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Stadt-Land-Wissen 01-2023 Green-Deal - die Wende zu mehr Nachhaltigkeit

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AUSGABE <strong>01</strong>.<strong>2023</strong><br />

<strong>Stadt</strong>. <strong>Land</strong>. <strong>Wissen</strong>.<br />

Moderne <strong>Land</strong>wirtschaft – anders, als du denkst.<br />

GREEN DEAL<br />

Die <strong>Wende</strong> <strong>zu</strong> <strong>mehr</strong><br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

LANDWIRT DES JAHRES<br />

Benedikt Bösel über<br />

neue Formen der<br />

<strong>Land</strong>nut<strong>zu</strong>ng Seite 26<br />

URLAUB AUF DEM BAUERNHOF<br />

Mein Bett am<br />

Kornfeld Seite 21<br />

AKTUELLE STUDIE<br />

Der Alltag moderner<br />

<strong>Land</strong>wirtinnen Seite 18<br />

Forum Moderne <strong>Land</strong>wirtschaft


2<br />

INTERNATIONALE<br />

GRÜNE WOCHE<br />

Spannende Eindrücke vom Feld und aus dem Stall.<br />

Der ErlebnisBauernhof gehört <strong>zu</strong> den Attraktionen<br />

der <strong>Land</strong>wirtschaftsmesse in Berlin. Vom 20.<br />

bis 29. Januar <strong>2023</strong> kann sich dort jeder Besucher<br />

umfassend darüber informieren, wie unsere<br />

Lebensmittel heute und morgen produziert werden.<br />

Mehr da<strong>zu</strong> lesen Sie auf Seite 13


In <strong>die</strong>sem Heft<br />

Daten & Fakten<br />

Der Wandel der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

Die Agrarbranche und ihr Weg <strong>zu</strong> <strong>mehr</strong><br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 4<br />

EDITORIAL<br />

FOTOS: TIMOJAWORR, FML; TITELFOTOS: GESA LANGENBERG, TIMO JAWORR<br />

Titelthema <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong><br />

Die <strong>Wende</strong> <strong>zu</strong> <strong>mehr</strong> <strong>Nachhaltigkeit</strong> . . . . . . . S. 6<br />

„Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos" –<br />

Jens Lönneker über das Verhältnis zwischen<br />

Verbrauchern und der <strong>Land</strong>wirtschaft . . . . . . S. 9<br />

Frauen in der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

<strong>Land</strong>wirtin aus Leidenschaft . . . . . . . . . . . S. 10<br />

Der Alltag moderner <strong>Land</strong>wirtinnen . . . . . . S. 18<br />

Aktion <strong>Land</strong>wirt für einen Tag<br />

Vom Computer aufs Feld . . . . . . . . . . . . . . S. 14<br />

Innovationen<br />

Über das blaue Wunder und Robi,<br />

den Rübenroboter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 16<br />

Urlaub auf dem Bauernhof<br />

Mein Bett am Kornfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 21<br />

Architektur<br />

Schöner wohnen auf dem <strong>Land</strong> . . . . . . . . . S. 22<br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

Gesundmacher für Mensch und Natur . . . . S. 24<br />

Ausprobieren, analysieren, anwenden:<br />

Benedikt Bösel entwickelt neue Formen<br />

für eine naturverträgliche <strong>Land</strong>nut<strong>zu</strong>ng . . . S. 26<br />

Expertentipps für einen umweltfreundlicheren<br />

Einkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 28<br />

So funktioniert eine Klima-Milchfarm . . . . S. 32<br />

Bio oder konventionell? . . . . . . . . . . . . . . . . S. 34<br />

Grüne Berufe<br />

Vielseitig, naturverbunden, bodenständig . . . S. 30<br />

Standards<br />

Meldungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 13<br />

Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 35<br />

Gewinnspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 36<br />

Auf dem Titel <strong>Land</strong>wirtin Gesa Langenberg führt den Hof<br />

ihrer Familie in der 14. Generation, <strong>mehr</strong> auf Seite 10<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

der Krieg in der Ukraine und seine Auswirkungen haben<br />

uns allen vor Augen geführt, wie wichtig eine <strong>zu</strong>verlässige<br />

Versorgung mit heimischen Lebensmitteln ist. Gleichzeitig<br />

wünschen sich <strong>die</strong> Menschen <strong>Nachhaltigkeit</strong> im Stall<br />

und auf dem Acker. Nach den Zielen einer <strong>zu</strong>kunftsfähigen<br />

<strong>Land</strong>wirtschaft gefragt, haben für <strong>die</strong> Deutschen neben<br />

der Gewährleistung der Versorgungssicherheit (45,1 Prozent)<br />

vor allem hohe Tierwohlstandards (47,9 Prozent)<br />

und eine umweltschonende Produktion (40,7 Prozent)<br />

oberste Priorität. Das zeigt eine aktuelle Umfrage, <strong>die</strong><br />

wir vom Forum Moderne <strong>Land</strong>wirtschaft gemeinsam mit<br />

den Meinungsforschern von Civey erhoben haben.<br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong> und Versorgungssicherheit – das ist kein<br />

Gegensatz. <strong>Land</strong>wirtschaft schafft beides. Wie das<br />

gelingt, das wollen wir Ihnen gerne in <strong>die</strong>ser Ausgabe<br />

von <strong>Stadt</strong>. <strong>Land</strong>. <strong>Wissen</strong>. zeigen.<br />

Wir erklären, was hinter dem <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong> steckt, den <strong>die</strong><br />

Europäische Kommission beschlossen hat, um weltweit<br />

eine Vorreiterrolle in Sachen Klima- und Umweltschutz<br />

ein<strong>zu</strong>nehmen. Die jungen <strong>Land</strong>wirte Gesa Langenberg<br />

(33) und Benedikt Bösel (38) geben Einblick in <strong>die</strong> Arbeit<br />

auf ihren Höfen. Wir zeigen, wie klimafreundliche Milch<br />

entsteht. Und wir haben sieben Tipps für umweltbewusstes<br />

Einkaufen für Sie <strong>zu</strong>sammengetragen. Um es Ihnen <strong>zu</strong><br />

erleichtern, <strong>die</strong>se Tipps auch gleich um<strong>zu</strong>setzen, verlosen<br />

wir im Rahmen unseres Gewinnspiels auf der Rückseite des<br />

Magazins 50Einkaufsgutscheine von Lidl und Kaufland.<br />

Darüber hinaus bieten wir im Januar spannende Eindrücke<br />

vom Feld und aus dem Stall <strong>zu</strong>m Anfassen: Auf dem<br />

ErlebnisBauernhof auf der Internationalen Grünen Woche<br />

in Berlin kann sich jeder umfassend darüber informieren,<br />

wie nachhaltig unsere Lebensmittel heute und morgen<br />

produziert werden. Unter dem Motto „Ernährung sichern.<br />

Natur schützen.“ zeigen wir, wie es der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

gelingt, <strong>die</strong> Versorgung der Bevölkerung mit hochwertigen<br />

Lebensmitteln sicher<strong>zu</strong>stellen und gleichzeitig vielfältige<br />

Maßnahmen <strong>zu</strong>m Schutz von Natur, Artenvielfalt und<br />

Tierwohl um<strong>zu</strong>setzen. Ich freue mich, wenn Sie uns dort<br />

besuchen (20.–29. Januar <strong>2023</strong>, Messe Berlin, Halle 3.2).<br />

Jetzt wünsche ich Ihnen aber erst einmal ganz viel Spaß<br />

beim Lesen <strong>die</strong>ser Ausgabe<br />

Ihre Lea Fließ<br />

Geschäftsführerin Forum Moderne <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

3


GESTERN<br />

Die Dreifelderwirtschaft war <strong>die</strong><br />

<br />

verbreitete Bewirtschaftungsform.<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

1950<br />

<br />

<br />

1960<br />

<br />

<br />

Der Wandel der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

<br />

<strong>die</strong> Meilensteine der Agrarbranche<br />

Durch den Fort-<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

werden. Dadurch verdoppelten sich<br />

in den letzten knapp 70 Jahren <strong>die</strong><br />

Erträge von Kartoffeln.<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Dadurch<br />

sind sie in der<br />

Lage, Umweltbelastungen<br />

<strong>zu</strong><br />

reduzieren und<br />

Kosten <strong>zu</strong> sparen<br />

2021<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

verringern<br />

<br />

<br />

Denn je frischer das<br />

Futter ist und je schneller<br />

der Kot entfernt wird,<br />

desto weniger Methangas<br />

gerät in <strong>die</strong> Atmosphäre<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

ren. Das verringert massiv <strong>die</strong><br />

Umweltbelastungen<br />

MORGEN<br />

<br />

um 50 Prozent verringert, 20 Prozent weniger Dünger<br />

verwendet und der Ökolandbau auf 30 Prozent<br />

gesteigert werden.<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

geht<br />

FOTO: <br />

<br />

4


1980<br />

Der Ertrag eines Hektars<br />

Weizen ist auf 4890 kg<br />

gestiegen<br />

Heute<br />

liegt der Ertrag<br />

eines Hektars<br />

Weizen bei rund<br />

7610 kg<br />

Daten & Fakten<br />

<br />

1990<br />

<strong>Land</strong>wirtschaftsbetriebe<br />

Ein <strong>Land</strong>wirt versorgt<br />

sind es 1990<br />

mit seiner Arbeit bereits<br />

insgesamt<br />

69 Menschen<br />

2000<br />

88<br />

Präzisionslandwirtschaft<br />

Millionen Tonnen<br />

Sensoren und andere digitale<br />

Treibhausgasausstoß<br />

Lösungen messen den tatsächlichen<br />

Bedarf an Nährstoffen und<br />

wurden in 1990<br />

gemessen<br />

Planzenschutzmitteln und helfen,<br />

sie präzise aus<strong>zu</strong>bringen<br />

50 HEUTE<br />

Ohne den Einsatz von<br />

Mineraldünger könnten<br />

nur 50 % aller Menschen<br />

ernährt werden<br />

2021<br />

54,8<br />

Millionen Tonnen Treibhausgasausstoß wurden<br />

in 2021 allein in Deutschland gemessen.<br />

Das entspricht gegenüber 1990 einer Reduzierung<br />

von 33,2 Millionen Tonnen<br />

Züchtungsmethoden<br />

wie CRISPR/Cas<br />

ermöglichen es, natürliche<br />

Abwehr reaktionen von<br />

<br />

sie weniger Dünger und<br />

<br />

Neue Züchtungsmethoden<br />

Mit dem Forschungsvorhaben PILTON<br />

<br />

und dauerhafter Pilztoleranz entwickelt<br />

<br />

schonung beitragen würde<br />

2020<br />

<br />

<br />

werden mit emissionsmindernder<br />

Technik ausgebracht.<br />

Innerhalb von 10 Jahren<br />

ist das eine Verbesserung<br />

um 34 Prozent<br />

Fruchtfolge<br />

Durch erweiterte Fruchtfolgen<br />

und dem Anbau<br />

von Zwischenfrüchten<br />

wird <strong>die</strong> Bodenqualität<br />

verbessert. So können<br />

Düngemittel eingespart<br />

werden<br />

Jeder 10.<br />

<strong>Land</strong>wirt setzt<br />

bereits<br />

Drohnen ein.<br />

Mit ihnen werden<br />

<strong>zu</strong>m Beispiel Bodenbearbeitung<br />

und<br />

Ernte optimiert<br />

Moderne Feldroboter<br />

Der Ablageort jedes Saatkorns wird mithilfe<br />

von Satellitennavi und Cloud Computing<br />

<br />

schutz oder Düngung danach präzise an<br />

<br />

Vorteile der<br />

Roboter<br />

Die <strong>Land</strong>wirtschaft ist von Politik und<br />

Gesellschaft angehalten, genügend hochwertige<br />

Lebensmittel <strong>zu</strong> produzieren<br />

und gleichzeitig <strong>die</strong> Umwelt <strong>zu</strong> schützen<br />

Über <strong>die</strong> Hälfte der heutigen Mittelklassetrecker<br />

sind mit GPS ausgestattet<br />

GPS-Steuerung von <strong>Land</strong>maschinen<br />

verringert den Treibstoffbedarf.<br />

Ein Traktor mit Satellitennavi kann auf bis <strong>zu</strong><br />

zwei Zentimeter genau gesteuert werden.<br />

<br />

schutzmittel hochpräzise verteilen<br />

Hackroboter<br />

Sie werden künftig das Unkraut<br />

<br />

exakt entfernen, wodurch <strong>die</strong><br />

<br />

mitteln reduziert wird<br />

Sie können rund um <strong>die</strong> Uhr arbeiten<br />

Weniger Bodenverdichtung wegen des geringen Gewichts<br />

Weniger Energieverbrauch als <strong>die</strong> großen Maschinen<br />

5


Titelthema <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong><br />

Ernährung sichern. Natur schützen.<br />

Die <strong>Wende</strong> <strong>zu</strong> <strong>mehr</strong><br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

Die Europäische Kommission will weltweit eine Vorreiterrolle in Sachen Klima- und<br />

Umweltschutz einnehmen und hat 2<strong>01</strong>9 den <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong> beschlossen. Wir befragen<br />

<br />

Sind wegen Pandemie, Energiekrise<br />

und Ukraine-Krieg Änderungen der<br />

<br />

Christiane Seidel: Gerade wegen der<br />

aktuellen Situation brauchen wir <strong>mehr</strong><br />

Umwelt-, Klima- und Verbraucherschutz.<br />

Es wäre fatal, wenn der Krieg gegen <strong>die</strong><br />

Ukraine da<strong>zu</strong> führen würde, dass dringend<br />

notwendige Reformen ausgebremst<br />

oder gestoppt werden. Damit würde <strong>die</strong><br />

Anfälligkeit von Lieferketten und landwirtschaftlicher<br />

Produktion nur weiter<br />

verschärft werden. Darunter würden<br />

auch <strong>Land</strong>wirte leiden. Verbraucher<br />

müssten sich <strong>zu</strong>dem vermutlich auf weitere<br />

Preissteigerungen einstellen. Die aktuellen<br />

Krisen verdeutlichen <strong>die</strong> Schwächen<br />

der nationalen und internationalen<br />

Agrar- und Ernährungssysteme. Am Ende<br />

hängen <strong>die</strong> einzelnen Krisen in den Bereichen<br />

Energie und Klima bis hin <strong>zu</strong> Biodiversität,<br />

Boden, Hunger, Vertreibung<br />

und Ernährungssicherung <strong>zu</strong>sammen.<br />

Die Krisen dürfen nicht gegeneinander<br />

ausgespielt werden. Stattdessen müssen<br />

wir gemeinsam <strong>zu</strong>r Lösung beitragen.<br />

Dr. Hubertus Paetow: Die Herausforderungen<br />

bei Klimaschutz und Artenvielfalt<br />

sind durch <strong>die</strong> Krise nicht gelöst, sondern<br />

erweitert um <strong>die</strong> Herausforderung<br />

der Ernährungssicherung. Die extensive<br />

Bewirtschaftung der Ackerflächen als<br />

Lösung scheidet aus, deshalb wird eine<br />

nachhaltige Innovation wichtig.<br />

Janusz Wojciechowski: Die Aggression<br />

Russlands in der Ukraine hat tiefgreifende<br />

Auswirkungen auf das globale Lebensmittelsystem.<br />

Die Lebensmittelsicherheit ist<br />

<strong>zu</strong> einem zentralen Anliegen geworden. In<br />

der Kommission beobachten wir <strong>die</strong> Situation<br />

und <strong>die</strong> Agrarmärkte sehr genau.<br />

In der EU haben wir das Glück, dass <strong>die</strong><br />

Christiane Seidel<br />

Referentin Team<br />

Lebensmittel, Verbraucherzentrale<br />

Bundesverband e.V.<br />

„Die Krisen dürfen<br />

nicht gegeneinander<br />

ausgespielt werden“<br />

Christiane Seidel<br />

Ernährungssicherheit heute nicht gefährdet<br />

ist, da <strong>die</strong> EU bei allen wichtigen<br />

Agrarprodukten weitgehend autark ist.<br />

Auch wenn kurzfristige Maßnahmen<br />

erforderlich sind, um mit <strong>die</strong>ser Ausnahmesituation<br />

fertig <strong>zu</strong> werden, dürfen<br />

wir nicht vergessen, dass der Übergang<br />

<strong>zu</strong> einer nachhaltigeren <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

unser einziger Weg <strong>zu</strong> einer langfristigen<br />

Ernährungssicherheit ist. In <strong>die</strong>sem Sinne<br />

ist es wichtig, an den Leitlinien der „Farm<br />

to Fork“-Strategie fest<strong>zu</strong>halten und dabei<br />

<strong>die</strong> Ausgangspunkte der Mitgliedstaaten<br />

<strong>zu</strong> berücksichtigen.<br />

Welches ist <strong>die</strong> größte Herausforderung<br />

bei der Umset<strong>zu</strong>ng des <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong>s für<br />

<strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtschaft?<br />

Christiane Seidel: Die <strong>Wende</strong> hin <strong>zu</strong><br />

<strong>mehr</strong> <strong>Nachhaltigkeit</strong> in <strong>Land</strong>wirtschaft,<br />

Lebensmittelproduktion und Ernährung<br />

muss gelingen. In der „Farm to Fork“-<br />

Strategie, als Teil des <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong>s, hat<br />

