101 Monologe
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Herausgegeben
von Eva Spambalg
und Uwe Berend
101
MONOLOGE
Zum Vorsprechen, Studieren
und Kennenlernen
HHENSCHEL
E N S C H E L
101 Monologe
Zum Vorsprechen, Studieren und
Kennenlernen
Herausgegeben von
Eva Spambalg und Uwe Berend
HENSCHEL
5
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Monologe
Aischylos
Die Perser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
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ISBN 978-3-89487-445-2
© 2010, 2018 by Henschel Verlag
© 2021, 2022 by Henschel Verlag
in der E. A. Seemann Henschel GmbH & Co. KG, Leipzig
Die Schreibweise entspricht den Regeln der neuen Rechtschreibung.
Lektorat: Christiane Landgrebe
Umschlaggestaltung: Ingo Scheffer, Berlin
Titelbild: © Iko Freese / DRAMA
Satz und Gestaltung: Grafikstudio Scheffer, Berlin
Printed in the EU
www.henschel-verlag.de
Sophokles
Antigone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Elektra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
Euripides
Medea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
Iphigenie in Aulis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Elektra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Die Bakchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
Lope de Vega
Die kluge Närrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
William Shakespeare
Hamlet, Prinz von Dänemark . . . . . . . . . . . 42
König Lear . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
Romeo und Julia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
Was ihr wollt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
Der Sturm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
Der Kaufmann von Venedig . . . . . . . . . . . . 62
Wie es euch gefällt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
Das Wintermärchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
Die beiden Veroneser . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
Macbeth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
6 Inhalt
Inhalt
7
Timon von Athen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
König Richard II. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
Tirso de Molina
Don Juan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
Don Gil von den grünen Hosen . . . . . . . . . 85
Molière
Der Menschenfeind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
Tartuffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
Pierre Carlet de Chamblain de Marivaux
Unbeständigkeit auf beiden Seiten . . . . . . . 93
Carlo Goldoni
Mirandolina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
Carlo Gozzi
Turandot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
Gotthold Ephraim Lessing
Emilia Galotti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
Miss Sara Sampson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
Nathan der Weise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
Johann Wolfgang von Goethe
Faust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
Egmont . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
Iphigenie auf Tauris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
Stella . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
Jakob Michael Reinhold Lenz
Die Buhlschwester . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
Friedrich Schiller
Die Räuber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
Kabale und Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
Die Jungfrau von Orleans . . . . . . . . . . . . . . 145
Maria Stuart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Don Carlos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
Die Verschwörung des Fiesco zu Genua . . . . 164
Heinrich von Kleist
Der zerbrochne Krug . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
Die Familie Schroffenstein . . . . . . . . . . . . . . 175
Amphitryon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
Penthesilea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
Das Käthchen von Heilbronn . . . . . . . . . . . 184
Christian Dietrich Grabbe
Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung 187
Johann Nestroy
Der Talisman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
Frühere Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
Nikolai Gogol
Die Heirat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
Georg Büchner
Dantons Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
Woyzeck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
Leonce und Lena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
Friedrich Hebbel
Maria Magdalena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
Gyges und sein Ring . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
Iwan Turgenjew
Ein Monat auf dem Lande . . . . . . . . . . . . . . 218
Henrik Ibsen
Nora oder ein Puppenheim . . . . . . . . . . . . . 220
8 Inhalt
9
August Strindberg
Der Pelikan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
Fräulein Julie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
Oscar Wilde
Salome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
Anton Tschechow
Drei Schwestern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
Platonov . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
Die Möwe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
101 Monologe
Arthur Schnitzler
Fräulein Else . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
Gerhart Hauptmann
Fuhrmann Henschel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
Frank Wedekind
Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
Frühlings Erwachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
Der Monolog ist (heutzutage) von unseren Realisten
als unwahrscheinlich verbannt worden.
Aber wenn ich ihn motiviere, wird er glaubhaft,
und ich kann ihn daher mit Vorteil benutzen.
August Strindberg 1
Hugo von Hofmannsthal
Elektra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
Anhang
Frauenrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
Männerrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
1 Vorwort zu Fräulein
Julie (1888).
Zit. nach: Manfred
Pfister, Das
Drama. Fink,
München 1982,
S. 187.
10 Vorwort
Vorwort
11
1 Das Wort »Figur«
vermeiden wir
bewusst, da es den
Eindruck von etwas
Vorgefertigtem,
Festumrissenem
erwecken und - so
verstanden - die
Suche nach Entwikklungen
durch allzu
frühe Entscheidungen
des Spielers für
Wirkungen verstellen
könnte.
Vorwort
Dieses Buch ist als Handbuch für den praktischen Bedarf
gedacht – für alle, die den Monolog »mit Vorteil benutzen
wollen«: junge Menschen, die sich um einen Ausbildungsplatz
an einer der staatlichen oder privaten Schulen bzw.
Universitäten bewerben wollen; bereits in der Ausbildung
befindliche oder schon ausgebildete Schauspieler, die nach
Rollenmaterial zum Arbeiten, fürs Studium oder Vorsprechen
suchen; Interessenten, die sich mit dem Spielen von
Theatertexten beschäftigen möchten, und für alle Neugierigen,
die Lust haben, Stücke über die monologischen Äußerungen
ihrer Protagonisten kennen zu lernen.
