Leseprobe "Spinnennetz" von Lars Kepler

04.01.2023 Aufrufe

5 Joona sitzt im Freizeitbereich der Enskede-Schule und wartet, gemeinsam mit Astrid, einem der Kinder mit Down-Syndrom, für die Saga als Begleitperson arbeitet. Astrid ist elf Jahre alt, hat dunkles, langes Haar und große, verträumte Augen, ihre Schultern sind rund, und ihr Gesicht wirkt fast immer glücklich. Sie hat eine weiße Plastikschüssel mit verschiedenen Nagellackfläschchen vor sich stehen. Während sie ihre Lieblingsfarben herausholt und vor Joona aufstellt, erzählt sie ihm, wie jeder einzelne Farbton heißt. »Rouge Noir«, sagt sie und hält einen Nagellack hoch. »Hübsch«, sagt er. »Würde der dir gefallen?« »Ich weiß nicht, ich mag auch Rosa«, antwortet er. Sie sucht in der Plastikschüssel und stellt dann ein kleines, spitzes Glasfläschchen vor ihn hin. »Lady Like.« »Mein Favorit«, sagt er. Joona ist direkt von Kapellskär hierhergefahren, während Eri xon mit sechs anderen Technikern auf der Insel geblieben ist. Der natürliche Hafen ist ein kleiner Sandstrand, wie ein Keil in die Westseite der felsigen Insel hineingeschlagen. Der Körper wurde am Rand der Strandfläche nach oben geschleppt, aber die Fußabdrücke des Täters sind verwischt worden. 42

Erixon sicherte zwar einige Spuren im Wald, aber angesichts der Sorgfalt, mit der der Täter vorging, hält Joona es für unwahrscheinlich, dass eine von ihnen zu ihm führt. Fliegen krochen surrend über den Fuß und die erhalten gebliebenen Skelettteile im Gras. Als Erixon mit Åhlén telefonierte, sagte er, dass die Überreste dem Mageninhalt eines Raubtiers ähnelten, ganz oder teilweise verdaute Nahrung. »Die innere Schicht des Beutels besteht aus säurebeständigem Gummi, und ich gehe davon aus, dass der Täter Natriumhydroxid verwendete, um den Körper aufzulösen«, erklärt er. Joona wollte nicht darüber nachdenken, aber er hält es durchaus für möglich, dass Margot noch am Leben war, als die chemische Zersetzung begann. Astrids Mund ist angespannt vor Konzentration, und die langen Augenlider zittern hinter den Brillengläsern, als sie Joonas Nägel rosa anmalt. »Entschuldige«, flüstert sie und lächelt breit, als ein Farbklecks auf der Fingerspitze zurückbleibt. »Ich habe zu kurze Nägel.« »Ja, aber es wird trotzdem hübsch.« »Sehr hübsch«, bemerkt er mit einem Lächeln. Joona verfolgt die weichen Pinselstriche mit seinem Blick, und nach einer Weile glättet sich eine tiefe Furche in seiner Stirn. Sie hinterlässt einen blassen Strich, der langsam verschwindet, als das Mädchen die Hand wechselt. Saga hat ihn angerufen und gesagt, dass sie ihn sofort treffen müsse, aber als er kam, musste sie Nick noch helfen, nach dem Fußballspiel zu duschen. Joona bedankt sich bei Astrid und pustet gerade seine Nägel trocken, als Saga und Nick in den Freizeitbereich kommen. Saga trägt gebleichte Jeans, Basketballschuhe und einen 43

Erixon sicherte zwar einige Spuren im Wald, aber angesichts<br />

der Sorgfalt, mit der der Täter vorging, hält Joona es für unwahrscheinlich,<br />

dass eine <strong>von</strong> ihnen zu ihm führt.<br />

Fliegen krochen surrend über den Fuß und die erhalten gebliebenen<br />

Skelettteile im Gras.<br />

Als Erixon mit Åhlén telefonierte, sagte er, dass die Überreste<br />

dem Mageninhalt eines Raubtiers ähnelten, ganz oder teilweise<br />

verdaute Nahrung.<br />

»Die innere Schicht des Beutels besteht aus säurebeständigem<br />

Gummi, und ich gehe da<strong>von</strong> aus, dass der Täter Natriumhydroxid<br />

verwendete, um den Körper aufzulösen«, erklärt er.<br />

Joona wollte nicht darüber nachdenken, aber er hält es durchaus<br />

für möglich, dass Margot noch am Leben war, als die chemische<br />

Zersetzung begann.<br />

Astrids Mund ist angespannt vor Konzentration, und die langen<br />

Augenlider zittern hinter den Brillengläsern, als sie Joonas<br />

Nägel rosa anmalt.<br />

»Entschuldige«, flüstert sie und lächelt breit, als ein Farbklecks<br />

auf der Fingerspitze zurückbleibt.<br />

»Ich habe zu kurze Nägel.«<br />

»Ja, aber es wird trotzdem hübsch.«<br />

»Sehr hübsch«, bemerkt er mit einem Lächeln.<br />

Joona verfolgt die weichen Pinselstriche mit seinem Blick,<br />

und nach einer Weile glättet sich eine tiefe Furche in seiner Stirn.<br />

Sie hinterlässt einen blassen Strich, der langsam verschwindet,<br />

als das Mädchen die Hand wechselt.<br />

Saga hat ihn angerufen und gesagt, dass sie ihn sofort treffen<br />

müsse, aber als er kam, musste sie Nick noch helfen, nach dem<br />

Fußballspiel zu duschen.<br />

Joona bedankt sich bei Astrid und pustet gerade seine Nägel<br />

trocken, als Saga und Nick in den Freizeitbereich kommen.<br />

Saga trägt gebleichte Jeans, Basketballschuhe und einen<br />

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