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Restauro 8/2022

Art Handling

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Magazin zur Erhaltung des Kulturerbes<br />

N O 8<br />

<strong>2022</strong><br />

Art Handling<br />

Zwischen Ausstellungstechnik<br />

und Restaurierung<br />

KUNSTRAUB<br />

Keltischer Goldschatz<br />

von Manching gestohlen<br />

INNSBRUCK<br />

Schau zu den Arbeitswelten<br />

von Restaurator:innen<br />

KULTURHAUPTSTADT<br />

2023 führt die rumänische<br />

Stadt Temeswar den Titel


UNSERE BUCHEMPFEHLUNGEN<br />

Das Standardwerk<br />

Das Buch „Farbige Skulpturen“ von Johannes<br />

Taubert, einem der Begründer der modernen<br />

Restaurierungswissenschaften in Deutschland,<br />

ist ein Standardwerk. Es ist eines der<br />

Grundlagenwerke im Bereich der Skulpturenrestaurierung<br />

und hat für die Fachwelt besondere<br />

Bedeutung. Das lange Zeit vergriffene<br />

Buch wurde 2015 vom Callwey Verlag (München)<br />

zusammen mit dem J. Paul Getty Trust<br />

nochmals aufgelegt. Die Texte des Kunsthistorikers<br />

und Restaurators wurden nicht verändert;<br />

eine Einleitung von Prof. Michele D. Marincola<br />

bewertet Tauberts Thesen und ergänzt<br />

sie. Die in der Erstausgabe von 1978 hauptsächlich<br />

in Schwarz-Weiß gezeigten Objekte<br />

sind in dieser Publikation zum größten Teil in<br />

farbigen Abbildungen präsentiert.<br />

• Zahlreiche Schwarz-weiß-Abbildungen<br />

der Erstausgabe (1978) hier in Farbe<br />

• Anmerkungen von Prof. Michele D.<br />

Marincola (Conservation Center of the In<br />

stitute of Fine Arts, New York University)<br />

Preis: 89,- EUR<br />

SPEZIALPREIS: 39,- EUR<br />

Management in der Denkmalpflege<br />

Restaurator:innen, Denkmalpfleger:innen<br />

und Denkmaleigentümer:innen stehen vor<br />

großen Herausforderungen, wenn es um<br />

die Erhaltung und Sanierung historischer<br />

Bürgerhäuser geht. Es ist vor allem eine<br />

Frage des richtigen Projektmanagements,<br />

die entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung<br />

des Vorhabens ist und vor Enttäuschungen<br />

bewahrt.<br />

In dieser Publikation (Erstauflage 2008) stellt<br />

Autor Wolf Schmidt einen Leitfaden vor, der<br />

die Notwendigkeit des richtigen Managements<br />

in der Denkmalpfl ege aufzeigt und<br />

Denkmalpfleger:innen und -eigentümer:innen<br />

hilft, ihre eigenen Sanierungsprojekte zu<br />

strukturieren und erfolgreich umzusetzen. Er<br />

beleuchtet die Faktoren, die in der Denkmalpfl<br />

ege Einfl uss haben und nehmen: das jeweilige<br />

Rollenverständnis der unterschiedlichen<br />

Beteiligten, die privaten und öffentlichen<br />

Interessen, die Verfahrensabläufe oder<br />

auch die Rolle des Geldes.<br />

Wolf Schmidt (Bayerisches Landesamt für<br />

Denkmalpflege) schöpft sein Wissen aus 30<br />

Jahren Berufserfahrung und baut auf einer<br />

Vielzahl von praktischen Erfahrungen auf.<br />

Preis: 78,- EUR<br />

SPEZIALPREIS: 39,- EUR<br />

Jetzt bestellen:<br />

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EDITORIAL<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

Produkte für Restaurierung | Denkmalpflege | Art Handling<br />

ein Novum in der Museumslandschaft: Die Restauratorin als Kuratorin! Laura Resenberg,<br />

leitende Restauratorin der Tiroler Landesmuseen, hat eine großangelegte Ausstellung<br />

über die Arbeitswelt von Restaurator:innen im Museum initiiert und kuratiert. Die Schau<br />

„Im Detail“ im Innsbrucker Ferdinandeum zeigt die vielfältigen Tätigkeiten rund um die Erforschung,<br />

Erhaltung und Präsentation von Kunstwerken (bis 30. Juli 2023). Das Projekt<br />

entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Institut für Konservierung und Restaurierung<br />

der Universität für angewandte Kunst Wien. Während der Vorarbeiten zur Ausstellung<br />

sprachen wir mit Laura Resenberg. „So eine große Ausstellung über Restaurierung hat es<br />

in Österreich noch nie gegeben“, freut sich Laura Resenberg. „Das Besondere ist, dass wir<br />

als Restaurator:innen die Ausstellung kuratieren. Mittlerweile gibt es zwar einige Ausstellungen<br />

über Restaurierungsprojekte, aber diese werden oft von Kunsthistoriker:innen veranstaltet.“<br />

Die Schau wird sicherlich international Beachtung finden. Das Cover entstand<br />

einige Wochen vor Eröffnung. Erfahren Sie mehr ab Seite 6.<br />

Wie transportiert man eine fast vier mal sieben Meter große Leinwand? Hohe Konzentration,<br />

Erfindergeist und starke Nerven waren gefragt, als das großformatige Altargemälde<br />

aus der ehemaligen Klosterkirche Maria Himmelfahrt in Aldersbach (Landkreis Passau) für<br />

seine Rückreise transportfertig gemacht wurde. Das Restauratoren-Team des Bayerischen<br />

Landesamtes für Denkmalpflege hatte diese auf eine eigens dafür konzipierte Papprolle<br />

gewickelt, mit Vliesstoff und einer Schutzhülle versehen und schließlich mit einem Lastwagen<br />

von dem Atelier in München nach Aldersbach gebracht. Lesen Sie mehr dazu ab<br />

Seite 14.<br />

Am 22. November <strong>2022</strong> brachen Unbekannte in das Kelten Römer Museum im oberbayerischen<br />

Manching (Landkreis Pfaffenhofen) ein und stahlen den bedeutenden keltischen<br />

Goldschatz von Manching, der dort 1999 gefunden wurde (Seite 53). Der Diebstahl erinnert<br />

an den Juwelen-Raub aus dem Grünen Gewölbe in Dresden 2019 oder den Goldraub aus<br />

dem Berliner Bode-Museum 2017. Über die Sicherheitstandards in Manching und in den<br />

bayerischen Museen insgesamt wird jetzt wohl wieder diskutiert werden.<br />

Wir wünschen Ihnen eine entspannte Weihnachtszeit und viel Freude beim Entdecken<br />

dieser Ausgabe!<br />

Dr. Ute Strimmer mit dem gesamten RESTAURO-Team<br />

Folgen Sie uns auf Facebook (www.facebook.com/restauro) und Instagram und bleiben<br />

