Stadt-Land-Wissen 01-2023 Green-Deal - die Wende zu mehr Nachhaltigkeit
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AUSGABE <strong>01</strong>.<strong>2023</strong><br />
<strong>Stadt</strong>. <strong>Land</strong>. <strong>Wissen</strong>.<br />
Moderne <strong>Land</strong>wirtschaft – anders, als du denkst.<br />
GREEN DEAL<br />
Die <strong>Wende</strong> <strong>zu</strong> <strong>mehr</strong><br />
<strong>Nachhaltigkeit</strong><br />
LANDWIRT DES JAHRES<br />
Benedikt Bösel über<br />
neue Formen der<br />
<strong>Land</strong>nut<strong>zu</strong>ng Seite 26<br />
URLAUB AUF DEM BAUERNHOF<br />
Mein Bett am<br />
Kornfeld Seite 21<br />
AKTUELLE STUDIE<br />
Der Alltag moderner<br />
<strong>Land</strong>wirtinnen Seite 18<br />
Forum Moderne <strong>Land</strong>wirtschaft
2<br />
INTERNATIONALE<br />
GRÜNE WOCHE<br />
Spannende Eindrücke vom Feld und aus dem Stall.<br />
Der ErlebnisBauernhof gehört <strong>zu</strong> den Attraktionen<br />
der <strong>Land</strong>wirtschaftsmesse in Berlin. Vom 20.<br />
bis 29. Januar <strong>2023</strong> kann sich dort jeder Besucher<br />
umfassend darüber informieren, wie unsere<br />
Lebensmittel heute und morgen produziert werden.<br />
Mehr da<strong>zu</strong> lesen Sie auf Seite 13
In <strong>die</strong>sem Heft<br />
Daten & Fakten<br />
Der Wandel der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
Die Agrarbranche und ihr Weg <strong>zu</strong> <strong>mehr</strong><br />
<strong>Nachhaltigkeit</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 4<br />
EDITORIAL<br />
FOTOS: TIMOJAWORR, FML; TITELFOTOS: GESA LANGENBERG, TIMO JAWORR<br />
Titelthema <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong><br />
Die <strong>Wende</strong> <strong>zu</strong> <strong>mehr</strong> <strong>Nachhaltigkeit</strong> . . . . . . . S. 6<br />
„Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos" –<br />
Jens Lönneker über das Verhältnis zwischen<br />
Verbrauchern und der <strong>Land</strong>wirtschaft . . . . . . S. 9<br />
Frauen in der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
<strong>Land</strong>wirtin aus Leidenschaft . . . . . . . . . . . S. 10<br />
Der Alltag moderner <strong>Land</strong>wirtinnen . . . . . . S. 18<br />
Aktion <strong>Land</strong>wirt für einen Tag<br />
Vom Computer aufs Feld . . . . . . . . . . . . . . S. 14<br />
Innovationen<br />
Über das blaue Wunder und Robi,<br />
den Rübenroboter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 16<br />
Urlaub auf dem Bauernhof<br />
Mein Bett am Kornfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 21<br />
Architektur<br />
Schöner wohnen auf dem <strong>Land</strong> . . . . . . . . . S. 22<br />
<strong>Nachhaltigkeit</strong><br />
Gesundmacher für Mensch und Natur . . . . S. 24<br />
Ausprobieren, analysieren, anwenden:<br />
Benedikt Bösel entwickelt neue Formen<br />
für eine naturverträgliche <strong>Land</strong>nut<strong>zu</strong>ng . . . S. 26<br />
Expertentipps für einen umweltfreundlicheren<br />
Einkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 28<br />
So funktioniert eine Klima-Milchfarm . . . . S. 32<br />
Bio oder konventionell? . . . . . . . . . . . . . . . . S. 34<br />
Grüne Berufe<br />
Vielseitig, naturverbunden, bodenständig . . . S. 30<br />
Standards<br />
Meldungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 13<br />
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 35<br />
Gewinnspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 36<br />
Auf dem Titel <strong>Land</strong>wirtin Gesa Langenberg führt den Hof<br />
ihrer Familie in der 14. Generation, <strong>mehr</strong> auf Seite 10<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
der Krieg in der Ukraine und seine Auswirkungen haben<br />
uns allen vor Augen geführt, wie wichtig eine <strong>zu</strong>verlässige<br />
Versorgung mit heimischen Lebensmitteln ist. Gleichzeitig<br />
wünschen sich <strong>die</strong> Menschen <strong>Nachhaltigkeit</strong> im Stall<br />
und auf dem Acker. Nach den Zielen einer <strong>zu</strong>kunftsfähigen<br />
<strong>Land</strong>wirtschaft gefragt, haben für <strong>die</strong> Deutschen neben<br />
der Gewährleistung der Versorgungssicherheit (45,1 Prozent)<br />
vor allem hohe Tierwohlstandards (47,9 Prozent)<br />
und eine umweltschonende Produktion (40,7 Prozent)<br />
oberste Priorität. Das zeigt eine aktuelle Umfrage, <strong>die</strong><br />
wir vom Forum Moderne <strong>Land</strong>wirtschaft gemeinsam mit<br />
den Meinungsforschern von Civey erhoben haben.<br />
<strong>Nachhaltigkeit</strong> und Versorgungssicherheit – das ist kein<br />
Gegensatz. <strong>Land</strong>wirtschaft schafft beides. Wie das<br />
gelingt, das wollen wir Ihnen gerne in <strong>die</strong>ser Ausgabe<br />
von <strong>Stadt</strong>. <strong>Land</strong>. <strong>Wissen</strong>. zeigen.<br />
Wir erklären, was hinter dem <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong> steckt, den <strong>die</strong><br />
Europäische Kommission beschlossen hat, um weltweit<br />
eine Vorreiterrolle in Sachen Klima- und Umweltschutz<br />
ein<strong>zu</strong>nehmen. Die jungen <strong>Land</strong>wirte Gesa Langenberg<br />
(33) und Benedikt Bösel (38) geben Einblick in <strong>die</strong> Arbeit<br />
auf ihren Höfen. Wir zeigen, wie klimafreundliche Milch<br />
entsteht. Und wir haben sieben Tipps für umweltbewusstes<br />
Einkaufen für Sie <strong>zu</strong>sammengetragen. Um es Ihnen <strong>zu</strong><br />
erleichtern, <strong>die</strong>se Tipps auch gleich um<strong>zu</strong>setzen, verlosen<br />
wir im Rahmen unseres Gewinnspiels auf der Rückseite des<br />
Magazins 50Einkaufsgutscheine von Lidl und Kaufland.<br />
Darüber hinaus bieten wir im Januar spannende Eindrücke<br />
vom Feld und aus dem Stall <strong>zu</strong>m Anfassen: Auf dem<br />
ErlebnisBauernhof auf der Internationalen Grünen Woche<br />
in Berlin kann sich jeder umfassend darüber informieren,<br />
wie nachhaltig unsere Lebensmittel heute und morgen<br />
produziert werden. Unter dem Motto „Ernährung sichern.<br />
Natur schützen.“ zeigen wir, wie es der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
gelingt, <strong>die</strong> Versorgung der Bevölkerung mit hochwertigen<br />
Lebensmitteln sicher<strong>zu</strong>stellen und gleichzeitig vielfältige<br />
Maßnahmen <strong>zu</strong>m Schutz von Natur, Artenvielfalt und<br />
Tierwohl um<strong>zu</strong>setzen. Ich freue mich, wenn Sie uns dort<br />
besuchen (20.–29. Januar <strong>2023</strong>, Messe Berlin, Halle 3.2).<br />
Jetzt wünsche ich Ihnen aber erst einmal ganz viel Spaß<br />
beim Lesen <strong>die</strong>ser Ausgabe<br />
Ihre Lea Fließ<br />
Geschäftsführerin Forum Moderne <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
3
GESTERN<br />
Die Dreifelderwirtschaft war <strong>die</strong><br />
<br />
verbreitete Bewirtschaftungsform.<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
1950<br />
<br />
<br />
1960<br />
<br />
<br />
Der Wandel der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
<br />
<strong>die</strong> Meilensteine der Agrarbranche<br />
Durch den Fort-<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
werden. Dadurch verdoppelten sich<br />
in den letzten knapp 70 Jahren <strong>die</strong><br />
Erträge von Kartoffeln.<br />
<br />
<br />
<br />
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<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Dadurch<br />
sind sie in der<br />
Lage, Umweltbelastungen<br />
<strong>zu</strong><br />
reduzieren und<br />
Kosten <strong>zu</strong> sparen<br />
2021<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
verringern<br />
<br />
<br />
Denn je frischer das<br />
Futter ist und je schneller<br />
der Kot entfernt wird,<br />
desto weniger Methangas<br />
gerät in <strong>die</strong> Atmosphäre<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
ren. Das verringert massiv <strong>die</strong><br />
Umweltbelastungen<br />
MORGEN<br />
<br />
um 50 Prozent verringert, 20 Prozent weniger Dünger<br />
verwendet und der Ökolandbau auf 30 Prozent<br />
gesteigert werden.<br />
<br />
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<br />
geht<br />
FOTO: <br />
<br />
4
1980<br />
Der Ertrag eines Hektars<br />
Weizen ist auf 4890 kg<br />
gestiegen<br />
Heute<br />
liegt der Ertrag<br />
eines Hektars<br />
Weizen bei rund<br />
7610 kg<br />
Daten & Fakten<br />
<br />
1990<br />
<strong>Land</strong>wirtschaftsbetriebe<br />
Ein <strong>Land</strong>wirt versorgt<br />
sind es 1990<br />
mit seiner Arbeit bereits<br />
insgesamt<br />
69 Menschen<br />
2000<br />
88<br />
Präzisionslandwirtschaft<br />
Millionen Tonnen<br />
Sensoren und andere digitale<br />
Treibhausgasausstoß<br />
Lösungen messen den tatsächlichen<br />
Bedarf an Nährstoffen und<br />
wurden in 1990<br />
gemessen<br />
Planzenschutzmitteln und helfen,<br />
sie präzise aus<strong>zu</strong>bringen<br />
50 HEUTE<br />
Ohne den Einsatz von<br />
Mineraldünger könnten<br />
nur 50 % aller Menschen<br />
ernährt werden<br />
2021<br />
54,8<br />
Millionen Tonnen Treibhausgasausstoß wurden<br />
in 2021 allein in Deutschland gemessen.<br />
Das entspricht gegenüber 1990 einer Reduzierung<br />
von 33,2 Millionen Tonnen<br />
Züchtungsmethoden<br />
wie CRISPR/Cas<br />
ermöglichen es, natürliche<br />
Abwehr reaktionen von<br />
<br />
sie weniger Dünger und<br />
<br />
Neue Züchtungsmethoden<br />
Mit dem Forschungsvorhaben PILTON<br />
<br />
und dauerhafter Pilztoleranz entwickelt<br />
<br />
schonung beitragen würde<br />
2020<br />
<br />
<br />
werden mit emissionsmindernder<br />
Technik ausgebracht.<br />
Innerhalb von 10 Jahren<br />
ist das eine Verbesserung<br />
um 34 Prozent<br />
Fruchtfolge<br />
Durch erweiterte Fruchtfolgen<br />
und dem Anbau<br />
von Zwischenfrüchten<br />
wird <strong>die</strong> Bodenqualität<br />
verbessert. So können<br />
Düngemittel eingespart<br />
werden<br />
Jeder 10.<br />
<strong>Land</strong>wirt setzt<br />
bereits<br />
Drohnen ein.<br />
Mit ihnen werden<br />
<strong>zu</strong>m Beispiel Bodenbearbeitung<br />
und<br />
Ernte optimiert<br />
Moderne Feldroboter<br />
Der Ablageort jedes Saatkorns wird mithilfe<br />
von Satellitennavi und Cloud Computing<br />
<br />
schutz oder Düngung danach präzise an<br />
<br />
Vorteile der<br />
Roboter<br />
Die <strong>Land</strong>wirtschaft ist von Politik und<br />
Gesellschaft angehalten, genügend hochwertige<br />
Lebensmittel <strong>zu</strong> produzieren<br />
und gleichzeitig <strong>die</strong> Umwelt <strong>zu</strong> schützen<br />
Über <strong>die</strong> Hälfte der heutigen Mittelklassetrecker<br />
sind mit GPS ausgestattet<br />
GPS-Steuerung von <strong>Land</strong>maschinen<br />
verringert den Treibstoffbedarf.<br />
Ein Traktor mit Satellitennavi kann auf bis <strong>zu</strong><br />
zwei Zentimeter genau gesteuert werden.<br />
<br />
schutzmittel hochpräzise verteilen<br />
Hackroboter<br />
Sie werden künftig das Unkraut<br />
<br />
exakt entfernen, wodurch <strong>die</strong><br />
<br />
mitteln reduziert wird<br />
Sie können rund um <strong>die</strong> Uhr arbeiten<br />
Weniger Bodenverdichtung wegen des geringen Gewichts<br />
Weniger Energieverbrauch als <strong>die</strong> großen Maschinen<br />
5
Titelthema <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong><br />
Ernährung sichern. Natur schützen.<br />
Die <strong>Wende</strong> <strong>zu</strong> <strong>mehr</strong><br />
<strong>Nachhaltigkeit</strong><br />
Die Europäische Kommission will weltweit eine Vorreiterrolle in Sachen Klima- und<br />
Umweltschutz einnehmen und hat 2<strong>01</strong>9 den <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong> beschlossen. Wir befragen<br />
<br />
Sind wegen Pandemie, Energiekrise<br />
und Ukraine-Krieg Änderungen der<br />
<br />
Christiane Seidel: Gerade wegen der<br />
aktuellen Situation brauchen wir <strong>mehr</strong><br />
Umwelt-, Klima- und Verbraucherschutz.<br />
Es wäre fatal, wenn der Krieg gegen <strong>die</strong><br />
Ukraine da<strong>zu</strong> führen würde, dass dringend<br />
notwendige Reformen ausgebremst<br />
oder gestoppt werden. Damit würde <strong>die</strong><br />
Anfälligkeit von Lieferketten und landwirtschaftlicher<br />
Produktion nur weiter<br />
verschärft werden. Darunter würden<br />
auch <strong>Land</strong>wirte leiden. Verbraucher<br />
müssten sich <strong>zu</strong>dem vermutlich auf weitere<br />
Preissteigerungen einstellen. Die aktuellen<br />
Krisen verdeutlichen <strong>die</strong> Schwächen<br />
der nationalen und internationalen<br />
Agrar- und Ernährungssysteme. Am Ende<br />
hängen <strong>die</strong> einzelnen Krisen in den Bereichen<br />
Energie und Klima bis hin <strong>zu</strong> Biodiversität,<br />
Boden, Hunger, Vertreibung<br />
und Ernährungssicherung <strong>zu</strong>sammen.<br />
Die Krisen dürfen nicht gegeneinander<br />
ausgespielt werden. Stattdessen müssen<br />
wir gemeinsam <strong>zu</strong>r Lösung beitragen.<br />
Dr. Hubertus Paetow: Die Herausforderungen<br />
bei Klimaschutz und Artenvielfalt<br />
sind durch <strong>die</strong> Krise nicht gelöst, sondern<br />
erweitert um <strong>die</strong> Herausforderung<br />
der Ernährungssicherung. Die extensive<br />
Bewirtschaftung der Ackerflächen als<br />
Lösung scheidet aus, deshalb wird eine<br />
nachhaltige Innovation wichtig.<br />
Janusz Wojciechowski: Die Aggression<br />
Russlands in der Ukraine hat tiefgreifende<br />
Auswirkungen auf das globale Lebensmittelsystem.<br />
Die Lebensmittelsicherheit ist<br />
<strong>zu</strong> einem zentralen Anliegen geworden. In<br />
der Kommission beobachten wir <strong>die</strong> Situation<br />
und <strong>die</strong> Agrarmärkte sehr genau.<br />
In der EU haben wir das Glück, dass <strong>die</strong><br />
Christiane Seidel<br />
Referentin Team<br />
Lebensmittel, Verbraucherzentrale<br />
Bundesverband e.V.<br />
„Die Krisen dürfen<br />
nicht gegeneinander<br />
ausgespielt werden“<br />
Christiane Seidel<br />
Ernährungssicherheit heute nicht gefährdet<br />
ist, da <strong>die</strong> EU bei allen wichtigen<br />
Agrarprodukten weitgehend autark ist.<br />
Auch wenn kurzfristige Maßnahmen<br />
erforderlich sind, um mit <strong>die</strong>ser Ausnahmesituation<br />
fertig <strong>zu</strong> werden, dürfen<br />
wir nicht vergessen, dass der Übergang<br />
<strong>zu</strong> einer nachhaltigeren <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
unser einziger Weg <strong>zu</strong> einer langfristigen<br />
Ernährungssicherheit ist. In <strong>die</strong>sem Sinne<br />
ist es wichtig, an den Leitlinien der „Farm<br />
to Fork“-Strategie fest<strong>zu</strong>halten und dabei<br />
<strong>die</strong> Ausgangspunkte der Mitgliedstaaten<br />
<strong>zu</strong> berücksichtigen.<br />
Welches ist <strong>die</strong> größte Herausforderung<br />
bei der Umset<strong>zu</strong>ng des <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong>s für<br />
<strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtschaft?<br />
Christiane Seidel: Die <strong>Wende</strong> hin <strong>zu</strong><br />
<strong>mehr</strong> <strong>Nachhaltigkeit</strong> in <strong>Land</strong>wirtschaft,<br />
Lebensmittelproduktion und Ernährung<br />
muss gelingen. In der „Farm to Fork“-<br />
Strategie, als Teil des <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong>s, hat<br />
<strong>die</strong> Europäische Kommission Ansätze<br />
formuliert, wie der Übergang <strong>zu</strong> einem<br />
fairen, gesunden und umweltfreundlichen<br />
Lebensmittelsystem in Europa gestaltet<br />
werden kann. Dabei wird jede Stufe der<br />
Lebensmittelwertschöpfungskette, von<br />
der Produktion über den Vertrieb bis<br />
<strong>zu</strong>m Verbrauch, einbezogen. Es liegt an<br />
allen Akteuren, das Erreichen <strong>die</strong>ser Ziele<br />
konstruktiv <strong>zu</strong> unterstützen. Ohne eine<br />
Veränderung der Konsumgewohnheiten,<br />
<strong>zu</strong>m Beispiel geringeren Fleischkonsum,<br />
6
Dr. Hubertus<br />
Paetow Präsident<br />
der Deutschen<br />
<strong>Land</strong>wirtschaftsgesellschaft<br />
(DLG)<br />
„Die extensive<br />
Bewirtschaftung<br />
<br />
scheidet als Lösung<br />
aus, deshalb wird<br />
eine nachhaltige<br />
Innovation wichtig“<br />
Dr. Hubertus Paetow<br />
FOTOS: VERBRAUCHERZENTRALE BUNDESVERBAND, STEVEN LUEDTKE<br />
wird es nicht gehen. Genauso ist eine<br />
Verringerung der landwirtschaftlich gehaltenen<br />
Tiere und eine Erhöhung der<br />
Tierhaltungsstandards notwendig.<br />
