02.02.2023 Aufrufe

101 Monologe

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Herausgegeben

von Eva Spambalg

und Uwe Berend

101

MONOLOGE

Zum Vorsprechen, Studieren

und Kennenlernen

HHENSCHEL

E N S C H E L


101 Monologe

Zum Vorsprechen, Studieren und

Kennenlernen

Herausgegeben von

Eva Spambalg und Uwe Berend

HENSCHEL


5

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Monologe

Aischylos

Die Perser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.dnb.de abrufbar.

Die Verwertung der Texte und Bilder, auch auszugsweise, ist ohne

Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies

gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen

und für die Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-89487-445-2

© 2010, 2018 by Henschel Verlag

© 2021, 2022 by Henschel Verlag

in der E. A. Seemann Henschel GmbH & Co. KG, Leipzig

Die Schreibweise entspricht den Regeln der neuen Rechtschreibung.

Lektorat: Christiane Landgrebe

Umschlaggestaltung: Ingo Scheffer, Berlin

Titelbild: © Iko Freese / DRAMA

Satz und Gestaltung: Grafikstudio Scheffer, Berlin

Printed in the EU

www.henschel-verlag.de

Sophokles

Antigone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

Elektra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

Euripides

Medea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

Iphigenie in Aulis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

Elektra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

Die Bakchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

Lope de Vega

Die kluge Närrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

William Shakespeare

Hamlet, Prinz von Dänemark . . . . . . . . . . . 42

König Lear . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

Romeo und Julia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

Was ihr wollt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

Der Sturm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

Der Kaufmann von Venedig . . . . . . . . . . . . 62

Wie es euch gefällt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

Das Wintermärchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

Die beiden Veroneser . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

Macbeth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72


6 Inhalt

Inhalt

7

Timon von Athen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

König Richard II. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

Tirso de Molina

Don Juan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

Don Gil von den grünen Hosen . . . . . . . . . 85

Molière

Der Menschenfeind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

Tartuffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

Pierre Carlet de Chamblain de Marivaux

Unbeständigkeit auf beiden Seiten . . . . . . . 93

Carlo Goldoni

Mirandolina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

Carlo Gozzi

Turandot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

Gotthold Ephraim Lessing

Emilia Galotti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

Miss Sara Sampson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

Nathan der Weise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

Johann Wolfgang von Goethe

Faust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

Egmont . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

Iphigenie auf Tauris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

Stella . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

Jakob Michael Reinhold Lenz

Die Buhlschwester . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

Friedrich Schiller

Die Räuber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

Kabale und Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

Die Jungfrau von Orleans . . . . . . . . . . . . . . 145

Maria Stuart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

Don Carlos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

Die Verschwörung des Fiesco zu Genua . . . . 164

Heinrich von Kleist

Der zerbrochne Krug . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

Die Familie Schroffenstein . . . . . . . . . . . . . . 175

Amphitryon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

Penthesilea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

Das Käthchen von Heilbronn . . . . . . . . . . . 184

Christian Dietrich Grabbe

Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung 187

Johann Nestroy

Der Talisman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

Frühere Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

Nikolai Gogol

Die Heirat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

Georg Büchner

Dantons Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

Woyzeck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206

Leonce und Lena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

Friedrich Hebbel

Maria Magdalena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

Gyges und sein Ring . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

Iwan Turgenjew

Ein Monat auf dem Lande . . . . . . . . . . . . . . 218

Henrik Ibsen

Nora oder ein Puppenheim . . . . . . . . . . . . . 220


8 Inhalt

9

August Strindberg

Der Pelikan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

Fräulein Julie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

Oscar Wilde

Salome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230

Anton Tschechow

Drei Schwestern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

Platonov . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235

Die Möwe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238

101 Monologe

Arthur Schnitzler

Fräulein Else . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

Gerhart Hauptmann

Fuhrmann Henschel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

Frank Wedekind

Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

Frühlings Erwachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

Der Monolog ist (heutzutage) von unseren Realisten

als unwahrscheinlich verbannt worden.

Aber wenn ich ihn motiviere, wird er glaubhaft,

und ich kann ihn daher mit Vorteil benutzen.

August Strindberg 1

Hugo von Hofmannsthal

Elektra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

Anhang

Frauenrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

Männerrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270

1 Vorwort zu Fräulein

Julie (1888).

Zit. nach: Manfred

Pfister, Das

Drama. Fink,

München 1982,

S. 187.


10 Vorwort

Vorwort

11

1 Das Wort »Figur«

vermeiden wir

bewusst, da es den

Eindruck von etwas

Vorgefertigtem,

Festumrissenem

erwecken und - so

verstanden - die

Suche nach Entwikklungen

durch allzu

frühe Entscheidungen

des Spielers für

Wirkungen verstellen

könnte.

Vorwort

Dieses Buch ist als Handbuch für den praktischen Bedarf

gedacht – für alle, die den Monolog »mit Vorteil benutzen

wollen«: junge Menschen, die sich um einen Ausbildungsplatz

an einer der staatlichen oder privaten Schulen bzw.

Universitäten bewerben wollen; bereits in der Ausbildung

befindliche oder schon ausgebildete Schauspieler, die nach

Rollenmaterial zum Arbeiten, fürs Studium oder Vorsprechen

suchen; Interessenten, die sich mit dem Spielen von

Theatertexten beschäftigen möchten, und für alle Neugierigen,

die Lust haben, Stücke über die monologischen Äußerungen

ihrer Protagonisten kennen zu lernen.

