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moneyeditorial
EDITORIAL
Frau Kommissarin,
zerstören Sie nicht die
Vermögensberatung!
wer ist Mairead McGuinness? Wenn Sie mit Achselzucken reagieren, brauchen
Sie sich nicht zu grämen. Denn die EU-Finanzmarktkommissarin ist
bislang wenig aufgefallen. Das könnte sich 2023 ändern. Die Irin arbeitet
nämlich an einem Verbot der provisionsbasierten Anlageberatung in den
27 Mitgliedsländern. Bereits im Frühjahr will die 63-Jährige einen Vorschlag
präsentieren. Die studierte Agrarökonomin möchte mit der Beseitigung
eines auf finanziellen Anreizen basierenden Systems eine „vorurteilsfreie
Beratung“ ermöglichen, wie sie dem Europaabgeordneten Markus Ferber
(CSU) in einem Brief mitteilte. Doch tatsächlich droht sie das Geschäfts modell
einer ganzen Branche zu zerstören.
Sollten ihre Pläne in die Tat umgesetzt werden, wäre das für viele Anleger
eine Katastrophe: Für eine kompetente Fachberatung in der Bankfiliale oder
durch eine Vermögensberatung gäbe es dann keine ökonomische Grundlage
mehr. Den möglichen Verlust an Kompetenz in der Anlageberatung hätten am
Ende die Kleinanleger zu tragen. Sie können es sich in der Regel nicht leisten,
einen auf Honorarbasis agierenden Vermögensberater zu engagieren. Dafür
sind die Anlagevermögen meistens zu klein. Die Folge: Anleger investieren auf
eigene Faust, mit hohen Risiken für die eigenen Ersparnisse. „Die Abschaffung
der auf Provisionen beruhenden Finanzberatung wird die Anleger in eine
automatisierte Beratung mit allen Risiken von Algorithmen treiben. Das wäre
fatal“, sagte mir Markus Ferber.
Längst vergessen: Frau McGuinness hat ihr mächtiges Amt einem Zufall zu
verdanken. Ihr Landsmann, der fachlich hochgeschätzte EU-Handelskommissar
Phil Hogan, wurde wegen des leichtsinnigen Verstoßes gegen Corona-
Regeln über Nacht gefeuert. In einer komplizierten Personalrochade nach Ländern
und Geschlechtern kam dann die frühere Europaabgeordnete McGuinness
zu ihrer Aufgabe als Kommissarin für Finanzdienstleistungen und
Finanzstabilität. Eine Personalentscheidung, die nun eine große Gefahr
für die Finanzbranche und Anleger bedeuten könnte.
Wie schrieb ihre Chefin, Kommissionspräsidentin Ursula von
der Leyen, im Entsendebrief für McGuinness? Sie solle dafür
sorgen, dass die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der
Subsidiarität eingehalten werden. Die grundsätzliche Beibehaltung
der seit Jahrzehnten erfolgreichen Finanzberatung
auf Provisionsbasis wäre ein sehr gutes Beispiel für praktizierte
Verhältnismäßigkeit in Europa.
Herzlich Ihr
HANS-PETER SIEBENHAAR
Mitglied der Chefredaktion
FOCUS MONEY
Aus aktuellem Anlass!
Lesen Sie FOCUS MONEY bequem zu Hause
Liebe Leserinnen und Leser,
die Inflation hat in Deutschland und auch im Durchschnitt der
Euro-Zonen-Länder zweistellige Werte erreicht. Bange blicken
die Börsianer auf die Notenbanken: Wie lange werden die Zin -
sen noch steigen? Stürzen die großen Volkswirtschaften in
eine tiefe Rezession? Und was heißt das für die Märkte und die Aktienkurse?
