190_StadtBILD_Mai_2019
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
Vorwort<br />
nachdem wir uns in den vergangenen Monaten mit<br />
den Görlitzer Münzen und der Ausstellung „Kopf<br />
und Zahl“ zur Geschichte des Geldes in Schlesien<br />
beschäftigt haben, folgt in dieser Ausgabe das<br />
Görlitzer Papiergeld und andere Papierersatzmittel<br />
im Zeitraum von 1914 - 1924.<br />
Auch Wörter wie „Notgeldschein“ tauchten irgendwann<br />
einmal auf und haben nun ihre eigene Geschichte.<br />
Die Generation unserer Eltern und Großeltern<br />
zeigte uns Jüngeren gern die aufgehobenen<br />
Notgeldscheine und kam sogleich ins Erzählen<br />
über Familienschicksale und Zeitumstände. Selbst<br />
heute noch, nach einem Jahrhundert, betrachten<br />
Kinder und Jugendliche erstaunt und erheitert die<br />
abgegriffenen Scheinchen mit den irrwitzigen Zahlenangaben.<br />
Kaum zu glauben, man stammt von<br />
Millionären ab!<br />
Bei der Generation, die es erlebt hatte, lösten die<br />
Erinnerungen an die Notgeldzeiten nicht nur nachsichtiges<br />
Schmunzeln aus. Sah und hörte man genau<br />
hin, verrieten Augen und Stimme auch Traurigkeit.<br />
Denn für sie bedeutete ja Notgeld nicht<br />
nur ein Zeugnis dafür, dass man sich bei dem<br />
Mangel an Geldumlaufmitteln in Krieg und Inflation<br />
damit irgendwie beholfen hatte, also „aus Not<br />
eine Tugend“ erwachsen war. Not - das war ihr<br />
Alltag gewesen als Kriegswitwen und Waisen, als<br />
Frauen und Kinder von Arbeitslosen mit zahlreichen<br />
Geschwistern. Sie kannten Hunger, ärmliche<br />
Kleidung, ausgekühlte und enge Wohnräume,<br />
Straßenkämpfe der Bürgerkriege, Siegerwillkür<br />
nach dem Versailler Vertrag.<br />
In diesen Notgeldzeiten wurden Weichen gestellt<br />
für die Weltwirtschaftskrise, für den nächsten<br />
Weltkrieg und für ungleich schlimmere Notzeiten<br />
danach.<br />
Die alten Notgeldscheine, die der Sammler stolz<br />
in seine Alben sortiert und gelegentlich den Ausstellungsbesuchern<br />
in Museumsvitrinen vorführt,<br />
gelten mit Recht als kulturgeschichtliche Zeugnisse<br />
von hoher Aussagekraft. Ihre künstlerische<br />
Gestaltung, oft mit ortsbezogenen Motiven, offenbart<br />
Heimatliebe und verrät manches über Zeitgeschmack,<br />
Hoffnungen und politisches Selbstverständnis.<br />
Solide Notgeldsammlungen gelten<br />
immer noch als gute Vermögensanlage.<br />
Dass es damals Notgeld gab, war ja ein Eingeständnis,<br />
dass wirtschaftlicher Aufschwung, politische<br />
Stabilität, Frieden und kulturelle Blüte nicht<br />
von Dauer sind. Die Generation unserer Eltern und<br />
Großeltern begriff aber auch, dass man chaotische<br />
Umbrüche nicht ohnmächtig hinnehmen darf. Sie<br />
suchten nach Auswegen, wie gegensätzlich die<br />
Vor-stellungen darüber auch ausfallen mochten.<br />
Auch Görlitz erlebte opferreiche Krisen und neue<br />
Aufschwünge.<br />
Not kennt kein Gebot, heißt es. Aber auch: Not<br />
macht erfinderisch. Wer mit Freude und Gewinn<br />
Notgeld sammelt, der lernt manches dazu und<br />
sollte seine Einsichten weitergeben.<br />
Möge diese Veröffentlichung auch anregen zum<br />
Nachdenken über den Zusammenhang von Not<br />
und Geld. Denn damit hat fast jeder von uns zu<br />
tun.<br />
Ihr Dr. Ernst Kretzschmar<br />
anzeige<br />
Einleitung<br />
3
Görlitzer Papier-Notgeld –<br />
Papier-Notgeld<br />
Ursprung des Notgeldes<br />
„Ursprung und Zweck des Notgeldes lassen<br />
sich trefflicher und kürzer nicht darstellen,<br />
als es in diesen beiden Versen auf<br />
den Gutscheinen des badischen Städtchens<br />
Schiltach geschieht. Nur darf man<br />
nicht annehmen, dass die Ersatzwertzeichen<br />
aus Papier, Leinwand, Metall und<br />
Porzellan, die wir mit dem Sammelnamen<br />
„Notgeld“ bezeichnen, eine Neuerscheinung<br />
des Weltkrieges seien. Notgeld hat<br />
es stets in schweren Zeiten gegeben, in<br />
denen es an Edelmetallen mangelte. Es<br />
sei nur erinnert an die „Klippen“ aus dem<br />
30 jährigen Kriege, wie die 6- und 8- eckigen<br />
Münzen im Gegensatz zu den üblichen<br />
runden Geldstücken genannt wurden, und<br />
an die schlesischen „Hungermünzen“ aus<br />
dem 17. und 18. Jahrhundert. Aus dem<br />
Anfang des vergangenen Jahrhunderts<br />
gehören dazu das handschriftlich hergestellte<br />
Zettelgeld von Kolberg: „Colberg<br />
1807, unter königl. Garantie“ sowie das<br />
Blockadegeld von Erfurt, „auf Befehl des<br />
Kaiserlich-Französischen Militär-Gouvernements,<br />
vom 1. November 1813, gefertigt”.<br />
Als Beispiel aus jüngerer Zeit seien<br />
Reichsbanknoten des Deutschen Reiches<br />
Aus der Zeit 1874-1914<br />
anzeige<br />
4<br />
Geschichte
und andere Papierersatzzahlungsmittel (1914 - 1924)<br />
Görlitzer Papier-Notgeld<br />
Darlehenskassenscheine; Geldscheine aus der Zeit des<br />
Ersten Weltkrieges 1914-1918<br />
die Gutscheine der Stadt Kaiserslautern in<br />
der Pfalz aus dem Jahre 1870 zu 1, 2 u. 5<br />
Gulden angeführt.”<br />
Geldwirtschaft in Deutschland in der<br />
Zeit der Inflation<br />
Die Ursachen der Anspannungen im Zahlungsmittelverkehr<br />
zu analysieren würde<br />
den Rahmen hier sprengen. Es sollte<br />
genügen, dass durch den Krieg mit seinen<br />
Misserfolgen eine große Unruhe im<br />
deutschen Volk geschaffen wurde. Die<br />
Folge war eine Zurückhaltung von Bargeld.<br />