Es ist eine Materialsammlung, die zum Selberlesen anregen
soll – das Lesen und Nachschlagen können wir niemandem
ersparen. Vielmehr wollen wir Neugier wecken
auf Stücke, Hilfestellung leisten beim Auswählen einer
Rolle zum Studieren, zu Vergleichen ermuntern (so gibt es
zum Beispiel ganz unterschiedliche »Elektras« von unterschiedlichen
Autoren aus unterschiedlichen Epochen zu
lesen), Phantasie in Bewegung setzen und beitragen zum
Verstehen eines Textes, vielleicht sogar Ideen zur Realisierung
initialisieren und – ohne den jeweiligen Interpretationsmöglichkeiten
vorgreifen zu wollen – Verständnis für
die emotionalen Situationen der handelnden Personen wekken.
Die einleitenden Texte, die eine erste Orientierung über
die jeweilige Situation der handelnden Personen ermöglichen
sollen, sind deshalb nicht unter einem analytisch–kritischen
Aspekt geschrieben. Eher entsprechen sie unserem
Versuch, sich dieser Situation unter dem Blickwinkel der
handelnden Person 1 zu nähern. Es ist uns klar, dass ein solches
Unterfangen mehrere gefährliche Ecken hat; zum einen
ist dieser Vorgang immer subjektiv geprägt (wir wissen,
wovon wir reden – wir sind zu zweit an der Arbeit!); zum
andern geraten wir bei der Darstellung leicht in die Gefahr
einer latenten Naivität im Ton, wenn wir es unternehmen,
die Vorgänge, die zur szenischen Situation des Monologbeginns
führen, unter dem Blickwinkel der Person zu
beschreiben. Beispiel: die handelnde Person oder Rolle
befindet sich ja oft dem Zuschauer gegenüber im Nachteil,
da ihr im Zuge der Handlung der Autor situative Informationen
vorenthält, die der Zuschauer (oder Leser) längst
erhalten hat. Das Wissen der Zuschauer entspricht somit
häufig nicht dem Wissen der handelnden Person – wir, die
Betrachter, sind also schlauer als »die Rolle« (wie übrigens
der Spieler auch!). Wir bewegen uns mit unseren Einleitungen
auf einer ständigen Gratwanderung zwischen Anteilnahme
am Zustand der handelnden Person und Versachlichung
bei der Darstellung der Vorgänge – naturgemäß gerät
man dabei einmal mehr auf die eine, mal mehr auf die andere
Seite.
Wie weit man sich einer Rollenperspektive überhaupt
annähern kann, ist von Text zu Text verschieden – nicht
zuletzt aufgrund sehr unterschiedlicher Autorenabsichten
in verschiedenen Epochen und aufgrund unseres unterschiedlichen
Nahverhältnisses zu gedanklichen und sozialen
Orten – ein Bote in der griechischen Tragödie erscheint
uns zunächst weiter entfernt als etwa Schillers Ferdinand –
bei längerer Betrachtung kann das Ergebnis genau umgekehrt
sein. Hier wird ganz deutlich, was wir oben gemeint
haben: das Nachlesen im Stück selber, das Nachschlagen in
geeigneter Sekundärliteratur (beides gehört zur spielerischen
Auseinandersetzung mit Texten) sowie die kritische
Bewertung von einem heutigen Standpunkt aus können und
wollen wir mit diesem Buch nicht ersetzen.
Die vorliegende Materialsammlung umfasst eine Auswahl
von Texten von der griechischen Antike bis zum Anfang des
zwanzigsten Jahrhunderts. Aus Platzgründen mussten wir
uns beschränken und konnten viele sehr reizvolle Rollen
nur im Anhang unterbringen. Wo es notwendig war, wurden
die abgedruckten Texte für die Rollenarbeit eingerichtet.
Die Sammlung enthält nicht nur »reine« Monologe,
12 Vorwort
Vorwort
13
1 Zit.n. Peter von
Matt, Der Mono -
log, Beiträge zur
Poetik des Dramas.
Darmstadt, Wissenschaftliche
Buch -
gesellschaft, 1976,
S. 72.
also Texte, in denen die handelnde Person tatsächlich allein
ist und sich mit sich selbst (Hamlet) oder einem imaginärem
Gegenüber (Elektra von Hofmannsthal) auseinandersetzt,
sondern auch »szenische« Monologe, also jene, in denen
die handelnde Person mit einem tatsächlichen Gegenüber
spricht, dessen Anwesenheit der Spieler mitzudenken hat
(Nora, Fräulein Julie etc.). Wir haben uns zu dieser Erweiterung
entschlossen, da sonst einige Autoren, und damit
auch wesentliche Spielweisen, hier nicht vertreten wären,
und auch deshalb, weil diese Texte als Vorsprechrollen
attraktiv und voller Spannung sind.
Ob es sinnvoll und in der Ausbildung hilfreich ist, eine
Szene zu erarbeiten, bei der es notwendig wird, sich an
einen gedachten Partner zu wenden, ist eine immer wieder
diskutierte Streitfrage; erhöhte schauspielerische Anforderungen
stellen sich bei diesem Arbeitsvorgang allemal, denn
die »Herstellung« eines solchen Gegenübers bedeutet während
des Spielens noch einmal eine zusätzliche Form von
schauspielerischer Konzentration, die nicht unbedingt
etwas mit dem Inhalt der Szene oder dem Charakter der
handelnden Person zu tun haben muss. Das »Wie« wird an
dieser Stelle entscheidend dazu beitragen, ob eine solche
Szene zur erfolgreichen Wirkung gelangen kann (siehe Versuch
einer Typologie weiter unten).