Mein Tipp: Sie erfahren alles Wichtige in FOCUS MONEY. Den
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FOCUS MONEY 3/2023
Foto: F. Röth
*inkl. MwSt. und Versand. Sie haben ein gesetzliches Widerrufsrecht
3
moneyinhalt
moneykompakt
6 Inflation: Wie es in den USA
und Deutschland weitergeht
7 Das kaufe ich jetzt: Roche
7 Hit und Shit: Oatly versus Apple
8 Dax und S&P-500: Bankenprognosen
für das Jahr 2023
8 Termine: Börsentag Dresden
98 Andis Börsenbarometer: Warum
subjektive Wahrnehmung
Anlegern zum Verhängnis wird
moneytitel
10 Made in Germany: Von BASF
über E.on bis VW – deutsche
Dividendenperlen unter der Lupe
15 Dogs of the Dow: Mit Dividenden-
Tops des Dow Jones punkten
16 Schweiz: Der Kapitalmarkt der
Eidgenossen ist reizvoll für
deutsche Dividendenfans
10
Richtig abkassieren!
Kursrücksetzer trotz fetter Firmengewinne
führen zu dicken Ausschüttungsrenditen.
Pünktlich zum Saisonstart macht jetzt FOCUS
MONEY den großen Check – und präsentiert
die besten Dividendenaktien für das Jahr
2023 mit bis zu zehn Prozent Rendite
54
Parforceritt der Portfolio-Manager
Egal, ob Nicole Sperch (Impact Asset Management), Hartmut Jaensch
(Prediqma) oder Frank Fischer (Shareholder Management): 2022 war kein
leichtes Jahr für die Macher der FOCUS MONEY-Musterdepots. Wie sich
die Empfehlungen des Trios geschlagen haben
17 Chartsignal: IBM-Aktie – den
Abwärtstrend endlich gebrochen
17 Börsenwissen: Medikamente –
drei Phasen bis zur Marktreife
18 Dividendenfonds: Solider Puffer
in schwierigem Börsenumfeld
moneymarkets
22 Oberbank: Vorstand Franz Gasselsberger
über Inflation und Rezession
25 PVA Tepla: Der Spezialist für
Kristallzucht kommt stark zurück
26 Performance-Bilanz: So haben
sich die FOCUS MONEY-Aktien-
Tipps seit August 2022 entwickelt
30 Bau-Riesen: Hochtief, Strabag
und Porr locken zwar mit hohen
Dividenden – doch Vorsicht!
4
Titelfoto: iStock Composing: FOCUS MONEY
FOCUS MONEY 3/2023
11. JANUAR 2023 www.money.de
34 Aurubis: Warum Anleger am
Investitionsprogramm des Metall-
Recyclers kräftig mitverdienen.
Plus: Interview mit Aurubis-
Vorstandschef Roland Harings
38 Interview: Noushin Irani, DWS-
Portfolio-Managerin, rechnet 2023
mit steigenden Biotech-Kursen
41 Biogen: Mit Lecanemab könnte
dem Alzheimer-Spezialisten der
große Wurf gelungen sein
42 Fossile Brennstoffe: Energiekonzerne
florieren. Wie Sie mit ETFs
und ETCs am Boom teilhaben
46 Demografie: Die Bürger in den
Industrie- und Schwellenländern
werden immer älter. Aktien, die
von diesem Trend profitieren
54 Unterm Strich: Die Bilanz 2022
der FOCUS MONEY-Musterdepots
58 „Economist“-Analyse: Kann
die französische Atomindustrie
die Wende schaffen?
