Mitteilungsblatt Thüringer Pfarrverein Jahresheft 2022
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Denn gerade in den Zeiten „großen
Sterbens“ kann es gut sein, dass nicht
genügend Priester oder Kapläne da sind
die zu allen Kranken kommen können
„und einem jeglichen überhaupt erst
alle Dinge sagen und ihn lehren können,
was ein Christenmensch in Sterbensnöten
wissen soll.“
Die Menschen dürfen nicht damit rechnen,
dass an ihrem Sterbebett täglich
eine „Kanzel“ oder „Altar“ aufgerichtet
werden würde, „weil sie die allgemeine
Kanzel und den Altar so verachtet haben,
wozu sie Gott (doch) berufen und
gefordert hat.“
Zum Dritten – wiederum sehr praktisch
– rät er den Seelsorger rechtzeitig zu
rufen und die „Kranken beizeiten und
am Anfang anmelden, ehe die Krankheit
überhandnimmt, und (so lange) noch
Sinn und Vernunft da ist. Das sage ich
deshalb: denn es sind etliche so saumselig,
dass sie nicht eher (den Pfarrer)
fordern oder sich ihm anmelden lassen,
bis die Seele auf der Zunge sitzt und
sie nicht mehr reden können und wenig
Vernunft mehr da ist. Da bitten sie
denn: Lieber Herr, sagt ihm das Beste
vor usw. Aber vorher, als die Krankheit
anfing, wünschten sie nicht, dass man
zu ihnen käme; sondern sagten: Ei, es
hat nicht Not, ich hoffe, es soll besser
werden.“
Hier greift Luther seine Kritik am sogenannten
„Sterbesakrament“ der römisch
– katholischen Kirche auf, die er
schon sehr massiv in der 1520 erschienen
Schrift:
„ Von der baylonischen Gefangenschaft
der Kirche dargelegt hatte.2 Der apostolische
Ratschlag zur Krankensalbung3 sei
verfälscht worden zur „Letzten Ölung“
bzw. zum Sterbesakrament. Luther:
„Diesem Brauch, die Kranken zu ölen,
haben unsere Theologen zwei ihrer würdige
Zusätze angefügt: Einen, daß sie das
ein Sakrament nennen, den andern, daß
sie es zu einer »letzten« (Ölung) machen.
So soll es jetzt das »Sakrament der letzten
Ölung« sein, welches niemandem gegeben
werden darf, er liege denn in den
letzten Zügen.“ 4
Schon 1524 hatte Luther die mittelalterliche
Antiphon „Media Vita in morte
sumus“ in dem bekannten Lutherlied
„Mitten wir im Leben sind mit dem Tod
umfangen.“ aufgenommen. 5
Also auch: Mitten im Leben sollst du
Dein Sterben bedanken. Aber dann
wenn es wirklich an Sterben geht, sollst
Du gar nicht mehr daran denken, sondern
sollst es umkehren: Mitten im Sterben
sind wir vom Leben umfangen. 6
2 Martin Luther: Von der babylonischen
Gefangenschaft der Kirche (1520), [WA 6, 497-573]
(vgl. Anm.1), Seiten 1348-1465. Text „Vom
Sakrament der letzten Ölung“: Seite 1444ff.
3 Der Brief des Jakobus 5,13-16: „Ist jemand
unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der
Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben
mit Öl in dem Namen des Herrn. Und das Gebet
des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der
Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden
getan hat, wird ihm vergeben werden.“
4 Ebd., Seite 1444.
5 Evangelisches Gesangbuch Nr. 518
6 Dazu ausführlich: Horst Hirschler: Wie ein Tod
den andern fraß - Luthers Bereitung zum Sterben,
in: Ders.: Luther ist uns weit voraus, Hannover
1996, Seite 173-234.
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Mitteilungen aus dem Thüringer Pfarrverein Nr. 01-2022