Angst vor der Zukunft kam auf. Im<br />
Zahlungsverkehr fehlte nun dieses Geld.<br />
Durch diese Verknappung war die Reichsbank<br />
gezwungen gegenzusteuern, und so<br />
kam es zur Vermehrung der Herstellung<br />
von Reichsbanknoten.<br />
Steuerflucht, Kapitalverlagerung ins Ausland,<br />
Erhöhung der Löhne, Gehälter und<br />
anzeige<br />
Geschichte<br />
5
Görlitzer Papier-Notgeld –<br />
Papier-Notgeld<br />
Warenpreise brachten das Währungsgefüge<br />
völlig durcheinander.<br />
Die benötigte Menge an Zahlungsmitteln<br />
herzustellen, schaffte die Reichsbank<br />
nicht mehr. Es wurden Städte, Gemeinden<br />
und private Einrichtungen beauftragt, zusätzliche<br />
Zahlungsmittel zu schaffen, um<br />
zu helfen, die dringenden Bedürfnisse zu<br />
befriedigen.<br />
Durch das Darlehnskassengesetz vom<br />
4. August 1914 wurden Darlehnskassen<br />
geschaffen, die gegen Verpfändung von<br />
Waren und Wertpapieren Darlehen gewähren<br />
konnten. Die Deckung beruhte<br />
im zunehmenden Maße auf Zahlungsversprechungen<br />
des Staates.<br />
Die „Darlehnskassenscheine“ stellten uneingelöstes<br />
Papiergeld mit staatlichem<br />
Zwangskurs dar und wurden von allen<br />
staatlichen Kassen zum Nennwert in Zahlung<br />
genommen. Sie waren zwar kein gesetzliches<br />
Zahlungsmittel, kursierten aber,<br />
wegen der kleinen Nennwerte, in großen<br />
Mengen bei den Werktätigen.<br />
Ab 1916 reichten die Einnahmen des<br />
Deutschen Reiches aus den Kriegsanleihen<br />
nicht mehr aus, um die Ausgaben zu<br />
decken. Der Staat nahm deshalb bei der<br />
Reichsbank Kredite auf, die er während<br />
des Krieges nicht zurückzahlen konnte.<br />
Der Hintergrund war, mit dem geborgten<br />
Geld den Krieg zu führen und zu gewinnen<br />
und dann die Schulden mit dem Geld<br />
fremder Völker zu tilgen. Aber es kam anders.<br />
Die Begrenzung der Ausgaben von<br />
1,5 Milliarden Mark wurde 1916 bereits<br />
überschritten und erreichte Ende 1918 die<br />
Größe von 10,1 Milliarden Mark. Darlehnskassenscheine<br />
wurden in der Zeit von<br />
1914 bis 1922 ausgegeben.<br />
Ebenfalls am 4. August 1914 hoben der<br />
Reichstag und die Reichsregierung die<br />
Einlösepflicht der Banknoten (von 1875<br />
bis 1914) in Goldmünzen auf. Die Goldmünzen<br />
aus Privathand wurden weitestgehend<br />
eingezogen. Stattdessen wurden<br />
verstärkt Geldscheine ausgegeben. Der<br />
Wert des Geldes sank und die Preise stiegen,<br />
weil der Geldumlauf ausgeweitet und<br />
der Massenkonsum eingeschränkt wurde.<br />
Die hohen Kriegskosten bewirkten eine erhöhte<br />
Geldscheinemission. Am Ende des<br />
Krieges hatte die deutsche Währung etwa<br />
die Hälfte ihres Wertes verloren. Es wurde<br />
anzeige<br />
6<br />
Geschichte
und andere Papierersatzzahlungsmittel (1914 - 1924)<br />
Görlitzer Papier-Notgeld<br />
Durch die Inflation waren diese Scheine fast wertlos.<br />
versucht, die Kosten des Krieges mit Hilfe<br />
der Inflation in der Nachkriegszeit (Ende<br />
1918 bis Ende 1923) auf die Schultern des<br />
Volkes abzuwälzen. Dementsprechend<br />
wurden verschiedene Bankgesetze von<br />
1875 geändert. „Die im Krieg noch verschleierte<br />
Inflation brach 1919 offen aus,<br />
und ab Herbst 1921 ging die Entwertung<br />
der Mark in immer größer werdendem<br />
Tempo voran. Die Löhne und Renten blieben<br />
weit hinter den schnell steigenden<br />
Warenpreisen zurück.<br />
Im <strong>Mai</strong> 1922 gab die Reichsbank bereits<br />
Noten zu 10.000 Mark in den Umlauf, im<br />
anzeige<br />
Geschichte<br />
7
Görlitzer Papier-Notgeld –<br />
Papier-Notgeld<br />
Geldscheine der Inflation<br />
August schon einseitig bedruckte Banknoten<br />
zu 1 Million, ab September 1923<br />
Billionen-Mark-Noten.<br />
Das Geld entwertete sich von Tag zu Tag,<br />
ja man kann sagen von Stunde zu Stunde<br />
um die Hälfte und mehr. Eingenommenes<br />
Geld wurde sofort wieder ausgegeben.<br />
Einen schnelleren Geldumlauf als im Jahr<br />
1923, in der Zeit der Inflation, hat es nie<br />
gegeben.“<br />
„Zur Festigung der Währung wurde die<br />
Rentenmark geschaffen. Zu dieser Zeit<br />
anzeige<br />
8<br />
Geschichte
und andere Papierersatzzahlungsmittel (1914 - 1924)<br />
Görlitzer Papier-Notgeld<br />
Geldscheine der Inflation<br />
waren 4,2 Billionen Papiermark einen Dollar-<br />
wert bzw. eine Billion Papiermark =<br />
eine Mark der Vorkriegszeit. Mit dem 20.<br />
November 1923 wurde nun der neue Kurs<br />
verkündet, der da lautet:<br />
1 Rentenmark = 1 Billion Papiermark =<br />
10/ 42 Dollar.<br />
Später legte am 30.8.1924 das Münzgesetz<br />
für die neue Einheit den Namen<br />
Reichsmark fest, welcher dann bis 1948<br />
beibehalten wurde.<br />
Nach der Stabilisierung der Währung im<br />
November 1923 liefen die höheren Milliarden-<br />
und die Billionen-Scheine noch neben<br />
den Renten- und den ab November<br />
1924 ausgegebenen Reichsmarkscheinen<br />
bis Ende 1924/Anfang 1925 um.“<br />
anzeige<br />
Geschichte<br />
9
Görlitzer Papier-Notgeld –<br />
Papier-Notgeld<br />
Diese Ausgaben erfolgten durch die deutsche Rentenbank<br />
(1923-1937)<br />
Diese Ausgaben erfolgten durch die deutsche Rentenbank<br />
(1923-1937)<br />
Die Geschichte der Stadt Görlitz in<br />
Fakten und Zahlen<br />
Görlitz, die Stadt an der Neiße, liegt mitten<br />
im Herzen Europas auf dem 15. Längengrad,<br />
