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FOCUS MONEY 2023/03 Vorschau

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moneyeditorial

EDITORIAL

Frau Kommissarin,

zerstören Sie nicht die

Vermögensberatung!

wer ist Mairead McGuinness? Wenn Sie mit Achselzucken reagieren, brauchen

Sie sich nicht zu grämen. Denn die EU-Finanzmarktkommissarin ist

bislang wenig aufgefallen. Das könnte sich 2023 ändern. Die Irin arbeitet

nämlich an einem Verbot der provisionsbasierten Anlageberatung in den

27 Mitgliedsländern. Bereits im Frühjahr will die 63-Jährige einen Vorschlag

präsentieren. Die studierte Agrarökonomin möchte mit der Beseitigung

eines auf finanziellen Anreizen basierenden Systems eine „vorurteilsfreie

Beratung“ ermöglichen, wie sie dem Europaabgeordneten Markus Ferber

(CSU) in einem Brief mitteilte. Doch tatsächlich droht sie das Geschäfts modell

einer ganzen Branche zu zerstören.

Sollten ihre Pläne in die Tat umgesetzt werden, wäre das für viele Anleger

eine Katastrophe: Für eine kompetente Fachberatung in der Bankfiliale oder

durch eine Vermögensberatung gäbe es dann keine ökonomische Grundlage

mehr. Den möglichen Verlust an Kompetenz in der Anlageberatung hätten am

Ende die Kleinanleger zu tragen. Sie können es sich in der Regel nicht leisten,

einen auf Honorarbasis agierenden Vermögensberater zu engagieren. Dafür

sind die Anlagevermögen meistens zu klein. Die Folge: Anleger investieren auf

eigene Faust, mit hohen Risiken für die eigenen Ersparnisse. „Die Abschaffung

der auf Provisionen beruhenden Finanzberatung wird die Anleger in eine

automatisierte Beratung mit allen Risiken von Algorithmen treiben. Das wäre

fatal“, sagte mir Markus Ferber.

Längst vergessen: Frau McGuinness hat ihr mächtiges Amt einem Zufall zu

verdanken. Ihr Landsmann, der fachlich hochgeschätzte EU-Handelskommissar

Phil Hogan, wurde wegen des leichtsinnigen Verstoßes gegen Corona-

Regeln über Nacht gefeuert. In einer komplizierten Personalrochade nach Ländern

und Geschlechtern kam dann die frühere Europaabgeordnete McGuinness

zu ihrer Aufgabe als Kommissarin für Finanzdienstleistungen und

Finanzstabilität. Eine Personalentscheidung, die nun eine große Gefahr

für die Finanzbranche und Anleger bedeuten könnte.

Wie schrieb ihre Chefin, Kommissionspräsidentin Ursula von

der Leyen, im Entsendebrief für McGuinness? Sie solle dafür

sorgen, dass die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der

Subsidiarität eingehalten werden. Die grundsätzliche Beibehaltung

der seit Jahrzehnten erfolgreichen Finanzberatung

auf Provisionsbasis wäre ein sehr gutes Beispiel für praktizierte

Verhältnismäßigkeit in Europa.

Herzlich Ihr

HANS-PETER SIEBENHAAR

Mitglied der Chefredaktion

FOCUS MONEY

Aus aktuellem Anlass!

Lesen Sie FOCUS MONEY bequem zu Hause

Liebe Leserinnen und Leser,

die Inflation hat in Deutschland und auch im Durchschnitt der

Euro-Zonen-Länder zweistellige Werte erreicht. Bange blicken

die Börsianer auf die Notenbanken: Wie lange werden die Zin -

sen noch steigen? Stürzen die großen Volkswirtschaften in

eine tiefe Rezession? Und was heißt das für die Märkte und die Aktienkurse?

Mein Tipp: Sie erfahren alles Wichtige in FOCUS MONEY. Den

portofreien Kombi-Bezug (Print und Digital) für 1 Jahr erhalten Sie zum Vorzugspreis

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ab 8.00 Uhr. Wenn Sie FOCUS MONEY nach Bezug wieder im Handel kaufen

möchten: Ein Anruf genügt, und das Abo ist beendet.

