexe Sprachlernsituationen aufgefasst<br />
werden. Sie schaffen <strong>Bewegung</strong>sund<br />
Sprechanlässe, die dazu beitragen,<br />
das sprachliche und körpersprachliche<br />
Handlungsrepertoire ebenso zu<br />
erweitern wie das <strong>Bewegung</strong>srepertoire.<br />
Zugang zum Kind finden<br />
Bei Kin<strong>der</strong>n, die nicht die deutsche<br />
Sprache sprechen, ist es für die Lehrkraft<br />
beson<strong>der</strong>s wichtig, zunächst einmal<br />
einen Zugang zum Kind zu erhalten.<br />
Oft wirken nonverbale Spielanlässe,<br />
Spiele mit Material und interessanten<br />
Objekten als „Eisbrecher“. Der Ball<br />
ist viel mehr als eine Abbildung in <strong>der</strong><br />
Sprachfibel o<strong>der</strong> auf einem Sprachkärtchen.<br />
Er for<strong>der</strong>t zunächst einmal zum<br />
Handeln auf, erst dann zum Sprechen:<br />
Man kann ihn rollen, werfen, fangen –<br />
<strong>Bewegung</strong>sverben werden im Handeln<br />
erfahren, gleichzeitig werden nicht nur<br />
<strong>der</strong> Wortschatz, son<strong>der</strong>n auch die Wortbedeutung<br />
geübt. Grammatikalische<br />
Regeln werden nebenbei aufgenommen<br />
und prägen sich ein: Ich werfe den Ball,<br />
du wirfst den Ball zurück, <strong>der</strong> Ball wird<br />
gerollt – aktive und passive Formen,<br />
Verbflexionen und Artikelgebrauch –;<br />
so schwierig die deutsche Grammatik<br />
auch scheint, beim Spiel mit dem Ball<br />
wird sie fast „nebenbei“ erfahren. Vor<br />
allem aber ist <strong>der</strong> Ball ein Medium <strong>der</strong><br />
Kommunikation, <strong>der</strong> Beziehungsaufnahme.<br />
Er gibt Anlässe zum Sprechen,<br />
die gemeinsame Aktivität kommt aber<br />
gleichermaßen auch ohne aktive Sprache<br />
aus (Zimmer 2021). Dies ist vor<br />
allem für Kin<strong>der</strong> wichtig, die bisher nur<br />
wenig Kontakt mit <strong>der</strong> deutschen Sprache<br />
hatten, die sich in <strong>der</strong> Gruppe noch<br />
nicht angenommen fühlen, zu denen<br />
erst einmal eine Beziehung aufgebaut<br />
werden muss.<br />
Die korrekte Aussprache, die richtige<br />
Artikelbildung o<strong>der</strong> die Erweiterung<br />
des Wortschatzes sind zunächst einmal<br />
nebensächlich. Je<strong>der</strong> Spracherwerb beginnt<br />
über Vereinfachungen. Und es<br />
gilt, einen Zugang zum Kind zu finden,<br />
und dies gelingt über <strong>Bewegung</strong>sspiele<br />
beson<strong>der</strong>s gut, da sich die Kommunikation<br />
hier erst einmal auf <strong>der</strong> Handlungsebene<br />
ergibt.<br />
Den Blick auf die Ressourcen lenken<br />
<strong>Bewegung</strong>saktivitäten stellen für Kin<strong>der</strong><br />
einen kontextuellen Rahmen dar,<br />
in dem Sprechanlässe geschaffen, Dialoge<br />
angebahnt und Interaktionen aufgebaut<br />
werden können. Dies gelingt<br />
auf <strong>der</strong> nonverbalen Ebene, in <strong>der</strong> aktiven<br />
Spiel- und <strong>Bewegung</strong>ssituation, im<br />
Umgang mit Geräten und Materialien<br />
einfacher als in <strong>der</strong> vor<strong>der</strong>gründig verbal<br />
bestimmten Situation. Die Lehrkraft<br />
kann auf die Fähigkeiten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />
eingehen, ihre individuellen Stärken<br />
hervorheben, sie den Kin<strong>der</strong>n bewusst<br />
machen. Durch das eigene sprachför<strong>der</strong>liche<br />
Verhalten trägt sie dazu bei,<br />
die Sprechfreude zu unterstützen und sie<br />
zur Kommunikation anzuregen.<br />
Eine Sprachbildung, die die körperund<br />
bewegungsorientierte Ebene einbezieht,<br />
bietet die Chance, an den Kompetenzen<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> anzusetzen. Insbeson<strong>der</strong>e<br />
Kin<strong>der</strong>n mit geringen Deutschkenntnissen<br />
fällt es oft leichter, sich über<br />
Gestik und Mimik, Gebärden und ihren<br />
Körper zu verständigen. So können sie<br />
mit an<strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong>n kommunizieren,<br />
fühlen sich anerkannt und wahrgenommen.<br />
Die Teilnahme am verbalen<br />
Austausch <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong> trägt<br />
zu ihrem Sprachverständnis bei und gibt<br />
ihnen die Gelegenheit, auch in <strong>der</strong> verbalen<br />
Kommunikation zunehmend aktiv<br />
zu werden.<br />
<strong>Bewegung</strong>ssituationen haben sich<br />
hier als motivieren<strong>der</strong> Kontext für die<br />
Unterstützung des Spracherwerbs erwiesen.<br />
Gerade Kin<strong>der</strong> mit Deutsch als<br />
Zweitsprache können auf ihren bereits<br />
vorhandenen sprachunabhängigen <strong>Bewegung</strong>skompetenzen<br />
aufbauen und<br />
durch diese einen leichteren Zugang zur<br />
deutschen Sprache erlangen. <strong>Bewegung</strong><br />
schafft vielfältige Möglichkeiten <strong>der</strong> Begegnung<br />
und bietet eine ganzheitliche,<br />
ressourcenorientierte Alternative zu additiven<br />
Sprachför<strong>der</strong>programmen, bei<br />
denen es um die funktionale Vermittlung<br />
von sprachlichen Kompetenzen geht. <br />
Literatur<br />
Zimmer, R. (2019). Handbuch Sprache und<br />
<strong>Bewegung</strong>. Freiburg: Her<strong>der</strong><br />
Zimmer, R. (2021). Eine kleine Ballgrammatik.<br />
Spielerische Zugänge zur Sprache. Freiburg:<br />
Her<strong>der</strong><br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
13
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Astrid Touray<br />
Wir bringen das Wasser zu den Kin<strong>der</strong>n<br />
Menschen ertrinken, weil sie nicht o<strong>der</strong> nicht sicher schwimmen können. Kin<strong>der</strong><br />
und Jugendliche können mit ihren Freunden nicht ins Freibad, weil sie nicht<br />
sicher schwimmen können. Eltern können ihren Kin<strong>der</strong>n das Schwimmen nicht<br />
beibringen, weil sie es nie gelernt haben.<br />
Eine repräsentative Forsa-Umfrage<br />
hat es deutlich aufgezeigt. 59 Prozent<br />
<strong>der</strong> Zehnjährigen sind keine<br />
sicheren Schwimmer. Dies gab die<br />
Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft<br />
(DLRG) 2017 in Hannover bekannt.<br />
„Die Schwimmfähigkeit <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> im<br />
Grundschulalter ist weiterhin ungenügend.<br />
Im Durchschnitt besitzen nur 40<br />
Prozent <strong>der</strong> Sechs- bis Zehnjährigen ein<br />
Jugendschwimmabzeichen.“<br />
Der 2020 gegründete Verein<br />
SCHWIMM MIT e. V. hat für seine<br />
Arbeit folgende drei Problemfel<strong>der</strong> ausgemacht:<br />
● Eltern haben kein Wissen über die<br />
beson<strong>der</strong>e Bedeutung des Schwimmens,<br />
können selbst nicht schwimmen<br />
und führen Ihre Kin<strong>der</strong> nicht heran.<br />
● Den Familien stehen zu wenig finanzielle<br />
Mittel zur Verfügung, um<br />
an einem Schwimmangebot teilzunehmen,<br />
zu hohe Kursgebühren, zu hohe<br />
Eintrittspreise.<br />
● Es gibt zu wenige Angebote. Dies u. a.<br />
auch deshalb, da zu wenig Wasserflächen<br />
vorhanden sind und das nächste<br />
Schwimmbad zu weit weg ist.<br />
Die Mobile Schwimmschule<br />
Die Mobile Schwimmschule umfasst<br />
einen überdachten mobilen Schwimmpool<br />
<strong>der</strong> Größe 4,00 m x 7,80 m mit<br />
etwa 0,95 m Wassertiefe. Das Wasser<br />
fließt durch eine mobile Wärmepumpen-<br />
Filteranlage, hat immer eine Temperatur<br />
von mindestens 27 °C und wird gepflegt,<br />
wie in einem kleinen Schwimmbad.<br />
Kin<strong>der</strong> können hier zeitgleich in<br />
Gruppen zu fünft o<strong>der</strong> sechst spielerisch<br />
die Wasserwelt erfahren, die Wassergewöhnung<br />
abschließen und erste Techniken<br />
<strong>der</strong> Wasserbewältigung erlernen.<br />
Die Kursteilnahme eines jeden Kindes<br />
über 10 Termine ist sinnvoll. Die Kin<strong>der</strong><br />
werden von zwei Trainer*innen bzw.<br />
Übungsleiter*innen über 30 Minuten im<br />
Wasser angeleitet und darüber hinaus<br />
mit Ba<strong>der</strong>egeln vertraut gemacht. Wichtig<br />
ist allen Beteiligten, dass die Kin<strong>der</strong><br />
sich dem Element Wasser stressfrei und<br />
mit Freude nähern. Einigen Kin<strong>der</strong>n<br />
wird das schnell gelingen. An<strong>der</strong>e brauchen<br />
Zeit, Zuspruch und kleine Schritte.<br />
Die Kin<strong>der</strong>tagesstätten organisieren<br />
die Kursbelegung und begleiten die Kin<strong>der</strong><br />
mit einer pädagogischen Kraft aus<br />
<strong>der</strong> Gruppe. Sie sind fürs Duschen und<br />
Umziehen verantwortlich und verbleiben<br />
während <strong>der</strong> Kurse als vertraute Person<br />
am Becken. Die Angebote sind inklusiv,<br />
mögliche Assistenzen werden mit einbezogen.<br />
Vier Wochen steht die Mobile<br />
Schwimmschule an einem Standort und<br />
ermöglicht so 60 bis 70 Kin<strong>der</strong>n im Vorschulalter<br />
die Teilnahme. Das Angebot<br />
ermöglicht effektiven Schwimmunterricht<br />
auch unabhängig von Schwimmbä<strong>der</strong>n<br />
auf dem Kin<strong>der</strong>gartengelände in<br />
vertrauter Umgebung. Es ist ein kreativer<br />
Weg, die Quote <strong>der</strong> Nichtschwimmer*innen<br />
bei Kin<strong>der</strong>n im Grundschulalter<br />
zu verringern und aufzuzeigen, dass<br />
sich frühzeitige Wassergewöhnungsangebote<br />
im Vorschulalter auf die Erlangung<br />
sicherer Schwimmkenntnisse im späteren<br />
Kindesalter positiv auswirken. Darüber<br />
hinaus haben Erzieher*innen aller<br />
beteiligten Einrichtungen bestätigt, dass<br />
die Teilnahme an den Kursen die Kin<strong>der</strong><br />
enorm in ihrem Resilienzverhalten stärkt<br />
und positive gruppendynamische Prozesse<br />
anschiebt. Die Kin<strong>der</strong> motivieren und<br />
unterstützen sich in den Kursen gegenseitig.<br />
Sie sind zurecht stolz auf ihre in den<br />
Kursen erbrachten Lernleistungen.<br />
Wassergewöhnung<br />
Der Lernprozess zum sicheren Umgang<br />
mit Wasser glie<strong>der</strong>t sich in 3 Phasen:<br />
● die Wassergewöhnung<br />
● die Wasserbewältigung<br />
● die Aneignung <strong>der</strong> Schwimmbewegung<br />
Astrid Touray<br />
Dipl. Sozialpädagogin, 1. Vorsitzende<br />
SCHWIMM MIT e. V., arbeitet beim<br />
Landessportbund Bremen e. V. im<br />
Bereich Integration, Mutter von zwei<br />
erwachsenen Kin<strong>der</strong>n<br />
„Alle Kin<strong>der</strong> müssen ein Recht auf<br />
<strong>Bewegung</strong> im Wasser haben.“<br />
Wichtig ist, den Kin<strong>der</strong>n Zeit zu lassen.<br />
Das kann auch bedeuten, dass einzelne<br />
Kin<strong>der</strong> 2 bis 3 Tage von außen zuschauen,<br />
bevor sie sich entschließen, im<br />
Wasser dabei zu sein. Spielerisch und<br />
auch durch das vorgeschaltete Duschen<br />
zum Reinigen sowie das Abduschen<br />
mit einer Gießkanne vor dem Einstieg<br />
in das Becken lernen die Kin<strong>der</strong>, Wasser<br />
im Gesicht zu haben und den Lidschutzreflex.<br />
Die Kin<strong>der</strong> erleben die spezifischen<br />
Eigenschaften und Wirkungen des Wassers.<br />
Dazu gehören zum Beispiel Auftrieb<br />
und Wasserwi<strong>der</strong>stand, die Augen<br />
unter Wasser zu öffnen und das Blubbern,<br />
mit dem ganzen Kopf unterzutauchen<br />
und das Gleiten auf dem Wasser.<br />
Je mehr Zeit in die ersten beiden Phasen,<br />
Wassergewöhnung und Wasserbewältigung,<br />
investiert wird, desto problemloser<br />
und schneller lernen die Kin<strong>der</strong><br />
schwimmen.<br />
Ein wichtiger Bestandteil <strong>der</strong> Wassergewöhnung<br />
sollten Verhaltensregeln im<br />
und am Wasser sein. Sie geben den Kin<strong>der</strong>n<br />
Orientierung und helfen Panik in<br />
gefährlichen Situationen zu vermeiden.<br />
Zum Konzept <strong>der</strong> Mobilen Schwimmschule<br />
gehört es, täglich vor Kursbeginn<br />
mit den Kin<strong>der</strong>n über Bade- und Verhaltensregeln<br />
im Schwimmbad und am<br />
offenen Gewässer zu sprechen. Darüber<br />
hinaus werden Ba<strong>der</strong>egeln, auch in an-<br />
14<br />
GS aktuell 160 • November 2022
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
<strong>der</strong>en Muttersprachen, mit nach Hause<br />
gegeben. Die Ba<strong>der</strong>egeln sollen Einzug<br />
in die Familien halten und die Familien<br />
für das Thema Schwimmenlernen sensibilisieren.<br />
Chancengleichheit<br />
Der Verein baut seine Mobile Schwimmschule<br />
nur in Stadtteilen auf, die in die<br />
För<strong>der</strong>richtlinien <strong>der</strong> sozialen Stadtentwicklung<br />
des Landes Bremen passen.<br />
So werden Kin<strong>der</strong> erreicht, die<br />
noch nie in einem Schwimmbad waren,<br />
weil die Eintrittspreise und Kosten für<br />
Schwimmlernkurse für die Familien zu<br />
hoch sind o<strong>der</strong> das nächste Schwimmbad<br />
zu weit und <strong>der</strong> Weg dorthin mit<br />
erheblichen Fahrkosten verbunden<br />
ist. Das Projekt soll insbeson<strong>der</strong>e Kin<strong>der</strong>n<br />
aus von Armut bedrohten o<strong>der</strong><br />
betroffenen Familien zugutekommen.<br />
Dem Verein gelingt es gut, Drittmittel<br />
zu akquirieren und die Kurse kostenfrei<br />
anzubieten. Seit 2021 werden öffentliche<br />
Gel<strong>der</strong> für eine Personalstelle in Teilzeit<br />
zur Verfügung gestellt, um das Projekt<br />
zu koordinieren und gegebenenfalls<br />
auszubauen. Teilnehmen können<br />
alle Jungen und Mädchen im Vorschulalter.<br />
Dahinter steht auch <strong>der</strong> Gedanke,<br />
dass im Bundesland Bremen ab 2022<br />
das Schulschwimmen von <strong>der</strong> 3. in die<br />
2. Grundschulklasse gelegt wird und die<br />
Kin<strong>der</strong> so eine gute Chance haben, beim<br />
Schulschwimmen auf die in <strong>der</strong> Mobilen<br />
Schwimmschule erworbenen Fertigkeiten<br />
zurückzugreifen. Seit 2020 haben<br />
mehr als 500 Bremer Kin<strong>der</strong> von dem<br />
Projekt partizipiert, trotz <strong>der</strong> Auflagen<br />
durch die Corona-Pandemie.<br />
Elternarbeit<br />
Mit Unterstützung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>tageseinrichtung<br />
wird vor Beginn des Projektes<br />
und nach Abschluss <strong>der</strong> Kurse ein<br />
Elternabend veranstaltet. Dort stellen<br />
sich die Organisatoren*innen und Trainer*innen<br />
vor. Ziel ist, die Eltern für<br />
das Thema Schwimmen zu sensibilisieren,<br />
Vertrauen und ihre Unterstützung<br />
für das Projekt zu gewinnen. Die Ba<strong>der</strong>egeln<br />
sind Thema und werden auch<br />
auf dem Elternabend in Form eines<br />
bunten kindgerechten DIN-A4-Plakats<br />
in verschiedenen Sprachen verteilt.<br />
Der Elternabend nach Beendigung<br />
<strong>der</strong> Kurse dient dazu, den Eltern eine<br />
Abb. 1: Das mobile Becken muss mit<br />
31 m³ Wasser gefüllt werden<br />
Rückmeldung zu den Erfolgen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />
zu geben und sie darauf aufmerksam<br />
zu machen, dass die Kin<strong>der</strong> für den<br />
Erwerb sicherer Schwimmkenntnisse<br />
dabeibleiben müssen. Erst das Bronzeabzeichen<br />
macht die Kin<strong>der</strong> zu sicheren<br />
Schwimmern. Im Idealfall sollten konkrete<br />
Vereinsangebote vorliegen o<strong>der</strong><br />
Kursangebote <strong>der</strong> Bremer Bä<strong>der</strong> GmbH.<br />
Derzeit ist dies eine Illusion. Überall<br />
sind die Wartelisten lang. Die meisten<br />
Kin<strong>der</strong> aus den Kursen haben erst im<br />
Schulschwimmen die Möglichkeit, ihre<br />
Schwimmkenntnisse zu erweitern. Die<br />
Elternabende konnten in den Zeiten <strong>der</strong><br />
Corona-Pandemie ebenfalls nicht stattfinden.<br />
Ehrenamt<br />
Die Säulen des Vereins sind die vielen<br />
Ehrenamtlichen. Das Projekt wird<br />
getragen von Übungsleiter*innen und<br />
Trainer*innen, die selbst sehr schwimmaffin<br />
sind und um die Bedeutung des<br />
“Sicher Schwimmen Könnens“ wissen.<br />
Viele von ihnen schwimmen aktiv,<br />
geben auch in an<strong>der</strong>en Schwimmsportvereinen<br />
Kurse o<strong>der</strong> sind im DLRG-<br />
Landesverband Bremen engagiert. Die<br />
Arbeit mit den Kin<strong>der</strong>n ist ihnen eine<br />
Herzensangelegenheit. Des Weiteren<br />
haben wir Spieler einer Bremer Fußballmannschaft<br />
als Auf- und Abbauhelfer<br />
an unserer Seite. Die Materialien sind<br />
schwer und <strong>der</strong> Aufbau erfolgt bei je<strong>der</strong><br />
Wetterlage. Mit Beginn des Projektes in<br />
2019 leisteten junge Männer mit Fluchterfahrung<br />
diese Arbeit. Und last but not<br />
least muss das Becken mit 31 m³ Wasser<br />
gefüllt werden. Hier sind die ehrenamtlichen<br />
Helfer <strong>der</strong> Freiwilligen Feuerwehr<br />
aus den unterschiedlichen Stadtteilen<br />
ein wichtiger verbindlicher Partner<br />
für den Verein.<br />
Abb. 2: Übungsleiterinnen mit Kin<strong>der</strong>n<br />
Abb. 3: Mit dem ganzen Kopf unterzutauchen<br />
üben<br />
2022 SCHWIMM MIT e. V. Fazit<br />
Erfahrungen aus <strong>der</strong> Praxis zeigen, dass<br />
es nicht ausreicht, Familien mehr finanzielle<br />
Mittel in die Hand zu geben, um<br />
langfristige Folgen von Armut bei Kin<strong>der</strong>n<br />
und Jugendlichen zu beseitigen. Es<br />
bedarf <strong>der</strong> gemeinsamen Übernahme<br />
von Verantwortung durch Akteure vor<br />
Ort wie z. B. Familienzentren, <strong>Schule</strong>n,<br />
Sportvereine und an<strong>der</strong>e soziale Einrichtungen.<br />
Unser Projekt setzt sich dafür<br />
ein, dass alle Kin<strong>der</strong>, unabhängig von den<br />
finanziellen Ressourcen, <strong>der</strong> Herkunft<br />
und <strong>der</strong> Schwimmfähigkeit <strong>der</strong> Eltern,<br />
gleichberechtigt und mit Freude an den<br />
Aktionen und Veranstaltungen rund um<br />
das nasse Element teilhaben können.<br />
Jedes Kind hat ein Recht auf <strong>Bewegung</strong><br />
im Wasser. (Foto 3)<br />
Die Mobile Schwimmschule steht exemplarisch<br />
für einen innovativen Lösungsansatz<br />
für ein akutes gesellschaftliches<br />
Problem. Darüber hinaus steht<br />
<strong>der</strong> Verein SCHWIMM MIT e. V. für<br />
die Bedeutung ehrenamtlichen Engagements<br />
bei <strong>der</strong> Bewältigung aktueller<br />
gesellschaftlicher Herausfor<strong>der</strong>ungen.<br />
SCHWIMM MIT e. V. ist ein Verein mit<br />
enormen Entwicklungspotenzial. Die<br />
Idee <strong>der</strong> Mobilen Schwimmschule hat<br />
inzwischen Nachahmer in an<strong>der</strong>en Bundeslän<strong>der</strong>n<br />
gefunden.<br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
15
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Judith Endisch, Vivien Semmelmann<br />
Wer nicht ins Wasser geht, kann<br />
auch nicht schwimmen lernen<br />
Schwimmen macht den meisten Kin<strong>der</strong>n Spaß. Dieser Sport för<strong>der</strong>t jedoch<br />
nicht nur die Freude an <strong>der</strong> <strong>Bewegung</strong>, son<strong>der</strong>n wer das Schwimmen wirklich<br />
beherrscht, kann im Ernstfall sogar Leben retten. Deshalb sollten <strong>Schule</strong>n jede<br />
Möglichkeit nutzen, um den Kin<strong>der</strong>n Wege zum sicheren Schwimmer, zur sicheren<br />
Schwimmerin zu ermöglichen.<br />
Abb. links: Ausdauertraining mit<br />
Schwimmhilfen, z. B. Schwimmnudeln,<br />
im Freibad. Abb. unten: Projektwoche<br />
Schwimmen im Freibad<br />
Lei<strong>der</strong> ist das Ertrinken immer<br />
noch eine <strong>der</strong> häufigsten Todesursachen<br />
bei Kin<strong>der</strong>n, weshalb für<br />
Nichtschwimmer je<strong>der</strong> Urlaub am Meer<br />
zur Gefahr werden kann. Dadurch wird<br />
deutlich, dass Schwimmen eine Sportart<br />
ist, die letztendlich Leben rettet.<br />
Dem Schwimmunterricht in <strong>der</strong><br />
Grundschule muss aus unterschiedlichen<br />
Gründen mehr Bedeutung zukommen.<br />
Er darf we<strong>der</strong> Energiesparmaßnahmen<br />
noch Personalmangel zum<br />
Opfer fallen.<br />
Gesellschaftliche Verän<strong>der</strong>ungen führen<br />
bei Kin<strong>der</strong>n zu einem deutlichen<br />
<strong>Bewegung</strong>smangel. Das Element Wasser<br />
ermöglicht gesundheitsorientierte<br />
<strong>Bewegung</strong>serfahrungen. Die vielfältigen<br />
Wahrnehmungen beim Schwimmen<br />
sind für die körperliche und motorische<br />
sowie – damit eng verknüpft<br />
– die psychische und soziale Entwicklung<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> essenziell. Schülerinnen<br />
und Schüler mit Beeinträchtigungen<br />
können im Wasser oftmals stärker<br />
an <strong>Bewegung</strong>saktivitäten teilhaben. Im<br />
Schwimmunterricht kann sich je<strong>der</strong><br />
Schüler, jede Schülerin mit dem eigenen<br />
Körper neu auseinan<strong>der</strong>setzen. Da <strong>der</strong><br />
gesamte Organismus beansprucht wird,<br />
eignet sich das Schwimmen zum einen<br />
beson<strong>der</strong>s zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> konditionellen<br />
Fähigkeiten, denn Aquafitness<br />
o<strong>der</strong> Ausdauerschwimmen haben einen<br />
positiven Einfluss auf die Gesundheit<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>. Zum an<strong>der</strong>en führt das Erlernen<br />
unterschiedlicher Schwimmarten<br />
zur Verbesserung <strong>der</strong> koordinativen Fähigkeiten.<br />
Nicht zu unterschätzen ist die Aufklärung<br />
über Sicherheits-, Bade- und Hygieneregeln<br />
im Schwimmunterricht, um<br />
mögliche Gefahren im Schwimmbad sowie<br />
am offenen Gewässer richtig einzuschätzen.<br />
Mit dem erworbenen Wissen<br />
sollen die Kin<strong>der</strong> zu einem verantwortungsvollen<br />
Handeln in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> und<br />
in ihrer Freizeit herangeführt werden.<br />
Mit dem Üben von Rettungsmaßnahmen<br />
beim Schwimmen werden die Kin<strong>der</strong><br />
auf eine Notsituation <strong>der</strong> Fremdrettung<br />
angemessen vorbereitet.<br />
Schwimmunterricht in den<br />
Rahmenlehrplänen<br />
Die Rahmenlehrpläne schreiben dem<br />
„Sich im Wasser bewegen/Schwimmen“<br />
im Sportunterricht große Bedeutung zu,<br />
weshalb <strong>der</strong> Schwimmunterricht von <strong>der</strong><br />
Jahrgangsstufe eins bis vier darin verankert<br />
ist. Während in den Jahrgangsstufen<br />
eins und zwei das Lernen von<br />
Bade-, Hygiene- und Sicherheitsregeln,<br />
die Wassergewöhnung und <strong>der</strong> Erwerb<br />
von Grundfertigkeiten wie gleiten, atmen,<br />
tauchen, springen, rollen und fortbewegen<br />
im Vor<strong>der</strong>grund stehen, geht es<br />
in den Jahrgangsstufen drei und vier, auf<br />
die Eingangsstufe aufbauend, zunehmend<br />
um das freudvolle, ausdauernde und<br />
leistungsorientierte Schwimmen in einer<br />
Schwimmart (z. B. Brustschwimmen).<br />
Die Schülerinnen und Schüler trainieren<br />
Fähigkeiten, die den Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
eines Schwimmabzeichens entsprechen,<br />
und üben darüber hinaus Rettungsmaßnahmen<br />
und Verhaltensregeln für Notfälle.<br />
Dieser stufenweise Aufbau von<br />
Kompetenzen unterstreicht die Notwendigkeit,<br />
dem Schwimmunterricht in<br />
allen Jahrgangsstufen <strong>der</strong> Grundschule<br />
Zeit einzuräumen.<br />
Trotz Hürden Kin<strong>der</strong> zum<br />
sicheren Schwimmen führen<br />
Im Schulalltag gibt es zahlreiche Herausfor<strong>der</strong>ungen,<br />
die die Umsetzung von<br />
Schwimmunterricht über die gesamte<br />
Grundschulzeit erschweren und in <strong>der</strong><br />
Praxis kaum möglich machen. Im folgenden<br />
Abschnitt werden hierzu Ideen vorgestellt,<br />
wie Kin<strong>der</strong> regelmäßig Möglich-<br />
16<br />
GS aktuell 160 • November 2022
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
keiten erhalten, um ein sicherer und<br />
kompetenter Schwimmer zu werden.<br />
■ Herausfor<strong>der</strong>ung: Da in vielen Kommunen<br />
zu wenige Wasserflächen zur<br />
Verfügung stehen o<strong>der</strong> diese sehr weit<br />
von den <strong>Schule</strong>n entfernt sind, findet<br />
<strong>der</strong> Schwimmunterricht oft nur epochal<br />
statt o<strong>der</strong> ist auf eine Jahrgangsstufe<br />
beschränkt.<br />
Möglichkeiten: Für die Wassergewöhnung<br />
und das Erlangen <strong>der</strong><br />
schwimmerischen Grundfertigkeiten<br />
eignen sich insbeson<strong>der</strong>e die Jahrgangsstufe<br />
eins und zwei, da dies das beste<br />
Lernalter für motorische Fähigkeiten<br />
ist. Darauf aufbauend werden in den<br />
Jahrgangsstufen drei und vier Aktionstage<br />
und Projektwochen zum Schwimmen<br />
angeboten. Diese können möglicherweise<br />
im Sommer in Freibä<strong>der</strong>n<br />
(siehe Foto1) stattfinden. Sowohl schulinterne<br />
Arbeitsgemeinschaften als auch<br />
solche im Rahmen von „Sport nach 1“,<br />
einer Zusammenarbeit von <strong>Schule</strong>n<br />
mit ortsansässigen Vereinen, ergänzen<br />
das Angebot für alle Schülerinnen und<br />
Schüler.<br />
■ Herausfor<strong>der</strong>ung: Der Mangel an<br />
Lehrkräften führt zu weiteren Engpässen<br />
bei <strong>der</strong> Gestaltung des Schwimmunterrichts.<br />
Möglichkeiten: Als zusätzliche Unterstützung<br />
eignen sich externe Personen,<br />
die ehrenamtlich arbeiten o<strong>der</strong> vom<br />
Sachaufwandsträger eine finanzielle Entschädigung<br />
erhalten. Außerdem können<br />
Studierende (mit Haupt- o<strong>der</strong> Didaktikfach<br />
Sport) beispielsweise im Rahmen<br />
<strong>der</strong> Sportwoche die Schwimmlehrkräfte<br />
fachlich und organisatorisch unterstützen.<br />
Darüber hinaus können örtliche<br />
Wasserrettungsgesellschaften zur Unterstützung<br />
bei Schwimmaktionen angefragt<br />
werden.<br />
■ Herausfor<strong>der</strong>ung: Durch steigende<br />
Schülerzahlen werden Klassen sowie<br />
Schwimmlerngruppen immer größer.<br />
Der Platzmangel im Schwimmbad stellt<br />
Lehrkräfte vor zusätzliche Probleme.<br />
Möglichkeiten: Durch ein Trainer-Sportler-Prinzip<br />
können Schülerinnen<br />
und Schüler im Wechsel ihre<br />
<strong>Bewegung</strong>saufgabe im Wasser (Sportler)<br />
durchführen und erhalten eine direkte<br />
Rückmeldung von ihrem Partner/ihrer<br />
Partnerin (Trainer).<br />
■ Herausfor<strong>der</strong>ung: Lehrkräfte sind<br />
aufgrund <strong>der</strong> hohen Verantwortung im<br />
Schwimmunterricht oftmals verunsichert.<br />
Möglichkeiten: In einigen Bundeslän<strong>der</strong>n<br />
bestehen hierfür Fortbildungsangebote,<br />
wie „Schwimmen in <strong>der</strong><br />
Grundschule“ und die „Weiterbildung<br />
Schwimmen <strong>der</strong> Phase I und II“ <strong>der</strong><br />
staatlichen Lehrerfortbildung. Zusätzlich<br />
besteht häufig die Möglichkeit, die<br />
eigene Rettungsfähigkeit jährlich zum<br />
Schuljahresbeginn in dem Schwimmbad<br />
aufzufrischen, in dem <strong>der</strong> Schwimmunterricht<br />
erteilt wird.<br />
■ Herausfor<strong>der</strong>ung: Auch zu große<br />
Klassenstärken erschweren einen am<br />
Kind orientierten Schwimmunterricht.<br />
Möglichkeiten: Im Nichtschwimmerbecken<br />
lassen sich zahlreiche Spiele und<br />
Übungen zur Wassergewöhnung sowie<br />
zum Erwerb <strong>der</strong> Grundfertigkeiten im<br />