moneydigital
50 Social Trends: Big Shopping via
Social Media gehört die Zukunft
51 Aktienanalyse: Telekom mit viel
Potenzial – und dicker Dividende
42
Erfolgreiche Exploration
Nach langer Trockenheit sprudeln die Einnahmen der Öl- und Energieunternehmen
wieder prächtig. Auch sollte der Höhenflug der umstrittenen
Branche vorerst noch anhalten – was Aktionäre freuen dürfte
dswanlegerschutz
62 Wirecard-Prozess: Wie Anleger
dank „Stichting Wirecard Investors
Claim“ ihr Geld zurückbekommen
moneyservice
64 Marktplatz: Highspeed-Internet-
Tarife, E-Bike-Tour in Frankreich
und Top-Smartphone für Genießer
66 Rechtsschutz: Die besten Policen
mit und ohne Selbstbeteiligung
70 Wohnungsunternehmen: Wo
Mieter ein gutes Zuhause finden
74 Leistungsfall: Welche Versicherer
Schäden wirklich fair regulieren
moneyanalyse
81 Fonds
82 Deutsche Aktien
90 Internationale Aktien
96 ETFs
97 Zertifikate
moneyrubriken
3 Editorial
80 Leserbriefe – Impressum
98 Termine
Quelle: Bloomberg
Rational
Aktienkurs in Euro
900
800
700
600
500
400
2020 2021 2022 2023
26
Resümee im Rückblick
Gut 32 Prozent konnte die Aktie des
Küchenspezialisten Rational (s. Chart)
seit der MONEY-Kaufempfehlung
zulegen. Gewinner und Verlierer der
Trading-Tipps im Überblick
34
„Unser globaler Anteil am Multimetall-
Recycling wird sich signifikant erhöhen“
ROLAND HARINGS, VORSTANDSVORSITZENDER AURUBIS
FOCUS MONEY 3/2023
Fotos: Aurubis, shutterstock Composing: FOCUS MONEY
5
moneytitel
TITEL
RICHTIG AB
Kursrückgänge trotz dicker
Firmengewinne führen zu
hohen Ausschüttungsrenditen.
Pünktlich zum Saisonstart
macht FOCUS MONEY den
großen Check und präsentiert:
die besten Dividendenaktien
für 2023
von JENS MASUHR
10
Same procedure as every year, James“, antwortet Miss
Sophie ihrem Butler seit fast 60 Jahren im Silvester-
Klassiker „Dinner for One“. Angesichts der langen Serie
an Rekordausschüttungen deutscher Großkonzerne
könnte der Kultspruch auch auf die im Februar
startende Dividendensaison der 40 Dax-Firmen passen.
2023 soll es wieder so weit sein. Prognosen zufolge landen im Spätwinter
und Frühling mit etwa 54 Milliarden Euro an Dividenden
gut sieben Prozent mehr auf den Konten der Aktionäre als im Vorjahr
– allen geopolitischen Krisen zum Trotz. Hingucker abseits
des Dax: Weil viele Aktienkurse 2022 kräftig Federn ließen, kommt
es in Extremfällen zu Fabelrenditen von bis zu 30 Prozent (Hapag-
Lloyd, WKN: HLAG47).
Was die Aktionäre verzückt, macht Kennern zu schaffen. „Wenn
die Rendite zu gut aussieht, um wahr zu sein, ist sie es in der Regel
auch nicht“, warnt Investmentstratege Mark Peden von der Vermögensverwaltung
des Versicherers Aegon. Hilmar Kopper, ehemaliger
Vorstandschef der Deutschen Bank, hielt Renditeversprechen
von fünf Prozent und mehr gar für „unseriös“. Danach wären rund
30 deutsche Ausschütter unter Verdacht – sieben davon aus dem
Dax, darunter Mercedes-Benz, der Wohnungskonzern Vonovia und
der Chemieriese BASF. Alle drei bieten Ausschüttungsrenditen zwischen
sieben und acht Prozent – weit abseits der Norm. Für Dividendenjäger
heißt es umso mehr: Augen auf beim Aktienkauf!
FOCUS MONEY 3/2023
20 Dividenden-
Tipps für 2023
Kräftige Kursrücksetzer
in 2022 lassen
die Dividendenrenditen
anschwellen. Um
Eintagsfliegen auszuschließen,
qualifizierten
sich für die Top
20 aus Deutschland
nur diejenigen, bei
denen Gewinn und/
oder Ausschüttung (je
Aktie) gegenüber Vorjahr
steigen.
Aktie WKN Branche Börsenwert
in Mrd.
