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Lebändigi Gschicht

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LEBÄNDIGI<br />

GSCHICHT<br />

EINE HOMMAGE AN 30 JAHRE<br />

BASLER MUNDARTRAP<br />

MANUEL GUNTERN LUCA THOMA MAXIMILIAN KARL FANKHAUSER


Die Publikation wurde gefördert durch:<br />

Gedruckt mit Unterstützung der Berta Hess-Cohn Stiftung, Basel.<br />

Alle Rechte vorbehalten<br />

© 2022 Friedrich Reinhardt Verlag, Basel<br />

Projektleitung: Beatrice Rubin<br />

Korrektorat: Daniel Lüthi<br />

Cover: Kim Culetto, Siri Dettwiler<br />

Layout: Siri Dettwiler<br />

ISBN 978-3-7245-2572-1<br />

Der Friedrich Reinhardt Verlag wird vom Bundesamt für<br />

Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021–2024<br />

unterstützt.<br />

www.reinhardt.ch


LEBÄNDIGI<br />

GSCHICHT<br />

EINE HOMMAGE AN 30 JAHRE<br />

BASLER MUNDARTRAP<br />

MANUEL GUNTERN LUCA THOMA MAXIMILIAN KARL FANKHAUSER<br />

Friedrich Reinhardt Verlag


Vorwort6<br />

Interview mit<br />

Lukie Wyniger 54<br />

TAFS28<br />

Pyro88<br />

Black Tiger 10<br />

Brandhärd64<br />

Kalmoo40<br />

K.W.A.T.104<br />

Shape20<br />

Griot76


Interview mit<br />

La Nefera 118<br />

State of the Art<br />

2022174<br />

Sherry-ou150<br />

Autoren 200<br />

S-Hot128<br />

Radio X Cypher<br />

2022178<br />

Was Das? 164<br />

1–<br />

10<br />

Fotografie und<br />

Set-Design204<br />

KimBo140<br />

Basler<br />

Rap-Momente182


VORWORT


«<strong>Lebändigi</strong> <strong>Gschicht</strong>» – so taufte die Allschwiler<br />