Klassenverband durchführen (siehe Foto<br />
2). Nichtschwimmer:innen können diese<br />
gehend und Schwimmer:innen schwimmend<br />
durchführen. Hierfür bieten die<br />
„Wasserfesten Übungskarten für den<br />
Schwimmunterricht “ (Herausgeber:<br />
LASPO mit AUER Verlag) zahlreiche<br />
Ideen <strong>der</strong> Umsetzung.<br />
■ Herausfor<strong>der</strong>ung: Die unterschiedlichen<br />
Leistungsniveaus <strong>der</strong> sicheren<br />
Schwimmer:innen verlangen Umgang<br />
mit Heterogenität.<br />
Möglichkeiten: Hierbei sollten<br />
nicht nur das Techniktraining, son<strong>der</strong>n<br />
auch das Ausdauertraining und verschiedene<br />
Spielformen mit Hilfsmitteln<br />
(z. B. Schwimmnudeln o<strong>der</strong> Schwimmbrettern)<br />
in den Fokus gerückt werden<br />
(siehe Foto 3 und 4).<br />
■ Herausfor<strong>der</strong>ung: Einige Eltern<br />
muslimischer Mädchen erlauben diesen<br />
nicht die Teilnahme am Schwimmunterricht<br />
und melden sie lieber krank.<br />
Möglichkeiten: Hier ist sensible<br />
Kommunikation zwischen <strong>Schule</strong> und<br />
Eltern gefor<strong>der</strong>t. Folgende Angebote<br />
könnten gemacht werden: Das Tragen<br />
eines Burkinis, die Möglichkeit für<br />
das Mädchen, sich nicht gemeinsam<br />
mit Jungen umkleiden zu müssen, und<br />
die Möglichkeit, dass während des<br />
Schwimmunterrichts das Bad nicht<br />
gleichzeitig für an<strong>der</strong>e Besucher geöffnet<br />
ist. Lei<strong>der</strong> führt dieses nicht immer zum<br />
Erfolg.<br />
Judith Endisch (links)<br />
Grundschullehrerin und Sportreferentin<br />
<strong>der</strong> Regierung Mittelfranken<br />
Vivien Semmelmann (rechts)<br />
Lehrerin an <strong>der</strong> Grundschule Stein,<br />
Jahrgangsmischung 1/2<br />
■ Herausfor<strong>der</strong>ung: Kin<strong>der</strong> mit<br />
körperlichen Beeinträchtigungen können<br />
nur bedingt am Schwimmunterricht<br />
teilnehmen. Eltern haben Angst um die<br />
Gesundheit ihres Kindes.<br />
Möglichkeiten: Zusätzliches Personal<br />
wie Schulbegleitung, Schulassistenz<br />
o<strong>der</strong> externe Unterstützer, Eltern des<br />
Kindes könnten hinzugezogen werden.<br />
Auch wenn einige Kin<strong>der</strong> das Schwimmen<br />
nicht erlernen können, haben sie<br />
das Recht, positive Erfahrungen mit<br />
dem Element Wasser zu machen. <br />
Anmerkung<br />
* siehe Artikel A.Touray: Wir bringen das<br />
Wasser zu den Kin<strong>der</strong>n<br />
Literatur<br />
Beck, C. (2007). Schwimmen unterrichten:<br />
Grundwissen und Praxisbausteine. Deutschland:<br />
Auer, 7-10<br />
Schwimmen Lehren und Lernen in <strong>der</strong><br />
Grundschule: <strong>Bewegung</strong>serlebnisse und<br />
Sicherheit am und im Wasser: DGUV<br />
Information 202-107: komm mit Mensch,<br />
sicher, gesund, miteinan<strong>der</strong>. (2019). Deutschland:<br />
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung<br />
e. V. (DGUV), 9-11<br />
Schmitt, P., Weiß, N., Steger, D., Kraus, M.,<br />
Beck, C. (2019). Wasserfeste Übungskarten für<br />
den Schwimmunterricht: Wassergewöhnung<br />
& Schwimmen lernen, Schwimmtechniken,<br />
Spiele im Wasser, Rettungsschwimmen,<br />
Kondition & Koordination; speziell für das<br />
Schwimmbad. Deutschland: Auer.<br />
https://www.km.bayern.de/pressemitteilung/11783/kultusstaatssekretaerin-annastolz-besucht-auftaktveranstaltung-zur-initiative-schwimmen-in-<strong>der</strong>-grundschuleschwimmfaehigkeit-als-gesamtgesellschaftliche-aufgabe.html<br />
(zugegriffen am 28.9.2022)<br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
17
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Anna Fruhen-Witzke<br />
Schreibenlernen ist <strong>Bewegung</strong>slernen<br />
– Grundschrift<br />
Die Entwicklung von Schreibfertigkeiten ist ein motorischer Lernprozess, <strong>der</strong><br />
im Anfangsunterricht <strong>der</strong> Grundschule beginnt und sich im weiterführenden<br />
Schreiben fortsetzt. Die Grundschrift nutzt Prinzipien des schreibmotorischen<br />
Handschriftlernens für die Handschriftentwicklung vom Anfangsunterricht bis<br />
über die Grundschulzeit hinaus.<br />
Die Grundzüge des Grundschriftkonzepts<br />
zum <strong>Bewegung</strong>slernen<br />
werden im Folgenden<br />
kurz zusammengefasst. Interessierte<br />
Leser*innen können ausführlich im<br />
Mitglie<strong>der</strong>band des Grundschulverbandes<br />
zur Grundschrift von 2016<br />
nachlesen (vgl. Bartnitzky u. a. 2016).<br />
Handgeschriebene Buchstaben<br />
und Wendebögen<br />
Die Grundschrift ist als handgeschriebene<br />
Druckschrift eine Schrift in<br />
flüssiger <strong>Bewegung</strong>. Die Buchstaben sind<br />
grafisch so gestaltet, dass sie flüssig und<br />
schwungvoll geschrieben werden können<br />
(bspw. das kleine e). Die Vorlagen<br />
sind bewusst handgeschrieben und nicht<br />
gedruckte Buchstabenformen. Alle Buchstaben,<br />
die mit einem Abstrich auf <strong>der</strong><br />
Grundlinie enden, schwingen in einem<br />
Wendebogen nach oben aus, um flüssige<br />
Verbindungsmöglichkeiten anzubieten<br />
(Abb. 1, vgl. Bartnitzky 2016).<br />
<strong>Bewegung</strong>sablauf und<br />
<strong>Bewegung</strong>sgruppen<br />
Unsere Schrift hat die Lese- und<br />
Schreibrichtung von links nach rechts.<br />
Für die Grundschrift ergibt sich daraus<br />
folgendes Prinzip für günstige<br />
<strong>Bewegung</strong>sabläufe:<br />
- von links nach rechts,<br />
- von oben nach unten.<br />
Kin<strong>der</strong> sollten angehalten werden, den<br />
schreibökonomischen Weg zu probieren.<br />
Haben sie bereits ein an<strong>der</strong>es<br />
<strong>Bewegung</strong>smuster automatisiert und<br />
kehren dahin zurück, kann man es dabei<br />
belassen – unter <strong>der</strong> Voraussetzung <strong>der</strong><br />
Formklarheit und Flüssigkeit <strong>der</strong> Schrift<br />
(vgl. Bartnitzky 2016).<br />
Verschiedene Buchstaben mit <strong>der</strong> gleichen<br />
<strong>Bewegung</strong>sstruktur sind in <strong>Bewegung</strong>sgruppen<br />
sortiert (s. Abb. 3). Die<br />
Sortierung ermöglicht das Üben bewegungsgleicher<br />
Buchstaben, sodass <strong>Bewegung</strong>smuster<br />
leichter automatisiert werden<br />
können (vgl. Bartnitzky 2016). Bei<br />
<strong>der</strong> Vermittlung <strong>der</strong> Buchstaben im Anfangsunterricht<br />
ist ein Bewusstmachen<br />
<strong>der</strong> <strong>Bewegung</strong>sgruppen för<strong>der</strong>lich. Die<br />
Kin<strong>der</strong> schreiben formklarer, wenn ihnen<br />
die unterschiedlichen Schreibbewegungen<br />
<strong>der</strong> Gruppe bewusst sind. In <strong>der</strong><br />
Praxis fällt das beson<strong>der</strong>s bei <strong>der</strong> grünen<br />
(Abstrich mit nachfolgen<strong>der</strong> Arkadenbewegung<br />
– bspw. n und r) und<br />
<strong>der</strong> hellblauen (Linksoval – bspw. a und<br />
d) Gruppe auf. Macht man Kin<strong>der</strong> dar-<br />
Anna Fruhen-<br />
Witzke<br />
ist Grundschullehrerin<br />
und<br />
arbeitet in <strong>der</strong><br />
Projektgruppe<br />
Grundschrift des<br />
Grundschulverbands<br />
mit.<br />
auf aufmerksam, dass sie das r wie ein<br />
v schreiben und weist auf die <strong>Bewegung</strong>sgruppe<br />
hin, fällt es ihnen leicht,<br />
den Buchstaben formklarer zu schreiben.<br />
Kin<strong>der</strong> können mit den <strong>Bewegung</strong>sgruppen<br />
auch im späteren Schriftunterricht<br />
individuell geför<strong>der</strong>t werden,<br />
indem sie einzelne Gruppen gezielt<br />
üben bzw. wie<strong>der</strong>holen. Dazu können<br />
die Rückseiten <strong>der</strong> Karteikarten <strong>der</strong><br />
Grundschriftkartei genutzt werden (vgl.<br />
Grundschulverband 2011) .<br />
Schreiben mit Schwung<br />
– flüssiges Schreiben<br />
Beim Erlernen <strong>der</strong> Druckbuchstaben<br />
sowie beim weiterführenden Schreiben<br />
wird das Schreiben mit Schwung, also<br />
die flüssige <strong>Bewegung</strong>sausführung als<br />
<strong>Bewegung</strong>svorstellung, von den Kin<strong>der</strong>n<br />
gefor<strong>der</strong>t. Dadurch werden die<br />
Sie ist eine handgeschriebene Druckschrift,<br />
aber nicht geschrieben „wie gedruckt“,<br />
son<strong>der</strong>n<br />
in flüssiger <strong>Bewegung</strong>:<br />
Abb. 1: Grundschrift –<br />
handgeschriebene Druckschrift<br />
als Ausgangsschrift<br />
(© Horst Bartnitzky 2012)<br />
Druckschrift<br />
Grundschrift<br />
H. Bartnitzky Grundschrift 2012<br />
21<br />
Abb. 2: Vielfältiges Üben –<br />
Schreiben mit Schwung<br />
18<br />
GS aktuell 160 • November 2022
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
<strong>Bewegung</strong>sabläufe <strong>der</strong> einzelnen Buchstaben<br />
automatisierter und es wird<br />
leichter möglich, schreibgünstige Verbindungen<br />
aus <strong>der</strong> Druckschrift heraus<br />
zu erlernen.<br />
Die Teilverbundenheit <strong>der</strong> Grundschrift,<br />
die den Kin<strong>der</strong>n reflektiert vermittelt<br />
wird, ermöglicht eine bewegungsgünstige<br />
Schrift. Luftsprünge anstatt<br />
Verbindungen auf dem Papier führen<br />
zu erhöhter Schreibgeschwindigkeit<br />
und lockerem Schreiben. Dadurch kann<br />
auch die Schreibausdauer erhöht werden<br />
(vgl. Marquardt 2016, 53).<br />
Buchstabenverbindungen<br />
und Buchstabenvarianten<br />
Die Kin<strong>der</strong> lernen die Buchstabenverbindungen<br />
kennen, die sich gut schreiben<br />
lassen – die gut in einer <strong>Bewegung</strong><br />
zu schreiben sind. In <strong>der</strong> Grundschriftkartei<br />
werden einige Verbindungen vorgestellt<br />
und Kin<strong>der</strong> finden bei <strong>der</strong> Automatisierung<br />
<strong>der</strong> <strong>Bewegung</strong>sverläufe <strong>der</strong><br />
Buchstaben eigenständig günstige Verbindungen.<br />
„Es gibt auch Buchstaben,<br />
die nicht verbunden werden können,<br />
ohne das Kriterium Formklarheit zu verletzen:<br />
die meisten Großbuchstaben, das<br />
kleine s und z. Bei einigen Großbuchstaben<br />
könnte ein ergänzter Wendebogen<br />
Verbindungen möglich machen:<br />
M, R, K“ (Bartnitzky 2016). Kin<strong>der</strong><br />
erproben die Schreibbewegungen<br />
und vergleichen ihre Versuche untereinan<strong>der</strong>.<br />
Absurde Verbindungen o<strong>der</strong><br />
Verschnörkelungen fallen bei <strong>der</strong> Prüfung<br />
auf Formklarheit durch.<br />
Buchstabenvarianten werden angeboten,<br />
wenn sie die flüssige Schreibbewegung<br />
unterstützen können. Eckige Buchstaben<br />
werden gerundet, wie beim großen<br />
E, o<strong>der</strong> Schleifen werden eingefügt,<br />
die Verbindungen ermöglichen.<br />
Variantenreiches Üben und<br />
Erproben zur Automatisierung<br />
<strong>der</strong> Schreibbewegung<br />
Ohne Linien o<strong>der</strong> nur auf einer Grundlinie<br />
werden vor allem die ersten<br />
Schreibübungen im Anfangsunterricht<br />
angeboten. Dadurch können die Kin<strong>der</strong><br />
die Buchstaben flüssig schreiben lernen,<br />
ohne durch die klassische Lineatur in<br />
ihrer <strong>Bewegung</strong>sausführung gehemmt<br />
zu werden. Dreierbandlineaturen provozieren<br />
stark kontrollierte <strong>Bewegung</strong>en,<br />
Abb. 3: <strong>Bewegung</strong>sgruppen<br />
sodass kaum flüssig geschrieben werden<br />
kann (vgl. Marquardt 2016).<br />
„Je mehr die Kin<strong>der</strong> während des<br />
Übens verschiedene Erfahrungen sammeln<br />
können, desto mehr wird <strong>der</strong><br />
Transfer aus <strong>der</strong> Übungssituation dann<br />
auf den tatsächlichen Kompetenzerwerb<br />
geför<strong>der</strong>t. Die Phase <strong>der</strong> <strong>Bewegung</strong>sautomation<br />
erfolgt dann als letzter<br />
Schritt in den Lernprozess, wenn sich<br />
geeignete motorische Ausführungsformen<br />
etabliert haben“ (Marquardt 2016,<br />
51). Die Grundschrift ermöglicht den<br />
Kin<strong>der</strong>n eine vielfältige und nachhaltige<br />
Übung <strong>der</strong> Schriftbewegung. Die Kin<strong>der</strong><br />
werden aufgefor<strong>der</strong>t, die Buchstaben<br />
groß, klein, mit viel Druck und mit wenig<br />
Druck o<strong>der</strong> mit verschiedenen Stiften<br />
zu schreiben. Bei allen Aufgaben ist<br />
das Ziel die flüssige Schreibbewegung<br />
und die leserliche, formklare 75Schrift.<br />
In den Praxisartikeln zum Grundschriftkonzept<br />
werden ausführliche Beispiele<br />
dargestellt. (vgl. Fruhen-Witzke/Kindler<br />
2014). Die Kleeblatthefte<br />
des Grundschulverbands bündeln viele<br />
Übungen in Heftform (Grundschulverband<br />
2014).<br />
Trainingsaufgaben beim<br />
weiterführenden Schreiben<br />
Die Aufgaben, die im roten Kleeblattheft<br />
zur Grundschrift als Trainingsaufgaben<br />
dargestellt sind, können dazu beitragen,<br />
die Schreibbewegungskompetenz<br />
beim weiterführenden Schreiben auszubauen<br />
und systematisch zu för<strong>der</strong>n<br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
19
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
(vgl. Grundschulverband 2014). Indem<br />
gefor<strong>der</strong>t wird, dass Geschwindigkeit,<br />
Druck, Größe und Schreibgeräte<br />
variiert werden, kann die Schreibbewegung<br />
geläufiger und flüssiger werden.<br />
<strong>Bewegung</strong>skompetenz wird weiter<br />
aufgebaut. Alle Aufgaben können auch<br />
unabhängig vom Heft mit an<strong>der</strong>en kurzen<br />
Texten im Unterricht durchgeführt<br />
werden.<br />
Schreibmotorik för<strong>der</strong>n –<br />
Praxishilfen und Impulskarten<br />
In <strong>der</strong> Kartei „Schreibmotorik för<strong>der</strong>n“<br />
werden die Elemente <strong>der</strong> Buchstaben<br />
und die <strong>Bewegung</strong>sgrundformen<br />
einzeln thematisiert. Damit bietet<br />
sie eine Möglichkeit zur För<strong>der</strong>ung<br />
bei feinmotorischen Schwierigkeiten,<br />
die die Schreibmotorik behin<strong>der</strong>n. Es<br />
werden För<strong>der</strong>möglichkeiten zu den<br />
<strong>Bewegung</strong>sgrundformen und zum<br />
Schreiben mit Schwung angeboten. Lehrerinnen<br />
und Lehrer können die Aufgaben<br />
<strong>der</strong> Schreibmotorik-Kartei für<br />
individuelle För<strong>der</strong>impulse nutzen (vgl.<br />
Grundschulverband 2019). <br />
Literaturangaben zum Artikel können<br />
Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa160-Lit<br />
Franziska Milke, Timuçin Karaku<br />
Bewegliche Schulräume<br />
O<strong>der</strong> warum man nicht nur an einem Tisch lernen kann<br />
Wir wissen, dass es für Kin<strong>der</strong> nicht gesund ist, den ganzen Schultag zu sitzen.<br />
Sie brauchen <strong>Bewegung</strong>, Pausen und Freiraum. Es ist ein Bedürfnis <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>,<br />
auch mal zu rennen, sich zu bewegen, genauso wie sie Hunger und Durst verspüren.<br />
Wir finden deshalb, es wird Zeit, noch mehr darüber nachzudenken,<br />
dass es auch an<strong>der</strong>s gehen kann, und wollen mit diesem Artikel für eine grundsätzliche<br />
Umgestaltung von Schulräumen plädieren.<br />
Eine unnatürliche und unbewegliche<br />
Sitzhaltung auf Stühlen<br />
belastet unsere Muskeln, Sehnen,<br />
Bän<strong>der</strong> und Bandscheiben einseitig. Daraus<br />
resultieren körperliche Beeinträchtigungen<br />
und Fehlhaltungen. Schauen<br />
wir genau hin, dann zeigen uns Kin<strong>der</strong><br />
auf ihre Weise, welche (Sitz-)Positionen<br />
für unseren Körper wohltuend sind. Dass<br />
beispielsweise die tiefe Hocke (<strong>der</strong><br />
Hocksitz) eine natürliche und gesunde<br />
Position für uns ist, war vor einiger Zeit<br />
eindrucksvoll an einem Schüler zu<br />
beobachten, <strong>der</strong> scheinbar mühelos in<br />
den Arbeits-, Kreisgesprächs- und Eintauchphasen<br />
in <strong>der</strong> Position „Hocksitz“<br />
lange verweilen konnte. Dieser Wunsch<br />
nach alternativen (Sitz-)Positionen im<br />
Lerngruppenraum ist begründet und<br />
muss bei <strong>der</strong> Gestaltung pädagogischer<br />
Räume mitbedacht werden.<br />
Wenn wir beweglicher im Denken<br />
werden wollen, warum soll es dann nicht<br />
auch körperlich sein? Das schaffen wir<br />
nicht mit einer starren Sitzordnung. Eine<br />
radikale Verän<strong>der</strong>ung wäre es, die Hälfte<br />
<strong>der</strong> Stühle und Tische einfach dauerhaft<br />
aus dem Raum zu verbannen! Das gibt<br />
es bereits und wir haben damit gute Erfahrungen.<br />
An <strong>der</strong> Montessori-<strong>Schule</strong> in Potsdam<br />
stehen seit einigen Jahren in den<br />
Räumen nur Sitzgelegenheiten für etwa<br />
die Hälfte <strong>der</strong> Gruppe. Meist sind es gut<br />
stapelbare Hocker. Jedes Kind kann sie<br />
überall hintragen. Man kann sich natürlich<br />
darauf setzen o<strong>der</strong> knien, um mit<br />
an<strong>der</strong>en o<strong>der</strong> allein an einem Tisch zu<br />
arbeiten. Man kann sich vor den Hocker<br />
knien und sein Heft o<strong>der</strong> Buch auf den<br />
Hocker legen und so arbeiten.<br />
Die Räume für die jahrgangsgemischten<br />
Gruppen <strong>der</strong> Grundschule sind ca.<br />
48 qm groß. Etwa 24 bis 26 Kin<strong>der</strong> lernen<br />
in einer Gruppe. Der Lerngruppenraum<br />
enthält Montessori-Materialien<br />
zum Rechnen, Schreiben und Lesen, die<br />
nach einer Darbietung zur selbsttätigen<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzung einladen. Durch<br />
die geschickte Material- und Raumgestaltung<br />
werden die Kin<strong>der</strong> fast beiläufig<br />
beim Lernen zum Sich-selbst-Bewegen<br />
angeregt, indem sie das Material ihrer<br />
Wahl aus dem Regalfach holen und zurückräumen,<br />
ggf. den Arbeitsteppich<br />
aus- sowie einrollen. Der handlungsorientierte<br />
Unterricht bei <strong>der</strong> Materialarbeit<br />
spricht zusätzlich unterschiedliche<br />
Sinne an, z. B. beim Schreiben mit den<br />
Fingern von Buchstaben in das Sandta-<br />
Franziska Milke (links)<br />
Grundschullehrerin und Montessoripädagogin<br />
Timuçin Karakuş (rechts)<br />
Grundschullehrer und Lerngruppenleiter<br />
einer jahrgangsgemischten<br />
Lerngruppe 1-2-3 an <strong>der</strong><br />
Montessori-Oberschule in Potsdam<br />
blett o<strong>der</strong> beim Zählen von Perlen o<strong>der</strong><br />
Marken bei den verschiedensten Rechenoperationen.<br />
Das Muskelgedächtnis<br />
wird aktiviert. Begriffe und Prozesse<br />
prägen sich den Kin<strong>der</strong>n ganz an<strong>der</strong>s<br />
ein und werden eher im Langzeitgedächtnis<br />
gespeichert. Auch das Denken<br />
und Arbeiten in den drei Ebenen auf<br />
dem Fußboden, am Tisch und im Stehen<br />
unterstützt das Muskelgedächtnis.<br />
Ulrike Kegler, die über die Umgestaltung<br />
<strong>der</strong> Potsdamer Montessori-Oberschule<br />
bereits 2009 das Buch „In Zukunft<br />
lernen wir an<strong>der</strong>s“ veröffentlicht<br />
hat, und in dem man u. a. weitere Gründe<br />
für eine Umgestaltung <strong>der</strong> Lernräume<br />
findet, legt beson<strong>der</strong>en Wert auf den<br />
20<br />
GS aktuell 160 • November 2022
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Perspektivwechsel, <strong>der</strong> durch die verän<strong>der</strong>te<br />
Raumgestaltung überhaupt erst<br />
möglich wird. Nicht nur jeden Tag, son<strong>der</strong>n<br />
auch im Laufe eines Tages arbeitet,<br />
spricht, lernt und denkt jedes Kind<br />
mehrfach an unterschiedlichen Plätzen,<br />
mit unterschiedlichen Kin<strong>der</strong>n. Es<br />
ist nicht nur physisch in <strong>Bewegung</strong> und<br />
hat jedes Mal eine an<strong>der</strong>e Perspektive auf<br />
den Raum, auf das Material und auf die<br />
Mitschüler:innen. Eigeninitiative, Empathie<br />
und Kontaktfreudigkeit werden<br />
so ganz an<strong>der</strong>s unterstützt und eingefor<strong>der</strong>t.<br />
Nur für die Hälfte <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> Stühle<br />
im Raum zu haben bedeutet: Die Kin<strong>der</strong><br />
haben nicht ihren EIGENEN Sitzplatz.<br />
Stattdessen haben die Kin<strong>der</strong> freie<br />
Platzwahl zum Arbeiten. Wenn die Tische<br />
nur noch für die Arbeiten genutzt<br />
werden, wofür man einen Tisch braucht,<br />
z. B. für Schreibübungen, fallen auch alle<br />
„Revierkämpfe“ weg. Die Machtdemonstration<br />
„MEIN Tisch“, die an<strong>der</strong>e Kin<strong>der</strong><br />
ausschließt und vom Wesentlichen,<br />
nämlich vom Lernen und Arbeiten ablenkt,<br />
fällt durch die neue bewegliche<br />
Raumnutzung weg. Ein quadratischer<br />
Tisch, an dem sich vier Kin<strong>der</strong> zusammensetzen<br />
können, sich gegenübersitzen,<br />
sich anschauen, schafft Gesprächsatmosphäre<br />
und för<strong>der</strong>t gemeinsames<br />
Arbeiten.<br />
Wenn weniger Möbel im Raum sind,<br />
hat man auf einmal Platz! An <strong>der</strong> Montessori-Oberschule<br />
wird <strong>der</strong> Platz genutzt,<br />
um sich im Kreis zu treffen. Wir<br />
versammeln uns um den Teppich, auf<br />
dem etwas dargeboten wird. Wir sehen<br />
uns alle an. Dafür einen Stuhl zu verwenden,<br />
ist nicht notwendig und nachweislich<br />
ungesund. Im Kreis sitzen, knien<br />
o<strong>der</strong> hocken alle auf dem Fußboden.<br />
Die verschiedenen Möglichkeiten zu<br />
„sitzen“ unterstützen die Entwicklung<br />
<strong>der</strong> Haltung bei den Kin<strong>der</strong>n, die noch<br />
im Wachstum sind. Alle haben die Möglichkeit,<br />
sich in den Fersensitz zu setzen,<br />
auf den Po mit ausgestreckten Beinen<br />
o<strong>der</strong> im Schnei<strong>der</strong>sitz, Hocksitz o<strong>der</strong><br />
Mischformen, gerade wie es angenehm<br />
ist. Es bietet den Kin<strong>der</strong>n mehr die Möglichkeit,<br />
sich ihrer <strong>Bewegung</strong>sbedürfnisse<br />
entsprechend zu verhalten. Und die<br />
Kin<strong>der</strong> schaffen es gut, in dieser Zeit ruhig<br />
zu bleiben und zuzuhören. Der Kreis<br />
ist dann auch ein Ort, an dem jetzt echte<br />
Gespräche stattfinden können, an dem<br />
sich nicht nur alle Gespräche auf den<br />
Lehrer o<strong>der</strong> die Lehrerin konzentrieren<br />
und fokussieren. Die Kin<strong>der</strong> können aufeinan<strong>der</strong><br />
reagieren, da sie sich nicht nur<br />
mit dem Rücken sehen, son<strong>der</strong>n Blickkontakt<br />
aufnehmen können.<br />
Arbeitet man auf dem Boden, ist es<br />
notwendig, dass man sich in den Klassenräumen<br />
nur mit Hausschuhen aufhält.<br />
Hausschuhe för<strong>der</strong>n das bewusste<br />
Eintreten in den Lerngruppenraum, hal-<br />
ten den Raum und die Teppiche sauber<br />
und för<strong>der</strong>n eine achtsamere Wahrnehmung<br />
<strong>der</strong> Umgebung. Es ist gemütlicher,<br />
man fühlt sich wohl, deshalb lernt man<br />
auch besser. Dieser Aspekt wird noch<br />
mal bedeutsamer für <strong>Schule</strong>n mit Ganztagsangeboten,<br />
in denen sich die Kin<strong>der</strong><br />
sonst den ganzen Tag in Straßenschuhen<br />
bewegen. Vom <strong>Bewegung</strong>saspekt<br />
her verhin<strong>der</strong>n die mo<strong>der</strong>nen Straßenschuhe<br />
das natürliche Laufbedürfnis und<br />
Abrollverhalten über den vor<strong>der</strong>en Fußballen.<br />
Eine dicke Sohle hemmt den Bodenkontakt<br />
und das Gefühl <strong>der</strong> Bodenverbundenheit.<br />
Die Zehen werden zusammengedrückt,<br />
was <strong>der</strong> natürlichen<br />
Zehenspreizung entgegenwirkt. Von <strong>der</strong><br />
Veranlagung her sind die Füße ähnlich<br />
einsetzbar wie die Hände.<br />
Ruhe und Ausgeglichenheit im Klassenraum<br />
entsteht eben nicht unbedingt,<br />
wenn Kin<strong>der</strong> stillsitzen, son<strong>der</strong>n dann,<br />
wenn sie ihrem eigenen Bedürfnis nach<br />
<strong>Bewegung</strong> nachkommen können. Wir<br />
wollen Mut machen, <strong>Schule</strong> als Lernort<br />
neu zu denken und zu gestalten. Dazu<br />
gehört guter Unterricht in einer gut vorbereiteten<br />
Umgebung. Und wir können<br />
den Kin<strong>der</strong>n zutrauen, dass sie ihr eigenes<br />
Bedürfnis nach <strong>Bewegung</strong> wie<strong>der</strong><br />
mehr wahrnehmen. <br />
Lerngruppenraum einer jahrgangsgemischten Lerngruppe <strong>der</strong> Jahrgänge 1-2-3 an <strong>der</strong> Montessori-Oberschule in Potsdam<br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
21
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Thekla Mayerhofer<br />
Rhythmisierung von Unterricht als<br />
strukturgebendes Moment<br />
zwischen Spannung und Entspannung<br />
Um Grundschulkin<strong>der</strong>n bedürfnisgerechtes Lernen zu ermöglichen, muss<br />
Unterricht rhythmisiert werden. Auf Phasen <strong>der</strong> Anstrengung, Konzentration<br />
und Verausgabung müssen entsprechend solche folgen, die den Körper zur Ruhe<br />
kommen lassen o<strong>der</strong> aber aktiv bewegen. Im Zuge dessen können <strong>Bewegung</strong>sund<br />
Entspannungspausen Meilensteine rhythmisierten Lernens werden. Herausgearbeitet<br />
werden im Folgenden Faktoren, die darauf wesentlichen Einfluss<br />
haben. Zudem wird eine Ideenkartei angekündigt, welche die Erfüllung dieses<br />
Ziels unterstützt.<br />
Rhythmisierung ist<br />
lebensnotwendig<br />
Takt<br />
Einteilung des Schultages in<br />
Stunden und Blöcke<br />
Rhythmisierung meint die „zeitliche<br />
Glie<strong>der</strong>ung von Ereignissen im Sinne<br />
von harmonischen Wechseln und regelmäßiger<br />
Wie<strong>der</strong>kehr“ (Petersen 2005,<br />
zitiert nach Appel 2005). Dies impliziert<br />
„Intensitätsvorgänge“ und „Wechselbeziehungen“<br />
als spezifische Komponenten<br />
(vgl. ebd.) <strong>der</strong>selben. Somit bietet<br />
Rhythmisierung natürlichen Gegensätzlichkeiten<br />
des Lebens Raum. Auch im<br />
schulischen Kontext ist die Beachtung<br />
einer rhythmischen Struktur des Unterrichts<br />
zentral, da so die affektiven<br />
Bedürfnisse <strong>der</strong> Schüler*innen berücksichtigt<br />
werden. Des Weiteren kann sie<br />
zu Verlässlichkeit, Sicherheit, Geborgenheit,<br />
Ordnung und Übersichtlichkeit <strong>der</strong><br />
Geschehnisse führen.<br />
Je<strong>der</strong> Mensch unterliegt Rhythmen,<br />
ist jedoch imstande, sich auf sie einzustellen.<br />
Das Leben stellt eine Art Wellenbewegung<br />
dar und wir verorten uns<br />
beispielsweise zwischen wachen und<br />
schlafen, wachsen und vergehen, ruhen<br />
und bewegen, anstrengen und erholen<br />
o<strong>der</strong> auch kollektivem Wirken<br />
und selbstständigem Tun. Dabei hat je<strong>der</strong><br />
Mensch einen individuellen Rhythmus.<br />
Wenn dieser fremdbestimmt o<strong>der</strong><br />
ihm aufgezwungen wird, verfügt er nicht<br />
über seine optimale Leistungsfähigkeit.<br />
Die Übernahme frem<strong>der</strong> Rhythmen<br />
kann sogar krank machen.<br />
Rhythmen im Schulalltag<br />
Der schulische Alltag unterliegt selbstverständlich<br />
Rhythmen. Teils sind<br />
diese aus unterrichtsorganisatorischer<br />
Sicht erwirkt, teils sind sie vom einzelnen<br />
Kind ausgehend. Folgende Unterglie<strong>der</strong>ung<br />
kann vorgenommen werden<br />
