144_Ausgabe Juli 2015
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Gartenfront der Stadthalle um 1911
Vorwort<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
in den Erinnerungen von Girolamo Lucchesini,<br />
Vorleser bei Friedrich dem Großen, findet man<br />
im Bericht über ein Gespräch mit dem alten<br />
König am 29. Mai 1781, dieser habe scherzhaft<br />
vorgeschlagen, einige Nachbarstaaten könnten<br />
neue Orden mit den Namen antiker Götter einführen<br />
– Österreich nach Jupiter, England nach<br />
Merkur und Frankreich nach der Venus. Den<br />
Einheimischen aber solle man Orden mit dem<br />
Abbild eines Affen verpassen, „weil hier alles<br />
den Großmächten nachgeäfft wird“. Das mit<br />
dem Nachäffen paßt haargenau zu heutigen<br />
und hiesigen Zuständen. Vor Jahren las man in<br />
der Zeitung noch, in Görlitz habe sich unter dem<br />
Namen „Sprachgärtner“ eine kleine Sprachpflegegemeinschaft<br />
zusammengefunden, um unsere<br />
Muttersprache zu bewahren. Seitdem war<br />
nie wieder etwas darüber zu hören. Zunehmend<br />
beherrscht USamerikanisches Englisch den städtischen<br />
Alltag. Zu den „city-kids“ im Schulhort<br />
Berliner Straße und dem „City-Center“ hinter<br />
dem Warenhaus kamen kleinste Lädchen, die<br />
sich als „centers“ anbieten. An den Schaufenstern<br />
wird zum „summer sale“ geladen. Riesige<br />
Lieferwagen rumpeln durchs Stadtzentrum und<br />
verraten mit Aufschriften an den Fahrzeugwänden,<br />
daß sie „food“ oder „flowers“ bringen. Neuerdings<br />
wird zur Verschönerung des Stadtbildes<br />
„urban gardening“ angekündigt. Bei Görlitzinformation<br />
liegt ein Stapel „T-Shirts“ für Touristen,<br />
aber nicht etwa mit dem Stadtwappen vor einer<br />
Stadtsilhouette, sondern der Aufschrift „Görliwood“,<br />
und eine an sich lobenswerte öffentliche<br />
Veranstaltung im Stadtzentrum vermarktete sich<br />
als „Görly dancing“ (statt einfach „Görlitz tanzt“).<br />
Da wirkt die selbstverständliche Forderung, die<br />
Einwanderer sollten rasch die deutsche Sprache<br />
lernen, um sich in den neuen Lebensumständen<br />
zurechtzufinden, geradezu schizophren. Aber<br />
anstatt, wie es ihre Amtspflicht wäre, den Namen<br />
„Görlitz“ (slawischen Ursprungs) als Hoheitssymbol<br />
wie das Stadtwappen vor Verschandelungen<br />
zu schützen, laufen Stadtoberhäupter<br />
mit dem Goldenen Buch unterm Arm zu Drehorten<br />
USamerikanischer Filme, um Autogramme<br />
amerikanischer Filmgrößen einzusammeln, und<br />
das in einem Land, das einmal selbst mit an der<br />
Spitze internationaler Filmkunst stand! Leergeräumte<br />
Baudenkmale (welcher Hohn!) waren als<br />
Filmkulissen gerade noch gut genug und ernteten<br />
einen Ausstattungs-Oscar. Kurzum – ein<br />
wachsender Anteil der Bevölkerung, namentlich<br />
unter der Jugend, ist bereits zu gefügigen USA-<br />
Untertanen diszipliniert worden. Steter Tropfen<br />
höhlt den Stein. Vergessen Hiroshima, Dresden,<br />
Vietnam, Irak, Syrien, Libyen, „gezieltes Töten“.<br />
Vergessen auch, daß die vielfach beklagten<br />
und ununterbrochen wachsenden Einwandererströme<br />
zumeist Folgen USamerikanischer<br />
militärischer Einmischungen in die inneren Angelegenheiten<br />
souveräner Staaten sind. Auf die<br />
Sprachsklaverei folgt die Militärsklaverei. Wir<br />
werden abgespeist mit dem Hinweis, all dies sei<br />
„alternativlos“ und die Bündnistreue zur selbsternannten<br />
Weltführungsmacht mit ihrem Militärpakt<br />
sei „bedingungslos“. Für geopolitische<br />
Interessen wird die antirussische Hysterie wiederbelebt,<br />
und vom Baltikum über unser Nachbarland<br />
bis zum Balkan wird kräftig aufgerüstet.<br />
Es geht längst nicht mehr nur um eine scheinbar<br />
harmlose Sprachpanscherei. Wollen wir Deutschen<br />
tatsächlich den Affenorden verdienen und<br />
uns um Kopf und Kragen bringen? Dies fragt<br />
sich besorgt<br />
Ihr Ernst Kretzschmar<br />
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Einleitung<br />
3
Stadthalle<br />
Bürgerschaftliches Engagement<br />
Görlitz<br />
–<br />
e.V.<br />
Wie kein anderes Bauwerk der Stadt<br />
Görlitz verdankt die Stadthalle ihre Existenz<br />
dem Engagement der Bürger. Bolko<br />
Graf von Hochberg, der schlesischen<br />
Aristokratie zugehörig, brachte trotz Widerwärtigkeiten<br />
und herben Rückschlägen<br />
unverdrossen den Bau als Haus für<br />
die Schlesischen Musikfestspiele voran.<br />
Dies geschah durch eine Vielzahl von<br />
Kontakten, die er mit namhaften Persönlichkeiten<br />
und Institutionen intensiv<br />
pflegte, sowie mittels großzügigen privaten<br />
Spenden. Zudem begleitete eine<br />
Kommission aus Bürgerschaft, Magistrat<br />
Stadtverordneten dieses Bauprojekt.<br />
300.000 Reichsmark brachten die Bürger<br />
über eine Lotterie auf. Von Anfang an<br />
nahmen die Bürger dieser Stadt, deren<br />
Umland und die Presse regen Anteil am<br />
Baugeschehen. Der Fabrikbesitzer Otto<br />
Müller spendete 15.000 Reichsmark für<br />
die Orgel, die vom königlichen Musikdirektor<br />
Preußens als das wertvollste Orgelwerk<br />
Schlesiens eingestuft wurde.<br />
Durch die Musikgeschichte und Historiker<br />
in expressis verbis belegt, gehörten<br />
bis 1945 die Schlesischen Musikfeste zu<br />
Reinigung des Großen Saales der Stadthalle durch Vereinsmitglieder<br />
und Nichtmitglieder in Vorbereitung des<br />
Benefizkonzertes mit Bill Ramsey. 2013<br />
den bekanntesten Musikfesten in<br />
Deutschland. Dazu trug die Stadthalle<br />
als Veranstaltungsort für dieses traditionelle<br />
Musikfest maßgeblich bei. Bis zu<br />
ihrer Schließung 2005 war sie nicht nur<br />
das Haus, das den Ruf von Görlitz als<br />
Musikstadt mit ihrer hervorragenden<br />
Akustik begründete, sondern wurde dar-<br />
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4<br />
Geschichte