Rap-Gruppe Brandhärd im Jahr<br />

2007 einen Song, auf dem sie der Sprayer-<br />

Kultur am Rheinknie Respekt zollt. Dieser<br />

Titel trifft den Nagel auf den Kopf, weil er<br />

die zwei wichtigsten Eigenschaften von urbaner<br />

Kunst beschreibt: Die Graffiti an den<br />

Zügen, Mauern und Hausfassaden sind Zeichen<br />

aus der nahen Vergangenheit – aber<br />

gleichzeitig lebendig und emotional. Denn<br />

Graffiti sind keine Ölbilder wie die «Mona<br />

Lisa», die perfekt konserviert hinter den<br />

Glaswänden der Kunstmuseen die Jahrhunderte<br />

überdauern. Sie sind der Witterung<br />

ausgesetzt, sie verlottern, blättern ab<br />

und werden nicht selten einfach frech vom<br />

nächsten Sprayer mit einem neuen Kunstwerk<br />

übermalt. Man weiss nie, wann man<br />

sie sich zum letzten Mal anschauen kann.<br />

Man weiss aber auch nicht, welche Kunstwerke<br />

zum Vorschein kommen würden,<br />

wenn man das bestehende abschabt. Genau<br />

das macht Graffiti so lebendig.<br />

30 Jahre Mundartrap aus Basel<br />

Mit Mundartrap aus Basel und Umgebung<br />

ist es dasselbe: Die Emotionen im Moment<br />

und das Lebensgefühl sind mindestens<br />

genauso wichtig wie die Lieder, die der<br />

Nachwelt erhalten bleiben. Vor exakt 30<br />

Jahren erschien eine Kassette, auf der ein<br />

junger Mann namens Urs Baur alias Black<br />

Tiger die erste Rap-Strophe auf Schweizerdeutsch<br />

veröffentlichte. Sprechgesang<br />

auf Mundart gab es bereits davor, aber<br />

dass ein Künstler aus der HipHop-Szene<br />

mit ihren ungeschriebenen Traditionen<br />

und ihrer tiefen Verwurzelung in der englischen<br />

Sprache einfach so rappte, wie er<br />

sich im Alltag ausdrückte – das war frech,<br />

mutig, frisch. Seither hat sich Rap auf Baseldeutsch<br />

von einer nischigen Alternativszene<br />

zu einem Teil der Popkultur entwickelt<br />

und ist in der Mitte der Gesellschaft<br />

angekommen.<br />

30 Jahre sind eine lange Zeit. Doch was<br />

wir auf CDs, Kassetten, Vinyl-Platten und<br />

Streaming-Diensten nachhören können und<br />

was wir in den spärlich gesäten Zeitungsinterviews<br />

und Magazinartikeln nachlesen,<br />

zeigt nur einen Bruchteil des Lebensgefühls,<br />

das die Protagonist:innen dieser Geschichte<br />

begleitete und prägte. Das meiste ist nur<br />

in ihren persönlichen Erinnerungen konserviert,<br />

oder wie es Rap-Urgestein Kalmoo<br />

formuliert: An einer langen Kette von kleineren<br />

und grösseren Perlen, die sie wie<br />

einen Schatz im Herzen hüten.<br />

12 Rapper:innen und<br />

Crews aus drei Dekaden<br />

Einen Teil dieser Perlen wollen wir in unserer<br />

Hommage an 30 Jahre Mundartrap<br />

bergen. Das Jubiläum ist ein guter Zeit-<br />

7


8<br />

punkt, um in die ferne und nahe Vergangenheit<br />

zurückzublicken und das Lebensgefühl<br />

dieser Kultur zu Papier zu bringen.<br />

Wie entwickelte sich Mundartrap von einer<br />

Plattform für junge Migrant:innen und<br />

Secondos zu einer musikalischen Leitkultur<br />

in Basel? Was entstand in dieser Zeit –<br />

und was ging auf der Strecke verloren?<br />

Diese Geschichte lässt sich nicht im Archiv<br />

recherchieren, man muss sie erzählen lassen<br />

– und zwar von den Protagonist:innen<br />

selbst, den Zeugen ihrer Zeit.<br />

So kommen 12 Rapper:innen und Crews<br />

aus allen drei Dekaden Mundartrap zu<br />

Wort. Sie sind so unterschiedlich und facettenreich<br />

wie das Genre selbst. Die Porträts<br />

zeichnen die Karrieren der Musiker:innen<br />

nach, geben aber auch Einblicke in die<br />

Basler Gesellschaft im Wandel der Zeit.<br />