<strong>die</strong> Europäische Kommission Ansätze<br />

formuliert, wie der Übergang <strong>zu</strong> einem<br />

fairen, gesunden und umweltfreundlichen<br />

Lebensmittelsystem in Europa gestaltet<br />

werden kann. Dabei wird jede Stufe der<br />

Lebensmittelwertschöpfungskette, von<br />

der Produktion über den Vertrieb bis<br />

<strong>zu</strong>m Verbrauch, einbezogen. Es liegt an<br />

allen Akteuren, das Erreichen <strong>die</strong>ser Ziele<br />

konstruktiv <strong>zu</strong> unterstützen. Ohne eine<br />

Veränderung der Konsumgewohnheiten,<br />

<strong>zu</strong>m Beispiel geringeren Fleischkonsum,<br />

6


Dr. Hubertus<br />

Paetow Präsident<br />

der Deutschen<br />

<strong>Land</strong>wirtschaftsgesellschaft<br />

(DLG)<br />

„Die extensive<br />

Bewirtschaftung<br />

<br />

scheidet als Lösung<br />

aus, deshalb wird<br />

eine nachhaltige<br />

Innovation wichtig“<br />

Dr. Hubertus Paetow<br />

FOTOS: VERBRAUCHERZENTRALE BUNDESVERBAND, STEVEN LUEDTKE<br />

wird es nicht gehen. Genauso ist eine<br />

Verringerung der landwirtschaftlich gehaltenen<br />

Tiere und eine Erhöhung der<br />

Tierhaltungsstandards notwendig.<br />

Dr. Hubertus Paetow: Bei vielen Umset<strong>zu</strong>ngsvorschlägen<br />

mischen sich vernünftige<br />

Konzepte der nachhaltigen<br />

Entwicklung mit politisch-ideologischen<br />

Denkverboten und Fehleinschät<strong>zu</strong>ngen.<br />

Die Umset<strong>zu</strong>ng wird nur gelingen, wenn<br />

man <strong>die</strong>s sauber voneinander trennt.<br />

<br />

aufgefangen werden ?<br />

Christiane Seidel: Ernährungsgewohnheiten<br />

werden sich verändern müssen,<br />

und sie verändern sich auch längst. Es<br />

muss weniger in Tank und Trog und <strong>mehr</strong><br />

direkt auf dem Teller landen. Die Mehrheit<br />

der Verbraucher gibt in Umfragen<br />

an, entweder schon weniger Fleisch <strong>zu</strong><br />

essen oder sich <strong>die</strong>s vor<strong>zu</strong>nehmen. Zwei<br />

Drittel würden ihre Ernährung aus Klima-<br />

und Umweltschutzgründen anpassen.<br />

Eine aktuelle Befragung zeigt, dass<br />

sich sogar 34 Prozent der Befragten vorstellen<br />

können, komplett auf Fleisch <strong>zu</strong><br />

verzichten. Die meisten Verbraucher sind<br />

also an Bord, wenn es darum geht, <strong>die</strong><br />

eigene Ernährung nachhaltiger <strong>zu</strong> gestalten.<br />

Damit <strong>die</strong>s auch tatsächlich gelingt,<br />

muss es im Alltag auch einfacher<br />

werden, sich nachhaltig <strong>zu</strong> ernähren. Da<br />

ist <strong>die</strong> Politik gefragt. Hier einige Ansätze:<br />

Die Tierhaltung muss grundlegend umgebaut<br />

werden, Obst und Gemüse sollten<br />

von der Mehrwertsteuer befreit werden,<br />

das Angebot vegetarischer und veganer<br />

Alternativen in der Gemeinschaftsverpflegung<br />

steigen. Außerdem sollte der<br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong>sfußabdruck von Lebensmitteln<br />

einfach erkennbar sein.<br />

Dr. Hubertus Paetow: Der Schlüssel <strong>zu</strong>r<br />

Sicherstellung der Versorgung sind Neuerungen<br />

wie <strong>die</strong> Nut<strong>zu</strong>ng angepasster<br />

Pflanzensorten oder mechanische Unkrautregulierung<br />

mit autonomen Systemen<br />

wie mit Robotern. Die EU kann,<br />

ähnlich wie bei der Energieversorung,<br />

nicht ohne Nahrungsmittelimporte auskommen.<br />

Hier gilt es, Abhängigkeiten<br />

von Lieferketten <strong>zu</strong> vermeiden.<br />

Werden sich alle EU-Staaten an den<br />

<br />

Dr. Hubertus Paetow: Das ist aus deutscher<br />

Sicht eine schwierige Diskussion.<br />

Viele Länder in Europa sind heute schon<br />

weiter im Klimaschutz, jedenfalls was den<br />

aktuellen Pro-Kopf-Ausstoß an Treibhausgasen<br />

betrifft. Die Ziele <strong>zu</strong>r Minderung<br />

sind EU-weit definiert, aber es zeichnet<br />

sich jetzt schon ab, dass einige Länder<br />

<strong>die</strong>se nicht erreichen werden. Die aktuelle<br />

Energiekrise in Deutschland aufgrund der<br />

Abhängigkeit von Energieimporten wirkt<br />

hier nicht motivierend auf <strong>die</strong>se Länder.<br />

Janusz Wojciechowski: Wir wissen, dass<br />

sich der Klimawandel auf alle Teile Europas<br />

auswirkt. Wetterumschwünge und <strong>die</strong><br />

Dürren beeinträchtigen <strong>die</strong> Ernteerträge<br />

und <strong>die</strong> Produktivität der Viehwirtschaft.<br />

Es handelt sich um ein globales Problem,<br />

das wir auf EU-Ebene in Zusammenarbeit<br />

mit allen Ebenen der Behörden und der<br />

Zivilgesellschaft besser angehen können.<br />

Die Strategiepläne der Gemeinsamen Agrarpolitik<br />

(GAP) bieten <strong>die</strong> nötige Flexibilität,<br />

<strong>die</strong> jedes <strong>Land</strong> braucht. Sie können<br />

<strong>die</strong> Maßnahmen wählen, <strong>die</strong> am besten<br />

auf ihre lokalen Bedürfnisse <strong>zu</strong>geschnitten<br />

sind, um unsere EU-weiten Ziele in<br />

Be<strong>zu</strong>g auf Umwelt und Klima <strong>zu</strong> erreichen.<br />

Zum Beispiel könnten <strong>die</strong> skandinavischen<br />

Staaten <strong>mehr</strong> Gewicht auf <strong>die</strong><br />

Wälder legen, während sich <strong>die</strong> südlichen<br />

Länder auf den Wasser- und Bewässerungsbedarf<br />

konzentrieren könnten. In<br />

der neuen GAP werden <strong>mehr</strong> Mittel als<br />

je <strong>zu</strong>vor für umweltfreundliche Praktiken,<br />

biologische Vielfalt und Tierschutz bereitgestellt.<br />

Deutschland beispielsweise<br />

wird von <strong>2023</strong> bis 2027 für <strong>die</strong> GAP 30,5<br />

Milliarden Euro erhalten, wovon ungefähr<br />

9,7 Milliarden Euro direkt für Umwelt-<br />

und Klimaziele verwendet werden.<br />

Ein weiterer Schwerpunkt des deutschen<br />

Plans bis 2030 ist der ökologische <strong>Land</strong>bau<br />

mit dem Ziel, 30 Prozent der landwirtschaftlichen<br />

Nutzfläche ökologisch<br />

<strong>zu</strong> bewirtschaften.<br />

Ist <strong>die</strong> Versorgung mit hochwertigen<br />

und bezahlbaren Nahrungsmitteln ge-<br />

<br />

Christiane Seidel: Der Ukraine-Krieg und<br />

<strong>die</strong> humanitären Folgen in vielen Ländern<br />

zeigen, wie vernetzt unser globales<br />

<strong>Land</strong>wirtschafts- und Lebensmittelsystem<br />

ist. Das Wegbrechen wichtiger lebensmittelerzeugender<br />

Länder hat Auswirkung<br />

auf <strong>die</strong> globale Verteilung von<br />

Lebensmitteln sowie auf <strong>die</strong> Entwicklung<br />

internationaler Lebensmittel-<br />

7


Titelthema <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong><br />

„Die Aggression Russlands in der Ukraine hat tiefgreifende<br />

Auswirkungen auf das globale Lebensmittelsystem“ Janusz Wojciechowski<br />

preise. Das ist vor allem in den Ländern<br />

der Fall, <strong>die</strong> bereits vor dem Krieg gegen<br />

<strong>die</strong> Ukraine auf humanitäre Hilfe angewiesen<br />

waren. Vor allem in Ostafrika leiden<br />

<strong>die</strong> Menschen seit Jahren unter ausbleibenden<br />

Ernten – als nur eine Folge<br />

der Klimakrise. Für <strong>die</strong>se globalen Verteilungsprobleme<br />

braucht es langfristige,<br />

strukturelle und engagierte Lösungen.<br />

Auch wenn in Deutschland <strong>die</strong> Lebensmittelpreise<br />

in den letzten Monaten<br />

gestiegen sind, ist <strong>die</strong> Versorgung mit<br />

Lebensmitteln grundsätzlich gesichert.<br />

Der Selbstversorgungsgrad Deutschlands<br />

liegt bei Produkten wie Fleisch,<br />

Kartoffeln, Milch und Weizen deutlich<br />

über 100 Prozent. Wir sehen aktuell<br />

keinen Anlass <strong>zu</strong>r Annahme, dass <strong>die</strong><br />

Versorgungssicherheit in Deutschland<br />

gefährdet ist. Gleichzeitig brauchen einkommensschwache<br />

Verbraucher Unterstüt<strong>zu</strong>ng,<br />

damit sie sich ausreichend und<br />

ausgewogen ernähren können.<br />

Ist <strong>die</strong> europäische Agrarwirtschaft<br />

durch den <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong> international<br />

noch wettbewerbsfähig?<br />

Christiane Seidel: Wichtig ist, dass <strong>die</strong><br />

Erhöhung von <strong>Nachhaltigkeit</strong>sstandards<br />

in der EU von einer Handelspolitik flankiert<br />

wird, <strong>die</strong> wesentlich weniger nachhaltige<br />

Importe <strong>zu</strong> wesentlich günstigeren<br />

Preisen unterbindet. Sonst werden<br />

europäische <strong>Nachhaltigkeit</strong>sbemühungen<br />

unterminiert. Es muss deshalb si-<br />

chergestellt werden, dass auch für importierte<br />

Produkte <strong>die</strong>selben Standards<br />

gelten wie für in der EU produzierte<br />

Lebensmittel. Eine verbindliche Kennzeichnung<br />

von <strong>Nachhaltigkeit</strong>saspekten,<br />

einschließlich des Tierwohls, sowie ein<br />

umfassendes europäisches Lieferkettengesetz<br />

sind ebenso wichtig.<br />

Dr. Hubertus Paetow: Das kommt sehr<br />

auf <strong>die</strong> Ausgestaltung der Instrumente<br />

<strong>zu</strong>r Umset<strong>zu</strong>ng der Strategien an. Wenn<br />

hier <strong>die</strong> Balance zwischen ökologischer<br />

und ökonomischer <strong>Nachhaltigkeit</strong> gewahrt<br />

bleibt und alle Möglichkeiten des<br />

Fortschritts genutzt werden, so ist auch<br />

in Zukunft in der EU eine wettbewerbsfähige<br />

Nahrungsmittelerzeugung möglich.<br />

Janusz Wojciechowski<br />

EU-Kommissar für<br />

<strong>Land</strong>wirtschaft und<br />

ländliche Entwicklung<br />

Janusz Wojciechowski: Die EU steht bei<br />

der Bekämpfung des Klimawandels an<br />

vorderster Front. Wir können stolz darauf<br />

sein, dass wir in <strong>die</strong>ser für <strong>die</strong> nächsten<br />

Generationen so wichtigen Angelegenheit<br />

weltweit führend sind. Wir sollten immer<br />

wieder darauf hinweisen, dass alle in <strong>die</strong> EU<br />

eingeführten landwirtschaftlichen Erzeugnisse<br />

unseren gesundheitspolizeilichen<br />

und pflanzenschutzrechtlichen Standards<br />

für Lebensmittelsicherheit, Tiergesundheit<br />

und Pflanzenschutz entsprechen<br />

müssen. Dabei wollen wir nicht naiv sein,<br />

aber unseren <strong>Land</strong>wirten aus der unfairen<br />

Situation helfen. Wir brauchen eine globale<br />

Umstellung auf nachhaltige Lebensmittelsysteme.<br />

Wir werden weiterhin mit unseren<br />

Handelspartnern <strong>zu</strong>sammenarbeiten.<br />

Wir wollen sie ermutigen, Fortschritte<br />

im Bereich der nachhaltigen Entwicklung,<br />

der Zusammenarbeit im Bereich des<br />

Tierschutzes und des Kampfs gegen antimikrobielle<br />

Resistenzen <strong>zu</strong> machen.Dafür<br />

wollen wir unsere Handelsabkommen, <strong>die</strong><br />

bilaterale Zusammenarbeit und unser Engagement<br />

in multilateralen Foren nutzen.<br />

Nach wie vor ist <strong>die</strong> EU der größte<br />

Lebensmittelexporteur der Welt und hält<br />

gleichzeitig <strong>die</strong> strengsten Umweltstandards<br />

ein. Dies ist eine große Leistung!<br />

Wo stehen <strong>die</strong> Verbraucher?<br />

Christiane Seidel: Das Thema <strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

steht bei Verbrauchern weit oben<br />

auf der Agenda, insbesondere beim Lebensmitteleinkauf.<br />

Das zeigt der aktuelle<br />

Report, den der Verbraucherzentrale<br />

Bundesverband 2022 veröffentlicht hat.<br />

Demnach ist 93 Prozent der Befragten<br />

<strong>die</strong> <strong>Nachhaltigkeit</strong> von Lebensmitteln<br />

wichtig. Verbraucher wollen nachhaltige<br />

Produkte aus heimischer Erzeugung.<br />

Dass sie auch bereit sind, <strong>mehr</strong> dafür <strong>zu</strong><br />

zahlen, wissen wir aus unterschiedlichen<br />

Befragungen aus den letzten Jahren. In<br />

der Praxis fällt es Verbrauchern jedoch<br />

oft schwer, tatsächlich nachhaltig erzeugte<br />

Lebensmittel als solche <strong>zu</strong> erkennen.<br />

Der Siegeldschungel im Supermarkt<br />

macht es ihnen nicht leicht, den<br />

Durchblick <strong>zu</strong> behalten. Für eine echte<br />

nachhaltige Transformation der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

brauchen wir daher nicht nur<br />

hohe gesetzliche Tierschutz-, Umweltschutz-<br />

und Arbeitsschutzstandards,<br />

sondern auch eine bessere Kennzeichnung<br />

der Produkte, <strong>die</strong> schon jetzt <strong>die</strong>se<br />

Standards erfüllen. Da<strong>zu</strong> gehört auch,<br />

dass <strong>die</strong> Einhaltung <strong>die</strong>ser Standards regelmäßig<br />

und unabhängig geprüft wird.<br />

Dr. Hubertus Paetow: Verbraucher richten<br />

ihr eigenes Verhalten ebenso wenig<br />

ausschließlich nach den Anforderungen<br />

des Gemeinwohls, wie <strong>die</strong>s Unternehmen<br />

tun. Insofern kommt es sehr auf <strong>die</strong><br />

vernünftigen politischen Rahmenbedingungen<br />

an, sowohl bei den Konsumenten<br />

als auch bei den Erzeugern.<br />

FOTOS: ADAM BERRY /EU, ROLAND BREITSCHUH


INTERVIEW<br />

„Die Lage ist ernst,<br />

aber nicht hoffnungslos“<br />

Über das Verhältnis zwischen Verbrauchern und der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

sprachen wir mit Jens Lönneker, Psychologe und Geschäftsführer des<br />

Marktforschungsinstituts rheingold salon<br />

Wie schätzen Sie das Vertrauen<br />

zwischen den deutschen Verbrauchern<br />

und <strong>Land</strong>wirten ein?<br />

Die Beziehung ist schwierig und<br />

gespalten: Die meisten Menschen<br />

haben zwar großes Vertrauen in <strong>die</strong><br />

Produkte der <strong>Land</strong>wirtschaft, <strong>die</strong> sie konsumieren.<br />

Dies gilt jedoch nicht für <strong>die</strong> Produktion: Da wird meist<br />

angenommen, dass <strong>Land</strong>wirte <strong>die</strong> Böden mit Schadstoffen<br />

belasten und ihre Tiere nicht gut behandeln.<br />

Umgekehrt sind <strong>Land</strong>wirte überwiegend von den<br />

Verbrauchern enttäuscht. Denn <strong>die</strong> fordern von <strong>Land</strong>wirten<br />

andere Produktionsweisen, wollen aber nicht<br />

<strong>mehr</strong> dafür bezahlen. Beide Gruppen schieben sich so<br />

immer wieder den Schwarzen Peter <strong>zu</strong>, und es ändert<br />

sich nichts.<br />

Wertschätzen <strong>die</strong> Verbraucher <strong>die</strong> Arbeit der <strong>Land</strong>wirte<br />

oder stufen sie <strong>die</strong>se eher als Treibhausgasverursacher<br />

und Umweltsünder ein?<br />

Die gesellschaftliche Wertschät<strong>zu</strong>ng der <strong>Land</strong>wirte ist<br />

nicht schlecht – etwa gleichauf mit <strong>Wissen</strong>schaftlern.<br />

Menschen im Gesundheitssystem erzielten höhere<br />

und Politiker schlechtere Werte. Allerdings sagen<br />

kaum 30 Prozent, dass <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtschaft <strong>zu</strong>kunftsorientiert<br />

sei. Hier besteht ein großer Nachholbedarf:<br />

Knapp zwei Drittel der Befragten wünschen sich eine<br />

Zukunftsorientierung.<br />

Kann der <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong> da<strong>zu</strong> beitragen,<br />

das Vertrauen zwischen <strong>Land</strong>wirten und<br />

Verbrauchern <strong>zu</strong> verbessern?<br />

Es reicht nicht, nur den <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong> aus<strong>zu</strong>rufen. Es<br />

braucht auch neue faszinierende Darstellungen aus der<br />

<strong>Land</strong>wirtschaft in den Me<strong>die</strong>n. Hier einige untersuchte<br />

Beispiele, <strong>die</strong> einen solchen Effekt haben: Drohnen, <strong>die</strong><br />

Rehkitze vor dem Mähdrescher-Tod bewahren, Kartoffelzüchtungen<br />

auf Salzböden oder ein fruchtbarer Boden,<br />

der einen geringeren Einsatz von Pflanzenschutzmitteln<br />

ermöglicht. Das sind Darstellungen, <strong>die</strong> Verbraucher so<br />

fasziniert haben, dass sie <strong>mehr</strong> davon hören wollten.<br />

Umfragen bestätigen immer wieder, dass <strong>die</strong> Verbraucher<br />

nicht gewillt sind, höhere Preise für <strong>mehr</strong><br />

Umweltschutz <strong>zu</strong> zahlen. Tragen sie den <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong><br />

überhaupt mit?<br />

Rund drei Viertel der Verbraucher sind bereit, maximal<br />

zehn Prozent Preisaufschlag hin<strong>zu</strong>nehmen. Und <strong>die</strong>se<br />

Zahl wurde vor dem aktuellen Inflationsschub erhoben.<br />

Man kann davon ausgehen, dass <strong>die</strong> Akzeptanz für höhere<br />

Preise eher abgenommen hat.<br />

Wie gelingt es, <strong>die</strong> Verbraucher um<strong>zu</strong>stimmen und<br />

am <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong> <strong>zu</strong> beteiligen?<br />

Der <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong> braucht eine gute Überzeugungsarbeit,<br />

damit er von den Menschen auch in Form von höheren<br />

Preisen mitgetragen wird. Da ist sicherlich noch viel <strong>zu</strong><br />

tun. Es braucht neue Bühnen und Storys. Und es braucht<br />

in unserer heutigen Me<strong>die</strong>ngesellschaft eben auch einen<br />

Batzen Geld, um für <strong>die</strong> gute Sache <strong>zu</strong> werben.<br />

Wie schätzen Sie <strong>die</strong> Stimmungslage der <strong>Land</strong>wirte<br />

in Be<strong>zu</strong>g auf den <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong> ein, und wo liegen hier<br />

<strong>die</strong> Herausforderungen?<br />

Die <strong>Land</strong>wirte sind <strong>zu</strong>rzeit eher noch vorsichtig und<br />

skeptisch. Sie warten erst mal ab, ob sich eine gute<br />

Sache auch in der Praxis <strong>zu</strong>m Guten entwickelt. Wichtig<br />

sind ihnen unter anderem Aspekte wie <strong>die</strong> Planungssicherheit,<br />

keine <strong>zu</strong>sätzliche Bürokratie sowie <strong>mehr</strong><br />

Akzeptanz und Nachfrage.<br />

Wie wird sich Ihrer Meinung nach <strong>die</strong> Beziehung<br />

zwischen Verbrauchern und der <strong>Land</strong>wirtschaft in<br />

Zukunft weiter entwickeln?<br />

Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Beide<br />

Seiten wollen grundsätzlich miteinander Lösungen<br />

finden, wissen nur im Moment nicht genau, wie sie<br />

<strong>zu</strong>sammen kommen können. Wir haben versucht,<br />

mit einem Zukunfts-Bauer-Projekt* dafür Optionen<br />

auf<strong>zu</strong>zeigen. Die möglichen Lösungswege wurden<br />

empirisch geprüft und müssten jetzt noch begangen<br />

werden. Der <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong> kann im Grundsatz dabei<br />

unterstützen.<br />

Mehr über das Zukunfts-Bauer-Projekt unter: www.rheingold-salon.de/der-<strong>zu</strong>kunfts-bauer/<br />

9


<strong>Land</strong>wirtin aus Leidenschaft<br />

Seit 2<strong>01</strong>7 führt Gesa Langenberg in 14. Generation den Hof ihrer Familie.<br />

Ein Traumjob, der <strong>die</strong> 33-Jährige täglich vor neue Herausforderungen stellt<br />

Die Liebe <strong>zu</strong>r <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

wurde Gesa Langenberg buchstäblich<br />

in <strong>die</strong> Wiege gelegt. Auf<br />

dem Bauernhof ihrer Eltern ist<br />

<strong>die</strong> stu<strong>die</strong>rte Agrarwissenschaftlerin<br />

als jüngste von drei Schwestern<br />

aufgewachsen. Vor fünf Jahren übernahm<br />

sie den über 450 Jahre alten Familienbetrieb.<br />

„Meine beiden älteren Geschwister<br />

haben sich für eine Zukunft in der <strong>Stadt</strong><br />

entschieden. Weil ich immer gerne auf dem<br />

<strong>Land</strong> gelebt habe, ergriff ich <strong>die</strong> Chance,<br />