Stadthalle<br />
11 Jahre Förderverein<br />
Görlitz<br />
Stadthalle Görlitz<br />
e.V.<br />
e.V.<br />
über hinaus als Veranstaltungsort in vielfältiger<br />
Weise für die Bürger genutzt. Die<br />
Schließung und der danach erfolgte Modus<br />
des Verkaufs sämtlichen Inventars<br />
wurde von vielen Bürgern als schmerzlicher<br />
Verlust wahrgenommen. Um die<br />
Stadtverwaltung und den Stadtrat bei<br />
der Wiedernutzung der Stadthalle, bei<br />
der Erhaltung und Sanierung dieses Jugendstildenkmals<br />
zu unterstützen, gründeten<br />
am 9.1.2004 vierzehn Görlitzer<br />
Bürger des Landkreises den Förderverein<br />
Stadthalle Görlitz e.V.. Zu ihnen gehörten<br />
u.a. Kreisrat Dr. med. Bernhard<br />
Wachtarz, MdL Volker Bandmann, der<br />
Präsident des Kuratoriums Schlesische<br />
Lausitz Frank Brendler, der sich um die<br />
Wiederbelebung der Görlitzer Musikfestspiele<br />
besonders verdient machte, sowie<br />
die Stadtverordneten Michael Hannich<br />
und Thomas Leder. „Ich hoffe, dass<br />
möglichst viele Bürgerinnen und Bürger<br />
durch ihre Mitgliedschaft bzw. anderweitige<br />
Förderungen unser Anliegen unterstützen.<br />
Dann wird die Stadthalle Görlitz<br />
wieder das werden, was sie einst war,<br />
ein kulturelles Zentrum“. Dies waren die<br />
Veranstaltung des Fördereins Stadthalle Görlitze.e.V.<br />
im Bankettsaal der Stadthalle im Jahr 2014<br />
Worte des damaligen Fördervereinsvorsitzenden,<br />
Herrn Michael Hannich, anlässlich<br />
der Vereinsgründung. Unterstützt<br />
vom Förderverein, fanden danach<br />
2004 u.a. folgende Veranstaltungen<br />
statt: Modell und Bahn, mit über 10 000<br />
Besuchern, Internationales Tanzturnier,<br />
The world famous – Glenn Miller Orchestra,<br />
Hansi Hinterseer, die Philharmoni-<br />
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Geschichte<br />
5
Stadthalle<br />
Bürgerschaftliches Engagement<br />
Görlitz<br />
–<br />
e.V.<br />
schen Konzerte der Neuen Lausitzer<br />
Philharmonie, Schwanensee, Ballett<br />
Classique de Paris, Wiener Weihnachtskonzert,<br />
„Mandolinen-Weihnacht“ des<br />
Mandolinen Orchestra Zgorzelec und<br />
Wiener Johann Strauss Galakonzert in<br />
der Stadthalle. Im Jahr der Schließung<br />
2005 veranstaltete das Theater Görlitz in<br />
Kooperation mit dem Förderverein eine<br />
Party mit Orchestern, Tanzvereinen und<br />
Chören. Im April desselben Jahres organisierte<br />
der Verein eine Unterschriftensammlung<br />
unter dem Motto „Mir fehlt<br />
die Stadthalle“. Im Jahr 2006 wurde in<br />
Zusammenarbeit mit dem Förderverein<br />
über eine Videokunstausstellung mit<br />
dem Titel „Die Vergänglichkeit des Schönen“<br />
auf die Stadthalle aufmerksam gemacht.<br />
Im Jahr 2007 präsentierte sich<br />
der Förderverein mit einem Informationsstand<br />
beim 2. Schlesischen Heimatfest<br />
in Görlitz im Rosenhof. Der Förderverein<br />
initiierte weiterhin ein Orgelkonzert<br />
mit den Organisten von Prof. Wolfgang<br />
Baumgratz, Bremen, und Prof. Arvid<br />
Gast, Lübeck, in der geschlossenen<br />
Stadthalle, das in den Stadthallengarten<br />
Frühjahrsputz des Stadthallengarten im Jahr <strong>2015</strong><br />
durch Mitglieder und Nichtmitglieder des Fördervereins<br />
Stadthalle e.V.<br />
übertragen wurde. Nachdem 2008 der<br />
Stadtrat Thomas Leder zum Vorsitzenden<br />
des Fördervereins gewählt worden<br />
war, veranstaltete am 26.1.2010 der<br />
Förderverein im Stadthallengarten eine<br />
Festveranstaltung „100 Jahre Stadthalle<br />
Görlitz“, da der Große Saal des seit 5<br />
Jahren geschlossen Gebäudes von der<br />
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6<br />
Geschichte
Stadthalle<br />
11 Jahre Förderverein<br />
Görlitz<br />
Stadthalle Görlitz<br />
e.V.<br />
e.V.<br />
Bereinigung und Pflege des Stadthallengartens im<br />
Frühjahr <strong>2015</strong> durch Mitglieder und Nichtmitglieder<br />
Stadt Görlitz dafür nicht zur Verfügung<br />
gestellt wurde. Es schloss sich danach<br />
am 27.10.2010 eine Festveranstaltung<br />
zum 100. Jahrestag der Eröffnung der<br />
Stadthalle an. Wider Erwarten wurden<br />
2012 die Zielstellungen, das Leitbild und<br />
die Aktivitäten des Fördervereins dadurch<br />
behindert, dass die Mittel des Freistaates<br />
Sachsen in Höhe von 20 Millionen<br />
Euro komplett von der Stadt<br />
zurückgegeben wurden und infolgedessen<br />
die dringend erforderliche Sicherung<br />
der Bausubstanz unverständlicherweise<br />
auf unbestimmte Zeit vertagt wurde.<br />
Trotz geschlossener Stadthalle ermöglichten<br />
die Verantwortlichen der Stadt<br />
Görlitz, dass Dreharbeiten zu dem Film<br />
„The Grand Budapest Hotel“ in und an<br />
der Stadthalle durchgeführt werden<br />
konnten. Am 28.6.2013 gab der Oberbürgermeister<br />
Siegfried Deinege den<br />
großen Saal zur Nutzung für ein bis zum<br />
letzten Platz besetztes Benefizkonzert<br />
mit Bill Ramsey und der Big Band der<br />
Oper Chemnitz frei. Danach stieg die<br />
Mitgliederanzahl des Vereins auf über<br />
200 Mitglieder an, und zugleich erhöhten<br />
sich die Vereinsaktivitäten. Der vernachlässigte<br />
Stadthallengarten wurde<br />
von Vereinsmitglieder und Nichtmitgliedern,<br />
zu denen auch polnische Bürger<br />
gehörten, mit der Zielstellung entrümpelt<br />
und gepflegt, dass er künftig für die<br />
ältere und jüngere Generation der Stadt<br />
Görlitz für Veranstaltungen zur Verfügung<br />
stehen kann. 2014 genehmigte<br />
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Geschichte<br />
7
Stadthalle<br />
Bürgerschaftliches Engagement<br />
Görlitz<br />
–<br />
e.V.<br />
Gründungsmitglieder von links nach rechts: Stadtrat<br />
Thomas Leder, Stadtrat Michael Hannich, Thomas<br />
Matzke.<br />
Oberbürgermeister Siegfried Deinege<br />
zwei bunte Veranstaltungen im bis auf<br />