Euro
Gewinn je Aktie
in Euro
Dividende je Aktie
in Euro für
2022e 2023e 2021 2022e
Dividendenrendite
in Euro
Kurs
für 2022e
in %
Kursziel
der
Analysten
DIC Asset A1X3XX Immobilien 0,63 0,65 0,88 0,75 0,73 9,6 7,62 12,70
Grand City Properties A1JXCV Immobilien 1,58 1,14 1,16 0,83 0,86 9,4 9,19 12,40
Wacker Chemie WCH888 Chemie 5,9 24,90 13,16 8,00 10,90 9,1 119,40 156,30
BMW 519003 Automobile 54,2 23,67 13,85 5,80 7,50 9,0 83,38 97,00
Mercedes-Benz 710000 Automobile 65,7 12,70 11,49 5,00 5,00 8,1 61,40 83,20
Freenet A0Z2ZZ Telekom 2,4 1,44 1,69 1,57 1,64 8,0 20,42 26,60
Vonovia A1ML7J Immobilien 17,5 2,53 2,41 1,66 1,77 8,0 22,02 37,10
Dt. Konsum Reit A14KRD Immobilien 0,3 1,19 1,26 0,40 0,60 7,9 7,56 14,40
Telefónica Deutschland A1J5RX Telekom 6,9 0,04 0,06 0,18 0,18 7,8 2,30 2,70
Hochtief 607000 Bau 4,0 6,73 6,53 1,91 4,07 7,7 52,68 57,40
VW Vz. 766403 Automobile 67,6 32,88 29,73 7,56 8,56 7,4 116,42 196,60
BASF BASF11 Chemie 41,8 6,56 4,73 3,40 3,40 7,3 46,39 55,00
Villeroy & Boch 765723 Keramik 102,8 2,44 2,27 1,00 1,17 7,0 16,75 25,80
Allianz 840400 Finanzen/Versich. 81,0 17,05 24,03 10,80 11,40 5,7 200,90 236,00
E.on ENAG99 Energie 24,4 0,92 0,86 0,49 0,51 5,5 9,33 10,60
Dt. Post 555200 Logistik 43,1 4,28 3,52 1,80 1,90 5,4 35,18 49,50
Bayer BAY001 Chemie 47,5 7,85 7,97 2,00 2,22 4,6 48,33 76,50
Daimler Truck DTROCK Automobile 23,8 3,51 3,58 0,00 1,31 4,5 28,95 39,70
Münchener Rück 843002 Finanzen/Versich. 42,2 22,80 29,61 11,00 11,58 3,8 304,00 314,00
Dt. Telekom 555750 Telekom 92,7 1,56 1,64 0,64 0,70 3,8 18,64 25,00
Quellen: Commerzbank, Bloomberg, eigene Recherche; Stand: 30.12.2022; e = erwartet
KASSIEREN
Vorsicht, Blender! Denn der Schein kann trügen.
Absurd hohe Renditen können die Folge starker Kursrückgänge
sein. Die Finanzmärkte wetten in dem Fall
darauf, dass sich Geschäftsmodelle ändern, die Gewinne
sinken und die Unternehmen gezwungen sind,
die Ausschüttungen zu kürzen. Beispiel: die deutsche
Autoindustrie. Milliardenkosten für die E-Mobilität
lassen Investoren zögern. Die Aktien bleiben links
liegen, ihre Kurse fallen, die Dividendenrenditen
(Quotient aus Dividende und Kurs) erreichen
Höchststände. Doch wie lange noch? Sinken die
Gewinne, könnte der Geldfluss versiegen. Sprich:
Die Dividenden werden gekürzt oder fallen aus.
Folge: Die Kurse purzeln weiter. Für die Besitzer
eine teure Erfahrung: Der erhoffte Dauer-
(Geld-)Regen erweist sich als One-Hit-Wonder.