Es ist eine Materialsammlung, die zum Selberlesen anregen

soll – das Lesen und Nachschlagen können wir niemandem

ersparen. Vielmehr wollen wir Neugier wecken

auf Stücke, Hilfestellung leisten beim Auswählen einer

Rolle zum Studieren, zu Vergleichen ermuntern (so gibt es

zum Beispiel ganz unterschiedliche »Elektras« von unterschiedlichen

Autoren aus unterschiedlichen Epochen zu

lesen), Phantasie in Bewegung setzen und beitragen zum

Verstehen eines Textes, vielleicht sogar Ideen zur Realisierung

initialisieren und – ohne den jeweiligen Interpretationsmöglichkeiten

vorgreifen zu wollen – Verständnis für

die emotionalen Situationen der handelnden Personen wekken.

Die einleitenden Texte, die eine erste Orientierung über

die jeweilige Situation der handelnden Personen ermöglichen

sollen, sind deshalb nicht unter einem analytisch–kritischen

Aspekt geschrieben. Eher entsprechen sie unserem

Versuch, sich dieser Situation unter dem Blickwinkel der

handelnden Person 1 zu nähern. Es ist uns klar, dass ein solches

Unterfangen mehrere gefährliche Ecken hat; zum einen

ist dieser Vorgang immer subjektiv geprägt (wir wissen,

wovon wir reden – wir sind zu zweit an der Arbeit!); zum

andern geraten wir bei der Darstellung leicht in die Gefahr

einer latenten Naivität im Ton, wenn wir es unternehmen,

die Vorgänge, die zur szenischen Situation des Monologbeginns

führen, unter dem Blickwinkel der Person zu

beschreiben. Beispiel: die handelnde Person oder Rolle

befindet sich ja oft dem Zuschauer gegenüber im Nachteil,

da ihr im Zuge der Handlung der Autor situative Informationen

vorenthält, die der Zuschauer (oder Leser) längst

erhalten hat. Das Wissen der Zuschauer entspricht somit

häufig nicht dem Wissen der handelnden Person – wir, die

Betrachter, sind also schlauer als »die Rolle« (wie übrigens

der Spieler auch!). Wir bewegen uns mit unseren Einleitungen

auf einer ständigen Gratwanderung zwischen Anteilnahme

am Zustand der handelnden Person und Versachlichung

bei der Darstellung der Vorgänge – naturgemäß gerät

man dabei einmal mehr auf die eine, mal mehr auf die andere

Seite.

Wie weit man sich einer Rollenperspektive überhaupt

annähern kann, ist von Text zu Text verschieden – nicht

zuletzt aufgrund sehr unterschiedlicher Autorenabsichten

in verschiedenen Epochen und aufgrund unseres unterschiedlichen

Nahverhältnisses zu gedanklichen und sozialen

Orten – ein Bote in der griechischen Tragödie erscheint

uns zunächst weiter entfernt als etwa Schillers Ferdinand –

bei längerer Betrachtung kann das Ergebnis genau umgekehrt

sein. Hier wird ganz deutlich, was wir oben gemeint

haben: das Nachlesen im Stück selber, das Nachschlagen in

geeigneter Sekundärliteratur (beides gehört zur spielerischen

Auseinandersetzung mit Texten) sowie die kritische

Bewertung von einem heutigen Standpunkt aus können und

wollen wir mit diesem Buch nicht ersetzen.

Die vorliegende Materialsammlung umfasst eine Auswahl

von Texten von der griechischen Antike bis zum Anfang des

zwanzigsten Jahrhunderts. Aus Platzgründen mussten wir

uns beschränken und konnten viele sehr reizvolle Rollen

nur im Anhang unterbringen. Wo es notwendig war, wurden

die abgedruckten Texte für die Rollenarbeit eingerichtet.

Die Sammlung enthält nicht nur »reine« Monologe,


12 Vorwort

Vorwort

13

1 Zit.n. Peter von

Matt, Der Mono -

log, Beiträge zur

Poetik des Dramas.

Darmstadt, Wissenschaftliche

Buch -

gesellschaft, 1976,

S. 72.

also Texte, in denen die handelnde Person tatsächlich allein

ist und sich mit sich selbst (Hamlet) oder einem imaginärem

Gegenüber (Elektra von Hofmannsthal) auseinandersetzt,

sondern auch »szenische« Monologe, also jene, in denen

die handelnde Person mit einem tatsächlichen Gegenüber

spricht, dessen Anwesenheit der Spieler mitzudenken hat

(Nora, Fräulein Julie etc.). Wir haben uns zu dieser Erweiterung

entschlossen, da sonst einige Autoren, und damit

auch wesentliche Spielweisen, hier nicht vertreten wären,

und auch deshalb, weil diese Texte als Vorsprechrollen

attraktiv und voller Spannung sind.

Ob es sinnvoll und in der Ausbildung hilfreich ist, eine

Szene zu erarbeiten, bei der es notwendig wird, sich an

einen gedachten Partner zu wenden, ist eine immer wieder

diskutierte Streitfrage; erhöhte schauspielerische Anforderungen

stellen sich bei diesem Arbeitsvorgang allemal, denn

die »Herstellung« eines solchen Gegenübers bedeutet während

des Spielens noch einmal eine zusätzliche Form von

schauspielerischer Konzentration, die nicht unbedingt

etwas mit dem Inhalt der Szene oder dem Charakter der

handelnden Person zu tun haben muss. Das »Wie« wird an

dieser Stelle entscheidend dazu beitragen, ob eine solche

Szene zur erfolgreichen Wirkung gelangen kann (siehe Versuch

einer Typologie weiter unten).