den letzten Platz besetzten Bankettsaal<br />
der Stadthalle. Eine Vielzahl von Künstlern<br />
aus Görlitz und aus dem Freistaat<br />
Sachsen stellten sich teils ehrenamtlich<br />
für die Ausgestaltung dieser Veranstaltung<br />
zur Verfügung. Im gleichen Jahr<br />
erfolgte eine Unterschriftensammlung,<br />
deren Inhalt dazu aufrief, die Stadthalle<br />
zu sichern und zu sanieren. Die zum Tag<br />
des Denkmals 2014 vom Förderverein<br />
geplante und organisierte Öffnung des<br />
großen Saales musste abgesagt werden,<br />
da vier Tage vorher der Zutritt in die<br />
Stadthalle wegen akuter Einsturzgefahr<br />
seitens der Stadt Görlitz verboten wurde.<br />
Allen Widrigkeiten zum Trotz organisierte<br />
dennoch der Verein vor dem nicht<br />
abgesperrten Bereich an der Stadthalle<br />
einen „Tag des geschlossenen Denkmals“.<br />
Das neue Jahr <strong>2015</strong> wurde vom<br />
Förderverein im Januar mit einem Neujahrsempfang<br />
begrüßt. Für das Jahr<br />
<strong>2015</strong> plant er ein Sommerfest Stadthallengarten<br />
und wiederum die Öffnung<br />
zum Tag des offenen Denkmals. Weiterhin<br />
wird unter der Schirmherrschaft des<br />
Bürgermeisters von Zgorzelec Rafał Gronicz<br />
eine Ausstellung zur Geschichte der<br />
Stadthalle im Dom Kultury (Ruhmeshalle)<br />
durch den Förderverein organisiert.<br />
Der Verein arbeitet intensiv an der Gründung<br />
einer Bürgerstiftung für die Stadthalle,<br />
für die sich deutschlandweit bekannte<br />
namhafte Persönlichkeiten aus<br />
dem Bereich der Kultur und Politik als<br />
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8<br />
Geschichte
Stadthalle<br />
11 Jahre Förderverein<br />
Görlitz<br />
Stadthalle Görlitz<br />
e.V.<br />
e.V.<br />
Kuratoren zur Verfügung stellen. Eine<br />
Spende in Höhe von 12.000 Euro wurde<br />
der Stadt zur Sanierung der Dächer<br />
übergeben, um die dringend notwendigen<br />
Sicherungsarbeiten finanziell zu unterstützen.<br />
Über intensive persönliche<br />
Aufnahme von Kontakten zu den Medien<br />
(MDR Sachsenspiegel), Mitgliedern des<br />
Bundes- und Landtages sowie Ministerien<br />
bringt sich der Förderverein ein, damit<br />
die Sicherung, Sanierung und Wiedernutzung<br />
der Stadthalle ständig<br />
öffentlich im Gespräch ist und nicht aus<br />
den Augen des Oberbürgermeisters Deinege,<br />
des Bürgermeisters Dr. Wieler und<br />
des Stadtrates gerät. So haben die Vereinsaktivitäten<br />
sicherlich nicht unerheblich<br />
zur Bereitstellung von 4,2 Millionen<br />
Euro aus Mitteln des Bundes und des<br />
Freistaates zur Sicherung des Denkmals<br />
beigetragen. Bedauerlicherweise wird<br />
das ehrenamtliche bürgerschaftliche Engagement<br />
der Vereinsmitglieder gegenwärtig<br />
von dem Stadtrat sehr verhalten<br />
gewürdigt, unterstützt und gefördert.<br />
Dem Förderverein ist eine solche intensive<br />
und konstruktive Zusammenarbeit<br />
zu wünschen wie es in anderen Kommunen,<br />
z.B. im schlesischen Teil Sachsens<br />
beim Wiederaufbau des Schlosses in Bad<br />
Muskau, eine Normalität ist, um auf diesem<br />
Wege Spenden einzuwerben, damit<br />
die Sicherung und Sanierung der Stadthalle<br />
ohne Zeitverzug vorangebracht<br />
wird, damit dringend notwendige Arbeiten<br />
trotz Einsturzgefahr der Stadthalle<br />
nicht zögerlich umgesetzt werden. Zudem<br />
lässt die bürgernahe Transparenz<br />
sehr zu wünschen übrig. Dennoch wird<br />
der Verein nicht nachlassen, den Stadtrat<br />
und die Mandatsträger an die Pflicht<br />
zu erinnern, da nach Grundgesetz Eigentum<br />
verpflichtet. Um der Stadt und dem<br />
Stadtrat bei der Umsetzung dieser im<br />
Grundgesetz fixierten Pflicht behilflich zu<br />
sein, bringt sich der Förderverein ähnlich<br />
einem Katalysator als Bewegungsbeschleuniger<br />
ein, um dieses Denkmal von<br />
hohem nationalem Rang zu erhalten und<br />
der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu<br />
machen.<br />
Dr. med Jürgen Wenske<br />
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Geschichte<br />
9
Stadthalle<br />
SPD-Parteitag in Görlitz 1921 –<br />
Grußkarte<br />
Seit Jahren steht die Görlitzer<br />
Stadthalle leer. Um ihre Zukunft<br />
wird in diesen Tagen heftig gestritten.<br />
Nicht nur für die städtische<br />
Architekturgeschichte hat<br />
das Bauwerk einen hohen Rang.<br />
Es war auch Schauplatz von Ereignissen,<br />
die weit über die Stadt<br />
und ihre Umgebung hinaus wirkten,<br />
in ganz Deutschland und in<br />
den Nachbarstaaten Beachtung<br />
fanden und damit den Namen der<br />
Stadt und das Bild des Gebäudes<br />
verbreiteten. An hervorragender<br />
Stelle gehörte dazu der Görlitzer<br />
Parteitag der SPD vom 18. bis zum<br />
24. September 1921. Gastgeber<br />
war der Agitationsbezirk Niederschlesien,<br />
der den gesamten Regierungsbezirk<br />
Liegnitz umfaßte.<br />
Die Parteiführung hatte Görlitz als<br />
Tagungsort ausgewählt, um dem<br />
aufgeheizten politischen Klima in<br />
den Großstädten und möglichen<br />
Gegendemonstrationen nicht<br />
ausgesetzt zu werden. Bekanntlich<br />
fanden auch Sitzungen der<br />
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10<br />
Geschichte
Stadthalle<br />
Deutschland blickte zur Stadthalle<br />
verfassunggebenden Nationalversammlung<br />
1919 im ruhigen<br />
Weimar statt, und es kam zu den<br />
heute gewohnten Bezeichnungen<br />
„Weimarer Verfassung“ und „Weimarer<br />
Republik“. Durch das in der<br />
Görlitzer Stadthalle verabschiedete<br />
„Görlitzer Parteiprogramm“<br />
sollte nun auch die Industrie- und<br />
Kulturstadt an der Neiße in die<br />
Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung<br />
eingehen. Im Leitartikel<br />
der „Görlitzer Volkszeitung“<br />
unter der Überschrift „Glück auf<br />
zur Tagung!“ vom Sonntag, dem<br />
18. September 1921, hieß es:<br />