Sie auf dem Laufenden!<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

In eigener Sache: Ab der RESTAURO-Ausgabe 1/2023 gelten neue Abonnementpreise.<br />

Das RESTAURO-Jahresabo kostet dann 155 Euro (im Ausland zzgl. Versandkosten).<br />

Das vergünstigte Studentenabo ist für 78 Euro (im Ausland zzgl. Versandkosten) zu beziehen.<br />

Die Einzelhefte erhöhen sich auf 20 Euro.<br />

ERFAHRUNG<br />

ZUVERLÄSSIGKEIT<br />

INNOVATION<br />

8/<strong>2022</strong><br />

3


INHALT<br />

ART HANDLING<br />

8 Die Restauratorin als Kuratorin: Ein Novum in der Museumslandschaft<br />

Laura Resenberg, leitende Restauratorin der Tiroler Landesmuseen, hat eine<br />

Ausstellung über die Arbeitswelt von Restaurator:innen initiiert und kuratiert<br />

10 Zwischen Ausstellungstechnik und Restaurierung – quo vadis Art Handling?<br />

Das Beispiel Kunsthaus Zürich<br />

Gespräch von Kerstin Mürer, seit 2005 am Kunsthaus Zürich und seit 2018 Leiterin<br />

der Restaurierung, mit ihren Kollegen Robert Sulzer (Technischer Leiter Ausstellungen)<br />

und Johannes Schiel (Leiter Art Handling Sammlung)<br />

Das Ferdinandeum (Innsbruck) zeigt die Tätigkeiten rund<br />

um die Erforschung, Erhaltung und Präsentation von Kunst<br />

14 Ein barockes Großformat wird verschickt<br />

Das Altarbild aus Aldersbach ist nach Restaurierung im Bayerischen Landesamt<br />

für Denkmalpflege in München in seine Heimat zurückgebracht worden<br />

18 Frostige Zeiten für Schädlinge: Kulturgutrettung mit IPM-Freezer<br />

Auf der Suche nach einer umweltfreundlichen Alternative zur chemischen<br />

Behandlung von kontaminiertem Kulturgut hat die Münchner Restauratorin<br />

Maruchi Yoshida den mobilen IPM Freezer entwickelt<br />

22 Depots planen, bauen und nutzen<br />

Eine Rezension der Neuerscheinung „Handbuch Depots und Archive –<br />

Handlungsempfehlungen für Planung und Betrieb“ (<strong>2022</strong>)<br />

25 Kunsttransport in Schwerin<br />

Wenn das Staatliche Museum Schwerin sein bekanntestes Werk – das lebensgroße<br />

Tierporträt der Nashorndame „Clara“ von Jean-Baptiste Oudry – von der<br />

Wand nimmt, sind Transportexperten gefragt<br />

Quo vadis Art Handling? Zwischen Ausstellungstechnik<br />

und Restaurierung: Das Beispiel Kunsthaus Zürich<br />

26 Mehr als Kisten schleppen<br />

Mikei Hall ist Art Handler an der Londoner Tate – und dies bereits seit einem<br />

Vierteljahrhundert<br />

30 Die Kunst des Art Handlings<br />

Was macht Art Handler aus ihrer eigenen Sicht unverzichtbar? Darüber sprach<br />

RESTAURO mit Alex Bouwmeester und Kjeld Slingerland von Hizkia<br />

32 Bitte nicht berühren<br />

Meldungsmanagement in der Ausstellung des neueröffneten Nationalmuseums<br />

in Oslo. Eine Bilanz nach den ersten drei Monaten<br />

<strong>2022</strong> feiern die Bacon Studios zehnjähriges Jubiläum!<br />

Katharina Haider hat das Unternehmen gegründet<br />

Meldungsmanagement im neueröffneten Nationalmuseum<br />

in Oslo. Eine Bilanz<br />

36 Die Bacon Studios feiern zehnjähriges Jubiläum<br />

Katharina Haider hat sich mit ihrem Unternehmen Bacon Studios auf die<br />

Behandlung und den Erhalt moderner Materialien spezialisiert. RESTAURO traf<br />

die Diplom-Restauratorin mit Doppelqualifikation in Polymer Sience<br />

40 Wie schützt man Papierarbeiten in Zeiten steigender Energiepreise?<br />

Der Protect-Magnetrahmen der Firma Halbe wurde entwickelt, um empfindliche<br />

Werke in schlecht oder gar nicht klimatisierten Räumen auszustellen<br />

PRÄVENTIVE KONSERVIERUNG<br />

42 „Das Oddy-torium“: Sind unsere Restaurierungsmaterialien korrosiv?<br />

Korrosion durch Konservierung? Stuttgarter Experten testen<br />

Restaurierungsmaterialien auf atmosphärische Korrosivität<br />

PROVENIENZFORSCHUNG<br />

46 Auf Spurensuche<br />

Die Ausstellung „Spurensicherung. Die Geschichte(n) hinter den<br />

Werken“ in Berlin (Akademie der Künste) teilt vorläufige Erkenntnisse<br />

zur Provenienzforschung<br />

Fotos: © Tiroler Landesmuseen / Johannes Plattner; Kunsthaus Zürich, Franca Candrian; RESTAURO;<br />

Nationalmuseum Oslo<br />

4<br />

8/<strong>2022</strong>


KULTURERBE<br />

50 Eine Schatztruhe aus Audiofiles<br />

Im „Audioarchiv Kunst“ von Sabine Oelze und Marion<br />

Ritter erinnern sich Zeitzeugen an die Entwicklungen der<br />

Kunst im Rheinland seit den 1950er Jahren<br />

53 Keltischer Goldschatz von Manching gestohlen<br />

Am 22. November <strong>2022</strong> wurde im Kelten Römer Museum<br />

im oberbayrischen Manching der bedeutende keltische<br />

Goldschatz von Manching gestohlen<br />

54 Farbenpracht ihrer Bauzeit wiederhergestellt<br />

Grundlegende Sanierung und Restaurierung der<br />

Frauenfriedenskirche in Frankfurt<br />

58 Temeswar<br />

Temeswar ist ein vergessenes Kleinod in Rumänien –<br />

2023 wird die Stadt den Titel einer europäischen Kulturhauptstadt<br />

führen<br />

RUBRIKEN<br />

64 TERMINE<br />

64 Impressum<br />

65 Vorschau<br />

66 WAS BEWEGT?<br />

Alexandra Czarnecki, Leiterin Objektbetreuung und<br />

Restaurierung im Wien Museum<br />

Cover<br />

Diplom-Restauratorin Laura Resenberg, leitende Restauratorin der Tiroler<br />

Landesmuseen, hat eine großangelegte Ausstellung über die Arbeitswelt von<br />

Restaurator:innen im Museum initiiert und kuratiert. Die Schau „Im Detail“ im<br />

