aufräumen – hinfinden
Noch ein Buch übers Aufräumen? Unbedingt! Mehr Autobiografie als Ratgeber, mehr Inspiration als Handlungsanweisung. Anne Sterzbach beschreibt ihre persönlichen Wege durch Räume anhand eines (scheinbar) banalen Themas, dem Aufräumen und berührt damit große Fragen unseres Lebens. Anne Sterzbach (*1969) ist bildende Künstlerin und lebt mit ihrer Familie in Nürnberg „Ein echter Akt der Befreiung.“ Wolfgang Heilig-Achneck, Nürnberger Nachrichten – Über das Aufräumen – Aufräumen - meine Methoden – einzelne Orte/Zimmer aufräumen – Dinge Aufräumen – Aufräumen mit anderen
Noch ein Buch übers Aufräumen? Unbedingt! Mehr Autobiografie als Ratgeber, mehr Inspiration als Handlungsanweisung. Anne Sterzbach beschreibt ihre persönlichen Wege durch Räume anhand eines (scheinbar) banalen Themas, dem Aufräumen und berührt damit große Fragen unseres Lebens.
Anne Sterzbach (*1969) ist bildende Künstlerin und lebt mit ihrer Familie in Nürnberg
„Ein echter Akt der Befreiung.“
Wolfgang Heilig-Achneck, Nürnberger Nachrichten
– Über das Aufräumen
– Aufräumen - meine Methoden
– einzelne Orte/Zimmer aufräumen
– Dinge Aufräumen
– Aufräumen mit anderen
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Anne Sterzbach<br />
UF<br />
AU<br />
EN<br />
<strong>hinfinden</strong><br />
Wege durch Räume
4 Über das Aufräumen<br />
14 Aufräumen <strong>–</strong> Meine Methoden<br />
18 Einzelne Orte/Zimmer <strong>aufräumen</strong><br />
18 Kleiderschrank<br />
30 Bücherregal<br />
41 Atelier/Arbeitszimmer<br />
45 Bad<br />
49 Küche<br />
56 Abstellraum<br />
59 Wohn-Esszimmer<br />
66 Die ganze Wohnung <strong>aufräumen</strong><br />
Aufräumwege <strong>–</strong> Mehr Methoden<br />
76 Dinge Aufräumen<br />
92 Aufräumen mit anderen<br />
102 Literaturverzeichnis
BER<br />
AS<br />
UF<br />
räumen
Über das Aufräumen<br />
Eigentlich halte ich mich nicht<br />
für einen ordentlichen Menschen.<br />
Gerne lasse ich die Dinge dort fallen, wo ich sie<br />
nicht mehr brauche, die getragene Kleidung vor<br />
der Badewanne, die Schwimmsachen samt Supermarkteinkäufen<br />
an der Tür, Gemüsereste und<br />
Kochutensilien auf der Arbeitsfläche. Die Liste<br />
ließe sich ewig fortsetzen. Mich interessiert diese<br />
alte Aktion nicht mehr. Ich bereite nicht gerne<br />
etwas nach.<br />
Aber ich liebe es, aufzuräumen.<br />
Nicht als lästiges Anhängsel, sondern als inspirierende,<br />
öffnende, zukunftsweisende Aktion.<br />
So sammle ich mit Freude am nächsten Tag den<br />
Wäschehaufen vor der Badewanne und sortiere<br />
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ihn mit den klammen Handtüchern und anderer<br />
herumliegender Kleidung in die Waschmaschine.<br />
Dann mache ich die Küche sauber, zumindest<br />
dort, wo ich gleich auf einer freigeräumten Fläche<br />
meinen Morgenkaffee aufgießen will. Aber<br />
dazu später.<br />
Dieses Buch ist kein Ratgeber im Sinne von<br />
„..und das geht so“, sondern mein Nachsinnen<br />
über das, was für mich die Grundlage meines<br />
Denkens und Handelns ist. Ordnend und klärend<br />
durch Räume zu gehen, ist für mich tägliche Meditation,<br />
ist sinnvolles Hinfinden zu dem, was<br />
wirklich ansteht.<br />
Mein Außen bestimmt mein Innen<br />