dem Meridian, der genau die<br />
mitteleuropäische Zeit angibt. Im Machtbereich<br />
der Markgrafen von Meissen kam<br />
Görlitz als slawisches Dorf Goreliz 1071<br />
zur erstmaligen Erwähnung. Im Mittelalter<br />
kreuzten hier wichtige Handelsstraßen.<br />
Einmal war es die von Frankfurt/M<br />
über Leipzig nach Breslau und zum anderen<br />
die Nord-Süd-Straße von der Ostsee<br />
nach Böhmen.<br />
Nach Bildung einer Kaufmannssiedlung<br />
mit Nikolaikirche um 1150 entwickelte<br />
sich Görlitz um 1220 zu einer planmäßig<br />
angelegten Stadt um den Untermarkt mit<br />
Peterskirche.<br />
Das Land kam 1253 an Brandenburg. In<br />
der Zeit von 1268 bis ca. 1319 ließen askanische<br />
Markgrafen für die Oberlausitz<br />
Brakteaten schlagen. Das Münzrecht hatte<br />
die Stadt im 15./16. Jahrhundert, verlor<br />
es aber 1547. Zum Schutz gegen Feinde<br />
wurde 1346 der Sechsstädtebund zwischen<br />
Bautzen, Görlitz, Lauban (Luban),<br />
Löbau, Kamenz und Zittau gegründet.<br />
Dieser Bund entwickelte sich zu einem<br />
staatlichen Gebilde von großer Macht.<br />
Ab 1329 gehörte die Oberlausitz wieder<br />
zu Böhmen und ab 1635 zu Kursachsen.<br />
Diese Einflüsse sind an gotischen Kirchen,<br />
anzeige<br />
10<br />
Geschichte
und andere Papierersatzzahlungsmittel (1914 - 1924)<br />
Görlitzer Papier-Notgeld<br />
Tortürmen, dem Rathaus, Renaissanceund<br />
Barockhäusern in der Stadt vielfältig<br />
zu sehen.<br />
Sie zeigen noch heute den Reichtum der<br />
Stadt aus dieser Zeit, und mit Ergänzung<br />
des Jugendstils prägen sie das Stadtbild.<br />
1815 wird Görlitz, im Ergebnis des Wiener<br />
Kongresses, preußisch, und nimmt einen<br />
gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung.<br />
1945 kommt es zur Teilung von Görlitz in<br />
einen polnischen Teil (Zgorzelec) und einen<br />
deutschen Teil durch die Bestimmung<br />
der Lausitzer Neiße als Grenze zwischen<br />
Deutschland und Polen durch das Potsdamer<br />
Abkommen von 1945. Die Stadt zählte<br />
im Jahr 1918 etwa 81.700 Einwohner,<br />
2005 waren es ca. 58.000 Einwohner.<br />
Görlitz mit den vielen Kulturdenkmälern<br />
(ca. 4000) gilt als Bilderbuch der Geschichte<br />
und als eine der schönsten Städte<br />
Deutschlands im Land Sachsen.<br />
Die Finanzlage in Görlitz in der Zeit<br />
von 1914 bis 1923<br />
Görlitz ging es bei Ausbruch des Ersten<br />
Weltkrieges im August 1914 nicht<br />
schlecht. Die Einkünfte aus einem großen<br />
Forst, den reichlichen Steuern der Rentner<br />
und den Einnahmen aus einer gut<br />
gehenden Industrie trugen entscheidend<br />
zum Wohlstand der Stadt bei.<br />
Nun aber änderte sich das Bild. Der Krieg<br />
beeinflusste und änderte das Leben der<br />
Görlitzer Bevölkerung erheblich.<br />
Der Krieg kostete Geld, viel Geld. Die<br />
Kunden der Görlitzer Sparkassen z. B.<br />
zeichneten für Kriegsanleihen ca. 20,2<br />
Millionen und die Sparkasse selbst sogar<br />
für 33,5 Millionen Mark. Man glaubte sein<br />
Geld sicher angelegt zu haben.<br />
Gold- und Silbermünzen verschwanden<br />
aus dem Verkehr. Sie wurden eingezogen<br />
gegen Papiergeld oder verschwanden zunächst<br />
noch in Sparstrümpfen. Mit dem<br />
Fortschreiten der Inflation verschwand<br />
das Vermögen der Ruheständler. Die<br />
sinkenden Zuschüsse des Staates an die<br />
Stadt sowie die hohe Arbeitslosigkeit verschärften<br />
die Situation des Görlitzer Finanzwesens<br />
bedeutend.<br />
Aus dem Verwaltungsbericht der Stadt<br />
Görlitz für die Jahre 1914-1927 auf Seite<br />
68 geht hervor: „Die Reingewinne während<br />
der Nachkriegszeit, die sich aller-<br />
anzeige<br />
Geschichte<br />
11
Görlitzer Papier-Notgeld –<br />
Papier-Notgeld<br />
dings nur als Scheingewinne erwiesen,<br />
stellten sich<br />
im Jahre 1919/20 auf rund 384.000 Mark<br />
im Jahre 1920/21 auf rund 378.000 Mark<br />
im Jahre 1921/22 auf rund 637.000 Mark<br />
im Jahre 1922 auf rund 1.969.000 Mark<br />
im Jahre 1923 auf rund 6.566.226 Mrd.<br />
Mark dar.“<br />
Sinngemäß lesen wir weiter:<br />
„Die Geldentwertung, die im Jahre 1919<br />
fühlbar einsetzte, fand im Herbst 1923 ihren<br />
Höhepunkt.<br />
Die Ausgaben gingen weit über die Einnahmen<br />
hinaus. Schwerpunkte der Ausgaben<br />
waren:<br />
a) die Aufwendungen für die Wohlfahrtspflege<br />
und die Schulen in ungeahntem<br />
Maße<br />
b) Ausgaben für die Rentner, sie hatten<br />
einen erheblichen Teil des Vermögens<br />
verloren und waren auf öffentliche Unterstützung<br />
angewiesen. Sie waren jetzt für<br />
die Stadt eine drückende Last.<br />
c) Die Finanzierung der Arbeitslosigkeit.<br />
Görlitz hatte aufgehört, eine reiche Stadt<br />
zu sein.“<br />
Auch die Münzen aus Nickel und Kupfer<br />
wurden wegen des in der Rüstungsindustrie<br />
benötigten Buntmetalls systematisch<br />
eingezogen und durch Münzen aus<br />
„Ersatzstoffen“ teilweise ausgetauscht.<br />
Die Ersatzstoffe waren u.a. verzinktes<br />
Eisen, Zink und Aluminium. Da diese Ersatzmünzen<br />
aber nicht in ausreichender<br />
Menge zur Verfügung standen, gaben<br />
Kommunalverwaltungen, Industrie- und<br />
Handelsbetriebe usw. lokal umlaufendes<br />
Notgeld heraus. Da das örtliche Notgeld<br />
meistens aus Papiergeld mit der Bezeichnung<br />
„Gutschein“, „Kriegsgeld“, „Ersatzwertzeichen“,<br />