FOCUS MONEY 3/2023

Foto: F. Röth

*inkl. MwSt. und Versand. Sie haben ein gesetzliches Widerrufsrecht

3


moneyinhalt

moneykompakt

6 Inflation: Wie es in den USA

und Deutschland weitergeht

7 Das kaufe ich jetzt: Roche

7 Hit und Shit: Oatly versus Apple

8 Dax und S&P-500: Bankenprognosen

für das Jahr 2023

8 Termine: Börsentag Dresden

98 Andis Börsenbarometer: Warum

subjektive Wahrnehmung

Anlegern zum Verhängnis wird

moneytitel

10 Made in Germany: Von BASF

über E.on bis VW – deutsche

Dividendenperlen unter der Lupe

15 Dogs of the Dow: Mit Dividenden-

Tops des Dow Jones punkten

16 Schweiz: Der Kapitalmarkt der

Eidgenossen ist reizvoll für

deutsche Dividendenfans

10

Richtig abkassieren!

Kursrücksetzer trotz fetter Firmengewinne

führen zu dicken Ausschüttungsrenditen.

Pünktlich zum Saisonstart macht jetzt FOCUS

MONEY den großen Check – und präsentiert

die besten Dividendenaktien für das Jahr

2023 mit bis zu zehn Prozent Rendite

54

Parforceritt der Portfolio-Manager

Egal, ob Nicole Sperch (Impact Asset Management), Hartmut Jaensch

(Prediqma) oder Frank Fischer (Shareholder Management): 2022 war kein

leichtes Jahr für die Macher der FOCUS MONEY-Musterdepots. Wie sich

die Empfehlungen des Trios geschlagen haben

17 Chartsignal: IBM-Aktie – den

Abwärtstrend endlich gebrochen

17 Börsenwissen: Medikamente –

drei Phasen bis zur Marktreife

18 Dividendenfonds: Solider Puffer

in schwierigem Börsenumfeld

moneymarkets

22 Oberbank: Vorstand Franz Gasselsberger

über Inflation und Rezession

25 PVA Tepla: Der Spezialist für

Kristallzucht kommt stark zurück

26 Performance-Bilanz: So haben

sich die FOCUS MONEY-Aktien-

Tipps seit August 2022 entwickelt

30 Bau-Riesen: Hochtief, Strabag

und Porr locken zwar mit hohen

Dividenden – doch Vorsicht!

4

Titelfoto: iStock Composing: FOCUS MONEY

FOCUS MONEY 3/2023


11. JANUAR 2023 www.money.de

34 Aurubis: Warum Anleger am

Investitionsprogramm des Metall-

Recyclers kräftig mitverdienen.

Plus: Interview mit Aurubis-

Vorstandschef Roland Harings

38 Interview: Noushin Irani, DWS-

Portfolio-Managerin, rechnet 2023

mit steigenden Biotech-Kursen

41 Biogen: Mit Lecanemab könnte

dem Alzheimer-Spezialisten der

große Wurf gelungen sein

42 Fossile Brennstoffe: Energiekonzerne

florieren. Wie Sie mit ETFs

und ETCs am Boom teilhaben

46 Demografie: Die Bürger in den

Industrie- und Schwellenländern

werden immer älter. Aktien, die

von diesem Trend profitieren

54 Unterm Strich: Die Bilanz 2022

der FOCUS MONEY-Musterdepots

58 „Economist“-Analyse: Kann

die französische Atomindustrie

die Wende schaffen?