<strong>die</strong> Tradition unseres Hofs fort<strong>zu</strong>führen“,<br />

erklärt <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtin und Mutter zweier<br />

kleiner Kinder. Gemeinsam mit ihrem<br />

Mann Josef, vier Mitarbeitern und einem<br />

Aus<strong>zu</strong>bildenden bewirtschaftet <strong>die</strong> 33-Jährige<br />

den Hof im niedersächsischen Bockstedt.<br />

Neben dem Anbau von Kartoffeln,<br />

Weizen, Roggen, Hafer, Gerste, Mais, Raps<br />

und Zuckerrüben ist der landwirtschaftliche<br />

Betrieb auf Schweinemast spezialisiert.<br />

Dieser Beruf ist einzigartig<br />

Als <strong>Land</strong>wirtin <strong>zu</strong> leben und <strong>zu</strong> arbeiten<br />

ist für Gesa Langenberg ein Traumjob.<br />

„Mein Beruf ist einzigartig, weil er<br />

so viele unterschiedliche Facetten und<br />

Herausforderungen mit sich bringt.<br />

Kein Tag ist so wie der andere.“ Ob am<br />

Schreibtisch, mit den Tieren im Stall<br />

oder in der Natur auf den Feldern, es<br />

gibt jede Menge Arbeit, aber auch jede<br />

Menge Abwechslung. „Ich bin <strong>Land</strong>wirtin<br />

und Unternehmerin in einer Person. Dadurch<br />

habe ich <strong>die</strong> Freiheit, unabhängig<br />

<strong>zu</strong> agieren und meine eigenen Ideen um<strong>zu</strong>setzen“,<br />

beschreibt <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtin <strong>die</strong><br />

Vorteile der Selbstständigkeit.<br />

Erster weiblicher<br />

Chef auf dem Hof<br />

Sie ist in der jahrhundertealten Familiengeschichte<br />

<strong>die</strong> erste Frau, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

Verantwortung für den Hof trägt. Gesa<br />

Langenberg zählt <strong>zu</strong> den wenigen Betriebsleiterinnen<br />

in der deutschen<br />

Agrar szene. Immer noch wird hier<strong>zu</strong>lande<br />

nur jeder neunte landwirtschaftliche<br />

Betrieb von einer Frau geleitet.<br />

Obwohl <strong>die</strong> Bewirtschaftung eines Hofs<br />

eine körperlich sehr herausfordernde<br />

Aufgabe ist, können Frauen <strong>die</strong>se dank<br />

modernster Technik genauso gut bewältigen<br />

wie ihre männlichen Kollegen, findet<br />

Gesa Langenberg. „Durch den sehr<br />

hohen Fortschritt in der <strong>Land</strong>technik<br />

ist <strong>die</strong> körperliche Arbeit nicht <strong>mehr</strong> so<br />

anstrengend wie früher. Aber ich muss<br />

<strong>zu</strong>geben, dass es Situationen gibt, in<br />

denen ich an meine Grenzen komme.<br />

Dann ist es gut, dass ich Männer auf dem<br />

Hof habe, <strong>die</strong> mich dabei unterstützen“,<br />

räumt <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtin ein, <strong>die</strong> sich seit<br />

2<strong>01</strong>7 <strong>zu</strong>sätzlich <strong>zu</strong> ihrem Beruf ehrenamtlich<br />

als Agrarscoutin engagiert.<br />

„Meine beiden älteren Geschwister haben sich für<br />

eine Zukunft in der <strong>Stadt</strong> entschieden. Weil ich<br />

immer gerne auf dem <strong>Land</strong> gelebt habe, ergriff ich <strong>die</strong><br />

Chance, <strong>die</strong> Tradition unseres Hofs fort<strong>zu</strong>führen“<br />

10


Frauen in der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

41 %<br />

weniger schweinehaltende<br />

Betriebe<br />

gibt es seit 2<strong>01</strong>2<br />

42,9 kg<br />

Fakten <strong>zu</strong>r Schweinehaltung<br />

<br />

Deutschland 2021 durchschnittlich<br />

pro Kopf verzehrt<br />

(STATISTA)<br />

Neuer Offenstall<br />

Den Schweinen<br />

werden verschiedene<br />

Funktionsbereiche<br />

angeboten.<br />

Die Tiere entscheiden<br />

selbst, ob sie<br />

ins Freie möchten<br />

22,3 Mio<br />

Schweine werden aktuell in<br />

<br />

<br />

(STATISTISCHES BUNDESAMT)<br />

Anfang Oktober 2022<br />

zahlten Schlachtbetriebe<br />

2,10 €/kg Schwein.<br />

<strong>Land</strong>wirte erhielten so<br />

rund 200 € pro Tier (VEZG)<br />

FOTOS: GESA LANGENBERG, GUNNAR GELLER<br />

Arbeit ist familienfreundlich<br />

Auch Kinder und Familie lassen sich<br />

gut mit dem Beruf der <strong>Land</strong>wirtin vereinbaren.<br />

Vieles wird durch das Hof -<br />

leben erleichtert – von der verlässlichen<br />

Betreuung bis <strong>zu</strong>r Freizeitgestaltung.<br />

„Wenn Kinder auf einem<br />

Hof groß werden, ist immer jemand<br />

da, der auf sie aufpasst und für sie<br />

da ist. Die Kreativität wird ebenfalls<br />

durch <strong>die</strong> abwechslungsreiche Umgebung<br />

gefördert. Langweilig wird<br />

es nie. Es gibt hier immer etwas <strong>zu</strong><br />

entdecken“, erklärt Gesa Langenberg,<br />

<strong>die</strong> Ende 2022 ihr zweites Kind bekam.<br />

Ruhe bitte!<br />

Schweine sind<br />

entspannte Tiere.<br />

Sie schlafen<br />

18 bis 20 Stunden<br />

am Tag<br />

Genau geregelt:<br />

120 Tage lang<br />

leben <strong>die</strong> Tiere<br />

auf dem Hof, bis<br />

sie das Schlachtgewicht<br />

von<br />

120 Kilogramm<br />

erreicht haben<br />

Alle Sinne<br />

einsetzen<br />

Tiere und Umwelt<br />

nachhaltig <strong>zu</strong> schützen<br />

und dadurch gesunde<br />

Lebensmittel der<br />

Region her<strong>zu</strong>stellen, ist<br />

ihr Ziel. Als Nutztierhalterin<br />

trägt Gesa Langenberg eine große<br />

Verantwortung. Das Wohlergehen der<br />

3800 Schweine, <strong>die</strong> auf dem Hof leben,<br />

liegt der <strong>Land</strong>wirtin sehr am Herzen.<br />

Zweimal täglich wird eine sogenannte<br />

Tierkon trolle in den insgesamt sechs<br />

Ställen durchgeführt. „Mehrere Stunden<br />

lang gehen meine<br />

Mitarbeiter und ich<br />

durch <strong>die</strong> Stallungen<br />

und schauen, ob es<br />

jedem Tier gut geht.“<br />

Sehen, fühlen, riechen,<br />

hören, Gesa Langenberg<br />

setzt bei ihren Rundgängen<br />

alle Sinne ein. Bereits an den Augen<br />

und am Grunzen kann sie erkennen, ob<br />

sich ein Schwein „sauwohl“ fühlt oder<br />

ob es Hilfe benötigt. „Viele Verbraucher<br />

glauben irrtümlich, dass Schweine mit<br />

Antibiotika ,vollgepumpt‘ werden. Das<br />

ist keineswegs so! Wenn ein Tier einmal<br />

krank sein sollte, erfolgt <strong>die</strong> Behandlung<br />

in sehr enger Absprache mit dem<br />

Tierarzt“, betont <strong>die</strong> Schweinemästerin.<br />

Antibiotika werden nur im Ausnahmefall<br />

verabreicht und auf gar keinen Fall prophylaktisch.<br />

Innovatives Stallkonzept<br />

Mit einem innovativen Stallkonzept will<br />

Gesa Langenberg den Wünschen der Verbraucher<br />

nach <strong>mehr</strong> Tierwohl gerecht<br />

werden. Dafür hat sie einen Altstall mit<br />

Platz für 400 Schweine aufwendig umgebaut.<br />

Das Besondere an dem neuen<br />

Stall der Haltungsform 4: Die Tiere haben<br />

doppelt so viel Platz in den eingestreuten<br />

Buchten, wie es gesetzlich<br />

11


Frauen in der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

„Weniger Schweine, <strong>die</strong> auf einem<br />

höheren Niveau gehalten werden,<br />

das ist machbar“<br />

Abwechlungsreich Vom Stall auf den Traktor, kein Arbeitsalltag<br />

von Gesa Langenberg gleicht dem anderen<br />

Gutes Team Wie ihr Vater Lothar Lampe genießt<br />

Gesa Langenberg <strong>die</strong> Arbeit mit der Natur<br />

vorgeschrieben ist. Außerdem können<br />

sie jederzeit selbst entscheiden, ob<br />

sie auf <strong>die</strong> Auslauffläche an <strong>die</strong> frische<br />

Luft gehen möchten. Dafür müssen <strong>die</strong><br />

Schweine nur mit ihrer Rüsselscheibe<br />

<strong>die</strong> Klapptür nach draußen aufstoßen.<br />

Neben organischem Beschäftigungsmaterial<br />

wie Heu und Stroh gibt es<br />

sogar eine umweltschonende „Schweinetoilette“.<br />

Dafür wurde im Außenbereich<br />

des Stalls eine Extrafläche angelegt. Mithilfe<br />

eines ausgeklügelten Systems werden<br />

dort Kot und Harn automatisch voneinander<br />

getrennt. Ammoniakemissionen<br />

können so deutlich reduziert werden.<br />

Hohe Investitionskosten<br />

Das Mehr an Tierwohl hat einen hohen<br />

Preis. Mehr als 1000 Euro pro Mastplatz<br />

hat <strong>die</strong> Betriebsleiterin in den Umbau investiert.<br />

„Mein Wunsch wäre es natürlich,<br />

alle sechs Stallungen um<strong>zu</strong>bauen.<br />

Doch <strong>die</strong> Investitionskosten und das damit<br />

verbundende Risiko sind im Moment<br />

<strong>zu</strong> hoch, weil völlig unklar ist, wie sich<br />

<strong>die</strong> Nachfrage entwickeln wird, und es<br />

kaum staatliche Zuschüsse gibt“, erklärt<br />

Gesa Langenberg. Rund 200 Euro erhält<br />

<strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtin derzeit für ein Schwein<br />

der Haltungsform2. „Bei einem aktuellen<br />

Schweinepreis von 2,10 Euro pro<br />

Kilogramm Schlachtgewicht können<br />

wir <strong>die</strong> Kosten für <strong>die</strong> Tiere, <strong>die</strong><br />

in den älteren Stallungen<br />

gehalten werden, gerade<br />

so decken. Für <strong>die</strong><br />

Tiere im neuen Stall<br />

habe ich jedoch eine<br />

viel höhere Kostenstruktur.“<br />

Neben den<br />

Mehrkosten, unter anderem<br />

für den Ankauf<br />

der Ferkel, und den ex -<br />

trem gestiegenen Futterund<br />

Energiepreisen macht<br />

auch <strong>die</strong> Vermarktung der Schweine<br />

Gesa Langenberg <strong>zu</strong> schaffen. „Schweine<br />

der Haltungsform2 kann man problemlos<br />

an <strong>die</strong> umliegenden Schlachthöfe<br />

abgeben. Bei den Schweinen der Haltungsklasse4<br />

sieht es anders aus. Hier<br />

bin ich selbst gefordert, neue Verkaufskonzepte<br />

<strong>zu</strong> entwickeln“, schildert Gesa<br />

Langenberg.<br />

Bessere Kennzeichnung<br />

notwendig<br />

Trotz aller Hindernisse ist <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtin<br />

aus Leidenschaft <strong>zu</strong>versichtlich,<br />

dass <strong>die</strong> Tierhaltung in Zukunft immer<br />

Gutes<br />

Zeichen<br />

Die Schweine im<br />

neuen Offenstall haben<br />

einen langen Schwanz.<br />

Ist er gekringelt, fühlt<br />

sich das Schwein<br />

sauwohl<br />

nachhaltiger wird: „Weniger Schweine,<br />

<strong>die</strong> auf einem höheren Niveau gehalten<br />

werden, das ist machbar.“ Die<br />

Betriebsleiterin setzt sich<br />

deshalb für eine einheitliche<br />

Haltungsund<br />

Herkunftskennzeichnung<br />

ein, <strong>die</strong><br />

sowohl im Supermarkt<br />

als auch in<br />

der Gastronomie<br />

verpflichtend gelten<br />

sollte. Bis es so weit<br />

ist, engagiert sich Gesa<br />

Langenberg weiter mit großem<br />

Einsatz und neuen Ideen für<br />

<strong>die</strong> Erzeugung von landwirtschaftlichen<br />

Produkten, <strong>die</strong> jeder mit gutem Gefühl<br />

genießen kann.<br />

Informativ<br />

Gesa Langenberg hat einen eigenen Blog,<br />

der spannende Einblicke in ihren Alltag<br />

bietet. Unter https://hi-gesa.de/blog kann<br />

jeder mit ihr in Kontakt treten<br />

12


Meldungen<br />

Moderne <strong>Land</strong>wirtschaft live erleben<br />

Internationale Grüne Woche vom 20. bis 29. Januar <strong>2023</strong><br />

Endlich öffnet <strong>die</strong> Grüne Woche in <strong>die</strong>sem<br />

Jahr wieder ihre Pforten. Als ein<br />

großer Besuchermagnet der Berliner<br />

Messe gilt der Erleb nisBauernhof, auf<br />

dem sich jeder Besucher umfassend<br />

darüber informieren kann, wie unsere<br />

Lebensmittel produziert werden. Unter<br />

dem Motto„Ernährung sichern. Natur<br />

schützen.“zeigen dasForum Moderne<br />

<strong>Land</strong>wirtschaft e. V.und seine <strong>mehr</strong> als<br />

35 Partner, wie es der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

gelingt, <strong>die</strong> Versorgung der Bevölkerung<br />

mit hochwertigen Lebensmitteln<br />

sicher<strong>zu</strong>stellen und gleichzeitig vielfältige<br />

Maßnahmen <strong>zu</strong>m Schutz von Natur,<br />

Artenvielfalt und Tierwohl um<strong>zu</strong>setzen.<br />

Lehrreich Auf dem ErlebnisBauernhof gibt<br />

es für <strong>die</strong> ganze Familie viel <strong>zu</strong> entdecken<br />

Auf dem ErlebnisBauernhof treffen <strong>die</strong><br />

Besucher auf echte <strong>Land</strong>wirte – <strong>die</strong><br />

Agrar Scouts. Vom Showkochen, über<br />

eine Sounddusche bis hin <strong>zu</strong>r Hallenrallye<br />

sind Groß und Klein eingeladen,<br />

mit<strong>zu</strong>machen. Zu den Programm-Highlights<br />

zählt <strong>die</strong> Parade der über 150<br />

Produkt königinnen aus allen Bundesländern.<br />

Informatives erfahren Besucher<br />

bei den Bühnen-Talks, an denen namhafte<br />

Persönlichkeiten aus Politik und der<br />

Agrarbranche teilnehmen.<br />

www.moderne-landwirtschaft.de/gruene-woche-erlebnisbauernhof/<br />

<strong>Land</strong>wirt Jochen<br />

Kanders aus<br />

Uedem in Nordrhein-Westfalen<br />

hat es mit seinem<br />

Projekt auf den<br />

1. Platz geschafft<br />

FOTOS: WELLESHOF, FML, BEEBETTER<br />

Ein Preis für Bienenretter<br />

Einmal jährlich wird der #beebetter-Award verliehen<br />

Im Schnitt sind sie so klein wie ein Daumennagel,<br />

aber sie leisten Großes für<br />

uns Menschen: Bienen sorgen für <strong>die</strong> Bestäubung<br />

wichtiger Kulturpflanzen wie<br />

Raps oder Obstbäume. Ohne sie würde<br />

es weder Artenvielfalt noch Biodiversität<br />

geben. Deshalb gründete Hubert Burda<br />

Media 2<strong>01</strong>9 <strong>die</strong> Initiative #beebetter<br />

für <strong>mehr</strong> Wildbienenschutz. Herzstück<br />

der Bieneninitiative ist der #beebetter-<br />

Award, der in <strong>die</strong>sem Jahr <strong>zu</strong>m fünften<br />

Mal verliehen wird. Von Schulklassen bis<br />

hin <strong>zu</strong> <strong>Land</strong>wirten oder Hobbygärtnern:<br />

Alle, <strong>die</strong> sich für den Bienenschutz engagieren,<br />

können sich vom 1. März bis<br />

30. Juni unter www.beebetter.de bewerben<br />

und attraktive Preisgelder gewinnen.<br />

Vorbildliches Engagement<br />

<strong>zu</strong>m Schutz von Bienen<br />

Jochen Kanders gehört <strong>zu</strong> den fünf Gewinnern<br />

des #beebetter-Awards 2022.<br />

Der 44-jährige <strong>Land</strong>wirt bietet seit 2<strong>01</strong>9<br />

Bienenrettern aus ganz Deutschland<br />

<strong>die</strong> Möglichkeit an, eine Patenschaft<br />

für ein Stück seiner Bienenweide <strong>zu</strong><br />

erwerben. Mit bisher knapp 160 Paten<br />

und einem Insektenkundler schützt der<br />

Eigentümer vom Welleshof am Niederrhein<br />

Wildbienen und andere gefährdete<br />

Insekten und garantiert ihnen ein Stück<br />

sichere Heimat. „Der #beebetter-Award<br />

ist für mich eine große Ehre und eine<br />

Möglichkeit, mich mit anderen Gleichgesinnten<br />

aus<strong>zu</strong>tauschen“, erzählt der<br />

engagierte <strong>Land</strong>wirt. Auch in Zukunft<br />

will er gemeinsam mit seinen Paten für<br />

den Schutz der Wildbienen eintreten<br />

und auf den Klimawandel aufmerksam<br />

machen. „Wir müssen alle etwas dagegen<br />

tun. Der Klimawandel klopft nicht<br />

an unsere Tür. Er sitzt schon längst mit<br />

uns am Tisch.“<br />

www.beebetter.de<br />

www.welleshof.de<br />

13


Auf der Weide Gemeinsam<br />

mit <strong>Land</strong>wirt Timo Wald treibt<br />

Ben Fehler (r.) eine Kuhherde<br />

auf eine andere Weide<br />

Im mobilen Hühnerstall<br />

Ben Fehler füllt Futter nach<br />

Gut versorgt: Die Kühe von<br />

Timo Wald erhalten frisches,<br />

gut verdauliches Futter<br />

„Die <strong>Land</strong>wirtschaft überrascht<br />

mit vielen Innovationen“<br />

Schonend Auf Timo Walds Betrieb<br />

gibt es nur kurze Beweidungszeiten<br />

mit langen Ruhephasen<br />

Genau erklärt<br />

<strong>Land</strong>wirt Timo Wald (r.)<br />

nimmt sich viel Zeit,<br />

um seinem Gast<br />

alle Arbeitsschritte<br />

<strong>zu</strong> erläutern


Aktion<br />

<strong>Land</strong>wirt für einen Tag<br />

Vom Computer aufs Feld<br />

Ben Fehler aus Bonn wollte <strong>mehr</strong> über <strong>die</strong> Lebensmittelproduktion in Deutschland wissen<br />