„Auf Görlitz schaut heute nicht<br />
nur alles in Deutschland, sondern<br />
die Aufmerksamkeit der ganzen<br />
Welt richtet sich auf diesen Parteitag.<br />
Ist es doch das Parlament<br />
der stärksten Arbeiterpartei der<br />
Welt, das hier zusammenkommt.<br />
Weder Freund noch Feind kann<br />
achtlos in dieser Tagung vorübergehen.<br />
Mit besonderer Spannung<br />
verfolgen die Massen des<br />
Hugo Keller (1842-1924), Görlitz, hielt die Eröffnungsrede<br />
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Geschichte<br />
11
Stadthalle<br />
SPD-Parteitag in Görlitz 1921 –<br />
Gruß der Görlitzer Volkszeitung<br />
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12<br />
Geschichte
Stadthalle<br />
Deutschland blickte zur Stadthalle<br />
arbeitenden Volkes die Beratungen und<br />
Entscheidungen in Görlitz. Schwer lastet<br />
auf ihnen Not und Sorge, und sie erwarten<br />
von uns Hilfe und Befreiung.“ Kurz vor<br />
dem Parteitag kam in der Gaststätte „Tivoli“<br />
an der Promenade der Sozialdemokratische<br />
Reichs-Frauentag zusammen. Über<br />
den Parteitag veröffentlichte die seit 1899<br />
erscheinende „Görlitzer Volkszeitung“ täglich<br />
ausführliche Berichte zu allen Tagesordnungspunkten,<br />
die Grundsatzreferate<br />
im Wortlaut, so dass sich die Leser ein<br />
umfassendes Bild machen konnten. Da<br />
las man am 20. September:“ Während<br />
am Tage die Menge der mit jedem Zuge<br />
ankommenden Delegierten und Gäste aus<br />
nah und fern die Straßen belebt, strömen<br />
am Nachmittag, aus allen Stadtteilen kommend,<br />
die Menschenmassen in der einen<br />
Richtung: Stadthalle. Schon lange vor der<br />
festgesetzten Eröffnungsstunde drängen<br />
sich die Massen der Zuhörer, der Delegierten<br />
und Gäste in das Tagungslokal.<br />
Bald ist der weite Raum über und über bis<br />
oben hinauf in den zweiten Rang gefüllt...<br />
Kurz nach sechs Uhr leiten die Klänge der<br />
Orgel mit Bachs Toccata und Fuge in D-<br />
Moll die Eröffnungsfeier ein. Dann tragen<br />
die Görlitzer Arbeiter-Sängerchore...einen<br />
Sängergruß vor...Von einem stürmischen<br />
Beifall begrüßt, trat dann unser alter, verehrter<br />
Genosse Hugo Keller an das Rednerpult,<br />
um den Parteitag namens der<br />
Görlitzer Genossen zu begrüßen. In seiner<br />
Ansprache, die ein Stück Geschichte<br />
der Görlitzer Parteibewegung wiedergab,<br />
konnte er die erfreuliche Mitteilung machen,<br />
dass der Agitationsbezirk Görlitz<br />
jetzt über 40000 Mitglieder zählt.“<br />
Bis auf den Reichspräsidenten Friedrich<br />
Ebert, Berlin, war in Görlitz alles erschienen,<br />
was in der Partei Rang und Namen hatte,<br />
darunter die ehemaligen Redakteure der<br />
„Görlitzer Volkszeitung“ Paul Löbe (Reichstagpräsident)<br />
und Hermann Müller (später<br />
Reichskanzler) sowie der zum Vorsitzenden<br />
des Parteitages gewählte Otto Wels,<br />
der durch den Görlitzer Redakteur und<br />
Reichstagsabgeordneten Paul Taubadel<br />
unterstützt wurde. Im Verlaufe des Parteitages<br />
traten ebenfalls als Referenten oder<br />
in der Diskussion auf: Hermann Molkenbuhr,<br />
Eduard Bernstein, Philipp Scheidemann,<br />
Otto Braun, Carl Severing, Eduard<br />
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Geschichte<br />
13
Stadthalle<br />
SPD-Parteitag in Görlitz 1921 –<br />
Parteitags-Delegierte im Großen Saal der Stadthalle<br />
David, Friedrich Stampfer. Eine solche Ansammlung<br />
an Berliner Politprominenz hatte<br />
Görlitz seit Jahrzehnten nicht mehr zu<br />
sehen bekommen. Das Eröffnungsreferat<br />
über die aktuelle Lage und das Anliegen<br />
der Zusammenkunft hielt Hermann Müller.<br />
Im Mittelpunkt der Vorträge standen<br />
drei Schwerpunkte, nämlich die Folgen<br />
des Versailler Raubfriedensvertrages für<br />
das deutsche Volk, die Bedingungen für<br />
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14<br />
Geschichte
Stadthalle<br />
Deutschland blickte zur Stadthalle<br />
Unter den Delegierten: Otto Buchwitz (vorn links) und Hugo Eberle (vorn Mitte)<br />
Regierungskoalitionen mit anderen Parteien<br />
und als Höhepunkt Vorschlag und Beschluss<br />
eines neuen Parteiprogramms. Im<br />
Saal gab es mindestens 2400 Sitzplätze.<br />
Die aufmerksamen Zuhörer verfolgten die<br />
Redebeiträge mit lebhaften Reaktionen.<br />
Das bis dahin gültige Erfurter Parteiprogramm<br />
hatte noch den Weg zur erstrebten<br />
sozialistischen Gesellschaft auf revolutionärem<br />
Wege vorgezeichnet. 1918<br />
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Geschichte<br />
15
Stadthalle<br />
SPD-Parteitag in Görlitz 1921 –<br />
hatte der Reichsrätekongreß mehrheitlich<br />
das im bolschewistischen Rußland eingeführte<br />
Rätesystem abgelehnt und sich für<br />
eine bürgerlich-parlamentarische Republik<br />
entschieden. Die SPD hatte inzwischen<br />
mehrfach Regierungsverantwortung übernommen<br />
und wollte nun über Wahlerfolge<br />
und schrittweise Reformen zum nach<br />
wie vor erstrebten Sozialismus gelangen.<br />
Diese Grundlinie beherrschte den in Görlitz<br />
vorgelegten Programmentwurf. Neben<br />
diesen strategischen Vorgaben nannte<br />
das neue Programm eine Vielzahl von<br />
Forderungen nach wirtschaftlichen, kulturellen<br />
und sozialen Fortschritten, darunter<br />
gesellschaftliches Eigentum an Grund und<br />
Boden, achtstündigen Arbeitstag, Verbot<br />
der Kinderarbeit, Förderung kinderreicher<br />
Familien, Trennung von Staat und<br />
Kirche, weltliche Einheitsschule (gemeinsam<br />
für Jungen und Mädchen), Revision<br />
des Friedensvertrages von Versailles im<br />
Sinne wirtschaftlicher Erleichterung und<br />
Anerkennung nationaler Lebensrechte,<br />
Völkerbund gleichberechtigter Nationen,<br />
Abrüstung. Nach ausführlicher, teils widerstreitender<br />
Aussprache wurde der<br />