Auch ohne die oben beschriebene »Projektionsaufgabe«
eines imaginären Partners stellt die Monologsituation – ein
Mensch allein auf der Bühne – eine gehörige Anforderung
an den Spieler, und damit sind wir bei der Frage der Annäherung
an einen Text. Gottsched hat in seinem »Versuch
einer critischen Dichtkunst« das grundsätzliche Problem
des Monologs sehr treffend aufgedeckt: »Kluge Leute pflegen
nicht laut zu reden, wenn sie allein sind; es wäre denn
in besonderen Affekten, und das zwar mit wenig Worten ...
Man hüte sich also davor, so viel man kann; welches auch
mehrenteils angeht, wenn man dem Redenden nur sonst
jemand zugiebt, der als ein Vertrauter, oder Bedienter, das,
was er sagt, ohne Gefahr wissen und hören darf.« 1
Ohne diese nicht gerade ermutigende Äußerung weiter zu
erörtern, kann man doch aus ihr herauslesen, was für jede
Arbeit am Monolog wesentlich ist – nämlich, zu entde cken,
1 Peter v. Matt
beschreibt dies als
das Wesentliche
jeder Monologsituation:
»Hier und
jetzt tritt dem Helden
seine Gesellschaft
als Totum
gegenüber, mit
einem antwortenden
Gesicht«,
ebenda S. 80.
2 Wolfgang Clemen
hat in seinem Buch
über die Monologe
Shakespeares auf
die dialogische
Struktur von
Monologen hingewiesen:
»Schon in
der Tragödie vor
Shakespeare, aber
auch bereits in der
antiken Tragödie,
bei Seneca und in
den mittelalterlichen
»Mystery-
Plays« war klargeworden,
dass der
Monolog zu seiner
Verlebendigung des
imaginären Partners
bedarf. Es hatten
sich sehr verschiedene
Formen
der Anrede, der
Apostrophe und
gelegentlich auch
der fiktiven Dialogbeziehung
im
Monolog entwikkelt.
[...] Zu den
Anreden an das
eigene Ich, das eigene
Herz, kommen
Anrufe an himmlische
und irdische
Gewalten, an abwesende
und manchmal
auch an anwesende
Personen (die
außer Hörweite
sind) hinzu, an Personifikationen,
an
die Sonne, den
Mond und die Sterne,
an wirkliche
oder imaginäre
Gegenstände.«,
Wolfgang Clemen,
Shakespeares
Monologe. Piper,
München 1985,
S. 186 f.
warum es für die handelnde Person in diesem Moment
unbedingt notwendig wird, zu reden, und an welches
Gegenüber sich der Monolog richtet. Wobei mit Gegenüber
auch ein Gedanke, ein Gegenstand oder eine ganze Gesellschaft
von Menschen gemeint sein kann 1 .
Vor dem Spielen stellen sich zunächst Fragen. Es muss
verstanden und letztlich entschieden werden: Was geht im
Text vor? Was will der Text? Was will demnach die handelnde
Person, die ihn ja aus bestimmten Gründen äußert?
Welcher Art ist überhaupt der vorliegende Monolog? Das
heißt, welche Beziehungen werden im Text hergestellt?
Auf diese Fragen gibt es völlig unterschiedliche Antworten,
denn jeder Text bietet naturgemäß mehrere Lesarten
an, die zu ganz verschiedenen Interpretationen führen können.
Es gibt ja nicht »die« alleingültige Interpretation; wohl
aber exemplarische Aufführungen.
Wenn es also eine Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten
gibt und der Monolog durch den Lesenden und Spielenden
jeweils erst neu entsteht, so verlangt das vom Spieler,
der den ausgewählten Text auf der Bühne umsetzen will,
immer wieder Entscheidungen zu treffen: Zunächst muss er
versuchen, den Text zu verstehen, und er muss sich entscheiden,
wie er ihn spielen will. Um sich aber zu entscheiden,
muss er nicht nur erforschen, was im Text steht und
was der Text womöglich meint, sondern er hat außerdem
herauszufinden, um was für eine Art von Monolog es sich
überhaupt handelt. Letztlich ist die zentrale Fragestellung
fürs Spielen: an wen wendet sich die handelnde Person, wer
ist das »Gegenüber«?
Schließlich ist jeder Monolog in Wahrheit ein Dialog 2 ,
daraus erst ergibt sich die spezifische Spannung, die notwendig
ist, um zu einem theatralischen Vorgang zu kommen.
Diesen Grundgedanken finden wir schon in der attischen
Tragödie, mit der unser abendländisches Theater den
Anfang nimmt, wenn sich darin die einzelne Person dem
Chorus gegenübergestellt findet.
Ausgehend von dieser grundsätzlichen Frage nach dem
Gegenüber wollen wir im Folgenden versuchen, ohne
Anspruch auf Vollständigkeit und ganz im Hinblick auf die
14 Vorwort
Vorwort
15
1 Unsere Einteilung
geht dabei völlig
von den Erfordernissen
des Spielens
aus, die literarische
Textanalyse bedient
sich anderer, funktionaler,
Klassifikationen.
Vgl. Volker
Klotz, Geschlossenen
und offene
Form im Drama.