Dr. Hubertus Paetow: Bei vielen Umset<strong>zu</strong>ngsvorschlägen<br />
mischen sich vernünftige<br />
Konzepte der nachhaltigen<br />
Entwicklung mit politisch-ideologischen<br />
Denkverboten und Fehleinschät<strong>zu</strong>ngen.<br />
Die Umset<strong>zu</strong>ng wird nur gelingen, wenn<br />
man <strong>die</strong>s sauber voneinander trennt.<br />
<br />
aufgefangen werden ?<br />
Christiane Seidel: Ernährungsgewohnheiten<br />
werden sich verändern müssen,<br />
und sie verändern sich auch längst. Es<br />
muss weniger in Tank und Trog und <strong>mehr</strong><br />
direkt auf dem Teller landen. Die Mehrheit<br />
der Verbraucher gibt in Umfragen<br />
an, entweder schon weniger Fleisch <strong>zu</strong><br />
essen oder sich <strong>die</strong>s vor<strong>zu</strong>nehmen. Zwei<br />
Drittel würden ihre Ernährung aus Klima-<br />
und Umweltschutzgründen anpassen.<br />
Eine aktuelle Befragung zeigt, dass<br />
sich sogar 34 Prozent der Befragten vorstellen<br />
können, komplett auf Fleisch <strong>zu</strong><br />
verzichten. Die meisten Verbraucher sind<br />
also an Bord, wenn es darum geht, <strong>die</strong><br />
eigene Ernährung nachhaltiger <strong>zu</strong> gestalten.<br />
Damit <strong>die</strong>s auch tatsächlich gelingt,<br />
muss es im Alltag auch einfacher<br />
werden, sich nachhaltig <strong>zu</strong> ernähren. Da<br />
ist <strong>die</strong> Politik gefragt. Hier einige Ansätze:<br />
Die Tierhaltung muss grundlegend umgebaut<br />
werden, Obst und Gemüse sollten<br />
von der Mehrwertsteuer befreit werden,<br />
das Angebot vegetarischer und veganer<br />
Alternativen in der Gemeinschaftsverpflegung<br />
steigen. Außerdem sollte der<br />
<strong>Nachhaltigkeit</strong>sfußabdruck von Lebensmitteln<br />
einfach erkennbar sein.<br />
Dr. Hubertus Paetow: Der Schlüssel <strong>zu</strong>r<br />
Sicherstellung der Versorgung sind Neuerungen<br />
wie <strong>die</strong> Nut<strong>zu</strong>ng angepasster<br />
Pflanzensorten oder mechanische Unkrautregulierung<br />
mit autonomen Systemen<br />
wie mit Robotern. Die EU kann,<br />
ähnlich wie bei der Energieversorung,<br />
nicht ohne Nahrungsmittelimporte auskommen.<br />
Hier gilt es, Abhängigkeiten<br />
von Lieferketten <strong>zu</strong> vermeiden.<br />
Werden sich alle EU-Staaten an den<br />
<br />
Dr. Hubertus Paetow: Das ist aus deutscher<br />
Sicht eine schwierige Diskussion.<br />
Viele Länder in Europa sind heute schon<br />
weiter im Klimaschutz, jedenfalls was den<br />
aktuellen Pro-Kopf-Ausstoß an Treibhausgasen<br />
betrifft. Die Ziele <strong>zu</strong>r Minderung<br />
sind EU-weit definiert, aber es zeichnet<br />
sich jetzt schon ab, dass einige Länder<br />
<strong>die</strong>se nicht erreichen werden. Die aktuelle<br />
Energiekrise in Deutschland aufgrund der<br />
Abhängigkeit von Energieimporten wirkt<br />
hier nicht motivierend auf <strong>die</strong>se Länder.<br />
Janusz Wojciechowski: Wir wissen, dass<br />
sich der Klimawandel auf alle Teile Europas<br />
auswirkt. Wetterumschwünge und <strong>die</strong><br />
Dürren beeinträchtigen <strong>die</strong> Ernteerträge<br />
und <strong>die</strong> Produktivität der Viehwirtschaft.<br />
Es handelt sich um ein globales Problem,<br />
das wir auf EU-Ebene in Zusammenarbeit<br />
mit allen Ebenen der Behörden und der<br />
Zivilgesellschaft besser angehen können.<br />
Die Strategiepläne der Gemeinsamen Agrarpolitik<br />
(GAP) bieten <strong>die</strong> nötige Flexibilität,<br />
<strong>die</strong> jedes <strong>Land</strong> braucht. Sie können<br />
<strong>die</strong> Maßnahmen wählen, <strong>die</strong> am besten<br />
auf ihre lokalen Bedürfnisse <strong>zu</strong>geschnitten<br />
sind, um unsere EU-weiten Ziele in<br />
Be<strong>zu</strong>g auf Umwelt und Klima <strong>zu</strong> erreichen.<br />
Zum Beispiel könnten <strong>die</strong> skandinavischen<br />
Staaten <strong>mehr</strong> Gewicht auf <strong>die</strong><br />
Wälder legen, während sich <strong>die</strong> südlichen<br />
Länder auf den Wasser- und Bewässerungsbedarf<br />
konzentrieren könnten. In<br />
der neuen GAP werden <strong>mehr</strong> Mittel als<br />
je <strong>zu</strong>vor für umweltfreundliche Praktiken,<br />
biologische Vielfalt und Tierschutz bereitgestellt.<br />
Deutschland beispielsweise<br />
wird von <strong>2023</strong> bis 2027 für <strong>die</strong> GAP 30,5<br />
Milliarden Euro erhalten, wovon ungefähr<br />
9,7 Milliarden Euro direkt für Umwelt-<br />
und Klimaziele verwendet werden.<br />
Ein weiterer Schwerpunkt des deutschen<br />
Plans bis 2030 ist der ökologische <strong>Land</strong>bau<br />
mit dem Ziel, 30 Prozent der landwirtschaftlichen<br />
Nutzfläche ökologisch<br />
<strong>zu</strong> bewirtschaften.<br />
Ist <strong>die</strong> Versorgung mit hochwertigen<br />
und bezahlbaren Nahrungsmitteln ge-<br />
<br />
Christiane Seidel: Der Ukraine-Krieg und<br />
<strong>die</strong> humanitären Folgen in vielen Ländern<br />
zeigen, wie vernetzt unser globales<br />
<strong>Land</strong>wirtschafts- und Lebensmittelsystem<br />
ist. Das Wegbrechen wichtiger lebensmittelerzeugender<br />
Länder hat Auswirkung<br />
auf <strong>die</strong> globale Verteilung von<br />
Lebensmitteln sowie auf <strong>die</strong> Entwicklung<br />
internationaler Lebensmittel-<br />
7
Titelthema <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong><br />
„Die Aggression Russlands in der Ukraine hat tiefgreifende<br />
Auswirkungen auf das globale Lebensmittelsystem“ Janusz Wojciechowski<br />
preise. Das ist vor allem in den Ländern<br />
der Fall, <strong>die</strong> bereits vor dem Krieg gegen<br />
<strong>die</strong> Ukraine auf humanitäre Hilfe angewiesen<br />
waren. Vor allem in Ostafrika leiden<br />
<strong>die</strong> Menschen seit Jahren unter ausbleibenden<br />
Ernten – als nur eine Folge<br />
der Klimakrise. Für <strong>die</strong>se globalen Verteilungsprobleme<br />
braucht es langfristige,<br />
strukturelle und engagierte Lösungen.<br />
Auch wenn in Deutschland <strong>die</strong> Lebensmittelpreise<br />
in den letzten Monaten<br />
gestiegen sind, ist <strong>die</strong> Versorgung mit<br />
Lebensmitteln grundsätzlich gesichert.<br />
Der Selbstversorgungsgrad Deutschlands<br />
liegt bei Produkten wie Fleisch,<br />
Kartoffeln, Milch und Weizen deutlich<br />
über 100 Prozent. Wir sehen aktuell<br />
keinen Anlass <strong>zu</strong>r Annahme, dass <strong>die</strong><br />
Versorgungssicherheit in Deutschland<br />
gefährdet ist. Gleichzeitig brauchen einkommensschwache<br />
Verbraucher Unterstüt<strong>zu</strong>ng,<br />
damit sie sich ausreichend und<br />
ausgewogen ernähren können.<br />
Ist <strong>die</strong> europäische Agrarwirtschaft<br />
durch den <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong> international<br />
noch wettbewerbsfähig?<br />
Christiane Seidel: Wichtig ist, dass <strong>die</strong><br />
Erhöhung von <strong>Nachhaltigkeit</strong>sstandards<br />
in der EU von einer Handelspolitik flankiert<br />
wird, <strong>die</strong> wesentlich weniger nachhaltige<br />
Importe <strong>zu</strong> wesentlich günstigeren<br />
Preisen unterbindet. Sonst werden<br />
europäische <strong>Nachhaltigkeit</strong>sbemühungen<br />
unterminiert. Es muss deshalb si-<br />
chergestellt werden, dass auch für importierte<br />
Produkte <strong>die</strong>selben Standards<br />
gelten wie für in der EU produzierte<br />
Lebensmittel. Eine verbindliche Kennzeichnung<br />
von <strong>Nachhaltigkeit</strong>saspekten,<br />
einschließlich des Tierwohls, sowie ein<br />
umfassendes europäisches Lieferkettengesetz<br />
sind ebenso wichtig.<br />
Dr. Hubertus Paetow: Das kommt sehr<br />
auf <strong>die</strong> Ausgestaltung der Instrumente<br />
<strong>zu</strong>r Umset<strong>zu</strong>ng der Strategien an. Wenn<br />
hier <strong>die</strong> Balance zwischen ökologischer<br />
und ökonomischer <strong>Nachhaltigkeit</strong> gewahrt<br />
bleibt und alle Möglichkeiten des<br />
Fortschritts genutzt werden, so ist auch<br />
in Zukunft in der EU eine wettbewerbsfähige<br />
Nahrungsmittelerzeugung möglich.<br />
Janusz Wojciechowski<br />
EU-Kommissar für<br />
<strong>Land</strong>wirtschaft und<br />
ländliche Entwicklung<br />
Janusz Wojciechowski: Die EU steht bei<br />
der Bekämpfung des Klimawandels an<br />
vorderster Front. Wir können stolz darauf<br />
sein, dass wir in <strong>die</strong>ser für <strong>die</strong> nächsten<br />
Generationen so wichtigen Angelegenheit<br />
weltweit führend sind. Wir sollten immer<br />
wieder darauf hinweisen, dass alle in <strong>die</strong> EU<br />
eingeführten landwirtschaftlichen Erzeugnisse<br />
unseren gesundheitspolizeilichen<br />
und pflanzenschutzrechtlichen Standards<br />
für Lebensmittelsicherheit, Tiergesundheit<br />
und Pflanzenschutz entsprechen<br />
müssen. Dabei wollen wir nicht naiv sein,<br />
aber unseren <strong>Land</strong>wirten aus der unfairen<br />
Situation helfen. Wir brauchen eine globale<br />
Umstellung auf nachhaltige Lebensmittelsysteme.<br />
Wir werden weiterhin mit unseren<br />
Handelspartnern <strong>zu</strong>sammenarbeiten.<br />
Wir wollen sie ermutigen, Fortschritte<br />
im Bereich der nachhaltigen Entwicklung,<br />
der Zusammenarbeit im Bereich des<br />
Tierschutzes und des Kampfs gegen antimikrobielle<br />
Resistenzen <strong>zu</strong> machen.Dafür<br />
wollen wir unsere Handelsabkommen, <strong>die</strong><br />
bilaterale Zusammenarbeit und unser Engagement<br />
in multilateralen Foren nutzen.<br />
Nach wie vor ist <strong>die</strong> EU der größte<br />
Lebensmittelexporteur der Welt und hält<br />
gleichzeitig <strong>die</strong> strengsten Umweltstandards<br />
ein. Dies ist eine große Leistung!<br />
Wo stehen <strong>die</strong> Verbraucher?<br />
Christiane Seidel: Das Thema <strong>Nachhaltigkeit</strong><br />
steht bei Verbrauchern weit oben<br />
auf der Agenda, insbesondere beim Lebensmitteleinkauf.<br />
Das zeigt der aktuelle<br />
Report, den der Verbraucherzentrale<br />
Bundesverband 2022 veröffentlicht hat.<br />
Demnach ist 93 Prozent der Befragten<br />
<strong>die</strong> <strong>Nachhaltigkeit</strong> von Lebensmitteln<br />
wichtig. Verbraucher wollen nachhaltige<br />
Produkte aus heimischer Erzeugung.<br />
Dass sie auch bereit sind, <strong>mehr</strong> dafür <strong>zu</strong><br />
zahlen, wissen wir aus unterschiedlichen<br />
Befragungen aus den letzten Jahren. In<br />
der Praxis fällt es Verbrauchern jedoch<br />
oft schwer, tatsächlich nachhaltig erzeugte<br />
Lebensmittel als solche <strong>zu</strong> erkennen.<br />
Der Siegeldschungel im Supermarkt<br />
macht es ihnen nicht leicht, den<br />
Durchblick <strong>zu</strong> behalten. Für eine echte<br />
nachhaltige Transformation der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
brauchen wir daher nicht nur<br />
hohe gesetzliche Tierschutz-, Umweltschutz-<br />
und Arbeitsschutzstandards,<br />
sondern auch eine bessere Kennzeichnung<br />
der Produkte, <strong>die</strong> schon jetzt <strong>die</strong>se<br />
Standards erfüllen. Da<strong>zu</strong> gehört auch,<br />
dass <strong>die</strong> Einhaltung <strong>die</strong>ser Standards regelmäßig<br />
und unabhängig geprüft wird.<br />
Dr. Hubertus Paetow: Verbraucher richten<br />
ihr eigenes Verhalten ebenso wenig<br />
ausschließlich nach den Anforderungen<br />
des Gemeinwohls, wie <strong>die</strong>s Unternehmen<br />
tun. Insofern kommt es sehr auf <strong>die</strong><br />
vernünftigen politischen Rahmenbedingungen<br />
an, sowohl bei den Konsumenten<br />
als auch bei den Erzeugern.<br />
FOTOS: ADAM BERRY /EU, ROLAND BREITSCHUH
INTERVIEW<br />
„Die Lage ist ernst,<br />
aber nicht hoffnungslos“<br />
Über das Verhältnis zwischen Verbrauchern und der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
sprachen wir mit Jens Lönneker, Psychologe und Geschäftsführer des<br />
Marktforschungsinstituts rheingold salon<br />
Wie schätzen Sie das Vertrauen<br />
zwischen den deutschen Verbrauchern<br />
und <strong>Land</strong>wirten ein?<br />
Die Beziehung ist schwierig und<br />
gespalten: Die meisten Menschen<br />
haben zwar großes Vertrauen in <strong>die</strong><br />
Produkte der <strong>Land</strong>wirtschaft, <strong>die</strong> sie konsumieren.<br />
Dies gilt jedoch nicht für <strong>die</strong> Produktion: Da wird meist<br />
angenommen, dass <strong>Land</strong>wirte <strong>die</strong> Böden mit Schadstoffen<br />
belasten und ihre Tiere nicht gut behandeln.<br />
Umgekehrt sind <strong>Land</strong>wirte überwiegend von den<br />
Verbrauchern enttäuscht. Denn <strong>die</strong> fordern von <strong>Land</strong>wirten<br />
andere Produktionsweisen, wollen aber nicht<br />
<strong>mehr</strong> dafür bezahlen. Beide Gruppen schieben sich so<br />
immer wieder den Schwarzen Peter <strong>zu</strong>, und es ändert<br />
sich nichts.<br />
Wertschätzen <strong>die</strong> Verbraucher <strong>die</strong> Arbeit der <strong>Land</strong>wirte<br />
oder stufen sie <strong>die</strong>se eher als Treibhausgasverursacher<br />
und Umweltsünder ein?<br />
Die gesellschaftliche Wertschät<strong>zu</strong>ng der <strong>Land</strong>wirte ist<br />
nicht schlecht – etwa gleichauf mit <strong>Wissen</strong>schaftlern.<br />
Menschen im Gesundheitssystem erzielten höhere<br />
und Politiker schlechtere Werte. Allerdings sagen<br />
kaum 30 Prozent, dass <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtschaft <strong>zu</strong>kunftsorientiert<br />
sei. Hier besteht ein großer Nachholbedarf:<br />
Knapp zwei Drittel der Befragten wünschen sich eine<br />
Zukunftsorientierung.<br />
Kann der <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong> da<strong>zu</strong> beitragen,<br />
das Vertrauen zwischen <strong>Land</strong>wirten und<br />
Verbrauchern <strong>zu</strong> verbessern?<br />
Es reicht nicht, nur den <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong> aus<strong>zu</strong>rufen. Es<br />
braucht auch neue faszinierende Darstellungen aus der<br />
<strong>Land</strong>wirtschaft in den Me<strong>die</strong>n. Hier einige untersuchte<br />
Beispiele, <strong>die</strong> einen solchen Effekt haben: Drohnen, <strong>die</strong><br />
Rehkitze vor dem Mähdrescher-Tod bewahren, Kartoffelzüchtungen<br />
auf Salzböden oder ein fruchtbarer Boden,<br />
der einen geringeren Einsatz von Pflanzenschutzmitteln<br />
ermöglicht. Das sind Darstellungen, <strong>die</strong> Verbraucher so<br />
fasziniert haben, dass sie <strong>mehr</strong> davon hören wollten.<br />
Umfragen bestätigen immer wieder, dass <strong>die</strong> Verbraucher<br />
nicht gewillt sind, höhere Preise für <strong>mehr</strong><br />
Umweltschutz <strong>zu</strong> zahlen. Tragen sie den <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong><br />
überhaupt mit?<br />
Rund drei Viertel der Verbraucher sind bereit, maximal<br />
zehn Prozent Preisaufschlag hin<strong>zu</strong>nehmen. Und <strong>die</strong>se<br />
Zahl wurde vor dem aktuellen Inflationsschub erhoben.<br />
Man kann davon ausgehen, dass <strong>die</strong> Akzeptanz für höhere<br />
Preise eher abgenommen hat.<br />
Wie gelingt es, <strong>die</strong> Verbraucher um<strong>zu</strong>stimmen und<br />
am <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong> <strong>zu</strong> beteiligen?<br />
Der <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong> braucht eine gute Überzeugungsarbeit,<br />
damit er von den Menschen auch in Form von höheren<br />
Preisen mitgetragen wird. Da ist sicherlich noch viel <strong>zu</strong><br />
tun. Es braucht neue Bühnen und Storys. Und es braucht<br />
in unserer heutigen Me<strong>die</strong>ngesellschaft eben auch einen<br />
Batzen Geld, um für <strong>die</strong> gute Sache <strong>zu</strong> werben.<br />
Wie schätzen Sie <strong>die</strong> Stimmungslage der <strong>Land</strong>wirte<br />
in Be<strong>zu</strong>g auf den <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong> ein, und wo liegen hier<br />
<strong>die</strong> Herausforderungen?<br />
Die <strong>Land</strong>wirte sind <strong>zu</strong>rzeit eher noch vorsichtig und<br />
skeptisch. Sie warten erst mal ab, ob sich eine gute<br />
Sache auch in der Praxis <strong>zu</strong>m Guten entwickelt. Wichtig<br />
sind ihnen unter anderem Aspekte wie <strong>die</strong> Planungssicherheit,<br />
keine <strong>zu</strong>sätzliche Bürokratie sowie <strong>mehr</strong><br />
Akzeptanz und Nachfrage.<br />
Wie wird sich Ihrer Meinung nach <strong>die</strong> Beziehung<br />
zwischen Verbrauchern und der <strong>Land</strong>wirtschaft in<br />