Denn was der knallharte Kleinbasler Strassenrapper,<br />

der Baselbieter Wortakrobat,<br />

die selbstbewusste Feministin und die anarchisch-punkige<br />

Rap-Bewegung gemeinsam<br />

haben, ist nicht nur das Bekenntnis zur<br />

HipHop-Kultur, sondern die Verbundenheit<br />

zum Wohnort, zu ihrem Biotop des Lebens<br />

und Schaffens. Und so fächern die Porträts<br />

in diesem Buch auch 12 verschiedene Formen<br />

von Lokalpatriotismus und Heimatliebe<br />

auf. So viel sei verraten: Bei niemandem<br />

ist die Verbundenheit zur Heimatstadt ein<br />

romantisierter Blick auf das Postkarten-Basel<br />

mit dem Münster, der Rheinpromenade<br />

und dem Fährimaa. Es sind weniger illustre,<br />

heute zum Teil vergessene Orte wie das<br />

legendäre Sommercasino, die mit zahllosen<br />

Graffiti geschmückte «Basler Line»<br />

an der Bahnhofseinfahrt oder die Shisha-<br />

Cafés im Klybeck, die diese Geschichten<br />

prägen. Klar wird auch, dass Basler Rap<br />

nie an der Stadtgrenze aufhörte. Ohne<br />

den Beitrag von Künstler:innen aus dem<br />

Baselbiet, besonders jenen aus Allschwil<br />

und dem legendären «WB-Tal», wäre Rap<br />

am Rheinknie nur halb so reichhaltig.<br />

Echte Menschen, keine Popstars<br />

Was die 12 Protagonist:innen dieses Buches<br />

ebenfalls verbindet, ist die Bereitschaft,<br />

ihre Seele auf Papier zu spucken.<br />

Sie alle sind keine weichgespülten, glattgebügelten<br />

Popstars mit gradlinigen Lebensläufen,<br />

wie sie uns früher von den<br />

«Bravo»-Postern anlachten, sondern echte<br />

Charaktere mit Ecken und Kanten. Es sind<br />

Menschen, die ihre Passion voll ausleben,<br />

aber auch unter der Bürde ihres Alltags<br />

ächzen. Ausschliesslich und längerfristig<br />

von der Musik zu leben? Für alle ein weit<br />

entfernter Traum. Daher ist diese Hommage<br />

bei aller Bewunderung und bei allem<br />

Respekt für die Lebensgeschichten und<br />

Leistungen dieser Menschen keine Beweihräucherung<br />

unfehlbarer Idole.<br />

Als Teil der Gesellschaft spiegelt Rap bis<br />

heute die Probleme der Gegenwart und


Vergangenheit: Sexismus, Homophobie<br />

und andere Formen der Diskriminierung<br />

in Songtexten und im Umgang miteinander<br />

sind trotz ehrlicher Bemühungen<br />

noch lange kein Relikt vergangener Tage.<br />

Doch Rap versucht auch immer wieder,<br />

an vorderster Front für Sensibilisierung zu<br />

kämpfen: So führte die «Basel Cypher»<br />

von «Radio X» gerade im Frühjahr 2022<br />

einen roten Knopf ein, um Rapper:innen<br />

bei diskriminierenden Aussagen das Wort<br />

abschneiden zu können. Getrübt wird die<br />

Feierlaune zudem durch die Diagnose<br />

vieler Künstler:innen, dass Rap aus Basel<br />

im Rest der Schweiz stets einen schweren<br />

Stand hatte und viele Rapper:innen ihr<br />

Potenzial unter anderem dialektbedingt<br />

nicht voll ausschöpfen konnten. Da solche<br />

Aspekte bei einer ehrlichen Retrospektive<br />

auf 30 Jahre Basler Mundartrap nicht unter<br />

den Teppich gekehrt werden sollten, fokussieren<br />

wir sie in thematischen Interviews<br />

mit der Rapperin La Nefera und dem Journalisten<br />

und Szene-Kenner Lukie Wyniger.<br />

Doch trotz der kritischen Begutachtung<br />

überwiegt die Freude über den runden Geburtstag.<br />

Nach 30 Jahren ist Mundartrap<br />

aus Basel lebendig wie eh und je. Neue<br />

Höhepunkte wie die prallvolle Kaserne<br />

beim Auftritt der Gruppe WAS DAS? an<br />

der diesjährigen BScene haben gezeigt,<br />

dass Künstler:innen und Fans auch während<br />

der zweijährigen Corona-Baisse die<br />