Auch ohne die oben beschriebene »Projektionsaufgabe«

eines imaginären Partners stellt die Monologsituation – ein

Mensch allein auf der Bühne – eine gehörige Anforderung

an den Spieler, und damit sind wir bei der Frage der Annäherung

an einen Text. Gottsched hat in seinem »Versuch

einer critischen Dichtkunst« das grundsätzliche Problem

des Monologs sehr treffend aufgedeckt: »Kluge Leute pflegen

nicht laut zu reden, wenn sie allein sind; es wäre denn

in besonderen Affekten, und das zwar mit wenig Worten ...

Man hüte sich also davor, so viel man kann; welches auch

mehrenteils angeht, wenn man dem Redenden nur sonst

jemand zugiebt, der als ein Vertrauter, oder Bedienter, das,

was er sagt, ohne Gefahr wissen und hören darf.« 1

Ohne diese nicht gerade ermutigende Äußerung weiter zu

erörtern, kann man doch aus ihr herauslesen, was für jede

Arbeit am Monolog wesentlich ist – nämlich, zu entde cken,

1 Peter v. Matt

beschreibt dies als

das Wesentliche

jeder Monologsituation:

»Hier und

jetzt tritt dem Helden

seine Gesellschaft

als Totum

gegenüber, mit

einem antwortenden

Gesicht«,

ebenda S. 80.

2 Wolfgang Clemen

hat in seinem Buch

über die Monologe

Shakespeares auf

die dialogische

Struktur von

Monologen hingewiesen:

»Schon in

der Tragödie vor

Shakespeare, aber

auch bereits in der

antiken Tragödie,

bei Seneca und in

den mittelalterlichen

»Mystery-

Plays« war klargeworden,

dass der

Monolog zu seiner

Verlebendigung des

imaginären Partners

bedarf. Es hatten

sich sehr verschiedene

Formen

der Anrede, der

Apostrophe und

gelegentlich auch

der fiktiven Dialogbeziehung

im

Monolog entwikkelt.

[...] Zu den

Anreden an das

eigene Ich, das eigene

Herz, kommen

Anrufe an himmlische

und irdische

Gewalten, an abwesende

und manchmal

auch an anwesende

Personen (die

außer Hörweite

sind) hinzu, an Personifikationen,

an

die Sonne, den

Mond und die Sterne,

an wirkliche

oder imaginäre

Gegenstände.«,

Wolfgang Clemen,

Shakespeares

Monologe. Piper,

München 1985,

S. 186 f.

warum es für die handelnde Person in diesem Moment

unbedingt notwendig wird, zu reden, und an welches

Gegenüber sich der Monolog richtet. Wobei mit Gegenüber

auch ein Gedanke, ein Gegenstand oder eine ganze Gesellschaft

von Menschen gemeint sein kann 1 .

Vor dem Spielen stellen sich zunächst Fragen. Es muss

verstanden und letztlich entschieden werden: Was geht im

Text vor? Was will der Text? Was will demnach die handelnde

Person, die ihn ja aus bestimmten Gründen äußert?

Welcher Art ist überhaupt der vorliegende Monolog? Das

heißt, welche Beziehungen werden im Text hergestellt?

Auf diese Fragen gibt es völlig unterschiedliche Antworten,

denn jeder Text bietet naturgemäß mehrere Lesarten

an, die zu ganz verschiedenen Interpretationen führen können.

Es gibt ja nicht »die« alleingültige Interpretation; wohl

aber exemplarische Aufführungen.

Wenn es also eine Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten

gibt und der Monolog durch den Lesenden und Spielenden

jeweils erst neu entsteht, so verlangt das vom Spieler,

der den ausgewählten Text auf der Bühne umsetzen will,

immer wieder Entscheidungen zu treffen: Zunächst muss er

versuchen, den Text zu verstehen, und er muss sich entscheiden,

wie er ihn spielen will. Um sich aber zu entscheiden,

muss er nicht nur erforschen, was im Text steht und

was der Text womöglich meint, sondern er hat außerdem

herauszufinden, um was für eine Art von Monolog es sich

überhaupt handelt. Letztlich ist die zentrale Fragestellung

fürs Spielen: an wen wendet sich die handelnde Person, wer

ist das »Gegenüber«?

Schließlich ist jeder Monolog in Wahrheit ein Dialog 2 ,

daraus erst ergibt sich die spezifische Spannung, die notwendig

ist, um zu einem theatralischen Vorgang zu kommen.

Diesen Grundgedanken finden wir schon in der attischen

Tragödie, mit der unser abendländisches Theater den

Anfang nimmt, wenn sich darin die einzelne Person dem

Chorus gegenübergestellt findet.

Ausgehend von dieser grundsätzlichen Frage nach dem

Gegenüber wollen wir im Folgenden versuchen, ohne

Anspruch auf Vollständigkeit und ganz im Hinblick auf die


14 Vorwort

Vorwort

15

1 Unsere Einteilung

geht dabei völlig

von den Erfordernissen

des Spielens

aus, die literarische

Textanalyse bedient

sich anderer, funktionaler,

Klassifikationen.

Vgl. Volker

Klotz, Geschlossenen

und offene

Form im Drama.