FOCUS MONEY macht den großen Dividendencheck:
Wo sind die Dividenden hoch und
nachhaltig? Welche Bilanzen sind solide? Bei
wem zeigt der Gewinntrend nach oben, und wo
ist das Marktpotenzial groß genug, um dauerhaft
in Spendierlaune zu sein? Auf den nächsten
Seiten präsentieren wir das Beste aus deutschen
Landen (ab Seite 12), die erfolgreichsten Dividendenstrategien
europäischer und US-Spitzenfonds (ab
Seite 18), die zehn dividendenstärksten Einzelwerte
aus den USA (Seite 15) sowie ein Zertifikat auf ausschüttungsstarke
Aktien aus der Schweiz (Seite 16).
Die Zahlungen der Dividendenasse sind dabei in der
Regel überdurchschnittlich hoch und verlässlich.
Ein Pfund, auf das es künftig ankommt. Denn die
Zeit, in der Aktien als Geldanlage alternativlos sind,
geht zu Ende. Seit die Notenbanken über steigende
Zinsen das Geld verteuern, sind Anleihen wieder attraktiv.
Zwar dürften laut einer Commerzbank-Studie
24 der 40 Dax-Konzerne ihre Ausschüttung für
2022 anheben. In der Folge liegt die Dividendenrendite
im deutschen Börsenoberhaus im Schnitt bei 3,5
Prozent – 150 Basispunkte oberhalb der Rendite der
zehnjährigen Bundesanleihe. Allerdings: Auch die
Rendite für Euro-BBB-Unternehmensanleihen erlebt
ein Comeback. Seit Januar vergangenen Jahres geht’s
von 0,7 auf satte 4,2 Prozent nach oben (siehe Grafik
Seite 13).
Doppelt profitieren. Dazu kommt: Sollten die Inflationsraten
im Jahresverlauf sinken, beginnen mit
rückläufigem Zinstrend (wegen der gegenläufigen
Entwicklung von Preis und Rendite) die Kurse der
FOCUS MONEY 3/2023
11
moneymarkets
INTERVIEW
Wir stehen vor
einem sehr guten
Bankenjahr“
Franz Gasselsberger, CEO der Oberbank,
schließt eine Rezession in Europa aus. Einen
Insolvenz-Tsunami werde es nicht geben.
Für den Aktienmarkt bleibt er zurückhaltend
von HANS-PETER SIEBENHAAR
Herr Gasselsberger, die Inflation in Deutschland hat sich im
Dezember mit 8,6 Prozent deutlich abgeschwächt. Ist das
Schlimmste an Geldentwertung im Euro-Raum überstanden?
Franz Gasselsberger: Das Schlimmste bei der
Inflation haben wir tatsächlich hinter uns. Wir
haben eine ganze Reihe von Faktoren, welche
weitere Preissteigerungen dämpfen können.
Sinkende Rohstoffpreise und verbesserte Lieferketten
sorgen bereits heute für eine gewisse
Entspannung an der Preisfront.
Treiben höhere Tarifabschlüsse nicht die Inflation
weiter an?
Gasselsberger: Deutschland hat den Vorteil,
dass es mehrjährige Tarifverträge gibt.
In Österreich sieht mit den zuletzt abgeschlossenen
Tarifverträgen die Situation
anders aus. Dort könnte dies zu negativen
Effekten für die Inflation führen.
22 Foto: Oberbank
Composing: FOCUS MONEY
FOCUS MONEY 3/2023
2022 lag sie mit einem Jahresdurchschnitt von 7,9
Prozent so hoch wie zuletzt 1951. Was macht diese
Erfahrungen in den Köpfen ihrer Kunden?
Gasselsberger: Es gibt einen positiven
Effekt.
Welchen denn . . .?
Gasselsberger: … Anleger haben durch die
höhere Inflation eine größere Bandbreite von
Investitionsmöglichkeiten. In der vergangenen
zehn Jahren gab es nur noch zwei Anlageformen:
das kurzfristige Parken von Geldern
oder in Aktienfonds beziehungsweise
Aktien zu gehen. Jetzt steht wieder die ganze
Palette von Anlageformen zur Verfügung. Das ist ein großer
Vorteil für Anleger.