und bewarb sich bei der Aktion „<strong>Land</strong>wirt für einen Tag“<br />

Verstanden sich auf Anhieb<br />

Ben Fehler bedankt sich<br />

bei Timo Wald (r.) für den<br />

erkenntnisreichen Tag<br />

FOTOS: FML<br />

Zu seiner Welt gehört <strong>die</strong> Modernisierung<br />

der öffentlichen<br />

Verwaltung und damit auch<br />

<strong>die</strong> Beschleunigung von Arbeitsprozessen<br />

und Antragsabwicklungen.<br />

Ben Fehler ist mit Leib<br />

und Seele Digitalisierer.<br />

Aufgewachsen in Köln in einer Akademikerfamilie,<br />

hatte der 35-Jährige,<br />

wie <strong>die</strong> meisten Verbraucher, keine<br />

Vorstellung davon, welche Leistungen<br />

ein <strong>Land</strong>wirt erbringt, um <strong>zu</strong>m Beispiel<br />

Milch, Eier oder Schweinefleisch <strong>zu</strong> produzieren<br />

und verkaufen <strong>zu</strong> können.<br />

Ben Fehler lebt inzwischen mit seiner<br />

Lebensgefährtin in Bonn. Gemeinsam<br />

möchten sie sich gut und gesund ernähren.<br />

Da der ITler sehr neugierig ist und<br />

ihn <strong>die</strong> Frage nach der hiesigen Lebensmittelherstellung<br />

nicht losließ, bewarb<br />

er sich beim Forum Moderne <strong>Land</strong>wirtschaft,<br />

um einen Tag lang einem <strong>Land</strong>wirt<br />

bei dessen Arbeit über <strong>die</strong> Schulter<br />

schauen <strong>zu</strong> können.<br />

In Neunkirchen-Seelscheid, rund eine<br />

Autostunde von Bonn entfernt, liegt der<br />

moderne Hof von Timo Wald und Katharina<br />

Mosler. Dort werden unter anderem<br />

Schweine, Hühner und Milchkühe<br />

gehalten. „Nach einer Besprechung des<br />

Tagesablaufs habe ich <strong>zu</strong>nächst einmal<br />

Hühnerfutter aufgefüllt und Eier eingesammelt.<br />

Bei Timo und Katharina leben<br />

rund 350 frei laufende Hühner in mobilen<br />

Ställen auf einer Wiese. Die Unterkünfte<br />

auf Kufen werden regelmäßig mit einem<br />

Trecker umplatziert, damit das Gras da -<br />

runter nachwachsen kann.“ Anschließend<br />

trieb der Informatiker <strong>zu</strong>sammen<br />

mit dem <strong>Land</strong>wirt eine Kuhherde auf<br />

eine andere Weide. „Timo betreibt hier<br />

sogenanntes Mob Grazing. Das heißt,<br />

auf den jeweiligen<br />

Flächen findet<br />

immer nur eine<br />

kurze Beweidung<br />

mit langen Ruhephasen<br />

für <strong>die</strong> Weiden statt.<br />

Auf <strong>die</strong>se Weise wird der<br />

Boden besser geschützt“, hat Fehler<br />

bei seinem Tagesausflug gelernt. Was er<br />

auch schnell feststellte: „Die Arbeit auf<br />

einem landwirtschaftlichen Betrieb ist<br />

harte körperliche Arbeit. Timo ist täglich<br />

10 bis 12 Stunden draußen unterwegs.“<br />

Parallel da<strong>zu</strong> müsse der <strong>Land</strong>wirt noch<br />

stundenlang Büroarbeiten erledigen und<br />

mit dem Einzelhandel und den Behörden<br />

kommunizieren. „Ich war sehr überrascht,<br />

wie viele Anträge er ausfüllen<br />

muss“, urteilte Ben Fehler nach seinem<br />

Besuch auf dem Bauernhof.<br />

Parallelen zwischen<br />

den Branchen<br />

„Ich übe meinen Beruf als Digitalisierer<br />

sehr gerne aus und würde kein <strong>Land</strong>wirt<br />

sein wollen. Aber nachdem ich festgestellt<br />

habe, dass <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

ähnlich wie <strong>die</strong> digitale Welt mit vielen<br />

Vorurteilen <strong>zu</strong> kämpfen hat, habe ich<br />

Timo angeboten, ihn <strong>zu</strong> unterstützen<br />

und seine Webseite <strong>zu</strong> vereinfachen und<br />

<strong>zu</strong> aktualisieren.“<br />

<strong>Land</strong>wirte müssten sich um ihr<br />

Image selber kümmern und viel <strong>mehr</strong><br />

Aufklärungsarbeit leisten, findet Ben<br />

„Ich habe ein viel besseres<br />

Verständnis für Qualität entwickelt“<br />

Ben Fehler<br />

Fehler. „In meiner<br />

Branche ist es ähnlich.<br />

Noch immer<br />

wird diskutiert, warum<br />

wir <strong>die</strong> Digitalisierung<br />

überhaupt benötigen. Die<br />

Bürgerinnen und Bürger wollen<br />

zwar, dass <strong>die</strong> Verwaltungen schneller<br />

arbeiten, aber ohne dass <strong>die</strong>se künstliche<br />

Intelligenz einsetzen oder gar Daten<br />

speichern. Das ist doch widersprüchlich.<br />

Und <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirte sollen eine Balance<br />

halten zwischen Tierwohl, Umweltschutz<br />

und erfolgreichem Wirtschaften,<br />

ohne dass <strong>die</strong> Endkunden auch nur ansatzweise<br />

irgendetwas da<strong>zu</strong> beisteuern<br />

wollen. Ich habe wirklich viele Parallelen<br />

zwischen unseren Branchen entdeckt.“<br />

Sein Fazit am Ende seines Tags als<br />

<strong>Land</strong>wirt: „Ich habe ein viel besseres<br />

Verständnis für Qualität entwickelt<br />

und gehe jetzt ganz anders einkaufen.<br />

Vor allem achte ich darauf, woher <strong>die</strong><br />

Lebensmittel stammen. Ich kaufe jetzt<br />

<strong>mehr</strong> regionale und saisonale Produkte<br />

ein.“ Früher habe er beim Einkaufen vieles<br />

nicht wahrgenommen. Das hat sich<br />

nach der Teilnahme bei „<strong>Land</strong>wirt für<br />

einen Tag“ nun bei Ben Fehler geändert.<br />

www.moderne-landwirtschaft.de/landwirt-fuer-einen-tag/<br />

15


Über das blaue<br />

Wunder und Robi,<br />

den Rübenroboter<br />

Zum zweiten Mal verliehen das Forum Moderne <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

und <strong>die</strong> Fachzeitschrift „top agrar“ den Innovationspreis<br />

Moderne <strong>Land</strong>wirtschaft an außergewöhnliche Unternehmen<br />

<br />

Um <strong>die</strong> Menge Weizen für ein<br />

Kilo Brot <strong>zu</strong> erhalten, muss<br />

ein <strong>Land</strong>wirt ungefähr 400<br />

Weizensamen aussäen. Bei<br />

guten Witterungsbedingungen<br />

kann er nach rund acht Monaten<br />

etwa das 40-Fache der Aussaatmenge<br />

ernten. Vorausset<strong>zu</strong>ng dafür ist, dass<br />

<strong>die</strong> Weizensamen <strong>zu</strong> 92 Prozent keimfähig<br />

sind. Diese Mindestkeimfähigkeit<br />

ist gesetzlich vorgeschrieben und variiert<br />

von Nutzpflanze <strong>zu</strong> Nutzpflanze. Bei Raps<br />

sind es 85 Prozent.<br />

Durch regelmäßig intern durchgeführte<br />

Qualitätskontrollen prüfen<br />

Saatgutunternehmen beziehungsweise<br />

Saatgutproduzenten <strong>die</strong> Keimfähigkeit<br />

ihrer erzeugten Pflanzensamen. Vor dem<br />

Verkauf muss <strong>die</strong>se von einer autorisierten<br />

und zertifizierten Saatgutprüfstelle<br />

getestet und bescheinigt werden. Rund<br />

zwei Wochen dauert <strong>die</strong> Auswertung der<br />

Tests. Bis der Saatgutproduzent das Ergebnis<br />

erhält, können weitere Wochen<br />

verstreichen. Selbst wenn Anwender<br />

Keimungstests intern durchführen, muss<br />

man je nach Kultur zwischen zwei und<br />

drei Wochen einplanen.<br />

Diese langwierigen und aufwendigen<br />

Prozesse will das Start-up seedalive mit<br />

einem innovativen Schnelltest abkürzen.<br />

„Die zertifizierten Tests können wir<br />

momentan noch nicht ersetzen“, erklärt<br />

Jens Varnskühler, Mitbegründer und<br />

Geschäftsführer von seedalive. Aber <strong>die</strong><br />

Vorabtests seien mit dem patentierten<br />

Schnelltestkit-Verfahren seines Unternehmens<br />

einfach, schnell und <strong>zu</strong>verlässig<br />

durchführbar, so der Biologe.<br />

Und so funktioniert der Schnelltest:<br />

Auf einer Platte mit 96 Vertiefungen<br />

werden <strong>die</strong> Samen in einer dunkelblauen<br />

Testlösung für vier Stunden inkubiert. In<br />

<strong>die</strong>ser Lösung befinden sich ein Redox-<br />

Farbstoff und ein verstärkender Mikroorganismus.<br />

Tote, alternde und damit<br />

nicht <strong>mehr</strong> keimfähige Samen sind im<br />

Gegensatz <strong>zu</strong> frischen, keimfähigen Samen<br />

porös. Daher werden während der<br />

Inkubation Stoffe aus den schadhaften<br />

Samen ausgewaschen. Jetzt kommen <strong>die</strong><br />

Mikroben <strong>zu</strong>m Einsatz. Sie bauen <strong>die</strong>se<br />

Stoffe ab, wobei Elektronen freigesetzt<br />

werden, und <strong>die</strong>se führen <strong>zu</strong> einer Farbveränderung:<br />

von der <strong>zu</strong>nächst tiefblauen<br />

Lösung, <strong>die</strong> gesunde, keimfähige Samen<br />

nachweist, über eine pinkfarbene<br />

bei alternden Samen hin <strong>zu</strong> einer farblosen<br />

Lösung bei toten Samen.<br />

Zeit und Energie sparen<br />

„Wir führen <strong>die</strong>se Tests mit Zehntausenden<br />

von Pflanzensamen durch und<br />

säen sie anschließend aus, um <strong>zu</strong> überprüfen,<br />

ob unsere Analyse korrekt war.<br />

Auf <strong>die</strong>se Weise entwickeln wir eine<br />

automatisierte Auswertung auf Basis<br />

künstlicher Intelligenz, <strong>die</strong> wir unseren<br />

Kunden als App <strong>zu</strong>r Verfügung stellen“,<br />

erklärt Klaus Mummenhoff, Professor<br />

für Botanik an der Universität Osnabrück<br />

und Mitbegründer von seedalive. Mit der<br />

seedalive -App sowie dem Testkit können<br />

<strong>die</strong> Kunden Untersuchungen eigenständig<br />

in ihrem Unternehmen durchführen.<br />

Die Farbe wird per Minifotometer oder<br />

Smartphone erfasst, elektronisch innerhalb<br />

von Sekunden von der seedalive KI-<br />

Software analysiert und <strong>die</strong> Vorhersagen<br />

über Keimfähigkeit und Triebkraft des<br />

Saatguts werden per E-Mail an den Kunden<br />

gesendet.<br />

„Im Vergleich <strong>zu</strong> einem traditionellen<br />

Keimungstest spart unser seedalive-<br />

Test 99 Prozent Energie und viel Zeit.“<br />

Und genau <strong>die</strong>se spielt eine große Rolle<br />

in dem Geschäft. „In Deutschland bauen<br />

wir hauptsächlich Winterkulturen an“,<br />

erläutert Jens Varnskühler. „Das heißt,<br />

das Saatgut wird bis <strong>zu</strong>m Sommer produziert<br />

und soll im Herbst für <strong>die</strong> nächste<br />

Ernte ausgesät werden. Wenn sich <strong>die</strong><br />

Keimfähigkeitsprüfung aber über <strong>mehr</strong>ere<br />

Wochen hinzieht, wird es knapp für<br />

den Nachweis. Hier bietet sich unser<br />

seedalive-Test gerade<strong>zu</strong> an.“<br />

Beim Start-up, das den Innovationspreis<br />

Moderne <strong>Land</strong>wirtschaft 2022 gewonnen<br />

und sich gegen 61 Mitbewerber<br />

durchgesetzt hat, ist man sich sicher,<br />

dass der Schnelltest ein voller Erfolg<br />

wird. „Wir haben den Test auf einem<br />

Kongress der International Seed Testing<br />

Association, also der Internationalen<br />

Vereinigung für Saatprüfung, in<br />

Kairo vorgestellt. Dort bestätigte man<br />

uns, dass wir den Heiligen Gral entdeckt<br />

hätten“, freut sich Jens Varnskühler.<br />

Die seedalive-Gründer: Professor Klaus<br />

Mummenhoff (l.) und Jens Varnskühler<br />

16


Innovationspreis<br />

„Die Ökolandwirtschaft<br />

ist quasi <strong>die</strong> Urform<br />

der <strong>Land</strong>wirtschaft. Dass<br />

wir dennoch innovativ<br />

arbeiten und technologisch<br />

auf dem neuesten<br />

Stand sind, das bestätigt<br />

uns der Sonderpreis<br />

Innovativster Betrieb“<br />

Marie Saudhof<br />

Hightech auf dem Feld<br />

Marie Saudhof überprüft <strong>die</strong><br />

Aussaat von Zuckerrüben<br />

durch Robi, den Roboter<br />

Kollege Roboter<br />

„Auf einem Kongress<br />

bestätigte man uns,<br />

dass wir den Heiligen<br />

Gral entdeckt hätten“<br />

Jens Varnskühler<br />

FOTOS: SEEDALVE/ DAVID EBNER, MARIA SAUDHOF<br />

Robi sieht aus wie ein Tisch auf<br />

Rädern. Aber der Feldroboter ist<br />

kein Möbelstück, sondern auf<br />

dem Acker ein echter Tausendsassa.<br />

Auf dem Bauernhof Nelben ersetzt<br />

er acht Saisonarbeiter, ist 24 Stunden lang<br />

unermüdlich auf einem 50 Hektar großen<br />

Acker im Einsatz, und das jeden Tag von<br />

April bis Juni. Er sät Zuckerrüben aus,<br />

entfernt Unkraut und lockert den Boden<br />

auf. Als Antrieb benötigt er Sonnenstrahlen<br />

und drei Liter Benzin pro Tag. Nur<br />

manchmal muckt er ein wenig auf. Wenn<br />

er <strong>zu</strong>m Beispiel keinen WLAN-Empfang<br />

<strong>mehr</strong> hat oder der Saatgutbehälter leer<br />

ist. Dann gibt er über eine Handy-App Bescheid,<br />

dass er Hilfe benötigt. „Er wollte<br />

auch schon mal abhauen, als es ein Problem<br />

mit dem Update gab“, erzählt Marie<br />

Saudhof schmunzelnd. „Aber er blieb in<br />

einer Furche hängen.“<br />

Innovativster Bauernhof<br />

Der Biobauernhof ihrer Familie wurde<br />

Ende 2022 <strong>zu</strong>m innovativsten Betrieb<br />

Deutschlands gekürt.<br />

Seit 2<strong>01</strong>8 ist der Hof <strong>zu</strong> 100 Prozent<br />

ein Ökobetrieb. 20<strong>01</strong> fand <strong>die</strong> erste Teilumstellung<br />

statt. Auf 620 Hektar baut <strong>die</strong><br />

Familie vielfältige Fruchtfolgen an, darunter<br />

Zuckerrüben, Kartoffeln, Erbsen,<br />

Sojabohnen, Hanf, Gemüse und Sonnenblumen.<br />

„In den ersten Ökojahren waren<br />

unsere Zuckerrüben unsere Sorgenkinder“,<br />

berichtet Marie Saudhof. Die Melde,<br />

ein rasant wachsendes Unkraut, drohte<br />

immer wieder <strong>die</strong> Rüben <strong>zu</strong> beschatten,<br />

sodass <strong>die</strong>se ihr Wachstum eingestellt<br />

hätten und verkümmert wären. Acht<br />

Saisonarbeiter übernahmen <strong>die</strong> Pflege<br />

der Rüben und hackten das Unkraut per<br />

Hand weg – eine extrem aufwendige und<br />

schwere Arbeit. „Zu dem Zeitpunkt haben<br />

wir 100 Hektar mit Zuckerrüben eingesät.<br />

Das Team schaffte es höchstens<br />

ein- bis zweimal in acht Wochen, <strong>die</strong><br />

ganze Fläche <strong>zu</strong> bearbeiten. Wir haben<br />

<strong>zu</strong>sätzlich einen Striegel eingesetzt, der<br />

das flachwurzelnde Unkraut mit seinen<br />

Zinken rauskämmte.“ Angehängt wurde<br />

das Gerät an einen Trecker, der rund 60<br />

Liter Benzin pro Tag verbrauchte.<br />

Heute werden auf dem Hof <strong>die</strong> Daten<br />

über ein Display abgespeichert, <strong>die</strong> der<br />

Roboter für seine Feldarbeit benötigt.<br />

„Wir reduzierten den Zuckerrübenanbau<br />

auf 50 Hektar. Denn eigentlich ist<br />

<strong>die</strong> Leistung von Robi auf 20 Hektar begrenzt“,<br />

erklärt Marie Saudhof. Damit<br />

er 30 Hektar <strong>mehr</strong> schafft und auch bei<br />

trübem Wetter 24 Stunden lang durcharbeiten<br />

kann, brachte <strong>die</strong> Familie <strong>zu</strong>sätzlich<br />

<strong>zu</strong>m Solardach ein Notaggregat am<br />

Roboter an. „Trotz des hohen Anschaffungspreises<br />

in sechsstelliger Höhe ist<br />

der Feldroboter deutlich günstiger als<br />

Saisonarbeiter. Die Löhne steigen jedes<br />

Jahr. Außerdem wird es immer schwerer,<br />

Arbeitskräfte <strong>zu</strong> bekommen, und<br />

der Treibstoff für den Trecker, der den<br />

Striegel ziehen würde, wird auch immer<br />

teurer“, resümiert Marie Saudhof. Für<br />

sie ist Robi ein echter Gewinn und ein<br />

Stück Zukunft. Ihrer Einschät<strong>zu</strong>ng nach<br />

arbeiten moderne <strong>Land</strong>wirte bald nur<br />

noch mit Hightech-Geräten. „Auch <strong>die</strong><br />

Biobetriebe.“<br />

Mehr <strong>zu</strong>m Rübenroboter unter:<br />

www.youtube.com/watch?v=<br />

VqfzOBQ-vn0<br />

17


Der Alltag der<br />

<strong>Land</strong>wirtinnen<br />

Hätten Sie vermutet, dass jede dritte landwirtschaftliche Arbeitskraft eine Frau ist?<br />

Wie sieht ihr tägliches Leben aus? Was läuft gut, was könnte besser sein? Eine aktuelle<br />

Stu<strong>die</strong> beleuchtet <strong>die</strong> Lebens- und Arbeitssituation von Frauen in landwirtschaftlichen<br />