Ferdinandeum (Innsbruck) präsentiert die vielfältigen Tätigkeiten rund um die<br />

Erforschung, Erhaltung und Präsentation von Kunstwerken (bis 30. Juli 2023).<br />

Das Cover zeigt Laura Resenberg (links) mit ihrem Team beim Aufbau der<br />

Ausstellung: Transport der Skulptur „Herz“ von Thomas Feuerstein.<br />

Foto: © Tiroler Landesmuseen / © Maria Kirchner<br />

Kremer<br />

Retouchierfarben<br />

in Laropal® A 81,<br />

Paraloid B 72<br />

oder Schellack<br />

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8/<strong>2022</strong><br />

5


1<br />

Die Restauratorin als Kuratorin:<br />

Ein Novum in der Museumslandschaft<br />

Diplom-Restauratorin Laura Resenberg, leitende Restauratorin der Tiroler Landesmuseen, hat eine großangelegte Ausstellung<br />

über die Arbeitswelt von Restaurator:innen im Museum initiiert und kuratiert. Die Schau „Im Detail“ im Ferdinandeum<br />

zeigt die vielfältigen Tätigkeiten rund um die Erforschung, Erhaltung und Präsentation von Kunstwerken (bis 30. Juli 2023).<br />

Das Projekt entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Institut für Konservierung und Restaurierung der Universität für angewandte<br />

Kunst Wien. RESTAURO sprach während der Vorarbeiten zur Ausstellung mit Laura Resenberg<br />

Mit der Schau „Im Detail“ ermöglicht das<br />

Innsbrucker Ferdinandeum derzeit einen<br />

Blick hinter die Kulissen (bis 30. Juli 2023):<br />

Fallbeispiele erläutern die vielfältigen Tätigkeiten<br />

rund um die Erforschung, Erhaltung<br />

und Präsentation von Kunstwerken. Diplom-<br />

Restauratorin Laura Resenberg, leitende Restauratorin<br />

der Tiroler Landesmuseen, hat<br />

die Ausstellung über die Arbeitswelt von<br />

Restaurator:innen im Museum initiiert – und<br />

kuratiert. „2017 hat hier in Hall in Tirol das<br />

Sammlungs- und Forschungszentrum der Tiroler<br />

Landesmuseen eröffnet, wo unsere Depots<br />

und Restaurierungsateliers sowie die<br />

Sammlungen und Mitarbeiter:innen der Naturwissenschaften<br />

und Archäologie sitzen“,<br />

erklärt Laura Resenberg. „Wir sind internationaler<br />

Anziehungspunkt für Museumsfachleute,<br />

die in der Planungsphase oder Bauphase<br />

von derartigen Depots stehen, weil wir<br />

hier auf höchstem technischen Level ausgestattet<br />

sind. Fast wöchentlich haben wir Führungen<br />

und ich freue mich über die große<br />

Begeisterung und das Interesse über unser<br />

Tun. Motiviert von diesen Vorerfahrungen,<br />

kam mir dann die Idee, dass es beim Publikum<br />

sicher gut ankommen wird, wenn wir in<br />

einer Ausstellung als Restaurator:innen von<br />

unserem Beruf und von unserer Arbeit sprechen.“<br />

Gleichzeitig möchte die Restaurierungswissenschaftlerin<br />

mit Klischees aufräumen.<br />

„Viele Leute meinen tatsächlich,<br />

Restaurator:innen sitzen an Gemälden und<br />

machen Bilder wieder schön. Die Ausstellung<br />

,Im Detail’ soll den Besucher:innen unser<br />

wahres Tun näher bringen. Es freut mich,<br />

dass wir gerade für diese Schau in unserem<br />

Haupthaus, im Ferdinandeum, die Wechselausstellungsfläche<br />

bekommen haben, und<br />

das zur Weihnachtszeit. Von der Laufzeit ist<br />

die Schau eine der längsten Ausstellungen<br />

bisher im Ferdinandeum. Dieser Aspekt stellt<br />

uns konservatorisch auch vor so manche Herausforderung.<br />

Denn, wie erläutere ich Schäden<br />

an Papierobjekten, wenn sie konservatorisch<br />

bedingt nach drei Monaten durch<br />

Objektkopien ersetzt werden müssen? Auch<br />

die Ausstellungsfläche, die wir bespielen, ist<br />

Fotos: © Tiroler Landesmuseen / © Maria Kirchner (1); Johannes Plattner 2 bis 7)<br />