Zukunft weiter entwickeln?<br />
Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Beide<br />
Seiten wollen grundsätzlich miteinander Lösungen<br />
finden, wissen nur im Moment nicht genau, wie sie<br />
<strong>zu</strong>sammen kommen können. Wir haben versucht,<br />
mit einem Zukunfts-Bauer-Projekt* dafür Optionen<br />
auf<strong>zu</strong>zeigen. Die möglichen Lösungswege wurden<br />
empirisch geprüft und müssten jetzt noch begangen<br />
werden. Der <strong>Green</strong> <strong>Deal</strong> kann im Grundsatz dabei<br />
unterstützen.<br />
Mehr über das Zukunfts-Bauer-Projekt unter: www.rheingold-salon.de/der-<strong>zu</strong>kunfts-bauer/<br />
9
<strong>Land</strong>wirtin aus Leidenschaft<br />
Seit 2<strong>01</strong>7 führt Gesa Langenberg in 14. Generation den Hof ihrer Familie.<br />
Ein Traumjob, der <strong>die</strong> 33-Jährige täglich vor neue Herausforderungen stellt<br />
Die Liebe <strong>zu</strong>r <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
wurde Gesa Langenberg buchstäblich<br />
in <strong>die</strong> Wiege gelegt. Auf<br />
dem Bauernhof ihrer Eltern ist<br />
<strong>die</strong> stu<strong>die</strong>rte Agrarwissenschaftlerin<br />
als jüngste von drei Schwestern<br />
aufgewachsen. Vor fünf Jahren übernahm<br />
sie den über 450 Jahre alten Familienbetrieb.<br />
„Meine beiden älteren Geschwister<br />
haben sich für eine Zukunft in der <strong>Stadt</strong><br />
entschieden. Weil ich immer gerne auf dem<br />
<strong>Land</strong> gelebt habe, ergriff ich <strong>die</strong> Chance,<br />
<strong>die</strong> Tradition unseres Hofs fort<strong>zu</strong>führen“,<br />
erklärt <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtin und Mutter zweier<br />
kleiner Kinder. Gemeinsam mit ihrem<br />
Mann Josef, vier Mitarbeitern und einem<br />
Aus<strong>zu</strong>bildenden bewirtschaftet <strong>die</strong> 33-Jährige<br />
den Hof im niedersächsischen Bockstedt.<br />
Neben dem Anbau von Kartoffeln,<br />
Weizen, Roggen, Hafer, Gerste, Mais, Raps<br />
und Zuckerrüben ist der landwirtschaftliche<br />
Betrieb auf Schweinemast spezialisiert.<br />
Dieser Beruf ist einzigartig<br />
Als <strong>Land</strong>wirtin <strong>zu</strong> leben und <strong>zu</strong> arbeiten<br />
ist für Gesa Langenberg ein Traumjob.<br />
„Mein Beruf ist einzigartig, weil er<br />
so viele unterschiedliche Facetten und<br />
Herausforderungen mit sich bringt.<br />
Kein Tag ist so wie der andere.“ Ob am<br />
Schreibtisch, mit den Tieren im Stall<br />
oder in der Natur auf den Feldern, es<br />
gibt jede Menge Arbeit, aber auch jede<br />
Menge Abwechslung. „Ich bin <strong>Land</strong>wirtin<br />
und Unternehmerin in einer Person. Dadurch<br />
habe ich <strong>die</strong> Freiheit, unabhängig<br />
<strong>zu</strong> agieren und meine eigenen Ideen um<strong>zu</strong>setzen“,<br />
beschreibt <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtin <strong>die</strong><br />
Vorteile der Selbstständigkeit.<br />
Erster weiblicher<br />
Chef auf dem Hof<br />
Sie ist in der jahrhundertealten Familiengeschichte<br />
<strong>die</strong> erste Frau, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />
Verantwortung für den Hof trägt. Gesa<br />
Langenberg zählt <strong>zu</strong> den wenigen Betriebsleiterinnen<br />
in der deutschen<br />
Agrar szene. Immer noch wird hier<strong>zu</strong>lande<br />
nur jeder neunte landwirtschaftliche<br />
Betrieb von einer Frau geleitet.<br />
Obwohl <strong>die</strong> Bewirtschaftung eines Hofs<br />
eine körperlich sehr herausfordernde<br />
Aufgabe ist, können Frauen <strong>die</strong>se dank<br />
modernster Technik genauso gut bewältigen<br />
wie ihre männlichen Kollegen, findet<br />
Gesa Langenberg. „Durch den sehr<br />
hohen Fortschritt in der <strong>Land</strong>technik<br />
ist <strong>die</strong> körperliche Arbeit nicht <strong>mehr</strong> so<br />
anstrengend wie früher. Aber ich muss<br />
<strong>zu</strong>geben, dass es Situationen gibt, in<br />
denen ich an meine Grenzen komme.<br />
Dann ist es gut, dass ich Männer auf dem<br />
Hof habe, <strong>die</strong> mich dabei unterstützen“,<br />
räumt <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtin ein, <strong>die</strong> sich seit<br />
2<strong>01</strong>7 <strong>zu</strong>sätzlich <strong>zu</strong> ihrem Beruf ehrenamtlich<br />
als Agrarscoutin engagiert.<br />
„Meine beiden älteren Geschwister haben sich für<br />
eine Zukunft in der <strong>Stadt</strong> entschieden. Weil ich<br />
immer gerne auf dem <strong>Land</strong> gelebt habe, ergriff ich <strong>die</strong><br />
Chance, <strong>die</strong> Tradition unseres Hofs fort<strong>zu</strong>führen“<br />
10
Frauen in der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
41 %<br />
weniger schweinehaltende<br />
Betriebe<br />
gibt es seit 2<strong>01</strong>2<br />
42,9 kg<br />
Fakten <strong>zu</strong>r Schweinehaltung<br />
<br />
Deutschland 2021 durchschnittlich<br />
pro Kopf verzehrt<br />
(STATISTA)<br />
Neuer Offenstall<br />
Den Schweinen<br />
werden verschiedene<br />
Funktionsbereiche<br />
angeboten.<br />
Die Tiere entscheiden<br />
selbst, ob sie<br />
ins Freie möchten<br />
22,3 Mio<br />
Schweine werden aktuell in<br />
<br />
<br />
(STATISTISCHES BUNDESAMT)<br />
Anfang Oktober 2022<br />
zahlten Schlachtbetriebe<br />
2,10 €/kg Schwein.<br />
<strong>Land</strong>wirte erhielten so<br />
rund 200 € pro Tier (VEZG)<br />
FOTOS: GESA LANGENBERG, GUNNAR GELLER<br />
Arbeit ist familienfreundlich<br />
Auch Kinder und Familie lassen sich<br />
gut mit dem Beruf der <strong>Land</strong>wirtin vereinbaren.<br />
Vieles wird durch das Hof -<br />
leben erleichtert – von der verlässlichen<br />
Betreuung bis <strong>zu</strong>r Freizeitgestaltung.<br />
„Wenn Kinder auf einem<br />
Hof groß werden, ist immer jemand<br />
da, der auf sie aufpasst und für sie<br />
da ist. Die Kreativität wird ebenfalls<br />
durch <strong>die</strong> abwechslungsreiche Umgebung<br />
gefördert. Langweilig wird<br />
es nie. Es gibt hier immer etwas <strong>zu</strong><br />
entdecken“, erklärt Gesa Langenberg,<br />
<strong>die</strong> Ende 2022 ihr zweites Kind bekam.<br />
Ruhe bitte!<br />
Schweine sind<br />
entspannte Tiere.<br />
Sie schlafen<br />
18 bis 20 Stunden<br />
am Tag<br />
Genau geregelt:<br />
120 Tage lang<br />
leben <strong>die</strong> Tiere<br />
auf dem Hof, bis<br />
sie das Schlachtgewicht<br />
von<br />
120 Kilogramm<br />
erreicht haben<br />
Alle Sinne<br />
einsetzen<br />
Tiere und Umwelt<br />
nachhaltig <strong>zu</strong> schützen<br />
und dadurch gesunde<br />
Lebensmittel der<br />
Region her<strong>zu</strong>stellen, ist<br />
ihr Ziel. Als Nutztierhalterin<br />
trägt Gesa Langenberg eine große<br />
Verantwortung. Das Wohlergehen der<br />
3800 Schweine, <strong>die</strong> auf dem Hof leben,<br />
liegt der <strong>Land</strong>wirtin sehr am Herzen.<br />
Zweimal täglich wird eine sogenannte<br />
Tierkon trolle in den insgesamt sechs<br />
Ställen durchgeführt. „Mehrere Stunden<br />
lang gehen meine<br />
Mitarbeiter und ich<br />
durch <strong>die</strong> Stallungen<br />
und schauen, ob es<br />
jedem Tier gut geht.“<br />
Sehen, fühlen, riechen,<br />
hören, Gesa Langenberg<br />
setzt bei ihren Rundgängen<br />
alle Sinne ein. Bereits an den Augen<br />
und am Grunzen kann sie erkennen, ob<br />
sich ein Schwein „sauwohl“ fühlt oder<br />
ob es Hilfe benötigt. „Viele Verbraucher<br />
glauben irrtümlich, dass Schweine mit<br />
Antibiotika ,vollgepumpt‘ werden. Das<br />
ist keineswegs so! Wenn ein Tier einmal<br />
krank sein sollte, erfolgt <strong>die</strong> Behandlung<br />
in sehr enger Absprache mit dem<br />
Tierarzt“, betont <strong>die</strong> Schweinemästerin.<br />
Antibiotika werden nur im Ausnahmefall<br />
verabreicht und auf gar keinen Fall prophylaktisch.<br />
Innovatives Stallkonzept<br />
Mit einem innovativen Stallkonzept will<br />
Gesa Langenberg den Wünschen der Verbraucher<br />
nach <strong>mehr</strong> Tierwohl gerecht<br />
werden. Dafür hat sie einen Altstall mit<br />
Platz für 400 Schweine aufwendig umgebaut.<br />
Das Besondere an dem neuen<br />
Stall der Haltungsform 4: Die Tiere haben<br />
doppelt so viel Platz in den eingestreuten<br />
Buchten, wie es gesetzlich<br />
11
Frauen in der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
„Weniger Schweine, <strong>die</strong> auf einem<br />
höheren Niveau gehalten werden,<br />
das ist machbar“<br />
Abwechlungsreich Vom Stall auf den Traktor, kein Arbeitsalltag<br />
von Gesa Langenberg gleicht dem anderen<br />
Gutes Team Wie ihr Vater Lothar Lampe genießt<br />
Gesa Langenberg <strong>die</strong> Arbeit mit der Natur<br />
vorgeschrieben ist. Außerdem können<br />
sie jederzeit selbst entscheiden, ob<br />
sie auf <strong>die</strong> Auslauffläche an <strong>die</strong> frische<br />
Luft gehen möchten. Dafür müssen <strong>die</strong><br />
Schweine nur mit ihrer Rüsselscheibe<br />
<strong>die</strong> Klapptür nach draußen aufstoßen.<br />
Neben organischem Beschäftigungsmaterial<br />
wie Heu und Stroh gibt es<br />
sogar eine umweltschonende „Schweinetoilette“.<br />
Dafür wurde im Außenbereich<br />
des Stalls eine Extrafläche angelegt. Mithilfe<br />
eines ausgeklügelten Systems werden<br />
dort Kot und Harn automatisch voneinander<br />
getrennt. Ammoniakemissionen<br />
können so deutlich reduziert werden.<br />
Hohe Investitionskosten<br />
Das Mehr an Tierwohl hat einen hohen<br />
Preis. Mehr als 1000 Euro pro Mastplatz<br />
hat <strong>die</strong> Betriebsleiterin in den Umbau investiert.<br />
„Mein Wunsch wäre es natürlich,<br />
alle sechs Stallungen um<strong>zu</strong>bauen.<br />
Doch <strong>die</strong> Investitionskosten und das damit<br />
verbundende Risiko sind im Moment<br />
<strong>zu</strong> hoch, weil völlig unklar ist, wie sich<br />
<strong>die</strong> Nachfrage entwickeln wird, und es<br />
kaum staatliche Zuschüsse gibt“, erklärt<br />
Gesa Langenberg. Rund 200 Euro erhält<br />
<strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtin derzeit für ein Schwein<br />
der Haltungsform2. „Bei einem aktuellen<br />
Schweinepreis von 2,10 Euro pro<br />
Kilogramm Schlachtgewicht können<br />
wir <strong>die</strong> Kosten für <strong>die</strong> Tiere, <strong>die</strong><br />
in den älteren Stallungen<br />
gehalten werden, gerade<br />
so decken. Für <strong>die</strong><br />
Tiere im neuen Stall<br />
habe ich jedoch eine<br />
viel höhere Kostenstruktur.“<br />
Neben den<br />
Mehrkosten, unter anderem<br />
für den Ankauf<br />
der Ferkel, und den ex -<br />
trem gestiegenen Futterund<br />
Energiepreisen macht<br />
auch <strong>die</strong> Vermarktung der Schweine<br />
Gesa Langenberg <strong>zu</strong> schaffen. „Schweine<br />
der Haltungsform2 kann man problemlos<br />
an <strong>die</strong> umliegenden Schlachthöfe<br />
abgeben. Bei den Schweinen der Haltungsklasse4<br />
sieht es anders aus. Hier<br />
bin ich selbst gefordert, neue Verkaufskonzepte<br />
<strong>zu</strong> entwickeln“, schildert Gesa<br />
Langenberg.<br />
Bessere Kennzeichnung<br />
notwendig<br />
Trotz aller Hindernisse ist <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtin<br />
aus Leidenschaft <strong>zu</strong>versichtlich,<br />
dass <strong>die</strong> Tierhaltung in Zukunft immer<br />
Gutes<br />
Zeichen<br />
Die Schweine im<br />
neuen Offenstall haben<br />
einen langen Schwanz.<br />
Ist er gekringelt, fühlt<br />
sich das Schwein<br />
sauwohl<br />
nachhaltiger wird: „Weniger Schweine,<br />
<strong>die</strong> auf einem höheren Niveau gehalten<br />
werden, das ist machbar.“ Die<br />
Betriebsleiterin setzt sich<br />
deshalb für eine einheitliche<br />
Haltungsund<br />
Herkunftskennzeichnung<br />
ein, <strong>die</strong><br />
sowohl im Supermarkt<br />
als auch in<br />
der Gastronomie<br />
verpflichtend gelten<br />
sollte. Bis es so weit<br />
ist, engagiert sich Gesa<br />
Langenberg weiter mit großem<br />
Einsatz und neuen Ideen für<br />
<strong>die</strong> Erzeugung von landwirtschaftlichen<br />
Produkten, <strong>die</strong> jeder mit gutem Gefühl<br />
genießen kann.<br />
Informativ<br />
Gesa Langenberg hat einen eigenen Blog,<br />
der spannende Einblicke in ihren Alltag<br />
bietet. Unter https://hi-gesa.de/blog kann<br />
jeder mit ihr in Kontakt treten<br />
12
Meldungen<br />
Moderne <strong>Land</strong>wirtschaft live erleben<br />
Internationale Grüne Woche vom 20. bis 29. Januar <strong>2023</strong><br />
Endlich öffnet <strong>die</strong> Grüne Woche in <strong>die</strong>sem<br />
Jahr wieder ihre Pforten. Als ein<br />
großer Besuchermagnet der Berliner<br />
Messe gilt der Erleb nisBauernhof, auf<br />
dem sich jeder Besucher umfassend<br />
darüber informieren kann, wie unsere<br />
Lebensmittel produziert werden. Unter<br />
dem Motto„Ernährung sichern. Natur<br />
schützen.“zeigen dasForum Moderne<br />
<strong>Land</strong>wirtschaft e. V.und seine <strong>mehr</strong> als<br />
35 Partner, wie es der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
gelingt, <strong>die</strong> Versorgung der Bevölkerung<br />
mit hochwertigen Lebensmitteln<br />
sicher<strong>zu</strong>stellen und gleichzeitig vielfältige<br />
Maßnahmen <strong>zu</strong>m Schutz von Natur,<br />
Artenvielfalt und Tierwohl um<strong>zu</strong>setzen.<br />
Lehrreich Auf dem ErlebnisBauernhof gibt<br />
es für <strong>die</strong> ganze Familie viel <strong>zu</strong> entdecken<br />
Auf dem ErlebnisBauernhof treffen <strong>die</strong><br />
Besucher auf echte <strong>Land</strong>wirte – <strong>die</strong><br />
Agrar Scouts. Vom Showkochen, über<br />
eine Sounddusche bis hin <strong>zu</strong>r Hallenrallye<br />
sind Groß und Klein eingeladen,<br />
mit<strong>zu</strong>machen. Zu den Programm-Highlights<br />
zählt <strong>die</strong> Parade der über 150<br />
Produkt königinnen aus allen Bundesländern.<br />
Informatives erfahren Besucher<br />
bei den Bühnen-Talks, an denen namhafte<br />
Persönlichkeiten aus Politik und der<br />
Agrarbranche teilnehmen.<br />
www.moderne-landwirtschaft.de/gruene-woche-erlebnisbauernhof/<br />
<strong>Land</strong>wirt Jochen<br />
Kanders aus<br />
Uedem in Nordrhein-Westfalen<br />
hat es mit seinem<br />
Projekt auf den<br />
1. Platz geschafft<br />
FOTOS: WELLESHOF, FML, BEEBETTER<br />
Ein Preis für Bienenretter<br />
Einmal jährlich wird der #beebetter-Award verliehen<br />
Im Schnitt sind sie so klein wie ein Daumennagel,<br />
aber sie leisten Großes für<br />
uns Menschen: Bienen sorgen für <strong>die</strong> Bestäubung<br />
wichtiger Kulturpflanzen wie<br />
Raps oder Obstbäume. Ohne sie würde<br />
es weder Artenvielfalt noch Biodiversität<br />
geben. Deshalb gründete Hubert Burda<br />
Media 2<strong>01</strong>9 <strong>die</strong> Initiative #beebetter<br />
für <strong>mehr</strong> Wildbienenschutz. Herzstück<br />
der Bieneninitiative ist der #beebetter-<br />
Award, der in <strong>die</strong>sem Jahr <strong>zu</strong>m fünften<br />
Mal verliehen wird. Von Schulklassen bis<br />
hin <strong>zu</strong> <strong>Land</strong>wirten oder Hobbygärtnern:<br />
Alle, <strong>die</strong> sich für den Bienenschutz engagieren,<br />
können sich vom 1. März bis<br />
30. Juni unter www.beebetter.de bewerben<br />
und attraktive Preisgelder gewinnen.<br />
Vorbildliches Engagement<br />
<strong>zu</strong>m Schutz von Bienen<br />
Jochen Kanders gehört <strong>zu</strong> den fünf Gewinnern<br />
des #beebetter-Awards 2022.<br />
Der 44-jährige <strong>Land</strong>wirt bietet seit 2<strong>01</strong>9<br />
Bienenrettern aus ganz Deutschland<br />
<strong>die</strong> Möglichkeit an, eine Patenschaft<br />
für ein Stück seiner Bienenweide <strong>zu</strong><br />
erwerben. Mit bisher knapp 160 Paten<br />
und einem Insektenkundler schützt der<br />
Eigentümer vom Welleshof am Niederrhein<br />
Wildbienen und andere gefährdete<br />
Insekten und garantiert ihnen ein Stück<br />
sichere Heimat. „Der #beebetter-Award<br />
ist für mich eine große Ehre und eine<br />
Möglichkeit, mich mit anderen Gleichgesinnten<br />
aus<strong>zu</strong>tauschen“, erzählt der<br />
engagierte <strong>Land</strong>wirt. Auch in Zukunft<br />
will er gemeinsam mit seinen Paten für<br />
den Schutz der Wildbienen eintreten<br />
und auf den Klimawandel aufmerksam<br />
machen. „Wir müssen alle etwas dagegen<br />
tun. Der Klimawandel klopft nicht<br />
an unsere Tür. Er sitzt schon längst mit<br />
uns am Tisch.“<br />
www.beebetter.de<br />
www.welleshof.de<br />
13
Auf der Weide Gemeinsam<br />