Programmentwurf am 23. September bei<br />
fünf Gegenstimmen angenommen. In<br />
seinem Schlußwort am letzten Konferenztage<br />
sagte Otto Wels auch: „Wir danken<br />
zunächst den Görlitzer Genossen und dem<br />
ganzen Bezirk Niederschlesien für ihre<br />
umsichtige und vorbildliche Vorarbeit für<br />
den Parteitag, wir werden den Parteitag<br />
in Görlitz nicht vergessen... Der Görlitzer<br />
Parteiorganisation wird der Dank für all<br />
ihre Mühen auch dadurch zum Ausdruck<br />
gebracht, dass das künftige Programm<br />
der Partei das Görlitzer Programm heißt,<br />
so dass der Name der Stadt Görlitz stets<br />
mit diesem Programm verbunden sein<br />
wird.“ Scharfe Kritik erntete das Görlitzer<br />
Parteiprogramm der SPD von den<br />
linken Partei-Neugründungen USPD und<br />
KPD und von den Parteien der politischen<br />
Rechten, insbesondere der Deutsch-Nationalen<br />
Volkspartei und (später) der NSDAP.<br />
Aufgeschlossen für eine Zusammenarbeit<br />
zeigte sich die bürgerlich-republikanische<br />
Deutsche Demokratische Partei (früher<br />
Fortschrittspartei, später Deutsche Staatspartei),<br />
der in Görlitz auch die Oberbürgermeister<br />
Snay und Dr. Wiesner ange-<br />
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16<br />
Geschichte
Stadthalle<br />
Deutschland blickte zur Stadthalle<br />
Hugo Keller mit Hugo Eberle vor der Stadthalle<br />
hörten. Auf der Grundlage des<br />
neuen Programms vertraten aus<br />
der Görlitzer SPD Paul Taubadel<br />
und Otto Buchwitz im Reichstag<br />
und Hugo Eberle im Preußischen<br />
Landtag die Interessen ihrer<br />
Wähler. In der Parteitagsstadt<br />
Görlitz blieb die SPD von 1912 bis<br />
1930 bei allen Wahlen stärkste<br />
Partei, gestützt auf starke Freie<br />
Gewerkschaften (ADGB) und die<br />
Belegschaften der Großbetriebe,<br />
1919 mit 24173 Stimmen, 1932<br />
mit 20301. An den Einsatz der<br />
sozialdemokratischen Stadtverordneten<br />
erinnern noch heute<br />
Straßenzüge mit kommunalen<br />
und genossenschaftlichen Neubauten<br />
aus den 1920er Jahren<br />
und populäre Sportanlagen. Siebzig<br />
Jahre danach veranstaltete<br />
die Friedrich-Ebert-Stiftung am<br />
21.9.1991 in der Stadthalle, also<br />
am historischen Ort, eine wissenschaftliche<br />
Tagung, die mit einer<br />
festlichen Gedenkveranstaltung<br />
im großen Saal der Stadthalle am<br />
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Geschichte<br />
17
Stadthalle<br />
SPD-Parteitag in Görlitz 1921<br />
Paul Taubadel, Reichstagsabgeordneter<br />
frühen Nachmittag ausklang. An der Hinterfront<br />
im Erdgeschoß des Saales hatte<br />
ich gemeinsam mit dem damaligen Ratsarchivar<br />
Peter Wenzel in einigen Pultvitrinen<br />
historische Dokumente zum Parteitag<br />
1921 ausgelegt, die sich der Parteivorsitzende<br />
und Festredner Björn Engholm als<br />
aufmerksamer Zuhörer und Betrachter vor<br />
Veranstaltungsbeginn von uns erläutern<br />
ließ, und zwar ohne jede Begleitung durch<br />
Parteifunktionäre oder Journalisten, was<br />
man so leider selten erlebt. Nachdem sich<br />
die traditionsreiche frühere marxistische<br />
Arbeiterpartei nach dem Godesberger<br />
Programm zur Volkspartei umorientiert<br />
hat und nur selten als Alternative wahrgenommen<br />
wird, ist ihr Wählerpotential<br />
in Görlitz dramatisch geschrumpft, wozu<br />
auch die weitgehende Vernichtung der<br />
Görlitzer Industrie nach 1990 beigetragen<br />
haben dürfte. Die Görlitzer Ortsgruppe<br />
gehört aber verständlicherweise zu denen,<br />
die sich für eine Wiederbelebung<br />
der Stadthalle einsetzen. Auch mit Blick<br />
auf das in sechs Jahren zu feiernde 100.<br />
Jubiläum des Görlitzer Parteiprogramms,<br />
das dann hoffentlich an historischer Stätte<br />
begangen werden kann, natürlich mit der<br />
Bundesprominenz der SPD, die nun getrost<br />
etwas Druck machen darf, damit es<br />
endlich vorangeht mit der Stadthalle.<br />
Dr. Ernst Kretzschmar<br />
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18<br />
Geschichte
English for Du –<br />
for<br />
noch<br />
Du<br />
immer aktuell<br />
anzeige<br />
Geschichte 19
Tauchritz<br />
Evangelische Dorfkirche Tauchritz –<br />
In der Stammrolle des Bistums Meißen<br />
wurde Tauchritz erstmalig erwähnt als<br />
zum Dekanat Görlitz zugehörig. Eine<br />
erste Kirche wurde 1380 erbaut. Weitere<br />
Nachweise gibt es aus dem Jahre 1483.<br />
Hier wird in einer Urkunde des Plebans<br />
(Leutpriester - ein Geistlicher, der eine<br />
Stelle mit pfarrlichen Rechten besetzte)<br />
gedacht. Der erste evangelische Pfarrer<br />
trat 1547 seinen Dienst an.<br />
Bis 1686 soll die Kirche drei Glocken<br />
gehabt haben. Ein Feuer vernichtete in<br />
diesem Jahr das Kirchengebäude. Die<br />
drei Glocken wurden ein Opfer der Flammen.<br />
Ein Jahr darauf, im Jahre 1687, wurde<br />
mit dem Neubau der jetzigen Kirche<br />
begonnen. Der Bauabschluss erfolgte<br />
1689. Der verputzte Bruchsteinbau ist<br />
als turmlose Saalkirche errichtet. Die Sakristei<br />
schließt sich an der Apsis an.<br />
Im vergangenen Jahr 2014 konnte das<br />
325jährige Jubiläum gefeiert werden.<br />
1750 wurde der Bau durch eine zweigeschossige<br />
Patronatsloge erweitert. Ein<br />
besonderes Schmuckstück ist der Keramikofen<br />
im Rokokostil.<br />
Dorfkirche Tauchritz<br />
Die Innenausstattung ist sehr schlicht<br />
gehalten. Ein Kanzelaltar aus dem 18.<br />
Jahrhundert wird von marmorierten<br />
Säulen und Schnitzwerk flankiert.<br />
Nach einer Dacherneuerung konnte eine<br />
umfangreiche Sanierung der Aussen-<br />
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20<br />
Geschichte
Tauchritz<br />
Geschichte der Glocken<br />
Große Glocke von Abraham Sievert 1686<br />
fassade ausgeführt werden. Rechts neben<br />
dem Kanzelaltar die Grabplatte des<br />