„Scheck“ usw., seltener<br />
Hartgeld nur in Ausnahmefällen gedeckt<br />
war, schrieben die staatlichen Finanzorgane<br />
auch eine zeitlich kurzfristige Umlaufzeit<br />
vor.<br />
Die 10- bzw. 50-Pfennig- Scheine von<br />
1917 waren die ersten Notgeldscheine<br />
der Stadtgemeinde und Handelskammer<br />
Görlitz.<br />
Georg Snay, Oberbürgermeister von <strong>Mai</strong><br />
<strong>190</strong>6 bis Oktober 1927, ab 1927 Ehrenbürger<br />
der Stadt, und dem fähigen Kämmerer<br />
Dr. Georg Wiesner gelang es, wie<br />
man berichtet, durch scharfsichtiges Han-<br />
anzeige<br />
12<br />
Geschichte
und andere Papierersatzzahlungsmittel (1914 - 1924)<br />
Görlitzer Papier-Notgeld<br />
Gold- und Silbermünzen des Königreiches Preußen im deutschen Kaiserreich<br />
anzeige<br />
Geschichte<br />
13
Görlitzer Papier-Notgeld –<br />
Papier-Notgeld<br />
Nickel- und Kupfermünzen des Deutschen Reiches<br />
Ersatzmünzen des Ersten Weltkrieges,<br />
aus Aluminium, Eisen und Zink.<br />
deln und durch das Treffen schmerzhafter<br />
und manchmal unpopulärer Entscheidungen<br />
diese Situation bis zum Ende der<br />
zwanziger Jahre zu verbessern.<br />
1922 begann die Notgeldausgabe mit den<br />
größeren Werten ab 500 Mark. Sie sollten<br />
ebenfalls dem Mangel an Zahlungsmitteln<br />
abhelfen. Es gelang nur unzureichend. Bis<br />
zum Ende der Inflation steigerten sich die<br />
Werte bis November 1923 zu Ausgaben<br />
von 50 und 100 Milliarden Mark.<br />
Trotz der angespannten Lage wurden Aktien<br />
erworben. Beispiel ist eine Aktie über<br />
1000 Mark vom September 1923 des<br />
Waaren-Einkaufs-Verein zu Görlitz A.-G.<br />
Ersatzmünzen- und Inflationsmünzen aus<br />
Aluminium (1919-1923)<br />
mit den zugehörigen Gewinnanteilscheinen.<br />
Neben den Ausgaben der Stadtverwaltung<br />
kamen auch Ausgaben von Betrieben und<br />
anderen Einrichtungen in den Umlauf. Es<br />
waren zum Beispiel Braunkohlen- und Brikettvertrieb<br />
Oberlausitz GmbH, Görlitzer<br />
Nachrichten und Anzeiger, Görlitzer Kreisbahn<br />
usw.. Auch diese Ausgaben sollten<br />
den Bedarf der benötigten Finanzmittel<br />
decken, was nur ungenügend gelang.<br />
Darüber hinaus wurden auch „Ausweise“<br />
für Brot, Mehl, Zwieback, Kartoffeln, Butter,<br />
Fleisch, aber auch Kohlenkarten usw.<br />
ausgegeben.<br />
anzeige<br />
14<br />
Geschichte
und andere Papierersatzzahlungsmittel (1914 - 1924)<br />
Görlitzer Papier-Notgeld<br />
Notgeldscheine der Stadtgemeinde und<br />
Handelskammer Görlitz<br />
Besonders diese Notgeldausgaben der<br />
verschiedensten privaten Einrichtungen<br />
sind einer näheren Betrachtung wert, da<br />
sie viel über die jeweilige Einrichtung und<br />
das Leben in und um Görlitz aussagen.<br />
Auch die künstlerische Gestaltung, die oft<br />
auch gleichzeitig zur Fälschungssicherheit<br />
beiträgt, ist zu beachten. So gesehen<br />
haben diese Notgeldscheine auch eine besondere<br />
kulturgeschichtliche Bedeutung.<br />
Selbst Briefmarken erreichten fantastische<br />
Nominale und wurden teilweise auch als<br />
Zahlungsmittel, also nicht nur für Briefpost,<br />
benutzt.<br />
Als ein Notgeld ganz besonderer Art stellten<br />
sich mir die Wertscheine dar, die von<br />
der damaligen Bruderschaft „Zoar“ in Rothenburg/OL,<br />
der Geburtsstätte der alten<br />
„Rothenburger“, herausgegeben worden<br />
sind. „Zoar“ mit seinen Häusern der Barmherzigkeit<br />
war eine überaus segensreich<br />
wirkende Wohltätigkeitsanstalt. Deren<br />
Hilfe galt den Alten und Behinderten sowie<br />
anderen Menschen. Da sie auf milde<br />
Gaben angewiesen waren, bezeichneten<br />
sie die von ihnen herausgegebenen Geldscheine<br />
mit vollem Recht als „Wohltätigkeitsgeld“<br />
in der bestimmten Erwartung,<br />
dass die Erwerber dieser Scheine sie dann<br />
auch lediglich als Quittung für ihre Beihilfe<br />
zu jenen Werken der Barmherzigkeit betrachten.<br />
(Fortsetzung folgt)<br />
Quelle: Heinz Schnabel<br />
Görlitzer Papier-Notgeld<br />
anzeige<br />
Geschichte<br />
15
Emil Krebs. An den Grenzen der Genialität –<br />
Krebs<br />
Das Kulturreferat für Schlesien am<br />
Schlesischen Museum zu Görlitz und das<br />
Augustum-Annen-Gymnasium in Görlitz<br />
präsentieren die Ausstellung Emil<br />
Krebs. An den Grenzen der Genialität<br />
in der Annenkapelle in Görlitz. Der<br />
aus Niederschlesien stammende Emil<br />
Krebs gilt bis heute als eines der größten<br />
Sprachwunder der Menschheitsgeschichte.<br />
Er beherrschte über 60 Sprachen in<br />
Wort und Schrift, befasst hat er sich mit<br />
über 100 Sprachen und Dialekten.<br />
Geboren 1867 in Freiburg/Schlesien<br />
(heute Świebodzice), besuchte er das<br />
Evangelische Gymnasium in Schweidnitz<br />
(Świdnica), das er als Abiturient mit<br />
12 Fremdsprachen verließ. Die meisten<br />
lernte er als Autodidakt. Nach dem<br />
Theologie- und Jurastudium und paralleler<br />
Ausbildung zum Dolmetscher in<br />
Chinesisch und Türkisch trat er 1893 in<br />
den Auswärtigen Dienst ein und wurde<br />
als Dolmetscher nach Peking entsandt.<br />
Dort blieb er fast 25 Jahre lang, bevor<br />
er 1917 nach Berlin zurückkehrte und<br />
bis zu seinem plötzlichen Tod durch<br />
Gehirnschlag im Jahre 1930 Mitarbeiter<br />
des Sprachendienstes des Auswärtigen<br />
Amtes war. Hier übersetzte er amtliche<br />
Texte aus fast 40 Sprachen und ersetzte<br />