Schon immer hatte ich eine große Sehnsucht<br />
nach Übersichtlichkeit, Einfachheit und Klarheit,<br />
zuweilen richtig extrem:<br />
Ich erinnere mich an eine Ferienwohnung an der<br />
Nordsee, in der ich als Kind mit meiner Familie<br />
Urlaub machte. Aus dem Küchenfenster konnte<br />
man auf eine schnurgerade, endlose Horizontlinie<br />
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licken, die Deich und Himmel trennte. Ein einzelner,<br />
sehr dicker Grasbüschel unterbrach allerdings<br />
diese Linie, was mich so störte, dass ich mit<br />
einer Küchenschere loszog und unter den lotsenden<br />
Zurufen der Familie vom Küchenfenster aus<br />
das Büschel abschnitt. Damit war die Ordnung<br />
wieder hergestellt. Wahrscheinlich habe ich es<br />
schon immer etwas übertrieben (und bräuchte<br />
im Gegenzug ein Buch über Chaos zulassen!).<br />
Räume bestimmen auch schon lange meine innere<br />
Landschaft, meine Vorstellungen und Gedanken.<br />
An „starke Orte“ kehre ich im Geiste immer wieder<br />
zurück. Sie dienen in ihrer Begrenztheit oft<br />
als Schauplätze für wesentlich komplexere Gedankengänge<br />
und sind Bühnen für Geschichten<br />
und Handlungsabläufe. So stelle ich mir z.B.<br />
Tolstois Krieg und Frieden vorwiegend im Gemeindehaus<br />
in unserem früheren Nachbarort<br />
Alexandersbad vor.<br />
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Als Künstlerin empfinde ich das Aufräumen<br />
selbst als schöpferischen Akt: Bevor ich arbeite,<br />
räume ich den Tisch oder den Boden frei und<br />
schaffe dadurch einen Freiraum im Atelier. Auch<br />
meine Arbeiten selbst handeln von äußerster<br />
Reduktion. Ich befreie in meinen minimalistischen<br />
Installationen Räume von Ballast, in meinen<br />
abstrakten Collagen Farbflächen von ihrem<br />
Text, ihrem Inhalt. Immer wieder stellt sich mir<br />
die Frage, was ich wegnehmen kann, weil ich<br />
es nicht (unbedingt) brauche. Wie so oft beim<br />
Aufräumen spiegelt sich etwas, das ich in einem<br />
anderen Bereich genau so mache.<br />
Der Kunsthistoriker Dr. Stephan Trescher, schreibt<br />
in einem Katalogtext über diesen Prozess:<br />
„Anne Sterzbachs Umgang mit ihrem Material<br />
gleicht einem fast schon alchimistischen Prozess<br />
der fortwährenden Läuterung, des Destillierens,<br />
Eindampfens, Ruhenlassens und weiteren Reduzierens,<br />
bis am Ende das Allermeiste sich wieder<br />
verflüchtigt hat und nur noch ein Konzentrat<br />
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übrig bleibt, mit viel spürbarem Raum ringsum,<br />
einer spannungsgeladenen Leere...“<br />
Ich beginne aufzuräumen,<br />
wenn mir die Reize meiner Umgebung, ihre sich<br />
überlagernden Energien, Lautstärken und Anhäufungen<br />
von Dingen zu laut und zu viel werden.<br />
Wenigstens in meiner Wohnung, meinem<br />
direkten Umfeld kann ich sie wesentlich mitbestimmen<br />
und dosieren.<br />
Beim Aufräumen<br />
führen die oft mechanischen Abläufe in eine<br />
ungeahnte Tiefe meiner Selbst. Ein Gefühl der<br />
Leichtigkeit, Kompetenz und Kraft stellt sich ein.<br />
Selten bin ich so bei mir, fühle mich so präsent<br />
und selbstwirksam. Ich verändere eine äußere<br />