1685 verstorbenen Erbherrn J. Chr. von<br />
Warnsdorf.<br />
Über die Herkunft und die technischen<br />
sowie musikalischen Daten der 1686<br />
Relief Kruzifix<br />
beim Brand zerstörten Glocken gibt es<br />
leider keine Überlieferungen.<br />
Für die jetzt turmlose Kirche goss im<br />
gleichen Jahr der Görlitzer Glockenmeister<br />
Abraham Sievert eine Neue mit dem<br />
offenbar übernommenen Spruch der al-<br />
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Geschichte<br />
21
Tauchritz<br />
Evangelische Dorfkirche Tauchritz –<br />
Inschrift der großen Glocke<br />
ten Glocke.<br />
Die Krone der Glocke ist mit Männerköpfen<br />
verziert. Von der Haube gehen fünf<br />
Kanten über zu einem 65 mm breiten<br />
Blütenfries, der von geflügelten Engelsköpfen<br />
unterbrochen wird.<br />
In vier Zeilen ist folgender Text zu lesen,<br />
wobei zwischen jedem Wort ein Blütenornament<br />
aufgebracht ist.<br />
Zeile 1:<br />
IGNIS ET IRA DIE ME CONSUMERE SO-<br />
NANDO ANNO M D C L XXXVI<br />
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22<br />
Geschichte
Tauchritz<br />
Geschichte der Glocken<br />
D 5. MAII<br />
Zeile 2:<br />
PIOS AD PIA VOTA VOCEM CURANTE<br />
CURATRICE ET PARENTE UT RENOVATA<br />
Zeile 3:<br />
MARIA SIDONIA DE NOBLISSIMA TRI-<br />
UM FILIORUM TRIUM FILIARUM DE<br />
WARNSDORF DOM.<br />
Hinter drei Blüten folgender Gussvermerk<br />
in der vierten Zeile:<br />
WARNSDORF NATA DE GERSDORF ARTI-<br />
FICE ABRAHAMO SIFERTO GEDANENS<br />
S. D. G. (Soli Deo Gloria)<br />
Unter den vier Textzeilen schließt sich an<br />
der Flanke ein 23 x 15 cm großes Kruzifix<br />
an, über dem steht: O rex Gloria veni in<br />
pacem. Gerahmt wird dieses Relief durch<br />
ein umlaufendes Fries mit Weinlaub und<br />
Trauben, in dem in gleichbleibenden Abständen<br />
Ritter- bzw. Edelleute-Bildnisse<br />
abgebildet sind. Unter diesem Fries<br />
hängende Ornamente mit Löwenköpfen<br />
im Zentrum. Links neben dem Kruzifix-<br />
Relief ein Flachrelief mit Totenkopf, Grab<br />
und Leichnam sowie einer nicht lesbaren<br />
Inschrift: Este mihi tri…<br />
Anlieferungsbescheid 1942 der großen Glocke<br />
Auf der Flankenseite gegenüber das<br />
Wappen derer von Warnsdorf und von<br />
Gersdorf.<br />
Über dem Schärfenband umlaufend die<br />
Inschrift nach sechs stilisierten Rosen:<br />
ICH RUF MIT MEINEM KLANG ZU SA-<br />
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Geschichte<br />
23
Tauchritz<br />
Evangelische Dorfkirche Tauchritz –<br />
GEN GOTT DANK UND LOCK DAS VOLK<br />
ZU GOTTES WORT WELCHES ZEIGT AN<br />
DES HIMMELS PFORT.<br />
Diese Glocke mit einem Durchmesser<br />
von 930 mm und einem Gewicht von<br />
450 kg musste 1942 von der Gemeinde<br />
der Rüstungsindustrie geopfert werden.<br />
Unter der Registriernummer 9/22/62 C<br />
wurde sie nach dem Kriege wieder aufgefunden<br />
und konnte vom Zwischenlager<br />
in Chemnitz für die Erstattung der<br />
Transportkosten in Höhe von 38,10 DM<br />
angeliefert werden.<br />
Sie hat die Kriegswirren überstanden<br />
und läutet im Nominal as ` noch heute<br />
in der Gemeinde von Tauchritz.<br />
Eine kleinere, vom gleichen Meister 1689<br />
gegossene Glocke hängt ebenso wie<br />
ihre größere Schwester in einem separaten<br />
Holzglockenstuhl im Dachstuhl der<br />
turmlosen Kirche. Dieser Klangkörper<br />
hat einen Durchmesser von 800 mm, ein<br />
Gewicht von ca. 290 kg und erklingt im<br />
Nominal c ``.<br />
Ebenso wie die größere Glocke ist die<br />
sechshenkelige Krone mit Männerköpfen<br />
verziert.<br />
Kleine Glocke von Abraham Sievert 1689<br />
Am Hals umlaufend ein Traubenfries mit<br />
Rittern, bzw. Edelleuten. An der Flanke<br />
ein gereimter Dank an die Stifterin der<br />
Glocke:<br />
AN FR. MAR. SIDONIA WARNSDORFFIN<br />
G GERSDORFFIN<br />
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24<br />
Geschichte
Tauchritz<br />
Geschichte der Glocken<br />
Kanzelaltar<br />
DU HASTS GESCHENKT DURCH GOTT<br />
GELENKT. DER SEEGNE DICH ERHALTE<br />
MICH. GEGOSSEN IN GÖRLITZ DURCH<br />
ABRAHAM SIEVERTEN ANNO 1689.<br />
Die Flanke gegenüber der Inschrift ziert<br />
ein Relief des Stifterwappens.<br />
Grabplatte des Erbherrn J. Ch. von Warnsdorf<br />
Darunter eine abfallende Kante zu einem<br />
fünf Zentimeter breiten Schärfenband.<br />
Dipl.-Ing. (FH) Michael Gürlach<br />
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Geschichte<br />
25
vor<br />
Friedrich<br />
200<br />
Wilhelm<br />
Jahren<br />
Graf von Reden (1752-1815) –<br />
Friedrich Wilhelm Graf von Reden<br />
Friedrich Wilhelm von Reden wurde am<br />
23. März 1752 in Hameln geboren. Unter<br />
dem Einfluss seines Onkels Claus<br />
von Reden, Berghauptmann im Kurfürstentum<br />
Hannover, wurde sehr früh sein<br />
Interesse für den Bergbau geweckt. Im<br />
16. Lebensjahre begann er seine Ausbildung<br />
im Bergbau unter anderem an<br />
den Universitäten Göttingen und Halle.<br />
Diese Ausbildung schloss Reden mit dem<br />
Staatsexamen für höhere Verwaltungsbeamte<br />
ab. Auf seinen anschließend<br />
durchgeführten Reisen nach Holland,<br />
Belgien, Frankreich und England lernte<br />
er die Nutzung von Steinkohle anstelle<br />
von Holz als Heizmaterial für die Rohund<br />
Schmiedeeisenerzeugnisse kennen,<br />
und er machte sich mit der Wirkung der<br />
neuen Dampfmaschinen vertraut.<br />
1776 wurde in Preußen Friedrich Anton<br />
von Heinitz (1725 - 1802) als Bergwerksminister<br />
berufen. Bereits im Jahre 1777<br />
holte Heinitz den erst 25 jährigen Reden<br />
nach Berlin und schickte ihn zunächst an<br />
die Bergakademie nach Freiberg. 1778<br />
wurde Reden zum Oberbergrat ernannt.<br />
Auf seinen Dienstreisen 1779 mit Minister<br />
Heinitz nach Schlesien sollten<br />
dem König Friedrich II. Vorschläge zur<br />
besseren Organisation der schlesischen<br />