(siehe Tabelle 1):<br />
Rhythmisierung <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> darf nicht<br />
mit den natürlichen Rhythmen <strong>der</strong><br />
Schüler*innen und <strong>der</strong> Pädagog*innen<br />
kollidieren. Obgleich eine geordnete Abstimmung<br />
von Lernprozessen in <strong>Schule</strong><br />
zwingend notwendig ist, sollten ausreichend<br />
Freiräume gelassen werden,<br />
um dieser Maxime gerecht zu werden.<br />
Die größte Herausfor<strong>der</strong>ung im Grundschulbereich<br />
ist dabei, dass ein Bewusstsein<br />
für den eigenen Rhythmus bei vielen<br />
Schüler*innen noch nicht ausgeprägt<br />
ist. Entsprechend sollten die Schüler*innen<br />
kontinuierlich dazu angeleitet wer-<br />
schulübergreifend<br />
Äußere Rhythmisierung Wechsel <strong>der</strong> Lernformen durch pädagogisches Team<br />
Innere Rhythmisierung<br />
den individuell-persönlichen<br />
Rhythmus finden<br />
durch das Kind selbst,<br />
unterstützt durch Angebote<br />
den, bewusst auf ihren eigenen Rhythmus<br />
zu achten, so ihre Leistungskurve zu<br />
berücksichtigen und zunehmend Lernprozesse<br />
selbst zu steuern.<br />
Fremdgesteuerte Rhythmisierung<br />
in <strong>Schule</strong>n vermeiden<br />
Als Zeichen von fremdgesteuerter<br />
Rhythmisierung im Unterricht können<br />
Konzentrationsprobleme, Unruhe sowie<br />
Unterrichtsstörungen gesehen werden.<br />
Der Wunsch und Drang, sich des fremden<br />
Rhythmus zu entziehen, verhin<strong>der</strong>t<br />
überdies konzentrierte Mitarbeit im<br />
Unterricht. Die Aufmerksamkeit und<br />
Konzentrationsfähigkeit sind elementar<br />
für erfolgreiches Lernen, wobei die<br />
Konzentrationsspannen bei Kin<strong>der</strong>n<br />
und Jugendlichen im Grundschulalter<br />
maximal 20 bis 25 Minuten ausmachen.<br />
Da Kognitionen und seelisches Wohlbefinden<br />
entscheidend von körperlichen<br />
Prozessen abhängen, sind merklich<br />
unruhig werdende Schüler*innen nicht<br />
zum Lernen und zur Informationsaufnahme<br />
bereit (vgl. Wamser/Leyk 2002).<br />
Bedürfnisgerecht rhythmisieren<br />
– Chancen nutzen<br />
Um benannten Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
Rechnung zu tragen und den Schüler*innen<br />
ein nachhaltiges Bewusstsein<br />
für ihre Bedürfnisse zu geben, birgt es<br />
große Chancen, <strong>Bewegung</strong>s- und Entspannungspausen<br />
in den Unterricht zu<br />
integrieren.<br />
Chancen von <strong>Bewegung</strong>spausen (BP)<br />
im Unterricht<br />
Kin<strong>der</strong> haben natürlicherweise eine<br />
hohe Lernbereitschaft UND einen<br />
hohen <strong>Bewegung</strong>sdrang.<br />
Dieser <strong>Bewegung</strong>sdrang staut sich<br />
in <strong>der</strong> Unterrichtstunde an und kann<br />
durch 10-minütige Pausen nicht kompensiert<br />
werden. Fehlende ausgleichen-<br />
22<br />
GS aktuell 160 • November 2022
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
de <strong>Bewegung</strong>, aber auch Nervosität, Aufregung<br />
und Angstgefühle sowie langes,<br />
statisches Sitzen können zu schmerzenden<br />
Muskelverspannungen führen. Aus<br />
neurophysiologischer Sicht können<br />
BP die Skelettmuskulatur entlasten bzw.<br />
kräftigen und so die Stärkung des Haltungs-<br />
und <strong>Bewegung</strong>sapparates unterstützen.<br />
Auch för<strong>der</strong>n sie die Durchblutung,<br />
wodurch Konzentrations- und<br />
Merkfähigkeit erhöht werden können.<br />
Zudem kann <strong>der</strong> Wechsel von kognitiv<br />
und körperlich ausgerichteten Phasen<br />
das Wohlbefinden steigern. Auch aus<br />
psychologischer Sicht ergibt sich eine<br />
Vielzahl an Chancen. Durch <strong>Bewegung</strong><br />
werden Stresshormone abgebaut und<br />
das Gefühl des Wohlbefindens<br />
sowie eine positive<br />
Lerneinstellung stellen<br />
sich ein. Ein gestärktes<br />
Gemeinschaftsgefühl<br />
kann sich durch gemeinsam<br />
erlebten Spaß an <strong>Bewegung</strong>sübungen<br />
entwickeln.<br />
Dieses kann das Lernklima sowie<br />
die Lernatmosphäre positiv beeinflussen<br />
und das soziale Miteinan<strong>der</strong> stärken. Des<br />
Weiteren kann die bewusste Wahrnehmung<br />
von Reaktionen des Körpers auf<br />
<strong>Bewegung</strong> als för<strong>der</strong>lich für Lebensqualität<br />
erlebt werden und so langfristig Einfluss<br />
auf <strong>Bewegung</strong>sverhalten in Pausen<br />
und Freizeit haben. Zusätzlich kann eine<br />
positive Grundeinstellung zu <strong>Bewegung</strong><br />
und Sport sowie <strong>der</strong>en Bedeutung für<br />
eine gesunde Lebensweise vermittelt werden<br />
(vgl. Oppolzer 2004; Greiner 2011).<br />
Chancen von Entspannungspausen<br />
(EP) im Unterricht<br />
An<strong>der</strong>s als BP sind die Schüler*innen<br />
in EP weniger körperlich aktiv, dennoch<br />
bieten diese Pausen eine große<br />
Chance, da sie helfen „loszulassen“<br />
und damit bereit zu werden für neue<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen. Permanenter (Leistungs-)Druck<br />
führt über längere Zeit zu<br />
Unausgeglichenheit, Unwohlsein, Lustlosigkeit,<br />
Aggressionen, auch zu Ängsten.<br />
Frühzeitig zu lernen, dass Pausen,<br />
auch solche <strong>der</strong> Entspannung, zum Alltag<br />
gehören, ist ein wichtiger Aspekt<br />
für gesundes, ausgeglichenes Lernen<br />
und Wachsen. Aus neurophysiologischer<br />
Sicht können sich Muskelverkrampfungen<br />
durch Entlastung und<br />
Ruhe lösen. Schmerzprävention bzw.<br />
-lin<strong>der</strong>ung wird daher durch gezielte<br />
„Leben ist<br />
zutiefst rhythmisch,<br />
nicht mechanisch<br />
linear konstituiert“<br />
(Burk 2006)<br />
Entspannung geleistet. Während Phasen<br />
<strong>der</strong> Entspannung weiten sich Blutkapillaren,<br />
wodurch ein angenehmes<br />
Gefühl von Wärme und Wohlsein im<br />
Körper wahrgenommen werden kann.<br />
Durch tiefes Ein- und Ausatmen wird<br />
<strong>der</strong> Atemrhythmus ruhig und gleichmäßig,<br />
was zum Lösen von Anspannung<br />
beitragen kann. Ebenso sind die Chancen<br />
aus psychologischer Sicht nicht zu<br />
unterschätzen. Durch erlebte Ruhe breiten<br />
sich Gefühle mentaler Frische, des<br />
Wohlbefindens, <strong>der</strong> Ruhe und Gelassenheit<br />
aus. Dies ist wohltuend für Körper<br />
und Geist. Durch das Empfinden des<br />
Loslassen-Könnens kann <strong>der</strong> Abbau von<br />
Ängsten und unangenehmen Gefühlen<br />
gelingen und die Konzentration<br />
auf Wesentliches<br />
sowie aktives Verfolgen<br />
des Unterrichts<br />
werden wie<strong>der</strong> möglich.<br />
Durch EP verbessern<br />
sich Informationsverarbeitungs-<br />
und Merkprozesse,<br />
auch weil durch das „Loslassen“<br />
von Anstrengungen die selektive<br />
Aufmerksamkeit erhöht wird (vgl.<br />
Oppolzer 2004; Greiner 2011).<br />
Zusammenfassend lässt sich daher<br />
festhalten, dass <strong>Bewegung</strong>s- und Entspannungspausen<br />
unersetzliche Erholungsformen<br />
darstellen und große Potenziale<br />
bieten. Dabei ist bei aller Gebundenheit<br />
an innerschulische Rhythmen<br />
zu beachten, dass mehrere kleine Pausen<br />
zur richtigen Zeit effektiver sind als eine<br />
lange. Es bedarf dabei nur ca. fünfminütiger<br />
Pausen, welche in den Unterricht<br />
eingebunden werden sollten. Diese sind<br />
ausreichend zur Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong><br />
ursprünglichen Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit(vgl.<br />
Mettig 2004).<br />
<strong>Bewegung</strong>s- und Entspannungspausen<br />
dürfen nicht „nur“ Mittel zum Zweck<br />
sein. Es sollte vielmehr immer wie<strong>der</strong><br />
hinterfragt werden, wie <strong>der</strong> Lern- und<br />
Lebensrhythmus <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> im Schulalltag<br />
aufgenommen werden kann, um<br />
so einen Beitrag zur ganzheitlichen Entwicklung<br />
und Erziehung zu leisten. Dabei<br />
muss auf die individuellen Bedürfnisse<br />
<strong>der</strong> Schüler*innen geachtet werden,<br />
wobei mit zunehmendem Alter<br />
<strong>der</strong> Fokus des einzelnen Kindes auf seine<br />
ureigenen Bedürfnisse wachsen sollte<br />
und damit verbunden auch das Selbstbewusstsein,<br />
mit dem es sich eine Pause<br />
nimmt.<br />
Thekla Mayerhofer<br />
ist seit 2012 Lehrerin in Sachsen-Anhalt.<br />
Sie unterrichtet die Fächer Mathematik,<br />
Deutsch, Sport und Englisch und<br />
verbindet letztere unter an<strong>der</strong>em im<br />
Bilingualen Sportunterricht. Ihr Schwerpunkt<br />
liegt auf <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>ingangsphase.<br />
Wie beginnen? Mit <strong>der</strong> Ideenkartei<br />
Bekanntlich ist aller Anfang schwer.<br />
Doch mit Hilfe einer Ideenkartei, welche<br />
im Klassen- o<strong>der</strong> Lehrerzimmer stehen<br />
kann, ist <strong>der</strong> Weg geebnet. Sie bietet,<br />
in verschiedene Kategorien unterglie<strong>der</strong>t,<br />
eine Vielzahl an Impulsen<br />
für gelingende <strong>Bewegung</strong>s- und Entspannungspausen.<br />
Dabei werden<br />
Handlungsanweisungen, teils bebil<strong>der</strong>t,<br />
erklärt und Effekte, welche die jeweiligen<br />
Übungen haben können, aufgezeigt.<br />
Durch ihre unkomplizierte Handhabe<br />
ist sie je<strong>der</strong>zeit schnell einsatzbereit und<br />
bedarf – außer die Ideen mit Material –<br />
keiner Vorbereitung. So kann ein kurzer<br />
Griff in die Kartei abwechslungsreiche<br />
<strong>Bewegung</strong>s- und Entspannungspausen<br />
bieten und damit große Wirkung zeigen.<br />
Weitere Informationen sowie die<br />
umfassende Vorstellung <strong>der</strong> Ideenkartei<br />
gibt es im neuen Band des Grundschulverbandes,<br />
welcher im kommenden<br />
Frühjahr erscheint. Vielleicht werden<br />
<strong>Bewegung</strong>s- und Entspannungspausen<br />
in Ihrem Unterricht dann schneller als<br />
gedacht zu einer wohltuenden Selbstverständlichkeit<br />
– für die Schüler*innen<br />
und Pädagog*innen. <br />
Literaturangaben zum Artikel können<br />
Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa160-Lit<br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
23
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Anette Zinser<br />
Grundschule Wohra –<br />
immer in <strong>Bewegung</strong><br />
Eine Gedankenwan<strong>der</strong>ung<br />
Sich frei fühlen, lebendig sein, den ganzen Körper spüren und sich mit ihm ausdrücken<br />
sind kindliche Grundbedürfnisse. Wie können diese im Schulalltag mehr<br />
berücksichtigt werden? Wie können Räume aussehen, die zum Bewegen einladen?<br />
Wie sollte Unterricht gestaltet sein, <strong>der</strong> <strong>Bewegung</strong>smöglichkeiten eröffnet?<br />
Die gesundheitswissenschaftliche<br />
Forschung stellt langes Sitzen als<br />
Gesundheitsrisiko für Kin<strong>der</strong><br />
und Jugendliche heraus (Bucksch/Dreger<br />
2014). Eine Analyse von Sitzzeiten<br />
Kin<strong>der</strong> und Jugendlicher ergab eine<br />
mittlere Sitzzeit von 10,6 Stunden an<br />
Schultagen (Huber/Köppel 2017). Je<br />
höher die Klassenstufe, desto mehr Sitzzeit.<br />
Der Gestaltung von Räumen und Lernumgebungen<br />
für Unterricht und Pausen<br />
scheint also große Bedeutung für eine gesunde<br />
kindliche Entwicklung zuzukommen.<br />
In <strong>der</strong> Literatur wird <strong>der</strong> (Klassen-)<br />
Raum auch, nach Loris Malaguzzi, als<br />
„dritter Pädagoge“ bezeichnet.<br />
Das Team <strong>der</strong> ländlich gelegenen<br />
Grundschule Wohra versucht, im Schulgebäude<br />
und im Freien Raum für <strong>Bewegung</strong><br />
zu geben und, wann immer möglich,<br />
den Unterricht diesen Räumen zu<br />
öffnen.<br />
Bewegt und flexibel im Unterricht<br />
Im Klassenraum braucht es weniger<br />
„hinten“ und „vorne“, stattdessen Schulmobiliar<br />
für einen bewegungsfreundlichen<br />
Unterricht: Stehtisch, Wackelhocker,<br />
Sitzbänke, Sitzkissen, Arbeitsteppich<br />
und möglichst viel Raum, beispielsweise<br />
durch Tische an <strong>der</strong> Wand.<br />
So ist das gemeinsame Lernen individuell,<br />
mit Partner, in <strong>der</strong> Gruppe o<strong>der</strong> auch<br />
im Plenum je<strong>der</strong>zeit realisierbar. Ein Sitzkreis<br />
entsteht durch einfaches Umdrehen<br />
des Stuhls, mit einem Sitzkissen können<br />
sich Kin<strong>der</strong> für Partner- o<strong>der</strong> Gruppenarbeiten<br />
schnell ein gemütliches Plätzchen<br />
suchen und für eine frontale Phase<br />
kann schnell ein Kinositz gebildet werden.<br />
Grünes Klassenzimmer<br />
Im Schulgarten befindet sich ein „grünes<br />
Klassenzimmer“ im Schutz einiger<br />
Bäume (Abb. 1). So kann <strong>der</strong> Unterricht<br />
problemlos an die frische Luft verlegt<br />
werden und für Partnerarbeiten,<br />
Explorationen und <strong>Bewegung</strong> zwischendurch<br />
ist viel Platz vorhanden.<br />
Freiräume<br />
Für mehr <strong>Bewegung</strong> im Schulalltag sorgen<br />
„Freiräume“. Die Klassenzimmertür wird<br />
geöffnet und Lernräume außerhalb des<br />
Klassenzimmers können genutzt werden.<br />
Im „Lichtflur“ steht eine alte Schulbank,<br />
<strong>der</strong> Gruppenarbeitsraum ist mit einem<br />
runden Tisch ausgestattet und die „Biberburg“<br />
ermöglicht, im Sitzen, Liegen und an<br />
einem Rückzugsort zu arbeiten (Abb. 2).<br />
(v. l. n. r.)<br />
Abb. 1:<br />
Ein „grünes<br />
Klassenzimmer“<br />
im Schutz einiger<br />
Bäume , Abb. 2:<br />
Der Rückzugsort<br />
die „Biberburg“,<br />
Abb. 3: Kids auf<br />
einem Ezy-Roller,<br />
Abb. 4: Versammlungsplatz<br />
im Kin<strong>der</strong>wald,<br />
Abb. 5:<br />
Kletteranlage<br />
24<br />
GS aktuell 160 • November 2022
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Auch zwei Sitzsofas im Flur laden zu<br />
Partnerarbeiten ein. Bei trockenem Wetter<br />
bietet auch <strong>der</strong> Schulgarten viele Rückzugsorte<br />
zum ungestörten Arbeiten. So<br />
entstehen natürliche <strong>Bewegung</strong>smöglichkeiten<br />
innerhalb des Unterrichts und es<br />
können beim Miteinan<strong>der</strong>-Lernen, wie im<br />
Hessischen Kerncurriculum gefor<strong>der</strong>t, aus<br />
dem Bereich <strong>der</strong> Sprachkompetenz erfolgreich<br />
Kommunikation und Interaktion<br />
geübt werden.<br />
WOHRA – Regeln und Starter-<br />
Profi-System regeln das „Wie?“<br />
Den Umgang miteinan<strong>der</strong> und das Verhalten<br />
in den „Freiräumen“ regelt ein<br />
System, das an das <strong>der</strong> Alemannenschule<br />
Wutöschingen angelehnt ist. Die<br />
Kin<strong>der</strong> nutzen am Anfang des Schuljahrs<br />
eine Starter-Medaille und, wenn sie<br />
sich bewährt haben, eine Profi-Medaille,<br />
wenn sie den Klassenraum ohne Aufsicht<br />
verlassen. Ein Akrostichon des<br />
Dorfnamens erinnert immer daran, wie<br />
wir uns sehen und wie wir miteinan<strong>der</strong><br />
umgehen wollen.<br />
WERTVOLL<br />
ORGANISIERT<br />
HILFSBEREIT<br />
RESPEKTVOLL<br />
ACHTSAM<br />
FLOW-Zeit<br />
Freitags ab dem zweiten Unterrichtsblock<br />
beginnt die FLOW–Zeit. In <strong>der</strong><br />
pädagogisch selbstständigen <strong>Schule</strong> können<br />
Schüler/innen in dieser Zeit fächerund<br />
jahrgangübergreifend lernen. An geboten<br />
wird organisierter Wahlunterricht<br />
mit Einwahlmöglichkeiten für Spiel-,<br />
Sport-, Wald- und Musikangebote, die<br />
Lernen in <strong>Bewegung</strong> ermöglichen. Die<br />
FLOW-Zeit ist Teil des Stundenplans<br />
und erfüllt die Kriterien <strong>der</strong> Stundentafel.<br />
Kin<strong>der</strong>wald<br />
Zusätzlich zur Möglichkeit, den Kin<strong>der</strong>wald<br />
im FLOW zu wählen, darf jede<br />
Klasse einmal in je<strong>der</strong> Jahreszeit den<br />
Kin<strong>der</strong>wald besuchen, ein naturbelassenes<br />
Waldstück in etwa einem<br />
Kilometer Entfernung. In <strong>der</strong> Waldfreizeit<br />
können die Schüler/innen sich frei<br />
und lebendig fühlen, ihre Entdeckungen<br />
und Initiativen stehen im Vor<strong>der</strong>grund.<br />
In selbst gebildeten Kleingruppen werden<br />
Hütten und Verstecke gebaut, große<br />
Äste bewegt, <strong>der</strong> Waldboden gefegt o<strong>der</strong><br />
auch Löcher gegraben. Auf die Waldfreizeit<br />
folgt das gemeinsame Singen am<br />
Versammlungsplatz (Abb. 3) am Lagerfeuer<br />
und das Mitteilen <strong>der</strong> Erlebnisse<br />
und Erkenntnisse. Zu verschiedenen<br />
Jahreszeiten können hier elementare<br />
<strong>Bewegung</strong>serfahrungen gesammelt<br />
werden. Rutschige Stämme, nasses<br />
Laub und matschiger Boden im Herbst<br />
erfor<strong>der</strong>n hohe Konzentration auf die<br />
eigenen <strong>Bewegung</strong>en und bieten an<strong>der</strong>e<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen als ein trockener<br />
Sommerwald. Die eigenen Erfahrungen<br />
und das freie Spiel sind ebenso för<strong>der</strong>lich<br />
für die Sprachentwicklung und die<br />
individuelle Entwicklung personaler<br />
Kompetenzen, da <strong>der</strong> Wald Neugierde<br />
und Kreativität weckt, differenzierte<br />
Wahrnehmungsfähigkeit erfor<strong>der</strong>t und<br />
so Anlässe zu vernetztem Denken bietet.<br />
Ebenso stärkt das Lernen in ihm die<br />
Sozialkompetenz im Sinne einer Teamund<br />
Kooperationsfähigkeit, denn die<br />
meisten Ideen lassen sich nicht allein<br />
umsetzen.<br />
<strong>Bewegung</strong>s(t)räume für Pausenund<br />
Betreuungszeiten<br />
Auf dem Hof können in den Pausen<br />
Fahrzeuge vom Einrad bis zum Ezyroller<br />
ausgeliehen werden, im Schulgarten<br />
bieten Wiese, Kletterwand, Burg, Bühne,<br />
Nestschaukel und ein aus Stämmen<br />
bestehendes Kletterarrangement variable<br />
Spiel- und <strong>Bewegung</strong>smöglichkeiten<br />
(Abb. 4). Bäume und Büsche laden zum<br />
Verstecken ein.<br />
Beobachtete Effekte auf<br />
die Schüler/innen<br />
Anette Zinser<br />
ist Schulleiterin <strong>der</strong> Grundschule<br />
Wohra, im Vorstand des Hessischen<br />
Grundschulverbandes, ehemalige pädagogische<br />
Mitarbeiterin <strong>der</strong> Universität<br />
Kassel und Fortbildnerin für kooperatives<br />
Lernen.<br />
● größere Anstrengungsbereitschaft<br />
● mehr körperliche Fitness<br />
● erhöhte Aufmerksamkeit im Unterricht<br />
durch <strong>Bewegung</strong> und Abwechslung<br />
● mehr Kooperation unter den Schüler/<br />
innen in freien Spielzeiten<br />
● Motivation zum Lernen durch größere<br />
Selbstständigkeit<br />
● in <strong>der</strong> Natur wird die Sprachentwicklung<br />
stimuliert, es bieten sich zahlreiche<br />
Sprachgelegenheiten in explorativen<br />
Phasen, vor allem jedoch auch im Anschluss<br />
an diese (Kin<strong>der</strong>, die im Klassenraum<br />
sehr still sind, sprechen häufig<br />
im Naturraum frei und ungehemmt)<br />
● die Vorstellungskraft wird geför<strong>der</strong>t<br />
(Kin<strong>der</strong>wald)<br />
Die beobachteten Effekte lassen sich<br />
belegen, beispielsweise durch den Hessischen<br />
Bildungs- und Erziehungsplan, <strong>der</strong><br />
<strong>Bewegung</strong> und Sport nicht nur positive<br />
Effekte auf die Motorik zuschreibt, son<strong>der</strong>n<br />
auch positive Effekte auf das Selbstkonzept,<br />
die Motivation, soziale Beziehungen<br />
und die Kognition beschreibt (s.<br />
BEP, S. 62-63)<br />
Grundschule Wohra –<br />
immer in <strong>Bewegung</strong>?<br />
Das gesamtübergreifende <strong>Bewegung</strong>skonzept<br />
trägt zu einem friedlichen<br />
Schulklima bei. <strong>Bewegung</strong> auch im<br />
übergeordneten Sinne hat eine zentrale<br />
Bedeutung im Schulalltag. Denn nicht<br />
nur die <strong>Bewegung</strong>sfreiheiten <strong>der</strong> Schüler<br />
und Schülerinnen, son<strong>der</strong>n auch des<br />
gesamten Teams sind an unserer <strong>Schule</strong><br />
wichtig. <strong>Schule</strong> als lernendes System zu<br />
sehen, beweglich für <strong>Schule</strong>ntwicklungsprozesse<br />
zu sein, sich begeistern können<br />
und selbst in <strong>Bewegung</strong> zu bleiben, sind<br />
unsere Antreiber.<br />
Weitere Einblicke in die Grundschule<br />
Wohra ermöglicht die Homepage: www.<br />
grundschule-wohra.de <br />
Literaturangaben zum Artikel können<br />
Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa160-Lit<br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
25
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Andrea Herkenhöner<br />
Wieso, weshalb? Wald!<br />
Waldcoaching – ein kurzer Erlebnisbericht<br />
Es war Mitte September, als in <strong>der</strong> Nacht endlich <strong>der</strong> langersehnte Regen fiel.<br />
Dass <strong>der</strong> Wald diesen dringend brauchte, war den Schülerinnen und Schülern<br />
<strong>der</strong> Kölner Heinzelmännchenschule bewusst. Auch dass <strong>der</strong> Wald wichtig ist,<br />
denn „Bäume machen saubere Luft“ und „da wohnen viele Tiere“. Aber einige<br />
Kin<strong>der</strong> waren bis dahin noch nie im Wald.<br />
Steigen wir gleich in den Bus?“ Das<br />
mussten wir nicht, denn <strong>der</strong> kleine<br />
Wald in Köln kann zu Fuß erreicht<br />
werden. Die <strong>Bewegung</strong> und die frische,<br />
schon herbstlich-kühle Luft machen uns<br />
wach, und nun kommt auch die Sonne<br />
zwischen den Wolken hervor. Am Waldrand<br />
angekommen, sammelt jedes Kind<br />
ein Laubblatt auf dem Boden, das ihm gut<br />
gefällt. Als persönliche Eintrittskarte –<br />
denn <strong>der</strong> Wald ist etwas ganz Beson<strong>der</strong>es.<br />
Am besten über den Wald<br />
lernt man … IM Wald!<br />
Im Wald verschlucken die Bäume den<br />
Verkehrslärm von drumherum ein<br />
wenig. „Man hört Vögel“, stellt ein Kind<br />
fest. Wir suchen nach Tierspuren: kreisrunde<br />
Löcher in einem stehenden Totholzstamm<br />
fallen auf. „Die sind von<br />
einem Specht.“ Da liegt, obwohl es erst<br />
Mitte September ist, bereits viel Laub<br />
auf dem Waldboden. „Bestimmt, weil es<br />
so trocken war, sind schon viele runtergefallen.“<br />
Die Kin<strong>der</strong> beobachten und<br />
deuten Dinge, die sie sehen.<br />
Im Wald liegt reichlich Totholz – das<br />
voller Leben ist! Wir finden kleinste<br />
Waldbewohner, die mithilfe eines Pinsels<br />
vorsichtig in eine Becherlupe beför<strong>der</strong>t<br />
werden. Dort können wir sie betrachten<br />
und anschließend unbeschadet wie<strong>der</strong><br />
freilassen. Einen Totholzstamm testen<br />
Andrea Herkenhöner<br />
Projektleitung „Waldcoaching inklusive“,<br />
Schutzgemeinschaft Deutscher<br />
Wald Bundesverband e. V. (SDW)<br />
wir als „Baumtelefon“: ein Kind horcht<br />
mit dem Ohr direkt am Holz. Am hinteren<br />
Ende des Baumstammes erzeugt jemand<br />
an<strong>der</strong>es leise Klopf- und Kratzgeräusche.<br />
Die Schallübertragung im Baum<br />
funktioniert! Ohne das Baumtelefon hätte<br />
man nichts gehört.<br />
„Ein Specht frisst diese kleinen Tiere,<br />
z. B. Käfer.“ Zum Thema Fressen-undgefressen-Werden<br />
passt ein Fangenspiel,<br />
das die Räuber-Beute-Beziehung simuliert.<br />
Alle flitzen umher, die <strong>Bewegung</strong><br />
macht sichtlich Spaß. Nun hüpft auch<br />
noch eine Kröte davon und irgendetwas<br />
schlängelt sich ins Laub … wohl eine<br />
Blindschleiche. Für einen kleinen Wald<br />
mitten in einer Großstadt ist hier einiges<br />
los!<br />
Auf dem Waldboden finden die Kin<strong>der</strong><br />
zu den anfangs gesammelten Blatt-Eintrittskarten<br />
Eicheln und kleine Propeller,<br />
die den Laubblättern von Eiche und<br />
Ahorn zugeordnet werden. Was passiert<br />
denn mit Früchten, die nicht von Tieren<br />
verzehrt werden, son<strong>der</strong>n am Boden liegen<br />
bleiben? „Wenn da Wasser kommt,<br />
dann wächst da ein neuer Baum draus.“<br />
Wer ist älter – <strong>der</strong> Baum o<strong>der</strong> ich?<br />
Abb. links: Fangspiel Fle<strong>der</strong>maus und Motte, Abb. rechts oben: Becherlupe,<br />
Abb. rechts unten: Baumtelefon<br />
Es dauert aber lange, bis ein Baum richtig<br />
groß ist. Das wird den Kin<strong>der</strong>n klar,<br />
als sie selbst Bäumchen in ihrem Alter<br />
suchen. Der Wald ist voll von sehr kleinen,<br />
jungen Eichen und Ahornen. Die<br />
26<br />
GS aktuell 160 • November 2022
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
„Waldcoaching inklusive“<br />
ist ein Verbundprojekt zwischen Bundesverband und Landesverband Hamburg<br />
<strong>der</strong> Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) e. V. Es unterstützt<br />
Grundschullehrkräfte darin, Waldthemen und Waldprojekte umzusetzen.<br />
Aktuell findet eine bundesweite Studie in Form einer Online-Befragung von<br />
Grundschullehrkräften statt. Wenn Sie teilnehmen o<strong>der</strong> mehr über den Lernort<br />
Wald erfahren möchten, melden Sie sich unter: waldcoaching@sdw.de<br />
o<strong>der</strong> info@sdw.de.<br />
Kontakt Bundesverband: Andrea Herkenhöner, andrea.herkenhoener@sdw.de;<br />
Kontakt Landesverband Hamburg: Marvin Gutdeutsch, gutdeutsch@wald.de<br />
großen Bäume stehen viel weiter auseinan<strong>der</strong><br />
und es sind insgesamt weniger.<br />
Durch das Messen des Stammumfangs<br />
lässt sich das Alter eines Baumes recht<br />
genau einschätzen (Anleitung dazu siehe<br />
www.baumportal.de). Die Kin<strong>der</strong> finden<br />
heraus, dass <strong>der</strong> älteste Baum hier im<br />
Wald eine dicke, große Eiche ist – über<br />
200 Jahre alt!<br />
Mit einem Abschlussspiel lassen wir<br />
den Vormittag Revue passieren. Auf<br />
dem Rückweg kreuzt ein Eichhörnchen<br />
mit einer Nuss in seiner kurzen Schnauze<br />
eilig unseren Weg. Schnell klettert es<br />
auf einen Baum und wartet, bis wir alle<br />
vorbeigezogen sind.<br />
Es gibt gute Gründe, mit<br />
<strong>der</strong> Klasse rauszugehen<br />
Das bestätigt Katja Teichert, Sachunterrichtslehrerin<br />
<strong>der</strong> Klasse: „Die Kin<strong>der</strong><br />
hatten heute eine echte, unmittelbare<br />
Begegnung mit <strong>der</strong> Natur. Mit allen Sinnen<br />
und viel Freude konnten sie neue<br />
Erfahrungen machen und etwas über den<br />
˛Lebensraum Wald‘ lernen. Nur so schaffen<br />
wir es, dass junge Menschen Achtung<br />
und Verantwortungsbewusstsein für die<br />
Natur entwickeln.“ Dass <strong>der</strong> Wald von<br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong> aus zu Fuß leicht erreichbar<br />
ist, hat beide Lehrerinnen für den nächsten<br />
Waldbesuch motiviert.<br />
Der Wald ist ein vielfältiger, spannen<strong>der</strong><br />
Lernort und Erlebnisraum. Er bietet<br />
sowohl Vertrautes als auch Neues.<br />
Mit seinen vielfältigen ökologischen, sozialen,<br />
kulturellen und wirtschaftlichen<br />
Funktionen ist <strong>der</strong> Wald für Mensch<br />
und Umwelt immens wichtig. Am Thema<br />
Wald und vor allem im Wald lassen<br />
sich Kompetenzen für eine Bildung für<br />
nachhaltige Entwicklung (BNE) bestens<br />
för<strong>der</strong>n. <br />
Abb. oben links: Forschungsobjekt "Baumwurzel", Abb. oben rechts: Alterseinschätzung<br />
einer Eiche anhand des Baumumfangs, Abb. unten: Reflexionsrunde im Kreis<br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
27