Liebe zur Kultur, den Hunger und den Biss<br />

nicht verloren haben. Sie werden dem<br />

30-jährigen Erbe der Subkultur noch viele<br />

weitere Kapitel hinzufügen. Diese Kraft,<br />

diese Freude an der Musik, macht die Erzählung<br />

von Basler Mundartrap zur «lebändige<br />

<strong>Gschicht</strong>».<br />

Manuel Guntern, Luca Thoma, Maximilian<br />

Karl Fankhauser<br />

»<br />

Sie alle sind keine<br />

weichgespülten,<br />

glattgebügelten<br />

Popstars mit<br />

gradlinigen<br />

Lebensläufen, wie<br />

sie uns früher von<br />

den «Bravo»-<br />

Postern anlachten,<br />

sondern echte<br />

Charaktere mit<br />

Ecken und Kanten.<br />

9


BLACK TIGER


PIONIER UND ANTIHELD<br />

«Ich bin Teil einer aussterbenden Art», sagt<br />

Urs Baur, besser bekannt als Black Tiger,<br />

und zieht sich seine schwarze Mütze tiefer<br />

ins Gesicht.<br />

Der 50-Jährige, den auch privat alle<br />

«Tiger» rufen, ist vieles: ein sensibler und<br />

feinfühliger Mensch, ein studierter Psychologe,<br />

ein Überzeugungstäter – und ein<br />

Mann, für den HipHop so etwas wie Religion<br />

ist. In erster Linie ist er aber nichts<br />

weniger als die Gründerfigur und der unumstrittene<br />

Pionier von Mundartrap in Basel<br />

und der ganzen Schweiz. Und wenn<br />

jemand der HipHop-Kultur bis ans Lebensende<br />

treu bleiben wird, dann er.<br />

«Black Tiger»: Baur hat den Namen nicht<br />

gewählt, weil er sich cool anhört, sondern<br />

um ein politisches Statement zu setzen. Er<br />

sieht sich in der Tradition der afroamerikanischen<br />

Bürgerrechtsbewegung, Rap ist<br />

für ihn Ausdruck des Protests. So positioniert<br />

er sich klar und kompromisslos gegen<br />

Konsum und die Kommerzialisierung seiner<br />

Kultur. Aus Prinzip trägt er keine Markenkleider<br />

und schlendert gewöhnlich in<br />

einem schwarzen Pullover ohne Aufdruck<br />

durch die Stadt. Tigers Familiengeschichte<br />

bringt die unterschiedlichsten kulturellen<br />

Hintergründe zusammen: Sein Grossvater<br />

war ein schwarzer Jazzmusiker – «wir wissen<br />

nicht exakt, woher er kam: vielleicht<br />

aus den USA, vielleicht aus Südafrika» –<br />

und sein Vater ein katalonischer Freiheitskämpfer.<br />

Durch sein Aussehen und seine<br />

Familiengeschichte fiel er während seiner<br />

Schulzeit im ehrwürdigen Gymnasium am<br />

Münsterplatz auf, war ein Aussenseiter.<br />

Seine Lebensgeschichte ist geprägt von<br />

der Suche nach einer Heimat, die er in<br />

der Musik fand – aber auch vom Gefühl,<br />

nie das bekommen zu haben, was ihm<br />

zugestanden hätte. Sie nimmt Urs Baurs<br />

Zuhörer mit in eine Zeit, als HipHop noch<br />

eine Untergrundkultur und ein Sprachrohr<br />

für entwurzelte Jugendliche war und führt<br />

ihnen gleichermassen den Niedergang<br />

der damals so zentralen Werte und Ideen<br />

vor Augen. Je erfolgreicher die Geister<br />

wurden, die Black Tiger rief, desto stärker<br />

verwässerten die Werte, an die er bis heute<br />

mit ganzem Herzen glaubt.<br />

Die Geburtsstunde<br />

von Mundartrap<br />

1992 war ein Schlüsseljahr in seiner Karriere<br />

und im Schweizer HipHop. Bereits<br />

1990 hatte Urs Baur, damals ein 18-jähriger<br />

Rap-Fan zwischen Gymnasium und<br />

Psychologie-Studium, einige Zeilen auf<br />

Schweizerdeutsch geschrieben. Gerappt<br />

wurde bis dahin nur auf Englisch.<br />

«Klar gab es schon vor mir schweizerdeutschen<br />

Sprechgesang: den Kabarettisten<br />

Cesar Kaiser etwa oder Polo Hofer.» Was<br />

11


12<br />

AUCH MIT 50 JAHREN ROCKT BLACK TIGER<br />

NOCH DIE BÜHNE WIE HIER AM «AM JAM»<br />

IN HÖLSTEIN 2021.