Betrieben in Deutschland. Zwei der Teilnehmerinnen lassen uns hinter ihre Hoftore und in<br />

ihr Privatleben blicken<br />

Die Ausbildung <strong>zu</strong>r Industriekauffrau<br />

war Juliane Menke<br />

nicht praxisbezogen genug.<br />

Nach dem Abschluss hängte<br />

<strong>die</strong> 29-Jährige ein Studium<br />

des Wirtschaftsingenieurwesens an und<br />

arbeitet mittlerweile Vollzeit als Außen<strong>die</strong>nstmitarbeiterin<br />

in der Geflügelberatung.<br />

Doch auch das reicht der Hobbytennisspielerin<br />

aus Niedersachsen<br />

nicht. Bereits vor fünf Jahren pachtete<br />

sie einen Stall, in dem sie Hähnchen<br />

hält. Bei ihr wachsen <strong>die</strong> Küken auf und<br />

werden im Neun-Wochen-Rhythmus gehalten.<br />

„Meine Familie besitzt einen Hof<br />

in Niedersachsen. Ich wollte mir etwas<br />

eigenes <strong>Land</strong>wirtschaftliches aufbauen,<br />

für das ich ganz allein verantwortlich<br />

bin“, erzählt sie. Zwar würden ihr Vater<br />

und sie sich gegenseitig unterstützen: Er<br />

geht mindestens zweimal täglich seine<br />

Kontrollrunde bei den Hähnchen. Dafür<br />

macht sie in ihrer Freizeit seine Buchhaltung<br />

und Qualitätssicherung. Aber<br />

<strong>die</strong> Entscheidungen und Risiken, <strong>die</strong> eine<br />

Hähnchenmast mit sich bringen, trägt Juliane<br />

Menke allein. Sogar ihren Lebensgefährten<br />

hält sie aus den Belangen des<br />

Betriebs heraus.<br />

Moderne Technik<br />

macht mobiler<br />

Von der Fütterung und Wasserspülung<br />

bis hin <strong>zu</strong>r Lüftung, im<br />

Stall wird alles automatisch geregelt.<br />

Eine Feinjustierung der Funktionen<br />

ist dennoch täglich notwendig,<br />

um beispielsweise <strong>die</strong> Lüftung<br />

„Ich wollte mir etwas<br />

eigenes <strong>Land</strong>wirtschaftliches<br />

aufbauen,<br />

für das ich ganz allein<br />

verantwortlich bin“<br />

Juliane Menke<br />

<br />

der landwirtschaftlichen<br />

Arbeitskräfte<br />

sind Frauen<br />

18


Frauen in der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

an das Wetter an<strong>zu</strong>passen. Werden <strong>die</strong><br />

aktuellen Sollwerte der Funktion überschritten<br />

beziehungsweise unterschritten,<br />

so erhält <strong>die</strong> Hähnchenmästerin<br />

über ihr Mobiltelefon sofort ein Alarmsignal.<br />

„Das kann um zwei Uhr morgens<br />

passieren oder wenn man gerade beim<br />

Einkaufen ist.“ Im Fall eines Alarms ist<br />

sofortiges Handeln erforderlich. „Als<br />

<strong>Land</strong>wirtin muss ich flexibel sein, egal<br />

wie spät es ist oder womit ich mich in<br />

dem Moment gerade beschäftige.“<br />

Mehr Ehefrauen,<br />

weniger Betriebsleiterinnen<br />

Mit ihrem beruflichen Konstrukt gehört<br />

Juliane Menke <strong>zu</strong> den 18 Prozent der<br />

<strong>Land</strong>wirtinnen in Deutschland,<br />

denen ein eigener<br />

Betrieb gehört,<br />

20%<br />

der befragten Frauen haben<br />

einen Hochschul- oder<br />

Universitätsabschluss.<br />

Vor 30 Jahren waren<br />

es noch unter<br />

ein Prozent<br />

ermittelte <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong> „Frauen. Leben.<br />

<strong>Land</strong>wirtschaft.“ Sie wurde in Kooperation<br />

mit dem Deutschen <strong>Land</strong>frauenverband,<br />

dem Thünen-Institut und der<br />

Georg-August-Universität Göttingen<br />

durchgeführt und vom Bundeslandwirtschaftsministerium<br />

gefördert. Demnach<br />

sind <strong>die</strong> Mehrzahl der weiblichen Arbeitskräfte,<br />

nämlich 59 Prozent,<br />

<strong>die</strong> Ehefrauen der Hofeigentümer<br />

und Betriebsleiter. Dörte<br />

Lühmann aus Uhrsleben in<br />

der Magdeburger Börde gehört<br />

<strong>zu</strong> den wenigen Frauen<br />

in Deutschland, <strong>die</strong> einen<br />

Ackerbaubetrieb leiten. Der<br />

350 Hektar große Hof ist Teil<br />

einer Maschinengemeinschaft.<br />

Beides führt <strong>die</strong> dreifache Mutter<br />

gemeinsam mit einer weiteren<br />

<strong>Land</strong>wirtin und zwei <strong>Land</strong>wirten. Die<br />

stu<strong>die</strong>rte Agrarwissenschaftlerin baute<br />

nach der <strong>Wende</strong> <strong>zu</strong>sammen mit ihrem<br />

damaligen Mann den Bauernhof ihrer<br />

Großmutter wieder auf. Inzwischen ist<br />

<strong>die</strong> 60-jährige <strong>Land</strong>wirtin von ihrem<br />

Mann getrennt, aber beide arbeiten weiterhin<br />

als gleichberechtigte Betriebsleiter<br />

<strong>zu</strong>sammen. „Ich war damals viel auf<br />

dem Feld und habe schwere körperliche<br />

Arbeiten verrichtet“, erinnert sich Dörte<br />

Lühmann. Bis sie ihre drei Kinder bekam.<br />

„Dadurch bin ich schnell in <strong>die</strong> typische<br />

Frauenrolle gerutscht und war für den<br />

Haushalt, <strong>die</strong> Kinderbetreuung und das<br />

Büro <strong>zu</strong>ständig.“<br />

„Um meine Belange<br />

habe ich mich immer<br />

<strong>zu</strong>letzt gekümmert.<br />

Mittlerweile bemühe<br />

ich mich, mir täglich<br />

zwei bis drei Stunden<br />

<br />

<br />

Zwei Drittel der befragten <strong>Land</strong>wirtinnen sind für<br />

<strong>die</strong> Kinderbetreuung <strong>zu</strong>ständig, und fast <strong>die</strong> Hälfte<br />

<br />

Das alte Klischee:<br />

Frauendomäne Hausarbeit<br />

Auch heute noch gilt <strong>die</strong> Hausarbeit<br />

auf dem Hof als reine Frauendomäne.<br />

80 Prozent der Stu<strong>die</strong>nteilnehmerinnen<br />

gaben an, für das Kochen und das<br />

Saubermachen des Hauses<br />

<strong>zu</strong>ständig <strong>zu</strong> sein. Zwei<br />

Drittel von ihnen haben<br />

<strong>die</strong> Kinderbetreuung<br />

übernommen<br />

und fast <strong>die</strong><br />

<br />

der Frauen<br />

sind an den<br />

betrieblichen<br />

Entscheidungen<br />

beteiligt<br />

Hälfte <strong>die</strong> Pflege<br />

von Familienangehörigen.<br />

Allerdings<br />

sind heut<strong>zu</strong>tage 60<br />

bis 70 Prozent der<br />

befragten <strong>Land</strong>wirtinnen<br />

an betrieblichen Entscheidungen<br />

beteiligt. „Früher<br />

war es fast ein Skandal, wenn ein Mädchen<br />

eine landwirtschaftliche Ausbildung<br />

absolvieren wollte, vor allem<br />

19


Frauen in der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

FOTOS: ANNA THIESSEN, QUELLEN: LANDWIRTSCHAFTSZÄHLUNG BMEL, LANDFRAUENVERBAND/BMEL/THÜNEN-INSTITUT<br />

Tägliche Kontrolle<br />

Juliane Menke erhält<br />

ein Alarmsignal, wenn<br />

im Stall etwas ausfällt<br />

in Westdeutschland. Sie<br />

wurden <strong>zu</strong>meist auf eine<br />

Haushaltsschule geschickt,<br />

während <strong>die</strong> Söhne <strong>die</strong> landwirtschaftlichen<br />

Betriebe übernommen<br />

haben“, berichtet Dörte Lühmann.<br />

Das gilt nach der aktuellen Stu<strong>die</strong><br />

nicht <strong>mehr</strong>. Tatsächlich verfügen heute<br />

20 Prozent der Befragten über einen<br />

Hochschul- oder Universitätsabschluss.<br />

Vor 30 Jahren waren es unter 1 Prozent.<br />

Damals erlernten 81 Prozent der Frauen<br />

ländliche Hauswirtschaft. Heut<strong>zu</strong>tage<br />

würden sich <strong>die</strong> Frauen <strong>mehr</strong> durchsetzen,<br />

und <strong>die</strong> Eltern ließen <strong>die</strong>s auch<br />

<strong>zu</strong>, ist Dörte Lühmann überzeugt.<br />

Ein gutes Beispiel dafür ist Juliane<br />

Menke. Während ihre Mutter vor knapp<br />

zwei Jahrzehnten für Kinder, Haus und<br />

Garten <strong>zu</strong>ständig war, ist ihre Tochter<br />

Juliane im Bereich Betriebsführung mit<br />

ihrem Vater gleichgestellt. Allerdings<br />

glaubt <strong>die</strong> Niedersächsin, dass sich viele<br />

junge Mädchen den landwirtschaftlichen<br />

Beruf immer noch nicht <strong>zu</strong>trauen würden.<br />

11<br />

Tage<br />

Urlaub machen <strong>die</strong><br />

befragten Frauen<br />

durchschnittlich<br />

pro Jahr<br />

Zu viel Bürokratie<br />

Dabei sind <strong>die</strong> Arbeiten in den Ställen<br />

und auf den Feldern durch <strong>die</strong> technische<br />

Entwicklung viel leichter geworden.<br />

„Ich würde gern öfter mit dem Traktor<br />

oder Mähdrescher fahren und das Getreide<br />

mit einbringen,<br />

wenn es meine Zeit erlauben<br />

würde. In unserer<br />

Gemeinschaft ergänzen wir<br />

uns sehr gut. Jeder hat seine<br />

Stärken und Schwächen. Alle arbeiten auf<br />

Augenhöhe und sind finanziell gleichberechtigt“,<br />

berichtet Dörte Lühmann.<br />

Leider sei der bürokratische Aufwand<br />

mittlerweile so enorm gestiegen,<br />

dass <strong>die</strong> Schreibtischarbeit <strong>zu</strong> einem<br />

echten Zeitfresser würde, so Dörte Lühmann.<br />

Überhaupt ist das Thema Zeit ein<br />

wichtiger Faktor für sie. „In den Neunzigerjahren<br />

und danach standen für mich<br />

<strong>die</strong> Kinder an erster Stelle, dann folgte<br />

der Betrieb. Um meine Belange habe ich<br />

mich immer <strong>zu</strong>letzt gekümmert“, erzählt<br />

Dörte Lühmann. Das sei heute anders.<br />

<br />

nehmerinnen wünschen<br />

sich <strong>mehr</strong> Zeit für sich<br />

Zeitfresser Bürokratie Dörte Lühmann würde lieber<br />

<strong>mehr</strong> auf den Feldern arbeiten, als im Büro <strong>die</strong><br />

unzähligen Formulare und Anträge ausfüllen <strong>zu</strong> müssen<br />

„Mittlerweile versuche ich, täglich zwei<br />

bis drei Stunden für mich und meine ehrenamtlichen<br />

Tätigkeiten <strong>zu</strong> reservieren,<br />

wie Frühstück in Kitas <strong>zu</strong>bereiten, Empfang<br />

von Schulklassen auf dem Hof oder<br />

<strong>die</strong> Mitarbeit im Gemeindekirchenrat.“<br />

Dörte Lühmann gönnt sich kleine Auszeiten<br />

in Form von sportlichen Aktivitäten,<br />

Konzert-und Theaterbesuchen oder<br />

ein verlängertes Wochenende.<br />

Juliane Menke plant mit ihrem Freund<br />

einen Skiurlaub. „Wir waren in <strong>die</strong>sem<br />

Jahr in Norwegen. Ich möchte so vieles<br />

sehen und Erfahrungen sammeln. Da<br />

mein Vater mich momentan noch im Stall<br />

vertreten kann, versuche ich aktuell so<br />

viel wie möglich <strong>zu</strong> reisen,“ erzählt sie.<br />

Sie trifft regelmäßig ihre Freundinnen,<br />

spielt Tennis und nimmt einmal im Monat<br />

an einem Buchclub teil. Mehr Zeit<br />

für sich wünschen sich viele Frauen in<br />

der <strong>Land</strong>wirtschaft. Auf <strong>die</strong> Frage „Wenn<br />

Sie einmal nur an sich denken würden?“<br />

antwortete jede dritte befragte Stu<strong>die</strong>nteilnehmerin,<br />

dass <strong>mehr</strong> Zeit für sich von<br />

großer Bedeutung für sie sei.<br />

Was <strong>die</strong> Zukunft bringt<br />

Dörte Lühmanns Kinder haben sich bereits<br />

geäußert, dass sie andere berufliche<br />

Wege einschlagen werden. „Ich habe<br />

mir vorgenommen, mir in den nächsten<br />

fünf Jahren Klarheit <strong>zu</strong> verschaffen, wie<br />

es bei mir weiterlaufen soll“, sagt <strong>die</strong><br />

<strong>Land</strong>wirtin aus Sachsen-Anhalt.<br />

Und <strong>die</strong> Zukunftspläne von Juliane<br />

Menke? „Ich habe zwei Schwestern, aber<br />

keine von ihnen plant, den Hof der Eltern<br />

<strong>zu</strong> übernehmen. Ich kann mir vorstellen,<br />

das eines Tages <strong>zu</strong> machen.“<br />

20


Urlaub auf dem Bauernhof<br />

Mein Bett am Kornfeld<br />

Ob Familienurlaub auf dem Erlebnishof oder eine romantische<br />

Übernachtung unter freiem Himmel: Ferienhöfe lassen sich viel einfallen<br />

Nah ist das neue Fern. Immer<br />

<strong>mehr</strong> Deutsche entscheiden<br />

sich für einen Urlaub im eigenen<br />

<strong>Land</strong>. Über 10 Millionen<br />

Deutsche möchten ihre Ferien am liebsten<br />

auf einem Bauernhof verbringen. Das<br />

geht aus einer aktuellen Allensbach-<br />

Stu<strong>die</strong> hervor. Viele landwirtschaftliche<br />

Betriebe reagieren auf <strong>die</strong>sen Trend.<br />

Fast 10 000 Hofdomizile gibt es hier<strong>zu</strong>lande.<br />

Die Angebote für Ferien auf dem<br />

<strong>Land</strong> sind vielfältig. Heuhotel, Wellness,<br />

Weinlese auf dem Winzergut, Koch- und<br />

Malkurse für Paare, Mitmachurlaub im<br />

Stall und auf dem Feld, sogar Camping<br />

ist möglich.<br />

In Ruhe genießen<br />

Auch Martin Ehrismann und seine Frau<br />

Sabine aus Königsbach in Baden-Württemberg<br />

bieten ihren Gästen außergewöhnliche<br />

Urlaubs- und Übernachtungserlebnisse<br />

mitten in der Natur. „Unser<br />

Hof liegt in einer absoluten Alleinlage<br />

und ist umgeben von endlosen Feldern,<br />

Wiesen und Wäldern. Es herrscht himmlische<br />

Ruhe hier. Das ist genau das, was <strong>die</strong><br />

Menschen suchen, <strong>die</strong> <strong>zu</strong> uns kommen“,<br />

erklärt der 56-jährige <strong>Land</strong>wirt. Der Eichhälderhof,<br />

der seit 300 Jahren in Familienbesitz<br />

ist, bietet sich an als Rück<strong>zu</strong>gsort,<br />

an dem <strong>die</strong> Urlauber den Alltagsstress<br />

Natur pur Auf dem Eichhälderhof ist es<br />

friedlich und still<br />

hinter sich lassen können. „Unsere Gäste<br />

genießen <strong>die</strong> Stille und sind total happy<br />

und gechillt, wenn sie bei uns sind“, freut<br />

sich Martin Ehrismann.<br />

Urlaubsglück vor<br />

der Haustür<br />

Damit seine Feriengäste das ganze Jahr<br />

über den Aufenthalt auf dem rund 200<br />

Hektar großen Hof genießen können,<br />

wohnen sie in ganz besonderen Unterkünften.<br />

Neben einem gemütlichen<br />

Weinfass und einem selbst gebauten<br />

Schäferwagen gibt es ein modern ausgestattetes<br />

Tiny House. Auch drei Stellplätze<br />

für Wohnmobile stehen den Reisenden<br />

<strong>zu</strong>r Verfügung. Sogar ein Bett am<br />

Kornfeld stellt der engagierte Gastgeber<br />

auf der Wiese für seine Übernachtungsgäste<br />

auf, wenn es das Wetter <strong>zu</strong>lässt.<br />

Nicht nur Großstädter machen sich auf<br />

den Weg <strong>zu</strong>m Eichhälderhof. Manchmal<br />

liegt das Urlaubsglück direkt vor der<br />

Haustür. „Wir hatten ein älteres Ehepaar<br />

für ein paar Tage <strong>zu</strong> Gast, das aus dem<br />

Nachbarort stammt. Die Frau hat sich<br />

fast überschlagen vor Begeisterung. Es<br />

reicht also oft ein kleiner Tapetenwechsel,<br />

um sich wohl<strong>zu</strong>fühlen“, fügt Martin<br />

Ehrismann lachend hin<strong>zu</strong>. Der Austausch<br />

mit seinen Gästen ist ihm wichtig. „Ihnen<br />

<strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtschaft näher<strong>zu</strong>bringen, liegt<br />

mir sehr am Herzen. Durch Gespräche<br />

entsteht ein viel besseres Verständnis.“<br />

Co-Working-Space<br />

auf dem <strong>Land</strong><br />

Das nächste Gästeprojekt auf dem Eichhälderhof<br />

wird demnächst fertiggestellt.<br />

Das, was sich in Städten immer <strong>mehr</strong><br />

etabliert, soll dann künftig auch auf dem<br />

<strong>Land</strong> möglich sein. Flexibles Arbeiten<br />

im Grünen lautet <strong>die</strong> Devise. „Wir bauen<br />

gerade ein Co-Working-Space. Ein<br />

Raum mit Schreibtisch, extraschnellem<br />

Internetanschluss und eine Terrasse mit<br />

Weitblick“, beschreibt Martin Ehrismann<br />

den innovativen Arbeitsplatz. Ein Ort, an<br />

dem <strong>die</strong> besten Ideen auf den Weg gebracht<br />

werden können. Ganz in Ruhe<br />

und in der Natur.<br />

FOTO: EICHHÄLDERHOF<br />

Hier lässt sich Kraft tanken Auf einer Terrasse mit Blick ins unbebaute Tal, in einem Bett mitten in der Natur oder in einem<br />

Schäferwagen aus Holz – der Eichhälderhof verspricht himmlische Ruhe<br />

21


Architektur<br />

Schöner wohnen<br />

auf dem <strong>Land</strong><br />

Über 100 <strong>Land</strong>wirte, Winzer und Gärtner nahmen mit ihren<br />

Neu- und Umbauten an dem <strong>Land</strong>baukultur-Preis 2021 teil.<br />

Zwei Hauptgewinner stellen wir Ihnen vor<br />

Japanische Pagode Familie<br />

Huemer aus Österreich hat<br />

für ihre edlen Wagyū-Rinder<br />

einen Stall geschaffen,<br />

der an ihr Ursprungsland<br />

Japan erinnert<br />

Anspruchsvolle Architektur gemixt mit moderner<br />

Funktionalität. Immer <strong>mehr</strong> Bauherren aus dem<br />

landwirtschaftlichen Umfeld setzen auf innovative<br />

und zeitgemäße Ausführungen ihrer Gebäudeprojekte,<br />

ganz egal, ob es sich um Ställe<br />

oder Wohnhäuser handelt.<br />

Die <strong>zu</strong>m <strong>Land</strong>wirtschaftsverlag gehörende Stiftung LV<br />

Münster prämiert alle zwei Jahre <strong>die</strong> bemerkenswertesten<br />

baulichen Objekte auf dem <strong>Land</strong>. Über einen der insgesamt<br />

drei Hauptpreise des letzten Wettbewerbs urteilte <strong>die</strong> Jury:<br />

„Ein hochwertiger Stall für hochwertige Rinder“, und über<br />

den zweiten Hauptsieger: „Eine gelungene Überführung<br />

der alten Gestaltung in <strong>die</strong> neue Nut<strong>zu</strong>ng.“<br />

Japan in Österreich<br />

Wenn Diana und Hubert Huemer in der dunklen Jahreszeit<br />

frühmorgens aus ihrem Schlafzimmerfenster sehen, liegt ihr<br />

neuer Rinderstall hell erleuchtet vor ihnen. „Bei dem schönen<br />

Anblick bekommt man gleich gute Laune“, erzählt der<br />

<strong>Land</strong>wirt, dessen Hof im oberösterreichischen Atzbach liegt.<br />