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Marion Gutzmann<br />
Kin<strong>der</strong>bücher zum Thema<br />
<strong>Bewegung</strong> und <strong>Schule</strong><br />
Ein Thema, das alle verbindet und auch ohne Sprache auskommen kann, ist <strong>der</strong><br />
Sport, die Freude an gemeinsamer <strong>Bewegung</strong>: „Sport ist herrlich!“. Das findet<br />
zumindest <strong>der</strong> Autor und Illustrator Ole Könnecke in seinem Bil<strong>der</strong>buch. Lust am<br />
Sport findet sich aber auch in den stimmungsvollen Comiczeichnungen von Philip<br />
Wächter o<strong>der</strong> Tipps zum alles verbindenden Fußball, in Kin<strong>der</strong>romanen, die sich<br />
dem Schwimmen widmen und letztendlich in <strong>der</strong> nachdenkenswerten Geschichte<br />
„Juhu, letzter!“. Kommen Sie bewegt durch eine bewegende Lesezeit!<br />
Martina Wildner verwebt in ihrem Kin<strong>der</strong>roman<br />
mehrere thematische Stränge –<br />
neben Freundschaften und Familie geht<br />
es zentral um das Thema Fußball und die<br />
Erfahrungen, die Jolanda, genannt Jo,<br />
als Mädchen in einer Jungenmannschaft<br />
macht. Jolanda hat einen Traum – sie will<br />
die beste Fußballerin aller Zeiten werden<br />
und wechselt dafür zur Jungenmannschaft<br />
Blau-Weiß. Die Geschichte zeigt, wie sehr<br />
ein Mädchen gefor<strong>der</strong>t wird, wenn es in<br />
einer traditionellen Männersportart Karriere<br />
machen möchte und sich dabei auch mit Vorurteilen und Mobbing<br />
auseinan<strong>der</strong>setzen muss. An vielen Stellen im Roman geht es<br />
vor allem um Aspekte <strong>der</strong> Sportart Fußball, um Training und Taktik,<br />
Freundschafts- und Ligaspiele, um Spiele und Turniere <strong>der</strong> Fußballgeschichte,<br />
um Eltern am Spielfeldrand, Freizeit- und Leistungssport.<br />
Selbst <strong>der</strong> Fußballgott spielt mit … Dabei schil<strong>der</strong>t Martina Wildner<br />
die Atmosphäre auf dem Fußballplatz realitätsnah. Sicherlich finden<br />
sich Mädchen, die gern Fußball spielen, in dieser Geschichte wie<strong>der</strong>.<br />
Einfach sie selbst zu sein, darin werden sowohl Mädchen als<br />
auch Jungen durch die Lektüre<br />
bestärkt. Auch wenn das Buch<br />
umfangreich erscheint, bieten<br />
zahlreiche Dialoge eine überschaubare<br />
und gut zu bewältigende<br />
Textmenge.<br />
Martina Wildner (2021):<br />
Der Himmel über<br />
dem Platz<br />
Beltz & Gelberg<br />
218 Seiten, € 13,95<br />
Philip Waechter lässt uns aus <strong>der</strong> Perspektive<br />
von Toni an seiner Leidenschaft für<br />
das Fußballleben teilhaben. Mit feinem<br />
Strich hat er Tonis Turnschuh-Abenteuer<br />
als Comic gezeichnet und erzählt mit Witz<br />
und Ironie von Toni und dessen großem<br />
Wunsch, mit den „Renato-Flash-Fußballschuhen<br />
<strong>der</strong> neuen Generation“ ein unwi<strong>der</strong>stehliches<br />
Spiel machen zu können.<br />
Den einzelnen Kapiteln gibt Philip Waechter<br />
je einen eigenen Farbton und zeichnet<br />
ein Bild von Kindheit heute und vielfältigem Leben in <strong>der</strong> Familie. Gern<br />
erschließt man sich lesend die witzigen Dialoge und taucht ein in die<br />
lustigen Details und die stimmungsvolle Farbigkeit <strong>der</strong> Comicseiten.<br />
Man erfährt von Tonis Versuchen, selbst Geld zu verdienen, um sich<br />
die heiß ersehnten Renato-Flash -Fußballschuhe mit Blinkerfunktion<br />
kaufen zu können. Dabei erleben wir, wie Toni Flyer austragen, Straßenmusik<br />
machen, einen Hund ausführen, einen Flohmarktstand<br />
machen o<strong>der</strong> als Model arbeiten möchte, um das nötige Geld für den<br />
Kauf <strong>der</strong> Schuhe zu verdienen. Und dann kommt Weihnachten … Das<br />
mit verschiedenen Preisen ausgezeichnete Buch war 2019 für den<br />
Leipziger Lesekompass nominiert<br />
und ist nicht nur für Fußball-Kicker<br />
empfehlenswert.<br />
Philip Waechter (2018):<br />
Toni. Und alles nur<br />
wegen Renato Flash.<br />
Beltz & Gelberg<br />
67 Seiten, € 14,95<br />
Den Duft von nassem Gras, Sonnenmilch, Chlorwasser und Pommes mit Ketchup und Mayo ... – wer kennt ihn nicht?<br />
Solche Assoziationen und worin die Faszination von Schwimmbä<strong>der</strong>n für Kin<strong>der</strong> besteht, vermittelt <strong>der</strong> Roman „Freibad“<br />
von Will Gmehling. Ein Roman, in dem das Schwimmbad für den 10-jährigen Alf Bukowski als Ich-Erzähler und<br />
seine jüngeren Geschwister Katinka und Robbie einen Sommer lang eine kleine Lebensschule ist, in <strong>der</strong> sie viel Spaß<br />
haben, unterschiedlichste Erfahrungen machen und an<strong>der</strong>e Menschen kennenlernen, z. B. den brummeligen Bademeister,<br />
<strong>der</strong> das Walross genannt wird, o<strong>der</strong> den Flaschensammler Konrad. Täglich sind die drei im Freibad – und<br />
das, weil sie im Bad ein kleines Kind vor dem Ertrinken gerettet und als Belohnung für die ganze Sommersaison eine<br />
Freikarte für das Freibad geschenkt bekommen haben. Alf hat sich für diese Zeit vorgenommen, es auf den 10-Meter-Turm<br />
zu schaffen, Katie will 20 Bahnen am Stück kraulen können und Robbie<br />
überhaupt erst schwimmen lernen. Es geht auch um die kleinen täglichen Dinge,<br />
z. B. ob das Geld <strong>der</strong> Bukowski-Geschwister noch für Eis o<strong>der</strong> Pommes reicht. O<strong>der</strong><br />
wie zufrieden sie mit Kleinigkeiten sind und sich daran erfreuen können. Inspirierend dazu ist die Liste am<br />
Ende des Buches über alles, was toll im Freibad ist. „Freibad“ wurde 2020 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis<br />
ausgezeichnet.<br />
Will Gmehling (2019):<br />
Freibad – Ein ganzer<br />
Sommer unter dem Himmel<br />
Peter Hammer Verlag<br />
156 Seiten, € 15,00<br />
28<br />
GS aktuell 160 • November 2022
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
„Die beste Bahn meines Lebens“ ist die<br />
erste Buchveröffentlichung von Anne Becker<br />
und wurde bereits 2017 als Manuskript<br />
für den Oldenburger Kin<strong>der</strong>- und<br />
Jugendpreis und 2020 für den Jugendliteraturpreis<br />
nominiert. Schwimmtalent,<br />
Mathe-Genie o<strong>der</strong> LRS-Kind – Anne Becker<br />
erzählt warmherzig und einfühlsam<br />
aus <strong>der</strong> Perspektive von Jan über kleine<br />
Schwächen und große Stärken, erste Liebesgefühle,<br />
tiefe Verunsicherungen und<br />
Rivalitäten. In die Geschichte von Jan,<br />
dem Schwimmtalent, <strong>der</strong> nicht gut lesen und schreiben kann, sind<br />
Tagebuchseiten in Form von Tabellen, Schaubil<strong>der</strong>n und Diagrammen<br />
eingeflochten, die das mathematisch hochbegabte Nachbarmädchen<br />
Florentine, genannt Flo, angefertigt hat und die ihre Erzählweise<br />
witzig darstellen. Im Vor<strong>der</strong>grund <strong>der</strong> Geschichte stehen dabei<br />
nicht die Ängste und Nöte von Jan und seine Gefühle <strong>der</strong> Scham und<br />
Verunsicherung, weil er seine LRS verbergen möchte, son<strong>der</strong>n die<br />
Kraft und die Stabilität, die ihm<br />
<strong>der</strong> Sport und sein Können als<br />
Schwimmer geben, seine Freundschaft<br />
zu Flo und die erste Liebe.<br />
Anne Becker (2019):<br />
Die beste Bahn<br />
meines Lebens<br />
Beltz & Gelberg<br />
176 Seiten, € 12,95<br />
Immer gewinnen die Gleichen – wer kennt<br />
nicht diese weit verbreitete Meinung, bei<br />
<strong>der</strong> die Sieger von Anfang an feststehen,<br />
egal bei welchem Wettkampf o<strong>der</strong> wenn<br />
es um das Thema Erfolg und Misserfolg<br />
geht. Immer gewinnen dieselben Tiere –<br />
ist auch das Nachdenkthema des Bil<strong>der</strong>buches<br />
„Juhu, LetzteR“, das bereits mit<br />
seinem Titel auf an<strong>der</strong>e kreative und witzige<br />
Lösungen neugierig macht. Auch den<br />
Tieren sind die Wettkämpfe inzwischen so<br />
langweilig, dass das Publikum einschläft. Als auch <strong>der</strong> Elefant einnickt<br />
und die Tribüne hinunterkugelt, ist klar, dass sich etwas grundlegend<br />
än<strong>der</strong>n muss! Da haben Hamster, Regenwurm und Zwergmaus eine<br />
Idee: Ab jetzt sollen diejenigen die Sieger sein, die als Letzte ins Ziel<br />
gehen, das geringste Gewicht stemmen und am wenigsten weit springen<br />
können. So entsteht eine skurrile Olympiade <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en<br />
Art, turbulent und witzig von Jens Rassmus erzählt und interessant<br />
in Bil<strong>der</strong> gesetzt. Der Mix aus farbenfrohen,<br />
großformatigen Bil<strong>der</strong>n<br />
und Strichzeichnungen und vielen<br />
Dialogen macht Lust aufs Lesen<br />
und Vorlesen.<br />
Jens Rassmus (2020):<br />
Juhu, LetzteR! Die neue<br />
Olympiade <strong>der</strong> Tiere<br />
G & G Verlagsgesellschaft<br />
mbH Wien<br />
64 Seiten, € 18,00<br />
Ausgezeichnet mit dem Leipziger Lesekompass<br />
2018 macht das liebevoll gestaltete<br />
und umfangreiche großformatige<br />
Bil<strong>der</strong>buch kleinen und großen Sportbegeisterten<br />
originell und witzig Lust aufs<br />
Sportmachen. Wie in einem Bil<strong>der</strong>bogen<br />
werden die verschiedensten Sportarten<br />
vorgestellt, mit ihren ganz eigenen Vorzügen<br />
und Beson<strong>der</strong>heiten – von Fußball<br />
über Leichtathletik, Eishockey, Pferdesport, Boxen o<strong>der</strong> Windsurfen<br />
bis hin zum Slacklining, Einradfahren o<strong>der</strong> dem Ball-hin-und-her-Werfen.<br />
Fröhlich illustriert können auf je<strong>der</strong> Seite die Tiersportler*innen<br />
betrachtet werden – warum ist wohl die Giraffe für den Hochsprung<br />
ausgewählt o<strong>der</strong> warum belegt die Schildkröte beim Hun<strong>der</strong>tmeterlauf<br />
den dritten Platz? In kurzen Texten mit überschaubarer Zeilenlänge<br />
werden die wichtigsten Regeln <strong>der</strong> Sportarten beschrieben<br />
und Begriffe wie z. B. Jockey erklärt. Der Humor kommt dabei nicht zu<br />
kurz, sind doch manchmal nicht alle sportlichen Betätigungen erfolgreich<br />
– o<strong>der</strong> warum muss <strong>der</strong> eine Skispringer wohl noch üben? Sport<br />
sollte nicht nur anstrengend sein,<br />
son<strong>der</strong>n vor allem Spaß machen.<br />
Diese Botschaft scheint gelungen<br />
– selbst Sportmuffel sollten<br />
nach <strong>der</strong> Lektüre Lust auf Sport<br />
bekommen!<br />
Ole Könnecke (2017):<br />
Sport ist herrlich!<br />
Carl Hanser Verlag<br />
München<br />
52 Seiten, € 16,00<br />
Fußball ist eine Lieblings-Sportart, die als<br />
Thema sowohl im Bereich <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>romane<br />
als auch in Sachbüchern häufig vertreten<br />
ist und z. B. im Zusammenhang mit<br />
Weltmeisterschaften viele Neuauflagen<br />
erfährt. Dazu gehört auch das im Sommer<br />
erschienene Sachbuch „Fußball verrückt“.<br />
Seitenweise Fakten, Rekorde und Fußballwissen<br />
mit eindrucksvollen Bil<strong>der</strong>n und<br />
Grafiken und je<strong>der</strong> Menge Expertenwissen<br />
sind das perfekte Geschenk für jeden Fußballfan<br />
– auch außerhalb einer Fußball-WM. Vom Fallrückzieher bis<br />
zum Freistoß wird jedes Manöver <strong>der</strong> großen Idole anhand anschaulicher<br />
Infografiken einprägsam<br />
erklärt. All diese Tipps und Tricks<br />
lassen sich nach <strong>der</strong> Lektüre gleich<br />
auf dem Fußballplatz ausprobieren.<br />
Und – es geht auch in diesem Buch<br />
um den perfekten Fußballschuh.<br />
Michael Schmidt<br />
(Übersetzer), (2022):<br />
Fußball verrückt.<br />
Aus dem Englischen<br />
Dorling Kin<strong>der</strong>sley Verlag<br />
144 Seiten, € 14,95<br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
29
Aus Praxis: <strong>der</strong> <strong>Bewegung</strong> Forschungin <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Sabine Martschinke, Meike Munser-Kiefer, Andreas Hartinger und Alfred Lindl<br />
„Funktioniert“ die Jahrgangsmischung<br />
auch in <strong>der</strong> 3. und 4. Jahrgangsstufe?<br />
Leistungsentwicklung und adaptive Unterstützung im Unterricht<br />
In einer bayernweiten Kooperationsstudie <strong>der</strong> Universitäten Regensburg, Erlangen-Nürnberg<br />
und Augsburg wird danach gefragt, ob sich die (kleinen) positiven<br />
Effekte auf die Leistungsentwicklung jahrgangsgemischt unterrichteter Schüler:innen<br />
<strong>der</strong> 1. und 2. Jahrgangsstufe auch in höheren jahrgangsgemischt unterrichteten<br />
Klassenstufen <strong>der</strong> Grundschule (3. und 4. Jahrgangsstufe) finden lassen.<br />
Tatsächlich zeigen sich positive<br />
Effekte, allerdings ausschließlich<br />
für die Drittklässler:innen. Dieses<br />
Ergebnis passt zur Wahrnehmung<br />
<strong>der</strong> Schüler:innen: Die meisten Kin<strong>der</strong><br />
geben zwar an, dass beide Jahrgänge<br />
gleichermaßen unterstützt werden – die<br />
Kin<strong>der</strong>, die das nicht so einschätzen,<br />
nehmen aber weitgehend eine bessere<br />
För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> jüngeren Kin<strong>der</strong> wahr.<br />
Unsere Befunde ergaben auch, dass<br />
Lehrkräfte in jahrgangsgemischten<br />
Klassen adaptiver unterrichten als Lehrkräfte<br />
jahrgangshomogener Klassen.<br />
Die Daten zeigen jedoch auch, dass es<br />
hier noch „etwas Luft nach oben“ gibt:<br />
Generell und beson<strong>der</strong>s für die Viertklässler:innen<br />
ist nicht genutztes Potenzial<br />
für mehr Adaptivität und individuelle<br />
Unterstützung vorhanden.<br />
Dieser Beitrag möchte Lehrkräften<br />
und an<strong>der</strong>en Interessierten ausgewählte<br />
Informationen zu einer aktuellen Studie<br />
zur Jahrgangsmischung in <strong>der</strong> 3. und<br />
4. Jahrgangsstufe liefern und damit Mut<br />
machen, dass Jahrgangsmischung in <strong>der</strong><br />
3. und 4. Jahrgangsstufe „funktioniert“.<br />
Gleichzeitig liefert <strong>der</strong> Beitrag Hinweise,<br />
wie jahrgangsgemischter Unterricht<br />
weiterentwickelt werden kann.<br />
Problemaufriss: Hoffnungen<br />
und Befürchtungen<br />
Das jahrgangsgemischte Lernen liegt in<br />
<strong>der</strong> Grundschule seit ca. 20 Jahren im<br />
Trend (Carle 2014). Lehrkräfte, Studierende,<br />
Eltern und zuweilen auch Kin<strong>der</strong><br />
begegnen <strong>der</strong> Jahrgangsmischung zum<br />
Teil mit großen Hoffnungen, aber auch<br />
immer noch mit einer gewissen Skepsis,<br />
insbeson<strong>der</strong>e für die Jahrgangsstufen<br />
3 und 4 als Schlüsselstelle in unserem<br />
Bildungssystem (s. Abb. 1).<br />
In Interviews mit Lehrkräften jahrgangsgemischter<br />
Klassen (Feuchtenberger/Martschinke/Munser-Kiefer/Hartinger<br />
2019) überwiegen die Hoffnungen,<br />
Abb. 1: Hoffnungen für Drittklässler:innen und Befürchtungen für Viertklässler:innen<br />
aus Lehrer:innenperspektive (aus Feuchtenberger u. a. 2019)<br />
dass zum einen durch diese Organisationsform<br />
auch kleine <strong>Schule</strong>n erhalten<br />
bleiben können, zum an<strong>der</strong>en aber auch<br />
pädagogisch-didaktische Vorteile durch<br />
das jahrgangsgemischte Peerlernen genutzt<br />
werden können. Das Lernen am<br />
Modell und die Unterstützung durch die<br />
meist auch älteren Viertklässler:innen in<br />
kürzer o<strong>der</strong> länger angelegten Lernpatenschaften<br />
lassen Leistungseffekte zumindest<br />
für die Drittklässler:innen erwarten.<br />
Aber auch Befürchtungen sind mit<br />
dem jahrgangsgemischten Lernen verbunden.<br />
Diese beziehen sich eher auf<br />
die jeweils älteren Kin<strong>der</strong>: Diese könnten<br />
in ihrer Helfer:innenrolle Wissen<br />
zwar durch Wie<strong>der</strong>holung festigen, aber<br />
zu wenig neue Anregung durch neuen<br />
Stoff bekommen. Diese Befürchtung<br />
wird vor dem Hintergrund des „Übergangs<br />
nach oben“ verstärkt, denn in <strong>der</strong><br />
4. Klasse werden relevante Bildungsentscheidungen<br />
getroffen.<br />
Der Artikel berichtet von unserer großen<br />
bayerischen Kooperationsstudie, die<br />
diese Hoffnungen und Befürchtungen<br />
für die 3. und 4. Klasse aus verschiedenen<br />
Perspektiven – Schüler:innen, Lehrer:innen,<br />
Unterrichtsbeobachtung – auf<br />
den Prüfstand stellt.<br />
Ergebnisse zur Jahrgangsmischung<br />
in <strong>der</strong> ersten und zweiten Jahrgangsstufe<br />
im deutschsprachigen Raum zeigen<br />
zumeist kleine Leistungsvorteile<br />
für die jahrgangsgemischt unterrichteten<br />
Kin<strong>der</strong> – zumindest in Modellversuchen<br />
– (Carle 2014, Hattie/Zierer<br />
2020, Hartinger/Grittner/Rehle 2011).<br />
Diese Befunde wecken Erwartungen für<br />
Leistungsvorteile in <strong>der</strong> 3. und 4. Klasse.<br />
Lehrkräfte erhoffen sich dabei vorrangig<br />
für die Drittklässler:innen durch<br />
mögliche Lernpatenschaften mit Älteren<br />
(Feuchtenberger/Martschinke/Munser-<br />
Kiefer/Hartinger 2019) entsprechende<br />
Effekte. Viertklässler:innen könnten<br />
sich dagegen weniger unterstützt und<br />
geför<strong>der</strong>t fühlen. Der Auslöser dieser<br />
30<br />
GS aktuell 160 • November 2022
Praxis: <strong>Bewegung</strong> Aus <strong>der</strong> in Forschung<br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Effekte wird damit eher auf <strong>der</strong> Ebene<br />
<strong>der</strong> Tiefenstruktur und <strong>der</strong> Qualität<br />
des jahrgangsgemischten Unterrichts<br />
vermutet, <strong>der</strong> die entscheidende Stellschraube<br />
sein könnte.<br />
Für den vorliegenden Beitrag ergeben<br />
sich damit folgende Forschungsfragen:<br />
1. Wie entwickelt sich die Leistung in<br />
Lesen und Mathematik in jahrgangsgemischten<br />
und jahrgangshomogenen<br />
Klassen in <strong>der</strong> 3. und 4. Jahrgangsstufe<br />
im Vergleich (und in den verschiedenen<br />
Leistungsgruppen)?<br />
2. Fühlen sich Dritt- und Viertklässler:innen<br />
gleichermaßen beachtet und<br />
geför<strong>der</strong>t?<br />
3. Welche Unterrichtsmerkmale können<br />
guten Unterricht in <strong>der</strong> Jahrgangsmischung<br />
ausmachen?<br />
1. Wie entwickelt sich die<br />
Leistung in jahrgangsgemischten<br />
und jahrgangshomogenen<br />
dritten und vierten Klassen?<br />
Für Lehrkräfte, Eltern, aber auch<br />
für Schulleitungen und an<strong>der</strong>e Entscheidungsträger<br />
ist es zunächst bedeutsam,<br />
ob die Kin<strong>der</strong> im jahrgangsgemischten<br />
Unterricht die gleichen<br />
fachlichen Leistungen erreichen können<br />
wie in den klassischen Jahrgangsklassen.<br />
Dieser Frage wurde mit großer<br />
Stichprobe und statistisch-methodisch<br />
anspruchsvoll nachgegangen.<br />
Prof. Dr. Sabine Martschinke (links)<br />
ist Lehrstuhlinhaberin für Grundschulpädagogik mit dem Schwerpunkt Umgang mit<br />
Heterogenität an <strong>der</strong> Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität Erlangen-Nürnberg.<br />
Prof. Dr. Meike Munser-Kiefer (2. v. links)<br />
ist Professorin für Pädagogik (Grundschulpädagogik) an <strong>der</strong> Universität Regensburg.<br />
Prof. Dr. Andreas Hartinger (3. v. links)<br />
ist Lehrstuhlinhaber für Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik an <strong>der</strong> Universität<br />
Augsburg.<br />
Dr. Alfred Lindl (rechts)<br />
leitet an <strong>der</strong> Universität Regensburg eine interdisziplinäre Nachwuchsforschungsgruppe<br />
(„FALKO-PV“) zum Professionswissen von Lehrkräften und zu Qualitätsmerkmalen<br />
von Fachunterricht.<br />
1.1 Wer wurde befragt und welche<br />
Leistungen wurden erfasst?<br />
An <strong>der</strong> Studie waren 1644 Schüler:innen<br />
beteiligt, die von Beginn <strong>der</strong> 3. Klasse bis<br />
zum Ende <strong>der</strong> 4. Klasse wissenschaftlich<br />
begleitet wurden. Die Klassen (davon 68<br />
jahrgangsgemischt) stammten aus dem<br />
ländlichen und städtischen Bereich und<br />
wurden von insgesamt 125 Lehrkräften<br />
(92 % weiblich; mittleres Dienstalter 16<br />
Jahre) unterrichtet.<br />
Für diese Fragestellung wurden immer<br />
je zwei Kin<strong>der</strong> aus jedem Setting<br />
„gematcht“, die zum ersten Zeitpunkt<br />
vergleichbare Ausgangswerte in Lesen<br />
und Mathematik, aber auch in <strong>der</strong> Erstsprache,<br />
Bildungsnähe des Elternhauses,<br />
im Selbstkonzept, in <strong>der</strong> Motivation und<br />
den Einstellungen gegenüber <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
aufwiesen. Außerdem wurden vier Leistungsgruppen<br />
nach den Ausgangswerten<br />
in Mathematik und Lesen gebildet, um<br />
differenzielle Effekte für leistungsstärkere<br />
(oberste 25 Prozent) und weniger<br />
leistungsstarke Kin<strong>der</strong> (unterste 25 Prozent)<br />
berechnen zu können.<br />
Die Leistungen im Lesen und in Mathematik<br />
wurden im Längsschnitt zu<br />
drei Erhebungspunkten untersucht – zu<br />
Anfang und am Ende <strong>der</strong> 3. Klasse bzw.<br />
am Ende <strong>der</strong> 4. Klasse (VERA für Lesen<br />
bzw. lehrplankonforme und an ILEA<br />
angelehnte Aufgaben sowie Vergleichsarbeiten<br />
für Mathematik).<br />
1.2 Ergebnisse und Konsequenzen<br />
für die Praxis<br />
Die Ergebnisse zum Lesen und in<br />
Mathematik zeigen, dass es am Ende<br />
<strong>der</strong> 4. Jahrgangsstufe keine signifikanten<br />
Unterschiede zwischen den jahrgangsgemischt<br />
und jahrgangshomogen<br />
unterrichteten Kin<strong>der</strong>n gibt. Das ist<br />
grundsätzlich eine Pattsituation, auch<br />
wenn es tendenziell kleine Effekte am<br />
Ende <strong>der</strong> Grundschulzeit zugunsten<br />
<strong>der</strong> jahrgangsgemischt unterrichteten<br />
Schüler:innen des untersten Leistungsspektrums<br />
gibt. Ein wenig an<strong>der</strong>s sieht<br />
es am Ende <strong>der</strong> 3. Klasse aus. Hier zeichnet<br />
sich ein kleiner bis mittlerer Effekt<br />
zugunsten <strong>der</strong> jahrgangsgemischt unterrichteten<br />
Drittklässler:innen ab, beson<strong>der</strong>s<br />
– wie erwartet – zugunsten <strong>der</strong> leistungsstärkeren<br />
Gruppen. Entsprechend<br />
ergibt sich <strong>der</strong> Unterschied nicht in <strong>der</strong><br />
generellen Gegenüberstellung „Jahrgangsmischung“<br />
versus „Jahrgangshomogenisierung“,<br />
son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> differenzierten<br />
Betrachtung von Jahrgangsstufe<br />
und Leistungsgruppe.<br />
Der beson<strong>der</strong>e Profit für die Drittklässler:innen<br />
(und auch für schwächere<br />
Schüler:innen) insgesamt lässt sich<br />
gut erklären durch zusätzliche und kognitiv<br />
aktivierende Inhalte im gemeinsamen<br />
Unterricht, durch die Unterstützung<br />
von Viertklässler:innen beim Lernen<br />
und durch kleinere Gruppen beim<br />
getrennten Lernen.<br />
Schwieriger ist <strong>der</strong> Verlust dieses „Vorsprungs“<br />
im Laufe <strong>der</strong> 4. Jahrgangsstufe<br />
zu deuten. Es könnte sein, dass die Helfer:innenrolle<br />
zwar gut geeignet ist, erworbenes<br />
Wissen zu festigen, aber auch<br />
einen gewissen Bremseffekt für neue Inhalte<br />
darstellt. Angenommen werden<br />
kann aber auch eine Art „Deckelung“<br />
durch den Lehrplan am Ende <strong>der</strong> vierten<br />
Jahrgangsstufe, <strong>der</strong> nur bestimmte<br />
Lernziele für zwei Jahre vorsieht.<br />
Erkenntnisse und Konsequenzen für die<br />
Praxis: Jahrgangsgemischter Unterricht<br />
erreicht am Ende <strong>der</strong> Grundschulzeit<br />
die Ziele im fachlichen Leistungsbereich<br />
gleich gut und kann damit in dieser Hinsicht<br />
ohne Befürchtungen eingesetzt werden.<br />
Da die Drittklässler:innen und auch<br />
leistungsschwächere Schüler:innen sich<br />
günstiger im jahrgangsgemischten Unterricht<br />
entwickeln, heißt es, dieses Potenzial<br />
auszuschöpfen, aber unter Umständen<br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
31
Aus Praxis: <strong>der</strong> <strong>Bewegung</strong> Forschungin <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
ein beson<strong>der</strong>es Augenmerk auf die Viertklässler:innen<br />
und dort beson<strong>der</strong>s auf<br />
die leistungsstärkeren Schüler:innen und<br />
ihre För<strong>der</strong>ung zu legen.<br />
2. Fühlen sich Dritt- und<br />
Viertklässler:innen gleichermaßen<br />
beachtet und geför<strong>der</strong>t?<br />
Um die Vermutung zu stützen o<strong>der</strong> zu<br />
entkräften, ob tatsächlich Viertklässler:innen<br />
unter Umständen weniger<br />
Beachtung und För<strong>der</strong>ung erfahren,<br />
wurden die Kin<strong>der</strong> selbst befragt.<br />
2.1 Wer wurde befragt<br />
und wie wurde erhoben?<br />
Wir haben hierzu die Antworten von 604<br />
Kin<strong>der</strong>n aus den jahrgangsgemischten<br />
Klassen ausgewertet: Diese antworteten<br />
zunächst als Drittklässler:innen und<br />
ein Jahr später als Viertklässler:innen –<br />
jeweils in <strong>der</strong> Mitte des Schuljahrs. Zur<br />
Frage <strong>der</strong> Unterstützung bekamen die<br />
Kin<strong>der</strong> vier Satzanfänge vorgelegt (s.<br />
Abb. 2). Als Antwortmöglichkeiten hatten<br />
sie die Wahl zwischen Dritt- o<strong>der</strong><br />
Viertklässler:innen bzw. „beide gleich“.<br />
2.2 Ergebnisse und Konsequenzen<br />
für die Praxis<br />
Die Antworten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> zeigen, dass<br />
bei allen vier Items immer mindestens<br />
75 % bis hin zu 90 % angegeben haben,<br />
dass die Kin<strong>der</strong> aus beiden Schulbesuchsjahren<br />
gleich behandelt (gleichermaßen<br />
unterstützt) werden. Die Antworten<br />
<strong>der</strong> beiden Jahrgänge sind dabei<br />
mit durchschnittlich 80 % bzw. 81 %<br />
Abb. 2: Items für die Erfassung <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> (bei männlichen Lehrkräften<br />
wurde entsprechend Lehrer verwendet)<br />
sehr ähnlich. Wie sieht das aber aus<br />
für die Kin<strong>der</strong>, die hier keine „Gleichbehandlung“<br />
wahrnehmen (s. Abb. 3)?<br />
Sie nehmen zu einem deutlich größeren<br />
Anteil (15 % bzw.16 %) die Unterstützung<br />
durch die Lehrkraft für die Drittklässler:innen<br />
wahr. Nur ein sehr geringer<br />
Prozentsatz (jeweils 4 %) sieht Vorteile<br />
auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Viertklässler:innen.<br />
Abbildung 3 veranschaulicht dies gemittelt<br />
über die Skala „Unterstützung durch<br />
die Lehrkraft“ (Items, s. Abb. 2).<br />
Diese Einschätzung ist relativ unabhängig<br />
davon, ob die Kin<strong>der</strong> selbst gerade<br />
in <strong>der</strong> 3. o<strong>der</strong> 4. Jahrgangsstufe<br />
sind. Sie sehen also – wenn überhaupt<br />
und unabhängig von <strong>der</strong> Klassenstufe –,<br />
dass die Lehrkraft eher den Drittklässler:innen<br />
etwas erklärt, ihnen mehr bei<br />
Schwierigkeiten hilft, mehr auf sie achtet<br />
und sich eher mehr um sie kümmert.<br />
Erkenntnisse und Konsequenzen für<br />
die Praxis: Einerseits ist <strong>der</strong> hohe Prozentsatz<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>, die die För<strong>der</strong>und<br />
Unterstützungskapazitäten <strong>der</strong><br />
Lehrkraft gleichermaßen bei Drittund<br />
Viertklässler:innen sehen, einer<br />