Black Tiger dagegen machte, war nicht nur<br />

Sprechgesang, sondern Rap – tief verwurzelt<br />

und sozialisiert mit der HipHop-Bewegung,<br />

von der Szene für die Szene.<br />

1991 stand er in einer Gesangskabine im<br />

sanktgallischen Wil und rappte folgende<br />

Zeilen ins Mikrofon:<br />

«Ich bin e Schprayer und ich schpray,<br />

won ich will!<br />

Das isch e Basler Rap,<br />

drum los zue und sig schtill!<br />

D’Polizei will mi schtoppe,<br />

das schaffe die nie!<br />

Wenn die mi schtresse wän,<br />

hän sie nur drmit Mieh.»<br />

So ungelenk sich das heute anhören mag:<br />

Diese Worte waren die ersten Mundartrapzeilen,<br />

die in der Schweiz je aufgenommen<br />

wurden. 1992 kam die Kassette<br />

mit dem Titel Fresh Stuff 2 in die Läden<br />

und Tigers Mundartstrophen inspirierten<br />

Rapper: innen aus der ganzen Schweiz,<br />

ebenfalls Texte im Dialekt zu schreiben.<br />

Eine unscheinbare Kassette hatte einen<br />

Stein ins Rollen gebracht – und Black Tiger<br />

wurde unverhofft zu einem der Urväter<br />

einer ganzen Subkultur.<br />

«Ich bin nur in der Musik<br />

zu Hause»<br />

Seine Liebesgeschichte mit HipHop reicht<br />

jedoch deutlich weiter zurück als bis ins<br />

Jahr 1992: «Ich gehöre zur dritten Hip-<br />

Hop-Generation in der Schweiz», erzählt<br />

Urs Baur sichtlich stolz. Damals bestand<br />

die HipHop-Kultur noch aus vier Elementen:<br />

MCing (Rap), B-Boying (Breakdance),<br />

Graffiti und DJing. So hatten es die amerikanischen<br />

Gründerväter aus der Bronx der<br />

1970er-Jahre gelehrt. «Nur» zu rappen,<br />

wie es heute üblich ist, war damals keine<br />

Option: «Alle haben mindestens zwei<br />

Disziplinen beherrscht, ich habe gesprayt<br />

und gerappt.» Regelmässig hat er sich mit<br />

der Spraydose an der legendären «Basler<br />

Line», der Graffiti-Meile bei der Bahnhofseinfahrt,<br />

herumgetrieben.<br />

«Ich bin mit 12 Jahren zum HipHop gekommen.<br />

Wir mussten uns damals alles<br />

selbst beibringen, mussten selbst Laufen<br />

lernen. Es gab keine YouTube-Tutorials,<br />

keine Ratgeber.»<br />

Heute gibt Urs Baur regelmässig Rap-<br />

Workshops an Schulen, aber jedes Mal<br />

überkommt ihn dabei ein seltsames Gefühl.<br />

Er will kein Vorbild sein, keine Blaupause<br />

liefern, sondern die Kinder motivieren,<br />

ihren eigenen Weg zu finden: «Damals<br />

hatten wir auch keine Vorbilder, jeder hat<br />

es einfach selbst ausprobiert. Dieser Do-ityourself-Zugang<br />

fehlt heute. Damals gab<br />

13


»<br />

Ich<br />

bin e Schprayer und<br />

ich schpray, won ich will!<br />

Das isch e Basler Rap,<br />

drum los zue und sig schtill!<br />

D’Polizei will mi schtoppe,<br />

das schaffe die nie!<br />

Wenn die mi schtresse wän,<br />

hän sie nur drmit Mieh.<br />

14


ZWEI IN AIM (2000)<br />

SOLO (2003)<br />

BETON MELANCHOLIE (2006)<br />

TIGERONY (2007)<br />

TRANSFORMATION (2020)<br />

15


16<br />

es keine Blaupausen, heute kopieren alle<br />

– egal ob gewollt oder ungewollt.»<br />

Es sind Bilder einer Zeit, die auf ewig verloren<br />

scheint. Für Black Tiger und seine Generation<br />

war Rap eine Heimat im Chaos.<br />

«HipHop saved my life» ist bis heute ein<br />

geflügeltes Wort, aber für sie war es eine<br />