moneydigital

50 Social Trends: Big Shopping via

Social Media gehört die Zukunft

51 Aktienanalyse: Telekom mit viel

Potenzial – und dicker Dividende

42

Erfolgreiche Exploration

Nach langer Trockenheit sprudeln die Einnahmen der Öl- und Energieunternehmen

wieder prächtig. Auch sollte der Höhenflug der umstrittenen

Branche vorerst noch anhalten – was Aktionäre freuen dürfte

dswanlegerschutz

62 Wirecard-Prozess: Wie Anleger

dank „Stichting Wirecard Investors

Claim“ ihr Geld zurückbekommen

moneyservice

64 Marktplatz: Highspeed-Internet-

Tarife, E-Bike-Tour in Frankreich

und Top-Smartphone für Genießer

66 Rechtsschutz: Die besten Policen

mit und ohne Selbstbeteiligung

70 Wohnungsunternehmen: Wo

Mieter ein gutes Zuhause finden

74 Leistungsfall: Welche Versicherer

Schäden wirklich fair regulieren

moneyanalyse

81 Fonds

82 Deutsche Aktien

90 Internationale Aktien

96 ETFs

97 Zertifikate

moneyrubriken

3 Editorial

80 Leserbriefe – Impressum

98 Termine

Quelle: Bloomberg

Rational

Aktienkurs in Euro

900

800

700

600

500

400

2020 2021 2022 2023

26

Resümee im Rückblick

Gut 32 Prozent konnte die Aktie des

Küchenspezialisten Rational (s. Chart)

seit der MONEY-Kaufempfehlung

zulegen. Gewinner und Verlierer der

Trading-Tipps im Überblick

34

„Unser globaler Anteil am Multimetall-

Recycling wird sich signifikant erhöhen“

ROLAND HARINGS, VORSTANDSVORSITZENDER AURUBIS

FOCUS MONEY 3/2023

Fotos: Aurubis, shutterstock Composing: FOCUS MONEY

5


moneytitel

TITEL

RICHTIG AB

Kursrückgänge trotz dicker

Firmengewinne führen zu

hohen Ausschüttungsrenditen.

Pünktlich zum Saisonstart

macht FOCUS MONEY den

großen Check und präsentiert:

die besten Dividendenaktien

für 2023

von JENS MASUHR

10

Same procedure as every year, James“, antwortet Miss

Sophie ihrem Butler seit fast 60 Jahren im Silvester-

Klassiker „Dinner for One“. Angesichts der langen Serie

an Rekordausschüttungen deutscher Großkonzerne

könnte der Kultspruch auch auf die im Februar

startende Dividendensaison der 40 Dax-Firmen passen.

2023 soll es wieder so weit sein. Prognosen zufolge landen im Spätwinter

und Frühling mit etwa 54 Milliarden Euro an Dividenden

gut sieben Prozent mehr auf den Konten der Aktionäre als im Vorjahr

– allen geopolitischen Krisen zum Trotz. Hingucker abseits

des Dax: Weil viele Aktienkurse 2022 kräftig Federn ließen, kommt

es in Extremfällen zu Fabelrenditen von bis zu 30 Prozent (Hapag-

Lloyd, WKN: HLAG47).

Was die Aktionäre verzückt, macht Kennern zu schaffen. „Wenn

die Rendite zu gut aussieht, um wahr zu sein, ist sie es in der Regel

auch nicht“, warnt Investmentstratege Mark Peden von der Vermögensverwaltung

des Versicherers Aegon. Hilmar Kopper, ehemaliger

Vorstandschef der Deutschen Bank, hielt Renditeversprechen

von fünf Prozent und mehr gar für „unseriös“. Danach wären rund

30 deutsche Ausschütter unter Verdacht – sieben davon aus dem

Dax, darunter Mercedes-Benz, der Wohnungskonzern Vonovia und

der Chemieriese BASF. Alle drei bieten Ausschüttungsrenditen zwischen

sieben und acht Prozent – weit abseits der Norm. Für Dividendenjäger

heißt es umso mehr: Augen auf beim Aktienkauf!

FOCUS MONEY 3/2023


20 Dividenden-

Tipps für 2023

Kräftige Kursrücksetzer

in 2022 lassen

die Dividendenrenditen

anschwellen. Um

Eintagsfliegen auszuschließen,

qualifizierten

sich für die Top

20 aus Deutschland

nur diejenigen, bei

denen Gewinn und/

oder Ausschüttung (je

Aktie) gegenüber Vorjahr

steigen.