6 8/<strong>2022</strong>


WELTERBE<br />

KULTURERBE<br />

4<br />

2<br />

3 4<br />

3<br />

4<br />

6<br />

2<br />

5 6 7<br />

mit rund 800 Quadratmetern sehr groß.“<br />

Für das Berufsfeld der Restaurator:innen ist<br />

die Schau in Innsbruck daher ein wichtiges<br />

Statement.<br />

„So eine große Ausstellung über Restaurierung<br />

hat es in Österreich noch nie gegeben“,<br />

freut sich Laura Resenberg. „Das Besondere<br />

ist, dass wir als Restaurator:innen<br />

die Ausstellung kuratieren. Mittlerweile gibt<br />

es zwar einige Ausstellungen über Restaurierungsprojekte,<br />

aber diese werden oft von<br />

Kunsthistoriker:innen veranstaltet. Es ist ein<br />

Novum in der Museumslandschaft, dass eine<br />

Restauratorin, als Ideengeberin und Kuratorin,<br />

umsetzt. Daher wird die Schau sicherlich<br />

international Beachtung finden.<br />

Wir haben deswegen entschieden, die gesamte<br />

Ausstellung zu übersetzen. Die komplette<br />

Beschilderung ist zweisprachig in<br />

Deutsch und in Englisch. Mir liegt viel daran,<br />

dass wir im ganzen europäischen Raum<br />

wahrgenommen werden.“<br />

Die Schau entstand in Kooperation mit<br />

dem Institut für Konservierung und Restaurierung<br />

der Universität für angewandte<br />

Kunst in Wien unter der Leitung Prof. Dr.<br />

Gabriela Krist. „Seit vielen Jahrzehnten arbeiten<br />

wir eng mit der Angewandten zusammen“,<br />

erzählt Laura Resenberg. „Anlässlich<br />

der Hochwasserkatastrophe 1985<br />

im Innsbrucker Zeughaus bot der damalige<br />

Rektor der Angewandten, Prof. Oswald<br />

Oberhuber, den Tiroler Landesmuseen restauratorische<br />

Hilfe für die beschädigten<br />

Bestände an. Viele der Absolventinnen arbeiten<br />

bei uns im Team, und wir vergeben<br />

immer wieder Diplomarbeiten, Seminararbeiten,<br />

Projektarbeiten aus unserem Bestand<br />

an die Angewandte. Und weil in den<br />

letzten knapp zehn Jahren, seitdem ich<br />

hier im Haus bin, dort zahlreiche Objekte<br />

von uns umfangreich erforscht, konserviert<br />

und restauriert wurden, gibt es einen<br />

reichen Fundus an Analysen, Untersuchungen<br />

und Restaurierungen. Doch<br />

nach den Maßnahmen werden die Objekte<br />

häufig nicht gezeigt wie zum Beispiel<br />

das große Fastentuch von Rietz. Seit der<br />

Restaurierung bewahren wir es zusammengerollt<br />

im Depot auf. Meine Motivation<br />

war nun, diese Objekte zu zeigen.<br />

Sie weisen jetzt einen perfekten Zustand<br />

auf und sind mit genügend wissenschaftlichem<br />

Material unterfüttert, das man hervorragend<br />

für die Vermittlungsarbeit nutzen<br />

kann.“<br />

1<br />

Diplom-Restauratorin Laura Resenberg (links),<br />

leitende Restauratorin der Tiroler Landesmuseen,<br />

mit ihrem Team beim Aufbau der Ausstellung „Im<br />

Detail“ im Ferdinandeum, Innsbruck: Transport der<br />

Skulptur „Herz“ von Thomas Feuerstein<br />

2 bis 6<br />

Blicke in das Sammlungs- und Forschungszentrum<br />

der Tiroler Landesmuseen in Hall in Tirol<br />

7<br />

Transportkiste für Gemälde im Sammlungs- und<br />

Forschungszentrum<br />

ABSTRACT<br />

The conservator as curator:<br />

A novelty in the museum landscape<br />

Laura Resenberg, graduate conservator and head<br />

conservator of the Tyrolean Provincial Museums, has<br />

initiated and curated a large-scale exhibition on the<br />

working world of conservators in museums. The exhibition<br />

"In Detail" at the Ferdinandeum shows the<br />

diverse activities involved in the research, conservation<br />

and presentation of works of art (until 30 July<br />

2023). The project was developed in close cooperation<br />

with the Institute for Conservation and Restoration<br />

at the University of Applied Arts Vienna.<br />

RESTAURO spoke with Laura Resenberg during the<br />

preparations for the exhibition.<br />

8/<strong>2022</strong><br />

7


XXXXXX<br />

1<br />

1<br />

Zwischen Ausstellungstechnik und<br />

Restaurierung – quo vadis Art Handling?<br />

Das Beispiel Kunsthaus Zürich<br />

Das Kunsthaus Zürich ist seit dem 2021 eröffneten Erweiterungsbau das größte<br />

Kunstmuseum der Schweiz und stellt damit auch die Mitarbeiter:innen vor neue<br />

Herausforderungen. Wo steht derzeit das Art Handling? RESTAURO hat darüber<br />

ein Gespräch von Kerstin Mürer, seit 2005 am Haus und seit 2018 Leiterin der Restaurierung<br />

mit ihren Kollegen Robert Sulzer (Technischer Leiter Ausstellungen)<br />

und Johannes Schiel (Leiter Art Handling Sammlung) aufgezeichnet<br />

Im vergangenen Jahr erhielt das Kunsthaus<br />

Zürich einen Erweiterungsbau und ist damit<br />

das größte Kunstmuseum der Schweiz. Das<br />

stellt die Mitarbeiter:innen vor neue Herausforderungen,<br />

zumal sich mit der Erweiterung<br />

des Museums auch die Strukturen verändern.<br />

Es ist der Moment für das Haus, sich<br />

aufgrund der aktuellen Entwicklung u.a. Gedanken<br />

über den Status quo des Art Handlings<br />

zu machen.<br />

Das Art Handling ist im Bereich Technischer<br />

Betrieb angesiedelt. Allerdings gibt es<br />

zwei separate Art-Handling-Teams, da die<br />

Geschäftsbereiche Sammlung und Ausstellung<br />

organisatorisch getrennt sind. Die<br />

Sammlung betreut ein vierköpfiges Art<br />

Handling Team, das bedarfsweise von Freelancern<br />

unterstützt wird. Wechselausstellungen<br />

werden von etwa zehn bis fünfzehn Personen<br />

auf- und abgebaut, wozu auch die<br />

Ausstellungsarchitektur und das Art Handling<br />

gehört. Viele der Mitarbeiter:innen haben<br />

lediglich eine Viertelstelle inne, andere<br />

sind Freelancer. Ein Mitarbeiter des Technischen<br />

Betriebs ist wiederum fest der Grafischen<br />

Sammlung zugeordnet und ausschließlich<br />

für die grafischen Werke zuständig.<br />

Doch warum ist der Bereich so zersplittert?<br />

Und wie definiert sich das Art Handling<br />

anderen Bereichen gegenüber, insbesonde-<br />

ABSTRACT<br />

1<br />

Hängung des Werkes „Formes circulaires“<br />

(1930, Öl/Lwd., 252,3 x<br />

470,3 cm) von Robert Delaunay<br />

(1885–1941) im Kunsthaus Zürich<br />

2<br />

Auspacken eines Kunstwerkes für<br />

die große Niki de Saint Phalle-Retrospektive<br />

(bis 8. Januar 2023) im<br />

Kunsthaus Zürich<br />

Between exhibition technology and restoration -<br />

quo vadis Art Handling? The example of Kunsthaus<br />

Zürich<br />

Since the opening of the extension in 2021, the Kunsthaus<br />

Zürich has become the largest art museum in<br />

Switzerland, which also poses new challenges for its<br />

employees. RESTAURO recorded a conversation<br />

about this with Kerstin Mürer, who has been at the<br />

Kunsthaus since 2005 and has been Head of Restoration<br />

since 2018, and her colleagues Robert Sulzer<br />

(Technical Head of Exhibitions) and Johannes Schiel<br />

(Head of Art Handling Collection).<br />

10 8/<strong>2022</strong>


ART HANDLING<br />

2<br />

re im Verhältnis zu den Restauratoren? Was<br />

techniker bezeichnen. Das Art Handling be-<br />

einfach zu langweilig, würde die Lebensqua-<br />

ließe sich optimieren? Darüber hat sich<br />

trifft also nur einen Teil ihrer Tätigkeiten.<br />

lität bei der Arbeit reduzieren. Auch hätte<br />

Kerstin Mürer, seit 2005 am Haus und seit<br />

das eine totale Neuorganisation zur Folge.<br />

2018 Leiterin der Restaurierung, mit ihren<br />

Johannes Schiel: Ich bin vor zehn Jahren<br />

Dadurch, dass Architektur- und Kunstaufbau<br />

Kollegen Robert Sulzer (Technischer Leiter<br />

ans Kunsthaus gekommen und habe die al-<br />

Hand in Hand gehen, bin ich maximal flexi-<br />

Robert Delaunay, „Formes circulaires“, 1930, Kunsthaus Zürich, 1978, Die Restaurierung wurde ermöglicht durch<br />

