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Bionik, Biomimetik - Naturwissenschaftliche Rundschau

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Übersicht<br />

rechte Winkel begannen, die in der Natur vorherrschenden<br />

abgerundeten, gebogenen Strukturen abzulösen, da es durch<br />

sie einfacher wurde, bestimmte Gegenstände und Bauten<br />

mit gewünschten, möglichst identischen Eigenschaften herzustellen.<br />

Zudem ermöglichten sie es später, relativ einfache<br />

Berechnungen im Bau- und Konstruktionsbereich vorzunehmen.<br />

Anstelle der in der Natur weit verbreiteten flexiblen und<br />

weichen Gebilde schuf die Technik steife und starre Konstruktionen.<br />

Mit der Erfindung des Rades schließlich, das<br />

kein Vorbild in der Natur hatte (die Bakteriengeißel als rotierende<br />

Radstruktur wurde erst im 20. Jhdt. entdeckt), eröffneten<br />

sich nie dagewesene Möglichkeiten für die Fortbewegung<br />

und den Transport [3].<br />

Ein entscheidender Technologiesprung war die Gewinnung<br />

und Nutzung von Metallen. Metalle, die in natürlichen<br />

Konstrukten fast nicht vorkommen, wurden aufgrund ihrer<br />

leichten Bearbeitbarkeit zu den wichtigsten technischen<br />

Materialien, die in der Bronzezeit (in Mitteleuropa ca. 2200–<br />

800 v. Chr.) und Eisenzeit (ca. 800 v. Chr. bis Zeitenwende) die<br />

kulturelle und technische Entwicklung des Menschen wesentlich<br />

beeinflussten. In der Phase der Industrialisierung<br />

wurde die Kenntnis der Metallverarbeitung eine Schlüsseltechnologie<br />

für die Entwicklung von Dampfmaschinen und<br />

Verbrennungsmotoren, die bei hohen Temperaturen arbeiten.<br />

Auch dies war ein weiterer entscheidender Schritt einer<br />

„Emanzipation“ von der Natur, denn die hocheffizienten<br />

Energiegewinnungsprozesse der organismischen Welt laufen<br />

bei normaler Umgebungstemperatur ab.<br />

BIONIK, BIOMIMETIK, TECHNISCHE BIOLOGIE.<br />

<strong>Bionik</strong>, <strong>Biomimetik</strong> (zusammengesetzt aus „Biologie“ und „Technik“<br />

bzw. „mimesis“ = Nachahmung): Umsetzung der Erkenntnisse<br />

aus der biologischen Forschung in technische Anwendungen. Der<br />

Begriff bionics wurde vermutlich 1960 von J. E. Steele geprägt, wobei<br />

bereits bei ihm das „Lernen der Technik von der Natur“ im Vordergrund<br />

stand. Der im internationalen Sprachgebrauch üblichere<br />

Begriff „<strong>Biomimetik</strong>“ (engl. biomimetics) entspricht im Wesentlichen<br />

dem deutschen <strong>Bionik</strong> (engl. bionics) und findet auch im<br />

deutschsprachigen Raum zunehmend Verbreitung. <strong>Bionik</strong> besteht<br />

in den seltensten Fällen darin, natürliche Funktionsstrukturen direkt<br />

in technische Konstruktionen zu übertragen. In aller Regel<br />

handelt es sich um ein über mehrere Abstraktions- und Modifikationsprozesse<br />

laufendes kreatives Umsetzen in die Technik, also<br />

um ein durch die Natur angeregtes „Neuerfinden“.<br />

Technische Biologie: Erforschung des Form-Struktur-Funktions-<br />

Zusammenhangs lebender Organismen unter der Verwendung<br />

physikalischer und technischer Methoden. Dieser Begriff wurde<br />

von Werner Nachtigall als komplementärer Begriff zur <strong>Bionik</strong> eingeführt.<br />