Aktie WKN Branche Börsenwert

in Mrd.

Euro

Gewinn je Aktie

in Euro

Dividende je Aktie

in Euro für

2022e 2023e 2021 2022e

Dividendenrendite

in Euro

Kurs

für 2022e

in %

Kursziel

der

Analysten

DIC Asset A1X3XX Immobilien 0,63 0,65 0,88 0,75 0,73 9,6 7,62 12,70

Grand City Properties A1JXCV Immobilien 1,58 1,14 1,16 0,83 0,86 9,4 9,19 12,40

Wacker Chemie WCH888 Chemie 5,9 24,90 13,16 8,00 10,90 9,1 119,40 156,30

BMW 519003 Automobile 54,2 23,67 13,85 5,80 7,50 9,0 83,38 97,00

Mercedes-Benz 710000 Automobile 65,7 12,70 11,49 5,00 5,00 8,1 61,40 83,20

Freenet A0Z2ZZ Telekom 2,4 1,44 1,69 1,57 1,64 8,0 20,42 26,60

Vonovia A1ML7J Immobilien 17,5 2,53 2,41 1,66 1,77 8,0 22,02 37,10

Dt. Konsum Reit A14KRD Immobilien 0,3 1,19 1,26 0,40 0,60 7,9 7,56 14,40

Telefónica Deutschland A1J5RX Telekom 6,9 0,04 0,06 0,18 0,18 7,8 2,30 2,70

Hochtief 607000 Bau 4,0 6,73 6,53 1,91 4,07 7,7 52,68 57,40

VW Vz. 766403 Automobile 67,6 32,88 29,73 7,56 8,56 7,4 116,42 196,60

BASF BASF11 Chemie 41,8 6,56 4,73 3,40 3,40 7,3 46,39 55,00

Villeroy & Boch 765723 Keramik 102,8 2,44 2,27 1,00 1,17 7,0 16,75 25,80

Allianz 840400 Finanzen/Versich. 81,0 17,05 24,03 10,80 11,40 5,7 200,90 236,00

E.on ENAG99 Energie 24,4 0,92 0,86 0,49 0,51 5,5 9,33 10,60

Dt. Post 555200 Logistik 43,1 4,28 3,52 1,80 1,90 5,4 35,18 49,50

Bayer BAY001 Chemie 47,5 7,85 7,97 2,00 2,22 4,6 48,33 76,50

Daimler Truck DTROCK Automobile 23,8 3,51 3,58 0,00 1,31 4,5 28,95 39,70

Münchener Rück 843002 Finanzen/Versich. 42,2 22,80 29,61 11,00 11,58 3,8 304,00 314,00

Dt. Telekom 555750 Telekom 92,7 1,56 1,64 0,64 0,70 3,8 18,64 25,00

Quellen: Commerzbank, Bloomberg, eigene Recherche; Stand: 30.12.2022; e = erwartet

KASSIEREN

Vorsicht, Blender! Denn der Schein kann trügen.

Absurd hohe Renditen können die Folge starker Kursrückgänge

sein. Die Finanzmärkte wetten in dem Fall

darauf, dass sich Geschäftsmodelle ändern, die Gewinne

sinken und die Unternehmen gezwungen sind,

die Ausschüttungen zu kürzen. Beispiel: die deutsche

Autoindustrie. Milliardenkosten für die E-Mobilität

lassen Investoren zögern. Die Aktien bleiben links

liegen, ihre Kurse fallen, die Dividendenrenditen

(Quotient aus Dividende und Kurs) erreichen

Höchststände. Doch wie lange noch? Sinken die

Gewinne, könnte der Geldfluss versiegen. Sprich:

Die Dividenden werden gekürzt oder fallen aus.

Folge: Die Kurse purzeln weiter. Für die Besitzer

eine teure Erfahrung: Der erhoffte Dauer-

(Geld-)Regen erweist sich als One-Hit-Wonder.