Struktur, die im Grunde mein Inneres spiegelt.<br />
Nach dem Aufräumen<br />
fühle ich mich erfrischt und klar, darf wieder, so<br />
schreibt es meine Freundin Anette Ruttmann<br />
in einem Katalogtext „…in Freiheit die Augen<br />
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öffnen“. Ich habe ein inneres Update vollzogen,<br />
das meine derzeitigen Bedürfnisse, aktuellen Fragestellungen<br />
und auch verdrängten Probleme<br />
auf den Tisch bringt.<br />
Der Schriftsteller Rolf Dobelli beschreibt das in<br />
seinem Buch Die Kunst des guten Lebens als<br />
„Circle of Competence“. Er rät, genau das Herauszufiltern,<br />
was man am besten kann und am<br />
liebsten macht: Bei mir <strong>–</strong> so fiel es mir bei der<br />
Lektüre wie Schuppen von den Augen <strong>–</strong> die Lust<br />
am Aufräumen, Reduzieren und Strukturieren<br />
von Räumen.<br />
Früher hatte ich oft ein latent schlechtes Gewissen,<br />
weil ich dachte, mit dem Aufräumen nur<br />
das eigentlich Wichtige aufzuschieben. Warum<br />
machte ich nicht endlich genau das zu einer<br />
meiner zentralen Aufgaben? Deshalb arbeite ich<br />
seit einiger Zeit mit großer Begeisterung auch als<br />
Aufräumcoach.<br />
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Ordnung ist für mich nicht...<br />
Wäre ich früher meiner inneren Stimme gefolgt,<br />
hätte ich zu den Ersten gehört, die dieses Thema<br />
aufgebracht hätten. Inzwischen gibt es schon<br />
eine ganze Ratgebersparte darüber. Vieles zeigt<br />
meiner Meinung nach einen zu ultimativen Weg.<br />
Bei vielen Menschen ist das Aufräumen seit<br />
frühester Kindheit fremdgesteuert und negativ<br />
besetzt. Eltern (ich nehme mich dabei nicht<br />
aus) liegen ihren Kindern in den Ohren, endlich<br />
ihr Zimmer aufzuräumen. Auch gesellschaftlich<br />
herrscht der unausgesprochene Druck, seine Sachen<br />
im Griff zu haben und dem Besuch eine repräsentative<br />
Wohnung vorzuzeigen. Geht dieser<br />
Impuls nicht vom Aufräumenden selbst aus, wird<br />
die Ordnung unpersönlich und hat den Charme<br />
eines Möbelkatalogs. Bei meinem Zahnarzt zum<br />
Beispiel wirkt von der stylischen, gläsernen Empfangstheke<br />
mit einzelner Calla, bis hin zu den<br />
Kitteln der Mitarbeiterinnen alles so blendend<br />
weiß und sauber, dass ich mich immer unwohl<br />
fühle und fast Angst habe, etwas schmutzig zu<br />
machen.<br />
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Die Ordnung, die ich meine,<br />
atmet Freiheit, individuellen Stil und Offenheit<br />
und stellt eine persönliche Infrastruktur dar, die<br />
für jeden Menschen anders aussieht, zu der jeder<br />
selbst <strong>hinfinden</strong> muss.<br />
So reichen Besucherkommentare zu unserer minimalistisch-kargen<br />
Wohnung von: „Wann richtet<br />
ihr euch eigentlich einmal ein, hier ist es so<br />
leer,...“, bis zu: „Hier herrscht Freiraum, ist Platz<br />
für neue Ideen...“. So subjektiv ist das.<br />
Aufräumen und Putzen stehen leider in dem Ruf,<br />
zwanghaftes und lustloses Abspulen von leidigen<br />
Tätigkeiten zu sein, die „halt gemacht werden<br />
müssen“ und haben doch so viel Potential.<br />
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