Franz Gasselsbergerr
Seit zwei Jahrzehnten
führt der Österreicher als
CEO die Oberbank. Er gilt
als der dienstälteste
Vorstandschef einer
börsennotierten Bank im
Euro-Raum. Der 62-Jährige
gehört dem Aufsichtsrat
des Stahlkonzerns
Voestalpine und des
Faserkonzerns Lenzing an.
Zudem fungiert Gasselsberger
als Honorarkonsul
Deutschlands in Linz.
Allerdings wissen wir nicht, wie schnell die
Inflation tatsächlich zurückgehen wird.
Stehen wir vor einer Rezession oder zumindest
einer kleinen Re zession?
Gasselsberger: Ich persönlich glaube nicht,
dass wir eine Rezession im Euro-Raum erleben
werden. Das Wort Rezession habe ich bereits
aus meinem Sprachschatz gestrichen.
Wenn sich die geopolitische Situation – allen
voran der Ukraine-Krieg – entspannt, kann
es zu konjunkturellem Rückenwind kommen,
der dann auch der Börse nutzen wird. Der
Aktienmarkt braucht einen Katalysator,
wie eine gute konjunkturelle Entwicklung und steigende
Gewinne.
Wird es zu einem Comeback der Anleihen kommen?
Gasselsberger: Wir stellen fest, dass die Anleihe wieder ein
Comeback feiert. Als ich vor 40 Jahren in der Oberbank begann,
herrschte das ungeschriebene Gesetz: Zuerst geht man
ins Sparbuch, dann in die Anleihe und schließlich in die Aktie.
Das ist über viele Jahre in Vergessenheit geraten. Mit den steigenden
Zinsen ändert sich das gerade. Festverzinsliche Wertpapiere
werden aufgrund des Zinsniveaus wieder attraktiv.
Aber 2022 war doch ein ausgesprochen miserables Jahr für Anleihen.
Ist das eine gute Voraussetzung für das Comeback der Anleihe?
Gasselsberger: 2022 war das schlechteste Jahr für Anleihen
seit wahrscheinlich 100 Jahren. Ich bin aber überzeugt, dass
es gute Voraussetzungen für ein Comeback von Bonds gibt.
Denn auf der Seite der Aktie gibt es keine Übertreibungen,
sondern Normalität. Im Fall von Anleihen gibt es bei einer
Laufzeit von fünf Jahren bereits vier Prozent Rendite. Das ist
auch unter dem Gesichtspunkt sich verändernder Zinsen
eine vertretbare Laufzeit. Jetzt ist ein sehr guter Zeitpunkt,
in Anleihen zu investieren.
Das abgelaufene Börsenjahr war alles andere als gut. Der deutsche
Leitindex Dax fiel im Jahr 2022 um zwölf Prozent. Schauen Sie ins
Börsenjahr 2023 mit größerer Zuversicht?
Gasselsberger: Für den Aktienmarkt bin ich zurückhaltend.
Um eine Kursfantasie zu entwickeln, bräuchten wir eine
Zinssenkung. Doch nach einer Zinssenkung sieht es in Europa
und Nordamerika nicht aus. Das haben Europäische Zentralbank
(EZB) und Federal Reserve (Fed) klargemacht. Außerdem
gibt es für Anleger genügend Alternativen zu Aktien.
Können sich Anleger auf die Vorhersagen der EZB hinsichtlich der
Inflation überhaupt noch verlassen?
Gasselsberger: Die EZB hat sich bei ihren Inflationsprognosen
im vergangenen Jahr mehrmals geirrt. Das hat ihrem
Ansehen geschadet. Die Währungshüter haben die durchschnittliche
Inflationserwartung mit 6,5 Prozent festgesetzt.