FOCUS MONEY macht den großen Dividendencheck:

Wo sind die Dividenden hoch und

nachhaltig? Welche Bilanzen sind solide? Bei

wem zeigt der Gewinntrend nach oben, und wo

ist das Marktpotenzial groß genug, um dauerhaft

in Spendierlaune zu sein? Auf den nächsten

Seiten präsentieren wir das Beste aus deutschen

Landen (ab Seite 12), die erfolgreichsten Dividendenstrategien

europäischer und US-Spitzenfonds (ab

Seite 18), die zehn dividendenstärksten Einzelwerte

aus den USA (Seite 15) sowie ein Zertifikat auf ausschüttungsstarke

Aktien aus der Schweiz (Seite 16).

Die Zahlungen der Dividendenasse sind dabei in der

Regel überdurchschnittlich hoch und verlässlich.

Ein Pfund, auf das es künftig ankommt. Denn die

Zeit, in der Aktien als Geldanlage alternativlos sind,

geht zu Ende. Seit die Notenbanken über steigende

Zinsen das Geld verteuern, sind Anleihen wieder attraktiv.

Zwar dürften laut einer Commerzbank-Studie

24 der 40 Dax-Konzerne ihre Ausschüttung für

2022 anheben. In der Folge liegt die Dividendenrendite

im deutschen Börsenoberhaus im Schnitt bei 3,5

Prozent – 150 Basispunkte oberhalb der Rendite der

zehnjährigen Bundesanleihe. Allerdings: Auch die

Rendite für Euro-BBB-Unternehmensanleihen erlebt

ein Comeback. Seit Januar vergangenen Jahres geht’s

von 0,7 auf satte 4,2 Prozent nach oben (siehe Grafik

Seite 13).

Doppelt profitieren. Dazu kommt: Sollten die Inflationsraten

im Jahresverlauf sinken, beginnen mit

rückläufigem Zinstrend (wegen der gegenläufigen

Entwicklung von Preis und Rendite) die Kurse der

FOCUS MONEY 3/2023

11


moneymarkets

INTERVIEW

Wir stehen vor

einem sehr guten

Bankenjahr“

Franz Gasselsberger, CEO der Oberbank,

schließt eine Rezession in Europa aus. Einen

Insolvenz-Tsunami werde es nicht geben.

Für den Aktienmarkt bleibt er zurückhaltend

von HANS-PETER SIEBENHAAR

Herr Gasselsberger, die Inflation in Deutschland hat sich im

Dezember mit 8,6 Prozent deutlich abgeschwächt. Ist das

Schlimmste an Geldentwertung im Euro-Raum überstanden?

Franz Gasselsberger: Das Schlimmste bei der

Inflation haben wir tatsächlich hinter uns. Wir

haben eine ganze Reihe von Faktoren, welche

weitere Preissteigerungen dämpfen können.

Sinkende Rohstoffpreise und verbesserte Lieferketten

sorgen bereits heute für eine gewisse

Entspannung an der Preisfront.

Treiben höhere Tarifabschlüsse nicht die Inflation

weiter an?

Gasselsberger: Deutschland hat den Vorteil,

dass es mehrjährige Tarifverträge gibt.

In Österreich sieht mit den zuletzt abgeschlossenen

Tarifverträgen die Situation

anders aus. Dort könnte dies zu negativen

Effekten für die Inflation führen.

22 Foto: Oberbank

Composing: FOCUS MONEY

FOCUS MONEY 3/2023


2022 lag sie mit einem Jahresdurchschnitt von 7,9

Prozent so hoch wie zuletzt 1951. Was macht diese

Erfahrungen in den Köpfen ihrer Kunden?

Gasselsberger: Es gibt einen positiven

Effekt.

Welchen denn . . .?