die grosszügige Unterstützung eines Mitgliedes der Zürcher Kunstgesellschaft.<br />

Foto: Kunsthaus Zürich, Franca Candrian (1) / Ausstellungsaufbau, Foto: Kunsthaus Zürich, Restaurierung (2)<br />

Ausstellungen) und Johannes Schiel (Leiter<br />

Art Handling Sammlung) unterhalten.<br />

Kerstin Mürer: Warum gibt es eigentlich getrennte<br />

Art Handling Teams in der Sammlung<br />

und für die Wechselausstellungen?<br />

Robert Sulzer: Als ich vor 20 Jahren ans<br />

Haus kam, waren die Leute aus dem Art<br />

Handling für Sammlung und Ausstellungen<br />

zuständig. Irgendwann ging das nicht mehr.<br />

Wenn Wechselausstellungen anstanden,<br />

hatte die Sammlung zu wenig Unterstützung<br />

– alles blieb liegen. Hinzu kam, dass Prozesse<br />

wie Leihverkehr und Präsentationswechsel<br />

zunehmend mehr Zeit beanspruchten.<br />

Seit Kurzem helfen Art Handler aus der<br />

Sammlung wieder bei den Wechselausstellungen,<br />

sofern sie Zeit haben. Das hat den<br />

großen Vorteil, dass sie sich im Haus auskennen.<br />

Da das Technik-Team für alles vom Auf- bis<br />

zum Abbau der Ausstellung zuständig ist, inklusive<br />

der Architektur und der Kunst, würde<br />

ich meine Leute eher als Ausstellungs-<br />

ten Strukturen nicht kennengelernt. Für uns<br />

ist Art Handling das Kernthema. Wir sind für<br />

die Sammlungswerke zuständig und haben<br />

neben dem Verschieben und Hängen noch<br />

andere wichtige Aufgaben, wie das Vorbereiten<br />

von Sockeln, die Gestaltung von Inlays,<br />

die Befestigung und Sicherung von Bildern<br />

sowie die Lagerung und Vorbereitung<br />

der Leihgaben für den Transport. Als wir in<br />

den Erweiterungsbau eingezogen sind, hat<br />

uns das Technik-Team unterstützt. Im Großen<br />

und Ganzen sind unsere Abteilungen<br />

aber voneinander unabhängig. Eigentlich<br />

würden wir gerne mehr bei den Wechselausstellungen<br />

mitarbeiten. Das geht aber<br />

wegen der internen Prozesse nicht.<br />

Kerstin Mürer: Haltet Ihr die Trennung des<br />

Art Handlings zwischen Wechselausstellungen<br />

und Sammlung denn für sinnvoll?<br />

Robert Sulzer: Ich denke, der Ausstellungsumbau<br />

ist ziemlich effizient. Zwar könnten<br />

wir den architektonischen Aufbau personell<br />

vom Kunstaufbau trennen – das wäre aber<br />

bel und kann die Übergänge fließend organisieren.<br />

Das hilft, den engen Zeitrahmen einzuhalten.<br />

Die Art Handler der Sammlung hingegen<br />

haben noch viele andere Aufgaben. Das<br />

bringt Unruhe.<br />

Johannes Schiel: Das ließe sich schon organisieren.<br />

Zum Beispiel könnte eine Transportfirma<br />

die Arbeit übernehmen, wenn<br />

Werke auf Reisen gehen. Wir würden es begrüßen,<br />

mehr in den Wechselausstellungen<br />

mitzuarbeiten. Da treffen wir auf neue Objekte.<br />

Das kann uns helfen, auch für die Sammlung<br />

gewisse Prozesse zu optimieren oder<br />

Standards zu verbessern, etwa beim Kistenbau<br />

oder bei der Hängung.<br />

Kerstin Mürer: Wie definiert Ihr denn Art<br />

Handling? Und gibt es internationale Standards,<br />

die Ihr einhaltet?<br />

Johannes Schiel: Für mich geht es um die<br />

Handhabung, Lagerung und den Transport<br />

der Kunst. Und klar gibt es Standards.<br />

8/<strong>2022</strong><br />

11


ART HANDLING<br />

1<br />

Ein barockes Großformat<br />

wird verschickt<br />

Das Altarbild aus Aldersbach ist nach Restaurierung im Bayerischen Landesamt<br />