FOCUS MONEY 3/2023
Sollte die EZB angesichts der sinkenden Preissteigerungen ihre
Zinsen in diesem Jahr nicht mehr so aggressiv anheben?
Gasselsberger: Die Erwartung im Markt ist eine Anhebung
des Leitzinses auf 3,5 Prozent. EZB-Präsidentin Christine
Lagarde hat mit ihrer Klarheit der Worte den Markt vor
Weihnachten überrascht. Diese Klarheit hatte sie in der
Vergangenheit nicht immer an den Tag gelegt. Das alles
Entscheidende wird die weitere Entwicklung der Inflation
sein.
Ist das Inflationsziel der EZB von zwei Prozent noch sinnvoll?
Gasselsberger: Wenn man dieses Ziel erreichen will, sind
weitere Zinsanhebungen unumgänglich. Für die Aktienmärkte
ist aber eine Inflation zwischen drei bis vier Prozent
ideal. Auf diesem Niveau wäre auch ein entsprechendes
Wachstum impliziert.
Nochmals zur Frage: Ist das 2-Prozent-Ziel richtig?
Gasselsberger: Vor einem Jahr hatte EZB-Chefin Lagarde
noch verkündet, es werde im Jahr 2022 keine Zinserhöhung
geben. Ein Irrtum, wie wir wissen. Vor diesem Hintergrund
nehme ich auch das Ziel von zwei Prozent Inflation nicht besonders
ernst. Ich sehe daher sehr gelassen, was die EZB bisweilen
von sich gibt. Ohnehin erwarte ich von den Notenbankern
eine gewisse Flexibilität.
Wann wird es eine Rückkehr zur Normalität bei der Geldentwertung
geben?
Gasselsberger: Wir dürfen den Ist-Zustand nicht in die Zukunft
projektieren. Das hat uns das Jahr 2022 gerade beim
Thema Inflation gezeigt. Niemand kann derzeit exakt sagen,
wie die Geldentwertung aussehen wird. Doch ich bin zuversichtlich,
dass viele Parameter wie Rohstoffe oder Energiepreise
sich wieder auf ein Normalmaß reduzieren werden.
Höhere Zinsen sind für die Banken wie ein Konjunkturprogramm. Brechen
goldene Zeiten für die Finanzinstitute an?
23
moneymarkets
HOCHTIEF, STRABAG, PORR
Bonanza
am Bau
NACHHALTIG BAUEN: Die Strabag-Tochter
Züblin baut mit CO 2 -reduziertem Beton die
140 Meter hohe Edge East Side in Berlin
Großaufträge des Staates und der
Industrie machen Konzerne immun
gegen die Krise im privaten Wohnungsbau.
Die Bauriesen locken mit hohen
Dividenden und niedrigen Bewertungen.
Doch es gibt einen Nachteil
von HANS-PETER SIEBENHAAR
Sei schlau, geh zum Bau!“, hieß früher der Reklamespruch,
um junge Menschen für die ungeliebte Branche
zu gewinnen. Für Thomas Birtel, den langjährigen CEO
des börsennotierten Baukonzerns Strabag, hat sich die berufliche
Entscheidung für die Baubranche gelohnt. 16 Jahre gehörte
er dem Vorstand der Strabag SE an, davon zehn Jahre als
Vorstandsvorsitzender. Der gebürtige Wuppertaler hat zum
Jahreswechsel seinen Schreibtisch in der Strabag-Zentrale mit
dem One Million Dollar View über Wien in bester Laune geräumt.
Denn er hinterlässt einen europäischen Baukonzern,
dessen Auftragsbücher randvoll sind. „Die Nachfrage nach
Bauleistung für Infrastruktur leidet derzeit noch nicht unter
den gestiegenen Zinsen. Hohe Finanzmittel stehen bereits zur
Verfügung, beispielsweise durch den Corona-Wiederaufbau-
30
Foto: Züblin
Composing: FOCUS MONEY
FOCUS MONEY 3/2023