München 1972,

S.182 oder Manfred

Pfister, Das

Drama. Fink,

München 1982,

S. 184 ff.

Anwendbarkeit für die praktische Arbeit, einen kurzen

Überblick über die verschiedenen Formen monologischer

Situationen zu geben. 1 Dabei ist festzuhalten, dass sich

diese Monologtypen auch überlappen können, dass also für

einen Monolog mehrere der unten beschriebenen Formen

Gültigkeit haben und daher auch mehrere Spielmöglichkeiten

und Techniken anwendbar sein können:

– Monolog direkt an das Publikum: die handelnde Person

wendet sich unmittelbar (also ohne aus der Rolle herauszutreten)

an das Publikum, spricht unter Umständen einzelne

Personen im »Parterre« an; Nestroy könnte hierfür

als Beispiel gelten. Dazu gehört auch die Technik des Beiseitesprechens,

des »à part«, das während einer Szene

direkt ans Publikum adressiert wird.

Hier gibt es auch die Möglichkeit, dass der Darsteller die

Ebene der Rolle verlässt und sich zum Beispiel kommentierend

an das Publikum wendet.

Auch die »Verwandlung« des Publikums in einen oder

mehrere Partner, die zur szenischen Situation gehören,

wäre eine Variante (zum Beispiel könnte man für Ruprecht

aus dem »Zerbrochenen Krug« den Dorfrichter

Adam ins Publikum setzen).

– Monolog indirekt mit dem Publikum: die handelnde Person

wendet sich an das Publikum, ohne es persönlich

anzublicken oder anzusprechen, nimmt es gewissermaßen

in ihre Gedanklichkeit hinein (»Hamlet« in der

Inszenierung von Peter Brook hatte unvergessliche

Momente in dieser Richtung).

– Gedankenmonolog: der/die Handelnde setzt sich mit

bestimmten Gedanken, mit »sich selbst« als Gegenüber

auseinander; oft eine spannungsgeladene Pause der

Reflexion von zurückliegenden Ereignissen in Hinblick

auf kommende Entscheidungen (Hamlets Monolog nach

dem Auftritt der Schauspieler könnte hierfür ein Beispiel

sein);

– Zustandsmonolog: eigentlich ein »Gedankenmonolog«,

jedoch ohne den Schritt zur Entscheidung fürs Kommende;

beschreibt eine bestimmte Station, nachdem etwas

Bedeutendes geschehen ist (zum Beispiel Wendla in

1 »Veranschaulichung

bedeutet

gleichzeitig ›Vergegenwärtigung‹.

Die Monologe vollziehen

sich – auch

dort, wo sie Rück -

blick und Vorausschau

einbeziehen –

in einem ›Hier und

Jetzt‹«, siehe

Clemen, S. 186.

2 Zit. n. Matt, S. 75.

»Frühlings Erwachen«; sie fühlt sich völlig verändert,

kann aber nicht begreifen, was mit ihr geschehen ist).

– Monolog als Gespräch mit einem ersehnten Gegenüber,

das nicht anwesend ist; (zum Beispiel Elektras Anrufung

des Geistes ihres Vaters Agamemnon).

– Monolog als mahnendes Ritual und als Provokation für

die Mitwelt.

– Bericht an ein tatsächliches Gegenüber: Botenbericht

(zum Beispiel an Kreon); das Gegenüber ist anwesend,

seine Reaktionen müssen beachtet werden.

– Szenischer Monolog: Gesprächsmonolog des »Führenden«

in einer Szene mit einem Partner, der ursprünglich

tatsächlich anwesend ist, und dessen Text jetzt ausgelassen

wird. Dabei reagiert die »führende« Person zwar auf

die Einwürfe des Gegenübers, die ihre Haltungen beeinflussen

oder verändern, ist jedoch unbeirrbar entschieden,

zu einem bestimmten Ziel zu gelangen (siehe

»Nora« von Ibsen).

Eine genaue Überlegung, was für eine Art Person dieses

gedachte Gegenüber sein mag, ist ebenso unerlässlich,

wie die Beschaffenheit der Reaktionen, die von ihr erwartet

werden müssen, will man zu den notwendigen Handlungen

kommen, die zur Umsetzung des Textes führen

können.

Für einen solchen Monolog kann es auch besondere

Lösungen geben, vorstellbar wäre zum Beispiel, dass

Nora ein Gespräch einübt, das aber noch nicht wirklich

stattfindet.

Dieser Versuch einer Typologisierung mag einen ersten

Anhalt geben, wie man an einen spezifischen Text herangehen

kann. Die Gedanken, Orte, Vorstellungen, die ganze

Themenwelt eines Monologs werden um so anschaulicher,

je deutlicher und konkreter der Spieler sie sich gegenüberstellt

1 . Dass der Schauspieler, der einen Monolog spielt, selber

in ganz besonderer Weise ein Gegenüber wird – für seine

Zuschauer, für seine Mitwelt – macht viel von der Faszination

dieser theatralischen Form aus.

»Gelungene Monologe sind allerdings Lieblinge des

Publikums geworden«, schrieb Gustav Freytag 2 und mein-


Vorwort

te das eigentlich als Vorwurf – wir meinen das als Ermutigung

und wünschen allen, die sich mit diesen Texten befassen

wollen, Neugier, Freude und Erfolg.

Eva Spambalg und Uwe Berend

Aischylos · Die Perser

Aischylos (etwa 525 – 456 v. Chr.)

Die Perser

Tragödie

Erste Aufführung: 472 v. Chr., Athen

1 Rolle: Ein Bote, ein persischer Krieger

Szene: Vers 246–427

Ort: In einem Hof des Königspalasts in der persischen Hauptstadt Susa

480 v. Chr.