Rund 18 Monate dauerten <strong>die</strong> Planung und Ausführung der<br />

Arbeiten an dem neuen Stall, der mit seiner dreigeteilten<br />

Form an eine japanische Pagode erinnert. „Durch <strong>die</strong> Höhe<br />

wirkt er fast wie ein Kühlturm. Oben ist er warm und unten<br />

schön kühl. Die Luftzirkulation im Stall ist optimal“, erklärt<br />

der Bauherr. Verwendet wurden für den Neubau nur reines<br />

Schnittholz aus der Region und Echtglasplatten für das


Vorher<br />

Nachher<br />

Zeitlos<br />

und modern<br />

Architekt<br />

Johannes<br />

Schmersahl hat<br />

dem Küchenbereich<br />

seines<br />

neuen Zuhauses<br />

klare Formen<br />

gegeben<br />

Imposant Über zehn Meter hoch ist der<br />

eindrucksvolle Raum der umgebauten<br />

Wohnscheune, in dem Familie Daube-<br />

Schmersahl kocht, isst und entspannt<br />

Den Charakter<br />

bewahrt Von<br />

außen wurde<br />

der traditionelle<br />

Stil der Scheune<br />

beibehalten.<br />

Ein echter Hingucker<br />

sind <strong>die</strong><br />

bodenlangen<br />

Holzschiebe-<br />

Elemente vor<br />

den Fenstern<br />

FOTOS: STEFAN GRUBER, NEUSCHAEFER-RUBE<br />

durchgehende Oberlicht, das für viel Helligkeit<br />

im ganzen Stall sorgt. Weder Leim,<br />

Schaumstoff noch Plastik kamen <strong>zu</strong>m<br />

Einsatz. „Theoretisch könnte man <strong>die</strong><br />

Anlage problemlos <strong>zu</strong>rückbauen und <strong>die</strong><br />

Materialien neu verwenden“, so Huemer.<br />

Seine 40Wagyū-Rinder, deren Ursprung<br />

in Japan liegt und deren Fleisch <strong>zu</strong> dem<br />

besten und teuersten zählt, fühlen sich<br />

sichtlich wohl in dem eindrucksvollen<br />

Stall mit überdachtem Auslauf und den<br />

mit Stroh eingestreuten großen Liegeflächen.<br />

Spezielle Laufgangrillenplatten<br />

im Fressbereich sorgen für Trittsicherheit<br />

und sind Teil des Güllesystems, das<br />

<strong>die</strong> Exkremente sofort abfließen lässt,<br />

was für ein hohes Maß an Sauberkeit<br />

und weniger Methanemissionen sorgt.<br />

Gerade baut <strong>die</strong> neunköpfige Familie den<br />

Lager- und Verkaufsraum außerhalb des<br />

Hauptgebäudes aus. Dann folgt vielleicht<br />

eines Tages noch <strong>die</strong> Realisierung eines<br />

eigenen Schlachtraums. „Bisher haben<br />

wir viel Lob aus unserer Umgebung erhalten.<br />

Es gab sogar einige Interessenten,<br />

<strong>die</strong> sich Ideen für ihren neuen Stall<br />

geholt haben“, freut sich der <strong>Land</strong>wirt.<br />

Für sein innovatives Bauprojekt hat er<br />

ca. 20 Prozent <strong>mehr</strong> als für den Bau eines<br />

herkömmlichen Stalls bezahlt.<br />

Neues Leben in alten<br />

Gemäuern<br />

Früher <strong>die</strong>nte <strong>die</strong> Scheune als Hühnerund<br />

Kälberstall sowie als Unterstand für<br />

Trecker und andere Fahrzeuge. Heute<br />

leben Stefanie Daube-Schmersahl, ihr<br />

Mann Johannes und ihre drei Kinder<br />

in dem alten Gebäude. Herzstück der<br />

Wohnscheune ist ein imposanter zehn<br />

Meter hoher Raum, in dem sich ein<br />

großzügiger, heller Wohn-, Ess- und<br />

Kochbereich befindet. Im anderen Teil<br />

des Gebäudes sind Schlaf-, Gäste- und<br />

Badezimmer untergebracht, alle Zimmer<br />

mit normalen Deckenhöhen. Den alten<br />

Kornboden hat <strong>die</strong> Familie <strong>zu</strong> ihrem<br />

„Keller“ umfunktioniert. „Wir haben<br />

im Nachbarort gelebt, aber ich wollte<br />

gern <strong>zu</strong>rück auf unseren Hof,“ erzählt<br />

<strong>die</strong> Bauherrin. „Ich arbeite seit vielen<br />

Jahren in unserem ackerbaulichen Familienbetrieb<br />

mit. Für mich ist der Um<strong>zu</strong>g<br />

in <strong>die</strong> Scheune eine echte Zeit- und<br />

Arbeitserleichterung. Die Kinder können<br />

<strong>zu</strong> ihren Großeltern hinüberlaufen und<br />

haben hier ihre Tiere.“ Anfangs war Ehemann<br />

Johannes Schmersahl nicht ganz<br />

überzeugt davon, aufs <strong>Land</strong> <strong>zu</strong> ziehen.<br />

Doch als seine Frau und seine Schwiegereltern<br />

ihm freie Hand bei der Umgestaltung<br />

der Scheune gaben, war der<br />

Architekt, der normalerweise öffentliche<br />

Gebäude entwirft, überzeugt. „Ich wollte<br />

den Charakter der Scheune von außen<br />

erhalten. Im Innenbereich haben wir <strong>die</strong><br />

alte Bausubstanz gut nutzen können und<br />

dadurch viele Materialien und vor allem<br />

Kosten gespart“, beschreibt der Fachmann<br />

das Projekt. Ein Neubau wäre seiner<br />

Meinung nach doppelt bis dreimal<br />

so teuer geworden. „Meine Schwiegereltern<br />

sind sehr <strong>zu</strong>frieden mit dem Ergebnis,<br />

weil sich das Gebäude optisch in<br />

<strong>die</strong> Hofstruktur einordnet und modern<br />

und konservativ <strong>zu</strong>gleich wirkt“, sagt Johannes<br />

Schmersahl. So ist am Ende <strong>die</strong><br />

ganze Familie glücklich, und <strong>die</strong> junge<br />

Hofnachfolgerin sagt: „Es gehörte eine<br />

Portion Mut <strong>zu</strong> <strong>die</strong>sem Projekt. Wenn<br />

man von einem Hof kommt, will man<br />

auch, dass <strong>die</strong>ser weitergeführt wird.<br />

Mit unserer tollen Wohnscheune sind<br />

jetzt alle Weichen gestellt.“<br />

23


<strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

Gesundmacher<br />

für Mensch und Natur<br />

<br />

Erst verbessern sie den Ackerboden, dann liefern sie uns optimales Powerfood auf den Teller<br />

Sie arbeiten wie kleine Düngerfabriken:<br />

Hülsenfrüchtler gehören<br />

<strong>zu</strong> den wenigen Pflanzen<br />

auf der Welt, <strong>die</strong> Stickstoff<br />

aus der Luft sammeln und im<br />

Boden als natürlichen Dünger <strong>zu</strong>r Verfügung<br />

stellen können. Und ihre Früchte<br />

sind reich an Eiweiß und Ballaststoffen,<br />

was sich positiv auf den menschlichen<br />

Körper auswirkt. Professor Sascha Rohn<br />

ist Lebensmittelchemiker und lehrt an<br />

der Technischen Universität Berlin. Der<br />

Experte für Leguminosen erklärt, worin<br />

<strong>die</strong> wahren Stärken der Hülsenfrüchte<br />

liegen, wenn sie regelmäßig auf unseren<br />

Speiseplänen erscheinen.<br />

Welche gesundheitsfördernden Eigenschaften<br />

besitzen Hülsenfrüchte?<br />

Sie verfügen über einen hohen Protein-,<br />

also Eiweißgehalt, und sind reich an<br />

Ballaststoffen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Darmtätigkeit<br />

anregen. In Hülsenfrüchten sind auch<br />

weitere komplexe Kohlenhydrate <strong>zu</strong> finden,<br />

deren Verdauung relativ langsam<br />

erfolgt. Dadurch gerät der Zucker erst<br />

nach und nach ins Blut, wodurch nur<br />

wenig Insulin ausgeschüttet wird und<br />

man sich länger satt fühlt. Von daher<br />

sind Hülsenfrüchte besonders wertvoll<br />

für Diabetiker und für alle, <strong>die</strong> es nicht<br />

werden wollen.<br />

Worin besteht der Unterschied zwischen<br />

pflanzlichem und tierischem<br />

Eiweiß?<br />

Proteine bestehen aus lebenswichtigen<br />

Aminosäuren. In der Nahrung sind<br />

sie unverzichtbare Energielieferanten,<br />

denn überall im Körper werden sie benötigt<br />

– für Stoffwechselprozesse und<br />

vor allem als Baumaterial, etwa für Muskeln,<br />

Blut und Organe. Da unser Körper<br />

nur einen Teil der benötigten Proteine<br />

selbst produzieren kann, müssen wir<br />

<strong>die</strong> Eiweiße mit der Nahrung <strong>zu</strong> uns<br />

nehmen. Tierisches Eiweiß aus Fleisch<br />

oder Fisch, Eiern und Milchprodukten<br />

wird von vielen Personen bevor<strong>zu</strong>gt, da<br />

es für den Körper leichter verwertbar<br />

ist. Pflanzliches Eiweiß ist fast ebenso<br />

wertig in seiner Zusammenset<strong>zu</strong>ng,<br />

jedoch bisweilen nicht so gut verwertbar,<br />

da pflanzliche Strukturen meist<br />

sehr viel fester und somit schwerer <strong>zu</strong><br />

verdauen sind. Früher erwartete man<br />

dadurch eine Unterversorgung, aber das<br />

ist heut<strong>zu</strong>tage bei unserer reichhaltigen<br />

Lebensmittelauswahl in Deutschland<br />

nicht <strong>zu</strong> befürchten. Am Ende macht es<br />

<strong>die</strong> gesunde Mischung: Mal sollte ein Ei,<br />

mal Hummus oder Tofu auf dem Speiseplan<br />

stehen.<br />

Reichlich<br />

Ballaststoffe<br />

beugen <strong>zu</strong>m Beispiel<br />

Darmkrebs vor<br />

Gehören auf den Ernährungsplan<br />

Hülsenfrüchte wie Linsen, Erbsen,<br />

Bohnen, Lupinen und Soja


Gesunde Nahrung<br />

für den Boden<br />

Leguminosen, <strong>die</strong> <strong>zu</strong>r Unterfamilie der Schmetterlingsblütler<br />

gehören, leisten einen großen Beitrag <strong>zu</strong>r<br />

Bodengesundheit. Denn sie benötigen praktisch keinen<br />

mineralischen Stickstoffdünger, da sie selbst für einen<br />

Teil der Düngung sorgen. Sogenannte Knöllchen-<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Boden <strong>zu</strong>r Verfügung.<br />

Im Labor Lebensmittelchemiker und Hülsenfrucht-Experte<br />

Professor Sascha Rohn von der Technischen Universität Berlin<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

FOTO: AAMULYA/ISTOCK, SUPAMAS/ADOBESTOCK, CHRISTAN KIELMANN<br />

„Hülsenfrüchte verfügen über einen hohen Protein-,<br />

also Eiweißgehalt, und sind reich an Ballaststoffen,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Darmtätigkeit anregen“<br />

Wie viele Hülsenfrüchte sollte man pro<br />

Tag/Woche essen?<br />

Wenn man <strong>zu</strong>grunde legt, dass man<br />

sieben mal drei Mahlzeiten pro Woche<br />

<strong>zu</strong> sich nimmt, also insgesamt 21 Mahlzeiten,<br />

dann könnte man schon drei bis<br />

fünf Portionen mit Hülsenfrüchten als<br />

Beilage wöchentlich einplanen. Auf genaue<br />

Gewichtsangaben möchte ich mich<br />

nicht festlegen, da ein großer Mensch,<br />

ein Sportler oder ein körperlich hart<br />

arbeitender Mensch <strong>zu</strong>m Beispiel <strong>mehr</strong><br />

Proteine benötigt als andere Personen.<br />

Wer <strong>zu</strong>m Beispiel Darmkrebs vorbeugen<br />

will, sollte so viele Ballaststoffe wie möglich<br />

<strong>zu</strong> sich nehmen. Davon nehmen wir<br />

immer noch <strong>zu</strong> wenig <strong>zu</strong> uns. Durch ihren<br />

faserigen Aufbau sind Hülsenfrüchte<br />

sehr gute Ballaststofflieferanten.<br />

Wie beliebt sind Hülsenfrüchte auf<br />

unseren Tellern?<br />

Früher wurden Hülsenfrüchte wie Felderbsen<br />

und Ackerbohnen hauptsächlich<br />

<strong>zu</strong>r Viehfütterung verwendet. Heute<br />

wird daraus Mehl für <strong>zu</strong>m Beispiel Backwaren,<br />

Nudeln und zahlreiche weitere<br />

Produkte gewonnen, oder <strong>die</strong> Proteine<br />

der Hülsenfrüchte werden extrahiert,<br />

um sie anderen Lebensmitteln wie etwa<br />

alternativen Joghurts oder Milchersatz<br />

<strong>zu</strong><strong>zu</strong>führen. Auch durch <strong>die</strong>se Entwicklungen<br />

erlebt der Tofu aus Sojabohnen,<br />

der ja schon recht lange bekannt ist,<br />

aktuell wieder einen absoluten Hype.<br />

Kichererbsen, aus denen Hummus gemacht<br />

wird, erfreuen sich ebenso großer<br />

Beliebtheit. Oder <strong>die</strong> braunen Kidneybohnen,<br />

aus denen man Chili con – oder<br />

sin – Carne macht. Es gibt viele spannende<br />

Verwertungs- und Zubereitungsmöglichkeiten<br />

für Hülsenfrüchte.<br />

Bauen wir in Deutschland genügend<br />

Hülsenfrüchte für unseren Bedarf an?<br />

Allein aus Klimaschutzgründen wäre es<br />

gut, Lieferwege <strong>zu</strong> verkürzen. Von daher<br />

wäre der verstärkte Anbau von heimischen<br />

Hülsenfrüchten wünschenswert. Der Klimawandel<br />

hat auch eine andere Seite:<br />

Durch <strong>die</strong> Klimaerwärmung ergeben sich<br />

in Deutschland Anbaumöglichkeiten für<br />

Soja, derzeit bereits praktiziert in Bayern<br />

und Baden-Württemberg. Genauso in Österreich<br />

und dem angrenzenden Balkan.<br />

Welche Lebensmittel kann man aus<br />

Hülsenfrüchten herstellen?<br />

Ich bin mir ziemlich sicher, dass<br />

wir bald ver<strong>mehr</strong>t aus Hülsenfrüchten<br />

Mehl für Nudeln<br />

und viele Backwaren<br />

herstellen werden. Hier<br />

ist bereits eine schöne<br />

Auswahl <strong>zu</strong> finden, und<br />

es wird kräftig weiterentwickelt<br />

und experimentiert.<br />

Ein Sternekoch<br />

hat <strong>zu</strong>m Beispiel ein Rezept für Nudeln<br />

aus Erbsen entwickelt, <strong>zu</strong> denen er<br />

Shrimps und Curry serviert.<br />

Wird es bald <strong>mehr</strong> Lebensmittel oder<br />

größere Mengen an Lebensmitteln –<br />

basierend auf Hülsenfrüchten – geben?<br />

Ich denke schon, dass sich <strong>die</strong>se Trends<br />

weiter fortsetzen und weniger Fleisch gegessen<br />

wird. In dem Fall decken wir unseren<br />

Proteinbedarf aus Milchprodukten<br />

oder Hülsenfrüchten. Aber grundsätzlich<br />

empfehle ich, sich so vielfältig wie möglich<br />

<strong>zu</strong> ernähren. Auf <strong>die</strong> Abwechslung<br />

kommt es an! In Deutschland haben wir<br />

so eine große Auswahl an verschiedenen<br />

Zutaten und Lebensmitteln, da dürfte<br />

uns eine vielfältige Ernährungs<strong>zu</strong>sammenstellung<br />

nicht schwerfallen. Einfach<br />

mal was Neues ausprobieren wie Brot aus<br />

Hülsenfrüchtemehl!<br />

Gibt es eine spezielle Zubereitungsart,<br />

<strong>die</strong> Sie besonders mögen?<br />

Ich war schon immer ein Bohnen- und<br />

Erbsensuppen-Fan. Egal ob vegetarisch<br />

oder mit Speck und Würstchen. Auch<br />

wenn <strong>die</strong>s augenscheinlich nicht <strong>die</strong> neuesten<br />

Rezepte und Produkte sind, zeigt<br />

sich doch auch hier, dass <strong>die</strong><br />

aktuellen Trends irgendwie<br />

gut <strong>zu</strong>r Tradition passen<br />

Stark im<br />

Kommen:<br />

Backwaren aus<br />

Hülsenfrüchten<br />

können.<br />

25


Benedikt Bösel und sein Team<br />

von Gut & Bösel wollen aufzeigen,<br />

wie ausgesprochen wichtig<br />

<strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtschaft ist. Denn<br />

nur sie kann alles: das Klima<br />

schützen, <strong>die</strong> Mittel produzieren,<br />

<strong>die</strong> wir <strong>zu</strong>m Leben benötigen,<br />

und <strong>die</strong> Artenvielfalt steigern.<br />

2022 wurde er <strong>zu</strong>m <strong>Land</strong>wirt des<br />

Jahres gewählt<br />

Ausprobieren,<br />

analysieren, anwenden<br />

Benedikt Bösel entwickelt mit seinem Team neue Formen für eine naturverträgliche <strong>Land</strong>nut<strong>zu</strong>ng


<strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

„Die <strong>Land</strong>wirtschaft ist der direkteste Hebel,<br />

um <strong>die</strong> großen Probleme unserer Zeit <strong>zu</strong> lösen“<br />