München 1972,
S.182 oder Manfred
Pfister, Das
Drama. Fink,
München 1982,
S. 184 ff.
Anwendbarkeit für die praktische Arbeit, einen kurzen
Überblick über die verschiedenen Formen monologischer
Situationen zu geben. 1 Dabei ist festzuhalten, dass sich
diese Monologtypen auch überlappen können, dass also für
einen Monolog mehrere der unten beschriebenen Formen
Gültigkeit haben und daher auch mehrere Spielmöglichkeiten
und Techniken anwendbar sein können:
– Monolog direkt an das Publikum: die handelnde Person
wendet sich unmittelbar (also ohne aus der Rolle herauszutreten)
an das Publikum, spricht unter Umständen einzelne
Personen im »Parterre« an; Nestroy könnte hierfür
als Beispiel gelten. Dazu gehört auch die Technik des Beiseitesprechens,
des »à part«, das während einer Szene
direkt ans Publikum adressiert wird.
Hier gibt es auch die Möglichkeit, dass der Darsteller die
Ebene der Rolle verlässt und sich zum Beispiel kommentierend
an das Publikum wendet.
Auch die »Verwandlung« des Publikums in einen oder
mehrere Partner, die zur szenischen Situation gehören,
wäre eine Variante (zum Beispiel könnte man für Ruprecht
aus dem »Zerbrochenen Krug« den Dorfrichter
Adam ins Publikum setzen).
– Monolog indirekt mit dem Publikum: die handelnde Person
wendet sich an das Publikum, ohne es persönlich
anzublicken oder anzusprechen, nimmt es gewissermaßen
in ihre Gedanklichkeit hinein (»Hamlet« in der
Inszenierung von Peter Brook hatte unvergessliche
Momente in dieser Richtung).
– Gedankenmonolog: der/die Handelnde setzt sich mit
bestimmten Gedanken, mit »sich selbst« als Gegenüber
auseinander; oft eine spannungsgeladene Pause der
Reflexion von zurückliegenden Ereignissen in Hinblick
auf kommende Entscheidungen (Hamlets Monolog nach
dem Auftritt der Schauspieler könnte hierfür ein Beispiel
sein);
– Zustandsmonolog: eigentlich ein »Gedankenmonolog«,
jedoch ohne den Schritt zur Entscheidung fürs Kommende;
beschreibt eine bestimmte Station, nachdem etwas
Bedeutendes geschehen ist (zum Beispiel Wendla in
1 »Veranschaulichung
bedeutet
gleichzeitig ›Vergegenwärtigung‹.
Die Monologe vollziehen
sich – auch
dort, wo sie Rück -
blick und Vorausschau
einbeziehen –
in einem ›Hier und
Jetzt‹«, siehe
Clemen, S. 186.
2 Zit. n. Matt, S. 75.
»Frühlings Erwachen«; sie fühlt sich völlig verändert,
kann aber nicht begreifen, was mit ihr geschehen ist).
– Monolog als Gespräch mit einem ersehnten Gegenüber,
das nicht anwesend ist; (zum Beispiel Elektras Anrufung
des Geistes ihres Vaters Agamemnon).
– Monolog als mahnendes Ritual und als Provokation für
die Mitwelt.
– Bericht an ein tatsächliches Gegenüber: Botenbericht
(zum Beispiel an Kreon); das Gegenüber ist anwesend,
seine Reaktionen müssen beachtet werden.
– Szenischer Monolog: Gesprächsmonolog des »Führenden«
in einer Szene mit einem Partner, der ursprünglich
tatsächlich anwesend ist, und dessen Text jetzt ausgelassen
wird. Dabei reagiert die »führende« Person zwar auf
die Einwürfe des Gegenübers, die ihre Haltungen beeinflussen
oder verändern, ist jedoch unbeirrbar entschieden,
zu einem bestimmten Ziel zu gelangen (siehe
»Nora« von Ibsen).
Eine genaue Überlegung, was für eine Art Person dieses
gedachte Gegenüber sein mag, ist ebenso unerlässlich,
wie die Beschaffenheit der Reaktionen, die von ihr erwartet
werden müssen, will man zu den notwendigen Handlungen
kommen, die zur Umsetzung des Textes führen
können.
Für einen solchen Monolog kann es auch besondere
Lösungen geben, vorstellbar wäre zum Beispiel, dass
Nora ein Gespräch einübt, das aber noch nicht wirklich
stattfindet.
Dieser Versuch einer Typologisierung mag einen ersten
Anhalt geben, wie man an einen spezifischen Text herangehen
kann. Die Gedanken, Orte, Vorstellungen, die ganze
Themenwelt eines Monologs werden um so anschaulicher,
je deutlicher und konkreter der Spieler sie sich gegenüberstellt
1 . Dass der Schauspieler, der einen Monolog spielt, selber
in ganz besonderer Weise ein Gegenüber wird – für seine
Zuschauer, für seine Mitwelt – macht viel von der Faszination
dieser theatralischen Form aus.
»Gelungene Monologe sind allerdings Lieblinge des
Publikums geworden«, schrieb Gustav Freytag 2 und mein-
Vorwort
te das eigentlich als Vorwurf – wir meinen das als Ermutigung
und wünschen allen, die sich mit diesen Texten befassen
wollen, Neugier, Freude und Erfolg.
Eva Spambalg und Uwe Berend
Aischylos · Die Perser
Aischylos (etwa 525 – 456 v. Chr.)
Die Perser
Tragödie
Erste Aufführung: 472 v. Chr., Athen
1 Rolle: Ein Bote, ein persischer Krieger
Szene: Vers 246–427
Ort: In einem Hof des Königspalasts in der persischen Hauptstadt Susa
480 v. Chr.