Gasselsberger: … Anleger haben durch die

höhere Inflation eine größere Bandbreite von

Investitionsmöglichkeiten. In der vergangenen

zehn Jahren gab es nur noch zwei Anlageformen:

das kurzfristige Parken von Geldern

oder in Aktienfonds beziehungsweise

Aktien zu gehen. Jetzt steht wieder die ganze

Palette von Anlageformen zur Verfügung. Das ist ein großer

Vorteil für Anleger.

Franz Gasselsbergerr

Seit zwei Jahrzehnten

führt der Österreicher als

CEO die Oberbank. Er gilt

als der dienstälteste

Vorstandschef einer

börsennotierten Bank im

Euro-Raum. Der 62-Jährige

gehört dem Aufsichtsrat

des Stahlkonzerns

Voestalpine und des

Faserkonzerns Lenzing an.

Zudem fungiert Gasselsberger

als Honorarkonsul

Deutschlands in Linz.

Allerdings wissen wir nicht, wie schnell die

Inflation tatsächlich zurückgehen wird.

Stehen wir vor einer Rezession oder zumindest

einer kleinen Re zession?

Gasselsberger: Ich persönlich glaube nicht,

dass wir eine Rezession im Euro-Raum erleben

werden. Das Wort Rezession habe ich bereits

aus meinem Sprachschatz gestrichen.

Wenn sich die geopolitische Situation – allen

voran der Ukraine-Krieg – entspannt, kann

es zu konjunkturellem Rückenwind kommen,

der dann auch der Börse nutzen wird. Der

Aktienmarkt braucht einen Katalysator,

wie eine gute konjunkturelle Entwicklung und steigende

Gewinne.

Wird es zu einem Comeback der Anleihen kommen?

Gasselsberger: Wir stellen fest, dass die Anleihe wieder ein

Comeback feiert. Als ich vor 40 Jahren in der Oberbank begann,

herrschte das ungeschriebene Gesetz: Zuerst geht man

ins Sparbuch, dann in die Anleihe und schließlich in die Aktie.

Das ist über viele Jahre in Vergessenheit geraten. Mit den steigenden

Zinsen ändert sich das gerade. Festverzinsliche Wertpapiere

werden aufgrund des Zinsniveaus wieder attraktiv.

Aber 2022 war doch ein ausgesprochen miserables Jahr für Anleihen.

Ist das eine gute Voraussetzung für das Comeback der Anleihe?

Gasselsberger: 2022 war das schlechteste Jahr für Anleihen

seit wahrscheinlich 100 Jahren. Ich bin aber überzeugt, dass

es gute Voraussetzungen für ein Comeback von Bonds gibt.

Denn auf der Seite der Aktie gibt es keine Übertreibungen,

sondern Normalität. Im Fall von Anleihen gibt es bei einer

Laufzeit von fünf Jahren bereits vier Prozent Rendite. Das ist

auch unter dem Gesichtspunkt sich verändernder Zinsen

eine vertretbare Laufzeit. Jetzt ist ein sehr guter Zeitpunkt,

in Anleihen zu investieren.

Das abgelaufene Börsenjahr war alles andere als gut. Der deutsche

Leitindex Dax fiel im Jahr 2022 um zwölf Prozent. Schauen Sie ins

Börsenjahr 2023 mit größerer Zuversicht?

Gasselsberger: Für den Aktienmarkt bin ich zurückhaltend.

Um eine Kursfantasie zu entwickeln, bräuchten wir eine

Zinssenkung. Doch nach einer Zinssenkung sieht es in Europa

und Nordamerika nicht aus. Das haben Europäische Zentralbank

(EZB) und Federal Reserve (Fed) klargemacht. Außerdem

gibt es für Anleger genügend Alternativen zu Aktien.

Können sich Anleger auf die Vorhersagen der EZB hinsichtlich der

Inflation überhaupt noch verlassen?

Gasselsberger: Die EZB hat sich bei ihren Inflationsprognosen

im vergangenen Jahr mehrmals geirrt. Das hat ihrem

Ansehen geschadet. Die Währungshüter haben die durchschnittliche

Inflationserwartung mit 6,5 Prozent festgesetzt.