17

Zur Situation: Der persische König Xerxes ist mit einem ungeheuren Aufgebot an Soldaten in die

Schlacht gegen die Griechen gezogen, um die vorausgegangene Niederlage der Perser bei Marathon

zu rächen. Der persische Staatsrat, ein Chor von Greisen, und Atossa, die alte Mutter des

Königs, haben sich im Hof versammelt und warten in Angst und wachsender Sorge auf die Rück -

kehr der Krieger. »Die Eltern, die Frau’n, Tag zählend um Tag, sehn bang, wie die Heimkehr sich

hinzieht.«

Endlich kommt der Bote, ein Soldat, der die verheerende Schlacht bei Salamis überlebt hat.

Das persische Heer ist vollständig aufgerieben worden; dem Boten ist es als einem der wenigen

gelungen, sich bis nach Susa durchzuschlagen. Er hat die Strapazen einer langen Flucht durch

das Gebirge überstanden, viele andere sind vor Hunger und Durst umgekommen oder bei der

Überquerung eines Flusses ertrunken. Nun muss er den Wartenden von der völligen Niederlage

der Perser berichten.

Anzumerken ist noch, dass in jenen Zeiten die Überbringer schlechter Nachrichten oft ihr

Leben lassen mussten.

BOTE. Weh euch, ihr Städte all des weiten Asiens,

Weh, Perserland, weh dir, der Schätze reichem Port!

Wie ist mit einem Schlage jetzt das große Glück

Vernichtet, wie der Perser Blüte hingewelkt!

Ach, traurig ist’s, der Trauer erster Bot’ zu sein!

Und dennoch muss ich künden euch jetzt alles Leid:

Vernichtet ist, ihr Perser, euer ganzes Heer!

[...] Ja, weint, denn alles ist verloren dort, ist tot!

Ich selbst auch hoffte nicht, der Heimkehr Tag zu schaun.

[...]

Anstifter allen Leides war ein Rachegeist,

Ein böser Dämon, Herrin, der von irgendwo

Erschien. Ein Grieche nämlich aus dem Heer Athens

Kam eines Tags zu deinem Sohn und meldete:

»Die Griechen werden, wenn die Finsternis der Nacht

Hereinbricht, länger nicht mehr bleiben, sondern, schnell

An Bord der Schiffe springend, in geheimer Flucht,

Die einen hierhin und die andern dorthin, flugs


18 Aischylos · Die Perser

In Sicherheit sich bringen vor der Feinde Macht.«

Kaum hörte Xerxes diese Kunde – ahnte er

Doch nicht die List der Griechen und der Götter Neid –‚

Gebot er allen Führern seiner Flottenmacht,

Sobald der Strahl der Sonne von der Erde weicht

Und dunkle Nacht den weiten Himmelsraum bedeckt,

Das Schiffsgeschwader in drei Treffen aufzustell’n,

Zu sperren jede Ausfahrt, jeden Weg zur See;

Doch andre wieder sollten Aias’ Insel rings

Umstellen, und entginge seinem Schicksal dann

Der Feind und fänd’ er heimlich einen Ausweg dort,

So sollten alle büßen ihm mit ihrem Kopf.

In stolzer Zuversicht gebot der König dies,

Nicht ahnend, was die Götter über ihn verhängt.

Die Männer drauf mit treuergebnem Sinn

Bereiteten ihr Nachtmahl, und der Ruderknecht

Band fest sein Ruder an dem starken Riemenpflock.

Als dann der Sonne strahlend Licht erloschen war

Und Nacht es ward, ging eines jeden Ruders Herr

An Bord und jeder, welcher Wehr und Waffen trug. [...]

Der Schiffe Führer ordneten die Nacht hindurch

Der ganzen Flotte Durchfahrt durch den engen Sund.

Vorüber ging die Nacht, doch der Hellenen Heer

Versuchte nirgends im geheimen zu entfliehn.

Als aber drauf des Tages Lichtgespann erschien

Und sonnenhell das Land ringsum beleuchtete,

Da klang von den Hellenen her das Kampfgeschrei,

Laut schallend wie Gesang, und von dem Felsgestad’

Der Insel scholl entgegen ihm der Widerhall.

Und Furcht befiel da die Barbaren Mann für Mann,

Als sie getäuscht sich sahen; denn nicht wie zur Flucht

Stimmt’ an das Griechenheer den feierlichen Sang,

Nein, wie zu Kampf und Sieg aufbrechend, mutbeseelt.

Die Kriegstrompete schmetterte anfeuernd, laut,

Und flugs im Takte schlugen sie alsdann die Flut

Mit ihrer Ruder rauschendem, gleichmäß’gem Schlag.

Da tauchten plötzlich alle auf vor unserm Blick.

Der rechte Flügel, wohlgeordnet, fuhr voraus.

Ihm schloss sich an der ganze Zug, und ringsumher

Erscholl zugleich der Ruf: »Ihr Söhne Griechenlands,

Aischylos · Die Perser

Befreiet euer Vaterland, befreiet Weib

Und Kind, befreit der Heimatgötter heil’gen Sitz,

Der Ahnen Gräber! Jetzt um alles geht der Kampf!«

Nun brauste auch aus unsern Reih’n der persische

Schlachtruf hinüber, nicht zu zögern mehr war Zeit.

Sogleich ward Schiff von Schiff mit ehernem Sporn

gerammt.