somit 30 Mitarbeiter, wie der damalige<br />
Leiter des Sprachendienstes, Paul Gautier,<br />
begeistert erklärte.<br />
Die deutsch-polnische Ausstellung wurde<br />
von Eckhard Hoffmann, dem Großneffen<br />
von Emil Krebs und der Miejska<br />
Biblioteka Publiczna in Świdnica (Stadtbibliothek<br />
Schweidnitz) mit Unterstützung<br />
des Leiters des Sprachendienstes<br />
des Auswärtigen Amtes Gunnar Hille<br />
und des Historikers Sobiesław Nowotny<br />
erarbeitet. Eckhard Hoffmann und Gunnar<br />
Hille sind bei der Eröffnung am<br />
2. <strong>Mai</strong> um 15 Uhr dabei.<br />
Das Begleitprogramm zur Ausstellung<br />
entsteht in Kooperation mit der Volkshochschule<br />
Görlitz, dem Förderverein<br />
des Augustum-Annen-Gymnasiums und<br />
Senfkorn-Reisen. Am 25. <strong>Mai</strong> führt Iza<br />
Liwacz von Senfkorn Reisen eine Exkursion<br />
Auf den Spuren von Emil Krebs<br />
in Schlesien. Weitere Informationen<br />
dazu unter info@senfkornreisen.de und<br />
03581 400520.<br />
anzeige<br />
16<br />
Ausstellung
Ausstellung<br />
Emil Krebs<br />
Emil Krebs, Ausschnitt aus einer Ausstellungstafel, © Miejska Biblioteka Publiczna w Świdnicy.<br />
Die Ausstellung wird vom 2. bis 29.<br />
<strong>Mai</strong> <strong>2019</strong> in der Annenkapelle in Görlitz<br />
(Annengasse/Steinstraße) präsentiert.<br />
Öffnungszeiten: täglich von 12 bis 18<br />
Uhr, Eintritt frei.<br />
Weitere Informationen unter<br />
www.schlesisches-museum.de.<br />
Ausstellung<br />
17
Geschichte der Stadt Görlitz –<br />
Die Stadt ist eine jüngere Siedelungsform<br />
als das Dorf. Sie ist gleichsam die<br />
wirtschaftliche Zusammenfassung der<br />
umliegenden Ortschaften. Daher ist es<br />
unumgänglich nötig, der Zeit zu gedenken,<br />
wo in der Gegend der späteren<br />
Stadt Görlitz es nur Dörfer und Weiler<br />
gab, und die Umstände zu betrachten,<br />
die zur Gründung der Stadt führten.<br />
Die Stadt Görlitz liegt in der Oberlausitz<br />
und zwar in der Ostoberlausitz. Diese<br />
Gegend aber ist ursprünglich ein besonderer<br />
Gau des Landes neben dem<br />
Westgau gewesen. Der Westgau hieß<br />
Milzane, der Ostgau Besunzane.<br />
Der letztgenannte aber hatte etwa zwei<br />
Stunden südlich der späteren Stadt Görlitz<br />
noch einen anderen Nachbargau,<br />
der sich erst im 13. Jahrhundert mit den<br />
beiden andern vereinigte, den Zagost.<br />
Diese Dreiteilung unserer Oberlausitz<br />
schlug bis in das 13. Jahrhundert, ja bis<br />
in unsere Zeit ihre Wellen. Die Besiedlung<br />
des Ostgaues ist natürlich durch<br />
die Gestaltung und Beschaffenheit des<br />
Bodens bedingt. Das Land zwischen<br />
dem Löbauer Wasser und dem Queiß<br />
mit der Mittelachse des Neißeflusses ist<br />
eine Abdachung des Lausitzisch-Böhmischen<br />
Grenzgebirges. Aus ihr heben sich<br />
einzelne Kuppen hervor, so der Rotstein,<br />
der Paulsdorfer Spitzberg, der Friedersdorfer<br />
Berg, die Jauernicker Berge, die<br />
Landeskrone, der Schönberg, der Steinberg<br />
bei Lauban, das Königshainer Gebirge,<br />
das eine größere Ausdehnung<br />
zeigt, und die Kieslingswalder-Grunaer<br />
Berge.<br />
Um diese Berghöhen und eingerissenen<br />
Flußbetten liegt fruchtbarer zum Teil<br />
schwer zu bearbeitender Boden. Wo die<br />
Anhöhen aufhören und die Flüsse und<br />
Bäche in ebenes Land treten, fängt das<br />
Gebiet der Heide, der Kiefernwaldung,<br />
an. Hier beginnt der Sandboden, der für<br />
den Ackerbau zwar leicht zu bearbeiten,<br />
aber weniger fruchtbar ist.<br />
Die ältesten Siedelungen zeigen sich<br />
durch Urnenfriedhöfe an, und da ergibt<br />
sich die Tatsache, je näher wir dem Gebirge<br />
kommen, um so weniger war in<br />
diesen alten vorgeschichtlichen Zeiten<br />
das Land bewohnt, nur an den Flüssen<br />
zeigten sich auch hier mehrere Ansie-<br />
anzeige<br />
18<br />
Geschichte
I. Die Zeiten bis zur Kolonisation<br />
der Stadt Görlitz<br />
Erste Ansiedlung (Dorfanlage), Zeichnung Otto Engelhardt-Kyffhäuser, 1927<br />
delungen. Während die Westoberlausitz<br />
um Bautzen herum bereits in der jüngeren<br />
Steinzeit (etwa 5000-2000 v. Chr.)<br />
Spuren von menschlicher Siedelung<br />
aufweist, fehlen solche im Lande Görlitz;<br />
dagegen haben hier die ersten Metallzeiten,<br />
die Bronzezeit und die etwa<br />
1000 v. Chr. einsetzende früheste Eisenzeit,<br />
in Gräbern genügsam Überbleibsel<br />
hinterlassen. Man unterscheidet dabei<br />
die Gefäße und Beigaben des sogenannten<br />
älteren und jüngeren Lausitzer<br />
Typus, die in ihrer großen Mannigfaltigkeit<br />
und ihrem Formenreichtum in den<br />
Museen der Sechsstädte bequem angeschaut<br />
werden können.<br />
anzeige<br />
Geschichte<br />
19
Geschichte der Stadt Görlitz –<br />
Auch bei Görlitz auf der Rothenburger<br />
Straße, also auf einem Gelände, das der<br />
Dorfanlage benachbart ist, wurden zu<br />
verschiedenen Zeiten 6 Urnen ausgegraben,<br />
die der vorslawischen Bevölkerung<br />
angehörten. Welches Volk oder welche<br />
Völker diese Urnengräber angelegt und<br />
wie weit in Sonderheit diese Grabstätten<br />
sich zeitlich nach der Gegenwart zu<br />
erstreckten, ist umstritten. Die meisten<br />
Forscher nehmen an, daß den Germanen<br />
diese Gräberfelder angehörten.<br />
Sie zogen wohl schon vor unserer Zeitrechnung<br />