Früher trug er An<strong>zu</strong>g und Aktentasche,<br />

heute Gummistiefel<br />

und ein grünes Baseball-Käppi.<br />

Benedikt Böselwar Investmentbanker.<br />

Seit 2<strong>01</strong>6 ist der 38-Jährige<br />

Experimentierer, Erforscher, Entdecker<br />

und <strong>Land</strong>wirt in einer Person.<br />

Auf seinem 3000 Hektar großen Betrieb<br />

betreibt er Ackerbau, Vieh- und Forstwirtschaft.<br />

Um alle Daten und Erkenntnisse<br />

seines multifunktionalen landwirtschaftlichen<br />

Konzepts wissenschaftlichen<br />

Partnern, anderen <strong>Land</strong>wirten und jungen<br />

Start-ups <strong>zu</strong>r Verfügung stellen <strong>zu</strong> können,<br />

hat er <strong>die</strong> Finck Stiftung gegründet.<br />

Mit <strong>Stadt</strong>.<strong>Land</strong>.<strong>Wissen</strong>. sprach er über<br />

seine Ziele und Zukunftsvisionen.<br />

FOTO: TIMO JAWORR<br />

Wie sähe Ihre landwirtschaftliche<br />

Welt im besten Fall aus?<br />

Das Ökosystem einer sinnstiftenden<br />

<strong>Land</strong>wirtschaft, <strong>die</strong> gut schmeckende<br />

Lebensmittel produziert, müsste an <strong>die</strong><br />

jeweiligen Vorausset<strong>zu</strong>ngen und Eigenschaften<br />

des Standorts angepasst sein,<br />

wie <strong>zu</strong>m Beispiel den Nährstoffgehalt<br />

des Bodens oder <strong>die</strong> vorherrschenden<br />

Wetterbedingungen. Das A und O unserer<br />

landwirtschaftlichen Produktionssysteme<br />

sollten neben der Erzeugung<br />

von hochwertigen Lebensmitteln <strong>die</strong><br />

Verbesserung des Bodens sein, <strong>die</strong> Förderung<br />

der Biodiversität, der tiergerechte<br />

Umgang mit dem Nutzvieh und <strong>die</strong><br />

Stärkung der soziokulturellen Struktur<br />

der Region, sodass es den Menschen,<br />

<strong>die</strong> dort leben, gut geht. Und das alles<br />

bei einem ordentlichen Einkommen der<br />

landwirtschaftlichen Betreiber und deren<br />

nachfolgenden Generationen.<br />

Sie betreiben Tierhaltung, Ackerbau<br />

und Forstwirtschaft und gehen dabei<br />

neue Wege. Welche sind das?<br />

Mein Team und ich wollen weg von der<br />

klassischen Aufteilung und dem Setzen<br />

von betrieblichen Schwerpunkten, und<br />

wir wollen hin <strong>zu</strong> einem multifunktionalen<br />

Gesamtkonstrukt. Wir wollen Kreisläufe<br />

schließen. Ein Beispiel: Wir bauen<br />

Agroforststreifen aus 60 verschiedenen<br />

Obstsorten, 30 Nuss- und Beerensorten<br />

an und erforschen, wie sich damit <strong>die</strong><br />

Humusentwicklung und Wasserbindung<br />

im Boden beeinflussen lassen. Und wir<br />

säen Unter- und Zwischenfrüchte auf<br />

den Feldern aus und lassen <strong>die</strong> Tiere<br />

ganzjährig draußen weiden. Diese fressen<br />

<strong>die</strong> Zwischenfrüchte, wodurch wir<br />

wiederum Futterkosten einsparen. Oder<br />

wir probieren aus, wie wir durch Kompostierung<br />

<strong>die</strong> im brandenburgischen Alt<br />

Madlitz sehr sandigen Böden mit <strong>mehr</strong><br />

Mikroorganismen versorgen können. All<br />

das wird <strong>zu</strong> einem betrieblichen System,<br />

wo jeder Teil positive Einflüsse auf den<br />

anderen hat.<br />

Kühe werden vielfach in Diskussionen<br />

als Klimakiller dargestellt. Sehen Sie das<br />

auch so?<br />

Das ist ein Urteil, das völlig <strong>zu</strong> Unrecht<br />

besteht. Für mich haben Rinder auf unseren<br />

Äckern <strong>die</strong> Funktion von Humusaufbau,<br />

Fotosyntheseerhöhung, Nut<strong>zu</strong>ng des<br />

natürlichen Futters, Nährstoffkreislaufschließung,<br />

Wasserspeicherung im Boden,<br />

und am Ende, quasi als Beiprodukt, steht<br />

das hochwertige Fleisch. Wir bewerten<br />

<strong>die</strong> Kuh also nicht nach dem Fleisch, sondern<br />

nach dem, was sie alles an positiven<br />

Funktionen für uns übernimmt. Für mich<br />

ist <strong>die</strong> Kuh unter anderem ein wesentlicher<br />

Treiber für <strong>die</strong> Verbesserung des Klimas<br />

sowie ein Aktivator des Wasserzyklus,<br />

um den Planeten ab<strong>zu</strong>kühlen. Außerdem<br />

frisst sie Nahrung, <strong>die</strong> wir Menschen als<br />

Lebensmittel gar nicht verwerten könnten.<br />

Die Kuh ist nicht das Problem, da haben<br />

wir ganz andere Herausforderungen.<br />

Können andere landwirtschaftliche<br />

Betriebe von Ihren Erfahrungen<br />

profitieren?<br />

Es gibt keine universelle Lösung für alle<br />

landwirtschaftlichen Herausforderungen.<br />

Was in unserem Betrieb richtig ist, kann<br />

auf einem anderen Hof vielleicht nicht<br />

funktionieren. Wichtig ist, darauf <strong>zu</strong><br />

schauen, wie <strong>die</strong> Natur reagiert und welche<br />

natürlichen Regeln an einem Standort<br />

herrschen. Vor zwei Jahren habe ich eine<br />

Stiftung gegründet, damit wir all unsere<br />

wissenschaftlichen Daten und Erkenntnisse<br />

anderen Forschern, <strong>Land</strong>wirten<br />

und jungen Unternehmern <strong>zu</strong>r Verfügung<br />

stellen können, damit sie <strong>die</strong>se für sich<br />

nutzen und daraus lernen können. Wir<br />

haben rund 3000 Besucher pro Jahr. 90<br />

Prozent der <strong>Land</strong>wirte erkennen <strong>zu</strong>m Beispiel<br />

an, dass Agroforst Sinn macht. Wir<br />

benötigen aber noch etwa fünf Jahre, bis<br />

wir unsere ganzen Ergebnisse bis hin <strong>zu</strong>r<br />

Ertragsseite ausgewertet haben. Im März<br />

kommt mein erstes Buch heraus. Es heißt<br />

„Rebellen der Erde – Wie wir den Boden<br />

retten und damit uns selbst!“<br />

Aus<br />

60 Obstsorten<br />

und 30 Nuss- und<br />

Beerensorten<br />

entstehen<br />

Agroforststreifen<br />

Was sind Ihre Ziele?<br />

Wir müssen vom Bekämpfen<br />

der Symptome<br />

durch Technologie<br />

abkommen und<br />

hin <strong>zu</strong>r Veränderung<br />

unserer Systeme, um<br />

<strong>die</strong> Kernursachen <strong>zu</strong><br />

verändern. Etwas aus<strong>zu</strong>probieren<br />

ist Kern der <strong>Land</strong>wirtschaft,<br />

und nur so können wir uns<br />

der Natur annähern. Auf meinem Betrieb<br />

suchen wir profitable Geschäftsmodelle,<br />

<strong>die</strong> im Einklang mit dem Ökosystem<br />

stehen. Außerdem wollen wir aufzeigen,<br />

wie ausgesprochen wichtig <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

ist. Denn nur sie kann alles:<br />

das Klima schützen, <strong>die</strong> Mittel produzieren,<br />

<strong>die</strong> wir <strong>zu</strong>m Leben benötigen, und<br />

<strong>die</strong> Artenvielfalt steigern. Ich bin davon<br />

überzeugt, dass <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtschaft einen<br />

großen Zulauf erfahren wird. Aber sie<br />

benötigt Wertschät<strong>zu</strong>ng und Respekt.<br />

Haben Sie Ihren Jobwechsel bereut?<br />

Als ich bei der Bank war, dachte ich, ich<br />

hätte gelernt <strong>zu</strong> arbeiten. Als ich als<br />

<strong>Land</strong>wirt anfing, dachte ich mir, jetzt<br />

weiß ich, was Arbeit ist. Ich kenne das<br />

Gefühl, im trockenen Brandenburg <strong>Land</strong>wirt<br />

<strong>zu</strong> sein. Ich habe schlaflose Nächte,<br />

wenn es ewig nicht regnet und unsere<br />

Kiefernmonokultur eine tickende Zeitbombe<br />

ist. Aber ich bereue es keine<br />

Sekunde. Ich bin genau dort, wo ich hingehöre.<br />

Die <strong>Land</strong>wirtschaft ist der direkteste<br />

Hebel, um <strong>die</strong> großen Probleme<br />

unserer Zeit <strong>zu</strong> lösen.<br />

27


<strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

1 Lebensmittelwertschät<strong>zu</strong>ng<br />

Weniger wegwerfenAchte auf <strong>die</strong> Logos<br />

„Oft länger gut“ oder „Ich halte oft länger“<br />

– und kaufe Artikel mit kurzer Haltbarkeit <strong>zu</strong>m<br />

reduzierten Preis.<br />

2<br />

Bewusst<br />

einkaufen<br />

Achte auf <strong>die</strong> „5D“-Kennzeichnung auf Fleischverpackungen.<br />

Die Tiere für <strong>die</strong>se Produkte<br />

wurden in Deutschland geboren, aufgezogen,<br />

gemästet, geschlachtet und verarbeitet. Darüber<br />

hinaus gibt <strong>die</strong> Haltungsform-Kennzeichnung<br />

1 bis 4 auf vielen tierischen Produkten an, wie<br />

das Tier gehalten wurde.<br />

28<br />

3Bewusst<br />

ernähren<br />

Der Nutri-Score auf den<br />

Verpackungen zeigt, wie<br />

günstig <strong>die</strong> Nährwert<strong>zu</strong>sammenset<strong>zu</strong>ng<br />

der Produkte sind.<br />

FOTOS: ISTOCK/SHIRONOSOV, LIDL,<br />

MICHAEL SCHUNCK/SIMONE RUDLOFF<br />

4<br />

Regional<br />

einkaufen<br />

Die Transportwege regionaler Artikel sind<br />

kürzer. Dadurch wird beim Transport weniger<br />

klimaschädliches CO 2<br />

ausgestoßen. Außerdem<br />

unterstützt du mit dem Kauf regionaler<br />

Produkte kleinere Erzeuger, Produzenten und<br />

Familienbetriebe und trägst <strong>zu</strong>m Erhalt der<br />

landwirtschaftlichen Strukturen der Region bei.


5<br />

Saisonal<br />

einkaufen<br />

Wenn heimisches Obst und Gemüse Saison<br />

haben, sind <strong>die</strong> Wege vom regionalen Erzeuger<br />

<strong>zu</strong>m Verkaufsregal sowie <strong>die</strong> Lagerungszeiten<br />

entsprechend kurz. Das bedeutet <strong>mehr</strong> Frische und<br />

weniger Energieverbrauch sowie einen geringeren<br />

CO 2<br />

-Ausstoß gegenüber importierter Ware.<br />

<br />

Saisonkalender für Obst<br />

und Gemüse.<br />

Unsere Experten: Christin Winkler,<br />

<strong>Nachhaltigkeit</strong>smanagerin Lidl<br />

Deutschland, und Robert Pudelko,<br />

Leiter <strong>Nachhaltigkeit</strong> Einkauf bei<br />

<br />

Expertentipps<br />

für einen umweltfreundlicheren Einkauf<br />

Verbraucher können sich beim Lebensmitteleinkauf für <strong>die</strong> Umwelt und Natur stark<br />

<br />

6<br />

Produkte ohne<br />

Mikroplastik<br />

<br />

Auch kleinste Kunststoffpartikel<br />

belasten uns und unsere Umwelt fast<br />

<br />

und Kosmetikprodukten greifen, <strong>die</strong><br />

<br />

ist durch entsprechende Logos auf den<br />

Verpackungen <strong>zu</strong> erkennen.<br />

Bio-Qualität<br />

<br />

Naturschutzstandards erfüllen – unter<br />

anderem in der Tierhaltung, in der Kreis -<br />

laufwirtschaft und in landwirtschaftlichen<br />

Arbeitsprozessen.<br />

29


Berufe<br />

Brigitte<br />

Schwalen<br />

arbeitet als<br />

Headhunterin<br />

bei einer Personalagentur<br />

Friedrich<br />

Brinkmann<br />

ist Vertriebsmitarbeiter<br />

eines belgischen<br />

Unternehmens<br />

<br />

So hoch ist ihre<br />

Erfolgsquote als<br />

Jobvermittlerin<br />

Grüne Berufe<br />

Vielseitig, naturverbunden, bodenständig<br />

Rund 3500 Jobsuchende hat <strong>die</strong><br />

Personalagentur AgroBrain,<br />

das Karriereportal der „Agrarzeitung“,<br />

aktuell in ihrer<br />

Datenbank registriert. Seit<br />

über elf Jahren vermittelt <strong>die</strong> Jobbörse<br />

freie Stellen für Vertriebsmitarbeiter im<br />

Bereich Futtermittel oder Pflanzenbau,<br />

Referenten im politischen Agrarbereich,<br />

Betriebsleiter, Geschäftsführer, Labormitarbeiter<br />

oder <strong>Land</strong>maschinenmechatroniker.<br />

Eben alle Berufe im vor- und nachgelagerten<br />

Gewerbe der Agrarbranche.<br />

Brigitte Schwalen ist seit drei Jahren<br />

für AgroBrain tätig. Als Headhunterin sucht<br />

sie Mitarbeiter für Arbeitsplätze in ganz<br />

Europa. Ihre Trefferquote liegt bei rund 75<br />

Prozent. Die ehemalige Vorstandssekretärin<br />

und Marketingspezialistin lebt selbst<br />

auf einem landwirtschaftlichen Betrieb.<br />

„Ich kann mich sehr gut in <strong>die</strong> Arbeitgeber<br />

hineinversetzen und verstehe, welches<br />

Know-how ein Bewerber mitbringen sollte.“<br />

So war sie auch davon überzeugt, dass<br />

Friedrich Brinkmann genau der richtige<br />

Vertriebsmitarbeiter für den belgischen<br />

Saatgutzüchter SESVanderHave ist. Der<br />

27-Jährige hat nach einer landwirtschaftlichen<br />

Lehre Agrarwissenschaften stu<strong>die</strong>rt<br />

und sich auf Agribusiness spezialisiert. Er<br />

verfügt über umfangreiche unternehmerische<br />

und landwirtschaftliche Kenntnisse.<br />

Lösungen suchen<br />

„Meine Aufgaben bestehen aus einem<br />

Mix aus Büroarbeit und Betreuung der<br />

<strong>Land</strong>wirte vor Ort. Ich berate sie, welche<br />

Zuckerrübensorten für sie geeignet<br />

sind, oder suche eine Lösung für <strong>die</strong><br />

Optimierung ihres Zuckerrübenanbaus.<br />

Insgesamt betreue ich etwa 1500 Kunden<br />

in einem Umkreis von rund 200 Kilometern“,<br />

erzählt Friedrich Brinkmann, der<br />

seit zwei Jahren für das Unternehmen<br />

tätig ist. Abends und an den Wochenenden<br />

hilft der Vertriebler seinen Eltern<br />

auf dem Hof. In der Erntezeit nimmt er<br />

sich Urlaub. Friedrich Brinkmann ist<br />

sehr <strong>zu</strong>frieden mit seiner vielseitigen<br />

und kommunikativen Tätigkeit. „Man<br />

muss zwar zeitlich sehr flexibel sein,<br />

aber dafür bin ich viel in der Natur und<br />

kann meinem Interesse an Pflanzen und<br />

Böden nachkommen.“ Eines Tages würde<br />

er gerne den elterlichen Hof im Haupterwerb<br />

übernehmen. „Aber <strong>die</strong> politische<br />

Lage ist so unsicher für <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirte<br />

in Deutschland, dass ich froh bin,<br />

mir mit dem Außen<strong>die</strong>nstjob ein zweites<br />

Standbein aufgebaut <strong>zu</strong> haben.“<br />

Neues etablieren<br />

Lena Schlößer vermittelte Brigitte<br />

Schwalen eine Vertriebsstelle im Agrar-<br />

Team von Emiko, ein Unternehmen, das<br />

Produkte mit effektiven Mikroorganismen<br />

entwickelt und vertreibt. Diese werden<br />

in den Bereichen Gesundheit, Haus<br />

und Garten sowie in der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

eingesetzt. „Effektive Mikroorganismen<br />

stammen aus der Natur und befähigen<br />

sie, wieder das <strong>zu</strong> tun, worin sie so beeindruckend<br />

gut ist. So werden effektive Mikroorganismen<br />

gezielt im Produktionskreislauf<br />

in der <strong>Land</strong>wirtschaft genutzt,<br />

30


Gut<br />

ausgebildet ist Lena<br />

Schlößer. Sie hat ihren<br />

Bachelor und Master<br />

als Agrarwissenschaftlerin<br />

absolviert<br />

Dr. Christoph Hauser wechselte<br />

als geschäftsführender<br />

Vorstand <strong>zu</strong> einer<br />

Genossenschaft<br />

Lena Schlößer will als Expertin<br />

für effektive Mikroorganismen<br />

<strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

unterstützen<br />

FOTOS: AGROBRAIN, VEREINIGTE SAATZUCHTEN<br />

um <strong>zu</strong>m Beispiel ein gesundes Bodenleben<br />

<strong>zu</strong> fördern oder Bodenprozesse,<br />

<strong>die</strong> ins Ungleichgewicht geraten sind,<br />

<strong>zu</strong> stabilisieren“, erzählt <strong>die</strong> 27-jährige<br />

Agrarwissenschaftlerin und Pflanzenbauexpertin,<br />

<strong>die</strong> ihr Studium an der Universität<br />

Bonn mit dem Bachelor und Master<br />

abschloss. Egal ob Biobetrieb oder konventioneller<br />

Hof, eine regenerative <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

setze sich in Deutschland immer<br />

<strong>mehr</strong> durch, sagt <strong>die</strong> Vertrieblerin,<br />

<strong>die</strong> im Auftrag ihres Unternehmens auch<br />

Veranstaltungen wie Feldtage organisiert<br />

und Kampagnen entwickelt sowie Stu<strong>die</strong>n<br />

aufarbeitet. „Das ernsthafte Interesse<br />

an nachhaltigen Lösungsansätzen in<br />

der <strong>Land</strong>wirtschaft nimmt immer <strong>mehr</strong><br />

<strong>zu</strong>“, sagt Lena Schlößer. „Ich wollte gerne<br />

etwas Sinnvolles tun, womit ich <strong>die</strong> landwirtschaftlichen<br />

Betriebe unterstützen<br />

kann.“ Sie hat Spaß an ihren vielfältigen<br />

Aufgaben und an der Ehrlichkeit und<br />

Bodenständigkeit ihres beruflichen Umfelds.<br />

„Ich bin nah an der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

und erlebe mit, was sie bewegt und wo<br />

<strong>die</strong> Herausforderungen liegen. Dadurch<br />

erkenne ich, wie man <strong>die</strong> Branche unterstützen<br />

und etwas für <strong>die</strong> nachfolgende<br />

Generation tun kann.“<br />

Dr. Christoph Hauser ist Agrarwissenschaftler<br />

und promovierter Pflanzenzüchter.<br />

Nachdem er 25 Jahre lang<br />

„Mich reizt <strong>die</strong> Aufgabe, <strong>die</strong> Genossenschaft<br />

auf <strong>die</strong> Zukunft vor<strong>zu</strong>bereiten“<br />

Dr. Christoph Hauser<br />

als Geschäftsführer eines Saatgutunternehmens<br />

arbeitete, schlug ihm Brigitte<br />

Schwalen einen Wechsel <strong>zu</strong>r Vereinigte<br />

Saat<strong>zu</strong>chten Genossenschaft vor. „Mich<br />

reizt <strong>die</strong> Aufgabe, <strong>die</strong> Genossenschaft<br />

auf <strong>die</strong> Zukunft vor<strong>zu</strong>bereiten, <strong>die</strong> strategische<br />

Unternehmensentwicklung<br />

national und international neu aus<strong>zu</strong>richten<br />

und das traditionelle Geschäft<br />

<strong>zu</strong> stärken, effizienter und profitabler <strong>zu</strong><br />

gestalten“, sagt der geschäftsführende<br />

Vorstand der Vereinigte Saat<strong>zu</strong>chten eG.<br />

Der 59-Jährige hat das Ziel, das klassische<br />

Handelsgeschäft mit Saatgut mit einem<br />

neuen Bereich, dem Energiesektor,<br />

<strong>zu</strong> verknüpfen und auf <strong>die</strong>se Weise ein<br />

Zusatzgeschäft <strong>zu</strong> entwickeln. „<strong>Land</strong>wirtschaftliche<br />

Betriebe haben neben<br />

ihrer klassischen Produktion von Kulturpflanzen,<br />

Milch oder Fleisch vielfach ein<br />

weiteres Standbein aufgebaut wie den<br />

Verkauf ihrer Produkte in einem Hofladen<br />

oder <strong>die</strong> Produktion von Energie.<br />

Letzteres schwebt mir mit erneuerbarer<br />

Energie vor.“ Die Agrarbranche sei ein<br />

Umfeld, das eine lebenslange Abwechslung<br />

garantiert. „Ob im Pflanzenbau, in<br />

der Fleischproduktion, der Mitarbeiterführung<br />

oder der Auseinanderset<strong>zu</strong>ng<br />

mit politischen Regularien, <strong>die</strong> Branche<br />

bietet ein facettenreiches Spannungsfeld“,<br />

erklärt Dr. Hauser. „Durch <strong>die</strong><br />

Komplexität und <strong>die</strong> vielen unsicheren<br />

Komponenten, <strong>die</strong> <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

beeinflussen, wie etwa der Klimawandel,<br />

entstehen immer neue Berufsbilder. Ein<br />

Beispiel sind <strong>die</strong> Pflanzentechnologen.<br />

Sie beschäftigen sich mit der Züchtung<br />

und Verbesserung von Kulturpflanzen.<br />

Da<strong>zu</strong> planen sie Feldversuche und Untersuchungsreihen,<br />

führen <strong>die</strong>se durch<br />

und dokumentieren Arbeitsschritte und<br />

Ergebnisse am PC. Der Beruf trägt wesentlich<br />

<strong>zu</strong>m Züchtungsfortschritt und<br />

<strong>zu</strong>r Leistungssteigerung unserer regionalen<br />

Kulturpflanzen bei und stärkt dadurch<br />

<strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtschaft“, erläutert er.<br />