enormen Leistung <strong>der</strong> Lehrkräfte<br />
zuzurechnen, die eine hohe adaptive<br />
Anpassung an die unterschiedlichen<br />
Leistungsstände erfor<strong>der</strong>t. An<strong>der</strong>erseits<br />
liegt aber für die restlichen Kin<strong>der</strong><br />
die Vermutung nahe, dass tatsächlich<br />
die För<strong>der</strong>ung und die Aufmerksamkeit<br />
im Zweifelsfalle o<strong>der</strong> bei zu hoher<br />
Belastung durch die große Heterogenität<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> in einer Klasse eher bei<br />
den Drittklässler:innen liegen und<br />
möglicherweise hier auch mehr Zeitanteile<br />
hinfließen. Das Ergebnis passt<br />
gut zu den Leistungsergebnissen <strong>der</strong><br />
Kin<strong>der</strong> bzw. hat Erklärungspotenzial,<br />
ohne dass hier eine Prüfung unserer<br />
Annahme stattfinden kann.<br />
3. Gibt es in jahrgangsgemischten<br />
Klassen mehr individuelle und<br />
adaptive Unterstützung?<br />
Abb. 3: Unterstützung durch die Lehrkraft in <strong>der</strong> Wahrnehmung <strong>der</strong> Dritt- und Viertklässler:innen<br />
(gemittelt über die Skala „Unterstützung durch die Lehrkraft“<br />
Sowohl die Leistungsergebnisse <strong>der</strong><br />
Kin<strong>der</strong> als auch ihre Wahrnehmung<br />
berühren die Frage, inwieweit es Lehrkräften<br />
in jahrgangsgemischten Klassen<br />
gelingt, individueller und eventuell auch<br />
adaptiver zu unterrichten als Lehrkräfte<br />
in jahrgangshomogenen Klassen (Munser-Kiefer/Martschinke/Hartinger<br />
2017).<br />
32<br />
GS aktuell 160 • November 2022
Praxis: <strong>Bewegung</strong> Aus <strong>der</strong> in Forschung<br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
3.1 Wer wurde befragt<br />
und wie wurde erhoben?<br />
Über 100 Lehrer:innen (52 aus jahrgangshomogenen<br />
und 60 aus jahrgangsgemischten<br />
Klassen) füllten einen<br />
Fragebogen zur Gestaltung des Unterrichts<br />
aus. Die Fragen zur adaptiven<br />
Unterrichtsgestaltung bezogen sich auf<br />
Lernstandsdiagnosen, Differenzierungsmaßnahmen<br />
und auf individuelle För<strong>der</strong>ung<br />
sowie Rückmeldung (z. B. „Ich<br />
verwende verschieden schwere Aufgaben<br />
für unterschiedliche Kin<strong>der</strong>“; „Ich<br />
führe ausführlichere[Lern-]Gesprä che<br />
zum aktuellen Lernstand mit konkreten<br />
Tipps“). Als Antwortmöglichkeiten<br />
standen den Lehrkräften „selten o<strong>der</strong><br />
nie“, „mindestens einmal pro Monat“,<br />
„mindestens einmal pro Woche“, „täglich“<br />
(Likertskala von 0 bis 3) zur Verfügung.<br />
3.2 Ergebnisse und Konsequenzen<br />
für die Praxis<br />
Lehrkräfte jahrgangsgemischter Klassen<br />
geben durchschnittlich mehr und signifikant<br />
häufiger an, adaptive Elemente<br />
in ihrem Unterricht einzusetzen (siehe<br />
Munser-Kiefer/Martschinke/Hartinger<br />
2017). Die Abbildung 3 veranschaulicht<br />
das Ausmaß <strong>der</strong> Unterschiede:<br />
Allerdings deutet <strong>der</strong> Mittelwert von<br />
1,71 auf einer Skala von 0 bis 3 darauf<br />
hin, dass Elemente adaptiver Unterrichtsgestaltung<br />
zwar vorkommen, aber<br />
nur knapp über dem theoretisch angenommenen<br />
Mittelwert von 1,5. Inhaltlich<br />
bedeutet das, dass die Lehrkräfte im<br />
Durchschnitt zwischen einmal im Monat<br />
und einmal in <strong>der</strong> Woche diese adaptiven<br />
Elemente nutzen und damit weit<br />
entfernt von einer täglichen Umsetzung<br />
sind.<br />
Ausblick<br />
„Das Gelbe vom Ei ist we<strong>der</strong> das Eine<br />
noch das An<strong>der</strong>e“, bewertet eine Lehrerin<br />
aus <strong>der</strong> Interviewstudie jahrgangsgemischten<br />
und jahrgangshomogenen<br />
Unterricht (Feuchtenberger/Martschinke/Munser-Kiefer/Hartinger<br />
2019). Vereinfacht<br />
betrachtet spiegelt sich dies in<br />
den Ergebnissen unserer Studie wi<strong>der</strong>, die<br />
zumindest zum Ende <strong>der</strong> vierten Jahrgangsstufe<br />
eine Pattsituation zwischen<br />
den beiden Organisationsformen im<br />
Leistungsbereich in Lesen und Mathematik<br />
bestätigt. Auch wenn die Aussage <strong>der</strong><br />
Lehrerin wenig optimistisch klingt, ergibt<br />
sich daraus für die Praxis zumindest folügende<br />
beruhigende Nachricht: Es gelingt<br />
auch in <strong>der</strong> Jahrgangsmischung <strong>der</strong><br />
dritten und vierten Jahrgangsstufe,<br />
Schüler:innen gleichermaßen zu för<strong>der</strong>n<br />
– und dies an einer neuralgischen<br />
Stelle in <strong>der</strong> Bildungslaufbahn bei einer<br />
erhöhten Heterogenität durch die Jahrgangsmischung.<br />
Das ist eine wichtige<br />
Botschaft: Jahrgangsgemischte Klassen<br />
können in sogenannten kleinen <strong>Schule</strong>n<br />
ohne Bedenken eingesetzt werden.<br />
Vorteile für die jahrgangsgemischt<br />
unterrichteten Schüler:innen betreffen<br />
zum einen die Drittklässler:innen und<br />
zum an<strong>der</strong>en die weniger leistungsstarken<br />
Schüler:innen am Ende <strong>der</strong> vierten<br />
Klasse. Dies erklärt sich zum Teil<br />
dadurch, dass Lehrkräfte <strong>der</strong> jahrgangsgemischten<br />
Klassen adaptiver unterrichten.<br />
Sie differenzieren mehr, z. B. durch<br />
verschieden schwere Aufgabenformen;<br />
Aufgaben, die unterschiedlich bearbeitet<br />
o<strong>der</strong> nach Interesse ausgewählt werden<br />
können. Sie informieren sich genauer<br />
über den Lernstand vor und nach einem<br />
Unterrichtsthema durch verschiedene<br />
Diagnoseformen und geben ausführlicheres<br />
individuelles Feedback o<strong>der</strong> gestalten<br />
häufiger gemeinsame Feedbackrunden.<br />
Solche Unterrichtsmerkmale<br />
verlangen aber auch nach Qualität: So<br />
entfalten Lernentwicklungsgespräche als<br />
Kombination aus Diagnose und Feedback<br />
erst ihre Wirkung, wenn sie den<br />
Kriterien eines formativen Assessments<br />
folgen (Ertl/Kücherer/Hartinger 2022).<br />
Beim adaptiven Unterrichten findet<br />
sich aber auch in <strong>der</strong> Jahrgangsmischung<br />
noch „Luft nach oben“ (s. Abb. 4: 1,71<br />
von max. 3): Dies lässt vermuten, dass<br />
häufigere Lernstandsdiagnosen, Differenzierungsmaßnahmen<br />
und mehr<br />
individuelle Rückmeldung und För<strong>der</strong>ung<br />
in hoher Qualität ein Ansatzpunkt<br />
zur Optimierung sein könnten.<br />
Ein weiterer Ansatzpunkt könnte die<br />
Unterstützung <strong>der</strong> Viertklässler:innen<br />
sein. Hier könnte ein beson<strong>der</strong>es Augenmerk<br />
auf unterstützende Maßnahmen<br />
durch die Lehrkraft und an<strong>der</strong>e Viertklässler:innen<br />
(z. B. Helfer:innensystem<br />
unter den Viertklässler:innen, Lernberatung,<br />
kognitiv aktivierende Zusatzangebote)<br />
die Qualität jahrgangsgemischten<br />
Unterrichts noch steigern. Damit hätte<br />
die Jahrgangsmischung eine gute Chance,<br />
doch noch „das Gelbe vom Ei“ zu<br />
werden. Dafür spricht auch, dass jahrgangsgemischter<br />
Unterricht mittel- und<br />
langfristig die subjektive Arbeitsbelastung<br />
sinken lässt (Munser-Kiefer/Martschinke/Hartinger<br />
2018).<br />
Literaturangaben zum Artikel können<br />
Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa160-Lit<br />
Erkenntnisse und Konsequenzen für<br />
die Praxis: Die Befunde weisen darauf<br />
hin, dass Lehrkräfte jahrgangsgemischter<br />
Klassen im Vergleich zu<br />
jahrgangshomogenen Klassen verstärkt<br />
adaptive Lernformen berücksichtigen<br />
– unter Umständen sogar<br />
berücksichtigen müssen, da die zusätzliche<br />
Heterogenität durch jahrgangsübergreifenden<br />
Unterricht dies for<strong>der</strong>t<br />
und die Lehrkräfte indirekt zu mehr<br />
Adaptivität „zwingt“. Darin besteht<br />
eine Chance, die aber noch deutlich<br />
ausgebaut werden könnte.<br />
Abb. 4: Mittelwertsunterschiede in den Elementen adaptiver Unterrichtsgestaltung<br />
(JHK = Lehrkräfte jahrgangshomogener Klassen, JGM = Lehrkräfte jahrgangsgemischter<br />
Klassen)<br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
33
Praxis: Rundschau <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Eine <strong>Schule</strong> voller Kin<strong>der</strong> kann nur in <strong>Bewegung</strong> sein<br />
Mit Spiel, Sport und Theater das Leben von Kin<strong>der</strong>n<br />
in an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n kennenlernen<br />
Wenn ich mir ein Kind vor<br />
mein inneres Auge rufe,<br />
dann will es einfach nicht<br />
stillstehen. Hüpfend, Ball kickend, tanzend,<br />
zappelnd steht es vor mir – bereit,<br />
seine <strong>Bewegung</strong> innerhalb von Sekunden<br />
zu verän<strong>der</strong>n. Natürlich gibt es auch<br />
die Momente <strong>der</strong> Ruhe, aber wie lange<br />
halten die vor?<br />
Kin<strong>der</strong> sind ständig in <strong>Bewegung</strong><br />
und oft verbunden/eingebunden in ein<br />
Spiel mit an<strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong>n, so bekommt<br />
<strong>der</strong> <strong>Bewegung</strong>sdrang mehrerer Kin<strong>der</strong><br />
eine gemeinsame Richtung. Vielleicht<br />
eine idealtypische Darstellung, aber <strong>der</strong><br />
Klang des Satzes „Spielst Du mit mir?“<br />
hat in meinen Ohren immer eine Kin<strong>der</strong>stimme.<br />
Spielend zu lernen ist nicht nur ein<br />
Wunschtraum vieler Erwachsener, son<strong>der</strong>n<br />
auch Realität von Kin<strong>der</strong>welten. Im<br />
Spiel mit an<strong>der</strong>en werden Strategien entwickelt,<br />
Bündnisse geschmiedet, Konflikte<br />
ausgetragen, Emotionen geschürt<br />
und Kreativität ausgelebt, um nur einige<br />
wenige Punkte zu nennen. Im Spiel<br />
lernen wir und treten in Kommunikation<br />
mit an<strong>der</strong>en. Kin<strong>der</strong> sind Meister<br />
des Spiels und den Wunsch, zu spielen,<br />
findet man bei allen Kin<strong>der</strong>n auf <strong>der</strong><br />
Welt. Laut <strong>der</strong> UN-Kin<strong>der</strong>rechtskonvention<br />
haben wir Erwachsenen ihnen<br />
das Recht auf Spielen in Artikel 31 sogar<br />
festgeschrieben.<br />
Wenn man den <strong>Bewegung</strong>sdrang von<br />
Kin<strong>der</strong>n und die Begeisterung für das<br />
Spielen zusammenführt, dann reicht die<br />
Zeit <strong>der</strong> Pausen während <strong>der</strong> täglichen<br />
Schulzeit nicht aus, um beidem ausreichend<br />
Raum zu geben. Wenn dann noch<br />
mit einbezogen wird, welches Potenzial<br />
Spielen in sich birgt bzw. welche<br />
Kompetenzen im Spiel geschult<br />
werden, wird <strong>Schule</strong><br />
als Ort des Lernens verspielter.<br />
Gespielt wird überall<br />
auf <strong>der</strong> Welt<br />
In Berichten zu Kin<strong>der</strong>spielen<br />
aus <strong>der</strong> ganzen<br />
Welt fällt auf, dass es<br />
immer wie<strong>der</strong> Spiele gibt, die sowohl<br />
hier als auch an<strong>der</strong>swo gespielt werden.<br />
So sind Kin<strong>der</strong> aus allen Län<strong>der</strong>n<br />
über das Spiel miteinan<strong>der</strong> verbunden.<br />
Die SOS-Kin<strong>der</strong>dörfer haben schon<br />
vor einigen Jahren die Reihe „Spiele<br />
aus aller Welt“ herausgebracht und<br />
neben <strong>der</strong> Beschreibung einzelner Spiele<br />
auch gleich Bezüge zu einem Land<br />
hergestellt, in denen das jeweilige Spiel<br />
auch beliebt ist. So wird Gummitwist<br />
auch in Kenia gespielt und heißt dort<br />
Blada. O<strong>der</strong> die hier bekannten Hüpfspiele,<br />
zu denen Kreide, eine Straße und<br />
Spielsteine gehören, sind in Rumänien<br />
unter dem Namen Para bekannt.<br />
In Veröffentlichungen wie z. B. „Die<br />
schönsten Kin<strong>der</strong>spiele aus <strong>der</strong> ganzen<br />
Welt“ von Brigitte vom Wege und<br />
Mechthild Wessel sind Spielideen aus<br />
mehreren Län<strong>der</strong>n zusammengetragen,<br />
z.T. mit den dazugehörigen Reimen in<br />
<strong>der</strong> jeweiligen Sprache. Über die Frage<br />
„Was spielen Kin<strong>der</strong> in an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n?“<br />
lassen sich neue Spiele entdecken<br />
und Neugier wecken, mehr über<br />
das Land und das Leben <strong>der</strong> Menschen<br />
dort zu erfahren. Einige <strong>der</strong> Spiele sind<br />
in verschiedenen Varianten in mehreren<br />
Län<strong>der</strong>n bekannt, manchmal auch<br />
einfach unter einem an<strong>der</strong>en Namen. So<br />
spielen Kin<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> ganzen Welt mit<br />
Bällen in unendlichen Varianten.<br />
In <strong>der</strong> Veröffentlichung<br />
„Ein Schubidu geht um<br />
die Welt“ aus dem Her<strong>der</strong>-Verlag<br />
werden Kin<strong>der</strong>lie<strong>der</strong><br />
und <strong>Bewegung</strong>sspiele<br />
in einem Multikuli-<br />
Mitmach-Lie<strong>der</strong>buch zusammengefügt.<br />
Komplexe Themen erspielen<br />
Eine spielerische Herangehensweise,<br />
sich Themen bzw. Zusammenhänge zu<br />
erschließen, ist seit jeher in <strong>der</strong> Pädagogik<br />
vertreten. Der Einsatz von z. B.<br />
Rollenspielen und Planspielen, um komplexe<br />
Sachverhalte zu durchdringen, findet<br />
sich sowohl in <strong>der</strong> schulischen als<br />
auch außerschulischen Bildungsarbeit.<br />
Im November 2022 stellt das Welthaus<br />
Bielefeld im Rahmen <strong>der</strong> Online-Lernsnackreihe<br />
Methoden aus <strong>der</strong> „Nachhaltigen<br />
Spielkiste“ für Schüler*innen<br />
<strong>der</strong> Grundschule vor. Im Mittelpunkt<br />
stehen <strong>Bewegung</strong>sspiele zu Themen<br />
wie Nachhaltigkeit und Klimawandel.<br />
Und auch Südwind aus Österreich legte<br />
in dieser Reihe einen Schwerpunkt<br />
auf kooperative Spielformen/-ansätze,<br />
die sich mit Themen wie <strong>der</strong> Klimakrise,<br />
globaler Ungerechtigkeit und<br />
Geschlechtergerechtigkeit befassen. Die<br />
Materialien von Südwind sind im Rahmen<br />
des Projektes „Transformative Educational<br />
Methods for Social Inclusion<br />
and Global Citizenship“ entstanden.<br />
Auch das Methodenhandbuch „17<br />
Ziele – Wir für eine bessere Welt“ des<br />
Projektes Eine Welt in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>, welches<br />
in Kooperation mit zwei weiteren<br />
Partnern entstanden ist, greift den Ansatz<br />
auf, sich Inhalte durch <strong>Bewegung</strong><br />
zu erschließen. Die fünf Kernziele <strong>der</strong><br />
SDGs werden an fünf Stationen anhand<br />
von <strong>Bewegung</strong>sspielen thematisiert,<br />
und die Geschichte <strong>der</strong> Bremer Stadtmusikanten<br />
führt durch die Stationen.<br />
Das Handbuch ist in Grundschule aktuell<br />
Nr. 152 ausführlich vorgestellt wor-<br />
34<br />
GS aktuell 160 • November 2022
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in Rundschau<br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Rundschau<br />
den und kann auf <strong>der</strong> Seite des Projektes<br />
Eine Welt in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> heruntergeladen<br />
werden. Zusätzlich können über<br />
den Ausleihservice Materialien des Projektes<br />
ausgeliehen werden, um die einzelnen<br />
Stationen umzusetzen.<br />
Mehr als nur Fußball spielen<br />
Sport und Spiel zu nutzen, um noch<br />
Themen darüber hinaus zu transportieren<br />
und Schüler*innen näherzubringen,<br />
wird jedes Jahr z. B. beim<br />
Bremer Global Championship (BGC)<br />
umgesetzt. Dieser wird von mehreren<br />
Bremer NGOs organisiert, die in <strong>der</strong><br />
außerschulischen Bildungsarbeit aktiv<br />
sind. Beim BGC treffen Schulklassen<br />
aus ganz Bremen in einem Fußballturnier<br />
aufeinan<strong>der</strong>. Jedoch steht hierbei<br />
nicht nur <strong>der</strong> sportliche Aspekt im<br />
Mittelpunkt, son<strong>der</strong>n auch ein umfangreiches<br />
Rahmenprogramm, das schon<br />
zwei Monate vor dem Fußballturnier<br />
beginnt und dieses begleitet. Bei einer<br />
gemeinsamen Eröffnung wird je<strong>der</strong> teilnehmenden<br />
Klasse ein Land zugeteilt,<br />
auf das die Schüler*innen das jährliche<br />
Motto beziehen. Ergebnisse und Inhalte<br />
können auf <strong>der</strong> Seite des Projektes<br />
hochgeladen werden und fließen am<br />
Ende mit in die Turnierwertung ein.<br />
Das Motto für 2022 hieß „Klimaküche<br />
– Was liegt auf deinem Teller?“. Ergebnisse<br />
aus den Klassen wurden z. B. in<br />
Videos, über einen Hörbeitrag sowie auf<br />
dem Instagram-Account zusammengetragen.<br />
Zusätzlich sind am Turniertag<br />
außerschulische Bildungseinrichtungen<br />
Weitere Informationen zu den erwähnten Projekten finden Sie<br />
unter folgenden Links:<br />
● Lernsnack-Reihe im November 2022 auf dem Portal Globales Lernen unter<br />
www.globaleslernen.de/de<br />
● <strong>der</strong> Bremer Global Championship unter www.bremen-global.de/<br />
● <strong>der</strong> Blog <strong>der</strong> Fairtrade <strong>Schule</strong>n unter https://blog.fairtrade-schools.de/<br />
● Preisträger des Schulwettbewerbs „alle für EINE WELT für alle“<br />
unter www.eineweltfueralle.de/<br />
Materialien im Verleih beim Projekt „Eine Welt in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>“ unter<br />
www.weltin<strong>der</strong>schule.uni-bremen.de/<br />
mit spielerischen Angeboten zu Themen<br />
mit globalen Bezügen vor Ort.<br />
Auch wenn dieses Angebot für 7. und<br />
8. Klassen konzipiert ist, lässt sich die<br />
Idee grundsätzlich für jüngere Klassen<br />
anpassen.<br />
Bei sportlichen Events nicht nur die<br />
sportliche Seite zu bedienen, ist auch das<br />
Konzept des Fairtrade-Fußballturniers<br />
aus Hamm. Mehrere <strong>Schule</strong>n aus Nordrhein-Westfalen<br />
sind in dem Netzwerk<br />
<strong>der</strong> Fairtrade-<strong>Schule</strong>n engagiert und<br />
haben sich für dieses Turnier zusammengetan.<br />
Die Verpflegung während<br />
des Turniers bestand aus gesunden und<br />
nachhaltigen Nahrungsmitteln, und fair<br />
produzierte Fußbälle kommen zum Einsatz.<br />
So wird das Engagement als Fairtrade-<strong>Schule</strong><br />
in einzelnen Aktivitäten in<br />
den <strong>Schule</strong>n verankert.<br />
Gemeinsam Geschichten erzählen<br />
auf <strong>der</strong> Bühne<br />
Einen beson<strong>der</strong>en Mehrwert erreichen<br />
sportliche, aber auch künstlerische<br />
Aktivitäten, wenn sie über Län<strong>der</strong>grenzen<br />
hinweg<br />
geschehen. Partnerschaften<br />
zu an<strong>der</strong>en<br />
<strong>Schule</strong>n o<strong>der</strong><br />
Bildungseinrichtungen können auf- und<br />
ausgebaut werden. Zum Beispiel haben<br />
Schüler*innen <strong>der</strong> Ruanda-AG des<br />
Gymnasium Netphen in Kooperation<br />
mit <strong>der</strong> Root Foundation aus Ruanda<br />
ein gemeinsames Theaterstück zum<br />
Thema Glück auf die Beine gestellt. Die<br />
beiden Corona-Jahre haben das Projekt<br />
und die Zusammenarbeit über die<br />
Län<strong>der</strong>grenzen hinweg dabei immer<br />
wie<strong>der</strong> vor neue Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
gestellt. Aber die bereits länger währende<br />
Partnerschaft und das Engagement<br />
<strong>der</strong> Schüler*innen und <strong>der</strong> Lehrerin<br />
Frau Wussow hat das Projekt bis<br />
zum Ende durch die turbulente Zeit<br />
geführt. In <strong>der</strong> November-Ausgabe <strong>der</strong><br />
Zeitschrift „Eine Welt in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>“<br />
wird das Projekt von Frau Wussow ausführlich<br />
beschrieben. Einen Einblick in<br />
Form eines Kurzvideos gibt es auch über<br />
die Seite des Schulwettbewerbs „alle für<br />
EINE WELT für alle“, da das Projekt<br />
unter den diesjährigen Preisträgern zu<br />
finden ist.<br />
Diese Beispiele sind nur ein kleiner<br />
Ausschnitt von vielen Aktivitäten, die<br />
bereits in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> umgesetzt werden<br />
und bieten vielleicht Inspiration, innerhalb<br />
<strong>der</strong> Schulgemeinschaft und darüber<br />
hinaus gemeinsam in <strong>Bewegung</strong> zu<br />
kommen.<br />
Ulrike Oltmanns,<br />
Projekt „Eine Welt in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>“<br />
Die abgebildeten Bücher und Spiele sowie<br />
viele weitere Materialien können über das<br />
Projekt "Eine Welt in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>"" bundesweit<br />
ausgeliehen werden.<br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
35
Praxis: Rundschau <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Aus dem Vorstand<br />
Grundschulverband in <strong>Bewegung</strong><br />
Aus <strong>der</strong> Delegiertenversammlung<br />
hatten wir eine Reihe von Aufträgen<br />
und Aufgaben erhalten,<br />
an denen wir weiter arbeiten:<br />
● Die geän<strong>der</strong>te Satzung wurde dem<br />
Amtsgericht vorgelegt, <strong>der</strong> Eintrag in<br />
das Vereinsregister ist erfolgt. Damit<br />
können wir künftig Wahlen auch online<br />
durchführen. Dies wird zum ersten<br />
Mal in <strong>der</strong> Delegiertenversammlung<br />
vom November <strong>der</strong> Fall sein, wenn<br />
Ursula Carle ihr Stellvertreteramt zur<br />
Verfügung stellt und wir eine neue<br />
Stellvertretung wählen.<br />
● Das neue Redaktionsteam von<br />
Grundschule aktuell hat sich inzwischen<br />
bestens etabliert und auch neue<br />
Akzente gesetzt. Wir freuen uns, dass<br />
es immer besser gelingt, Beiträge aus<br />
den Landesgruppen zu gewinnen. Wir<br />
geben damit unseren Mitglie<strong>der</strong>n weitere<br />
Möglichkeiten, sich einzubringen,<br />
und diese werden auch gut genutzt.<br />
● Wir alle sind gespannt, wie unser<br />
erster Mitgliedsband „Digitalitätsbildung<br />
in <strong>der</strong> Grundschule – Grundlagen,<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen, Konzepte“<br />
aus <strong>der</strong> Reihe ‚„Beiträge zur Reform <strong>der</strong><br />
Grundschule“ als Digitalband aufgenommen<br />
wird und welche Rückschlüsse<br />
wir daraus für künftige Bände ziehen<br />
können.<br />
Flexible Mitgliedsbeiträge ab 2023<br />
● Eine Arbeitsgruppe beschäftigt sich<br />
mit <strong>der</strong> Aufgabe, die Mitglieds-Beitragsstruktur<br />
zu reformieren und vor<br />
allem auch überschaubarer zu gestalten.<br />
● In diesem Zusammenhang mussten<br />
auch wir erkennen, dass unsere Mitgliedsbeiträge<br />
mit den deutlich gestiegenen<br />
Ausgaben abgestimmt werden<br />
müssen. Dies war bereits Thema in<br />
unserer Delegiertenversammlung vom<br />
Mai und veranlasste uns, den bisherigen<br />
Mitgliedsbeitrag für Einzelmitglie<strong>der</strong><br />
ab dem 1. Januar 2023 von bislang<br />
€ 75,00 auf dann € 89,00 zu erhöhen.<br />
Diese Korrektur schien uns nach 8 Jahren<br />
<strong>der</strong> Beitragsstabilität unausweichlich<br />
und zeigt sich angesichts aktueller<br />
Preisentwicklungen als durchaus angebracht.<br />
Wir hoffen sehr, dass unsere<br />
Mitglie<strong>der</strong> diese Steigerung mittragen<br />
und uns treu bleiben werden. Jede<br />
Stimme zählt!<br />
● Zur überschaubareren Gestaltung<br />
<strong>der</strong> Beitragsstruktur gehört, dass ab<br />
2023 je nach Bedarf aus drei Angeboten<br />
gewählt werden kann: dem Premium-<br />
Angebot, dem Aktiv-Angebot o<strong>der</strong><br />
dem Unterstützer:innen-Angebot. Das<br />
Premium-Angebot entspricht dem <strong>der</strong>zeitigen<br />
Regelmitgliedsbeitrag. In <strong>der</strong><br />
nachfolgenden Übersicht können Sie<br />
zu den genannten Angeboten jeweils<br />
die Beitragshöhe entnehmen sowie das<br />
„Paket“, das damit verbunden ist.<br />
Potenzielle Mitglie<strong>der</strong> können sich<br />
über die Kennenlernmitgliedschaft ein<br />
Jahr zum günstigen Beitrag mit dem<br />
Grundschulverband vertraut machen<br />
● Wir hoffen, mit diesem differenzierten<br />
Angebot, auch im Zuge <strong>der</strong> Kostensteigerung<br />
und <strong>der</strong> damit verbundenen<br />
Beitragserhöhung, Ihren Erwartungen<br />
und Bedarfen entsprechen zu können.<br />
Vielen Dank für Ihr Verständnis! Sollten<br />
Sie ein an<strong>der</strong>es Paket als Ihr bisheriges<br />
wünschen (siehe Jahresrechnung<br />
2022), bitten wir Sie um eine Rückmeldung<br />
bis zum 15.12.2022 an info@<br />
grundschulverband.de. Teilen Sie dann<br />
bitte mit, welches Angebot Sie wählen<br />
möchten, damit die Jahresrechnung<br />
entsprechend erstellt werden kann. Falls<br />
Sie keine Än<strong>der</strong>ung Ihres Pakets wünschen,<br />
brauchen Sie nichts zu tun. Herzlichen<br />
Dank!<br />
● Eine weitere Arbeitsgruppe beschäftigt<br />
sich mit <strong>der</strong> Überarbeitung <strong>der</strong><br />
Website des Verbands einschließlich<br />
<strong>der</strong> Anbindung unserer Landesgruppen.<br />
Ziel ist, dass wir im Frühjahr 2023<br />
mit konkreten Vorstellungen entsprechende<br />
Angebote zur Umsetzung einholen<br />
können.<br />
In <strong>der</strong> Klausurtagung des Vorstands<br />
Ende September wurden alle diese Themen<br />
intensiv diskutiert und vorangetrieben.<br />
Hier wurde auch die Auswertung<br />
<strong>der</strong> bundesweiten Kampagne „KINDER<br />
LERNEN ZUKUNFT – Jetzt!“ besprochen.<br />
Die konzertierte Aktion in den<br />
sozialen Medien (Facebook, Instagram<br />
und Twitter) hat sich als durchaus lohnenswert<br />
erwiesen. Wir konnten rund<br />
18.000 Personen erreichen und dabei einige<br />
neue Follower auf den Kanälen und<br />
für unseren Newsletter interessieren sowie<br />
im Umfeld <strong>der</strong> Kampagne neue Mitglie<strong>der</strong><br />
gewinnen.<br />
Die Rückmeldungen, die wir erhielten,<br />
waren durchweg positiv mit detaillierten<br />
Verbesserungsvorschlägen, die<br />
wir künftig bei <strong>der</strong> Planung weiterer<br />
Veranstaltungen einbeziehen werden.<br />
Mein Fazit: Der Grundschulverband<br />
ist in <strong>Bewegung</strong>, wir alle werden daran<br />
arbeiten, dass <strong>der</strong> Schwung weiter anhält.<br />
Angebot Mitgliedsgruppen / Mitglie<strong>der</strong>struktur Paket<br />
Einzelmitglie<strong>der</strong><br />
Studierende/<br />
LAAs/ Doktorand:innen<br />
<strong>Schule</strong>n/<br />
Institutionen<br />
Beitrag Premium 89,00 € 39,00 € 109,00 € 2 Bände<br />
4 Zeitschriften Grundschule<br />
aktuell<br />
Beitrag Aktiv 59,00 € 25,00 € 89,00 € 4 Zeitschriften Grundschule<br />
aktuell<br />
Beitrag Unterstützer:innen 30,00 € 10,00 € 59,00 € ohne Publikationen<br />
Kennenlern-Mitgliedschaft (1 Kalen<strong>der</strong>jahr) 45,00 € 25,00 € 55,00 € 2 Bände<br />
4 Zeitschriften Grundschule aktuell<br />
36<br />
GS aktuell 160 • November 2022
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in Rundschau<br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Rundschau<br />
Zur Wahrheit <strong>der</strong> aktuellen Situation<br />
<strong>der</strong> Grundschulen gehört auch: Die Bedingungen<br />
<strong>der</strong> Arbeit in den Grundschulen<br />
sind weiter nicht gerade rosig.<br />
Zu wenig ausgebildete und kompetente<br />
Lehrkräfte inzwischen in allen Bundeslän<strong>der</strong>n,<br />
eine große Anzahl von Flüchtlingskin<strong>der</strong>n<br />