für Denkmalpflege in München in seine Heimat zurückgebracht worden<br />

Wie transportiert man eine fast vier mal sieben<br />

Meter große Leinwand? Das Restauratoren-Team<br />

hatte sie auf eine eigens dafür<br />

konzipierte Papprolle gewickelt, mit Vliesstoff<br />

und einer Schutzhülle versehen und<br />

schließlich mit einem Lastwagen von dem<br />

Atelier in München nach Aldersbach im<br />

Landkreis Passau gebracht. Restauratorin<br />

Barbara Staudacher machte die Rückkehr<br />

dem monumentalen Altargemälde des Hofmalers<br />

Johann Matthias Kager (1575-1634).<br />

Er war unter anderem auch an der Ausstattung<br />

der Münchner Residenz und des Goldenen<br />

Saals im Augsburger Rathaus beteiligt.<br />

Das Gemälde wurde 1723 im Zuge der<br />

Barockisierung der Kirche in den Altar von<br />

Joseph Matthias Götz übernommen, wobei<br />

der obere Teil, der Gottvater und die Engel,<br />

1 / 2<br />

Das Altarbild aus Aldersbach<br />

ist das bislang<br />

größte Gemälde, das am<br />

Bayerischen Landesamt<br />

für Denkmalpflege in<br />

München restauriert<br />

wurde. Im August <strong>2022</strong><br />

kehrte es in seine Heimat<br />

zurück<br />

nervös. „Wir haben alles gut vorbereitet.<br />

verdeckt wurde. Das Hauptmotiv zeigt eine<br />

Aber der Ausbau war das Spannendste und<br />

sogenannte „Maria lactans“, die den Zisterzi-<br />

zugleich Schlimmste in meinem Berufsle-<br />

enser-Heiligen Bernhard von Clairvaux mit<br />

ben. Wir hatten grenzwertig wenig Platz, um<br />

der Milch der Weisheit nährt.<br />

das Bild auf eine große Rolle zu ziehen.“<br />

Zuvor war das Bild wegen der Größe immer<br />

Das Altarblatt von 1619 musste im Mai<br />

nur vor Ort in der ehemaligen Klosterkirche<br />

2021 erstmals nach knapp 400 Jahren die<br />

Maria Himmelfahrt provisorisch geflickt und<br />

Kirche verlassen. Rund 14 Monate lang ar-<br />

bearbeitet worden. Zahlreichen Risse und<br />

beiteten die freiberufliche Restauratorinnen<br />

Barbara Staudacher und Amelie Stange an<br />

Löcher in der Leinwand konnten nur von der<br />

Vorderseite her mit großflächigen Überma-<br />

1<br />

Fotos: BLfD<br />

14 8/<strong>2022</strong>


ART HANDLING<br />

8/<strong>2022</strong><br />

15


XXXXXX<br />

1<br />

Mehr als Kisten schleppen<br />

Mikei Hall ist Art Handler an der Londoner Tate – und dies bereits seit einem Vierteljahrhundert.<br />

Er wird nicht müde, sich immer neuen Herausforderungen zu stellen,<br />

sei dies die Installation eines Flugzeugs an der Museumsdecke oder der Umgang<br />

mit Elefantendung. Oder wenn es darum geht, die 140 farbenfrohen Figuren<br />

der „Procession“ von Hew Locke in Szene zu setzen<br />

Ihr Einsatz erfolgt hinter den Kulissen. Matt<br />

Isble, Betreiber des Portals Museum Trade,<br />

bezeichnet Art Handler gern als „Ninjas“ des<br />

Kunstbetriebs. Sie halten sich im Hintergrund<br />

und meistern auch schwierige, zuweilen<br />

unlösbar scheinende Aufgaben. Mikei<br />

Hall, Art Handler bei der Londoner Tate Britain<br />

Gallery, ist so ein Ninja. Sein Job ist es,<br />

die im Museum ausgestellte Kunst zu transportieren,<br />

lagern und installieren. Hall ist für<br />

den technischen Aufbau in den Ausstellungen<br />

und bei speziellen Projekten zuständig<br />

wie auch für die Betreuung der Sammlung –<br />

stets in engem Kontakt mit den Kurator:innen<br />

und Restaurator:innen.<br />

Was viele nicht wissen: Der Beruf des Art<br />

Handlers – eine angemessene deutsche<br />

Übersetzung gibt es nicht – beinhaltet weitaus<br />

komplexere Aufgaben als das Kistenschleppen<br />

oder Bilderhängen. Das sei ein<br />

häufiges Missverständnis, so Hall: „Hinter<br />

jedem Aufbau steckt ein Denkprozess“, klärt<br />

er auf.<br />

Selbst scheinbar unspektakuläre Aktionen<br />

sind sorgfältig zu planen. Beispielsweise<br />

was zu tun ist, wenn ein Gemälde das Haus<br />

verlässt, etwa als Leihgabe an ein anderes<br />

Museum oder zu Restaurierungszwecken.<br />

Da der Transport morgens, bevor die Besucher<br />

kommen, eng getaktet vonstatten gehen<br />

muss, macht sich Hall im Vorfeld Gedanken:<br />

Ist die Reihenfolge der verbleibenden<br />

Gemälde abzuändern, damit der Gesamteindruck<br />

des Raumes auch ohne das<br />

1<br />

Mikei Hall ist Art Handler<br />

an der Londoner Tate<br />

2<br />

Aktuell ist in der Tate die<br />

Installation „The Procession“<br />

von Hew Donald<br />

Joseph Locke zu sehen<br />

26 8/<strong>2022</strong>


Fotos: © Tate Lucy Dawkins (1); © Joe Humprhys (2)<br />

fehlende Bild stimmig bleibt? Wie viele Helfer<br />

werden gebraucht? Und wer übernimmt<br />

welche Aufgabe?<br />

Besonders herausfordernd sind die Handhabe<br />

und die Dokumentation zeitgenössischer<br />

Kunst, etwa wenn es sich um Installationen<br />

oder ephemere und performative Arbeiten<br />

handeln. „Man muss Herausforderungen<br />

lieben,“ betont Hall. Etwa, als es der<br />

Künstlerin Fiona Banner sprichwörtlich vorschwebte,<br />

ein Harrier Flugzeug von der Decke<br />

der Tate Duveen Hall hängen zu sehen.<br />

„Wir arbeiten sehr eng mit den Künstlern<br />

zusammen und übersetzen deren Vision so<br />

sicher und kontrolliert wie möglich,“ versichert<br />

Hall. Und so fand sich auch für die<br />

scheinbare Mission Impossible eine praktikable<br />

Lösung. Ein auf Spezialeffekte und Beleuchtungssysteme<br />

in großen Arenen spezialisiertes<br />

Unternehmen befreite den Harrier<br />

von seiner Innenausstattung. Damit der Jet<br />

beim Aufhängen nicht zusammenfiel, verstärkten<br />

die Experten sein Inneres. Erst in<br />

der Tate fügten sie die Flügel und den hinteren<br />

Teil des Rumpfes wieder zusammen. Mit<br />

Flaschenzügen gelangte das Flugzeug dann<br />

in die Höhe. Zuletzt brachte das Team die<br />

Heckflossen und den Nasenkonus an – quasi<br />

in der Luft. Statiker verstärkten schließlich<br />

den Bereich um das Oberlicht mit einer<br />

Stahlkonstruktion.<br />

Ebenso muss sich der Art Handler auf für<br />

den musealen Kontext eher ungewöhnliche<br />

Materialien einstellen. Wie etwa ist mit Elefantendung,<br />

Vaseline oder Schokolade zu<br />

verfahren? Der Londoner versteht sich als<br />

Vermittler zwischen dem Künstler und dessen<br />

Arbeit. Das erfordere viel Einfühlungsvermögen:<br />

„Wichtig ist es, sich zurückzunehmen<br />

und nichts persönlich zu nehmen,“<br />

erklärt Hall.<br />

Je nach Aufgabe wirken bis zu etwa acht Art<br />

Handler in einem Team zusammen. Die Umsetzung<br />

einer künstlerischen Vision sei mit einer<br />

Produktentwicklung vergleichbar, so Hall.<br />

Und nicht alles, was es dazu braucht, ist<br />

schon verfügbar. „Meist finden wir nach einer<br />

Weile eine äquivalente Lösung, indem wir uns<br />

in verwandten Branchen umschauen.“<br />

Der Vorlauf für eine größere Ausstellung<br />

an der Tate beträgt in der Regel ein bis zwei<br />

Jahre. Aktuell zeigt das Museum die Installa-<br />

2<br />

24.11.<strong>2022</strong>–26. 3.2023<br />

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8/<strong>2022</strong><br />