Bergbehörden und zu einer Neuaufnahme<br />
des dortigen Bergbaus unterbreitet<br />
werden, denn eine solche Entscheidung<br />
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26<br />
Geschichte
vor<br />
Berghauptmann<br />
200 Jahren<br />
und Bergwerksminister<br />
konnte nur der König treffen, da Bergwerke<br />
und Hütten der Krone gehörten.<br />
Reden wurde daraufhin als kommissarischer<br />
Direktor des schlesischen Oberbergamtes<br />
in Breslau eingesetzt. Auf<br />
seine Forderung hin wurde sogar das<br />
staatliche Hüttenwesen dem Oberbergamt<br />
unterstellt. Damit übernahm Reden<br />
die Aufsicht über alle Bergwerke und<br />
Hütten Schlesiens. Er behielt dieses Amt<br />
23 Jahre bis zu seiner Berufung nach<br />
Berlin. Trotz erheblicher Schwierigkeiten,<br />
entsprechende Fachkräfte, insbesondere<br />
Bergleute, aus dem Mansfelder Revier<br />
zu gewinnen, gelang es ihm 1774, in<br />
Tarnowitz (Tarnowskie Gory) den alten<br />
Bleierzbergbau wieder aufzunehmen.<br />
Als 1786 auch eine neue Bleihütte in<br />
Betrieb genommen wurde, war Preußen<br />
frei von Importen dieses Metalls. Neben<br />
dem Erzbergbau förderte Reden insbesondere<br />
den Steinkohlenbergbau. Seine<br />
dabei in England erworbenen Kenntnisse<br />
nutzte er konsequent.<br />
Um diese neue Energiequelle nicht nur in<br />
den Hütten zur Anwendung zu bringen,<br />
sondern auch in der privaten Industrie<br />
anzuwenden, gewährte Reden für den<br />
Umbau von Feuerstätten auf Steinkohle<br />
staatliche Fördermittel. Ebenfalls stellte<br />
er entsprechende Konstruktionszeichnungen<br />
zur Verfügung. Reden ließ die<br />
Transportwege für die Anfahrt der Kohle<br />
erheblich verbessern. Die Versorgung<br />
von Berlin und Breslau mit schlesischer<br />
Steinkohle regelte er auch. Er verbesserte<br />
die Schifffahrt auf der Oder und<br />
richtete Zwischenlager ein. Auf seine<br />
Anregung wurden Kanäle zum Transport<br />
von Kohle und anderen Bergbauprodukten<br />
errichtet, unter anderem der 1804<br />
errichtete Klodnitzkanal, der Hindenburg<br />
(Zabrze) und Gleiwitz (Gliwice) mit der<br />
Oder verband, und 100 Jahre später<br />
wurde mit dem Oder-Havel-Kanal eine<br />
Verbindung nach Berlin hergestellt. Diese<br />
Erfolge wirkten sich auch erheblich<br />
positiv auf die preußischen Staatsfinanzen<br />
aus.<br />
Aus Anlass der Krönungsfeierlichkeiten<br />
für König Friedrich Wilhelm II. (1744 -<br />
1797 – König ab 1786) wurde Reden im<br />
Oktober 1786 in den Grafenstand erhoben<br />
und zum Geheimen Oberfinanzrat<br />
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Geschichte<br />
27
vor<br />
Friedrich<br />
200<br />
Wilhelm<br />
Jahren<br />
Graf von Reden (1752-1815) –<br />
Hochofenanlage in Königshütte um 1800<br />
ernannt. Im Jahre 1786 setzte Reden<br />
die Bestellung einer Dampfmaschine in<br />
England durch. 1787 kam diese in Schlesien<br />
für die Wasserhaltung unter Tage in<br />
Tarnowitz (Tarnowskie Gory) zum Einsatz.<br />
1789 weilte er erneut fast ein Jahr<br />
in England und machte sich dort mit den<br />
Fortschritten im Hüttenwesen und Maschinenbau<br />
vertraut. Nach erfolgreichen<br />
Versuchen mit der Verkokung von Stein-<br />
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28<br />
Geschichte
vor<br />
Berghauptmann<br />
200 Jahren<br />
und Bergwerksminister<br />
Portal Reden-Kanal um die Enstehungszeit<br />
kohle gründete er die Gleiwitzer (Gliwice)<br />
Hütte mit Koks-Hochofenbetrieb, deren<br />
Bau er persönlich leitete. Im Jahre<br />
1776 wurde dort der erste Kokshochofen<br />
auf dem europäischem Kontinent angeblasen.<br />
Weiterhin entstanden eine Gießerei, ein<br />
Draht- und Walzwerk und ein Blechhammer<br />
sowie eine mustergültige Maschinenfabrik.<br />
Damit konnte zunächst in<br />
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Geschichte<br />
29
vor<br />
Friedrich<br />
200<br />
Wilhelm<br />
Jahren<br />
Graf von Reden (1752-1815) –<br />
Tarnowitz und seit 1794 auch in Gleiwitz<br />
begonnen werden, Dampfmaschinen zu<br />
produzieren. Diese wurden für die Wasserhaltung,<br />
Förderung der Erze und des<br />
Abraums im Bergbau sowie auch zum<br />
Antrieb der Hochofengebläse und vereinzelt<br />
auch in der Berliner Eisenindustrie<br />
eingesetzt.<br />
Reden sorgte auch für die erforderliche<br />
Infrastruktur beim Rüdersdorfer Kalkabbau,<br />
indem er einen Stichkanal vom<br />
Kalksee zu den Rüdersdorfer Kalkbrüchen<br />
bauen ließ, der 1806 eröffnet wurde<br />
und jetzt unter Denkmalschutz steht.<br />
Ab dem Jahre 1790 musste Reden zusätzliche<br />
Aufgaben übernehmen, die<br />
außerhalb von Schlesien lagen. 1795<br />
erfolgte die Ernennung zum Berghauptmann.<br />
Im Jahre 1802 nahm er nach dem<br />
Tod von Heinitz als Oberberghauptmann<br />
und Leiter des Bergwerks- und Hütten<br />
Departements in Berlin seine Tätigkeit<br />
auf, dem folgte 1796 seine Ernennung<br />
zum Bergwerksminister und ab 1804 als<br />
„Wirklicher Geheimer Staatsminister.“<br />
Mit diesem Amt musste er nun seine<br />
Aufmerksamkeit allen preußischen Provinzen<br />
widmen. Seinem Wirken ist zu<br />
danken, dass im Jahre 1805 in Berlin die<br />
königliche Eisengießerei als Ableger der<br />
königlichen Eisenhüttenwerke Schlesiens<br />
ihre Produktion aufnahm. Dieses Werk<br />
bildete die Keimzelle des Maschinenbaus<br />
in Berlin.<br />
Im Jahre 1806 erfolgte in seinem Leben<br />
eine erste Zäsur.<br />
Nach der Niederlage Preußens im napoleonischen<br />
Kriege glaubte Reden dem<br />
Staat am besten damit zu dienen, wenn<br />
er im Amt verbleibt, um so eine Desorganisation<br />
und Ausplünderung der Bergwerke<br />
und Hütten zu verhindern. (Preußen<br />
war von Okt. 1806 - Dez. 1808 von<br />
Frankreich besetzt)<br />
Es wurde jedoch verlangt, dass Reden<br />