neu in den <strong>Schule</strong>n, ein<br />
weiterer Corona-Winter vor <strong>der</strong> Tür und<br />
immer lauter zu hörende öffentliche Äußerungen<br />
zur vermeintlich leistungsvermeidenden<br />
Kuschelpädagogik in unseren<br />
Grundschulen kennzeichnen ein weiteres<br />
Schuljahr. Dass es dennoch vielen Grundschulen<br />
und ihren Lehrkräften gelingt,<br />
auch in diesen schwierigen Situationen<br />
gute Arbeit zu leisten, verdient größten<br />
Respekt und höchste Anerkennung. Wir<br />
sehen es als unsere Aufgabe als Grundschulverband,<br />
einerseits den Finger in die<br />
Wunden zu legen und bessere Rahmenbedingungen<br />
einzufor<strong>der</strong>n und an<strong>der</strong>erseits<br />
aufzuzeigen, dass auch in schwierigen<br />
Zeiten gute Arbeit geleistet werden<br />
kann. Mehr denn je wird aktuell ein starker<br />
Grundschulverband als Vertretung<br />
<strong>der</strong> Interessen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong> Grundschulen<br />
benötigt. DARUM: Werben auch<br />
Sie um Mitgliedschaft im Grundschulverband<br />
und gewinnen Sie neue Mitglie<strong>der</strong>.<br />
Jede Stimme zählt!.<br />
Edgar Bohn<br />
Die Schulwerkstätten aus <strong>der</strong> Sicht einer Beobachterin*<br />
Mitwirkung von Kin<strong>der</strong>n<br />
beim Bürgerrat Bildung und Lernen<br />
Die Kin<strong>der</strong>- und Jugendbeteiligung<br />
des Bürgerrats Bildung<br />
und Lernen (BRBL) zu<br />
begleiten war ein sehr spannen<strong>der</strong> Prozess,<br />
denn <strong>der</strong> BRBL ist aktuell <strong>der</strong> einzige<br />
Bürgerrat, <strong>der</strong> auf Bundesebene im<br />
Einsatz ist und die Perspektiven von<br />
Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen aktiv einbezieht.<br />
Das ist schon erstaunlich, denn<br />
Kin<strong>der</strong> und Jugendliche sind nicht nur<br />
von diesem Thema direkt betroffen, sie<br />
haben auch zu weiteren Fragestellungen<br />
in <strong>der</strong> Gesellschaft durchaus eine Meinung,<br />
man muss ihnen nur die Chance<br />
und den Raum geben, diese zu äußern,<br />
und dann zuhören. Nicht nur für Matilda<br />
und Luna, son<strong>der</strong>n auch für die<br />
an<strong>der</strong>en acht Kin<strong>der</strong>botschafter*innen<br />
und für die Schüler*innen <strong>der</strong> fünf<br />
Werkstätten war diese Situation<br />
ungewohnt und neu: „Ich werde jetzt<br />
nach meiner Meinung gefragt?“ Einerseits<br />
war es schön zu beobachten, mit<br />
welcher Freude, mit welchem unglaublichen<br />
und ernsthaften Engagement die<br />
Schüler*innen sich mit den Fragestellungen<br />
in <strong>der</strong> Werkstatt und mit<br />
ihren Vorstellungen vom Lernen auseinan<strong>der</strong>gesetzt<br />
haben. An<strong>der</strong>erseits<br />
stimmt es einen auch nachdenklich,<br />
dass dies als eine solch große Beson<strong>der</strong>heit<br />
wahrgenommen wurde. Betrachtet<br />
man die Ergebnisse <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und<br />
Jugendlichen und vergleicht diese mit<br />
dem Sofortprogramm <strong>der</strong> Erwachsenen,<br />
wird man schnell feststellen, dass diese<br />
nicht weit auseinan<strong>der</strong>gehen. Es wird<br />
Sarah Winkler<br />
ist Consultant bei <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong> Sense<br />
GmbH, Wi<strong>der</strong> Sense ist ein Beratungsunternehmen<br />
für Stiftungen, Unternehmen<br />
und die öffentliche Hand mit<br />
Sitz in Berlin. Rolle im Projekt Bürgerrat<br />
BBRBL: Beratung, Prozessbegleitung,<br />
kritische Reflexion, Befragungen.<br />
Link: https://wi<strong>der</strong>sense.org/<br />
ueber-uns/unser-team/sarah-winkler<br />
nur eine an<strong>der</strong>e Sprache für die For<strong>der</strong>ungen<br />
verwendet, es wird konkreter<br />
am Schul- und Lernalltag beschrieben,<br />
was sich verän<strong>der</strong>n soll, und nicht mit<br />
hehren Begriffen wie bspw. Chancengerechtigkeit<br />
o<strong>der</strong> Lebenslanges Lernen<br />
hantiert.<br />
Kin<strong>der</strong> äußern sich auch fantasievoller,<br />
und wenn man sie danach fragt, wie<br />
ihre <strong>Schule</strong> am besten aussehen solle,<br />
ja, dann werden auch Ideen von einem<br />
Schulboot entwickelt o<strong>der</strong> die <strong>Schule</strong> im<br />
Zoo beschrieben. Geht man dann mit<br />
den Kin<strong>der</strong>n ins Gespräch, stellt Rückfragen,<br />
dann kommt man dem Kern <strong>der</strong><br />
geäußerten Träume näher und fragt sich,<br />
warum man nicht selbst auf diese gute<br />
Idee gekommen ist. Darüber hinaus war<br />
ich wirklich überrascht, mit welcher Argumentationstiefe<br />
die Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen<br />
bspw. darüber diskutiert haben,<br />
dass sie nicht gegen das Erlernen<br />
fachlicher Inhalte sind, dass diese aber<br />
viel häufiger und vor allem selbstverständlicher<br />
mit <strong>der</strong> Praxis und so auch<br />
mit ihren Lebensrealitäten in Verbindung<br />
gesetzt werden müssen. In <strong>der</strong> Diskussion<br />
in Berlin, beim ersten Zusammentreffen<br />
aller Kin<strong>der</strong>botschafter*innen,<br />
erfuhren die Kin<strong>der</strong>, dass die Wünsche<br />
und Vorstellungen von den einen<br />
bei an<strong>der</strong>en in ihrer <strong>Schule</strong> bereits Realität<br />
sind. Sie fingen an, sich über die Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>der</strong> Umsetzung auszutauschen,<br />
unterschiedliche Rahmenbedingungen<br />
und Voraussetzungen, die je<br />
nach Bundesland und <strong>Schule</strong> vorherrschen,<br />
zu identifizieren. Die Kin<strong>der</strong> und<br />
Jugendlichen haben teilweise zum ersten<br />
Mal erfahren, wie es in einer an<strong>der</strong>en<br />
<strong>Schule</strong>, in einer an<strong>der</strong>en Region<br />
Deutschlands aussieht. Diesen Perspektivwechsel<br />
und Austausch sollte man<br />
Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen viel öfter ermöglichen.<br />
Trotz <strong>der</strong> Altersunterschiede<br />
und unterschiedlicher Fokusthemen<br />
haben alle Kin<strong>der</strong>botschafter*innen sehr<br />
gut zusammengearbeitet, sich gegenseitig<br />
zugehört und sich auch von an<strong>der</strong>en<br />
For<strong>der</strong>ungen überzeugen lassen (s.<br />
Luna in H. 159, S. 10, Mitte). Eine Diskussionskultur,<br />
die man bei Erwachsenen<br />
oft vermisst.<br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
37
Praxis: Rundschau <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Aber wie überzeugt man dann die Politik<br />
von den aufgestellten For<strong>der</strong>ungen?<br />
Und wer ist die Politik eigentlich? Zum<br />
Einstieg beim ersten großen Bürgerratstreffen<br />
in Berlin im Herbst 2021 wurden<br />
die Kin<strong>der</strong>botschafter*innen gefragt,<br />
wem sie denn gerne ihre For<strong>der</strong>ungen<br />
übergeben möchten. Es war die Zeit des<br />
Bundestagswahlkampfes und neben Angela<br />
Merkel konnten die Kin<strong>der</strong> auch<br />
etwas mit Namen wie Olaf Scholz o<strong>der</strong><br />
Annalena Baerbock anfangen. Im Laufe<br />
des Prozesses erfahren sie, wie lang die<br />
politischen Wege sein können, dass nicht<br />
jede*r Politiker*in, die*den sie im Fernsehen<br />
sehen, die richtige Ansprechperson<br />
für ihr Anliegen ist, und auch, dass<br />
nicht alles in Sachen Bildung in Berlin<br />
bzw. vor allem in den Landeshauptstädten<br />
entschieden wird. Manche For<strong>der</strong>ungen<br />
könnten sie auch direkt an ihre<br />
Schulleitung adressieren. Hier hat man<br />
einige Aha-Momente wie auch Enttäuschungen<br />
bei den Kin<strong>der</strong>n erleben können.<br />
Politische Arbeit und Kommunikation<br />
sind ganz schön komplex, dabei<br />
wollen sie, die Kin<strong>der</strong>, doch einfach nur<br />
gut lernen und vorbereitet werden auf<br />
das Leben nach <strong>der</strong> Schulzeit.<br />
Und damit genau dies keine Illusion<br />
bleibt, wird <strong>der</strong> Bürgerrat Bildung und<br />
Lernen auch weitergehen (s. zu den Perspektiven<br />
Barth/Lohest in Grundschule<br />
aktuell H. 159, 7ff.). Ich bin sehr gespannt,<br />
welche Erkenntnisse am Ende<br />
des Projekts entstanden sein werden und<br />
freue mich auf die weitere Begleitung.<br />
Zudem bin ich dankbar für den Perspektivwechsel,<br />
den mir, uns die Kin<strong>der</strong> und<br />
Jugendlichen ermöglicht haben.<br />
Inzwischen hat am 16. September in<br />
Berlin <strong>der</strong> „Bildungsgipfel“ stattgefunden,<br />
auf dem die Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen<br />
sich mit Politiker*innen ausgetauscht<br />
und deutlich gemacht haben:<br />
„Wir wollen mitreden und mitentscheiden“.<br />
Es geht ihnen vor allem um zwei<br />
Dinge: ein respektvoller Umgang auf Augenhöhe<br />
im Alltag und Mitsprache bei<br />
Themen, die sie, wie im Bereich Bildung,<br />
direkt betreffen. Die 18 Kin<strong>der</strong>- und Jugendbotschafter*innen<br />
2021/22 haben<br />
dies in <strong>der</strong> KiKa-Nachrichtensendung<br />
LOGO und in Ihrem eigenen Videobeitrag<br />
sehr deutlich gemacht (s. https://<br />
www.buergerrat-bildung-lernen.de/buergerrat/buergergipfel-2022/<br />
und https://<br />
www.kika.de/logo/sendungen/logo-146.<br />
html). In einem nächsten Schritt werden<br />
die Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen ihre For<strong>der</strong>ungen<br />
in einem offenen Brief an die<br />
breite Politik und Einflussträger*innen<br />
im Bildungssystem adressieren, denn<br />
sie wollen dranbleiben und sehen, wie<br />
ernst es die Politik meint, wenn sie versprechen:<br />
„Ihr habt Recht, das nehmen<br />
wir mit in unsere Diskussionsrunden“.<br />
Sarah Winkler<br />
* Dieser Kommentar bezieht sich<br />
auf die Beiträge in H. 159 von<br />
„Grundschule aktuell“, 7–10<br />
Neu: Praxisnahes Grundlagenwerk<br />
zum Anfangsunterricht<br />
Der Band Anfangsunterricht richtet sich an Lehrerinnen und Lehrer<br />
in <strong>der</strong> Schulanfangsphase. Themen sind u. a.<br />
l Schriftspracherwerb,<br />
l Mathematiklernen in <strong>der</strong> Schulanfangsphase,<br />
l Sachunterricht im ersten und zweiten Schuljahr.<br />
Er bietet, untermauert mit einem Fundus an praktischen Beispielen,<br />
Einblick in die aktuelle pädagogische und fachdidaktische Forschung<br />
für den Schulanfang.<br />
Damit stellt <strong>der</strong> Band vielfältige pädagogische, fachdidaktische und<br />
diagnostisch relevante Anregungen zur Verfügung. Alle Beispiele<br />
sind praxiserprobt. Gleichzeitig setzt <strong>der</strong> Band Maßstäbe für lebendigen<br />
und anspruchsvollen Anfangsunterricht, <strong>der</strong> allen Kin<strong>der</strong>n<br />
gerecht wird. Als praxisnahes Grundlagenwerk eignet sich <strong>der</strong> Band<br />
auch für Studierende und Referendar:innen.<br />
Marion Gutzmann / Ursula Carle (Hrsg.) (2022):<br />
Anfangsunterricht – Willkommen in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>!<br />
Band 154, Frankfurt a. M.: Grundschulverband.<br />
ISBN 978-3-941649-33-0 , Best. -Nr. 1118, 304 Seiten, 19,50,– €<br />
„Blick in das Buch“ – zum kostenlosen Download in<br />
unserem Shop: Inhaltsverzeichnis sowie die Einleitung<br />
„Anfangsunterricht für alle Kin<strong>der</strong> – Willkommen in <strong>der</strong><br />
<strong>Schule</strong>!“ von Marion Gutzmann und Ursula Carle.<br />
38<br />
GS aktuell 160 • November 2022
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in Rundschau<br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Rundschau<br />
Kooperationspartnerin des Grundschulverbandes<br />
Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule – Verband für<br />
<strong>Schule</strong>n des gemeinsamen Lernens e. V. (GGG)<br />
Die Herstellung von mehr<br />
Bildungsgerechtigkeit gehört zu<br />
den zentralen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
für unsere Gesellschaft und ist damit<br />
eine wesentliche Aufgabe unseres<br />
Bildungssystems. Bildungsgerechtigkeit<br />
ist Grundlage für die Beseitigung von<br />
Armut, den Zusammenhalt unserer<br />
Gesellschaft, die Funktionsfähigkeit<br />
unserer Demokratie, für ein selbsterfülltes<br />
Leben und die Teilhabe aller am<br />
gesellschaftlichen Leben.<br />
Seit mehr als 50 Jahren<br />
setzt sich die GGG für dieses<br />
Ziel ein. Ausgangspunkt<br />
waren die Empfehlungen des<br />
Deutschen Bildungsrates <strong>der</strong> 1960erund<br />
1970er-Jahre, nach denen die Verwirklichung<br />
von Chancengleichheit zu<br />
den maßgeblichen bildungspolitischen<br />
Zielen gehören sollte. Zur Annäherung<br />
an diese Zielsetzung wurde Ende <strong>der</strong><br />
1960er-Jahre ein bundesweiter Schulversuch<br />
mit ca. 50 Gesamtschulen ins<br />
Leben gerufen. Parallel dazu kam es zur<br />
Gründung <strong>der</strong> GGG, mit <strong>der</strong> Aufgabe,<br />
die neuen <strong>Schule</strong>n bei ihrer Entwicklung<br />
zu unterstützen und die Politik zu beraten.<br />
Damit wurde ein schon 1920 mit<br />
<strong>der</strong> Einführung <strong>der</strong> Grundschulen verfolgtes,<br />
aber damals nicht zu verwirklichendes<br />
Ziel einer gemeinsamen <strong>Schule</strong><br />
für alle Kin<strong>der</strong> bis zum Ende <strong>der</strong> Schulpflicht<br />
wie<strong>der</strong> aufgegriffen.<br />
Zielsetzungen <strong>der</strong> GGG<br />
Konsequenterweise hat die GGG in<br />
ihrer Satzung folgende Zielsetzungen<br />
formuliert:<br />
Sie setzt sich ein<br />
● für eine <strong>Schule</strong> für alle (eine <strong>Schule</strong><br />
<strong>der</strong> Inklusion),<br />
● für eine <strong>Schule</strong> <strong>der</strong> Menschenrechte,<br />
● für eine <strong>Schule</strong> <strong>der</strong> Chancengleichheit,<br />
● für eine <strong>Schule</strong> <strong>der</strong> optimalen individuellen<br />
Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung<br />
sowie<br />
● für eine <strong>Schule</strong> <strong>der</strong> Demokratie.<br />
Mitwirken können alle, die sich für<br />
diese Zielsetzungen einsetzen wollen.<br />
Neben Einzelpersonen haben sich in <strong>der</strong><br />
GGG auch viele <strong>Schule</strong>n als korporative<br />
Mitglie<strong>der</strong> organisiert. Hier gibt es<br />
eine Überschneidung mit dem Grundschulverband,<br />
da zahlreiche <strong>Schule</strong>n<br />
des gemeinsamen Lernens nicht allein<br />
Sekundarstufenschulen, son<strong>der</strong>n Langformschulen<br />
mit Grundschulteil sind.<br />
Heute vertritt und unterstützt die GGG<br />
alle <strong>Schule</strong>n des gemeinsamen Lernens<br />
unabhängig von ihrer Bezeichnung,<br />
ob sie nun Gesamt-, Gemeinschafts-,<br />
Stadtteil- o<strong>der</strong> wie in Bremen<br />
Oberschule heißen.<br />
Gemeinsam ist all diesen<br />
<strong>Schule</strong>n, dass sie alle Schulabschlüsse<br />
ermöglichen.<br />
Die Aktivitäten <strong>der</strong> GGG entfalten<br />
sich sowohl auf Bundesebene als auch<br />
in <strong>der</strong> Arbeit von Landesverbänden und<br />
können hier wegen ihrer Vielfältigkeit<br />
nur ausschnittsweise dargestellt werden.<br />
Höhepunkte sind Kongresse, auf denen<br />
in Foren und Arbeitsgruppen pädagogische<br />
Neuerungen vorgestellt, Erfahrungen<br />
ausgetauscht, gemeinsam weiterentwickelt<br />
und <strong>der</strong> Diskurs mit <strong>der</strong> Wissenschaft<br />
gesucht werden.<br />
Schon von Beginn an hat es zu den<br />
Aufgaben <strong>der</strong> GGG gehört, Initiativen<br />
vor Ort zur Einrichtung von <strong>Schule</strong>n<br />
des gemeinsamen Lernens zu beraten<br />
und zu unterstützen. Entsprechendes gilt<br />
auch für neu gegründete <strong>Schule</strong>n.<br />
Ferner nutzen Gruppierungen, wie<br />
z. B. Schulleiter*innen o<strong>der</strong> <strong>Schule</strong>n in<br />
beson<strong>der</strong>s schwierigen Lagen, die GGG<br />
als Basis für die Vertretung ihrer Interessen<br />
nach außen.<br />
Anknüpfend an ihren ursprünglichen<br />
Auftrag, die Politik zu beraten, hat sich<br />
die GGG zu einer politischen Interessenvertretung<br />
für die <strong>Schule</strong>n des gemeinsamen<br />
Lernens entwickelt. Neben <strong>der</strong><br />
Beteiligung an Entscheidungsprozessen<br />
durch Anhörungen für Verordnungen<br />
und Gesetze beteiligt sie sich auch an aktuellen<br />
bildungspolitischen Diskussionen.<br />
So führt sie z. B. Gespräche mit Politiker*innen<br />
und Gremien wie die KMK sowohl<br />
auf Bundesebene als auch auf Landesebenen<br />
und veröffentlicht bundesweit<br />
wie regional Presseinforma tionen.<br />
Dieter Zielinski<br />
Lehrer und Schulleitungsmitglied an<br />
Gesamt- und Gemeinschaftsschulen in<br />
Schleswig-Holstein, Tätigkeiten in <strong>der</strong><br />
Curriculumentwicklung und Lehrkräftefortbildung,<br />
seit 2013 im Ruhestand,<br />
Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> GGG seit 2020.<br />
Nach den Erfahrungen in <strong>der</strong> Corona-Pandemie,<br />
in <strong>der</strong> die Schwachpunkte<br />
unseres Schulsystems erneut deutlich<br />
geworden sind, hat die GGG zu einer<br />
grundlegenden Bildungsreform aufgerufen.<br />
Der Aufruf wurde mit 10 Impulsen<br />
ausgestaltet. Dieses Ziel wird jetzt nachdrücklich<br />
auch im Zusammenwirken<br />
mit uns nahestehenden Verbänden, wie<br />
z. B. dem GSV und <strong>der</strong> Gewerkschaft Erziehung<br />
und Wissenschaft verfolgt. Mit<br />
diesen und weiteren Verbänden arbeitet<br />
die GGG im Bündnis „Eine für alle<br />
– Die inklusive <strong>Schule</strong> für die Demokratie“<br />
zusammen. Insbeson<strong>der</strong>e setzt sie<br />
sich für die Einrichtung eines Bildungsrates<br />
für Bildungsgerechtigkeit ein, an<br />
dem alle gesellschaftlichen Gruppierungen<br />
beteiligt werden sollen.<br />
Eine wesentliche Gemeinsamkeit mit<br />
dem Grundschulverband besteht im Bekenntnis<br />
zu einer heterogenen Schülerschaft:<br />
Kein Kind wird abgelehnt, kein<br />
Kind soll beschämt und alle sollen zu<br />
einem größtmöglichen Bildungserfolg<br />
geführt werden. <br />
Dieter Zielinski<br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
39
Praxis: Rundschau <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Neue Bildungsstandards <strong>der</strong> KMK für die Grundschule<br />
„Die Schülerinnen und Schüler schreiben<br />
in einer leserlichen Handschrift“<br />
Die KMK-Bildungsstandards<br />
sind die Grundlage für die<br />
Arbeit an den Lehrplänen in<br />
den Bundeslän<strong>der</strong>n und wurden kürzlich<br />
überarbeitet bzw. weiterentwickelt.<br />
Die überarbeitete Fassung bietet eine<br />
gute Grundlage für die Umsetzung des<br />
Konzepts Grundschrift. Auch wenn eine<br />
an<strong>der</strong>e Schrift als Ausgangsschrift verwendet<br />
wird, kann man Elemente des<br />
Grundschriftkonzepts gut nutzen, um<br />
einen zeitgemäßen Handschriftunterricht<br />
zu gestalten und damit das Ziel zu<br />
erreichen, eine leserliche, flüssige und<br />
persönliche Handschrift zu entwickeln.<br />
Überarbeitung <strong>der</strong> KMK-Standards<br />
von 2004 in <strong>der</strong> Fassung vom<br />
23.6.2022<br />
Zum Bereich Schrift und Handschrift werden<br />
folgende Vereinbarungen im Bereich<br />
„Über Schreibfertigkeiten verfügen“ festgehalten:<br />
„Die Schülerinnen und Schüler<br />
schreiben kurze Sätze flüssig. Sie schreiben<br />
in einer leserlichen Handschrift. Die<br />
Schülerinnen und Schüler schreiben<br />
auch mithilfe digitaler Schreibwerkzeuge.<br />
Sie gestalten ihre Texte zweckmäßig<br />
und übersichtlich.<br />
Die Schülerinnen und Schüler<br />
● schreiben Buchstaben ,Wörter, Wortgruppen<br />
und kurze Sätze flüssig, d. h.,<br />
zügig, sicher und korrekt (automatisiert),<br />
● schreiben Texte in leserlicher Handschrift<br />
und mithilfe digitaler Schreibwerkzeuge,<br />
● gestalten Texte (handschriftlich und<br />
mithilfe digitaler Schreibwerkzeuge)<br />
zielorientiert und übersichtlich, z. B. hinsichtlich<br />
Schriftgröße, Blattaufteilung,<br />
Seitenrän<strong>der</strong>, Absätze.“ (KMK 2022)<br />
● <strong>der</strong> Grundsatz, dass die Handschrift<br />
am Ende leserlich sein soll,<br />
● leserliches Schreiben,<br />
● Texte gestalten.<br />
Das Konzept Grundschrift erfüllt die<br />
Ansprüche <strong>der</strong> KMK-Standards aus<br />
folgenden Gründen am besten:<br />
Die Grundschrift bietet ein in <strong>der</strong> Praxis<br />
erprobtes Konzept für die Entwicklung<br />
<strong>der</strong> Handschrift vom Anfangsunterricht<br />
bis zum weiterführenden Schreiben. Das<br />
Grundschriftkonzept ermöglicht für alle<br />
genannten KMK-Standards didaktische<br />
Lösungen. Dabei erarbeiten sich Kin<strong>der</strong><br />
Schreibfertigkeiten in ihrer persönlichen<br />
Handschrift ohne den Umweg<br />
einer vollständig verbundenen Normschrift.<br />
Aus <strong>der</strong> handgeschriebenen<br />
Druckschrift wird <strong>der</strong> Übergang zur<br />
persönlichen Handschrift fließend vermittelt,<br />
indem gezielt motorisch günstige<br />
Buchstabenverbindungen durch<br />
Ausprobieren und Trainieren erarbeitet<br />
werden. Durch Rückmeldungen und<br />
Kritik wird mit Hilfe des dialogischen<br />
Lernprinzips ein reflektierter Umgang<br />
mit <strong>der</strong> eigenen und <strong>der</strong> Handschrift<br />
an<strong>der</strong>er erlernt.<br />
Dem Konzept für die Grundschrift<br />
liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die<br />
Schriftentwicklung ein motorischer Prozess<br />
ist. Deshalb wird die Schreibmotorik<br />
bei <strong>der</strong> Grundschrift z. B. durch die<br />
Sortierung in <strong>Bewegung</strong>sgruppen explizit<br />
in den Blick genommen.<br />
Die Handschrift und ihre Entwicklung<br />
werden durch die Anwendung des<br />
Grundschriftkonzepts zu Unterrichtsinhalten,<br />
die sich wie ein roter Faden<br />
durch die gesamte Grundschulzeit und<br />
auch durch alle Fächer, in denen geschrieben<br />
wird, ziehen. Die drei Kriterien<br />
zur Handschrift gehen über die Leserlichkeit<br />
sogar noch hinaus und for<strong>der</strong>n<br />
von den Kin<strong>der</strong>n außerdem noch<br />
Flüssigkeit und Formklarheit.<br />
Drei Kriterien zur Grundschrift<br />
Die Schrift soll:<br />
– formklar,<br />
– leserlich,<br />
– flüssig<br />
geschrieben sein.<br />
Eine Kollegin nannte das Grundschriftkonzept<br />
bezogen auf die übliche Schriftdidaktik<br />
<strong>der</strong> Grundschule „eine Offenbarung“.<br />
Es ist ein Konzept aus <strong>der</strong> Praxis<br />
für die Praxis, das von Wissenschaftler*innen<br />
und Grundschulleh rer*in nen<br />
gemeinsam entwickelt worden ist.<br />
Potenzial des Grundschriftkonzepts<br />
ausschöpfen – auch mit an<strong>der</strong>en<br />
Ausgangsschriften<br />
Aktuell ist es in einigen Bundeslän<strong>der</strong>n<br />
noch schwierig o<strong>der</strong> sogar verboten, mit<br />
<strong>der</strong> Grundschrift zu arbeiten. Hier sind<br />
Lehrerinnen und Lehrer in ihrer pädagogischen<br />
Arbeit gefor<strong>der</strong>t, Kompromisse<br />
zwischen Vorgaben und ihrem eigenen<br />
pädagogischen Anspruch zu finden.<br />
Die wesentlichen Elemente des<br />
Grundschriftkonzeptes können in jeden<br />
Schreibunterricht integriert werden.<br />
Dadurch kann man die Arbeit auch<br />
mit den verbundenen Normschriften wie<br />
Schulausgangsschrift, Vereinfachter Ausgangsschrift<br />
und Lateinischer Ausgangs-<br />
Was bedeuten diese neuen<br />
Bildungsstandards für das<br />
Grundschriftkonzept?<br />
Mit diesen Vorgaben ist es möglich, die<br />
Grundschrift und das Grundschriftkonzept<br />
in alle Lehrpläne <strong>der</strong> Bundeslän<strong>der</strong><br />
aufzunehmen. Hauptelemente<br />
des Grundschriftkonzepts spiegeln sich<br />
in den folgenden Formulierungen zu<br />
den Standards wi<strong>der</strong>:<br />
Abb. 1: Leserlich, formklar und flüssig – vielfältig und reflektiert mit <strong>der</strong> Grundschrift<br />
schreiben üben<br />
40<br />
GS aktuell 160 • November 2022
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in Rundschau<br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Rundschau<br />
schrift pädagogisch und didaktisch aufwerten.<br />
Der Weg <strong>der</strong> Schriftvermittlung<br />
wird dadurch nicht so geradlinig wie mit<br />
<strong>der</strong> Grundschrift von Anfang an. Aber<br />
das Ziel einer formklaren, leserlichen<br />
und flüssigen Handschrift kann trotzdem<br />
erreicht und die Unterrichtsqualität<br />
gesteigert werden.<br />
Elemente des Grundschriftkonzepts,<br />
die generell auf den Handschriftunterricht<br />
übertragbar sind, werden in <strong>der</strong><br />
folgenden Grafik gesammelt dargestellt.<br />
Die Ideen sind sortiert nach den Kategorien<br />
Anfangsunterricht, weiterführendes<br />
Schreiben und dem übergreifenden Bereich<br />
Reflexion.<br />
Für alle, die mehr wissen wollen: Das<br />
Grundschriftkonzept wurde bereits<br />
in vielen Veröffentlichungen ausführlich<br />
erklärt und anschaulich dargestellt.<br />
(nachzulesen: Bartnitzky u. a. 2016 und<br />
www.die-grundschrift.de)<br />
Anna Fruhen-Witzke für die<br />
Projektgruppe Grundschrift<br />
im Grundschulverband<br />
Die Projektgruppe Grundschrift im Grundschulverband<br />
engagiert sich seit über zehn<br />
Jahren für ein zeit- und kindgemäßes Handschriftkonzept,<br />
das eine flüssige, leserliche<br />
und formklare Handschrift aus <strong>der</strong> handgeschriebenen<br />
Druckschrift ermöglicht.<br />
Literatur<br />
Bartnitzky, H., Brinkmann, E., Fruhen-Witzke,<br />
A., Hecker, U., Kindler, L., van <strong>der</strong> Donk,<br />
B. (Hrsg.) (2016): Grundschrift. Kin<strong>der</strong><br />
entwickeln ihre Schrift. Frankfurt am Main:<br />
Grundschulverband.<br />
Kultusministerkonferenz (2022): Beschluss<br />
<strong>der</strong> Kultusministerkonferenz vom 15.10.2004,<br />
i.d.F. vom 23.06.2022. https://www.kmk.org/<br />
fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2022/2022_06_23-Bista-Primarbereich-Deutsch.pdf.<br />
Projekt Grundschrift<br />
(2019): Schreibmotorik för<strong>der</strong>n. Praxishilfen<br />
und Impulskarten. Grundschulverband e. V.,<br />
Frankfurt a. M.<br />
Projekt Grundschrift (2011): Grundschrift.<br />
Kartei zum Lernen und Üben. Grundschulverband<br />
e. V., Frankfurt a. M.<br />
Handschriftför<strong>der</strong>ung – mit Grundschriftideen<br />
Anfangsunterricht<br />
● Als Grundsatz des Lehrer*innenhandelns:<br />
Schriftlernen ist <strong>Bewegung</strong>slernen<br />
● <strong>Bewegung</strong>srichtung von Anfang an,<br />
schon bei den Druckbuchstaben üben<br />
● Druckbuchstaben in <strong>Bewegung</strong>sgruppen<br />
sortieren und in diesen<br />
Gruppen üben und den Kin<strong>der</strong>n die<br />
<strong>Bewegung</strong>sverwandtschaften bewusst<br />
machen<br />
● Großformatige, bewegte erste<br />
Übungen zu jedem Buchstaben anbieten:<br />
Schreiben mit Schwung – flüssiges<br />
Schreiben<br />
● Vermittlung <strong>der</strong> Druckbuchstaben,<br />
die auf <strong>der</strong> Mittellinie enden, mit Wendebogen<br />
● Als erste Lineatur Blankoblätter o<strong>der</strong><br />