mit <strong>Land</strong>wirt Timo Wald treibt<br />
Ben Fehler (r.) eine Kuhherde<br />
auf eine andere Weide<br />
Im mobilen Hühnerstall<br />
Ben Fehler füllt Futter nach<br />
Gut versorgt: Die Kühe von<br />
Timo Wald erhalten frisches,<br />
gut verdauliches Futter<br />
„Die <strong>Land</strong>wirtschaft überrascht<br />
mit vielen Innovationen“<br />
Schonend Auf Timo Walds Betrieb<br />
gibt es nur kurze Beweidungszeiten<br />
mit langen Ruhephasen<br />
Genau erklärt<br />
<strong>Land</strong>wirt Timo Wald (r.)<br />
nimmt sich viel Zeit,<br />
um seinem Gast<br />
alle Arbeitsschritte<br />
<strong>zu</strong> erläutern
Aktion<br />
<strong>Land</strong>wirt für einen Tag<br />
Vom Computer aufs Feld<br />
Ben Fehler aus Bonn wollte <strong>mehr</strong> über <strong>die</strong> Lebensmittelproduktion in Deutschland wissen<br />
und bewarb sich bei der Aktion „<strong>Land</strong>wirt für einen Tag“<br />
Verstanden sich auf Anhieb<br />
Ben Fehler bedankt sich<br />
bei Timo Wald (r.) für den<br />
erkenntnisreichen Tag<br />
FOTOS: FML<br />
Zu seiner Welt gehört <strong>die</strong> Modernisierung<br />
der öffentlichen<br />
Verwaltung und damit auch<br />
<strong>die</strong> Beschleunigung von Arbeitsprozessen<br />
und Antragsabwicklungen.<br />
Ben Fehler ist mit Leib<br />
und Seele Digitalisierer.<br />
Aufgewachsen in Köln in einer Akademikerfamilie,<br />
hatte der 35-Jährige,<br />
wie <strong>die</strong> meisten Verbraucher, keine<br />
Vorstellung davon, welche Leistungen<br />
ein <strong>Land</strong>wirt erbringt, um <strong>zu</strong>m Beispiel<br />
Milch, Eier oder Schweinefleisch <strong>zu</strong> produzieren<br />
und verkaufen <strong>zu</strong> können.<br />
Ben Fehler lebt inzwischen mit seiner<br />
Lebensgefährtin in Bonn. Gemeinsam<br />
möchten sie sich gut und gesund ernähren.<br />
Da der ITler sehr neugierig ist und<br />
ihn <strong>die</strong> Frage nach der hiesigen Lebensmittelherstellung<br />
nicht losließ, bewarb<br />
er sich beim Forum Moderne <strong>Land</strong>wirtschaft,<br />
um einen Tag lang einem <strong>Land</strong>wirt<br />
bei dessen Arbeit über <strong>die</strong> Schulter<br />
schauen <strong>zu</strong> können.<br />
In Neunkirchen-Seelscheid, rund eine<br />
Autostunde von Bonn entfernt, liegt der<br />
moderne Hof von Timo Wald und Katharina<br />
Mosler. Dort werden unter anderem<br />
Schweine, Hühner und Milchkühe<br />
gehalten. „Nach einer Besprechung des<br />
Tagesablaufs habe ich <strong>zu</strong>nächst einmal<br />
Hühnerfutter aufgefüllt und Eier eingesammelt.<br />
Bei Timo und Katharina leben<br />
rund 350 frei laufende Hühner in mobilen<br />
Ställen auf einer Wiese. Die Unterkünfte<br />
auf Kufen werden regelmäßig mit einem<br />
Trecker umplatziert, damit das Gras da -<br />
runter nachwachsen kann.“ Anschließend<br />
trieb der Informatiker <strong>zu</strong>sammen<br />
mit dem <strong>Land</strong>wirt eine Kuhherde auf<br />
eine andere Weide. „Timo betreibt hier<br />
sogenanntes Mob Grazing. Das heißt,<br />
auf den jeweiligen<br />
Flächen findet<br />
immer nur eine<br />
kurze Beweidung<br />
mit langen Ruhephasen<br />
für <strong>die</strong> Weiden statt.<br />
Auf <strong>die</strong>se Weise wird der<br />
Boden besser geschützt“, hat Fehler<br />
bei seinem Tagesausflug gelernt. Was er<br />
auch schnell feststellte: „Die Arbeit auf<br />
einem landwirtschaftlichen Betrieb ist<br />
harte körperliche Arbeit. Timo ist täglich<br />
10 bis 12 Stunden draußen unterwegs.“<br />
Parallel da<strong>zu</strong> müsse der <strong>Land</strong>wirt noch<br />
stundenlang Büroarbeiten erledigen und<br />
mit dem Einzelhandel und den Behörden<br />
kommunizieren. „Ich war sehr überrascht,<br />
wie viele Anträge er ausfüllen<br />
muss“, urteilte Ben Fehler nach seinem<br />
Besuch auf dem Bauernhof.<br />
Parallelen zwischen<br />
den Branchen<br />
„Ich übe meinen Beruf als Digitalisierer<br />
sehr gerne aus und würde kein <strong>Land</strong>wirt<br />
sein wollen. Aber nachdem ich festgestellt<br />
habe, dass <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
ähnlich wie <strong>die</strong> digitale Welt mit vielen<br />
Vorurteilen <strong>zu</strong> kämpfen hat, habe ich<br />
Timo angeboten, ihn <strong>zu</strong> unterstützen<br />
und seine Webseite <strong>zu</strong> vereinfachen und<br />
<strong>zu</strong> aktualisieren.“<br />
<strong>Land</strong>wirte müssten sich um ihr<br />
Image selber kümmern und viel <strong>mehr</strong><br />
Aufklärungsarbeit leisten, findet Ben<br />
„Ich habe ein viel besseres<br />
Verständnis für Qualität entwickelt“<br />
Ben Fehler<br />
Fehler. „In meiner<br />
Branche ist es ähnlich.<br />
Noch immer<br />
wird diskutiert, warum<br />
wir <strong>die</strong> Digitalisierung<br />
überhaupt benötigen. Die<br />
Bürgerinnen und Bürger wollen<br />
zwar, dass <strong>die</strong> Verwaltungen schneller<br />
arbeiten, aber ohne dass <strong>die</strong>se künstliche<br />
Intelligenz einsetzen oder gar Daten<br />
speichern. Das ist doch widersprüchlich.<br />
Und <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirte sollen eine Balance<br />
halten zwischen Tierwohl, Umweltschutz<br />
und erfolgreichem Wirtschaften,<br />
ohne dass <strong>die</strong> Endkunden auch nur ansatzweise<br />
irgendetwas da<strong>zu</strong> beisteuern<br />
wollen. Ich habe wirklich viele Parallelen<br />
zwischen unseren Branchen entdeckt.“<br />
Sein Fazit am Ende seines Tags als<br />
<strong>Land</strong>wirt: „Ich habe ein viel besseres<br />
Verständnis für Qualität entwickelt<br />
und gehe jetzt ganz anders einkaufen.<br />
Vor allem achte ich darauf, woher <strong>die</strong><br />
Lebensmittel stammen. Ich kaufe jetzt<br />
<strong>mehr</strong> regionale und saisonale Produkte<br />
ein.“ Früher habe er beim Einkaufen vieles<br />
nicht wahrgenommen. Das hat sich<br />
nach der Teilnahme bei „<strong>Land</strong>wirt für<br />
einen Tag“ nun bei Ben Fehler geändert.<br />
www.moderne-landwirtschaft.de/landwirt-fuer-einen-tag/<br />
15
Über das blaue<br />
Wunder und Robi,<br />
den Rübenroboter<br />
Zum zweiten Mal verliehen das Forum Moderne <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
und <strong>die</strong> Fachzeitschrift „top agrar“ den Innovationspreis<br />
Moderne <strong>Land</strong>wirtschaft an außergewöhnliche Unternehmen<br />
<br />
Um <strong>die</strong> Menge Weizen für ein<br />
Kilo Brot <strong>zu</strong> erhalten, muss<br />
ein <strong>Land</strong>wirt ungefähr 400<br />
Weizensamen aussäen. Bei<br />
guten Witterungsbedingungen<br />
kann er nach rund acht Monaten<br />
etwa das 40-Fache der Aussaatmenge<br />
ernten. Vorausset<strong>zu</strong>ng dafür ist, dass<br />
<strong>die</strong> Weizensamen <strong>zu</strong> 92 Prozent keimfähig<br />
sind. Diese Mindestkeimfähigkeit<br />
ist gesetzlich vorgeschrieben und variiert<br />
von Nutzpflanze <strong>zu</strong> Nutzpflanze. Bei Raps<br />
sind es 85 Prozent.<br />
Durch regelmäßig intern durchgeführte<br />
Qualitätskontrollen prüfen<br />
Saatgutunternehmen beziehungsweise<br />
Saatgutproduzenten <strong>die</strong> Keimfähigkeit<br />
ihrer erzeugten Pflanzensamen. Vor dem<br />
Verkauf muss <strong>die</strong>se von einer autorisierten<br />
und zertifizierten Saatgutprüfstelle<br />
getestet und bescheinigt werden. Rund<br />
zwei Wochen dauert <strong>die</strong> Auswertung der<br />
Tests. Bis der Saatgutproduzent das Ergebnis<br />
erhält, können weitere Wochen<br />
verstreichen. Selbst wenn Anwender<br />
Keimungstests intern durchführen, muss<br />
man je nach Kultur zwischen zwei und<br />
drei Wochen einplanen.<br />
Diese langwierigen und aufwendigen<br />
Prozesse will das Start-up seedalive mit<br />
einem innovativen Schnelltest abkürzen.<br />
„Die zertifizierten Tests können wir<br />
momentan noch nicht ersetzen“, erklärt<br />
Jens Varnskühler, Mitbegründer und<br />
Geschäftsführer von seedalive. Aber <strong>die</strong><br />
Vorabtests seien mit dem patentierten<br />
Schnelltestkit-Verfahren seines Unternehmens<br />
einfach, schnell und <strong>zu</strong>verlässig<br />
durchführbar, so der Biologe.<br />
Und so funktioniert der Schnelltest:<br />
Auf einer Platte mit 96 Vertiefungen<br />
werden <strong>die</strong> Samen in einer dunkelblauen<br />
Testlösung für vier Stunden inkubiert. In<br />
<strong>die</strong>ser Lösung befinden sich ein Redox-<br />
Farbstoff und ein verstärkender Mikroorganismus.<br />
Tote, alternde und damit<br />
nicht <strong>mehr</strong> keimfähige Samen sind im<br />
Gegensatz <strong>zu</strong> frischen, keimfähigen Samen<br />
porös. Daher werden während der<br />
Inkubation Stoffe aus den schadhaften<br />
Samen ausgewaschen. Jetzt kommen <strong>die</strong><br />
Mikroben <strong>zu</strong>m Einsatz. Sie bauen <strong>die</strong>se<br />
Stoffe ab, wobei Elektronen freigesetzt<br />
werden, und <strong>die</strong>se führen <strong>zu</strong> einer Farbveränderung:<br />
von der <strong>zu</strong>nächst tiefblauen<br />
Lösung, <strong>die</strong> gesunde, keimfähige Samen<br />
nachweist, über eine pinkfarbene<br />
bei alternden Samen hin <strong>zu</strong> einer farblosen<br />
Lösung bei toten Samen.<br />
Zeit und Energie sparen<br />
„Wir führen <strong>die</strong>se Tests mit Zehntausenden<br />
von Pflanzensamen durch und<br />
säen sie anschließend aus, um <strong>zu</strong> überprüfen,<br />
ob unsere Analyse korrekt war.<br />
Auf <strong>die</strong>se Weise entwickeln wir eine<br />
automatisierte Auswertung auf Basis<br />
künstlicher Intelligenz, <strong>die</strong> wir unseren<br />
Kunden als App <strong>zu</strong>r Verfügung stellen“,<br />
erklärt Klaus Mummenhoff, Professor<br />
für Botanik an der Universität Osnabrück<br />
und Mitbegründer von seedalive. Mit der<br />
seedalive -App sowie dem Testkit können<br />
<strong>die</strong> Kunden Untersuchungen eigenständig<br />
in ihrem Unternehmen durchführen.<br />
Die Farbe wird per Minifotometer oder<br />
Smartphone erfasst, elektronisch innerhalb<br />
von Sekunden von der seedalive KI-<br />
Software analysiert und <strong>die</strong> Vorhersagen<br />
über Keimfähigkeit und Triebkraft des<br />
Saatguts werden per E-Mail an den Kunden<br />
gesendet.<br />
„Im Vergleich <strong>zu</strong> einem traditionellen<br />
Keimungstest spart unser seedalive-<br />
Test 99 Prozent Energie und viel Zeit.“<br />
Und genau <strong>die</strong>se spielt eine große Rolle<br />
in dem Geschäft. „In Deutschland bauen<br />
wir hauptsächlich Winterkulturen an“,<br />
erläutert Jens Varnskühler. „Das heißt,<br />
das Saatgut wird bis <strong>zu</strong>m Sommer produziert<br />
und soll im Herbst für <strong>die</strong> nächste<br />
Ernte ausgesät werden. Wenn sich <strong>die</strong><br />
Keimfähigkeitsprüfung aber über <strong>mehr</strong>ere<br />
Wochen hinzieht, wird es knapp für<br />
den Nachweis. Hier bietet sich unser<br />
seedalive-Test gerade<strong>zu</strong> an.“<br />
Beim Start-up, das den Innovationspreis<br />
Moderne <strong>Land</strong>wirtschaft 2022 gewonnen<br />
und sich gegen 61 Mitbewerber<br />
durchgesetzt hat, ist man sich sicher,<br />
dass der Schnelltest ein voller Erfolg<br />
wird. „Wir haben den Test auf einem<br />
Kongress der International Seed Testing<br />
Association, also der Internationalen<br />
Vereinigung für Saatprüfung, in<br />
Kairo vorgestellt. Dort bestätigte man<br />
uns, dass wir den Heiligen Gral entdeckt<br />
hätten“, freut sich Jens Varnskühler.<br />
Die seedalive-Gründer: Professor Klaus<br />
Mummenhoff (l.) und Jens Varnskühler<br />
16
Innovationspreis<br />
„Die Ökolandwirtschaft<br />
ist quasi <strong>die</strong> Urform<br />
der <strong>Land</strong>wirtschaft. Dass<br />
wir dennoch innovativ<br />
arbeiten und technologisch<br />
auf dem neuesten<br />
Stand sind, das bestätigt<br />
uns der Sonderpreis<br />
Innovativster Betrieb“<br />
Marie Saudhof<br />
Hightech auf dem Feld<br />
Marie Saudhof überprüft <strong>die</strong><br />
Aussaat von Zuckerrüben<br />
durch Robi, den Roboter<br />
Kollege Roboter<br />
„Auf einem Kongress<br />
bestätigte man uns,<br />
dass wir den Heiligen<br />
Gral entdeckt hätten“<br />
Jens Varnskühler<br />
FOTOS: SEEDALVE/ DAVID EBNER, MARIA SAUDHOF<br />
Robi sieht aus wie ein Tisch auf<br />
Rädern. Aber der Feldroboter ist<br />
kein Möbelstück, sondern auf<br />
dem Acker ein echter Tausendsassa.<br />
Auf dem Bauernhof Nelben ersetzt<br />
er acht Saisonarbeiter, ist 24 Stunden lang<br />
unermüdlich auf einem 50 Hektar großen<br />
Acker im Einsatz, und das jeden Tag von<br />
April bis Juni. Er sät Zuckerrüben aus,<br />
entfernt Unkraut und lockert den Boden<br />
auf. Als Antrieb benötigt er Sonnenstrahlen<br />
und drei Liter Benzin pro Tag. Nur<br />
manchmal muckt er ein wenig auf. Wenn<br />
er <strong>zu</strong>m Beispiel keinen WLAN-Empfang<br />
<strong>mehr</strong> hat oder der Saatgutbehälter leer<br />
ist. Dann gibt er über eine Handy-App Bescheid,<br />
dass er Hilfe benötigt. „Er wollte<br />
auch schon mal abhauen, als es ein Problem<br />
mit dem Update gab“, erzählt Marie<br />
Saudhof schmunzelnd. „Aber er blieb in<br />
einer Furche hängen.“<br />
Innovativster Bauernhof<br />
Der Biobauernhof ihrer Familie wurde<br />
Ende 2022 <strong>zu</strong>m innovativsten Betrieb<br />
Deutschlands gekürt.<br />
Seit 2<strong>01</strong>8 ist der Hof <strong>zu</strong> 100 Prozent<br />
ein Ökobetrieb. 20<strong>01</strong> fand <strong>die</strong> erste Teilumstellung<br />
statt. Auf 620 Hektar baut <strong>die</strong><br />
Familie vielfältige Fruchtfolgen an, darunter<br />
Zuckerrüben, Kartoffeln, Erbsen,<br />
Sojabohnen, Hanf, Gemüse und Sonnenblumen.<br />
„In den ersten Ökojahren waren<br />
unsere Zuckerrüben unsere Sorgenkinder“,<br />
berichtet Marie Saudhof. Die Melde,<br />
ein rasant wachsendes Unkraut, drohte<br />
immer wieder <strong>die</strong> Rüben <strong>zu</strong> beschatten,<br />
sodass <strong>die</strong>se ihr Wachstum eingestellt<br />
hätten und verkümmert wären. Acht<br />
Saisonarbeiter übernahmen <strong>die</strong> Pflege<br />
der Rüben und hackten das Unkraut per<br />
Hand weg – eine extrem aufwendige und<br />
schwere Arbeit. „Zu dem Zeitpunkt haben<br />
wir 100 Hektar mit Zuckerrüben eingesät.<br />
Das Team schaffte es höchstens<br />
ein- bis zweimal in acht Wochen, <strong>die</strong><br />
ganze Fläche <strong>zu</strong> bearbeiten. Wir haben<br />
<strong>zu</strong>sätzlich einen Striegel eingesetzt, der<br />
das flachwurzelnde Unkraut mit seinen<br />
Zinken rauskämmte.“ Angehängt wurde<br />
das Gerät an einen Trecker, der rund 60<br />
Liter Benzin pro Tag verbrauchte.<br />
Heute werden auf dem Hof <strong>die</strong> Daten<br />
über ein Display abgespeichert, <strong>die</strong> der<br />
Roboter für seine Feldarbeit benötigt.<br />
„Wir reduzierten den Zuckerrübenanbau<br />
auf 50 Hektar. Denn eigentlich ist<br />
<strong>die</strong> Leistung von Robi auf 20 Hektar begrenzt“,<br />
erklärt Marie Saudhof. Damit<br />
er 30 Hektar <strong>mehr</strong> schafft und auch bei<br />
trübem Wetter 24 Stunden lang durcharbeiten<br />
kann, brachte <strong>die</strong> Familie <strong>zu</strong>sätzlich<br />
<strong>zu</strong>m Solardach ein Notaggregat am<br />
Roboter an. „Trotz des hohen Anschaffungspreises<br />
in sechsstelliger Höhe ist<br />
der Feldroboter deutlich günstiger als<br />
Saisonarbeiter. Die Löhne steigen jedes<br />
Jahr. Außerdem wird es immer schwerer,<br />
Arbeitskräfte <strong>zu</strong> bekommen, und<br />
der Treibstoff für den Trecker, der den<br />
Striegel ziehen würde, wird auch immer<br />
teurer“, resümiert Marie Saudhof. Für<br />
sie ist Robi ein echter Gewinn und ein<br />
Stück Zukunft. Ihrer Einschät<strong>zu</strong>ng nach<br />
arbeiten moderne <strong>Land</strong>wirte bald nur<br />
noch mit Hightech-Geräten. „Auch <strong>die</strong><br />
Biobetriebe.“<br />
Mehr <strong>zu</strong>m Rübenroboter unter:<br />
www.youtube.com/watch?v=<br />
VqfzOBQ-vn0<br />
17
Der Alltag der<br />
<strong>Land</strong>wirtinnen<br />
Hätten Sie vermutet, dass jede dritte landwirtschaftliche Arbeitskraft eine Frau ist?<br />
Wie sieht ihr tägliches Leben aus? Was läuft gut, was könnte besser sein? Eine aktuelle<br />
Stu<strong>die</strong> beleuchtet <strong>die</strong> Lebens- und Arbeitssituation von Frauen in landwirtschaftlichen<br />
Betrieben in Deutschland. Zwei der Teilnehmerinnen lassen uns hinter ihre Hoftore und in<br />
ihr Privatleben blicken<br />
Die Ausbildung <strong>zu</strong>r Industriekauffrau<br />
war Juliane Menke<br />