Ein Schiff der Griechen war es, das als erstes stieß

Und einem Tyrerschiff den Schmuck des Vorderteils

Herunterriss. Dann fuhr ein Schiff aufs andre los.

Im Anfang hielt der Perserflotte Masse stand.

Doch als der Schiffe Menge in dem engen Sund

Sich drängte, konnte keins dem andern helfen mehr.

Von ihrer eignen Schiffe Schnäbeln wurden sie

Getroffen, brachen alles Ruderwerk sich ab,

Indessen der Hellenen Schiffe wohlbedacht

Im Kreise rings andrängten. Unsre Schiffe schlugen um,

So dass das Meer nicht mehr zu sehen war, bedeckt

Von Trümmern, Schiffsgerät und von Erschlagenen.

Die Leichen türmten sich auf Klippen und am Strand,

Und was an Schiffen übrig war vom Perserheer,

In wilder Flucht und Eile rudert’ es davon.

Die Griechen schlugen auf uns ein und spießten uns

Mit Ruderstücken und mit Schiffsgebälk,

Wie man den Thunfisch oder andre Fische jagt,

Und Wehgeschrei und Jammern scholl hin übers Meer,

Bis dem ein Ende macht’ die Finsternis der Nacht.

Und wenn ich auch das viele Leid der Reihe nach

Dir schildern wollt’ zehn Tage lang, zu Ende käm’

Ich nicht; denn wisse wohl, noch niemals kam zuvor

An einem Tag solch eine Unzahl Menschen um.

19


20 Sophokles · Antigone

Sophokles (um 496 – 406 v. Chr.)

Antigone

Tragödie

2 Rolle: Wächter

Erste Aufführung: Etwa 443 v. Chr., Athen

Szene: Vers 223–331

Ort: Vor dem Königspalast in Theben

Zur Situation: In Theben hat es einen blutigen Machtkampf um die Herrschaft gegeben: Die beiden

Söhne des Oedipus, Eteokles und Polyneikes, die die Stadt ursprünglich abwechselnd hätten

regieren sollen, haben gegeneinander Krieg geführt und sind beide vor den Toren Thebens im

Kampf gestorben. Jetzt ist Kreon, ihr Onkel, König. Er hat angeordnet, dass Eteokles, als heldenhafter

Verteidiger Thebens zu gelten habe und mit allen Ehren bestattet werden solle, Polyneikes

aber, als Angreifer und Staatsfeind, keinesfalls begraben werden dürfe: »Sein Leib bleibt

unbestattet, eine Beute von Hund und Vögeln, schändlich anzuschauen. Das ist mein Wille.«

Nach dem griechischen Glauben bedeutet dies, dass Polyneikes nicht in das Reich der Schatten

eingehen kann. Um seine Anordnung durchzusetzen, lässt Kreon den Leichnam bewachen. Jetzt

kommt einer der Wachmänner zu ihm und muss eine Ungeheuerlichkeit berichten: Es hat

jemand den Toten mit Sand bedeckt.

Der Wächter kommt nicht freiwillig – das Los hat ausgerechnet ihn getroffen. Er hat auf dem

Weg gezögert, er will am liebsten gleich wieder gehen; er fürchtet Kreons Zorn und hat – aus

gutem Grund – Angst um sein Leben: »Kein Mensch ja liebt den Boten böser Mär.« So wichtig,

wie den Bericht loszuwerden, ist es ihm deshalb, seine Unschuld zu beteuern. Mit vorsichtigem

Witz versucht er, Kreon mild zu stimmen. Dieser fragt aber ungeduldig und mit wachsendem

Unmut dazwischen, bis der Wächter mit der ganzen Geschichte herausrückt. (Unser Text lässt

Kreons Einwürfe weg; zum Spielen ist es sicher gut, sie mitzudenken).

Es scheint, dass der Wächter es wohl eher anständig fände, Polyneikes zu beerdigen und dass

er den Befehl des Königs nicht mit Überzeugung durchsetzt: »Er streute durstigen Staub auf ihn

und weihte ihm, was sich gehört.«

WÄCHTER. Herr, ich behaupte nicht, ich sei vor Eile

In Atemnot, weil mir die Füße flogen.

Nein, Sorgenaufenthalte hatt’ ich viel

Und drehte oft mich schon zum Rückweg um,

Weil immerfort die Seele zu mir sagte:

Was rennst du, Armer, in dein Strafgericht?

Was bleibst du stehn, du Tropf? Erfährt es Kreon

Von einem andern, kriegst du sicher Hiebe!

Derart mich windend kam ich kaum vom Fleck –

So werden kurze Wege lang. Zuletzt

Hat der Entschluss gesiegt, zu dir zu geh’n.

Und ist es auch nichts wert, ich sag es doch,

Ich klammre mich an meinen Glauben fest:

Sophokles · Antigone

Was ich erleide, war mir vorbestimmt. [...]

Ich will zuerst von mir erzählen: Ich

War’s nämlich nicht und sah nicht, wer es war.

Stürz ich ins Unglück, ist es ungerecht. [...]

Ich sag’s ja schon: Es war jemand beim Toten,

Der ihn begrub. Er streute durstigen Staub

Auf ihn und weihte ihm, was sich gehört [...]

Ich weiß nicht. Da war keines Spatens Stich,

Kein Auswurf einer Hacke. Fest der Boden

Und hart und ungebrochen, kein Geleis

Von Rädern – spurlos war der Täter fort.

Wie es der erste Tagesposten uns

Anzeigt, ist’s allen ein bedenklich Wunder.