die Grundlinie nutzen<br />
● Zur individuellen För<strong>der</strong>ung verschiedene<br />
Lineaturen anbieten<br />
● Erprobung mit verschiedenen Stiften<br />
● Kartei Schreibmotorik för<strong>der</strong>n als<br />
För<strong>der</strong>ung für Kin<strong>der</strong> mit feinmotorischen<br />
Schwierigkeiten nutzen (vgl.<br />
Projekt Grundschrift 2019)<br />
Weiterführendes Schreiben<br />
● Bewusstheit schaffen, dass Schrifttraining<br />
bis zum Ende <strong>der</strong> Grundschulzeit<br />
ein wichtiges Unterrichtselement ist.<br />
● Schriftlehrgang mit <strong>der</strong> Schneidemaschine<br />
zerschneiden und als<br />
Arbeitsblätter nutzen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s<br />
zusammen heften. Motorisch ungünstige<br />
Verbindungen (z. B. Linksovale nd, o) o<strong>der</strong><br />
unklare Formen (b) aussortieren.<br />
● Die Grundschriftverbindungen im<br />
Unterricht beson<strong>der</strong>s üben, da sie die<br />
bewegungsgünstigen sind. An<strong>der</strong>e<br />
Verbindungen wie Linksovale weglassen<br />
(z. B. na). Wenig formklare Buchstaben<br />
(z. B. kleines b in <strong>der</strong> Schulausgangsschrift)<br />
als Druckbuchstaben schreiben.<br />
● Kin<strong>der</strong> ermutigen, mit Schwung zu<br />
schreiben, Verbindungen zu erproben und<br />
auch unverbunden zu schreiben, wo es<br />
sinnvoll ist.<br />
● Lineaturen individuell nutzen.<br />
Lineatur 4 (Grundlinie) grundsätzlich<br />
nutzen und nur zur individuellen För<strong>der</strong>ung<br />
an<strong>der</strong>e Lineaturen einsetzen.<br />
● Grundschriftkartei als För<strong>der</strong>kartei<br />
nutzen (bspw. Rückseiten mit <strong>Bewegung</strong>sgruppen<br />
zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Formklarheit<br />
und Verbindungskarten aus <strong>der</strong> Kartei 2 als<br />
Anregung)<br />
● Mit Schrift gestalten und Texte gestalten.<br />
(Texte, Schriftbil<strong>der</strong>, Schmuckschriften)<br />
● Schrift erkunden als Unterrichtsthema:<br />
historisch, an<strong>der</strong>swo, Handschriften,<br />
Computerschriften, Schreibanlässe,<br />
Schriften ausprobieren.<br />
● Trainingsaufgaben zur geläufigeren<br />
Schrift nutzen:<br />
– Tempo,<br />
– Schriftgröße,<br />
– Schreibgeräte,<br />
– Schreibdruck<br />
variieren.<br />
Reflexion<br />
● Drei Kriterien als Reflexionsanlass: formklar, leserlich, flüssig,<br />
bereits bei <strong>der</strong> handgeschriebenen Druckschrift anwenden.<br />
● Schriftgespräche führen als<br />
– Einzelgespräch mit <strong>der</strong> Lehrerin,<br />
– Selbstreflexion,<br />
– mit <strong>der</strong> Klasse o<strong>der</strong> einer Gruppe im Plenum,<br />
– mit Kin<strong>der</strong>n in einer kleinen Gruppe o<strong>der</strong> als Partnerarbeit.<br />
● Schrift immer als Punkt zu den Rückmeldungen und Partnergesprächen<br />
zu den Texten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> aufnehmen. Auch bspw. bei<br />
Geschichten, Lernwörterübungen o<strong>der</strong> Plakaten.<br />
● Reflexionsimpulse aus <strong>der</strong> Schreibmotorik-Kartei nutzen:<br />
– Proportionen,<br />
– Schriftgröße,<br />
– Stiftwahl,<br />
– Stifthaltung,<br />
– Linien,<br />
– Schreibdruck,<br />
– Schreibtempo<br />
– Habe ich mit Schwung geschrieben?<br />
● Motorisch ungünstige Verbindung mit den Kin<strong>der</strong>n herausfinden<br />
und reflektieren.<br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
41
Praxis: Rundschau <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Religiöse Bildung in einer pluralen Grundschule<br />
Kin<strong>der</strong> fragen nach dem Leben und <strong>der</strong> Welt<br />
Dieser Beitrag stellt die Kin<strong>der</strong><br />
mit ihren Lebensfragen ins<br />
Zentrum und möchte einen<br />
zeitgemäßen Religionsunterricht in <strong>der</strong><br />
Grundschule fokussieren, mit Impulsen<br />
zum Weiterdenken anregen sowie zur<br />
Diskussion einladen. Dazu wird an einschlägigen<br />
religionspädagogischen Konzepten<br />
und dem aktuell erschienen<br />
Orientierungsrahmen <strong>der</strong> Evangelischen<br />
Kirche Deutschland (EKD) für<br />
die Grundschule angeknüpft.<br />
Aufwachsen von Kin<strong>der</strong>n heute<br />
Kin<strong>der</strong> wachsen in einer pluralen Gesellschaft<br />
auf, in <strong>der</strong> Religion(en), religiöse<br />
Einstellungen und Vollzüge unterschiedlich<br />
bedeutsam sind. Menschen haben<br />
vielfältige „religiöse[r] Vorstellungen und<br />
leben eine je eigene Religiosität“ (EKD<br />
2022, 22) 1 . Gleichzeitig „bezeichnen<br />
sich viele Menschen als religionslos o<strong>der</strong><br />
atheistisch, für <strong>der</strong>en Lebensführung und<br />
-deutung Religion weitgehend nebensächlich<br />
ist“ (ebd., 22). Hinsichtlich <strong>der</strong><br />
Konfessions- bzw. Religionszugehörigkeit<br />
gibt es bundesweit große regionale<br />
Unterschiede. „In den Grundschulen<br />
kommen Kin<strong>der</strong> aus unterschiedlich<br />
religiös und kulturell geprägten Familien,<br />
mit unterschiedlichen religiösen<br />
Wissensbeständen, Fähigkeiten, Fertigkeiten,<br />
Haltungen und Einstellungen<br />
zusammen“ (ebd., 22).<br />
Nach <strong>der</strong> vierten World Vision Studie<br />
(2018) wachsen rund zwei Drittel <strong>der</strong><br />
Grundschulkin<strong>der</strong> in einem Elternhaus<br />
„Warum hängt<br />
Jesus am Kreuz,<br />
er war doch ein<br />
Prophet?“…<br />
„Warum<br />
isst Merve kein<br />
Schweinefleisch<br />
und keine<br />
Gummibärchen?<br />
auf, in dem mindestens ein Elternteil<br />
einer christlichen Religion angehört, wobei<br />
es deutliche Unterschiede zwischen<br />
Ost- und Westdeutschland gibt. Bei 13<br />
% <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> im Grundschulalter gehört<br />
mindestens ein Elternteil dem Islam an,<br />
bei Kin<strong>der</strong>n mit Migrationshintergrund<br />
sind es sogar 36 %. 20 % <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> leben<br />
hingegen in Familien, in denen beide<br />
Elternteile keine Religionszugehörigkeit<br />
aufweisen (Pupeter & Schneekloth 2018,<br />
60 f.). We<strong>der</strong> die Zugehörigkeit noch die<br />
Nichtzugehörigkeit lassen Aussagen darüber<br />
zu, wie Religion in <strong>der</strong> Familie gelebt<br />
und wie darüber gesprochen wird,<br />
denn „Familienreligiosität ist eine hochindividualisierte<br />
Form gelebter Religion“<br />
(Edelbrock 2018, 159). Es ist anzunehmen,<br />
dass „aufgrund von Migration in<br />
Deutschland die Pluralität gelebter Familienreligiosität<br />
quer durch alle Religionen<br />
weiterhin zunehmen wird“ (ebd.).<br />
Religion als Teil des Erlebens<br />
von Kin<strong>der</strong>n<br />
In ihren Familien und ihrem näheren<br />
Umfeld begegnen Kin<strong>der</strong> ganz selbstverständlich<br />
verschiedenen Kulturen,<br />
Religionen und Weltanschauungen.<br />
Sie erleben Feste wie Weihnachten,<br />
Ostern o<strong>der</strong> Ramadan und entdecken,<br />
dass Schulferien nach christlichen Festen<br />
bezeichnet werden, manche aufgrund<br />
ihrer Religionszugehörigkeit kein<br />
Schweinefleisch essen, Versammlungshäuser,<br />
Kirchen, Moscheen und Synagogen<br />
ins Auge stechen, Innenstädte<br />
in <strong>der</strong> Advents- und Weihnachtszeit<br />
geschmückt sind o<strong>der</strong> während des<br />
Ramadan manche Kin<strong>der</strong> vom Fasten in<br />
<strong>der</strong> Familie erzählen. Wenn ein geliebtes<br />
Tier o<strong>der</strong> ein nahestehen<strong>der</strong> Mensch<br />
stirbt o<strong>der</strong> sich Eltern trennen, kommen<br />
die Sicherheit und das, was Kin<strong>der</strong>n<br />
Halt gibt, ins Wanken.<br />
In solchen Situationen<br />
stellen Kin<strong>der</strong> viele Fragen<br />
nach dem Wohin<br />
und Wozu. Im Austausch<br />
mit Gleichaltrigen,<br />
Eltern o<strong>der</strong><br />
beim Besuch in an<strong>der</strong>en<br />
Familien nehmen<br />
sie wahr, dass und wie<br />
Dr. Damaris Knapp<br />
arbeitet als Akad. Rätin für Grundschulpädagogik<br />
an <strong>der</strong> PH Freiburg. Als<br />
ehemalige Grundschullehrerin, Fachleiterin<br />
und Dozentin für Evangelische<br />
Religion verbindet sie in ihrer Arbeit<br />
und in Fortbildungen Grundschulpädagogik<br />
mit Religionspädagogik.<br />
vielfältig Familienreligiosität gestaltet,<br />
gelebt sowie Begründungen und Argumente<br />
formuliert werden. Daneben zeigen<br />
sich Religionen, ihre Praxen und Vorstellungen<br />
durch Medien vermittelt. Kin<strong>der</strong><br />
begegnen Unterschieden meist offen<br />
und interessiert, manches wirkt reizvoll,<br />
an<strong>der</strong>es auch befremdlich. Schließlich<br />
brechen auch in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>, in Pausen,<br />
im Unterricht, im Ganztag o<strong>der</strong> Hort<br />
Gedanken und Fragen aus ihrem Erleben<br />
auf, die Religion(en) berühren. Lehrende<br />
und pädagogische Fachkräfte werden<br />
dann zu wichtigen Gesprächspartner:innen<br />
und Ko-Konstrukteur:innen<br />
und sind herausgefor<strong>der</strong>t, eine religionssensible<br />
Schul- und Unterrichtskultur zu<br />
gestalten (EKD 2022).<br />
Wenn sich Kin<strong>der</strong> ernst genommen<br />
fühlen und Vertrauen haben, erzählen<br />
sie und stellen viele Fragen. Sie wollen<br />
die Welt und das, was sie wahrnehmen<br />
und erleben, verstehen. Und manches<br />
wollen Erwachsene Kin<strong>der</strong>n auch zeigen,<br />
ihren Blick darauf lenken, damit sie<br />
es einordnen und zunehmend verstehen<br />
lernen. Beides ist relevant.<br />
Das Recht des Kindes auf religiöse<br />
Bildung 2<br />
Neben dem Aufwachsen in einer transkulturellen<br />
3 , religiös und weltanschaulich<br />
pluralen Gesellschaft ist das<br />
Fragen von Kin<strong>der</strong>n bedeutsam für<br />
<strong>der</strong>en Weltverstehen und -aneignung.<br />
42<br />
GS aktuell 160 • November 2022
Sie beobachten, was um sie herum<br />
geschieht, und fragen danach, „woher<br />
<strong>der</strong> Mensch kommt, wohin er geht, was<br />
er tun und was er aus sich machen soll,<br />
bzw. was dem Leben einen Sinn gibt“<br />
(EKD 2022, 41). Sie haben ein Recht<br />
darauf, dass diesen existenziellen und<br />
religiösen Fragen auch in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
als einem bedeutsamen Ort des Lernens<br />
und des Lebens nachgegangen<br />
wird. Gleichzeitig ist Religion in Kunst,<br />
Musik, Literatur o<strong>der</strong> Geschichte verwoben.<br />
Um diese verstehen und deuten<br />
zu lernen, brauchen Kin<strong>der</strong> religiöses<br />
Grundwissen.<br />
Neben dem unumstrittenen Recht auf<br />
Bildung, wie es in den Menschenrechten<br />
von 1948 (Artikel 26) festgeschrieben ist,<br />
haben Kin<strong>der</strong> ein Recht auf religiöse Bildung<br />
(Naurath 2017; Schweitzer 2013).<br />
Diese ist Teil allgemeiner Bildung, die<br />
religiöse Dimension ein Modus <strong>der</strong><br />
Weltbegegnung (Baumert 2002, 107).<br />
Neben <strong>der</strong> ästhetischen, künstlerischen,<br />
musischen o<strong>der</strong> ethischen Dimension<br />
trägt sie zur Ausbildung und Entfaltung<br />
<strong>der</strong> Persönlichkeit von Kin<strong>der</strong>n bei. In<br />
den Bildungsgrundsätzen für Kin<strong>der</strong>betreuung<br />
und Grundschule<br />
von NRW heißt es hierzu<br />
daher: „Ein ganzheitliches<br />
Bildungsverständnis<br />
schließt<br />
religiöse Bildung<br />
und ethische Orientierung<br />
mit ein. Sie<br />
sind wesentliche Aspekte<br />
von Bildung und<br />
ermöglichen es, Sinnzusammenhänge<br />
zu erfassen, die das ‚Ganze‘<br />
<strong>der</strong> Welt erschließen“ (MFKJKS-<br />
NRW 2016, 108).<br />
Religiöse Bildung im öffentlichen<br />
Raum <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> unterscheidet sich damit<br />
von religiösem Lernen in <strong>der</strong> Gemeinde<br />
bzw. einer Religionsgemeinschaft<br />
und von religiöser Erziehung im Elternhaus.<br />
Sie kann nicht vom Staat übernommen<br />
werden, weil sich dieser nicht positionieren<br />
kann. Deshalb ist <strong>der</strong> Religionsunterricht<br />
im Grundgesetz als Grundrecht<br />
verankert (GG Art. 7, Abs. 3) und<br />
soll in Zusammenarbeit mit den Religionsgemeinschaften<br />
erfolgen (res mixta),<br />
wobei positive und negative Religionsfreiheit<br />
selbstverständlich gewährleistet<br />
werden. Der Religionsunterricht<br />
setzt keinen persönlichen Glauben voraus<br />
und hat diesen auch nicht als Ziel.<br />
„Warum<br />
glauben manche<br />
an Gott und<br />
an<strong>der</strong>e nicht?“<br />
Was religiöse Bildung<br />
leisten kann<br />
Wenn über Religion in <strong>der</strong><br />
<strong>Schule</strong> nachgedacht wird,<br />
ist zunächst einmal begrifflich<br />
zu unterscheiden zwischen<br />
gelebter Religion und<br />
religiöser Bildung. Glaube<br />
kann in <strong>der</strong> Familie und/o<strong>der</strong><br />
Gemeinde gelebt werden,<br />
während religiöse Bildung<br />
– also eine kritische Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
mit Religion,<br />
Religionen, Religiosität, Spiritualität<br />
und Wertvorstellungen – Teil einer<br />
ganzheitlichen Bildung ist. Eine kritische<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzung erfor<strong>der</strong>t,<br />
dass Kin<strong>der</strong> religiöse bzw. religionsbezogene<br />
Erfahrungen mitbringen o<strong>der</strong><br />
auch in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> machen können.<br />
Selbstverständlich gilt dabei das Prinzip<br />
<strong>der</strong> Freiwilligkeit: Kin<strong>der</strong> dürfen in<br />
Rollen schlüpfen, Haltungen erproben<br />
o<strong>der</strong> sie können zuschauen, wie an<strong>der</strong>e<br />
etwas tun. Dies reflektieren sie dann im<br />
Religionsunterricht aus <strong>der</strong> Distanz und<br />
aus unterschiedlichen Perspektiven.<br />
Religiöse Bildung ist relevant für alle<br />
Kin<strong>der</strong>, nicht nur für konfessionell<br />
bzw. religiös gebundene<br />
Schüler:innen. Unabhängig<br />
von <strong>der</strong> religiösen<br />
Herkunft von<br />
Kin<strong>der</strong>n bietet religiöse<br />
Bildung Raum<br />
und Anlässe, sich<br />
mit Religion, Religionen,<br />
Weltanschauungen<br />
und moralischen Fragestellungen<br />
auseinan<strong>der</strong>zusetzen. Dies<br />
gelingt im Religionsunterricht, indem<br />
Kin<strong>der</strong> grundlegendes Wissen erwerben,<br />
unterschiedliche Deutungshorizonte<br />
religiöser und an<strong>der</strong>er Texte ergründen,<br />
vielfältige Perspektiven kennenlernen<br />
und unterschiedliche Positionierungen<br />
und Erfahrungen erproben. Dazu<br />
gehört auch eine Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
mit Wertvorstellungen und moralischen<br />
Urteilen, denn Kin<strong>der</strong> fragen danach,<br />
was gutes bzw. „richtiges“ Handeln ausmacht.<br />
So können Kin<strong>der</strong> im Laufe <strong>der</strong><br />
Grundschulzeit ein Bewusstsein dafür<br />
entwickeln, dass religiöse und kulturelle<br />
Glaubens- und Wertvorstellungen auch<br />
an<strong>der</strong>e als die eigenen sein können. „Religiöse<br />
Bildung unterstützt Kin<strong>der</strong> darin,<br />
Religion – ihre wie die an<strong>der</strong>er Kin<strong>der</strong> –<br />
verstehen zu lernen“ (EKD 2022, 66). Sie<br />
Praxis: <strong>Bewegung</strong> in Rundschau<br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Rundschau<br />
„Warum<br />
feiern wir<br />
eigentlich<br />
Ostern?“<br />
„Wohnt<br />
Gott hier in<br />
<strong>der</strong> Kirche?“<br />
„Warum hat<br />
<strong>der</strong> Nikolaus so<br />
einen komischen<br />
Hut?“<br />
bietet ihnen Deutungen<br />
für viele ihrer Beobachtungen<br />
und Erfahrungen<br />
und unterstützt sie im Suchen eigener,<br />
tragfähiger Antworten. Gleichzeitig<br />
haben Kin<strong>der</strong> ein Recht auf authentische<br />
Begegnungen mit religiösen Expert:innnen,<br />
die ihnen einen Einblick in<br />
ihre je eigene Religion geben und offen<br />
und konstruktiv mit unterschiedlichen<br />
Wahrheitsverständnissen umgehen.<br />
Religiöse Bildung im Schulalltag<br />
und im Unterricht<br />
„Nicht trotz, son<strong>der</strong>n gerade wegen <strong>der</strong><br />
religiösen Diversität ist religiöse Bildung<br />
ein ebenso selbstverständlicher<br />
wie unverzichtbarer Bestandteil schulischer<br />
Bildung“ (EKD 2022, 22 f.). Fragen,<br />
die Religion(en) bzw. Religiosität<br />
betreffen, aber auch <strong>der</strong> Umgang mit<br />
Krisensituationen o<strong>der</strong> Situationen des<br />
Übergangs sind existenziell bedeutsam<br />
und bedürfen <strong>der</strong> Berücksichtigung aus<br />
religiöser Perspektive im Schulalltag.<br />
Angesichts einer kulturell und religiös<br />
pluralen Gesellschaft kann religiöse Bildung<br />
„entscheidend zur Dialog- und Toleranzfähigkeit<br />
jedes Kindes beitragen“<br />
(EKD 2022, 23). Denn durch religiöse<br />
Bildung lernen Kin<strong>der</strong>, religiöse Pluralität<br />
wahrzunehmen und sich in ihr zu<br />
orientieren (EKD 2022). Ebenso för<strong>der</strong>t<br />
sie Kin<strong>der</strong> „in ihrem Interesse, Unterschiede<br />
und Gemeinsamkeiten zwischen<br />
ihren Überzeugungen und Verhaltensweisen<br />
sowie denen an<strong>der</strong>s- o<strong>der</strong> nichtgläubiger<br />
Menschen besser verstehen zu<br />
können“ (ebd., 23). Kin<strong>der</strong> benötigen<br />
keine religiöse Vorbildung, auch die Zugehörigkeit<br />
zu einer Religionsgemeinschaft<br />
ist nicht bedeutsam. Die Innenperspektive<br />
von Religion wird hingegen<br />
durch die Lehrperson und <strong>der</strong>en Glaube<br />
immer wie<strong>der</strong> sichtbar und diskutierbar.<br />
In <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Wahrnehmungen,<br />
Gedanken, Interessen und<br />
Fragen sind für Grundschulkin<strong>der</strong> eige-<br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
43
Praxis: Rundschau <strong>Bewegung</strong> in <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
nes Tun und Erleben entwicklungspsychologisch<br />
erfor<strong>der</strong>lich, um Zusammenhänge<br />
kognitiv, sprachlich und reflexiv<br />
verarbeiten und Erkenntnisse gewinnen<br />
zu können (Knapp 2022). In vielfältigen<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzungs- und Aneignungsprozessen,<br />
die kreative, gestalterische und<br />
darstellende Elemente ebenso berücksichtigen<br />
wie emotionale und erfahrungsorientierte<br />
Zugänge, setzen sich Kin<strong>der</strong><br />
mit relevanten Fragen und Themen<br />
auseinan<strong>der</strong>. Dabei werden sie beim gemeinsamen<br />
Nachdenken und Reflektieren<br />
zu eigenen Konstruktionen angeregt.<br />
Kin<strong>der</strong> wollen keine schnellen Antworten,<br />
son<strong>der</strong>n Erwachsene, die verstehen<br />
und ernstnehmen, was Kin<strong>der</strong> bewegt.<br />
Im Nachdenken kann eine Tiefendimension<br />
des Lebens eröffnet werden. Religiöse<br />
Themen ergeben sich aus den lebensweltlichen<br />
Erfahrungen, Fragen und Interessen<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> (EKD 2022).<br />
Zur Zukunft des<br />
Religionsunterrichts<br />
Wie kann und soll ein Religionsunterricht<br />
<strong>der</strong> Zukunft aussehen, <strong>der</strong> aktuelle<br />
Bedürfnisse von Kin<strong>der</strong>n und<br />
gesellschaftliche Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
ernst nimmt, konsensfähig ist und Kin<strong>der</strong><br />
in ihrer Weltaneignung und Persönlichkeitsentwicklung<br />
unterstützt, för<strong>der</strong>t<br />
und begleitet? Aktuell gibt es hierzu<br />
bereits erste Versuche mit dem RUfa<br />
2.0 4 in Hamburg, dem neu aufgestellten<br />
Religionsunterricht in Bremen o<strong>der</strong><br />
dem Christlichen Religionsunterricht<br />
(CRU) in Nie<strong>der</strong>sachsen. Ausgehend<br />
von obiger Frage werden abschließend<br />
stichpunktartig Gedanken und Impulse<br />
zusammengetragen, die die Diskussion<br />
um die Zukunft des Religionsunterrichts<br />
anregen sollen. Diese Auflistung<br />
ist we<strong>der</strong> hierarchisch zu verstehen<br />
noch als abgeschlossen.<br />
● Von Anfang an ist das Beson<strong>der</strong>e <strong>der</strong><br />
Grundschule das gemeinsame Lernen<br />
aller Kin<strong>der</strong>. Dieses Anliegen<br />
wird aktuell durch die Diskussion<br />
um Inklusion, gerade im Kontext<br />
eines weiten Inklusionsbegriffs, noch<br />
einmal verstärkt. Von daher sollte<br />
darüber nachgedacht werden, wie <strong>der</strong><br />
Religionsunterricht so gestaltet werden<br />
kann, dass ein gemeinsames Lernen<br />
möglichst aller Kin<strong>der</strong> – auch im<br />
Religionsunterricht – selbstverständlich<br />
wird. Denn in <strong>der</strong> Grundschule<br />
zeigt sich die Heterogenität <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
und Bildungsprozesse finden<br />
in natürlichen Gruppen statt, die<br />
die Vielfalt <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> wi<strong>der</strong>spiegeln.<br />
● Wir leben in einer pluralen Gesellschaft,<br />
in <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> lernen sollen,<br />
mit Pluralität – auch von Wahrheitsvorstellungen<br />
– umzugehen. Dazu<br />
gehört es, an<strong>der</strong>e religiöse Perspektiven<br />
kennen, wertschätzen und verstehen<br />
zu lernen und sich mit diesen<br />
sowie religiösen Bezugstexten aus Bibel,<br />
Koran etc. auseinan<strong>der</strong>zusetzen,<br />
unterschiedliche Wahrheiten wahrzunehmen<br />
und <strong>der</strong>en Gültigkeit zu<br />
diskutieren sowie immer wie<strong>der</strong> neu<br />
plausible und tragfähige Antworten<br />
zu finden.<br />
● Religiöse Bildung bietet Raum, um<br />
offen und angstfrei über Religion(en)<br />
und das, was Menschen trägt, ihnen<br />
Hoffnung und Zuversicht gibt, nachzudenken<br />
und ins Gespräch zu kommen.<br />
● Religiöse Kompetenzen sind angesichts<br />
von Pluralität und zunehmen<strong>der</strong><br />
Diversität neu zu fassen. Für eine<br />
Neuausrichtung wäre es wünschenswert,<br />
diese in einem Verständigungsprozess<br />
mit den verschiedenen Konfessionen<br />
und Religionen zu erarbeiten.<br />
● Religion braucht eine Innensicht.<br />
Damit Kin<strong>der</strong> Glaube und religiöses<br />
Deuten authentisch erleben können,<br />
braucht es Lehrende, die auf einen<br />
persönlichen Glauben zurückgreifen<br />
können. Gleichzeitig braucht die<br />
Lehrperson eine große Offenheit<br />
unterschiedlichen Religionen und<br />
vielfältiger religiöser Stile gegenüber.<br />
In <strong>der</strong> Folge gilt es, auch die Ausbildung<br />
stärker zwischen den Konfessionen<br />
und Religionen zu vernetzen<br />
und gemeinsam weiterzudenken.<br />
● Religion und Religiosität haben viele<br />
Facetten. Kin<strong>der</strong> ernst zu nehmen bedeutet<br />
auch, sie in ihren religiösen<br />
Prägungen und Nicht-Prägungen sowie<br />
ihren Erfahrungen mit <strong>der</strong> je<br />
eigenen Familienreligion wahrzunehmen,<br />
ihnen zuzuhören und ihnen<br />
Angebote zum Nach- und Weiterdenken<br />
über eigene religiöse und existenzielle<br />
Fragestellungen zu machen.<br />
● Es gibt deutliche regionale Unterschiede<br />
bezüglich <strong>der</strong> religiösen Herkunft<br />
und familialen Prägungen, was<br />
unterschiedliche Zusammensetzungen<br />
von Lerngruppen zur Folge hat.<br />
Ausgehend davon gilt es Konzepte zu<br />
entwickeln, die regionale Gegebenheiten<br />
aufnehmen und vor Ort konsensfähig<br />
sind. Das hat zur Folge,<br />
dass „Religionsunterricht“ unterschiedlich<br />
organisiert und gestaltet<br />
werden kann.<br />
● Zu Religion, Kirche und Religionsunterricht<br />
gibt es konträre Ansichten<br />
und mehr o<strong>der</strong> weniger Zustimmung.<br />
Soll sich dieser neu ausrichten,<br />
lohnt es sich, kreativ über eine konsensfähige<br />
Bezeichnung des Faches<br />
nachzudenken.<br />
● Um zukunftsfähige Konzepte entwickeln<br />
zu können, braucht es Experimentierräume<br />
vonseiten <strong>der</strong> Religionsgemeinschaften.<br />
Neues muss<br />
erprobt, wissenschaftlich begleitet<br />
und evaluiert werden.<br />
● Ausgehend vom Recht des Kindes auf<br />
religiöse Bildung ist ein Neu-Denken<br />
erfor<strong>der</strong>lich. Entscheidend ist, was<br />
dem Kind in seiner Persönlichkeitsentwicklung<br />
dient und was ihm hilft,<br />
religiös sprachfähig und sicher im<br />
Umgang mit Pluralität zu werden.<br />
Kin<strong>der</strong> in ihrem Fragen nach dem<br />
Leben und <strong>der</strong> Welt zu unterstützen<br />
und zu begleiten, ist <strong>der</strong> Kern religiöser<br />
Bildung. Dabei gilt es, individuelle<br />
Lernwege mit grundlegenden Kompetenzen<br />
religiöser Bildung zu verknüpfen<br />
und so zur För<strong>der</strong>ung und Entwicklung<br />
<strong>der</strong> Persönlichkeit beizutragen. Dazu<br />
braucht es Ideen, Mut und Vertrauen!<br />
Damaris Knapp<br />
Anmerkungen<br />
1) Der Orientierungsrahmen für den Religionsunterricht<br />
in <strong>der</strong> Grundschule <strong>der</strong> EKD<br />
erscheint in Kürze.<br />
2) Vgl. Naurath 2017, 84; Schweitzer (2003;<br />
2013) formuliert „Das Recht des Kindes auf<br />
Religion“.<br />
3) Der Begriff <strong>der</strong> Transkulturalität geht davon<br />
aus, dass Kulturen nicht homogene, klar<br />
voneinan<strong>der</strong> abgrenzbare Einheiten sind,<br />
son<strong>der</strong>n, im Kontext einer Globalisierung,<br />
zunehmend vernetzt und vermischt werden.<br />
4) RUfa ist die Abkürzung für „Religionsunterricht<br />
für alle“. RUfa 2.0 steht für die<br />
Neukonzeption des bisherigen Religionsunterrichts<br />
für alle in evangelischer Verantwortung.<br />
Bei RUfa 2.0 sind die Religionsgemeinschaften<br />
nun gleichwertig beteiligt.<br />
Literaturangaben zum Artikel können<br />
Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa160-Lit<br />
44<br />
GS aktuell 160 • November 2022
aktuell … aus den Landesgruppen<br />
Baden-Württemberg<br />
Vorsitzen<strong>der</strong>: Edgar Bohn<br />
edgar-bohn@gsv-bw.de, https://gsv-bw.de<br />
Es tut sich was im Ländle …<br />
In Baden-Württemberg war in<br />
den letzten Monaten viel los.<br />
Unser Format Couchsurfing<br />
findet nun in Kooperation mit<br />
<strong>der</strong> Landesgruppe Rheinland-<br />
Pfalz statt. Am 7. Juli diskutierte<br />
Susanne Breitweg mit<br />
Susanne Doll und Eva Franz<br />
über Strategien zum Umgang<br />
mit Belastungssituationen in<br />
Studium und Vorbereitungsdienst.<br />
Erstmals waren nicht<br />
nur Anwärter*innen und<br />
Studierende aus Baden-<br />
Württemberg, son<strong>der</strong>n auch<br />
aus <strong>der</strong> benachbarten Pfalz<br />
dabei.<br />
Die Pressemitteilung des<br />
Philologenverbands zur<br />
Grundschule in <strong>der</strong> Krise hat<br />
uns nicht nur untereinan<strong>der</strong><br />
beschäftigt, son<strong>der</strong>n die<br />
Landesgruppe auch ins Radio<br />
gebracht. Am 3. August war<br />
Eva Franz deshalb im Studio<br />