Tatsache. Die HipHop-Szene wurde in der<br />

Schweiz von Secondos aufgebaut – von<br />

Jungen und Mädchen, die Mühe damit<br />

hatten, in der Gesellschaft einen Platz zu<br />

finden. «Hier wurdest nicht daran gemessen,<br />

was du hast, sondern daran, was du<br />

kannst – du hattest die einmalige Chance,<br />

dich neu zu erfinden.» Für sie war es<br />

auch die Möglichkeit, ein neues Basel zu<br />

kreieren – weit weg von den Postkartenansichten<br />

der Rheinpromenade: «Ich komme<br />

nicht aus der Fasnachtsszene, ich bin<br />

mit Black Music aufgewachsen und hatte<br />

nichts, aber gar nichts, mit dem traditionellen<br />

Basel zu tun.» Auch heute gibt ihm<br />

HipHop Halt: «Musik ist der einzige Ort,<br />

wo ich wirklich zu Hause bin.»<br />

Anders als bei kontemporären Künstlern in<br />

Übersee, die bisweilen gerne mit Bargeld<br />

und Schmuck protzen, spielte Geld damals<br />

keine Rolle: «Ganz einfach, niemand hatte<br />

welches. Keiner konnte sich Spraydosen<br />

leisten, alle haben geklaut.» Doch diese<br />

Welt war auch von Gewalt und Perspektivlosigkeit<br />

geprägt: «Heute rappen viele<br />

Rapper über Waffen und Drogen und haben<br />

keine Ahnung, wovon sie sprechen.<br />

Die HipHopper:innen der Gründergeneration<br />

waren oft kleinkriminell, aber wir<br />

haben das nicht thematisiert. Das war der<br />

bittere Alltag.» Baur will nichts beschönigen:<br />

«Schon damals waren viele sehr<br />

konservativ. Wer am falschen Ort taggte<br />

und die Sprayer-Hierarchie missachtete,<br />

bekam direkt einen ‹Kläpper›.» Es waren<br />

harte Zeiten, Armut und Verzicht omnipräsent:<br />

«Ich habe manchmal vier Tage lang<br />

nur von Popcorn gelebt.»<br />

Die verpasste Karriere<br />

Als Gründerfigur hatte er gute Aussichten<br />

auf eine Karriere in der Schweizer Rapszene,<br />

die sich ständig vergrösserte. Doch als<br />

ab 1998 die «goldenen Jahre» anfingen,<br />

standen Black Tiger schnell neue Stars und<br />

Gruppen in der Sonne, auch wenn seine<br />

Leistungen als Pionier nie vergessen wurden.<br />

In seiner ganzen Schaffenszeit spielte<br />

er zahllose Konzerte im ganzen Land,<br />

jammte mit unzähligen Künstlern, brachte<br />

aber nur drei Solo-Alben heraus.<br />

«Ich bin ein eher unsicherer Typ, hatte nie<br />

ein überbordendes Ego wie andere», erklärt<br />

er. Dies sei sicher ein Handicap gewesen:<br />

«Ich war mir gegenüber immer<br />

extrem kritisch, stand mir oft selbst im<br />

Weg, habe zwei ganze Alben weggeschmissen.»<br />

Er ist überzeugt: «Mit einer<br />

anderen Mentalität wäre ich erfolgreicher


BLACK TIGER SETZTE SICH WÄHREND SEINER<br />

KARRIERE STETS FÜR DIE VERNETZUNG DER<br />

SZENE UND DIE NACHWUCHSFÖRDERUNG EIN.<br />

17


18<br />

geworden. Ich wurde mir erst viel zu spät<br />

meines Gewichts bewusst und konnte so<br />

nie im grossen Stil auftrumpfen.»<br />

Neben seiner introvertierten und nachdenklichen<br />

Ader habe ihm aber auch der<br />

Standort Basel nicht zum Vorteil gereicht.<br />

Die grossen Plattenfirmen waren immer in<br />

Zürich und Bern, «wir Basler standen nie<br />

an erster Front, andere Städte haben über<br />

uns bestimmt». Auch die Dialekte und der<br />

Kantönligeist seien ein Problem im Schweizer<br />