„Wenn ich im Pensionsalter bin, möchte<br />

ich Bauer werden. Mit der Natur <strong>zu</strong><br />

arbeiten und gleichzeitig betriebswirtschaftliche<br />

Systeme <strong>zu</strong> steuern, das ist<br />

meine Leidenschaft.“<br />

31


<strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

So funktioniert<br />

eine Klima-Milchfarm<br />

Zu Besuch bei Mario Frese in Nordhessen<br />

FOTO: NESTLÉ<br />

Hochwertige Milch, deutlich<br />

weniger Emissionen: Das<br />

möchte <strong>Land</strong>wirt Mario<br />

Frese im Rahmen eines dreijährigen<br />

Forschungs projekts<br />

erreichen. Innovative Maßnahmen sollen<br />

den CO 2<br />

e*-Fußabdruck seines Milchviehbetriebs<br />

reduzieren.<br />

Auf den ersten Blick ist der landwirtschaftliche<br />

Betrieb von Mario Frese im<br />

nordhessischen Mörshausen ein typischer<br />

Bauernhof. Wohnhaus, Scheune,<br />

Stallungen, rund 130 Milchkühe, 240<br />

Hektar Acker- und Grünland. Eine Besonderheit<br />

macht den Familienbetrieb<br />

jedoch einzigartig: Seit Dezember 2021<br />

ist der Hof eine sogenannte Klima-Milchfarm.<br />

Das Pilotprojekt wurde von Nestlé<br />

Deutschland ins Leben gerufen. In enger<br />

Zusammenarbeit mit der Molkerei Hochwald<br />

und der Hochschule für Wirtschaft<br />

und Umwelt Nürtingen-<br />

Geislingen (HfWU) wird das<br />

Ziel angestrebt, <strong>die</strong> Emissionen<br />

des Milchviehbetriebs<br />

innerhalb von drei<br />

Jahren rechnerisch auf<br />

netto Null <strong>zu</strong> reduzieren.<br />

Emissionen senken<br />

Eine große Herausforderung,<br />

denn bei der Produktion von einem<br />

Liter Milch werden in Deutschland circa<br />

1,1 Kilogramm CO 2<br />

e freigesetzt. Das<br />

liegt deutlich unter dem weltweiten<br />

Durchschnitt von 2,4 Kilogramm und<br />

ist weit entfernt von den hohen Emissionswerten<br />

Afrikas und Asiens mit 3,5<br />

beziehungsweise 7,5 Kilogramm CO 2<br />

e<br />

pro Liter Milch. „Man kann nicht verhindern“,<br />

sagt Mario Frese, „dass bei der<br />

Produktion von einem hochwertigen Lebensmittel<br />

wie Milch Emissionen freigesetzt<br />

werden. Aber es bestehen viele<br />

Möglichkeiten, <strong>die</strong>se <strong>zu</strong> senken“, erklärt<br />

der <strong>Land</strong>wirt.<br />

Im Dialog mit Experten<br />

Mario Frese ist davon überzeugt, dass es<br />

ein großes Potenzial gibt, der Klimaneutralität<br />

näher<strong>zu</strong>kommen. Der gelernte<br />

1,1<br />

Kilogramm CO 2<br />

e<br />

werden in etwa bei<br />

der Produktion von<br />

1 Liter Milch<br />

freigesetzt<br />

Bessere Auf<strong>zu</strong>cht<br />

Die Kälber werden in<br />

Gruppen gehalten und mit<br />

viel Milch aufgezogen<br />

Mechatroniker investiert<br />

viel Zeit, Arbeit und Geduld,<br />

um das richtungsweisende<br />

Vorhaben in seinem Milchviehbetrieb<br />

Schritt für Schritt um<strong>zu</strong>setzen. „Ich<br />

stehe im ständigen Dialog mit den Professoren<br />

der Hochschule“, sagt Klimafarmer<br />

Mario Frese. Einmal in der Woche<br />

treffen sich alle Projektbeteiligten online<br />

<strong>zu</strong> einer <strong>mehr</strong>stündigen Videokonferenz.<br />

Dann besprechen und diskutieren sie <strong>die</strong><br />

gewonnenen Erkenntnisse, bestimmen<br />

das weitere Vorgehen und legen neue<br />

Ziele fest. Ein umfangreiches Portfolio<br />

an Maßnahmen soll helfen, den Milchbetrieb<br />

klimafreundlicher <strong>zu</strong> bewirtschaften<br />

und <strong>die</strong> Treibhausgase so weit wie<br />

möglich <strong>zu</strong> reduzieren.<br />

Optimales Futter<br />

Die bedarfsgerechte Fütterung der Kühe<br />

hat oberste Priorität. Denn darin sind<br />

sich <strong>die</strong> Experten einig: Je genauer <strong>die</strong><br />

Futter<strong>zu</strong>sammenstellung auf den Bedarf<br />

der Tiere eingestellt wird, desto besser<br />

können <strong>die</strong> Tiere das Futter verwerten.<br />

Die Folge: Die Kühe geben nicht nur<br />

<strong>mehr</strong> Milch, sondern es sinken <strong>zu</strong>dem,<br />

bezogen auf ein Kilo Milch, <strong>die</strong> Methanemissionen.<br />

Eine Kuh frisst täglich ca.<br />

50 Kilogramm Futter; der Großteil besteht<br />

aus selbst erzeugtem Grobfutter<br />

sowie Futtergetreide. „Zusätzlich setzen<br />

wir Kraftfutter mit geringem CO 2<br />

e-Fußabdruck<br />

ein“, erklärt Stephan Schneider,<br />

Professor für Tierernährung an der<br />

HfWU. „Ein Futter-Anschieberoboter<br />

sorgt dafür, dass <strong>die</strong> Kühe kontinuierlich<br />

Zugang <strong>zu</strong> frischem Futter haben.<br />

Er befördert es achtmal am Tag <strong>zu</strong> den<br />

Tieren am Futtertisch, wenn sie es bei<br />

der Suche nach den leckersten Futterbestandteilen<br />

weggeschoben haben“, so<br />

Schneider weiter.<br />

32


Das optimale Futter der Kühe zählt <strong>zu</strong> den wichtigsten Maßnahmen,<br />

um <strong>die</strong> Emissionen <strong>zu</strong> senken, wissen <strong>Land</strong>wirt Mario Frese (r.)<br />

<br />

„Nur wenn meine<br />

Tiere über einen<br />

langen Zeitraum<br />

gesund sind, können<br />

sie <strong>mehr</strong> Leistung<br />

erbringen und<br />

gleichzeitig weniger<br />

Emissionen erzeugen“<br />

Mario Frese<br />

Futteranschieber Ein Roboter sorgt<br />

rund um <strong>die</strong> Uhr dafür, dass <strong>die</strong> Tiere<br />

stets an frisches Futter kommen<br />

* CO 2<br />

-Äquivalente (CO 2<br />

e) sind eine Maßeinheit <strong>zu</strong>r Vereinheitlichung<br />

der Klimawirkung durch unterschiedliche<br />

Treibhausgase. Zusätzlich <strong>zu</strong> Kohlendioxid (CO 2<br />

) gibt<br />

es weitere Treibhausgase wie Methan oder Lachgas.<br />

Jedes <strong>die</strong>ser Gase hat einen anderen Effekt auf <strong>die</strong> Atmosphäre.<br />

Um ihre Emissionen vergleichbar <strong>zu</strong> machen,<br />

werden <strong>die</strong>se in CO 2<br />

-Äquivalente (CO 2<br />

e) umgerechnet.<br />

Mehr Tierwohl<br />

Neben einem intelligenten Futterkonzept<br />

sind vor allem <strong>die</strong> Gesundheit und<br />

das Wohlergehen der Tiere entscheidend<br />

für den Erfolg des Projekts. Helle<br />

und luftige Boxenlaufställe mit einem<br />

angeschlossenen Außenbereich, Strohliegeboxen,<br />

automatische Kuhbürsten<br />

sowie ein sensorgesteuertes Stallbelüftungssystem<br />

tragen <strong>zu</strong> <strong>mehr</strong> Tierwohl<br />

bei. Mehr Tierwohl gilt auch für <strong>die</strong><br />

Auf<strong>zu</strong>cht der Kälber, <strong>die</strong> gemeinsam in<br />

Gruppen gehalten werden. „Nur wenn<br />

meine Tiere über einen langen Lebenszeitraum<br />

gesund sind, können sie <strong>mehr</strong><br />

Leistung erbringen und gleichzeitig<br />

weniger Emissionen erzeugen“, betont<br />

Mario Frese.<br />

Organischer Dünger<br />

Hightech auf dem Acker soll ebenfalls<br />

das Klima schonen. Digitale Technik hilft<br />

Mario Frese dabei, organischen Dünger,<br />

das heißt Gülle und Mist, zielgenau auf<br />

den Feldern aus<strong>zu</strong>bringen. Dadurch<br />

kann teurer Mineraldünger aus energieintensiver<br />

Produktion deutlich verringert<br />

werden. Parallel da<strong>zu</strong> wird durch<br />

<strong>die</strong> konservierende Bodenbearbeitung<br />

der Äcker versucht, den Humus <strong>zu</strong> erhalten,<br />

und es werden Hecken und Bäume<br />

gepflanzt, sodass <strong>mehr</strong> Treibhausgase<br />

gespeichert werden können.<br />

Regionale Produkte<br />

Nicht nur <strong>die</strong> Milchbetriebe sind gefragt,<br />

ihre Höfe nachhaltig <strong>zu</strong> bewirtschaften,<br />

auch <strong>die</strong> Verbraucher können Einfluss<br />

auf <strong>die</strong> Emissionen in der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

nehmen. Der Kauf regional erzeugter<br />

Produkte ist beispielsweise ein Weg, den<br />

CO 2<br />

e-Fußabdruck <strong>zu</strong> verkleinern.<br />

33


<strong>Nachhaltigkeit</strong><br />

Bio oder<br />

konventionell?<br />

Warum man das eine nicht per se ablehnen und das andere nicht automatisch<br />

bevor<strong>zu</strong>gen sollte: über <strong>die</strong> Vor- und Nachteile beider Anbausysteme<br />

FOTO: FML; QUELLEN: GREENPEACE SUPERMARKTCHECK, BMEL<br />

Wer kennt <strong>die</strong> Situation nicht:<br />

Man steht in der Gemüseabteilung<br />

und überlegt<br />

sich, ob man Bio-Brokkoli<br />

kauft oder den herkömmlichen, der<br />

günstiger ist, aber genauso grün und ansprechend<br />

aussieht. Welche der beiden<br />

ist gesünder und nachhaltiger?<br />

Die Unterschiede im Überblick<br />

In der Theorie unterscheiden sich<br />

<strong>die</strong> konventionelle und Biolandwirtschaft<br />

durch verschiedene Richtlinien:<br />

Während ein konventioneller Ackerbaubetrieb<br />

eine bestimmte Menge an<br />

chemischen Dünge- und Pflanzenschutzmitteln<br />

einsetzen darf, muss ein<br />

Biobauernhof mit natürlichen Wirkstoffen<br />

auskommen. Bei der Tierhaltung<br />

steht Kühen, Schweinen und Geflügel<br />

auf einem Biobauernhof <strong>mehr</strong> Platz <strong>zu</strong>r<br />

Verfügung. Für <strong>die</strong> Behandlung von<br />

Krankheiten dürfen nur bestimmte<br />

Arzneimittel verwendet werden, und<br />

<strong>die</strong> Tiere erhalten gentechnikfreies<br />

Futter.<br />

Die Grenzen verschwimmen<br />

In der Praxis treffen viele <strong>die</strong>ser Unterschiede<br />

auf moderne konventionelle<br />

Betriebe nicht <strong>mehr</strong> <strong>zu</strong>. Denn immer<br />

<strong>mehr</strong> Höfe setzen natürlichen Dünger<br />

wie Gülle und Mist ein, um <strong>die</strong> Pflanzen<br />

auf dem Feld mit Nährstoffen <strong>zu</strong> versorgen.<br />

Sie nutzen <strong>die</strong> natürlichen Rohstoffe<br />

für ihre Biogasanlagen <strong>zu</strong>r Erzeugung<br />

von Bioenergie. Pflanzenkrankheiten<br />

werden nach genauer Analyse gezielt<br />

behandelt, und <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirte treffen<br />

<br />

des gesamten Lebensmittelumsatzes<br />

in<br />

Deutschland machen<br />

Ökoprodukte<br />

aus<br />

ackerbauliche Vorsorgemaßnahmen,<br />

um ihre Pflanzen und<br />

Böden gesund <strong>zu</strong> halten.<br />

Bei den konventionellen<br />

Tierbetrieben rich ten<br />

sich viele nicht nur nach den gesetzlichen<br />

Mindeststandard regelungen der<br />

Haltungsstufe1, sondern setzen ver<strong>mehr</strong>t<br />

auf <strong>die</strong> verbesserte Haltungsform2.<br />

Das bestätigt der <strong>Green</strong>peace<br />

Supermarkt-Check: So hat sich bei der<br />

Abfrage 2021 der Anteil der mit Haltungsform1<br />

gekennzeichneten Frischfleischprodukte<br />

halbiert.<br />

Artenvielfalt<br />

Egal ob bio oder konventionell, heut<strong>zu</strong>tage<br />

arbeiten <strong>die</strong> meisten <strong>Land</strong>wirte<br />

mit sogenannten weiten Fruchtfolgen,<br />

also mit abwechslungsreichen Kulturen,<br />

um ihre Böden auf natürliche Weise <strong>zu</strong><br />

optimieren. Gleichzeitig verbessern sie<br />

durch Maßnahmen wie Stilllegungen <strong>die</strong><br />

Lebensräume von Bienen, Vögeln und<br />

anderen Kleintieren.<br />

Umwelt<br />

Zur Reduzierung von Dünge- und<br />

Pflanzenschutzmitteln sorgen moderne<br />

Technologien wie satelliten- und<br />

sensorgesteuerte <strong>Land</strong>maschinen auf<br />

immer <strong>mehr</strong> Feldern für eine präzise<br />

Ausbringung der Substanzen. Auch Biobauern<br />

kommen nicht ohne Pflanzenschutz<br />

aus. Hier greifen sie auf Wirkstoffe<br />

wie Kupfer <strong>zu</strong>rück. Ein Zuviel<br />

des Schwermetalls kann den Bodenlebewesen<br />

und der Bodenfruchtbarkeit<br />

schaden. Entsprechend<br />

der neuen EU-Verordnungen<br />

soll der Einsatz<br />

von Pflanzenschutz- und<br />

Düngemitteln generell stark<br />

eingeschränkt werden.<br />

Tierhaltung<br />

Bei der Tierhaltung verbessern konventionelle<br />

Betriebe durch offene<br />

Ställe, in denen sich <strong>die</strong> Tiere frei bewegen<br />

können, das Tierwohl. Dass es<br />

den Tieren auf Bio höfen grundsätzlich<br />

besser geht, muss nicht zwangsläufig<br />

der Fall sein. Das Thünen-<br />

Institut veröffentlichte im „Report 65“,<br />

dass in nur knapp 35 Prozent ihrer untersuchten<br />

Fälle <strong>die</strong> ökologische Haltung<br />

gesundheitliche Vorteile aufwies.<br />

In 46Prozent dagegen zeigte sich kein<br />

Unterschied in der Tiergesundheit. Das<br />

heißt, nicht <strong>die</strong> Stallfläche ist entscheidend,<br />

sondern der artgerechte Umgang<br />

mit den Tieren.<br />

Nährstoffgehalt der Lebensmittel<br />

Es stellt sich <strong>die</strong> Frage, ob Bioprodukte<br />

tatsächlich gesünder sind. Auch hier<strong>zu</strong><br />

gibt es keine eindeutigen Ergebnisse.<br />

Viele wissenschaftliche Erhebungen<br />

konnten nicht feststellen, dass in Bioprodukten<br />

<strong>mehr</strong> Nährwerte enthalten<br />

sind.<br />

Fazit<br />

Ziel beider Systeme ist es, den Verbrauchern<br />

so viele qualitativ hochwertige<br />

Lebensmittel <strong>zu</strong>r Verfügung <strong>zu</strong> stellen,<br />

wie <strong>die</strong> Gesellschaft benötigt. Laut dem<br />

34


Impressum<br />

Herausgeber:<br />

<br />

Fanny-Zobel-Str. 7<br />

12435 Berlin<br />

<br />

info@moderne-landwirtschaft.de<br />

www.moderne-landwirtschaft.de<br />

Verantwortlich für den Inhalt:<br />

Lea Fließ<br />

Projektverantwortlich: Renate Wegert<br />

Redaktion: Catrin Krawinkel<br />

Artdirektion: Anja Giese<br />

Layout: Susana Oliveira<br />

Lektorat: Barbara Wirt,<br />

Schlussredaktion Hamburg<br />

Litho: Hockmart GbR<br />

Druck: Roelofs GmbH<br />

Neue Straße 2<br />

49808 Lingen<br />

Nachdruck und Reproduktion sind nach<br />

schriftlicher Genehmigung durch das<br />

Forum Moderne <strong>Land</strong>wirtschaft möglich.<br />

Forschungsinstitut für Pflanzenschutz<br />

und Biodiversität HFFA erwirtschaften<br />

Biobetriebe allerdings 50 Prozent weniger<br />

Erträge als konventionelle Höfe.<br />

Oder anders: Deutschland fehlen drei<br />

Millionen Hektar Anbaufläche, das ist<br />

etwa <strong>die</strong> Größe Belgiens, um <strong>die</strong> deutsche<br />

Bevölkerung ausschließlich mit<br />

Bioprodukten ernähren <strong>zu</strong> können.<br />

Tatsache ist, dass regionale Lebensmittel,<br />

egal ob ökologisch oder konventionell<br />

hergestellt, <strong>die</strong> Umwelt durch<br />

kürzere Transportwege weniger belasten.<br />

Darüber hinaus zählen <strong>die</strong> Auflagen<br />

im Bereich Tierwohl und Lebensmittelprüfung<br />

in Deutschland <strong>zu</strong> den höchsten<br />

weltweit. Und sichern so <strong>die</strong> Lebensmittelqualität<br />

ab.<br />

Im Interesse der Lesbarkeit haben wir auf<br />

geschlechtsbezogene Formulierungen<br />

verzichtet. Selbstverständlich sind immer<br />

Frauen und Männer gemeint, auch wenn<br />

explizit nur eines der Geschlechter angesprochen<br />

wird.<br />

Hauptsache nachhaltig<br />

Seit jeher obliegt es der <strong>Land</strong>wirtschaft,<br />

für <strong>die</strong> Ernährung der Gesellschaft <strong>zu</strong><br />

sorgen. Durch <strong>die</strong> steigende Zahl der<br />

Weltbevölkerung rechnet <strong>die</strong> Ernährungsund<br />

<strong>Land</strong>wirtschaftsorganisation der<br />

bis 2050 mit einem<br />

um rund 50 Prozent höheren Bedarf<br />

an Lebensmitteln. Dabei lässt Urs<br />

Niggli, der Schweizer Agrarwissen-<br />

schen<br />

<strong>Land</strong>baus, offen, ob der Biolandbau<br />

tatsächlich als Modell<br />

für eine nachhaltige <strong>Land</strong>wirtschaft<br />

geeignet ist. Denn seine Ertragsschwäche<br />

und <strong>die</strong> hohen Kosten für<br />

<br />

sind seiner Meinung nach bei der Bewertung<br />

der <strong>Nachhaltigkeit</strong> ebenfalls <strong>zu</strong><br />

berücksichtigen.<br />

In Deutschland gibt es laut Statistischem<br />

<br />

schaftliche Betriebe, davon arbeiten<br />

.<br />

Das sind rund zehn Prozent.<br />

Den Schät<strong>zu</strong>ngen des Statistischen Bundesamts<br />

<strong>zu</strong>folge wurden in Deutschland<br />

<br />

26,1 Millionen Schweine und rund<br />

<br />

<br />

35


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FOTO: DRAGANA991/ISTOCKPHOTO<br />

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