27


PRÄVENTIVE KONSERVIERUNG<br />

„Das Oddy-torium“:<br />

Sind unsere Restaurierungsmaterialien korrosiv?<br />

Korrosion durch Konservierung? Stuttgarter Experten testen Restaurierungsmaterialien<br />

auf atmosphärische Korrosivität<br />

tel müssen emissionsfrei sein, da sie im Objekt<br />

verbleiben und mit diesem ebenso in<br />

dichte Vitrinen oder in mit Schutzverglasung<br />

versehene Gemälde gelangen. Überraschenderweise<br />

wurden aber viele bisher gar<br />

nicht getestet. Stichproben einiger Produkte<br />

aus dem Fachhandel erwiesen sich sogar<br />

als deutlich korrosiv. Daher werden jetzt im<br />

von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt<br />

(DBU) geförderten Projekt „Das Oddy-torium“<br />

systematisch alle gängigen Restaurierungsmaterialien<br />

getestet.2<br />

Wie gut ist der Oddy-Test?<br />

Der Oddy-Test hat vielerlei Kritik erfahren,<br />

was aber zu entscheidenden Verbesserungen<br />

geführt hat. Ein Ringversuch von Museumslaboren<br />

in den 90er Jahren brachte katastrophale<br />

Ergebnisse für die Reproduzierbarkeit3.<br />

Daraufhin wurde seine Durchfüh-<br />

Zur Aufbewahrung und Ausstellung von<br />

Kunst und Kulturgut verwendete Materialien<br />

dürfen keine Schadstoffe wie etwa Essigsäure<br />

oder Schwefelwasserstoff emittieren, die<br />

Exponate angreifen können. Daher werden<br />

Materialien zum Bau und zur Ausstattung<br />

von Vitrinen in Museen systematisch mittels<br />

des einfachen, beschleunigten Korrosionstests<br />

nach Oddy geprüft1. Dabei werden<br />

Blei-, Silber- und Kupfercoupons den Emissionen<br />

aus zwei Gramm des Materials bei<br />

60 °C und 100 % Luftfeuchte über vier Wochen<br />

in einem geschlossenen Reagenzglas<br />

ausgesetzt (Abb. 1 und 2). Die Testbleche<br />

werden dann qualitativ auf Korrosion inspiziert.<br />

Bei Bestehen kann die Emission korrosiver<br />

Luftschadstoffe mit hoher Sicherheit<br />

ausgeschlossen werden.<br />

Auch Restaurierungsmaterialien wie z.B.<br />

Klebstoffe, Schutzlacke und Festigungsmitrung<br />

in allen Einzelschritten standardisiert<br />

(aktueller Stand siehe Korenberg1). Abweichungen<br />

von diesem Standard, wie sie z.B.<br />

in den USA üblich sind,4 sind nicht empfehlenswert.<br />

In Stuttgart werden immer zwei<br />

unabhängige Tests und Blindproben (ohne<br />

Testmaterial) nach dem britischen Protokoll<br />

durchgeführt. Bei etlichen hundert doppelt<br />

getesteten Materialien traten keinerlei Probleme<br />

mit der Reproduzierbarkeit auf.<br />

Die visuelle Bewertung der Korrosion auf<br />

den Testmetallstreifen ist subjektiv beeinflusst.<br />

Klassisch werden die drei Kategorien<br />

P (permanent use), T (temporary use) und<br />

F/U (fail / unsuitable for use) unterschieden.<br />

Für Restaurierungsmaterialien spielt die<br />

temporäre Verwendung praktisch keine Rolle.<br />

Es muss immer mit dem dauerhaften Verbleib<br />

am Objekt gerechnet werden. Damit<br />

geht es nur um die Frage, ob im Vergleich<br />

mit Blindproben keine Korrosion beobachtet<br />

werden kann. Dann hat das Material den<br />

Test bestanden („P“). Wenn Zweifelsfälle<br />

auftreten, wird man sich immer gegen „P“<br />

entscheiden, einfach um auf der sicheren<br />

Seite zu bleiben. Zur Zeit laufen in New York<br />

und Berlin (Metropolitan, HTW) Projekte,<br />

1<br />

Korenberg, C., M. Keable, J. Phippard & A. Doyle. 2018.<br />

Refinements Introduced in the Oddy Test Methodology.<br />

Studies in Conservation 63/1, 2-12.<br />

2<br />

„Das Oddy-torium - Test von Restaurierungsmaterialien<br />

auf atmosphärische Korrosivität zum Schutz wertvoller<br />

Kulturgüter vor anthropogenen Luftschadstoffen“,<br />

DBU Az. 35831/01, Laufzeit 3 Jahre ab 1.1.2021.<br />

https://www.abk-stuttgart.de/forschung/forschungsprojekte/konservierung-und-restaurierung-von-kulturgut/standard-titel.html,<br />