nicht praxisbezogen genug.<br />
Nach dem Abschluss hängte<br />
<strong>die</strong> 29-Jährige ein Studium<br />
des Wirtschaftsingenieurwesens an und<br />
arbeitet mittlerweile Vollzeit als Außen<strong>die</strong>nstmitarbeiterin<br />
in der Geflügelberatung.<br />
Doch auch das reicht der Hobbytennisspielerin<br />
aus Niedersachsen<br />
nicht. Bereits vor fünf Jahren pachtete<br />
sie einen Stall, in dem sie Hähnchen<br />
hält. Bei ihr wachsen <strong>die</strong> Küken auf und<br />
werden im Neun-Wochen-Rhythmus gehalten.<br />
„Meine Familie besitzt einen Hof<br />
in Niedersachsen. Ich wollte mir etwas<br />
eigenes <strong>Land</strong>wirtschaftliches aufbauen,<br />
für das ich ganz allein verantwortlich<br />
bin“, erzählt sie. Zwar würden ihr Vater<br />
und sie sich gegenseitig unterstützen: Er<br />
geht mindestens zweimal täglich seine<br />
Kontrollrunde bei den Hähnchen. Dafür<br />
macht sie in ihrer Freizeit seine Buchhaltung<br />
und Qualitätssicherung. Aber<br />
<strong>die</strong> Entscheidungen und Risiken, <strong>die</strong> eine<br />
Hähnchenmast mit sich bringen, trägt Juliane<br />
Menke allein. Sogar ihren Lebensgefährten<br />
hält sie aus den Belangen des<br />
Betriebs heraus.<br />
Moderne Technik<br />
macht mobiler<br />
Von der Fütterung und Wasserspülung<br />
bis hin <strong>zu</strong>r Lüftung, im<br />
Stall wird alles automatisch geregelt.<br />
Eine Feinjustierung der Funktionen<br />
ist dennoch täglich notwendig,<br />
um beispielsweise <strong>die</strong> Lüftung<br />
„Ich wollte mir etwas<br />
eigenes <strong>Land</strong>wirtschaftliches<br />
aufbauen,<br />
für das ich ganz allein<br />
verantwortlich bin“<br />
Juliane Menke<br />
<br />
der landwirtschaftlichen<br />
Arbeitskräfte<br />
sind Frauen<br />
18
Frauen in der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
an das Wetter an<strong>zu</strong>passen. Werden <strong>die</strong><br />
aktuellen Sollwerte der Funktion überschritten<br />
beziehungsweise unterschritten,<br />
so erhält <strong>die</strong> Hähnchenmästerin<br />
über ihr Mobiltelefon sofort ein Alarmsignal.<br />
„Das kann um zwei Uhr morgens<br />
passieren oder wenn man gerade beim<br />
Einkaufen ist.“ Im Fall eines Alarms ist<br />
sofortiges Handeln erforderlich. „Als<br />
<strong>Land</strong>wirtin muss ich flexibel sein, egal<br />
wie spät es ist oder womit ich mich in<br />
dem Moment gerade beschäftige.“<br />
Mehr Ehefrauen,<br />
weniger Betriebsleiterinnen<br />
Mit ihrem beruflichen Konstrukt gehört<br />
Juliane Menke <strong>zu</strong> den 18 Prozent der<br />
<strong>Land</strong>wirtinnen in Deutschland,<br />
denen ein eigener<br />
Betrieb gehört,<br />
20%<br />
der befragten Frauen haben<br />
einen Hochschul- oder<br />
Universitätsabschluss.<br />
Vor 30 Jahren waren<br />
es noch unter<br />
ein Prozent<br />
ermittelte <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong> „Frauen. Leben.<br />
<strong>Land</strong>wirtschaft.“ Sie wurde in Kooperation<br />
mit dem Deutschen <strong>Land</strong>frauenverband,<br />
dem Thünen-Institut und der<br />
Georg-August-Universität Göttingen<br />
durchgeführt und vom Bundeslandwirtschaftsministerium<br />
gefördert. Demnach<br />
sind <strong>die</strong> Mehrzahl der weiblichen Arbeitskräfte,<br />
nämlich 59 Prozent,<br />
<strong>die</strong> Ehefrauen der Hofeigentümer<br />
und Betriebsleiter. Dörte<br />
Lühmann aus Uhrsleben in<br />
der Magdeburger Börde gehört<br />
<strong>zu</strong> den wenigen Frauen<br />
in Deutschland, <strong>die</strong> einen<br />
Ackerbaubetrieb leiten. Der<br />
350 Hektar große Hof ist Teil<br />
einer Maschinengemeinschaft.<br />
Beides führt <strong>die</strong> dreifache Mutter<br />
gemeinsam mit einer weiteren<br />
<strong>Land</strong>wirtin und zwei <strong>Land</strong>wirten. Die<br />
stu<strong>die</strong>rte Agrarwissenschaftlerin baute<br />
nach der <strong>Wende</strong> <strong>zu</strong>sammen mit ihrem<br />
damaligen Mann den Bauernhof ihrer<br />
Großmutter wieder auf. Inzwischen ist<br />
<strong>die</strong> 60-jährige <strong>Land</strong>wirtin von ihrem<br />
Mann getrennt, aber beide arbeiten weiterhin<br />
als gleichberechtigte Betriebsleiter<br />
<strong>zu</strong>sammen. „Ich war damals viel auf<br />
dem Feld und habe schwere körperliche<br />
Arbeiten verrichtet“, erinnert sich Dörte<br />
Lühmann. Bis sie ihre drei Kinder bekam.<br />
„Dadurch bin ich schnell in <strong>die</strong> typische<br />
Frauenrolle gerutscht und war für den<br />
Haushalt, <strong>die</strong> Kinderbetreuung und das<br />
Büro <strong>zu</strong>ständig.“<br />
„Um meine Belange<br />
habe ich mich immer<br />
<strong>zu</strong>letzt gekümmert.<br />
Mittlerweile bemühe<br />
ich mich, mir täglich<br />
zwei bis drei Stunden<br />
<br />
<br />
Zwei Drittel der befragten <strong>Land</strong>wirtinnen sind für<br />
<strong>die</strong> Kinderbetreuung <strong>zu</strong>ständig, und fast <strong>die</strong> Hälfte<br />
<br />
Das alte Klischee:<br />
Frauendomäne Hausarbeit<br />
Auch heute noch gilt <strong>die</strong> Hausarbeit<br />
auf dem Hof als reine Frauendomäne.<br />
80 Prozent der Stu<strong>die</strong>nteilnehmerinnen<br />
gaben an, für das Kochen und das<br />
Saubermachen des Hauses<br />
<strong>zu</strong>ständig <strong>zu</strong> sein. Zwei<br />
Drittel von ihnen haben<br />
<strong>die</strong> Kinderbetreuung<br />
übernommen<br />
und fast <strong>die</strong><br />
<br />
der Frauen<br />
sind an den<br />
betrieblichen<br />
Entscheidungen<br />
beteiligt<br />
Hälfte <strong>die</strong> Pflege<br />
von Familienangehörigen.<br />
Allerdings<br />
sind heut<strong>zu</strong>tage 60<br />
bis 70 Prozent der<br />
befragten <strong>Land</strong>wirtinnen<br />
an betrieblichen Entscheidungen<br />
beteiligt. „Früher<br />
war es fast ein Skandal, wenn ein Mädchen<br />
eine landwirtschaftliche Ausbildung<br />
absolvieren wollte, vor allem<br />
19
Frauen in der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
FOTOS: ANNA THIESSEN, QUELLEN: LANDWIRTSCHAFTSZÄHLUNG BMEL, LANDFRAUENVERBAND/BMEL/THÜNEN-INSTITUT<br />
Tägliche Kontrolle<br />
Juliane Menke erhält<br />
ein Alarmsignal, wenn<br />
im Stall etwas ausfällt<br />
in Westdeutschland. Sie<br />
wurden <strong>zu</strong>meist auf eine<br />
Haushaltsschule geschickt,<br />
während <strong>die</strong> Söhne <strong>die</strong> landwirtschaftlichen<br />
Betriebe übernommen<br />
haben“, berichtet Dörte Lühmann.<br />
Das gilt nach der aktuellen Stu<strong>die</strong><br />
nicht <strong>mehr</strong>. Tatsächlich verfügen heute<br />
20 Prozent der Befragten über einen<br />
Hochschul- oder Universitätsabschluss.<br />
Vor 30 Jahren waren es unter 1 Prozent.<br />
Damals erlernten 81 Prozent der Frauen<br />
ländliche Hauswirtschaft. Heut<strong>zu</strong>tage<br />
würden sich <strong>die</strong> Frauen <strong>mehr</strong> durchsetzen,<br />
und <strong>die</strong> Eltern ließen <strong>die</strong>s auch<br />
<strong>zu</strong>, ist Dörte Lühmann überzeugt.<br />
Ein gutes Beispiel dafür ist Juliane<br />
Menke. Während ihre Mutter vor knapp<br />
zwei Jahrzehnten für Kinder, Haus und<br />
Garten <strong>zu</strong>ständig war, ist ihre Tochter<br />
Juliane im Bereich Betriebsführung mit<br />
ihrem Vater gleichgestellt. Allerdings<br />
glaubt <strong>die</strong> Niedersächsin, dass sich viele<br />
junge Mädchen den landwirtschaftlichen<br />
Beruf immer noch nicht <strong>zu</strong>trauen würden.<br />
11<br />
Tage<br />
Urlaub machen <strong>die</strong><br />
befragten Frauen<br />
durchschnittlich<br />
pro Jahr<br />
Zu viel Bürokratie<br />
Dabei sind <strong>die</strong> Arbeiten in den Ställen<br />
und auf den Feldern durch <strong>die</strong> technische<br />
Entwicklung viel leichter geworden.<br />
„Ich würde gern öfter mit dem Traktor<br />
oder Mähdrescher fahren und das Getreide<br />
mit einbringen,<br />
wenn es meine Zeit erlauben<br />
würde. In unserer<br />
Gemeinschaft ergänzen wir<br />
uns sehr gut. Jeder hat seine<br />
Stärken und Schwächen. Alle arbeiten auf<br />
Augenhöhe und sind finanziell gleichberechtigt“,<br />
berichtet Dörte Lühmann.<br />
Leider sei der bürokratische Aufwand<br />
mittlerweile so enorm gestiegen,<br />
dass <strong>die</strong> Schreibtischarbeit <strong>zu</strong> einem<br />
echten Zeitfresser würde, so Dörte Lühmann.<br />
Überhaupt ist das Thema Zeit ein<br />
wichtiger Faktor für sie. „In den Neunzigerjahren<br />
und danach standen für mich<br />
<strong>die</strong> Kinder an erster Stelle, dann folgte<br />
der Betrieb. Um meine Belange habe ich<br />
mich immer <strong>zu</strong>letzt gekümmert“, erzählt<br />
Dörte Lühmann. Das sei heute anders.<br />
<br />
nehmerinnen wünschen<br />
sich <strong>mehr</strong> Zeit für sich<br />
Zeitfresser Bürokratie Dörte Lühmann würde lieber<br />
<strong>mehr</strong> auf den Feldern arbeiten, als im Büro <strong>die</strong><br />
unzähligen Formulare und Anträge ausfüllen <strong>zu</strong> müssen<br />
„Mittlerweile versuche ich, täglich zwei<br />
bis drei Stunden für mich und meine ehrenamtlichen<br />
Tätigkeiten <strong>zu</strong> reservieren,<br />
wie Frühstück in Kitas <strong>zu</strong>bereiten, Empfang<br />
von Schulklassen auf dem Hof oder<br />
<strong>die</strong> Mitarbeit im Gemeindekirchenrat.“<br />
Dörte Lühmann gönnt sich kleine Auszeiten<br />
in Form von sportlichen Aktivitäten,<br />
Konzert-und Theaterbesuchen oder<br />
ein verlängertes Wochenende.<br />
Juliane Menke plant mit ihrem Freund<br />
einen Skiurlaub. „Wir waren in <strong>die</strong>sem<br />
Jahr in Norwegen. Ich möchte so vieles<br />
sehen und Erfahrungen sammeln. Da<br />
mein Vater mich momentan noch im Stall<br />
vertreten kann, versuche ich aktuell so<br />
viel wie möglich <strong>zu</strong> reisen,“ erzählt sie.<br />
Sie trifft regelmäßig ihre Freundinnen,<br />
spielt Tennis und nimmt einmal im Monat<br />
an einem Buchclub teil. Mehr Zeit<br />
für sich wünschen sich viele Frauen in<br />
der <strong>Land</strong>wirtschaft. Auf <strong>die</strong> Frage „Wenn<br />
Sie einmal nur an sich denken würden?“<br />
antwortete jede dritte befragte Stu<strong>die</strong>nteilnehmerin,<br />
dass <strong>mehr</strong> Zeit für sich von<br />
großer Bedeutung für sie sei.<br />
Was <strong>die</strong> Zukunft bringt<br />
Dörte Lühmanns Kinder haben sich bereits<br />
geäußert, dass sie andere berufliche<br />
Wege einschlagen werden. „Ich habe<br />
mir vorgenommen, mir in den nächsten<br />
fünf Jahren Klarheit <strong>zu</strong> verschaffen, wie<br />
es bei mir weiterlaufen soll“, sagt <strong>die</strong><br />
<strong>Land</strong>wirtin aus Sachsen-Anhalt.<br />
Und <strong>die</strong> Zukunftspläne von Juliane<br />
Menke? „Ich habe zwei Schwestern, aber<br />
keine von ihnen plant, den Hof der Eltern<br />
<strong>zu</strong> übernehmen. Ich kann mir vorstellen,<br />
das eines Tages <strong>zu</strong> machen.“<br />
20
Urlaub auf dem Bauernhof<br />
Mein Bett am Kornfeld<br />
Ob Familienurlaub auf dem Erlebnishof oder eine romantische<br />
Übernachtung unter freiem Himmel: Ferienhöfe lassen sich viel einfallen<br />
Nah ist das neue Fern. Immer<br />
<strong>mehr</strong> Deutsche entscheiden<br />
sich für einen Urlaub im eigenen<br />
<strong>Land</strong>. Über 10 Millionen<br />
Deutsche möchten ihre Ferien am liebsten<br />
auf einem Bauernhof verbringen. Das<br />
geht aus einer aktuellen Allensbach-<br />
Stu<strong>die</strong> hervor. Viele landwirtschaftliche<br />
Betriebe reagieren auf <strong>die</strong>sen Trend.<br />
Fast 10 000 Hofdomizile gibt es hier<strong>zu</strong>lande.<br />
Die Angebote für Ferien auf dem<br />
<strong>Land</strong> sind vielfältig. Heuhotel, Wellness,<br />
Weinlese auf dem Winzergut, Koch- und<br />
Malkurse für Paare, Mitmachurlaub im<br />
Stall und auf dem Feld, sogar Camping<br />
ist möglich.<br />
In Ruhe genießen<br />
Auch Martin Ehrismann und seine Frau<br />
Sabine aus Königsbach in Baden-Württemberg<br />
bieten ihren Gästen außergewöhnliche<br />
Urlaubs- und Übernachtungserlebnisse<br />
mitten in der Natur. „Unser<br />
Hof liegt in einer absoluten Alleinlage<br />
und ist umgeben von endlosen Feldern,<br />
Wiesen und Wäldern. Es herrscht himmlische<br />
Ruhe hier. Das ist genau das, was <strong>die</strong><br />
Menschen suchen, <strong>die</strong> <strong>zu</strong> uns kommen“,<br />
erklärt der 56-jährige <strong>Land</strong>wirt. Der Eichhälderhof,<br />
der seit 300 Jahren in Familienbesitz<br />
ist, bietet sich an als Rück<strong>zu</strong>gsort,<br />
an dem <strong>die</strong> Urlauber den Alltagsstress<br />
Natur pur Auf dem Eichhälderhof ist es<br />
friedlich und still<br />
hinter sich lassen können. „Unsere Gäste<br />
genießen <strong>die</strong> Stille und sind total happy<br />
und gechillt, wenn sie bei uns sind“, freut<br />
sich Martin Ehrismann.<br />
Urlaubsglück vor<br />
der Haustür<br />
Damit seine Feriengäste das ganze Jahr<br />
über den Aufenthalt auf dem rund 200<br />
Hektar großen Hof genießen können,<br />
wohnen sie in ganz besonderen Unterkünften.<br />
Neben einem gemütlichen<br />
Weinfass und einem selbst gebauten<br />
Schäferwagen gibt es ein modern ausgestattetes<br />
Tiny House. Auch drei Stellplätze<br />
für Wohnmobile stehen den Reisenden<br />
<strong>zu</strong>r Verfügung. Sogar ein Bett am<br />
Kornfeld stellt der engagierte Gastgeber<br />
auf der Wiese für seine Übernachtungsgäste<br />
auf, wenn es das Wetter <strong>zu</strong>lässt.<br />
Nicht nur Großstädter machen sich auf<br />
den Weg <strong>zu</strong>m Eichhälderhof. Manchmal<br />
liegt das Urlaubsglück direkt vor der<br />
Haustür. „Wir hatten ein älteres Ehepaar<br />
für ein paar Tage <strong>zu</strong> Gast, das aus dem<br />
Nachbarort stammt. Die Frau hat sich<br />
fast überschlagen vor Begeisterung. Es<br />
reicht also oft ein kleiner Tapetenwechsel,<br />
um sich wohl<strong>zu</strong>fühlen“, fügt Martin<br />
Ehrismann lachend hin<strong>zu</strong>. Der Austausch<br />
mit seinen Gästen ist ihm wichtig. „Ihnen<br />
<strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtschaft näher<strong>zu</strong>bringen, liegt<br />
mir sehr am Herzen. Durch Gespräche<br />
entsteht ein viel besseres Verständnis.“<br />
Co-Working-Space<br />
auf dem <strong>Land</strong><br />
Das nächste Gästeprojekt auf dem Eichhälderhof<br />
wird demnächst fertiggestellt.<br />
Das, was sich in Städten immer <strong>mehr</strong><br />
etabliert, soll dann künftig auch auf dem<br />
<strong>Land</strong> möglich sein. Flexibles Arbeiten<br />
im Grünen lautet <strong>die</strong> Devise. „Wir bauen<br />
gerade ein Co-Working-Space. Ein<br />
Raum mit Schreibtisch, extraschnellem<br />
Internetanschluss und eine Terrasse mit<br />
Weitblick“, beschreibt Martin Ehrismann<br />
den innovativen Arbeitsplatz. Ein Ort, an<br />
dem <strong>die</strong> besten Ideen auf den Weg gebracht<br />
werden können. Ganz in Ruhe<br />
und in der Natur.<br />
FOTO: EICHHÄLDERHOF<br />
Hier lässt sich Kraft tanken Auf einer Terrasse mit Blick ins unbebaute Tal, in einem Bett mitten in der Natur oder in einem<br />
Schäferwagen aus Holz – der Eichhälderhof verspricht himmlische Ruhe<br />
21
Architektur<br />
Schöner wohnen<br />
auf dem <strong>Land</strong><br />
Über 100 <strong>Land</strong>wirte, Winzer und Gärtner nahmen mit ihren<br />
Neu- und Umbauten an dem <strong>Land</strong>baukultur-Preis 2021 teil.<br />
Zwei Hauptgewinner stellen wir Ihnen vor<br />
Japanische Pagode Familie<br />
Huemer aus Österreich hat<br />
für ihre edlen Wagyū-Rinder<br />
einen Stall geschaffen,<br />
der an ihr Ursprungsland<br />
Japan erinnert<br />
Anspruchsvolle Architektur gemixt mit moderner<br />
Funktionalität. Immer <strong>mehr</strong> Bauherren aus dem<br />
landwirtschaftlichen Umfeld setzen auf innovative<br />
und zeitgemäße Ausführungen ihrer Gebäudeprojekte,<br />
ganz egal, ob es sich um Ställe<br />
oder Wohnhäuser handelt.<br />
Die <strong>zu</strong>m <strong>Land</strong>wirtschaftsverlag gehörende Stiftung LV<br />
Münster prämiert alle zwei Jahre <strong>die</strong> bemerkenswertesten<br />
baulichen Objekte auf dem <strong>Land</strong>. Über einen der insgesamt<br />
drei Hauptpreise des letzten Wettbewerbs urteilte <strong>die</strong> Jury:<br />
„Ein hochwertiger Stall für hochwertige Rinder“, und über<br />
den zweiten Hauptsieger: „Eine gelungene Überführung<br />
der alten Gestaltung in <strong>die</strong> neue Nut<strong>zu</strong>ng.“<br />
Japan in Österreich<br />
Wenn Diana und Hubert Huemer in der dunklen Jahreszeit<br />