ab, denn in den ersten Jahrhunderten<br />
nach Christi Geburt scheint<br />
die Oberlausitz fast ganz entvölkert<br />
gewesen zu sein. Wohl in der zweiten<br />
Hälfte des 6. Jahrhunderts besetzten<br />
nun die Wenden, ein slawischer Volksstamm,<br />
unsere Oberlausitz, sie gründeten<br />
in der Westoberlausitz nördlich den<br />
Bergen dort, wo im großen und ganzen<br />
der Lößboden waldfrei war, aber auch<br />
weiter nördlich in den sandigen Strecken<br />
der Kiefernwaldungen zahlreiche<br />
kleine vielfach dicht nebeneinander<br />
liegende Siedelungen. Je weiter man<br />
aber nach Osten der Neiße und dem<br />
Queiß zu kam, verringerten sich diese<br />
wendischen Ortschaften. Den Wenden<br />
wird nun wohl auch der größte Teil der<br />
Burgwälle, deren man in der Oberlausitz<br />
etwa 100 zählte, zugeschrieben. In<br />
ihnen findet man eine besondere Art<br />
Tongeschirr, das, im Gegensatz zu dem<br />
„vorslawischen“ auf der Töpferscheibe<br />
gefertigt, rauh und ohne Überzug scharf<br />
gebrannt war. Auch in der einstigen Oelschlägergasse<br />
zu Görlitz wurden 1722<br />
zwei spät-slawische Gefäße gefunden.<br />
Ferner kamen 1790 am Schwibbogen<br />
bei der Klosterkirche tönerne Schüsseln,<br />
kleine Krüge, Trinkgefäße und dergleichen<br />
zu Tage, die man an Form und Maßen<br />
als sehr hohen Alters erkannte.<br />
Über den Zweck der Burgwälle, ob sie<br />
Wohnstätten, Kultusstätten oder nur<br />
Befestigungsanlagen gewesen waren,<br />
sind die Vorgeschichtler uneins. Soviel<br />
steht jedoch aus historischen Quellen<br />
fest, daß sie in frühgeschichtlicher Zeit<br />
bis ins 11. Jahrhundert „Fliehburgen“<br />
waren.<br />
Nun fanden sich auch an und auf der<br />
anzeige<br />
20<br />
Geschichte
I. Die Zeiten bis zur Kolonisation<br />
der Stadt Görlitz<br />
Landeskrone zwei solcher Wallanlagen.<br />
Von ihnen erzählen auch historische Berichte,<br />
und damit kommen wir von dem<br />
bis jetzt noch recht unsicheren Boden<br />
der Vorgeschichte auf das durch schriftliche<br />
Überlieferung hinlänglich klargestellte<br />
Gebiet der Geschichte, und dadurch<br />
erhalten wir auch einige Auskunft<br />
über die nahe Ortschaft Görlitz.<br />
Die Landeskrone ist das eigentliche<br />
Wahrzeichen der Oberlausitz; mag man<br />
von Nord, West, Ost oder Süd kommen,<br />
überall tritt sie in den Mittelpunkt unseres<br />
Gesichtsfeldes. Sie ist auch offensichtlich<br />
so recht geeignet, ein Schirm<br />
und Hort des Landes zu sein, trug sie<br />
doch in geschichtlicher Zeit ein festes<br />
Steinschloß. Es wäre nun seltsam, wenn<br />
Sie nicht schon früher, da es nur leicht<br />
gebaute Hütten für die Bewohner gab,<br />
die keinerlei Schutz gegen feindlichen<br />
Angriff und Brand boten, als Zuflucht<br />
gedient hätte.<br />
So schuf man dort in der Tat bei der Unsicherheit<br />
der Verhältnisse, wo tagtäglich<br />
Überfälle aus nah und fern zu gewärtig<br />
waren, zwei Verteidigungsstellen, die<br />
eine auf halber Höhe an der Südostseite<br />
nach Kunnerwitz und Pfaffendorf zu, die<br />
andere auf der Höhe um den Sattel.<br />
Beide sind von großer Ausdehnung und<br />
scheinen auch so angelegt worden zu<br />
sein, daß man beim Herannahen der<br />
Feinde beide zusammen zur Verteidigung<br />
benutzte. Das hebt die Wallanlage<br />
beträchtlich vor den andern in der Umgebung<br />
z. B. vor der in Jauernick, bei<br />
Friedersdorf, bei Schöps, in Ebersbach,<br />
auf dem Tonschieferfelsen in Görlitz bei<br />
der Peterskirche hervor. Daher war die<br />
Landeskrone wohl als eine Hauptburg<br />
des ganzen Landes zu betrachten.<br />
Und die war es auch, denn ihr alter Name<br />
Businc, Biesencz, Biesnitz, der noch heute<br />
dicht am Berge wiederklingt, kommt<br />
schon um 875, also in spätkarolingischer<br />
Zeit, in der Form Besunzane vor und zwar<br />
mit der Beifügung civitas. Civitas aber ist<br />
nicht an sich eine Feste oder Burg, sondern<br />
eine Landschaft. So haben wir also<br />
in der Landeskrone einen Gauvorort der<br />
Ostoberlausitz (des Landes Besunzane),<br />
wie ihn die Westoberlausitz (das Land<br />
Milzane) in Budissin (Bautzen) hatte.<br />
anzeige<br />
Geschichte<br />
21
Geschichte der Stadt Görlitz –<br />
Dieses wissenschaftliche Ergebnis verdanken<br />
wir vor allem einer Nachricht<br />
des für unsere Gegend so wichtigen Geschichtsschreibers<br />
Thietmar v. Merseburg<br />
(gest. 1019) aus dem Jahre 1015.<br />
Das Ereignis ist das erste, das wir aus<br />
unserer Gegend kennen und das auch<br />
unsere Stadt als jahrhundertlange Besitzerin<br />
des Berges sehr nahe angeht, und<br />
mag hier kurz erzählt werden. Im Juli<br />
1015 schickte sich Kaiser Heinrich II. an,<br />
gegen den polnischen Herzog Boleslaw<br />
I zu Felde zu ziehen. Der Kaiser durchzog<br />
selbst die Niederlausitz und rückte<br />
auf den polnischen Herzogssohn Mieszko<br />
II, der bei Krossen (castrum Crosno)<br />
stand, vor und erzwang den Übergang<br />
über die Oder. Eine südlich von Böhmen<br />
heranrückende Heerschar stand unter<br />
dem Befehle des böhmischen Herzogs<br />
Ulrich (Othelrich). Auch ihm gelang es<br />
nicht, seine Streitkräfte mit denen Heinrichs<br />
zu verbinden, wie das bereits einem<br />
von Norden her rückendem Herer<br />
versagt blieb. Doch half er ihm durch<br />
sein erfolgreiches Wirken „in der Nachbarschaft“.<br />