Unsichtbar war er, nicht begraben, dünn

Lag Staub auf ihm, wie um den Fluch zu bannen.

Und keine Spur von Raubtier oder Hund

Zu sehn, dass einer kam und an ihm zerrte.

Da brausten wüste Worte aufeinander:

Der Wächter schimpfte auf den Wächter, schließlich

Kam’s schier zur Schlägerei – wer sollte es

Verhindern? Jeder war der Missetäter,

Und keiner wirklich, jeder stritt es ab.

Durchs Feuer wären wir gegangen, hätten

Ein glühend Eisen in die Hand genommen

Und jeden Eid geschworen, dass wir nicht

Die Täter waren und auch nicht die Hehler

Von dem, der’s plante oder tat. Zuletzt,

Als unsre Untersuchung nichts ergab,

Da kam ein Vorschlag, dass vor Angst wir alle

Die Köpfe hängen ließen. Keiner konnte

Dagegen sprechen, keiner wusste auch,

Wie man’s mit heiler Haut zustande brächte:

Es hieß, man solle dir den Vorfall melden

Und nicht verheimlichen. Und das ging durch.

Mich Unglücksvogel traf das schöne Los,

Weiß wohl, du hörst’s so ungern, wie ich’s sage,

Kein Mensch ja liebt den Boten böser Mär.

Darf ich was sagen oder soll ich gehn? [...]

Der Täter kränkt dein Herz, ich nur dein Ohr. [...]

Ja, hätten wir ihn nur! Doch ob er nun

21


22 Sophokles · Antigone

Später tritt der

Wächter noch einmal

mit einem

Bericht auf: Siehe

Vers 406 ff.

Erwischt wird oder nicht – vielleicht gelingt’s –‚

Mich siehst du hier nicht wieder. Diesmal schon

Hätt’ ich es nie gehofft und nie gedacht,

Dass ich entkomme – tausend Dank, ihr Götter!

(Ab.)

3 Rolle: Haimon, Sohn des Königs Kreon von Theben

Szene: Vers 683–765

Ort: Vor dem Königspalast in Theben

Zur Situation: Antigone ist aufgegriffen worden, als sie erneut versucht hat, ihren toten Bruder

Polyneikes zu bestatten. Obwohl Antigone seine Nichte und zukünftige Schwiegertochter ist,

will König Kreon sein Gesetz in aller Härte an ihr vollstrecken – sie soll sterben, damit seine

Macht nicht angezweifelt werden kann. Ein möglicher Autoritätsverlust ist seine größte Sorge:

»Wenn sie sich ungestraft das leisten darf, bin ich kein Mann mehr, dann ist sie der Mann.«

Nun kommt Kreons Sohn Haimon, der Bräutigam Antigones, zu König Kreon. Dieser teilt ihm

das Urteil mit und verlangt zugleich, sein Sohn solle sich der Entscheidung widerspruchslos

fügen, den Tod seiner Braut hinnehmen und ihm, dem Vater, weiterhin bedingungslos vertrauen.

Haimon liebt Antigone zutiefst, er hat Verständnis für ihr Handeln, und er hat ein Ohr für das,

was im Volk geredet wird: Man ist mit Kreons hartem Entschluß nicht einverstanden, hinter vorgehaltener

Hand wird überall Kritik laut. Nun stellt sich Haimon dem Vater gegenüber – er wahrt

den üblichen Respekt des Sohns gegen den Vater, er will keinen Bruch, im Gegenteil geht es ihm

darum, durch die Bezeugung seiner Loyalität und Sohnesliebe den Kontakt zu Kreon aufrecht zu

erhalten und so Gehör bei ihm zu finden: »Vater! Nichts wünsche ich mir sehnlicher, als dass du

glücklich bist.« In der Sache hält er sich aber nicht zurück, in der Auseinandersetzung ist er dem

König zumindest ebenbürtig, seine Argumente gewinnen ihre Stärke durch das tiefe Empfinden

für die Würde der Menschen und das Recht der Götter, das ihnen zugrunde liegt. Nach der hier

abgedruckten eindringlich auf Überzeugung zielenden Passage kommt es zum immer hitzigeren

Wortwechsel, die Begegnung endet mit dem völligen Zerwürfnis.

HAIMON. Vater, die Götter pflanzen die Vernunft

Dem Menschen ein als höchstes aller Güter.

Ich könnte nicht behaupten, was du sagtest,

Das sei nicht richtig, möcht’ es auch nicht können,

Nur kommt wohl auch ein andrer auf das Rechte.

Mir fällt es zu, für dich zu wachen, was man

So sagt und tut und auszusetzen hat.

Dir ins Gesicht wagt der gemeine Mann

Nicht auszusprechen, was du nicht gern hörst.

Mir aber kommt es insgeheim zu Ohren,

Wie sich die Stadt um dieses Mädchen härmt:

Sophokles · Antigone

Sie, die unschuldigste von allen Frauen,

Soll elend sterben für die schönste Tat!

Den eignen Bruder, der im Kampfe fiel,

Hat sie nicht ohne Grab verkommen lassen,

Der wilden Hunde und der Vögel Fraß,

Ist sie nicht gold’ner Ehrengabe wert?

So geht’s im Dunkeln leis von Mund zu Mund.

Vater! Nichts wünsche ich mir sehnlicher,

Als dass du glücklich bist. Denn welches Kleinod

Freut Kinder mehr als ihres Vaters Ruhm

Und was den Vater mehr als Kindes Glück?