Rap: «Baseldeutsch hat bis heute einen<br />

Aussenseiter-Status in der Schweiz.»<br />

So musste er auch für sein erstes grosses<br />

Album, Zwei in Aim, gemeinsam mit seinem<br />

Kumpel MC Rony nach Luzern fahren,<br />

um die Scheibe dort in einem Studio<br />

aufnehmen zu können. «Wir haben drei<br />

Monate in Luzern gelebt, hatten zu wenig<br />

Geld zum Essen und eine Woche lang nur<br />

von Butterbroten und Reis gelebt. Uns war<br />

ständig schwindlig vor Hunger, wir mussten<br />

alle Songs in einem Take aufnehmen,<br />

ohne Wiederholungen, ohne Schnitte.»<br />

1 City, 1 Song<br />

Zwei in Aim gilt bis heute als Klassiker.<br />

Auch die Alben Solo und Beton Melancholie<br />

stehen in jeder gut sortierten Plattensammlung<br />

eines Rap-Fans. Dennoch war<br />

sein grösster Erfolg – der Glanzmoment<br />

seiner Karriere – keine Solo-Platte, sondern<br />

ein epochenprägender Song. 2012<br />

versammelte er ganze 147 Rapperinnen<br />

und Rapper, 11 Produzenten und 7 DJs<br />

aus Basel auf 1 City, 1 Song, einem konkurrenzlosen<br />

Monolithen in der Schweizer<br />

Rap-Landschaft. Der fast eineinhalb Stunden<br />

lange Song wurde zuerst in der ausverkauften<br />

Kaserne und wenig später vor<br />

10 000 Menschen auf dem Barfi gespielt.<br />

Das Projekt zementierte seinen Legenden-<br />

Status und brachte ihn schweizweit ins<br />

Rampenlicht.<br />

Die Ironie des Schicksals: «Der Song hat<br />

rund zwei Jahre meines Lebens in Beschlag<br />

genommen. In dieser Zeit konnte ich kaum<br />

an eigener Musik arbeiten.» Doch genau<br />

diese selbstlose, altruistische Art ist typisch<br />

für Urs Baur: Anstatt sich selbst zu profilieren,<br />

fördert er lieber den Nachwuchs.<br />

Das hat ihm die Dankbarkeit der Szene<br />

gesichert, doch auch seine eigene Karriere<br />

ausgebremst.<br />

Auch heute, 30 Jahre nach seinem ersten<br />

Mundartsong, rappt Black Tiger noch regelmässig:<br />

«Mein nächstes Album wird<br />

kommen. Aber es ist fraglich, ob ich noch<br />

dieselbe Relevanz wie früher habe.» Ausserdem<br />

arbeitet er oft mit Forscherinnen<br />

und Forschern zusammen und schaut<br />

gerne in Heidelberg vorbei, wo an der<br />

Universität die ersten «HipHop Studies»<br />

im deutschsprachigen Raum aufgebaut<br />

werden. Er schaut nicht ohne Bitterkeit auf<br />

seinen Werdegang zurück: «Wir haben so


hart geschuftet, so viel gemacht. Ich habe<br />

so viele Menschen unterstützt, so vielen<br />

Jungen unter die Arme gegriffen, aber ich<br />

hatte kein Instagram oder Facebook, um<br />

das alles zu dokumentieren. So vergessen<br />

es die Menschen schnell mal.»<br />

Doch es wurde dafür gesorgt, dass der engagierte<br />

Basler Pionier und sein Schaffen<br />

nicht mehr in Vergessenheit geraten: Im<br />

Historischen Museum in der Barfüsserkirche<br />

können die Besucher einen Pullover<br />

von Urs Baur in einer Vitrine bestaunen. Es<br />

ist ein Zeichen dafür, dass Rap in dieser<br />

Stadt mittlerweile als Teil des kulturellen<br />

Erbes anerkannt wird – und eine Verbeugung<br />

vor dem Mundart-Veteranen und seinem<br />

Lebenswerk.<br />

» Musik ist der<br />

einzige Ort,<br />

wo ich wirklich<br />

zu Hause bin.<br />

19


SHAPE

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