frühmorgens aus ihrem Schlafzimmerfenster sehen, liegt ihr<br />
neuer Rinderstall hell erleuchtet vor ihnen. „Bei dem schönen<br />
Anblick bekommt man gleich gute Laune“, erzählt der<br />
<strong>Land</strong>wirt, dessen Hof im oberösterreichischen Atzbach liegt.<br />
Rund 18 Monate dauerten <strong>die</strong> Planung und Ausführung der<br />
Arbeiten an dem neuen Stall, der mit seiner dreigeteilten<br />
Form an eine japanische Pagode erinnert. „Durch <strong>die</strong> Höhe<br />
wirkt er fast wie ein Kühlturm. Oben ist er warm und unten<br />
schön kühl. Die Luftzirkulation im Stall ist optimal“, erklärt<br />
der Bauherr. Verwendet wurden für den Neubau nur reines<br />
Schnittholz aus der Region und Echtglasplatten für das
Vorher<br />
Nachher<br />
Zeitlos<br />
und modern<br />
Architekt<br />
Johannes<br />
Schmersahl hat<br />
dem Küchenbereich<br />
seines<br />
neuen Zuhauses<br />
klare Formen<br />
gegeben<br />
Imposant Über zehn Meter hoch ist der<br />
eindrucksvolle Raum der umgebauten<br />
Wohnscheune, in dem Familie Daube-<br />
Schmersahl kocht, isst und entspannt<br />
Den Charakter<br />
bewahrt Von<br />
außen wurde<br />
der traditionelle<br />
Stil der Scheune<br />
beibehalten.<br />
Ein echter Hingucker<br />
sind <strong>die</strong><br />
bodenlangen<br />
Holzschiebe-<br />
Elemente vor<br />
den Fenstern<br />
FOTOS: STEFAN GRUBER, NEUSCHAEFER-RUBE<br />
durchgehende Oberlicht, das für viel Helligkeit<br />
im ganzen Stall sorgt. Weder Leim,<br />
Schaumstoff noch Plastik kamen <strong>zu</strong>m<br />
Einsatz. „Theoretisch könnte man <strong>die</strong><br />
Anlage problemlos <strong>zu</strong>rückbauen und <strong>die</strong><br />
Materialien neu verwenden“, so Huemer.<br />
Seine 40Wagyū-Rinder, deren Ursprung<br />
in Japan liegt und deren Fleisch <strong>zu</strong> dem<br />
besten und teuersten zählt, fühlen sich<br />
sichtlich wohl in dem eindrucksvollen<br />
Stall mit überdachtem Auslauf und den<br />
mit Stroh eingestreuten großen Liegeflächen.<br />
Spezielle Laufgangrillenplatten<br />
im Fressbereich sorgen für Trittsicherheit<br />
und sind Teil des Güllesystems, das<br />
<strong>die</strong> Exkremente sofort abfließen lässt,<br />
was für ein hohes Maß an Sauberkeit<br />
und weniger Methanemissionen sorgt.<br />
Gerade baut <strong>die</strong> neunköpfige Familie den<br />
Lager- und Verkaufsraum außerhalb des<br />
Hauptgebäudes aus. Dann folgt vielleicht<br />
eines Tages noch <strong>die</strong> Realisierung eines<br />
eigenen Schlachtraums. „Bisher haben<br />
wir viel Lob aus unserer Umgebung erhalten.<br />
Es gab sogar einige Interessenten,<br />
<strong>die</strong> sich Ideen für ihren neuen Stall<br />
geholt haben“, freut sich der <strong>Land</strong>wirt.<br />
Für sein innovatives Bauprojekt hat er<br />
ca. 20 Prozent <strong>mehr</strong> als für den Bau eines<br />
herkömmlichen Stalls bezahlt.<br />
Neues Leben in alten<br />
Gemäuern<br />
Früher <strong>die</strong>nte <strong>die</strong> Scheune als Hühnerund<br />
Kälberstall sowie als Unterstand für<br />
Trecker und andere Fahrzeuge. Heute<br />
leben Stefanie Daube-Schmersahl, ihr<br />
Mann Johannes und ihre drei Kinder<br />
in dem alten Gebäude. Herzstück der<br />
Wohnscheune ist ein imposanter zehn<br />
Meter hoher Raum, in dem sich ein<br />
großzügiger, heller Wohn-, Ess- und<br />
Kochbereich befindet. Im anderen Teil<br />
des Gebäudes sind Schlaf-, Gäste- und<br />
Badezimmer untergebracht, alle Zimmer<br />
mit normalen Deckenhöhen. Den alten<br />
Kornboden hat <strong>die</strong> Familie <strong>zu</strong> ihrem<br />
„Keller“ umfunktioniert. „Wir haben<br />
im Nachbarort gelebt, aber ich wollte<br />
gern <strong>zu</strong>rück auf unseren Hof,“ erzählt<br />
<strong>die</strong> Bauherrin. „Ich arbeite seit vielen<br />
Jahren in unserem ackerbaulichen Familienbetrieb<br />
mit. Für mich ist der Um<strong>zu</strong>g<br />
in <strong>die</strong> Scheune eine echte Zeit- und<br />
Arbeitserleichterung. Die Kinder können<br />
<strong>zu</strong> ihren Großeltern hinüberlaufen und<br />
haben hier ihre Tiere.“ Anfangs war Ehemann<br />
Johannes Schmersahl nicht ganz<br />
überzeugt davon, aufs <strong>Land</strong> <strong>zu</strong> ziehen.<br />
Doch als seine Frau und seine Schwiegereltern<br />
ihm freie Hand bei der Umgestaltung<br />
der Scheune gaben, war der<br />
Architekt, der normalerweise öffentliche<br />
Gebäude entwirft, überzeugt. „Ich wollte<br />
den Charakter der Scheune von außen<br />
erhalten. Im Innenbereich haben wir <strong>die</strong><br />
alte Bausubstanz gut nutzen können und<br />
dadurch viele Materialien und vor allem<br />
Kosten gespart“, beschreibt der Fachmann<br />
das Projekt. Ein Neubau wäre seiner<br />
Meinung nach doppelt bis dreimal<br />
so teuer geworden. „Meine Schwiegereltern<br />
sind sehr <strong>zu</strong>frieden mit dem Ergebnis,<br />
weil sich das Gebäude optisch in<br />
<strong>die</strong> Hofstruktur einordnet und modern<br />
und konservativ <strong>zu</strong>gleich wirkt“, sagt Johannes<br />
Schmersahl. So ist am Ende <strong>die</strong><br />
ganze Familie glücklich, und <strong>die</strong> junge<br />
Hofnachfolgerin sagt: „Es gehörte eine<br />
Portion Mut <strong>zu</strong> <strong>die</strong>sem Projekt. Wenn<br />
man von einem Hof kommt, will man<br />
auch, dass <strong>die</strong>ser weitergeführt wird.<br />
Mit unserer tollen Wohnscheune sind<br />
jetzt alle Weichen gestellt.“<br />
23
<strong>Nachhaltigkeit</strong><br />
Gesundmacher<br />
für Mensch und Natur<br />
<br />
Erst verbessern sie den Ackerboden, dann liefern sie uns optimales Powerfood auf den Teller<br />
Sie arbeiten wie kleine Düngerfabriken:<br />
Hülsenfrüchtler gehören<br />
<strong>zu</strong> den wenigen Pflanzen<br />
auf der Welt, <strong>die</strong> Stickstoff<br />
aus der Luft sammeln und im<br />
Boden als natürlichen Dünger <strong>zu</strong>r Verfügung<br />
stellen können. Und ihre Früchte<br />
sind reich an Eiweiß und Ballaststoffen,<br />
was sich positiv auf den menschlichen<br />
Körper auswirkt. Professor Sascha Rohn<br />
ist Lebensmittelchemiker und lehrt an<br />
der Technischen Universität Berlin. Der<br />
Experte für Leguminosen erklärt, worin<br />
<strong>die</strong> wahren Stärken der Hülsenfrüchte<br />
liegen, wenn sie regelmäßig auf unseren<br />
Speiseplänen erscheinen.<br />
Welche gesundheitsfördernden Eigenschaften<br />
besitzen Hülsenfrüchte?<br />
Sie verfügen über einen hohen Protein-,<br />
also Eiweißgehalt, und sind reich an<br />
Ballaststoffen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Darmtätigkeit<br />
anregen. In Hülsenfrüchten sind auch<br />
weitere komplexe Kohlenhydrate <strong>zu</strong> finden,<br />
deren Verdauung relativ langsam<br />
erfolgt. Dadurch gerät der Zucker erst<br />
nach und nach ins Blut, wodurch nur<br />
wenig Insulin ausgeschüttet wird und<br />
man sich länger satt fühlt. Von daher<br />
sind Hülsenfrüchte besonders wertvoll<br />
für Diabetiker und für alle, <strong>die</strong> es nicht<br />
werden wollen.<br />
Worin besteht der Unterschied zwischen<br />
pflanzlichem und tierischem<br />
Eiweiß?<br />
Proteine bestehen aus lebenswichtigen<br />
Aminosäuren. In der Nahrung sind<br />
sie unverzichtbare Energielieferanten,<br />
denn überall im Körper werden sie benötigt<br />
– für Stoffwechselprozesse und<br />
vor allem als Baumaterial, etwa für Muskeln,<br />
Blut und Organe. Da unser Körper<br />
nur einen Teil der benötigten Proteine<br />
selbst produzieren kann, müssen wir<br />
<strong>die</strong> Eiweiße mit der Nahrung <strong>zu</strong> uns<br />
nehmen. Tierisches Eiweiß aus Fleisch<br />
oder Fisch, Eiern und Milchprodukten<br />
wird von vielen Personen bevor<strong>zu</strong>gt, da<br />
es für den Körper leichter verwertbar<br />
ist. Pflanzliches Eiweiß ist fast ebenso<br />
wertig in seiner Zusammenset<strong>zu</strong>ng,<br />
jedoch bisweilen nicht so gut verwertbar,<br />
da pflanzliche Strukturen meist<br />
sehr viel fester und somit schwerer <strong>zu</strong><br />
verdauen sind. Früher erwartete man<br />
dadurch eine Unterversorgung, aber das<br />
ist heut<strong>zu</strong>tage bei unserer reichhaltigen<br />
Lebensmittelauswahl in Deutschland<br />
nicht <strong>zu</strong> befürchten. Am Ende macht es<br />
<strong>die</strong> gesunde Mischung: Mal sollte ein Ei,<br />
mal Hummus oder Tofu auf dem Speiseplan<br />
stehen.<br />
Reichlich<br />
Ballaststoffe<br />
beugen <strong>zu</strong>m Beispiel<br />
Darmkrebs vor<br />
Gehören auf den Ernährungsplan<br />
Hülsenfrüchte wie Linsen, Erbsen,<br />
Bohnen, Lupinen und Soja
Gesunde Nahrung<br />
für den Boden<br />
Leguminosen, <strong>die</strong> <strong>zu</strong>r Unterfamilie der Schmetterlingsblütler<br />
gehören, leisten einen großen Beitrag <strong>zu</strong>r<br />
Bodengesundheit. Denn sie benötigen praktisch keinen<br />
mineralischen Stickstoffdünger, da sie selbst für einen<br />
Teil der Düngung sorgen. Sogenannte Knöllchen-<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Boden <strong>zu</strong>r Verfügung.<br />
Im Labor Lebensmittelchemiker und Hülsenfrucht-Experte<br />
Professor Sascha Rohn von der Technischen Universität Berlin<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
FOTO: AAMULYA/ISTOCK, SUPAMAS/ADOBESTOCK, CHRISTAN KIELMANN<br />
„Hülsenfrüchte verfügen über einen hohen Protein-,<br />
also Eiweißgehalt, und sind reich an Ballaststoffen,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Darmtätigkeit anregen“<br />
Wie viele Hülsenfrüchte sollte man pro<br />
Tag/Woche essen?<br />
Wenn man <strong>zu</strong>grunde legt, dass man<br />
sieben mal drei Mahlzeiten pro Woche<br />
<strong>zu</strong> sich nimmt, also insgesamt 21 Mahlzeiten,<br />
dann könnte man schon drei bis<br />
fünf Portionen mit Hülsenfrüchten als<br />
Beilage wöchentlich einplanen. Auf genaue<br />
Gewichtsangaben möchte ich mich<br />
nicht festlegen, da ein großer Mensch,<br />
ein Sportler oder ein körperlich hart<br />
arbeitender Mensch <strong>zu</strong>m Beispiel <strong>mehr</strong><br />
Proteine benötigt als andere Personen.<br />
Wer <strong>zu</strong>m Beispiel Darmkrebs vorbeugen<br />
will, sollte so viele Ballaststoffe wie möglich<br />
<strong>zu</strong> sich nehmen. Davon nehmen wir<br />
immer noch <strong>zu</strong> wenig <strong>zu</strong> uns. Durch ihren<br />
faserigen Aufbau sind Hülsenfrüchte<br />
sehr gute Ballaststofflieferanten.<br />
Wie beliebt sind Hülsenfrüchte auf<br />
unseren Tellern?<br />
Früher wurden Hülsenfrüchte wie Felderbsen<br />
und Ackerbohnen hauptsächlich<br />
<strong>zu</strong>r Viehfütterung verwendet. Heute<br />
wird daraus Mehl für <strong>zu</strong>m Beispiel Backwaren,<br />
Nudeln und zahlreiche weitere<br />
Produkte gewonnen, oder <strong>die</strong> Proteine<br />
der Hülsenfrüchte werden extrahiert,<br />
um sie anderen Lebensmitteln wie etwa<br />
alternativen Joghurts oder Milchersatz<br />
<strong>zu</strong><strong>zu</strong>führen. Auch durch <strong>die</strong>se Entwicklungen<br />
erlebt der Tofu aus Sojabohnen,<br />
der ja schon recht lange bekannt ist,<br />
aktuell wieder einen absoluten Hype.<br />
Kichererbsen, aus denen Hummus gemacht<br />
wird, erfreuen sich ebenso großer<br />
Beliebtheit. Oder <strong>die</strong> braunen Kidneybohnen,<br />
aus denen man Chili con – oder<br />
sin – Carne macht. Es gibt viele spannende<br />
Verwertungs- und Zubereitungsmöglichkeiten<br />
für Hülsenfrüchte.<br />
Bauen wir in Deutschland genügend<br />
Hülsenfrüchte für unseren Bedarf an?<br />
Allein aus Klimaschutzgründen wäre es<br />
gut, Lieferwege <strong>zu</strong> verkürzen. Von daher<br />
wäre der verstärkte Anbau von heimischen<br />
Hülsenfrüchten wünschenswert. Der Klimawandel<br />
hat auch eine andere Seite:<br />
Durch <strong>die</strong> Klimaerwärmung ergeben sich<br />
in Deutschland Anbaumöglichkeiten für<br />
Soja, derzeit bereits praktiziert in Bayern<br />
und Baden-Württemberg. Genauso in Österreich<br />
und dem angrenzenden Balkan.<br />
Welche Lebensmittel kann man aus<br />
Hülsenfrüchten herstellen?<br />
Ich bin mir ziemlich sicher, dass<br />
wir bald ver<strong>mehr</strong>t aus Hülsenfrüchten<br />
Mehl für Nudeln<br />
und viele Backwaren<br />
herstellen werden. Hier<br />
ist bereits eine schöne<br />
Auswahl <strong>zu</strong> finden, und<br />
es wird kräftig weiterentwickelt<br />
und experimentiert.<br />
Ein Sternekoch<br />
hat <strong>zu</strong>m Beispiel ein Rezept für Nudeln<br />
aus Erbsen entwickelt, <strong>zu</strong> denen er<br />
Shrimps und Curry serviert.<br />
Wird es bald <strong>mehr</strong> Lebensmittel oder<br />
größere Mengen an Lebensmitteln –<br />
basierend auf Hülsenfrüchten – geben?<br />
Ich denke schon, dass sich <strong>die</strong>se Trends<br />
weiter fortsetzen und weniger Fleisch gegessen<br />
wird. In dem Fall decken wir unseren<br />
Proteinbedarf aus Milchprodukten<br />
oder Hülsenfrüchten. Aber grundsätzlich<br />
empfehle ich, sich so vielfältig wie möglich<br />
<strong>zu</strong> ernähren. Auf <strong>die</strong> Abwechslung<br />
kommt es an! In Deutschland haben wir<br />
so eine große Auswahl an verschiedenen<br />
Zutaten und Lebensmitteln, da dürfte<br />
uns eine vielfältige Ernährungs<strong>zu</strong>sammenstellung<br />
nicht schwerfallen. Einfach<br />
mal was Neues ausprobieren wie Brot aus<br />
Hülsenfrüchtemehl!<br />
Gibt es eine spezielle Zubereitungsart,<br />
<strong>die</strong> Sie besonders mögen?<br />
Ich war schon immer ein Bohnen- und<br />
Erbsensuppen-Fan. Egal ob vegetarisch<br />
oder mit Speck und Würstchen. Auch<br />
wenn <strong>die</strong>s augenscheinlich nicht <strong>die</strong> neuesten<br />
Rezepte und Produkte sind, zeigt<br />
sich doch auch hier, dass <strong>die</strong><br />
aktuellen Trends irgendwie<br />
gut <strong>zu</strong>r Tradition passen<br />
Stark im<br />
Kommen:<br />
Backwaren aus<br />
Hülsenfrüchten<br />
können.<br />
25
Benedikt Bösel und sein Team<br />
von Gut & Bösel wollen aufzeigen,<br />
wie ausgesprochen wichtig<br />
<strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtschaft ist. Denn<br />
nur sie kann alles: das Klima<br />
schützen, <strong>die</strong> Mittel produzieren,<br />
<strong>die</strong> wir <strong>zu</strong>m Leben benötigen,<br />
und <strong>die</strong> Artenvielfalt steigern.<br />
2022 wurde er <strong>zu</strong>m <strong>Land</strong>wirt des<br />
Jahres gewählt<br />
Ausprobieren,<br />
analysieren, anwenden<br />
Benedikt Bösel entwickelt mit seinem Team neue Formen für eine naturverträgliche <strong>Land</strong>nut<strong>zu</strong>ng
<strong>Nachhaltigkeit</strong><br />
„Die <strong>Land</strong>wirtschaft ist der direkteste Hebel,<br />
um <strong>die</strong> großen Probleme unserer Zeit <strong>zu</strong> lösen“<br />
Früher trug er An<strong>zu</strong>g und Aktentasche,<br />
heute Gummistiefel<br />
und ein grünes Baseball-Käppi.<br />
Benedikt Böselwar Investmentbanker.<br />
Seit 2<strong>01</strong>6 ist der 38-Jährige<br />
Experimentierer, Erforscher, Entdecker<br />
und <strong>Land</strong>wirt in einer Person.<br />
Auf seinem 3000 Hektar großen Betrieb<br />
betreibt er Ackerbau, Vieh- und Forstwirtschaft.<br />
Um alle Daten und Erkenntnisse<br />
seines multifunktionalen landwirtschaftlichen<br />
Konzepts wissenschaftlichen<br />
Partnern, anderen <strong>Land</strong>wirten und jungen<br />
Start-ups <strong>zu</strong>r Verfügung stellen <strong>zu</strong> können,<br />
hat er <strong>die</strong> Finck Stiftung gegründet.<br />
Mit <strong>Stadt</strong>.<strong>Land</strong>.<strong>Wissen</strong>. sprach er über<br />
seine Ziele und Zukunftsvisionen.<br />
FOTO: TIMO JAWORR<br />
Wie sähe Ihre landwirtschaftliche<br />
Welt im besten Fall aus?<br />
Das Ökosystem einer sinnstiftenden<br />
<strong>Land</strong>wirtschaft, <strong>die</strong> gut schmeckende<br />
Lebensmittel produziert, müsste an <strong>die</strong><br />
jeweiligen Vorausset<strong>zu</strong>ngen und Eigenschaften<br />
des Standorts angepasst sein,<br />
wie <strong>zu</strong>m Beispiel den Nährstoffgehalt<br />
des Bodens oder <strong>die</strong> vorherrschenden<br />
Wetterbedingungen. Das A und O unserer<br />
landwirtschaftlichen Produktionssysteme<br />
sollten neben der Erzeugung<br />
von hochwertigen Lebensmitteln <strong>die</strong><br />
Verbesserung des Bodens sein, <strong>die</strong> Förderung<br />
der Biodiversität, der tiergerechte<br />
Umgang mit dem Nutzvieh und <strong>die</strong><br />
Stärkung der soziokulturellen Struktur<br />