des SWR in Mannheim, um<br />
mit Michael Risel, Klaus Zierer<br />
und Heike Schmoll über die<br />
aktuelle Situation an Grundschulen<br />
zu diskutieren.<br />
Hier geht’s zur Sendung:<br />
https://t1p.de/s4340.<br />
Große Aufmerksamkeit<br />
erlangte unser gemeinsamer<br />
Brief mit dem Verein <strong>der</strong><br />
Gemeinschaftschulen, in<br />
dem wir darauf aufmerksam<br />
gemacht haben, dass <strong>der</strong><br />
Wunsch nach einer grundlegenden<br />
Bildung für alle<br />
Kin<strong>der</strong> nicht auf <strong>der</strong> Selbstausbeutung<br />
engagierter Lehrer*innen<br />
realisiert werden<br />
kann. Dieser Brief und die<br />
dazu veröffentlichte Pressemitteilung<br />
hat uns weitere<br />
hilfreiche Gesprächstermine<br />
mit Bildungspolitik und<br />
Schulverwaltung ermöglicht<br />
sowie eine größere Aufmerksamkeit<br />
in <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />
beschert. Hier geht’s zu Brief<br />
und Pressemitteilung:<br />
https://gsv-bw.de/es-reicht/<br />
https://gsv-bw.de/es-reichtdie-pressemeldung-zum-offenen-brief/<br />
Diesen Landesbericht abschließen<br />
möchten wir mit<br />
einer herzlichen Einladung:<br />
Am 23. November<br />
findet unser Grundschultag<br />
mit anschließen<strong>der</strong><br />
Mitglie<strong>der</strong>versammlung<br />
statt.Ab 16:30 Uhr werden<br />
wir mit Frau Boser, Staatssekretärin<br />
im Kultusministerium,<br />
und den bildungspolitischen<br />
Sprecher:innen <strong>der</strong><br />
GRÜNEN, <strong>der</strong> CDU, <strong>der</strong> FDP<br />
und <strong>der</strong> SDP über die Gestaltung<br />
qualitätsvoller Arbeit an<br />
baden-württembergischen<br />
Grundschulen diskutieren.<br />
Wir freuen uns sehr, wenn Sie<br />
teilnehmen!<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Edgar Bohn und Eva Franz<br />
Bremen<br />
Kontakt: grundschulverband-landesgruppe-bremen@email.de<br />
www.grundschulverband-bremen.de<br />
In unserem letzten Bericht<br />
haben wir kurz das Ferienprojekt<br />
„Spiel mit uns“ erwähnt,<br />
das in diesem Sommer zum<br />
zweiten Mal mit Unterstützung<br />
<strong>der</strong> Bremer Bürgerstiftung<br />
durchgeführt werden<br />
konnte. Ein ausführlicher<br />
Bericht von Maresi Lassek<br />
über die Erfahrungen an drei<br />
Grundschulen in schwieriger<br />
Lage ist zugänglich auf <strong>der</strong><br />
Website <strong>der</strong> Landesgruppe<br />
https://grundschulverbandbremen.de.<br />
Ebenfalls unterstützt von<br />
<strong>der</strong> Landesgruppe hat <strong>der</strong><br />
Bremer Verein „Potztausendschön“<br />
im Juli sein Naturtheaterprojekt<br />
durchgeführt,<br />
das wegen seines Erfolgs<br />
im kommenden Sommer<br />
wie<strong>der</strong>holt werden soll (vgl.<br />
https://grundschulverbandbremen.de/naturtheatertageim-lichtluftbad).<br />
Erinnern möchten wir an<br />
die Mitglie<strong>der</strong>versammlung,<br />
bei <strong>der</strong> dieses Mal auch <strong>der</strong><br />
Vorstand <strong>der</strong> Landesgruppe<br />
(wie<strong>der</strong>-)gewählt wird.<br />
Das Treffen findet am<br />
17. November ab<br />
18 Uhr (Beginn<br />
des Vortrags, s. unten)<br />
wegen <strong>der</strong> unklaren<br />
Corona-Situation wie<strong>der</strong><br />
online statt (über WebEx).<br />
Der Link wird auf Anfrage<br />
an Vorstand.Bremen@<br />
grundschulverband.de<br />
kurzfristig zugesendet und<br />
zusätzlich am Ende des<br />
vorangestellten Vortrags<br />
eingeblendet. Der Naturpädagoge<br />
Johannes Plotzki<br />
referiert in seinem Vortrag<br />
zum Thema „Draußenschule<br />
– Fächerverbindend an realen<br />
Orten (im Freien) lernen“.<br />
Plotzki hat mit seinem Team<br />
bereits über 1.000 Klassen in<br />
Schleswig Holstein, Hamburg<br />
und Nie<strong>der</strong>sachsen in<br />
Projekten zum regelmäßigen<br />
Lernen außerhalb <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
begleitet (Vortragslink – ohne<br />
weitere Anmeldung – über:<br />
https://goto.schule.bremen.<br />
de/draussenschule).<br />
Mit Roller und Fahrrad unterwegs auf dem Schulhof – die Aktion<br />
„Spiel mit uns” macht es möglich<br />
An <strong>der</strong> Universität Bremen<br />
hat unser Vorstandsmitglied<br />
Heike Hegemann-Fonger<br />
ein inklusives Projekt<br />
„Draußenschule für alle“<br />
initiiert, über das Studierende<br />
erste Erfahrungen im Bereich<br />
Draußenschule sammeln,<br />
inhaltliche Module entwickeln<br />
und erproben wie auch<br />
empirische Erkundungen<br />
durchführen können. Kooperationsschule<br />
ist die größte<br />
Bremer Grundschule, die<br />
Grundschule an <strong>der</strong> Delfter<br />
Straße in Bremen-Huchting.<br />
Kontakt: hege@uni-bremen.<br />
de. Weiterführende Informationen<br />
zum Projekt <strong>der</strong><br />
Landesgruppe finden sich<br />
hier: www.grundschulverband-bremen.de/draussenschule.<br />
Für den Landesgruppe:<br />
Hans Brügelmann und<br />
Heike Hegemann-Fonger<br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
45
Praxis: aktuell <strong>Bewegung</strong> … aus den in Landesgruppen<br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Bayern<br />
Vorsitzende: Gabriele Klenk<br />
https://grundschulverband-bayern.de<br />
Vorstandssitzung <strong>der</strong><br />
Landesgruppe Bayern<br />
Viele Vorstandssitzungen<br />
<strong>der</strong> Landesgruppe finden<br />
inzwischen online statt, aber<br />
zumindest ein Mal im Jahr<br />
treffen wir uns persönlich zu<br />
einem längeren Austausch.<br />
Dieser fand Anfang August<br />
im Nürnberger Raum statt.<br />
Folgende Themen wurden<br />
besprochen:<br />
● Online-Grundschultage:<br />
Der erste Online-Grundschultag<br />
<strong>der</strong> Landesgruppe<br />
Bayern fand im April 2022 mit<br />
einer Keynote von Prof. Jörg<br />
Ramseger und drei Sessions zu<br />
je einer Anfor<strong>der</strong>ung an eine<br />
zukunftsfähige Grundschule<br />
statt. Der Ablauf wurde auch<br />
für den zweiten Online-Grundschultag<br />
am 15. Oktober 2022<br />
beibehalten. Die Keynote<br />
durch Herrn Dr. Richard Sigel<br />
sowie weitere drei Sessions zu<br />
je einer Anfor<strong>der</strong>ung an eine<br />
zukunftsfähige Grundschule<br />
wurden geplant.<br />
● Offener Brief an Herrn<br />
Ministerpräsidenten Sö<strong>der</strong><br />
und Herrn Staatsminister Piazolo:<br />
Angesichts des akuten<br />
Lehrermangels und <strong>der</strong><br />
großen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
für <strong>Schule</strong>n haben wir beim<br />
Vorstandstreffen beschlossen,<br />
einen offenen Brief zu verfassen:<br />
https://grundschulverband-bayern.de<br />
● Happy hour <strong>der</strong> Landesgruppe<br />
Bayern: Nach <strong>der</strong><br />
ersten Happy hour (online)<br />
im Juli 2022 wurden für 9.<br />
November 2022 und 14.<br />
Dezember 2022 weitere Happy<br />
hours in <strong>der</strong> Zeit von 17 bis 18<br />
Uhr vorgesehen. Hier tauschen<br />
wir uns in lockerer Atmosphäre<br />
jeweils über einen Artikel aus<br />
dem jeweils neuen Heft von<br />
Grundschule aktuell aus.<br />
Die Anmeldung erfolgt per<br />
E-Mail an gabriele.klenk@<br />
grundschulverband-bayern.de<br />
Im Anschluss an die Anmeldung<br />
wird ein Teilnahmelink<br />
verschickt.<br />
Weitere Informationen und<br />
unser Padlet zu den Happy<br />
hours sind auf <strong>der</strong> Website<br />
<strong>der</strong> Landesgruppe Bayern zu<br />
finden: https://grundschulverband-bayern.de/<br />
● Gespräch mit <strong>der</strong> Grundschulreferentin<br />
am Kultusministerium,<br />
Frau Maria<br />
Wilhelm: Die Anliegen und<br />
Vorhaben <strong>der</strong> Landesgruppe<br />
Bayern im Grundschulverband<br />
sollen auch beim jährlich<br />
stattfindenden Gespräch mit<br />
Frau Wilhelm Eingang finden:<br />
Demokratieerziehung im<br />
Schulversuch MIT, <strong>Schule</strong>ntwicklung<br />
trotz aller <strong>der</strong>zeitigen<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen, Happy<br />
hour und Grundschultag <strong>der</strong><br />
Landesgruppe Bayern u.v.m.<br />
● Gespräch mit Vertretern<br />
<strong>der</strong> bayerischen Universitäten:<br />
Für den Herbst wurde ein<br />
Onlinegespräch mit Mitarbeitenden<br />
an Grundschul-<br />
Lehrstühlen <strong>der</strong> bayerischen<br />
Universitäten geplant. Der Austausch<br />
zwischen Theorie und<br />
Praxis ist uns stets ein Anliegen,<br />
auch <strong>der</strong> Kontakt zu Studierenden<br />
durch die Landesgruppe<br />
soll geför<strong>der</strong>t werden.<br />
Aktuelle Informationen zu den<br />
genannten Veranstaltungen<br />
finden Sie im Newsletter des<br />
Grundschulverbands. Anmeldung<br />
unter https://grundschulverband.de/newsletter<br />
und auf <strong>der</strong> Website <strong>der</strong><br />
Landesgruppe Bayern<br />
https://grundschulverbandbayern.de<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Konstanze v. Unold<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Kontakt: Thekla Mayerhofer, Hafenstr. 44, 06108 Halle (Saale)<br />
May_The@web.de, www.gsv-lsa.de<br />
SprachNetz<br />
Wir waren eingeladen, das<br />
Projekt „SprachNetz“, das<br />
digitale Netzwerk Sprache,<br />
Bildung, För<strong>der</strong>ung kennenzulernen.<br />
„SprachNetz“ ist<br />
ein vom Bundesministerium<br />
für Bildung und Forschung<br />
(BMBF) geför<strong>der</strong>tes Projekt,<br />
das in Kooperation mit<br />
verschiedenen Praxis- und<br />
Kooperationspartner*innen<br />
an <strong>der</strong> Martin-Luther-Universität<br />
Halle-Wittenberg<br />
mit einer Laufzeit von 2021<br />
bis 2026 durchgeführt wird.<br />
Gemeinsam mit Akteur*innen<br />
des Projektes konnten wir<br />
uns über den Ist-Stand sowie<br />
die Visionen des Projektes<br />
informieren, Schnittstellen<br />
und Unterstützungsideen zwischen<br />
Grundschulverbandsarbeit<br />
und SprachNetz-Anliegen<br />
herausstellen und eine<br />
Zusammenarbeit anbahnen.<br />
Wir sind gespannt auf die Dinge,<br />
die da kommen werden,<br />
und den Mehrwert, welches<br />
dieses Projekt zur Sprachför<strong>der</strong>ung<br />
für die Grundschulen<br />
im Land haben wird.<br />
Jährliches Sommergrillen<br />
Nun schon fast traditionell<br />
fand auch in diesem Jahr<br />
unser Vorstandssommergrillen<br />
statt. Zum Abschluss des<br />
Schuljahres wurde im großen<br />
Garten bei Grohmanns in<br />
Bennstedt gegrillt, getobt<br />
und sich vernetzt. In lockerer<br />
Atmosphäre wurde dabei<br />
das vergangene Schuljahr<br />
reflektiert und kommentiert.<br />
Doch nicht nur fachliche Themen<br />
standen im Fokus des<br />
Austausches, auch die bevorstehenden<br />
Sommerferien,<br />
Urlaube und an<strong>der</strong>e schöne<br />
Dinge wurden thematisiert.<br />
Auch in diesem Jahr konnten<br />
wir neue Gesichter unserer<br />
Landesgruppe begrüßen und<br />
diese etwas näher zusammenrücken<br />
lassen.<br />
A13 auch in Sachsen-Anhalt<br />
In vielen Bundeslän<strong>der</strong>n<br />
werden Lehrkräfte im Grundschuldienst<br />
bereits nach<br />
A13 bezahlt. Auch in allen<br />
Nachbarbundeslän<strong>der</strong>n von<br />
Sachsen-Anhalt ist dies <strong>der</strong><br />
Fall. Lei<strong>der</strong> gibt es hierzulande<br />
noch immer nicht genügend<br />
politischen Willen, um diese<br />
Anpassung vorzunehmen,<br />
sodass sich Ungerechtigkeiten<br />
ergeben. Obgleich jüngst<br />
auch unsere Bildungsministerin,<br />
Eva Feußner, signalisiert<br />
hat, den Wunsch nach einer<br />
A13-Besoldung zu unterstützen,<br />
stellt sich bislang <strong>der</strong><br />
Finanzausschuss quer. In einer<br />
Sitzung desselben durften wir<br />
Stellung nehmen und haben<br />
deutlich gemacht, dass auch<br />
die Erhöhung <strong>der</strong> Bezüge ein<br />
Schritt hin zur Attraktivitätssteigerung<br />
des Grundschullehrer*innenberufs<br />
ist und<br />
dass die Anfor<strong>der</strong>ungen, welche<br />
selbiger mit sich bringt,<br />
<strong>der</strong> höheren Besoldung<br />
absolut würdig sind. Gleichsam<br />
haben wir jedoch auch<br />
betont, dass dieser Schritt<br />
nicht <strong>der</strong> einzige bleiben darf<br />
und dass auch die Arbeitsbedingungen<br />
insgesamt, bspw.<br />
die (digitale) Ausstattung <strong>der</strong><br />
<strong>Schule</strong>n, dringend verbessert<br />
werden müssen.<br />
Weitere Informationen:<br />
www.gsv-lsa.de<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Thekla Mayerhofer<br />
46<br />
GS aktuell 160 • November 2022
aktuell … aus den Landesgruppen<br />
Hessen<br />
Vorsitzen<strong>der</strong>: Mario Michel<br />
mario.michel@gsvhessen.de, www.gsvhessen.de<br />
Ich kann – ich will –<br />
ich strenge mich an<br />
Am 15. Oktober fand überaus<br />
erfolgreich <strong>der</strong> erste<br />
Hessische Grundschultag in<br />
Kooperation <strong>der</strong> Verbände<br />
Grundschulverband Hessen,<br />
Interessensgemeinschaft<br />
Hessischer Schulleitungen<br />
und Verband <strong>der</strong> Lehrkräfte<br />
Hessen unter dem Motto<br />
„Kleine Schritte – große<br />
Visionen“ statt.<br />
Für 230 Menschen steckte<br />
dieser Tag an <strong>der</strong> Kopernikusschule<br />
in Freigericht/<br />
Osthessen voller Anregungen<br />
und Impulse. Neben einer<br />
Vielzahl von Ausstellern und<br />
einem qualitativ hochwertigen<br />
Angebot an Workshops<br />
(Programm unter www.<br />
grundschultag.com) waren<br />
es vor allem auch die Vorträge,<br />
die die Teilnehmenden<br />
begeisterten.<br />
Der Tag startete inhaltlich mit<br />
einem leidenschaftlichen Vortrag<br />
von Michael Fritz, Haus<br />
<strong>der</strong> kleinen Forscher, zum<br />
Thema „Kin<strong>der</strong> stark machen<br />
für den konstruktiven Umgang<br />
mit Verän<strong>der</strong>ungen“<br />
– notwendig wie nie in einer<br />
Zeit wie dieser.<br />
Seine Botschaft an die Anwesenden<br />
lautete: Jedes Kind<br />
braucht vielfach die Erfahrung<br />
„Ich kann etwas“ – denn<br />
auf „ich kann“ folgt „ich will“<br />
und aus „ich will“ erwächst<br />
„ich strenge mich an“. Die<br />
Basis für Wollen und Anstrengungsbereitschaft<br />
ist immer<br />
die Erfahrung von Selbstwirksamkeit<br />
und Gelingen. In<br />
fehlerfreundlicher Begleitung<br />
muss <strong>Schule</strong> Kin<strong>der</strong>n vielfältige<br />
Könnenserfahrungen<br />
ermöglichen, um sie resilient,<br />
stark und initiativ zu machen.<br />
Mit dieser starken Botschaft<br />
startete die erste Workshoprunde<br />
mit einer Vielzahl von<br />
Angeboten.<br />
„Locker vom Hocker“ holte<br />
Jimmy Little, Bildungsreferent<br />
mehrerer Landesinstitute<br />
und Grün<strong>der</strong> <strong>der</strong> „move to<br />
change“-<strong>Bewegung</strong>, die Anwesenden<br />
nach <strong>der</strong> Mittagspause<br />
bewegt und freudvoll<br />
zurück in die Aufnahmebereitschaft,<br />
bevor Professor Dr.<br />
i. R. Norbert Kruse (Universität<br />
Kassel) mit seinem Vortrag<br />
„Vom Umgang mit Fehlern –<br />
o<strong>der</strong> Wie lernen Kin<strong>der</strong> gute<br />
Texte zu schreiben?“ startete.<br />
Sein Plädoyer für die individuelle<br />
Betrachtung von<br />
Kin<strong>der</strong>texten, sein Augenmerk<br />
auf die inhaltliche<br />
Aussage dieser Texte, sein<br />
Verständnis vom Umgang<br />
mit (Rechtschreib-) Fehlern<br />
sprach den anwesenden<br />
Lehrkräften aus den Herzen<br />
und bestätigte die vielfach<br />
formulierte Kritik an <strong>der</strong><br />
Handreichung zum Hessischen<br />
Grundwortschatz<br />
Vorstand <strong>der</strong> Landesgruppe Hessen, von links nach rechts:<br />
Mario Michel, Pia Hölzel, Steffi Jurkscheit, Heidi Fischer, Ellen Löher,<br />
Rosa Heussner-Kahnt, Annette Zinser<br />
(siehe Bericht <strong>der</strong> Landesgruppe<br />
Hessen in Grundschule<br />
aktuell Heft 159).<br />
Aus <strong>der</strong> abschließenden<br />
Ansprache des Hessischen<br />
Kultusministers Prof. Dr.<br />
Alexan<strong>der</strong> Lorz bleibt festzuhalten,<br />
dass er <strong>der</strong> vielfältig<br />
präsenten For<strong>der</strong>ung nach<br />
A13 für die hessischen<br />
Grundschullehrkräfte<br />
keine Absage erteilte, die<br />
For<strong>der</strong>ung als begründetes<br />
Anliegen versteht und sie in<br />
naher Zukunft als umgesetzt<br />
sieht – das wär doch mal was!<br />
Das Fazit aller, die diesen<br />
Tag vorbereitet, organisiert<br />
und durchgeführt haben,<br />
lautet „Wir können was“ (eine<br />
solche Mammutaufgabe im<br />
konkurrenzlosen Zusammenwirken<br />
dreier Verbände<br />
stemmen), „Wir wollen was“<br />
(einen solchen Tag in regelmäßigem<br />
Rhythmus wie<strong>der</strong>holen)<br />
und „Wir strengen uns<br />
an“, damit eine Folgeveranstaltung<br />
für und mit unseren<br />
hessischen Grundschullehrkräften<br />
genauso bereichernd,<br />
motivierend und qualitativ<br />
hochwertig besetzt stattfinden<br />
kann.<br />
SAVE THE DATE<br />
Am 24. November<br />
2022 findet das<br />
zweite „Grundschulgebabbel“<br />
unserer Landesgruppe statt.<br />
Uhrzeit und Einwahlmöglichkeit<br />
sind auf <strong>der</strong> Homepage,<br />
<strong>der</strong> Instagram-Seite und über<br />
die Einladung per Mail zu<br />
finden.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Pia Hölzel<br />
Schleswig-Holstein<br />
Geschäftsführen<strong>der</strong> Vorstand: Maren Barck, Sabine Jesumann, Aenne Thurau<br />
Kontakt: Maren Barck, grundschulverbandSH@gmx.de<br />
Auf <strong>der</strong> Suche<br />
Der Vorstand ist auf <strong>der</strong><br />
Suche. Was wünschen sich<br />
Mitglie<strong>der</strong> vom Verband?<br />
Nachdem die Herbsttagung<br />
zum Thema „Lernräume“ mit<br />
Dr. Michel Kirch am 20.9.22<br />
wegen zu geringer Anmeldezahlen<br />
nicht stattgefunden<br />
hat, steht diese Frage erneut<br />
im Raum.<br />
Trifft <strong>der</strong> Vorstand mit seinen<br />
Themen das Interesse <strong>der</strong><br />
Mitglie<strong>der</strong> nicht? O<strong>der</strong> fehlt<br />
Lehrkräften aufgrund von<br />
Überlastung die Kraft zur Teilnahme<br />
an Fortbildungen?<br />
Sollten Veranstaltungen noch<br />
auf an<strong>der</strong>en Wegen angekündigt<br />
werden?<br />
Viele Fragen, auf die wir<br />
auf dem Vorstandstreffen<br />
Antworten suchen.<br />
Alle Mitglie<strong>der</strong> sind herzlich<br />
eingeladen, am Vorstandstreffen<br />
mit ihren Wünschen<br />
und Beiträgen teilzunehmen.<br />
Das Treffen findet<br />
online statt am<br />
23. November 2022<br />
von 17 bis 19 Uhr.<br />
Nach Anmeldung per E-Mail<br />
wird <strong>der</strong> Link zum Konferenzraum<br />
zugesendet.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Sabine Jesumann<br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
47
Praxis: aktuell <strong>Bewegung</strong> … aus den in Landesgruppen<br />
<strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />
Saarland<br />
Vorsitzende: Anke Jungmann<br />
anke.weber@grundschulverband.saarland, www.grundschulverband.saarland<br />
Nach mehreren Jahren Pause<br />
fand am 29. September 2022<br />
endlich unser 2. Saarländisches<br />
Grundschulforum in den<br />
Räumlichkeiten des Erlebnisort<br />
Reden statt. Mit dem<br />
Titel „Digital unterwegs in <strong>der</strong><br />
Grundschule“ lud die Landesgruppe<br />
zum Austausch in<br />
fachdidaktischen Workshops<br />
und am Kaffeetisch ein.<br />
Zu Beginn <strong>der</strong> Veranstaltung<br />
drehte sich eine Diskussionsrunde<br />
um Fragen wie<br />
„Warum sind die Grundschulen<br />
des Landes so ungleich<br />
ausgestattet?“ o<strong>der</strong> „Was sind<br />
Bausteine eines gelingenden<br />
medienpädagogischen<br />
Konzepts?“. Diese und weitere<br />
Fragen zur Digitalisierung<br />
von <strong>Schule</strong>n und Unterricht<br />
und den dazu notwendigen<br />
didaktischen und pädagogischen<br />
Konzepten wurden uns<br />
im Vorfeld von den Teilnehmer*innen<br />
zugeschickt.<br />
Neben einer Schulleiterin, die<br />
eindrucksvoll den Umgang<br />
mit Digitalisierung an ihrer<br />
<strong>Schule</strong> vorstellte, und einer<br />
Grundschullehrerin, die sich<br />
in ihrem Unterricht ebenfalls<br />
auf diesen Weg gemacht hat,<br />
stand die saarländische Ministerin<br />
für Bildung und Kultur,<br />
Christine Streichert-Clivot, auf<br />
dem Podium. Die Mo<strong>der</strong>ation<br />
übernahm unser Schriftführer,<br />
Pascal Kihm. Neben<br />
Vertreter*innen aus <strong>der</strong> GEW<br />
und dem saarländischen Lehrerinnen-<br />
und Lehrerverband<br />
waren außerdem universitäre<br />
Akteur*innen (1. Phase <strong>der</strong><br />
Lehramtsausbildung) sowie<br />
das Studienseminar (2. Phase<br />
<strong>der</strong> Lehramtsausbildung)<br />
vertreten und beteiligten<br />
sich durch Kommentare und<br />
Publikumsfragen an dem<br />
Podiumsgespräch.<br />
Dabei ging es in <strong>der</strong> Diskussionsrunde<br />
– und vor allem<br />
in den Kaffeepausen danach<br />
– um die Verknüpfung <strong>der</strong><br />
Phasen untereinan<strong>der</strong> und um<br />
Chancen <strong>der</strong> Zusammenarbeit.<br />
Zu den Pausenzeiten präsentierten<br />
sich verschiedene<br />
Projekte, u. a. <strong>der</strong> Universität<br />
des Saarlandes, die Einblicke<br />
in spannende Forschungsprojekte<br />
zu Augmented<br />
Reality gaben.<br />
In <strong>der</strong> anschließenden<br />
Workshop-Phase konnten die<br />
52 Teilnehmer*innen zu den<br />
Fächern Deutsch, Mathematik<br />
o<strong>der</strong> Sachunterricht praxisnahe<br />
Impulse zur Arbeit mit<br />
Apps, Tablets etc. ausprobieren,<br />
um digital unterwegs in<br />
<strong>der</strong> Grundschule zu sein.<br />
Wir bedanken uns bei allen<br />
Beteiligten und freuen uns<br />
bereits auf das nächste<br />
Grundschulforum! Weitere<br />
Infos und Termine findet<br />
ihr auf Instagram unter @<br />
didaktik_des_sachunterrichts.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Marie Fischer<br />
Von links nach rechts: Christine Streichert-Clivot (Bildungsministerin), Jacqueline Huppert<br />
(Schulleiterin einer Grundschule), Christina Surges (Grundschullehrerin)<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
Vorsitzende: Christiane Mika, Ruhrbogen 30,<br />
45529 Hattingen; www.grundschulverband-nrw.de<br />
Pascal Kihm, Schriftführer <strong>der</strong><br />
Landesgruppe Saarland und<br />
Mo<strong>der</strong>ator <strong>der</strong> Diskussionsrunde<br />
A 13 für alle Lehrkräfte und<br />
Herbsttagung in NRW!<br />
Noch in den Sommerferien<br />
fand ein erstes persönliches<br />
Gespräch mit <strong>der</strong> neuen<br />
Ministerin für <strong>Schule</strong> und<br />
Bildung Dorothee Feller<br />
und ihrem Staatssekretär<br />
Dr. Urban Mauer statt. Mitglie<strong>der</strong><br />
des Vorstands unserer<br />
Landesgruppe konnten<br />
ausführlich persönlich über<br />
die Arbeit des Grundschulverbands<br />
informieren. Das<br />
Gespräch im Büro <strong>der</strong> Ministerin<br />
war geprägt von großer<br />
Wertschätzung und echtem<br />
Interesse an unserer Expertise<br />
in wichtigen Grundschulfragen.<br />
Die Ankündigung <strong>der</strong><br />
Ministerin, den Stufenplan<br />
zur Umsetzung von A 13 für<br />
alle Lehrkräfte in NRW noch<br />
vor den Herbstferien vorzustellen,<br />
wurde inzwischen<br />
in die Tat umgesetzt. Die<br />
Verhandlungen mit dem<br />
Finanzministerium haben<br />
zum Ziel geführt und eine<br />
jahrzehntelange For<strong>der</strong>ung<br />
des GSV steht kurz vor <strong>der</strong><br />
Umsetzung. Wir begrüßen<br />
den Stufenplan und die<br />
Berücksichtigung aller im<br />
Dienst befindlichen und neu<br />
einzustellenden Lehrkräfte<br />
<strong>der</strong> Grundschulen ausdrücklich<br />
und freuen uns sehr, dass<br />
die Einladung zum 2. Treffen<br />
im Ministerium bereits<br />
terminiert wurde!<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Maxi Brautmeier-Ulrich<br />
48<br />
GS aktuell 160 • November 2022
KOMPLETT DIGITAL &<br />
FREI VERFÜGBAR - GSV-BAND 155<br />
Twitter, Instagram, Facebook, Zoom, Padlet, Podcast,<br />
Newsletter: Der Grundschulverband ist digital aktiv<br />
und erreicht dadurch immer mehr Menschen.<br />
Nun folgt <strong>der</strong> nächste große Schritt:<br />
Der Vorstand hat sich in Abstimmung mit <strong>der</strong> Landesdelegiertenversammlung<br />
entschieden, den nächsten<br />
Band komplett digital zu veröffentlichen.<br />
Band 155 „Grundschule in <strong>der</strong> Digitalität“ wird für<br />
Mitglie<strong>der</strong> & Nichtmitglie<strong>der</strong> online frei zugänglich sein:<br />
■ Der Downloadlink wird per Post (o<strong>der</strong> auf<br />
Wunsch per Mail) versendet.<br />
■ Die ersten Artikel werden bereits<br />
ab Dezember 2022 verfügbar sein.<br />
■ Die Qualität <strong>der</strong> Inhalte und <strong>der</strong>en<br />
redaktionelle Aufbereitung bleiben gleich.<br />
■ Durch diese neue Form <strong>der</strong> Verbreitung<br />
wollen wir mehr Menschen erreichen und<br />
für den Grundschulverband begeistern.<br />
Fragen &<br />
Ideen an:<br />
info@grundschulverband.de | grundschulverband.de<br />
Facebook: Grundschulverband<br />
Instagram: @grundschulverband<br />
Twitter: @GSV_eV<br />
GS aktuell 160 • November 2022<br />
U III
Grundschule aktuell<br />
Grundschulverband e. V.<br />
Frankfurter Straße 74–76 · 63263 Neu-Isenburg<br />
Tel. 06102 / 88 21 660 · Fax 06102 / 88 21 664<br />
info@grundschulverband.de<br />
www.grundschulverband.de<br />
Postvertriebsstück · Entgelt bezahlt DP AG<br />
D 9607 F · ISSN 1860-8604<br />
Versandadresse<br />
Ausblick Grundschule aktuell 161<br />
Frieden gestalten – miteinan<strong>der</strong> leben und lernen<br />
In <strong>der</strong> kommenden Ausgabe von Grundschule aktuell steht das Thema<br />
„Frieden gestalten – miteinan<strong>der</strong> leben und lernen“ im Mittelpunkt. Diesem Thema,<br />
dem Frieden im Kleinen und im Großen, wollen wir uns aus drei Perspektiven<br />
nähern. Dabei finden folgende Schwerpunkte Berücksichtigung:<br />
● „Frieden mit sich selbst“, z. B. eigene Sicherheit durch verlässliche Strategien erlangen<br />
● „Frieden mit an<strong>der</strong>en“, z. B. Vielfalt akzeptieren, Vorurteile abbauen, Konflikte bewältigen<br />
● „Frieden in <strong>der</strong> Welt“, z. B. Ängste im Zusammenhang mit Krieg wahrnehmen,<br />
thematisieren und Zuversicht in menschliche Möglichkeiten stärken<br />
Sowohl in den Leitartikeln als auch in den Praxisbeiträgen gehen wir folgenden Fragen<br />
nach: Was meinen wir mit „Friedenserziehung“? Was bedeutet das Thema Friedenserziehung<br />
für Grundschule und was diese leisten sollte? Wie kann das Thema für den<br />
Bereich <strong>der</strong> Persönlichkeitsentwicklung aufbereitet werden und weit über einen Projektcharakter<br />
hinausgehen? An welcher Stelle benötigt <strong>Schule</strong> zusätzliche Hilfe?<br />
Die nächsten<br />
Themen<br />
Februar 2022<br />
Mai 2022<br />
September 2022<br />
Heft 161 | Februar 2023<br />
Frieden gestalten –<br />
miteinan<strong>der</strong> leben und lernen<br />
Heft 162 | Mai 2023<br />
Ganztagsanspruch<br />
Heft 163 | September 2023<br />
Pausenkulturen<br />
www.<br />
grundschule-aktuell.info