17
Zur Situation: Der persische König Xerxes ist mit einem ungeheuren Aufgebot an Soldaten in die
Schlacht gegen die Griechen gezogen, um die vorausgegangene Niederlage der Perser bei Marathon
zu rächen. Der persische Staatsrat, ein Chor von Greisen, und Atossa, die alte Mutter des
Königs, haben sich im Hof versammelt und warten in Angst und wachsender Sorge auf die Rück -
kehr der Krieger. »Die Eltern, die Frau’n, Tag zählend um Tag, sehn bang, wie die Heimkehr sich
hinzieht.«
Endlich kommt der Bote, ein Soldat, der die verheerende Schlacht bei Salamis überlebt hat.
Das persische Heer ist vollständig aufgerieben worden; dem Boten ist es als einem der wenigen
gelungen, sich bis nach Susa durchzuschlagen. Er hat die Strapazen einer langen Flucht durch
das Gebirge überstanden, viele andere sind vor Hunger und Durst umgekommen oder bei der
Überquerung eines Flusses ertrunken. Nun muss er den Wartenden von der völligen Niederlage
der Perser berichten.
Anzumerken ist noch, dass in jenen Zeiten die Überbringer schlechter Nachrichten oft ihr
Leben lassen mussten.
BOTE. Weh euch, ihr Städte all des weiten Asiens,
Weh, Perserland, weh dir, der Schätze reichem Port!
Wie ist mit einem Schlage jetzt das große Glück
Vernichtet, wie der Perser Blüte hingewelkt!
Ach, traurig ist’s, der Trauer erster Bot’ zu sein!
Und dennoch muss ich künden euch jetzt alles Leid:
Vernichtet ist, ihr Perser, euer ganzes Heer!
[...] Ja, weint, denn alles ist verloren dort, ist tot!
Ich selbst auch hoffte nicht, der Heimkehr Tag zu schaun.
[...]
Anstifter allen Leides war ein Rachegeist,
Ein böser Dämon, Herrin, der von irgendwo
Erschien. Ein Grieche nämlich aus dem Heer Athens
Kam eines Tags zu deinem Sohn und meldete:
»Die Griechen werden, wenn die Finsternis der Nacht
Hereinbricht, länger nicht mehr bleiben, sondern, schnell
An Bord der Schiffe springend, in geheimer Flucht,
Die einen hierhin und die andern dorthin, flugs
18 Aischylos · Die Perser
In Sicherheit sich bringen vor der Feinde Macht.«
Kaum hörte Xerxes diese Kunde – ahnte er
Doch nicht die List der Griechen und der Götter Neid –‚
Gebot er allen Führern seiner Flottenmacht,
Sobald der Strahl der Sonne von der Erde weicht
Und dunkle Nacht den weiten Himmelsraum bedeckt,
Das Schiffsgeschwader in drei Treffen aufzustell’n,
Zu sperren jede Ausfahrt, jeden Weg zur See;
Doch andre wieder sollten Aias’ Insel rings
Umstellen, und entginge seinem Schicksal dann
Der Feind und fänd’ er heimlich einen Ausweg dort,
So sollten alle büßen ihm mit ihrem Kopf.
In stolzer Zuversicht gebot der König dies,
Nicht ahnend, was die Götter über ihn verhängt.
Die Männer drauf mit treuergebnem Sinn
Bereiteten ihr Nachtmahl, und der Ruderknecht
Band fest sein Ruder an dem starken Riemenpflock.
Als dann der Sonne strahlend Licht erloschen war
Und Nacht es ward, ging eines jeden Ruders Herr
An Bord und jeder, welcher Wehr und Waffen trug. [...]
Der Schiffe Führer ordneten die Nacht hindurch
Der ganzen Flotte Durchfahrt durch den engen Sund.
Vorüber ging die Nacht, doch der Hellenen Heer
Versuchte nirgends im geheimen zu entfliehn.
Als aber drauf des Tages Lichtgespann erschien
Und sonnenhell das Land ringsum beleuchtete,
Da klang von den Hellenen her das Kampfgeschrei,
Laut schallend wie Gesang, und von dem Felsgestad’
Der Insel scholl entgegen ihm der Widerhall.
Und Furcht befiel da die Barbaren Mann für Mann,
Als sie getäuscht sich sahen; denn nicht wie zur Flucht
Stimmt’ an das Griechenheer den feierlichen Sang,
Nein, wie zu Kampf und Sieg aufbrechend, mutbeseelt.
Die Kriegstrompete schmetterte anfeuernd, laut,
Und flugs im Takte schlugen sie alsdann die Flut
Mit ihrer Ruder rauschendem, gleichmäß’gem Schlag.
Da tauchten plötzlich alle auf vor unserm Blick.
Der rechte Flügel, wohlgeordnet, fuhr voraus.
Ihm schloss sich an der ganze Zug, und ringsumher
Erscholl zugleich der Ruf: »Ihr Söhne Griechenlands,
Aischylos · Die Perser
Befreiet euer Vaterland, befreiet Weib
Und Kind, befreit der Heimatgötter heil’gen Sitz,
Der Ahnen Gräber! Jetzt um alles geht der Kampf!«
Nun brauste auch aus unsern Reih’n der persische
Schlachtruf hinüber, nicht zu zögern mehr war Zeit.
Sogleich ward Schiff von Schiff mit ehernem Sporn
gerammt.
Ein Schiff der Griechen war es, das als erstes stieß
Und einem Tyrerschiff den Schmuck des Vorderteils
Herunterriss. Dann fuhr ein Schiff aufs andre los.