Während es in der <strong>Bionik</strong> um einen (Erkenntnis-)Transfer<br />

von der Biologie in die Technik geht, findet in der Technischen Biologie<br />

ein (Methoden-)Transfer aus Physik und Technik in die biologische<br />

Forschung statt. Ursprünglich wurde anstelle von „Technischer<br />

Biologie“ teilweise auch der Begriff „Biotechnik“ verwendet.<br />

Dieser ist als „Biotechnologie“ heute jedoch eindeutig mit mikround<br />

molekularbiologischen sowie biochemischen Inhalten belegt<br />

und sollte nur noch in diesem Sinne verwendet werden.<br />

Diese wenigen Meilensteine verdeutlichen, wie es zu einer<br />

fortschreitenden Entkopplung der technischen Entwicklung<br />

von der natürlichen Umwelt gekommen ist, was auch neue<br />

und andere Umweltbezüge einschließt. Da die Menschheit<br />

aber trotz aller Fortschritte in die Umwelt eingebunden<br />

bleibt, hat dies zu großen ökologischen Problemen geführt.<br />

Die in den letzten Jahren systematisch einsetzende bionische/biomimetische<br />

Forschung kann als „High-Tech-<strong>Bionik</strong>“<br />

bezeichnet werden. Sie versucht gezielt, biologische Vorgänge,<br />

Strukturen und Funktionsweisen quantitativ zu erfassen<br />

und in technische Anwendungen umzusetzen. Es sei betont,<br />

dass auch die moderne „High-Tech-<strong>Bionik</strong>“ per se nicht zu<br />

umweltverträglichen Produkten führen muss und kein Allheilmittel<br />

für ökologische Probleme darstellt. Zumindest in<br />

einigen Bereichen vermag sie aber, Alternativen zu bieten<br />

und Produkte mit einer verbesserten Ökobilanz zu liefern.<br />

Vorläufer und Pioniere der <strong>Bionik</strong><br />

Leonardo da Vinci (1452–1519) wird häufig als der historische<br />

Begründer der <strong>Bionik</strong> bezeichnet. In einer seiner bekanntesten<br />

Arbeiten hat er beispielsweise die Formveränderung<br />

von Vogelflügeln (Handschwingen beim Abschlag gespreizt,<br />

beim Aufschlag sich überdeckend zusammengelegt)<br />

funktionell analysiert [4, 5]. Ausgehend von diesen Beobachtungen<br />

und Analysen versuchte er, Schlagflügel für den<br />

menschlichen Flug zu konstruieren, die jedoch aufgrund<br />

biophysikalischer Randbedingungen nicht funktionieren<br />

konnten (die Masse eines Menschen ist im Bezug auf seine<br />

Muskelleistung viel zu groß). Erst eine Entkopplung der beim<br />

Vogelflügel vorhandenen Doppelfunktion, durch die mit einer<br />

Struktur Auf- und Vortrieb erzeugt wird, in starre, dem<br />

Auftrieb dienende Tragflächen und einen den Vortrieb erzeugenden<br />

Motor brachte vor nunmehr 100 Jahren den Durchbruch<br />

bei technischen Fluggeräten [6, 7]. Die große Zahl der<br />

erfolglosen Versuche, den Vogelflug zu kopieren, stellt einen<br />

eindrucksvollen Beleg dar für die Grenzen, die einer direkten<br />

Kopie von der Natur in die Technik gesetzt sind (dennoch<br />

scheint es prinzipiell möglich, einen menschlichen Schwingenflug<br />

zu realisieren; vgl. NR 2/2003, S. 65).<br />

Der italienische Arzt und Mathematiker Giovanni Alfonso<br />

Borelli (1608–1679) hat die technisch-experimentelle Analyse<br />

der Fortbewegungsvorgänge von Tieren begründet, während<br />

Sir George Cayley (1773–1857) biomimetische Methoden bei<br />

der Konstruktion sich selbst stabilisierender Flugmodelle<br />

und Fallschirme verwendete. Hierbei diente ihm die Federflugfrucht<br />

des Wiesenbocksbarts (Tragopogon pratensis) als<br />

Vorlage zur Konstruktion eines Fallschirms mit tief liegendem<br />

Schwerpunkt und nach außen hochgezogener Tragfläche<br />

(Abb. 1). Auch Galileo Galilei (1564–1642) hat sich in<br />

seinen Discorsi e dimonstrazioni matematiche von 1637 mit<br />

dem mechanischen Aufbau von Pflanzen im Vergleich zu<br />

technischen Konstruktionen beschäftigt [8, 9]; so zum Beispiel<br />

mit der unter Belastung durch das Eigengewicht erreichbaren<br />

Maximalhöhe von Bäumen und Bauwerken.<br />

Außerdem hat er am Beispiel des Getreidehalms und des<br />

Schafts der Vogelfeder beschrieben, dass eine erhöhte Biege-<br />

178 <strong>Naturwissenschaftliche</strong> <strong>Rundschau</strong> | 57. Jahrgang, Heft 4, 2004

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