der Region, sodass es den Menschen,<br />
<strong>die</strong> dort leben, gut geht. Und das alles<br />
bei einem ordentlichen Einkommen der<br />
landwirtschaftlichen Betreiber und deren<br />
nachfolgenden Generationen.<br />
Sie betreiben Tierhaltung, Ackerbau<br />
und Forstwirtschaft und gehen dabei<br />
neue Wege. Welche sind das?<br />
Mein Team und ich wollen weg von der<br />
klassischen Aufteilung und dem Setzen<br />
von betrieblichen Schwerpunkten, und<br />
wir wollen hin <strong>zu</strong> einem multifunktionalen<br />
Gesamtkonstrukt. Wir wollen Kreisläufe<br />
schließen. Ein Beispiel: Wir bauen<br />
Agroforststreifen aus 60 verschiedenen<br />
Obstsorten, 30 Nuss- und Beerensorten<br />
an und erforschen, wie sich damit <strong>die</strong><br />
Humusentwicklung und Wasserbindung<br />
im Boden beeinflussen lassen. Und wir<br />
säen Unter- und Zwischenfrüchte auf<br />
den Feldern aus und lassen <strong>die</strong> Tiere<br />
ganzjährig draußen weiden. Diese fressen<br />
<strong>die</strong> Zwischenfrüchte, wodurch wir<br />
wiederum Futterkosten einsparen. Oder<br />
wir probieren aus, wie wir durch Kompostierung<br />
<strong>die</strong> im brandenburgischen Alt<br />
Madlitz sehr sandigen Böden mit <strong>mehr</strong><br />
Mikroorganismen versorgen können. All<br />
das wird <strong>zu</strong> einem betrieblichen System,<br />
wo jeder Teil positive Einflüsse auf den<br />
anderen hat.<br />
Kühe werden vielfach in Diskussionen<br />
als Klimakiller dargestellt. Sehen Sie das<br />
auch so?<br />
Das ist ein Urteil, das völlig <strong>zu</strong> Unrecht<br />
besteht. Für mich haben Rinder auf unseren<br />
Äckern <strong>die</strong> Funktion von Humusaufbau,<br />
Fotosyntheseerhöhung, Nut<strong>zu</strong>ng des<br />
natürlichen Futters, Nährstoffkreislaufschließung,<br />
Wasserspeicherung im Boden,<br />
und am Ende, quasi als Beiprodukt, steht<br />
das hochwertige Fleisch. Wir bewerten<br />
<strong>die</strong> Kuh also nicht nach dem Fleisch, sondern<br />
nach dem, was sie alles an positiven<br />
Funktionen für uns übernimmt. Für mich<br />
ist <strong>die</strong> Kuh unter anderem ein wesentlicher<br />
Treiber für <strong>die</strong> Verbesserung des Klimas<br />
sowie ein Aktivator des Wasserzyklus,<br />
um den Planeten ab<strong>zu</strong>kühlen. Außerdem<br />
frisst sie Nahrung, <strong>die</strong> wir Menschen als<br />
Lebensmittel gar nicht verwerten könnten.<br />
Die Kuh ist nicht das Problem, da haben<br />
wir ganz andere Herausforderungen.<br />
Können andere landwirtschaftliche<br />
Betriebe von Ihren Erfahrungen<br />
profitieren?<br />
Es gibt keine universelle Lösung für alle<br />
landwirtschaftlichen Herausforderungen.<br />
Was in unserem Betrieb richtig ist, kann<br />
auf einem anderen Hof vielleicht nicht<br />
funktionieren. Wichtig ist, darauf <strong>zu</strong><br />
schauen, wie <strong>die</strong> Natur reagiert und welche<br />
natürlichen Regeln an einem Standort<br />
herrschen. Vor zwei Jahren habe ich eine<br />
Stiftung gegründet, damit wir all unsere<br />
wissenschaftlichen Daten und Erkenntnisse<br />
anderen Forschern, <strong>Land</strong>wirten<br />
und jungen Unternehmern <strong>zu</strong>r Verfügung<br />
stellen können, damit sie <strong>die</strong>se für sich<br />
nutzen und daraus lernen können. Wir<br />
haben rund 3000 Besucher pro Jahr. 90<br />
Prozent der <strong>Land</strong>wirte erkennen <strong>zu</strong>m Beispiel<br />
an, dass Agroforst Sinn macht. Wir<br />
benötigen aber noch etwa fünf Jahre, bis<br />
wir unsere ganzen Ergebnisse bis hin <strong>zu</strong>r<br />
Ertragsseite ausgewertet haben. Im März<br />
kommt mein erstes Buch heraus. Es heißt<br />
„Rebellen der Erde – Wie wir den Boden<br />
retten und damit uns selbst!“<br />
Aus<br />
60 Obstsorten<br />
und 30 Nuss- und<br />
Beerensorten<br />
entstehen<br />
Agroforststreifen<br />
Was sind Ihre Ziele?<br />
Wir müssen vom Bekämpfen<br />
der Symptome<br />
durch Technologie<br />
abkommen und<br />
hin <strong>zu</strong>r Veränderung<br />
unserer Systeme, um<br />
<strong>die</strong> Kernursachen <strong>zu</strong><br />
verändern. Etwas aus<strong>zu</strong>probieren<br />
ist Kern der <strong>Land</strong>wirtschaft,<br />
und nur so können wir uns<br />
der Natur annähern. Auf meinem Betrieb<br />
suchen wir profitable Geschäftsmodelle,<br />
<strong>die</strong> im Einklang mit dem Ökosystem<br />
stehen. Außerdem wollen wir aufzeigen,<br />
wie ausgesprochen wichtig <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
ist. Denn nur sie kann alles:<br />
das Klima schützen, <strong>die</strong> Mittel produzieren,<br />
<strong>die</strong> wir <strong>zu</strong>m Leben benötigen, und<br />
<strong>die</strong> Artenvielfalt steigern. Ich bin davon<br />
überzeugt, dass <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtschaft einen<br />
großen Zulauf erfahren wird. Aber sie<br />
benötigt Wertschät<strong>zu</strong>ng und Respekt.<br />
Haben Sie Ihren Jobwechsel bereut?<br />
Als ich bei der Bank war, dachte ich, ich<br />
hätte gelernt <strong>zu</strong> arbeiten. Als ich als<br />
<strong>Land</strong>wirt anfing, dachte ich mir, jetzt<br />
weiß ich, was Arbeit ist. Ich kenne das<br />
Gefühl, im trockenen Brandenburg <strong>Land</strong>wirt<br />
<strong>zu</strong> sein. Ich habe schlaflose Nächte,<br />
wenn es ewig nicht regnet und unsere<br />
Kiefernmonokultur eine tickende Zeitbombe<br />
ist. Aber ich bereue es keine<br />
Sekunde. Ich bin genau dort, wo ich hingehöre.<br />
Die <strong>Land</strong>wirtschaft ist der direkteste<br />
Hebel, um <strong>die</strong> großen Probleme<br />
unserer Zeit <strong>zu</strong> lösen.<br />
27
<strong>Nachhaltigkeit</strong><br />
1 Lebensmittelwertschät<strong>zu</strong>ng<br />
Weniger wegwerfenAchte auf <strong>die</strong> Logos<br />
„Oft länger gut“ oder „Ich halte oft länger“<br />
– und kaufe Artikel mit kurzer Haltbarkeit <strong>zu</strong>m<br />
reduzierten Preis.<br />
2<br />
Bewusst<br />
einkaufen<br />
Achte auf <strong>die</strong> „5D“-Kennzeichnung auf Fleischverpackungen.<br />
Die Tiere für <strong>die</strong>se Produkte<br />
wurden in Deutschland geboren, aufgezogen,<br />
gemästet, geschlachtet und verarbeitet. Darüber<br />
hinaus gibt <strong>die</strong> Haltungsform-Kennzeichnung<br />
1 bis 4 auf vielen tierischen Produkten an, wie<br />
das Tier gehalten wurde.<br />
28<br />
3Bewusst<br />
ernähren<br />
Der Nutri-Score auf den<br />
Verpackungen zeigt, wie<br />
günstig <strong>die</strong> Nährwert<strong>zu</strong>sammenset<strong>zu</strong>ng<br />
der Produkte sind.<br />
FOTOS: ISTOCK/SHIRONOSOV, LIDL,<br />
MICHAEL SCHUNCK/SIMONE RUDLOFF<br />
4<br />
Regional<br />
einkaufen<br />
Die Transportwege regionaler Artikel sind<br />
kürzer. Dadurch wird beim Transport weniger<br />
klimaschädliches CO 2<br />
ausgestoßen. Außerdem<br />
unterstützt du mit dem Kauf regionaler<br />
Produkte kleinere Erzeuger, Produzenten und<br />
Familienbetriebe und trägst <strong>zu</strong>m Erhalt der<br />
landwirtschaftlichen Strukturen der Region bei.
5<br />
Saisonal<br />
einkaufen<br />
Wenn heimisches Obst und Gemüse Saison<br />
haben, sind <strong>die</strong> Wege vom regionalen Erzeuger<br />
<strong>zu</strong>m Verkaufsregal sowie <strong>die</strong> Lagerungszeiten<br />
entsprechend kurz. Das bedeutet <strong>mehr</strong> Frische und<br />
weniger Energieverbrauch sowie einen geringeren<br />
CO 2<br />
-Ausstoß gegenüber importierter Ware.<br />
<br />
Saisonkalender für Obst<br />
und Gemüse.<br />
Unsere Experten: Christin Winkler,<br />
<strong>Nachhaltigkeit</strong>smanagerin Lidl<br />
Deutschland, und Robert Pudelko,<br />
Leiter <strong>Nachhaltigkeit</strong> Einkauf bei<br />
<br />
Expertentipps<br />
für einen umweltfreundlicheren Einkauf<br />
Verbraucher können sich beim Lebensmitteleinkauf für <strong>die</strong> Umwelt und Natur stark<br />
<br />
6<br />
Produkte ohne<br />
Mikroplastik<br />
<br />
Auch kleinste Kunststoffpartikel<br />
belasten uns und unsere Umwelt fast<br />
<br />
und Kosmetikprodukten greifen, <strong>die</strong><br />
<br />
ist durch entsprechende Logos auf den<br />
Verpackungen <strong>zu</strong> erkennen.<br />
Bio-Qualität<br />
<br />
Naturschutzstandards erfüllen – unter<br />
anderem in der Tierhaltung, in der Kreis -<br />
laufwirtschaft und in landwirtschaftlichen<br />
Arbeitsprozessen.<br />
29
Berufe<br />
Brigitte<br />
Schwalen<br />
arbeitet als<br />
Headhunterin<br />
bei einer Personalagentur<br />
Friedrich<br />
Brinkmann<br />
ist Vertriebsmitarbeiter<br />
eines belgischen<br />
Unternehmens<br />
<br />
So hoch ist ihre<br />
Erfolgsquote als<br />
Jobvermittlerin<br />
Grüne Berufe<br />
Vielseitig, naturverbunden, bodenständig<br />
Rund 3500 Jobsuchende hat <strong>die</strong><br />
Personalagentur AgroBrain,<br />
das Karriereportal der „Agrarzeitung“,<br />
aktuell in ihrer<br />
Datenbank registriert. Seit<br />
über elf Jahren vermittelt <strong>die</strong> Jobbörse<br />
freie Stellen für Vertriebsmitarbeiter im<br />
Bereich Futtermittel oder Pflanzenbau,<br />
Referenten im politischen Agrarbereich,<br />
Betriebsleiter, Geschäftsführer, Labormitarbeiter<br />
oder <strong>Land</strong>maschinenmechatroniker.<br />
Eben alle Berufe im vor- und nachgelagerten<br />
Gewerbe der Agrarbranche.<br />
Brigitte Schwalen ist seit drei Jahren<br />
für AgroBrain tätig. Als Headhunterin sucht<br />
sie Mitarbeiter für Arbeitsplätze in ganz<br />
Europa. Ihre Trefferquote liegt bei rund 75<br />
Prozent. Die ehemalige Vorstandssekretärin<br />
und Marketingspezialistin lebt selbst<br />
auf einem landwirtschaftlichen Betrieb.<br />
„Ich kann mich sehr gut in <strong>die</strong> Arbeitgeber<br />
hineinversetzen und verstehe, welches<br />
Know-how ein Bewerber mitbringen sollte.“<br />
So war sie auch davon überzeugt, dass<br />
Friedrich Brinkmann genau der richtige<br />
Vertriebsmitarbeiter für den belgischen<br />
Saatgutzüchter SESVanderHave ist. Der<br />
27-Jährige hat nach einer landwirtschaftlichen<br />
Lehre Agrarwissenschaften stu<strong>die</strong>rt<br />
und sich auf Agribusiness spezialisiert. Er<br />
verfügt über umfangreiche unternehmerische<br />
und landwirtschaftliche Kenntnisse.<br />
Lösungen suchen<br />
„Meine Aufgaben bestehen aus einem<br />
Mix aus Büroarbeit und Betreuung der<br />
<strong>Land</strong>wirte vor Ort. Ich berate sie, welche<br />
Zuckerrübensorten für sie geeignet<br />
sind, oder suche eine Lösung für <strong>die</strong><br />
Optimierung ihres Zuckerrübenanbaus.<br />
Insgesamt betreue ich etwa 1500 Kunden<br />
in einem Umkreis von rund 200 Kilometern“,<br />
erzählt Friedrich Brinkmann, der<br />
seit zwei Jahren für das Unternehmen<br />
tätig ist. Abends und an den Wochenenden<br />
hilft der Vertriebler seinen Eltern<br />
auf dem Hof. In der Erntezeit nimmt er<br />
sich Urlaub. Friedrich Brinkmann ist<br />
sehr <strong>zu</strong>frieden mit seiner vielseitigen<br />
und kommunikativen Tätigkeit. „Man<br />
muss zwar zeitlich sehr flexibel sein,<br />
aber dafür bin ich viel in der Natur und<br />
kann meinem Interesse an Pflanzen und<br />
Böden nachkommen.“ Eines Tages würde<br />
er gerne den elterlichen Hof im Haupterwerb<br />
übernehmen. „Aber <strong>die</strong> politische<br />
Lage ist so unsicher für <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirte<br />
in Deutschland, dass ich froh bin,<br />
mir mit dem Außen<strong>die</strong>nstjob ein zweites<br />
Standbein aufgebaut <strong>zu</strong> haben.“<br />
Neues etablieren<br />
Lena Schlößer vermittelte Brigitte<br />
Schwalen eine Vertriebsstelle im Agrar-<br />
Team von Emiko, ein Unternehmen, das<br />
Produkte mit effektiven Mikroorganismen<br />
entwickelt und vertreibt. Diese werden<br />
in den Bereichen Gesundheit, Haus<br />
und Garten sowie in der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
eingesetzt. „Effektive Mikroorganismen<br />
stammen aus der Natur und befähigen<br />
sie, wieder das <strong>zu</strong> tun, worin sie so beeindruckend<br />
gut ist. So werden effektive Mikroorganismen<br />
gezielt im Produktionskreislauf<br />
in der <strong>Land</strong>wirtschaft genutzt,<br />
30
Gut<br />
ausgebildet ist Lena<br />
Schlößer. Sie hat ihren<br />
Bachelor und Master<br />
als Agrarwissenschaftlerin<br />
absolviert<br />
Dr. Christoph Hauser wechselte<br />
als geschäftsführender<br />
Vorstand <strong>zu</strong> einer<br />
Genossenschaft<br />
Lena Schlößer will als Expertin<br />
für effektive Mikroorganismen<br />
<strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
unterstützen<br />
FOTOS: AGROBRAIN, VEREINIGTE SAATZUCHTEN<br />
um <strong>zu</strong>m Beispiel ein gesundes Bodenleben<br />
<strong>zu</strong> fördern oder Bodenprozesse,<br />
<strong>die</strong> ins Ungleichgewicht geraten sind,<br />
<strong>zu</strong> stabilisieren“, erzählt <strong>die</strong> 27-jährige<br />
Agrarwissenschaftlerin und Pflanzenbauexpertin,<br />
<strong>die</strong> ihr Studium an der Universität<br />
Bonn mit dem Bachelor und Master<br />
abschloss. Egal ob Biobetrieb oder konventioneller<br />
Hof, eine regenerative <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
setze sich in Deutschland immer<br />
<strong>mehr</strong> durch, sagt <strong>die</strong> Vertrieblerin,<br />
<strong>die</strong> im Auftrag ihres Unternehmens auch<br />
Veranstaltungen wie Feldtage organisiert<br />
und Kampagnen entwickelt sowie Stu<strong>die</strong>n<br />
aufarbeitet. „Das ernsthafte Interesse<br />
an nachhaltigen Lösungsansätzen in<br />
der <strong>Land</strong>wirtschaft nimmt immer <strong>mehr</strong><br />
<strong>zu</strong>“, sagt Lena Schlößer. „Ich wollte gerne<br />
etwas Sinnvolles tun, womit ich <strong>die</strong> landwirtschaftlichen<br />
Betriebe unterstützen<br />
kann.“ Sie hat Spaß an ihren vielfältigen<br />
Aufgaben und an der Ehrlichkeit und<br />
Bodenständigkeit ihres beruflichen Umfelds.<br />
„Ich bin nah an der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
und erlebe mit, was sie bewegt und wo<br />
<strong>die</strong> Herausforderungen liegen. Dadurch<br />
erkenne ich, wie man <strong>die</strong> Branche unterstützen<br />
und etwas für <strong>die</strong> nachfolgende<br />
Generation tun kann.“<br />
Dr. Christoph Hauser ist Agrarwissenschaftler<br />
und promovierter Pflanzenzüchter.<br />
Nachdem er 25 Jahre lang<br />
„Mich reizt <strong>die</strong> Aufgabe, <strong>die</strong> Genossenschaft<br />
auf <strong>die</strong> Zukunft vor<strong>zu</strong>bereiten“<br />
Dr. Christoph Hauser<br />
als Geschäftsführer eines Saatgutunternehmens<br />
arbeitete, schlug ihm Brigitte<br />
Schwalen einen Wechsel <strong>zu</strong>r Vereinigte<br />
Saat<strong>zu</strong>chten Genossenschaft vor. „Mich<br />
reizt <strong>die</strong> Aufgabe, <strong>die</strong> Genossenschaft<br />
auf <strong>die</strong> Zukunft vor<strong>zu</strong>bereiten, <strong>die</strong> strategische<br />
Unternehmensentwicklung<br />
national und international neu aus<strong>zu</strong>richten<br />
und das traditionelle Geschäft<br />
<strong>zu</strong> stärken, effizienter und profitabler <strong>zu</strong><br />
gestalten“, sagt der geschäftsführende<br />
Vorstand der Vereinigte Saat<strong>zu</strong>chten eG.<br />
Der 59-Jährige hat das Ziel, das klassische<br />
Handelsgeschäft mit Saatgut mit einem<br />
neuen Bereich, dem Energiesektor,<br />
<strong>zu</strong> verknüpfen und auf <strong>die</strong>se Weise ein<br />
Zusatzgeschäft <strong>zu</strong> entwickeln. „<strong>Land</strong>wirtschaftliche<br />
Betriebe haben neben<br />
ihrer klassischen Produktion von Kulturpflanzen,<br />
Milch oder Fleisch vielfach ein<br />
weiteres Standbein aufgebaut wie den<br />
Verkauf ihrer Produkte in einem Hofladen<br />
oder <strong>die</strong> Produktion von Energie.<br />
Letzteres schwebt mir mit erneuerbarer<br />
Energie vor.“ Die Agrarbranche sei ein<br />
Umfeld, das eine lebenslange Abwechslung<br />
garantiert. „Ob im Pflanzenbau, in<br />
der Fleischproduktion, der Mitarbeiterführung<br />
oder der Auseinanderset<strong>zu</strong>ng<br />
mit politischen Regularien, <strong>die</strong> Branche<br />
bietet ein facettenreiches Spannungsfeld“,<br />
erklärt Dr. Hauser. „Durch <strong>die</strong><br />
Komplexität und <strong>die</strong> vielen unsicheren<br />
Komponenten, <strong>die</strong> <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
beeinflussen, wie etwa der Klimawandel,<br />
entstehen immer neue Berufsbilder. Ein<br />
Beispiel sind <strong>die</strong> Pflanzentechnologen.<br />