Im Anfang hielt der Perserflotte Masse stand.
Doch als der Schiffe Menge in dem engen Sund
Sich drängte, konnte keins dem andern helfen mehr.
Von ihrer eignen Schiffe Schnäbeln wurden sie
Getroffen, brachen alles Ruderwerk sich ab,
Indessen der Hellenen Schiffe wohlbedacht
Im Kreise rings andrängten. Unsre Schiffe schlugen um,
So dass das Meer nicht mehr zu sehen war, bedeckt
Von Trümmern, Schiffsgerät und von Erschlagenen.
Die Leichen türmten sich auf Klippen und am Strand,
Und was an Schiffen übrig war vom Perserheer,
In wilder Flucht und Eile rudert’ es davon.
Die Griechen schlugen auf uns ein und spießten uns
Mit Ruderstücken und mit Schiffsgebälk,
Wie man den Thunfisch oder andre Fische jagt,
Und Wehgeschrei und Jammern scholl hin übers Meer,
Bis dem ein Ende macht’ die Finsternis der Nacht.
Und wenn ich auch das viele Leid der Reihe nach
Dir schildern wollt’ zehn Tage lang, zu Ende käm’
Ich nicht; denn wisse wohl, noch niemals kam zuvor
An einem Tag solch eine Unzahl Menschen um.
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20 Sophokles · Antigone
Sophokles (um 496 – 406 v. Chr.)
Antigone
Tragödie
2 Rolle: Wächter
Erste Aufführung: Etwa 443 v. Chr., Athen
Szene: Vers 223–331
Ort: Vor dem Königspalast in Theben
Zur Situation: In Theben hat es einen blutigen Machtkampf um die Herrschaft gegeben: Die beiden
Söhne des Oedipus, Eteokles und Polyneikes, die die Stadt ursprünglich abwechselnd hätten
regieren sollen, haben gegeneinander Krieg geführt und sind beide vor den Toren Thebens im
Kampf gestorben. Jetzt ist Kreon, ihr Onkel, König. Er hat angeordnet, dass Eteokles, als heldenhafter
Verteidiger Thebens zu gelten habe und mit allen Ehren bestattet werden solle, Polyneikes
aber, als Angreifer und Staatsfeind, keinesfalls begraben werden dürfe: »Sein Leib bleibt
unbestattet, eine Beute von Hund und Vögeln, schändlich anzuschauen. Das ist mein Wille.«
Nach dem griechischen Glauben bedeutet dies, dass Polyneikes nicht in das Reich der Schatten
eingehen kann. Um seine Anordnung durchzusetzen, lässt Kreon den Leichnam bewachen. Jetzt
kommt einer der Wachmänner zu ihm und muss eine Ungeheuerlichkeit berichten: Es hat
jemand den Toten mit Sand bedeckt.
Der Wächter kommt nicht freiwillig – das Los hat ausgerechnet ihn getroffen. Er hat auf dem
Weg gezögert, er will am liebsten gleich wieder gehen; er fürchtet Kreons Zorn und hat – aus
gutem Grund – Angst um sein Leben: »Kein Mensch ja liebt den Boten böser Mär.« So wichtig,
wie den Bericht loszuwerden, ist es ihm deshalb, seine Unschuld zu beteuern. Mit vorsichtigem
Witz versucht er, Kreon mild zu stimmen. Dieser fragt aber ungeduldig und mit wachsendem
Unmut dazwischen, bis der Wächter mit der ganzen Geschichte herausrückt. (Unser Text lässt
Kreons Einwürfe weg; zum Spielen ist es sicher gut, sie mitzudenken).
Es scheint, dass der Wächter es wohl eher anständig fände, Polyneikes zu beerdigen und dass
er den Befehl des Königs nicht mit Überzeugung durchsetzt: »Er streute durstigen Staub auf ihn
und weihte ihm, was sich gehört.«
WÄCHTER. Herr, ich behaupte nicht, ich sei vor Eile
In Atemnot, weil mir die Füße flogen.
Nein, Sorgenaufenthalte hatt’ ich viel
Und drehte oft mich schon zum Rückweg um,
Weil immerfort die Seele zu mir sagte:
Was rennst du, Armer, in dein Strafgericht?
Was bleibst du stehn, du Tropf? Erfährt es Kreon
Von einem andern, kriegst du sicher Hiebe!
Derart mich windend kam ich kaum vom Fleck –
So werden kurze Wege lang. Zuletzt
Hat der Entschluss gesiegt, zu dir zu geh’n.
Und ist es auch nichts wert, ich sag es doch,
Ich klammre mich an meinen Glauben fest:
Sophokles · Antigone
Was ich erleide, war mir vorbestimmt. [...]
Ich will zuerst von mir erzählen: Ich
War’s nämlich nicht und sah nicht, wer es war.
Stürz ich ins Unglück, ist es ungerecht. [...]
Ich sag’s ja schon: Es war jemand beim Toten,
Der ihn begrub. Er streute durstigen Staub
Auf ihn und weihte ihm, was sich gehört [...]
Ich weiß nicht. Da war keines Spatens Stich,
Kein Auswurf einer Hacke. Fest der Boden
Und hart und ungebrochen, kein Geleis
Von Rädern – spurlos war der Täter fort.
Wie es der erste Tagesposten uns
Anzeigt, ist’s allen ein bedenklich Wunder.