Zugriff 1.10.2020.<br />

3<br />

Green, L. R., & D. Thickett. 1993. Interlaboratory Comparison<br />

of the Oddy Test. In: Conservation Science in<br />

the UK. London: James & James, S. 111-116.<br />

4<br />

https://www.conservation-wiki.com/wiki/Oddy_Test,<br />

1 2<br />

Zugriff: 1.10.<strong>2022</strong><br />

42 8/<strong>2022</strong>


PRÄVENTIVE KONSERVIERUNG<br />

EDV-gestützte Bildauswertung einzusetzen.<br />

Es wird sich zeigen, ob künstliche Intelligenz<br />

die Auswertung substanziell verbessern<br />

kann.<br />

Das frühere Urteil, dass „die Resultate weder<br />

vergleichbar, noch reproduzierbar und in<br />

vielen Fällen mit erheblichen Ungenauigkeiten<br />

behaftet sind“ 5, lässt sich heute dank intensiver<br />

Forschungsarbeiten nicht mehr aufrecht<br />

halten und verkennt die unbestreitbaren<br />

Vorteile: Einfachheit und Bewährtheit.<br />

Ein unschätzbarer, häufig in der Diskussion<br />

übersehener Vorteil des Oddy-Tests ist nämlich<br />

seine über ein halbes Jahrhundert empirisch<br />

nachgewiesene Verlässlichkeit: Keines<br />

der Materialien, die den Oddy-Test bestanden<br />

haben, hat jemals an Kunst und Kulturgut<br />

nachgewiesenermaßen Korrosion verursacht.<br />

Dies macht den Test zu einem wertvollen<br />

Instrument im musealen Alltag. Diese<br />

vielfach überprüften Erkenntnisse vor allem<br />

aus dem British Museum1 wurde von David<br />

Thickett (English Heritage) auf der Metal<br />

<strong>2022</strong> Tagung explizit bestätigt. Offensichtlich<br />

sind die Reaktionsbedingungen so empfindlich<br />

eingestellt, dass kein untaugliches<br />

Material durchrutscht. Um innerhalb von<br />

vier Wochen ein Ergebnis zu erzielen, arbeitet<br />

der Test – wie bei beschleunigter Alterung<br />

üblich – mit drastischen Reaktionsbedingungen:<br />

erhöhte Temperatur und 100%<br />

Luftfeuchtigkeit. Wegen des kleinen Volumens<br />

im Testgefäß sind Schadstoffkonzentrationen,<br />

da kaum verdünnt, auch relativ<br />

hoch. Das kann die Reaktionsabläufe gegenüber<br />

Normalbedingungen verzerren und<br />

birgt die Gefahr eines falschen Alarms. Aber<br />

wenn der Oddy-Test sich irrt, dann immer<br />

auf der sicheren Seite. Das vielleicht das ein<br />

oder andere Material zu Unrecht aussortiert<br />

wird, damit kann man zu Gunsten der Sicherheit<br />

leben. Neben seiner bestechenden<br />

Einfachheit ist es diese empirische Bewährung,<br />

die der Oddy-Test allen anderen Methoden<br />

zur Feststellung korrosiver Emissionen<br />

voraushat. Die gaschromatographische<br />

Luftanalytik (z.B. in Emissionskammern beim<br />

BEMMA-Schema der BAM), infrarotspektroskopische<br />

Auswertung an Glassensoren<br />

oder die Messung der Zunahme des elektrischen<br />

Widerstands an dünnen Metallen verlangen<br />

spezielles Knowhow und Ausrüstung.<br />

Die direkte Umsetzung der Messergebnisse<br />

in Handlungsempfehlungen („darf<br />

verwendet werden“) ist problematisch und<br />

nicht abgesichert. Aus all diesen Gründen<br />

wurde zum Massen-Screening der Korrosivität<br />

von Restaurierungsmaterialien der Oddy-<br />

Test ausgewählt.<br />

Cellulosenitrat<br />

Die restauratorische Klebung von Keramikscherben<br />

mit Cellulosenitrat-Produkten ist<br />

in Deutschland weit verbreitet, da sie sich<br />

gut verarbeiten lassen. Der Restaurierungsfachhandel<br />

vertreibt dazu die Produkte Mecosan<br />

und Archäocoll. Letzteres wurde eigens<br />

ohne die üblichen Weichmacher formuliert,<br />

um Veränderungen von Klebeeigenschaften<br />

durch deren Migration<br />

auszuschließen.6 Zwar weist die Restaurierungsliteratur<br />

auf die Instabilität von Cellulosenitrat<br />

(CN) hin7, von Praktikern wird das<br />

wegen deren guten Langzeiterfahrungen<br />

aber kaum in Betracht gezogen. Die Haltbarkeit<br />

solcher Klebungen lässt sich aus künstlichen<br />

Alterungsversuchen auf immerhin<br />

100 Jahre abschätzen.8 Auch ist das Material<br />

Keramik selbst weitgehend inert gegenüber<br />

den sauren nitrosen Gasen, die von<br />

Cellulosenitrat emittiert werden. Was aber<br />

passiert, wenn ein so geklebter Fund in eine<br />

Vitrine zusammen mit empfindlicheren Objekten<br />

ausgestellt wird?<br />

Verblüffenderweise fehlten dazu Untersuchungen.<br />

Eine gefährliche Forschungslücke,<br />

wie sich herausstellte: Beim Oddy-Test von<br />

solchen Keramikklebstoffen für die Restaurierung<br />

traten die stärksten jemals in Stuttgart<br />

beobachteten Korrosionsreaktionen an<br />

Testblechen auf („Popping Stoppers, Crumbling<br />

Coupons“9, Abb. 3). Sogar Silber wurde<br />

deutlich angegriffen. Trotzdem sind CN-Produkte<br />

(„Zaponlack“) als restauratorische Silberschutzlacke<br />

nach wie vor gängig. Sowohl<br />

das britische Frigilene10 als auch das amerikanische<br />

Agateen No. 2711 bestanden den<br />

Oddy-Test nicht. Auch Ersatzprodukte wie<br />

1<br />

Anordnung der Metallstreifen<br />

aus Kupfer, Blei<br />

und Silber im Stopfen<br />

des Testgefäßes<br />

2<br />

Platzierung der Testansätze<br />

im Trockenschrank<br />

3<br />

Oddy-Test des Keramikklebstoffs<br />

Archäocoll<br />

2000: Der Bleicoupon<br />

(Mitte) zerkrümelt als<br />

gelbes Pulver, Kupfer<br />

(rechts) ist stark korrodiert,<br />

selbst das Silber<br />

(links) zeigt deutliche<br />

Korrosion<br />

5<br />

Klug Conservation Wissen Nr. 5: Der Oddy-Test, o.J.,<br />

https://www.klug-conservation.com/medien/download/de/wissen5_oddy_test.pdf,<br />

Zugriff: 1.10.<strong>2022</strong><br />

6<br />

Wunderlich, C. H. 1997. Kleben archäologischer Keramik<br />

mit Cellulosenitrat: die Hintergründe zur Rezepturentwicklung<br />

von Archäocoll 2000. Arbeitsblätter für Restauratoren<br />

30/2, Gruppe 4. 98-105.<br />

7<br />

Selwitz, C. M. 1988. Cellulose nitrate in conservation.<br />

Research in conservation 2. Los Angeles: GCI. https://<br />

www.getty.edu/conservation/publications_resources/<br />

pdf_publications/pdf/nitrate.pdf, Zugriff 1.10.<strong>2022</strong>.<br />

8<br />

Shashoua, Y., S. M. Bradley & V. D. Daniels. 1992. Degradation<br />

of cellulose nitrate adhesive. Studies in Conservation<br />

37/2, 113-119.<br />

3<br />

8/<strong>2022</strong><br />

43

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