Er ging auf eine Burg los<br />
und nahm in ihr nicht weniger als 1000<br />
Männer samt Weibern und Kindern gefangen.<br />
Er zündete die Burg (Businc) an<br />
und kehrte als Sieger heim.<br />
Die Tatsache, daß die Böhmen in den<br />
Lutizen, die nördlich der Niederlausitz<br />
wohnten, in den Zeiten bald nach Heinrich<br />
I. immer treue Waffengefährten<br />
fanden, läßt den sicheren Schluß zu,<br />
daß Kriegshaufen von Nord und Süd unser<br />
Land durchquerten, wie man denn<br />
überhaupt aus den Geschichtsschreibern<br />
der damaligen Zeit ersieht, daß das<br />
böhmisch-lausitzische Grenzgebirge gar<br />
nicht eine so absperrende Mauer gebildet<br />
haben konnte.<br />
Freilich bequemer war immer der Verkehr<br />
von West nach Ost, und in dieser<br />
Richtung ist sicher die Ostoberlausitz<br />
auch sonst bei den Kämpfen zwischen<br />
Deutschen und Polen vornehmlich<br />
1002-1032 von Kriegsscharen durchzogen<br />
worden. Ferner hat Kaiser Otto<br />
III. im Jahre 1000, als er von Zeitz und<br />
Meißen aus über Eilau bei Sprottau nach<br />
Gnesen reiste, um dort das Grab des<br />
heiligen Adalbert zu besuchen, den Gau<br />
anzeige<br />
22<br />
Geschichte
I. Die Zeiten bis zur Kolonisation<br />
der Stadt Görlitz<br />
Milzane und so gut wie sicher auch unsere<br />
Ostoberlausitz durchzogen und die<br />
Brücke bei Görlitz überschritten.<br />
Slawische Scharen zogen ins Land und<br />
besetzten die Fluren au unserer Neiße<br />
und der Lunitz mit Strohhütten, deren<br />
Siedlung sie nach dem mächtigen Burghügel,<br />
der sich über ihnen wölbte, mit<br />
seinen verbrannten riesigen Holzmauern<br />
den Namen „Brandstätte“, in damaliger<br />
Sprache „Zgorelic“ = „Görlitz“ gaben. So<br />
entstand das alte Dorf Görlitz mit seinem<br />
Namen.<br />
Aus den ersten Jahren der Regierungszeit<br />
des jungen Ekbert II., der damals<br />
etwa 9 Jahr alt war, ist nun eine Urkunde<br />
vom 11. Dezember 1071 vorhanden, die<br />
für die Geschichte des Dorfes und somit<br />
auch der Stadt Görlitz von unschätzbarer<br />
Wichtigkeit ist. In ihr wird das Dorf<br />
Görlitz zum ersten Male erwähnt, und es<br />
wird erzählt, daß Heinrich IV. dem Stifte<br />
Meißen 8 Königshufen im Gaue „Milska,<br />
gelegen aber im Dorfe Görlitz unter der<br />
Grafschaft Eggeberts“ geschenkt habe.<br />
Diese 8 Königshufen hatte bisher ein<br />
gewisser Ozer zu Lehn. Derselbe hatte<br />
sich Vergehungen zu Schulden kommen<br />
lassen, zwar wurde ihm das Leben<br />
geschenkt, aber sein Besitz wurde beschlagnahmt.<br />
Der bisherige Besitzer Ozer war nach<br />
den damaligen Besitzverhältnissen ein<br />
Deutscher, wie denn der 1002 vorkommende<br />
Meißnische Burggraf gleichen<br />
Namens vielleicht sein Vater war. Eine<br />
Königshufe betrug gegen 50 Hektar,<br />
danach das ganze erwähnte Görlitzer<br />
Ackergebiet etwa 400 Hektar oder 1600<br />
Morgen.<br />
Die Lage dieser Ländereien läßt sich<br />
noch heute bestimmen: Das Gut Ozers<br />
entspricht nämlich dem Teile der jetzigen<br />
Görlitzer Stadtflur, der nördlich von<br />
der Heiligengrabstraße und ihrer östlichen<br />
Fortsetzung bis an die Fluren von<br />
Girbigsdorf, Ebersbach, Klingewalde,<br />
Ludwigsdorf und östlich bis zur Neiße<br />
reicht.<br />
Mit der Schenkung wurde nun der Bischof<br />
von Meißen Herr in unserem<br />
Görlitz, und zwar besaß er das Dorf<br />
zu Eigen (nicht zu Lehn). Der Bischof<br />
Benno, der von 1066-1106 auf dem<br />
anzeige<br />
Geschichte 23
Geschichte der Stadt Görlitz –<br />
Urkunde aus dem Jahr 1071, die der deutsche König Heinrich IV. mit Monogram und Siegel austellte.<br />
meißnischen Bischofstuhle saß, gilt als<br />
der eigentliche Apostel der Sorben und<br />
wird auch - und sicher mit Recht - als<br />
Gründer von Kirchen in der Oberlausitz<br />
gerühmt. Da kann man nun mit größter<br />
Wahrscheinlichkeit annehmen, daß er<br />
einen Teil dieses neuen großen Besitzes,<br />
der allerdings nach dem Wortlaute<br />
der Urkunde nicht als Tafel sondern als<br />
Kapitalgut anzusprechen sind, dazu ver-<br />
anzeige<br />
24<br />
Geschichte
I. Die Zeiten bis zur Kolonisation<br />
der Stadt Görlitz<br />
wendet hat, auch hier eine Kirche erstehen<br />
zu lassen. Daß das sofort geschehen<br />
sei, ist deshalb unwahrscheinlich,<br />
weil bald (1073) der verheerende Krieg<br />
Heinrichs mit den Sachsen begann und<br />
Benno in ihm sich feindlich gegen den<br />
Kaiser stellte. Wenn er nun auch 1087<br />
Verzeihung erhielt, so ließen doch die<br />
Wirrnisse in Meißen und in der Oberlausitz<br />
nicht recht zu Atem kommen. So<br />
mag denn die neue Kirche im Dorfe Görlitz<br />
erst etwa im letzten Jahrzehnt des<br />
11. Jahrhunderts errichtet worden sein.<br />
Es ist die noch in der Vorstadt bestehende<br />
Nikolaikirche. Das führt darauf, die<br />
Frage zu stellen: Wann drang zuerst das<br />
Christentum in unsere Gegend?<br />
Das Christentum ist in die Oberlausitz<br />
erst mit der Eroberung des Landes<br />
durch die Deutschen eingeführt worden.<br />
Zwar wird bis in die Neuzeit behauptet,<br />
daß Cyrill (Konstantin) und Methodius,<br />
Mährens berühmte Apostel, auch den<br />
Wenden in der Oberlausitz die Heilslehre<br />
gebracht hätten. Es müßte das zwischen<br />
864 bis 885 geschehen sein. Nun<br />
ist aber nach was wir wissen, Method,<br />