Unsichtbar war er, nicht begraben, dünn
Lag Staub auf ihm, wie um den Fluch zu bannen.
Und keine Spur von Raubtier oder Hund
Zu sehn, dass einer kam und an ihm zerrte.
Da brausten wüste Worte aufeinander:
Der Wächter schimpfte auf den Wächter, schließlich
Kam’s schier zur Schlägerei – wer sollte es
Verhindern? Jeder war der Missetäter,
Und keiner wirklich, jeder stritt es ab.
Durchs Feuer wären wir gegangen, hätten
Ein glühend Eisen in die Hand genommen
Und jeden Eid geschworen, dass wir nicht
Die Täter waren und auch nicht die Hehler
Von dem, der’s plante oder tat. Zuletzt,
Als unsre Untersuchung nichts ergab,
Da kam ein Vorschlag, dass vor Angst wir alle
Die Köpfe hängen ließen. Keiner konnte
Dagegen sprechen, keiner wusste auch,
Wie man’s mit heiler Haut zustande brächte:
Es hieß, man solle dir den Vorfall melden
Und nicht verheimlichen. Und das ging durch.
Mich Unglücksvogel traf das schöne Los,
Weiß wohl, du hörst’s so ungern, wie ich’s sage,
Kein Mensch ja liebt den Boten böser Mär.
Darf ich was sagen oder soll ich gehn? [...]
Der Täter kränkt dein Herz, ich nur dein Ohr. [...]
Ja, hätten wir ihn nur! Doch ob er nun
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22 Sophokles · Antigone
Später tritt der
Wächter noch einmal
mit einem
Bericht auf: Siehe
Vers 406 ff.
Erwischt wird oder nicht – vielleicht gelingt’s –‚
Mich siehst du hier nicht wieder. Diesmal schon
Hätt’ ich es nie gehofft und nie gedacht,
Dass ich entkomme – tausend Dank, ihr Götter!
(Ab.)
3 Rolle: Haimon, Sohn des Königs Kreon von Theben
Szene: Vers 683–765
Ort: Vor dem Königspalast in Theben
Zur Situation: Antigone ist aufgegriffen worden, als sie erneut versucht hat, ihren toten Bruder
Polyneikes zu bestatten. Obwohl Antigone seine Nichte und zukünftige Schwiegertochter ist,
will König Kreon sein Gesetz in aller Härte an ihr vollstrecken – sie soll sterben, damit seine
Macht nicht angezweifelt werden kann. Ein möglicher Autoritätsverlust ist seine größte Sorge:
»Wenn sie sich ungestraft das leisten darf, bin ich kein Mann mehr, dann ist sie der Mann.«
Nun kommt Kreons Sohn Haimon, der Bräutigam Antigones, zu König Kreon. Dieser teilt ihm
das Urteil mit und verlangt zugleich, sein Sohn solle sich der Entscheidung widerspruchslos
fügen, den Tod seiner Braut hinnehmen und ihm, dem Vater, weiterhin bedingungslos vertrauen.
Haimon liebt Antigone zutiefst, er hat Verständnis für ihr Handeln, und er hat ein Ohr für das,
was im Volk geredet wird: Man ist mit Kreons hartem Entschluß nicht einverstanden, hinter vorgehaltener
Hand wird überall Kritik laut. Nun stellt sich Haimon dem Vater gegenüber – er wahrt
den üblichen Respekt des Sohns gegen den Vater, er will keinen Bruch, im Gegenteil geht es ihm
darum, durch die Bezeugung seiner Loyalität und Sohnesliebe den Kontakt zu Kreon aufrecht zu
erhalten und so Gehör bei ihm zu finden: »Vater! Nichts wünsche ich mir sehnlicher, als dass du
glücklich bist.« In der Sache hält er sich aber nicht zurück, in der Auseinandersetzung ist er dem
König zumindest ebenbürtig, seine Argumente gewinnen ihre Stärke durch das tiefe Empfinden
für die Würde der Menschen und das Recht der Götter, das ihnen zugrunde liegt. Nach der hier
abgedruckten eindringlich auf Überzeugung zielenden Passage kommt es zum immer hitzigeren
Wortwechsel, die Begegnung endet mit dem völligen Zerwürfnis.
HAIMON. Vater, die Götter pflanzen die Vernunft
Dem Menschen ein als höchstes aller Güter.
Ich könnte nicht behaupten, was du sagtest,
Das sei nicht richtig, möcht’ es auch nicht können,
Nur kommt wohl auch ein andrer auf das Rechte.
Mir fällt es zu, für dich zu wachen, was man
So sagt und tut und auszusetzen hat.
Dir ins Gesicht wagt der gemeine Mann
Nicht auszusprechen, was du nicht gern hörst.
Mir aber kommt es insgeheim zu Ohren,
Wie sich die Stadt um dieses Mädchen härmt:
Sophokles · Antigone
Sie, die unschuldigste von allen Frauen,
Soll elend sterben für die schönste Tat!
Den eignen Bruder, der im Kampfe fiel,
Hat sie nicht ohne Grab verkommen lassen,
Der wilden Hunde und der Vögel Fraß,
Ist sie nicht gold’ner Ehrengabe wert?
So geht’s im Dunkeln leis von Mund zu Mund.
Vater! Nichts wünsche ich mir sehnlicher,
Als dass du glücklich bist. Denn welches Kleinod
Freut Kinder mehr als ihres Vaters Ruhm
Und was den Vater mehr als Kindes Glück?