Drum lass nicht nur die eine Denkart gelten,

Die du für richtig hältst, und keine andre!

Denn wer nur selber einsichtsvoll sich dünkt,

Begabt mit Geist und Rede wie kein zweiter,

Enthüllt bei Licht besehen sich als leer.

Auch für den Klugen ist doch keine Schande,

Statt sich zu übernehmen, viel zu lernen.

Du siehst am winterlich geschwollnen Strom

Den Baum, der nachgibt, seine Zweige retten,

Was widersteht, reißt’s mit den Wurzeln fort.

Und wenn der Steuermann das Segeltau

Nur immer strafft und gar nicht lockern mag,

Der kentert bald und fährt kieloben weiter,

Drum beuge dich und wandle deinen Sinn!

Hab ich, der Jüngre, auch ein Wort, ich meine,

Weitaus der höchste Rang gebührt dem Mann,

Dem von Natur der Weisheit Fülle ward.

Doch in der Regel fällt es anders aus,

Dann ist von Klugen lernen auch ein Lob. [...]

Wärst du mein Vater nicht, spräch’ ich: Du Narr!

[...] Vor meinen Augen wird sie niemals sterben,

Das hoffe nicht! Mich aber wirst du nie mehr

Vor deinen Augen sehen. Such dir Freunde,

Die deinen Wahnsinn sich gefallen lassen!

(Stürzt davon.)

23


24 Sophokles · Elektra

Sophokles (um 496 – 406 v. Chr.)

Elektra

Tragödie

4 Rolle: Elektra

Erste Aufführung: Etwa 413 v. Chr., Athen

Szene: Vers 85–212

Ort: Vor dem Königspalast in Mykene

Zur Situation: Elektra ist die Tochter des früheren Königs von Mykene, Agamemnon, und seiner

Frau Klytaimnestra. Bei seiner Rückkehr aus dem Trojanischen Krieg wurde Agamemnon von Klytaimnestra

und ihrem Geliebten Aigisthos erschlagen. Um ihren kleinen Bruder Orestes in

Sicherheit zu bringen, schickte Elektra ihn damals mit seinem Erzieher heimlich von Mykene

weg.

Seither lebt sie mit ihrer Schwester Chrysothemis völlig entrechtet am Königshof. Sie trauert

um ihren Vater und ist voller Hass gegen ihre Mutter und Aigisthos. Sie kann das Unrecht des

Mords nicht ertragen, die Niedertracht der Mutter, die Schamlosigkeit, mit der sie ihren Geliebten

ins königliche Ehebett holte und seither mit ihm lebt. Elektra fühlt sich Tag für Tag aufs neue

gedemütigt, der Gedanke an Rache hat sich in ihr festgefressen. Doch sie alleine ist völlig machtlos,

ihre Situation am Königshof ist fast die einer Sklavin, ohne Aussicht auf Veränderung. So bleiben

ihr nur der Hass und ihre einzige Hoffnung, Orestes werde eines Tages zurückkommen und

den Tod des Vaters rächen.

ELEKTRA. O heiliges Licht!

Und an der Erde

Gleichbeteiligte: Luft! wie du

Mir viele Trauergesänge

Und viele Hiebe gegen die Brust,

Die blutende, hast vernommen,

So oft die dunkle Nacht entwich!

Doch meine nächtlichen Feiern erst –

Da wissen die bitteren Lager

In dem leidigen Haus,

Wie viel um den unseligen

Ich klage, meinen Vater,

Den in dem Barbarenlande nicht

Der blutige Ares zu Gaste zog,

Die Mutter aber, die meine,

Und ihr Lagergenosse Aigisthos –

Wie Holzfäller den Eichbaum

Spalten sie ihm

Das Haupt mit dem blutigen Beile! –

Sophokles · Elektra

Und keine Klage darüber wird

Von einer andern erhoben als mir

Um dich, Vater! den derart

Schmählich und erbärmlich Gestorbenen!

Doch niemals, nein!

Lass ich ab von Totenklagen

Und bitteren Grabgesängen,

Solang’ ich die schimmernden Strahlen

Der Sterne sehe und diesen Tag:

Dass ich nicht gleich ihr, die ihr Kind erschlug,

Der Nachtigall, mit dem Weheruf

Vor diesen väterlichen Türen

Den Widerhall allen hinausschrei!

O Haus des Hades und Persephones!

O unterirdischer Hermes und

Gebietende Göttin du des Fluchs!

Und Erhabene ihr, der Götter Töchter,

Erinnyen!

Die ihr blickt auf die, denen heimlich man stahl

Das Ehebett!

Kommt! helfet! rächt

Den Mord an unserem Vater!

Und mir den meinen schickt, den Bruder!

Denn allein hab ich nicht mehr die Kraft,

Die Waage zu halten der Last des Wehs! [...]

Ja, er, auf den ich unermüdlich wartend,

Kindlos, ich Arme, und hochzeitlos

Immer dahingeh’, von Tränen feucht,

Und trage dieses unendliche

Schicksal der Leiden!

Doch der vergisst,

Was man ihm angetan und was er erfuhr!

Denn was an Botschaft kommt mir nicht,

Das nicht als Täuschung sich erwiesen?

Denn immer sehnt er, aber, sehnend,

Hält er für wert nicht, zu erscheinen! [...]

Jedoch mich hat das meiste Leben schon verlassen,

Hoffnungslos, und ich reiche nicht mehr hin:

Die ohne Eltern ich dahinschmelz,

Für die kein eigener Gatte eintritt,

25

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!