von Cyrill (gest. 869) ganz zu geschweigen,<br />
nun und nimmer der eigentliche<br />
Begründer des Christentums in Böhmen<br />
gewesen, noch viel weniger kann er<br />
in der noch entfernter von Mähren liegenden<br />
Oberlausitz persönlich gewesen<br />
sein.<br />
Im 10. Jahrhundert sah es mit dem<br />
Christentum in unserer Gegend noch<br />
schlimm genug aus. Zwar waren um 970<br />
die Bistümer an der wendischen Grenze<br />
gegründet: Merseburg, Zeitz, Meißen.<br />
Aber das bekundet nicht sowohl ein Ziel,<br />
das man bei Bekehrung der Wenden erreicht<br />
hatte, sondern ein Ziel, das man<br />
erreichen wollte. Es hat noch über 200<br />
Jahre gedauert, ehe es diesen Gewalten<br />
gelang, eine eigentliche kirchliche Organisation<br />
zuwege zu bringen.<br />
Fortsetzung folgt!<br />
Quelle: Geschichte der Stadt Görlitz<br />
von Dr. Richard Jecht, 1922-1926<br />
anzeige<br />
Geschichte 25
Rollendes Jubiläum –<br />
Waggonbau Görlitz<br />
Seit 1849 werden im Görlitzer Bombardier<br />
Werk Schienenfahrzeuge gebaut.<br />
Damit schrieb das Unternehmen ein<br />
Stück Eisenbahngeschichte mit. Alles<br />
begann vor 170 Jahren mit dem Bau<br />
eines einfachen Holzwagens und einer<br />
Vision des Gründers Christoph Lüders.<br />
Von den ersten Salonschlafwagen für<br />
anzeige<br />
26<br />
Jubiläum
170 Jahre Schienenfahrzeuge in Görlitz<br />
Waggonbau den kaiserlichen Hofzug bis zur Entwicklung<br />
der modernen Doppelstocktriebzüge<br />
wurde und wird hier für die Schiene<br />
gebaut. Die Mitarbeiter sind hier teils in<br />
der dritten und vierten Generation tätig<br />
und sorgten mit ihrem unermüdlichen<br />
Engagement dafür, dass das Görlitzer<br />
Unternehmen bewegte Zeiten überstan-<br />
anzeige<br />
Jubiläum<br />
27
Rollendes Jubiläum –<br />
Waggonbau Görlitz<br />
den hat. Dabei waren und sind die Waggonbauer<br />
eng mit der Stadt, der Region<br />
und dem Freistaat Sachsen verbunden.<br />
Kernprodukt des Görlitzer Bombardier<br />
Werkes sind bis heute die Doppelstockwagen,<br />
deren Erfolgsgeschichte 1936<br />
mit dem Bau der Doppelstockwagen für<br />
die Lübeck Büchener Eisenbahn begann.<br />
anzeige<br />
28<br />
Jubiläum
170 Jahre Schienenfahrzeuge in Görlitz<br />
Waggonbau Mit lokalem Know-how, kontinuierlichen<br />
Innovationen, engagierter Teamarbeit<br />
und klarer Vision für die Zukunft wurden<br />
diese Produkte weiterentwickelt<br />
und befördern heute Millionen Passagiere<br />
in Deutschland, Europa und Teilen<br />
der Welt komfortabel und sicher an ihre<br />
Wunschziele.<br />
anzeige<br />
Jubiläum<br />
29
Rollendes Jubiläum<br />
Waggonbau Görlitz<br />
Heute ist das Werk auf die Fertigung von<br />
Großbaugruppen, Rohbauten, den kompletten<br />
Farb- und Klebeprozess sowie<br />
abgestimmten Innenausbauanteilen für<br />
das Bombardier-Netzwerk und externe<br />
Kunden spezialisiert. Gefertigt werden<br />
ein- und doppelstöckige Fahrzeuge aus<br />
Stahl, Nirosta und Aluminium für den<br />
Nah-, Regional- und Fernverkehr.<br />
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />
des Görlitzer Bombardier Werkes sind<br />
stolz auf 170 Jahre Schienenfahrzeugbau.<br />
Und das wird gefeiert! Am 25. <strong>Mai</strong><br />
<strong>2019</strong> öffnet das Werk seine Tore<br />
und lädt alle Interessenten zu einem<br />
Tag der offenen Tür ein.<br />
Ab 12 Uhr können interessierte Besucher<br />
einen bunten Tag erleben:<br />
- mit Werksrundgängen<br />
- Kinderattraktionen<br />
(basteln und bewegen)<br />
- Fahrzeugausstellung mit aktuellen<br />
Fahrzeugen der laufenden Aufträge<br />
- einer historischen Ausstellung in der<br />
Kantine<br />
- einer Präsentation der Freiwilligen<br />
Feuerwehr Görlitz<br />
- Musik und Bühnenprogramm<br />
- vielfältigen kulinarischen Angeboten<br />
- parallel öffnet am späten Nachmittag<br />
das Nostromo in unmittelbarer Nähe<br />
des Werksgeländes seine Pforten – 20<br />
Jahre Nostromo<br />
anzeige<br />
30<br />
Impressum:<br />
Herausgeber (V.i.S.d.P.):<br />
incaming media GmbH<br />
Geschäftsführer:<br />
Andreas Ch. de Morales Roque<br />
Carl-von-Ossietzky Str. 45<br />
02826 Görlitz<br />
Ruf: (03581) 87 87 87<br />
Fax: (03581) 40 13 41<br />
info@stadtbild-verlag.de<br />
www.stadtbild-verlag.de<br />
Geschäftszeiten:<br />
Mo. - Fr. von 9.00 bis 17.00 Uhr<br />
Druck:<br />
Graphische Werkstätten Zittau GmbH<br />
Verantw. Redakteur:<br />
Andreas Ch. de Morales Roque<br />
(Mitglied im Deutschen<br />
Fachjournalistenverband)<br />
Redaktion:<br />
Dr. Ernst Kretzschmar<br />
Dipl. - Ing. Eberhard Oertel<br />
Dr. Ingrid Oertel<br />
Bertram Oertel<br />
Anzeigen verantw.:<br />
Dipl. - Ing. Eberhard Oertel<br />
Mobil: 0174 - 31 93 525<br />
Teile der Auflage werden auch<br />
kostenlos verteilt, um eine größere<br />
Verbreitungsdichte zu gewährleisten.<br />
Für eingesandte Texte & Fotos<br />
übernimmt der Herausgeber keine<br />
Haftung. Artikel, die namentlich<br />
gekennzeichnet sind, spiegeln<br />
nicht die Auffassung des Herausgebers<br />
wider. Anzeigen und redaktionelle<br />
Texte können nur nach<br />
schriftlicher Genehmigung des Herausgebers<br />
verwendet werden.<br />
Anzeigenschluss für die Juni-Ausgabe:<br />
15. <strong>Mai</strong> <strong>2019</strong><br />
Redaktionsschluss: 20. <strong>Mai</strong> <strong>2019</strong><br />
Jubiläum