Drum lass nicht nur die eine Denkart gelten,
Die du für richtig hältst, und keine andre!
Denn wer nur selber einsichtsvoll sich dünkt,
Begabt mit Geist und Rede wie kein zweiter,
Enthüllt bei Licht besehen sich als leer.
Auch für den Klugen ist doch keine Schande,
Statt sich zu übernehmen, viel zu lernen.
Du siehst am winterlich geschwollnen Strom
Den Baum, der nachgibt, seine Zweige retten,
Was widersteht, reißt’s mit den Wurzeln fort.
Und wenn der Steuermann das Segeltau
Nur immer strafft und gar nicht lockern mag,
Der kentert bald und fährt kieloben weiter,
Drum beuge dich und wandle deinen Sinn!
Hab ich, der Jüngre, auch ein Wort, ich meine,
Weitaus der höchste Rang gebührt dem Mann,
Dem von Natur der Weisheit Fülle ward.
Doch in der Regel fällt es anders aus,
Dann ist von Klugen lernen auch ein Lob. [...]
Wärst du mein Vater nicht, spräch’ ich: Du Narr!
[...] Vor meinen Augen wird sie niemals sterben,
Das hoffe nicht! Mich aber wirst du nie mehr
Vor deinen Augen sehen. Such dir Freunde,
Die deinen Wahnsinn sich gefallen lassen!
(Stürzt davon.)
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24 Sophokles · Elektra
Sophokles (um 496 – 406 v. Chr.)
Elektra
Tragödie
4 Rolle: Elektra
Erste Aufführung: Etwa 413 v. Chr., Athen
Szene: Vers 85–212
Ort: Vor dem Königspalast in Mykene
Zur Situation: Elektra ist die Tochter des früheren Königs von Mykene, Agamemnon, und seiner
Frau Klytaimnestra. Bei seiner Rückkehr aus dem Trojanischen Krieg wurde Agamemnon von Klytaimnestra
und ihrem Geliebten Aigisthos erschlagen. Um ihren kleinen Bruder Orestes in
Sicherheit zu bringen, schickte Elektra ihn damals mit seinem Erzieher heimlich von Mykene
weg.
Seither lebt sie mit ihrer Schwester Chrysothemis völlig entrechtet am Königshof. Sie trauert
um ihren Vater und ist voller Hass gegen ihre Mutter und Aigisthos. Sie kann das Unrecht des
Mords nicht ertragen, die Niedertracht der Mutter, die Schamlosigkeit, mit der sie ihren Geliebten
ins königliche Ehebett holte und seither mit ihm lebt. Elektra fühlt sich Tag für Tag aufs neue
gedemütigt, der Gedanke an Rache hat sich in ihr festgefressen. Doch sie alleine ist völlig machtlos,
ihre Situation am Königshof ist fast die einer Sklavin, ohne Aussicht auf Veränderung. So bleiben
ihr nur der Hass und ihre einzige Hoffnung, Orestes werde eines Tages zurückkommen und
den Tod des Vaters rächen.
ELEKTRA. O heiliges Licht!
Und an der Erde
Gleichbeteiligte: Luft! wie du
Mir viele Trauergesänge
Und viele Hiebe gegen die Brust,
Die blutende, hast vernommen,
So oft die dunkle Nacht entwich!
Doch meine nächtlichen Feiern erst –
Da wissen die bitteren Lager
In dem leidigen Haus,
Wie viel um den unseligen
Ich klage, meinen Vater,
Den in dem Barbarenlande nicht
Der blutige Ares zu Gaste zog,
Die Mutter aber, die meine,
Und ihr Lagergenosse Aigisthos –
Wie Holzfäller den Eichbaum
Spalten sie ihm
Das Haupt mit dem blutigen Beile! –
Sophokles · Elektra
Und keine Klage darüber wird
Von einer andern erhoben als mir
Um dich, Vater! den derart
Schmählich und erbärmlich Gestorbenen!
Doch niemals, nein!
Lass ich ab von Totenklagen
Und bitteren Grabgesängen,
Solang’ ich die schimmernden Strahlen
Der Sterne sehe und diesen Tag:
Dass ich nicht gleich ihr, die ihr Kind erschlug,
Der Nachtigall, mit dem Weheruf
Vor diesen väterlichen Türen
Den Widerhall allen hinausschrei!
O Haus des Hades und Persephones!
O unterirdischer Hermes und
Gebietende Göttin du des Fluchs!
Und Erhabene ihr, der Götter Töchter,
Erinnyen!
Die ihr blickt auf die, denen heimlich man stahl
Das Ehebett!
Kommt! helfet! rächt
Den Mord an unserem Vater!
Und mir den meinen schickt, den Bruder!
Denn allein hab ich nicht mehr die Kraft,
Die Waage zu halten der Last des Wehs! [...]
Ja, er, auf den ich unermüdlich wartend,
Kindlos, ich Arme, und hochzeitlos
Immer dahingeh’, von Tränen feucht,
Und trage dieses unendliche
Schicksal der Leiden!
Doch der vergisst,
Was man ihm angetan und was er erfuhr!
Denn was an Botschaft kommt mir nicht,
Das nicht als Täuschung sich erwiesen?
Denn immer sehnt er, aber, sehnend,
Hält er für wert nicht, zu erscheinen! [...]
Jedoch mich hat das meiste Leben schon verlassen,
Hoffnungslos, und ich reiche nicht mehr hin:
Die ohne Eltern ich dahinschmelz,
Für die kein eigener Gatte eintritt,
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