FOCUS MONEY 3/2023

Sollte die EZB angesichts der sinkenden Preissteigerungen ihre

Zinsen in diesem Jahr nicht mehr so aggressiv anheben?

Gasselsberger: Die Erwartung im Markt ist eine Anhebung

des Leitzinses auf 3,5 Prozent. EZB-Präsidentin Christine

Lagarde hat mit ihrer Klarheit der Worte den Markt vor

Weihnachten überrascht. Diese Klarheit hatte sie in der

Vergangenheit nicht immer an den Tag gelegt. Das alles

Entscheidende wird die weitere Entwicklung der Inflation

sein.

Ist das Inflationsziel der EZB von zwei Prozent noch sinnvoll?

Gasselsberger: Wenn man dieses Ziel erreichen will, sind

weitere Zinsanhebungen unumgänglich. Für die Aktienmärkte

ist aber eine Inflation zwischen drei bis vier Prozent

ideal. Auf diesem Niveau wäre auch ein entsprechendes

Wachstum impliziert.

Nochmals zur Frage: Ist das 2-Prozent-Ziel richtig?

Gasselsberger: Vor einem Jahr hatte EZB-Chefin Lagarde

noch verkündet, es werde im Jahr 2022 keine Zinserhöhung

geben. Ein Irrtum, wie wir wissen. Vor diesem Hintergrund

nehme ich auch das Ziel von zwei Prozent Inflation nicht besonders

ernst. Ich sehe daher sehr gelassen, was die EZB bisweilen

von sich gibt. Ohnehin erwarte ich von den Notenbankern

eine gewisse Flexibilität.

Wann wird es eine Rückkehr zur Normalität bei der Geldentwertung

geben?

Gasselsberger: Wir dürfen den Ist-Zustand nicht in die Zukunft

projektieren. Das hat uns das Jahr 2022 gerade beim

Thema Inflation gezeigt. Niemand kann derzeit exakt sagen,

wie die Geldentwertung aussehen wird. Doch ich bin zuversichtlich,

dass viele Parameter wie Rohstoffe oder Energiepreise

sich wieder auf ein Normalmaß reduzieren werden.

Höhere Zinsen sind für die Banken wie ein Konjunkturprogramm. Brechen

goldene Zeiten für die Finanzinstitute an?

23


moneymarkets

HOCHTIEF, STRABAG, PORR

Bonanza

am Bau

NACHHALTIG BAUEN: Die Strabag-Tochter

Züblin baut mit CO 2 -reduziertem Beton die

140 Meter hohe Edge East Side in Berlin

Großaufträge des Staates und der

Industrie machen Konzerne immun

gegen die Krise im privaten Wohnungsbau.

Die Bauriesen locken mit hohen

Dividenden und niedrigen Bewertungen.

Doch es gibt einen Nachteil

von HANS-PETER SIEBENHAAR

Sei schlau, geh zum Bau!“, hieß früher der Reklamespruch,

um junge Menschen für die ungeliebte Branche

zu gewinnen. Für Thomas Birtel, den langjährigen CEO

des börsennotierten Baukonzerns Strabag, hat sich die berufliche

Entscheidung für die Baubranche gelohnt. 16 Jahre gehörte

er dem Vorstand der Strabag SE an, davon zehn Jahre als

Vorstandsvorsitzender. Der gebürtige Wuppertaler hat zum

Jahreswechsel seinen Schreibtisch in der Strabag-Zentrale mit

dem One Million Dollar View über Wien in bester Laune geräumt.

Denn er hinterlässt einen europäischen Baukonzern,

dessen Auftragsbücher randvoll sind. „Die Nachfrage nach

Bauleistung für Infrastruktur leidet derzeit noch nicht unter

den gestiegenen Zinsen. Hohe Finanzmittel stehen bereits zur

Verfügung, beispielsweise durch den Corona-Wiederaufbau-

30

Foto: Züblin

Composing: FOCUS MONEY

FOCUS MONEY 3/2023

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