Sie beschäftigen sich mit der Züchtung<br />
und Verbesserung von Kulturpflanzen.<br />
Da<strong>zu</strong> planen sie Feldversuche und Untersuchungsreihen,<br />
führen <strong>die</strong>se durch<br />
und dokumentieren Arbeitsschritte und<br />
Ergebnisse am PC. Der Beruf trägt wesentlich<br />
<strong>zu</strong>m Züchtungsfortschritt und<br />
<strong>zu</strong>r Leistungssteigerung unserer regionalen<br />
Kulturpflanzen bei und stärkt dadurch<br />
<strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirtschaft“, erläutert er.<br />
„Wenn ich im Pensionsalter bin, möchte<br />
ich Bauer werden. Mit der Natur <strong>zu</strong><br />
arbeiten und gleichzeitig betriebswirtschaftliche<br />
Systeme <strong>zu</strong> steuern, das ist<br />
meine Leidenschaft.“<br />
31
<strong>Nachhaltigkeit</strong><br />
So funktioniert<br />
eine Klima-Milchfarm<br />
Zu Besuch bei Mario Frese in Nordhessen<br />
FOTO: NESTLÉ<br />
Hochwertige Milch, deutlich<br />
weniger Emissionen: Das<br />
möchte <strong>Land</strong>wirt Mario<br />
Frese im Rahmen eines dreijährigen<br />
Forschungs projekts<br />
erreichen. Innovative Maßnahmen sollen<br />
den CO 2<br />
e*-Fußabdruck seines Milchviehbetriebs<br />
reduzieren.<br />
Auf den ersten Blick ist der landwirtschaftliche<br />
Betrieb von Mario Frese im<br />
nordhessischen Mörshausen ein typischer<br />
Bauernhof. Wohnhaus, Scheune,<br />
Stallungen, rund 130 Milchkühe, 240<br />
Hektar Acker- und Grünland. Eine Besonderheit<br />
macht den Familienbetrieb<br />
jedoch einzigartig: Seit Dezember 2021<br />
ist der Hof eine sogenannte Klima-Milchfarm.<br />
Das Pilotprojekt wurde von Nestlé<br />
Deutschland ins Leben gerufen. In enger<br />
Zusammenarbeit mit der Molkerei Hochwald<br />
und der Hochschule für Wirtschaft<br />
und Umwelt Nürtingen-<br />
Geislingen (HfWU) wird das<br />
Ziel angestrebt, <strong>die</strong> Emissionen<br />
des Milchviehbetriebs<br />
innerhalb von drei<br />
Jahren rechnerisch auf<br />
netto Null <strong>zu</strong> reduzieren.<br />
Emissionen senken<br />
Eine große Herausforderung,<br />
denn bei der Produktion von einem<br />
Liter Milch werden in Deutschland circa<br />
1,1 Kilogramm CO 2<br />
e freigesetzt. Das<br />
liegt deutlich unter dem weltweiten<br />
Durchschnitt von 2,4 Kilogramm und<br />
ist weit entfernt von den hohen Emissionswerten<br />
Afrikas und Asiens mit 3,5<br />
beziehungsweise 7,5 Kilogramm CO 2<br />
e<br />
pro Liter Milch. „Man kann nicht verhindern“,<br />
sagt Mario Frese, „dass bei der<br />
Produktion von einem hochwertigen Lebensmittel<br />
wie Milch Emissionen freigesetzt<br />
werden. Aber es bestehen viele<br />
Möglichkeiten, <strong>die</strong>se <strong>zu</strong> senken“, erklärt<br />
der <strong>Land</strong>wirt.<br />
Im Dialog mit Experten<br />
Mario Frese ist davon überzeugt, dass es<br />
ein großes Potenzial gibt, der Klimaneutralität<br />
näher<strong>zu</strong>kommen. Der gelernte<br />
1,1<br />
Kilogramm CO 2<br />
e<br />
werden in etwa bei<br />
der Produktion von<br />
1 Liter Milch<br />
freigesetzt<br />
Bessere Auf<strong>zu</strong>cht<br />
Die Kälber werden in<br />
Gruppen gehalten und mit<br />
viel Milch aufgezogen<br />
Mechatroniker investiert<br />
viel Zeit, Arbeit und Geduld,<br />
um das richtungsweisende<br />
Vorhaben in seinem Milchviehbetrieb<br />
Schritt für Schritt um<strong>zu</strong>setzen. „Ich<br />
stehe im ständigen Dialog mit den Professoren<br />
der Hochschule“, sagt Klimafarmer<br />
Mario Frese. Einmal in der Woche<br />
treffen sich alle Projektbeteiligten online<br />
<strong>zu</strong> einer <strong>mehr</strong>stündigen Videokonferenz.<br />
Dann besprechen und diskutieren sie <strong>die</strong><br />
gewonnenen Erkenntnisse, bestimmen<br />
das weitere Vorgehen und legen neue<br />
Ziele fest. Ein umfangreiches Portfolio<br />
an Maßnahmen soll helfen, den Milchbetrieb<br />
klimafreundlicher <strong>zu</strong> bewirtschaften<br />
und <strong>die</strong> Treibhausgase so weit wie<br />
möglich <strong>zu</strong> reduzieren.<br />
Optimales Futter<br />
Die bedarfsgerechte Fütterung der Kühe<br />
hat oberste Priorität. Denn darin sind<br />
sich <strong>die</strong> Experten einig: Je genauer <strong>die</strong><br />
Futter<strong>zu</strong>sammenstellung auf den Bedarf<br />
der Tiere eingestellt wird, desto besser<br />
können <strong>die</strong> Tiere das Futter verwerten.<br />
Die Folge: Die Kühe geben nicht nur<br />
<strong>mehr</strong> Milch, sondern es sinken <strong>zu</strong>dem,<br />
bezogen auf ein Kilo Milch, <strong>die</strong> Methanemissionen.<br />
Eine Kuh frisst täglich ca.<br />
50 Kilogramm Futter; der Großteil besteht<br />
aus selbst erzeugtem Grobfutter<br />
sowie Futtergetreide. „Zusätzlich setzen<br />
wir Kraftfutter mit geringem CO 2<br />
e-Fußabdruck<br />
ein“, erklärt Stephan Schneider,<br />
Professor für Tierernährung an der<br />
HfWU. „Ein Futter-Anschieberoboter<br />
sorgt dafür, dass <strong>die</strong> Kühe kontinuierlich<br />
Zugang <strong>zu</strong> frischem Futter haben.<br />
Er befördert es achtmal am Tag <strong>zu</strong> den<br />
Tieren am Futtertisch, wenn sie es bei<br />
der Suche nach den leckersten Futterbestandteilen<br />
weggeschoben haben“, so<br />
Schneider weiter.<br />
32
Das optimale Futter der Kühe zählt <strong>zu</strong> den wichtigsten Maßnahmen,<br />
um <strong>die</strong> Emissionen <strong>zu</strong> senken, wissen <strong>Land</strong>wirt Mario Frese (r.)<br />
<br />
„Nur wenn meine<br />
Tiere über einen<br />
langen Zeitraum<br />
gesund sind, können<br />
sie <strong>mehr</strong> Leistung<br />
erbringen und<br />
gleichzeitig weniger<br />
Emissionen erzeugen“<br />
Mario Frese<br />
Futteranschieber Ein Roboter sorgt<br />
rund um <strong>die</strong> Uhr dafür, dass <strong>die</strong> Tiere<br />
stets an frisches Futter kommen<br />
* CO 2<br />
-Äquivalente (CO 2<br />
e) sind eine Maßeinheit <strong>zu</strong>r Vereinheitlichung<br />
der Klimawirkung durch unterschiedliche<br />
Treibhausgase. Zusätzlich <strong>zu</strong> Kohlendioxid (CO 2<br />
) gibt<br />
es weitere Treibhausgase wie Methan oder Lachgas.<br />
Jedes <strong>die</strong>ser Gase hat einen anderen Effekt auf <strong>die</strong> Atmosphäre.<br />
Um ihre Emissionen vergleichbar <strong>zu</strong> machen,<br />
werden <strong>die</strong>se in CO 2<br />
-Äquivalente (CO 2<br />
e) umgerechnet.<br />
Mehr Tierwohl<br />
Neben einem intelligenten Futterkonzept<br />
sind vor allem <strong>die</strong> Gesundheit und<br />
das Wohlergehen der Tiere entscheidend<br />
für den Erfolg des Projekts. Helle<br />
und luftige Boxenlaufställe mit einem<br />
angeschlossenen Außenbereich, Strohliegeboxen,<br />
automatische Kuhbürsten<br />
sowie ein sensorgesteuertes Stallbelüftungssystem<br />
tragen <strong>zu</strong> <strong>mehr</strong> Tierwohl<br />
bei. Mehr Tierwohl gilt auch für <strong>die</strong><br />
Auf<strong>zu</strong>cht der Kälber, <strong>die</strong> gemeinsam in<br />
Gruppen gehalten werden. „Nur wenn<br />
meine Tiere über einen langen Lebenszeitraum<br />
gesund sind, können sie <strong>mehr</strong><br />
Leistung erbringen und gleichzeitig<br />
weniger Emissionen erzeugen“, betont<br />
Mario Frese.<br />
Organischer Dünger<br />
Hightech auf dem Acker soll ebenfalls<br />
das Klima schonen. Digitale Technik hilft<br />
Mario Frese dabei, organischen Dünger,<br />
das heißt Gülle und Mist, zielgenau auf<br />
den Feldern aus<strong>zu</strong>bringen. Dadurch<br />
kann teurer Mineraldünger aus energieintensiver<br />
Produktion deutlich verringert<br />
werden. Parallel da<strong>zu</strong> wird durch<br />
<strong>die</strong> konservierende Bodenbearbeitung<br />
der Äcker versucht, den Humus <strong>zu</strong> erhalten,<br />
und es werden Hecken und Bäume<br />
gepflanzt, sodass <strong>mehr</strong> Treibhausgase<br />
gespeichert werden können.<br />
Regionale Produkte<br />
Nicht nur <strong>die</strong> Milchbetriebe sind gefragt,<br />
ihre Höfe nachhaltig <strong>zu</strong> bewirtschaften,<br />
auch <strong>die</strong> Verbraucher können Einfluss<br />
auf <strong>die</strong> Emissionen in der <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
nehmen. Der Kauf regional erzeugter<br />
Produkte ist beispielsweise ein Weg, den<br />
CO 2<br />
e-Fußabdruck <strong>zu</strong> verkleinern.<br />
33
<strong>Nachhaltigkeit</strong><br />
Bio oder<br />
konventionell?<br />
Warum man das eine nicht per se ablehnen und das andere nicht automatisch<br />
bevor<strong>zu</strong>gen sollte: über <strong>die</strong> Vor- und Nachteile beider Anbausysteme<br />
FOTO: FML; QUELLEN: GREENPEACE SUPERMARKTCHECK, BMEL<br />
Wer kennt <strong>die</strong> Situation nicht:<br />
Man steht in der Gemüseabteilung<br />
und überlegt<br />
sich, ob man Bio-Brokkoli<br />
kauft oder den herkömmlichen, der<br />
günstiger ist, aber genauso grün und ansprechend<br />
aussieht. Welche der beiden<br />
ist gesünder und nachhaltiger?<br />
Die Unterschiede im Überblick<br />
In der Theorie unterscheiden sich<br />
<strong>die</strong> konventionelle und Biolandwirtschaft<br />
durch verschiedene Richtlinien:<br />
Während ein konventioneller Ackerbaubetrieb<br />
eine bestimmte Menge an<br />
chemischen Dünge- und Pflanzenschutzmitteln<br />
einsetzen darf, muss ein<br />
Biobauernhof mit natürlichen Wirkstoffen<br />
auskommen. Bei der Tierhaltung<br />
steht Kühen, Schweinen und Geflügel<br />
auf einem Biobauernhof <strong>mehr</strong> Platz <strong>zu</strong>r<br />
Verfügung. Für <strong>die</strong> Behandlung von<br />
Krankheiten dürfen nur bestimmte<br />
Arzneimittel verwendet werden, und<br />
<strong>die</strong> Tiere erhalten gentechnikfreies<br />
Futter.<br />
Die Grenzen verschwimmen<br />
In der Praxis treffen viele <strong>die</strong>ser Unterschiede<br />
auf moderne konventionelle<br />
Betriebe nicht <strong>mehr</strong> <strong>zu</strong>. Denn immer<br />
<strong>mehr</strong> Höfe setzen natürlichen Dünger<br />
wie Gülle und Mist ein, um <strong>die</strong> Pflanzen<br />
auf dem Feld mit Nährstoffen <strong>zu</strong> versorgen.<br />
Sie nutzen <strong>die</strong> natürlichen Rohstoffe<br />
für ihre Biogasanlagen <strong>zu</strong>r Erzeugung<br />
von Bioenergie. Pflanzenkrankheiten<br />
werden nach genauer Analyse gezielt<br />
behandelt, und <strong>die</strong> <strong>Land</strong>wirte treffen<br />
<br />
des gesamten Lebensmittelumsatzes<br />
in<br />
Deutschland machen<br />
Ökoprodukte<br />
aus<br />
ackerbauliche Vorsorgemaßnahmen,<br />
um ihre Pflanzen und<br />
Böden gesund <strong>zu</strong> halten.<br />
Bei den konventionellen<br />
Tierbetrieben rich ten<br />
sich viele nicht nur nach den gesetzlichen<br />
Mindeststandard regelungen der<br />
Haltungsstufe1, sondern setzen ver<strong>mehr</strong>t<br />
auf <strong>die</strong> verbesserte Haltungsform2.<br />
Das bestätigt der <strong>Green</strong>peace<br />
Supermarkt-Check: So hat sich bei der<br />
Abfrage 2021 der Anteil der mit Haltungsform1<br />
gekennzeichneten Frischfleischprodukte<br />
halbiert.<br />
Artenvielfalt<br />
Egal ob bio oder konventionell, heut<strong>zu</strong>tage<br />
arbeiten <strong>die</strong> meisten <strong>Land</strong>wirte<br />
mit sogenannten weiten Fruchtfolgen,<br />
also mit abwechslungsreichen Kulturen,<br />
um ihre Böden auf natürliche Weise <strong>zu</strong><br />
optimieren. Gleichzeitig verbessern sie<br />
durch Maßnahmen wie Stilllegungen <strong>die</strong><br />
Lebensräume von Bienen, Vögeln und<br />
anderen Kleintieren.<br />
Umwelt<br />
Zur Reduzierung von Dünge- und<br />
Pflanzenschutzmitteln sorgen moderne<br />
Technologien wie satelliten- und<br />
sensorgesteuerte <strong>Land</strong>maschinen auf<br />
immer <strong>mehr</strong> Feldern für eine präzise<br />
Ausbringung der Substanzen. Auch Biobauern<br />
kommen nicht ohne Pflanzenschutz<br />
aus. Hier greifen sie auf Wirkstoffe<br />
wie Kupfer <strong>zu</strong>rück. Ein Zuviel<br />
des Schwermetalls kann den Bodenlebewesen<br />
und der Bodenfruchtbarkeit<br />
schaden. Entsprechend<br />
der neuen EU-Verordnungen<br />
soll der Einsatz<br />
von Pflanzenschutz- und<br />
Düngemitteln generell stark<br />
eingeschränkt werden.<br />
Tierhaltung<br />
Bei der Tierhaltung verbessern konventionelle<br />
Betriebe durch offene<br />
Ställe, in denen sich <strong>die</strong> Tiere frei bewegen<br />
können, das Tierwohl. Dass es<br />
den Tieren auf Bio höfen grundsätzlich<br />
besser geht, muss nicht zwangsläufig<br />
der Fall sein. Das Thünen-<br />
Institut veröffentlichte im „Report 65“,<br />
dass in nur knapp 35 Prozent ihrer untersuchten<br />
Fälle <strong>die</strong> ökologische Haltung<br />
gesundheitliche Vorteile aufwies.<br />
In 46Prozent dagegen zeigte sich kein<br />
Unterschied in der Tiergesundheit. Das<br />
heißt, nicht <strong>die</strong> Stallfläche ist entscheidend,<br />
sondern der artgerechte Umgang<br />
mit den Tieren.<br />
Nährstoffgehalt der Lebensmittel<br />
Es stellt sich <strong>die</strong> Frage, ob Bioprodukte<br />
tatsächlich gesünder sind. Auch hier<strong>zu</strong><br />
gibt es keine eindeutigen Ergebnisse.<br />
Viele wissenschaftliche Erhebungen<br />
konnten nicht feststellen, dass in Bioprodukten<br />
<strong>mehr</strong> Nährwerte enthalten<br />
sind.<br />
Fazit<br />
Ziel beider Systeme ist es, den Verbrauchern<br />
so viele qualitativ hochwertige<br />
Lebensmittel <strong>zu</strong>r Verfügung <strong>zu</strong> stellen,<br />
wie <strong>die</strong> Gesellschaft benötigt. Laut dem<br />
34
Impressum<br />
Herausgeber:<br />
<br />
Fanny-Zobel-Str. 7<br />
12435 Berlin<br />
<br />
info@moderne-landwirtschaft.de<br />
www.moderne-landwirtschaft.de<br />
Verantwortlich für den Inhalt:<br />
Lea Fließ<br />
Projektverantwortlich: Renate Wegert<br />
Redaktion: Catrin Krawinkel<br />
Artdirektion: Anja Giese<br />
Layout: Susana Oliveira<br />
Lektorat: Barbara Wirt,<br />
Schlussredaktion Hamburg<br />
Litho: Hockmart GbR<br />
Druck: Roelofs GmbH<br />
Neue Straße 2<br />
49808 Lingen<br />
Nachdruck und Reproduktion sind nach<br />
schriftlicher Genehmigung durch das<br />
Forum Moderne <strong>Land</strong>wirtschaft möglich.<br />
Forschungsinstitut für Pflanzenschutz<br />
und Biodiversität HFFA erwirtschaften<br />
Biobetriebe allerdings 50 Prozent weniger<br />
Erträge als konventionelle Höfe.<br />
Oder anders: Deutschland fehlen drei<br />
Millionen Hektar Anbaufläche, das ist<br />
etwa <strong>die</strong> Größe Belgiens, um <strong>die</strong> deutsche<br />
Bevölkerung ausschließlich mit<br />
Bioprodukten ernähren <strong>zu</strong> können.<br />
Tatsache ist, dass regionale Lebensmittel,<br />
egal ob ökologisch oder konventionell<br />
hergestellt, <strong>die</strong> Umwelt durch<br />
kürzere Transportwege weniger belasten.<br />
Darüber hinaus zählen <strong>die</strong> Auflagen<br />
im Bereich Tierwohl und Lebensmittelprüfung<br />
in Deutschland <strong>zu</strong> den höchsten<br />
weltweit. Und sichern so <strong>die</strong> Lebensmittelqualität<br />
ab.<br />
Im Interesse der Lesbarkeit haben wir auf<br />
geschlechtsbezogene Formulierungen<br />
verzichtet. Selbstverständlich sind immer<br />
Frauen und Männer gemeint, auch wenn<br />
explizit nur eines der Geschlechter angesprochen<br />
wird.<br />
Hauptsache nachhaltig<br />
Seit jeher obliegt es der <strong>Land</strong>wirtschaft,<br />
für <strong>die</strong> Ernährung der Gesellschaft <strong>zu</strong><br />
sorgen. Durch <strong>die</strong> steigende Zahl der<br />
Weltbevölkerung rechnet <strong>die</strong> Ernährungsund<br />
<strong>Land</strong>wirtschaftsorganisation der<br />
bis 2050 mit einem<br />
um rund 50 Prozent höheren Bedarf<br />
an Lebensmitteln. Dabei lässt Urs<br />
Niggli, der Schweizer Agrarwissen-<br />
schen<br />
<strong>Land</strong>baus, offen, ob der Biolandbau<br />
tatsächlich als Modell<br />
für eine nachhaltige <strong>Land</strong>wirtschaft<br />
geeignet ist. Denn seine Ertragsschwäche<br />
und <strong>die</strong> hohen Kosten für<br />
<br />
sind seiner Meinung nach bei der Bewertung<br />
der <strong>Nachhaltigkeit</strong> ebenfalls <strong>zu</strong><br />
berücksichtigen.<br />
In Deutschland gibt es laut Statistischem<br />
<br />
schaftliche Betriebe, davon arbeiten<br />
.<br />
Das sind rund zehn Prozent.<br />
Den Schät<strong>zu</strong>ngen des Statistischen Bundesamts<br />
<strong>zu</strong>folge wurden in Deutschland<br />
<br />
26,1 Millionen Schweine und rund<br />
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