eine eidliche Verpflichtung für die inzwischen<br />
eingerichtete französische Verwaltung<br />
abgeben musste. Diesen Eid<br />
verweigerte er zunächst, musste aber<br />
einsehen, dass seine Verweigerung dem<br />
König und dem Staat erheblichen Schaden<br />
bringen könnte. So gab Reden am<br />
9.11.1806 die Verpflichtung ab.<br />
Friedrich Wilhelm III. fand die geleistete<br />
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30<br />
Geschichte
vor<br />
Berghauptmann<br />
200 Jahren<br />
und Bergwerksminister<br />
Friederike von Reden (1774 - 1854)<br />
Eidespflicht dem Feinde gegenüber mit<br />
der Dienst- und Untertanenpflicht unvereinbar.<br />
Dies hatte zur Folge, dass kurz<br />
nach dem Abschluss des Tilsiter Friedensvertrages<br />
vom 9.7.1807 der König<br />
fast alle Minister, so auch Reden, ohne<br />
Pension entließ hatte.<br />
Die Mitarbeiter des Berliner Bergwerksund<br />
Hütten-Departements und vor allem<br />
Kollegen aus Schlesien setzten sich in<br />
einem 12 Seiten umfassendem Schreiben<br />
für ihren Minister Reden ein. Sie<br />
schilderten sein Verdienst für den schlesischen<br />
Bergbau und gingen aber auch<br />
auf die französische Besatzung ein, indem<br />
Reden den Verfall des Bergbausund<br />
Hüttenbetriebes abwenden konnte.<br />
Damit hat das Berg- und Hütten-Wesen<br />
zwar gelitten, ist aber nicht zu Grunde<br />
gerichtet worden. Dies hat der Staat<br />
ausdrücklich zu danken.<br />
Die Entlassung wurde jedoch nicht rückgängig<br />
gemacht. Graf Reden zog sich auf<br />
Schloss Buchwald (Bukowiec) im Hirschberger<br />
Tal zurück, welches er 1785 erworben<br />
hatte. Der Landschaftspark war<br />
öffentlich zugänglich.<br />
Nach Kenntnis dieses Schreibens wurde<br />
Graf Reden insofern rehabilitiert, indem<br />
ihn der König für seine hervorragenden<br />
Verdienste um das preußische Berg- und<br />
Hüttenwesen am 8.11.1810 mit dem<br />
Roten-Adler-Orden auszeichnete. Eine<br />
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Geschichte<br />
31
vor<br />
Friedrich<br />
200<br />
Wilhelm<br />
Jahren<br />
Graf von Reden (1752-1815) –<br />
Verwendung im Staatsdienst fand jedoch<br />
nicht mehr statt. Am 3. <strong>Juli</strong> 1815<br />
verstarb Graf Reden, und er wurde unter<br />
großem bergmännischem Prunk im Park<br />
seines Gutes beigesetzt.<br />
1852 wurde ihm zu Ehren und im Beisein<br />
Friedrich Wilhelms IV. in Königshütte<br />
(Chorzow) ein Denkmal errichtet Der Sockel<br />
trug die Inschrift: „Dem Begründer<br />
des schlesischen Bergbaus. Die dankbaren<br />
Gruben- und Hütten- Gewerke und<br />
die Knappschaften Schlesiens 1852“.<br />
Dieses Denkmal wurde nach 1922 und<br />
1945 in Frage gestellt. Im Jahre 2002<br />
erfolgte in Chorzow (Königshütte) eine<br />
Neueinweihung, allerdings nun mit polnischer<br />
Beschriftung. Auf seiner und seiner<br />
Gattin letzter Wirkungsstätte Schloss<br />
Buchwald (Bukowiec) werden aus Anlass<br />
seines 200. Todestages Gedenkveranstaltungen<br />
stattfinden und der wieder<br />
aufgefundene Grabstein Redens neu<br />
aufgestellt Er wird heute noch liebevoll<br />
als der Vater der Oberschlesischen Industrie<br />
verehrt.<br />
Der preußische Oberberghauptmann<br />
Friedrich Wilhelm Graf von Reden vermählte<br />
sich am 9. August 1802 mit der<br />
um 22 Jahre jüngeren Friederike, geborenen<br />
Freiin Riedesel zu Eisenach, genannt<br />
auch Fritze. (*12.5.1774 Wolfenbüttel,<br />
+ 14.5.1854 in Buchwald/Rgb).<br />
Diese Ehe blieb aber kinderlos. Wegen<br />
ihres sozialen Engagements wurde sie<br />
auch die Mutter des Hirschberger Tals<br />
genannt und von der Bevölkerung bis<br />
heute hoch verehrt. Nach dem Tode<br />
ihres Mannes fand sie im pietistischen<br />
Glauben ihren neuen Lebensinhalt. Sie<br />
richtete Suppenküchen ein und sorgte<br />
sich um das Wohl der Armen.<br />
Schloss Buchwald wurde zum geistigen<br />
Zentrum des schlesischen Adels (hier<br />
trafen sich unter anderen Generalfeldmarschall<br />
von Gneisenau, Elisa Radziwiłł<br />
(erste große Liebe von Kaiser Wilhelm<br />
I.), Marianne von Oranien-Nassau (Prinzessin<br />
der Niederlande und Preußen),<br />
sowie die Angehörigen der Fürstenhäuser<br />
Reuß und Schaffgotsch). Mit dem<br />
König Friedrich Wilhelm IV. verband sie<br />
eine enge Freundschaft. Kurz vor dem<br />
Tod von Graf Reden wurde die Buchwalder<br />
Bibelgesellschaft begründet, und<br />
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32<br />
Geschichte
vor<br />
Berghauptmann<br />
200 Jahren<br />
und Bergwerksminister<br />
Tiroler Haus in Erdmannsdorf - Zillerthal ( Myslakowiece)<br />
Friederike wurde auf Lebenszeit zu deren<br />
Präsidentin eingesetzt.<br />
Diese Gesellschaft entwickelte sich zu<br />
einem sozialen Hilfswerk in Schlesien,<br />
das vor allem die Not der schlesischen<br />
Weber lindern half.<br />
Friederike von Reden ist es auch zu danken,<br />
das Exulantendorf Zillerthal-Erdmannsdorf<br />
(Myslakowiece) im Riesengebirge<br />
gegründet zu haben. Sie gründete<br />
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Geschichte<br />
33
vor<br />
Friedrich<br />
200<br />
Wilhelm<br />
Jahren<br />
Graf von Reden (1752-1815) –<br />
Kirche Wang um 1900 in Brückenberg (Karpacz Górny)<br />
1837 das „Comitee für Zillerthaler“ dem<br />
sie selbst vorstand. Friedrich Wilhelm III.<br />
gestattete ihr auf Bitten 422 Zillerthaler<br />
Inklinanten, die wegen ihres protestantischen<br />
Glaubens aus dem Tiroler Zillertal<br />
vertrieben wurden, eine neue Ansiedlung<br />
in Schlesien zu gründen. Nach Genehmigung<br />
durch den König wurde den<br />
Inklinanten Ackerland zur Verfügung gestellt.<br />
Der König ließ die Zillerthaler Höfe<br />
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34<br />
Geschichte
vor<br />
Berghauptmann<br />
200 Jahren<br />
und Bergwerksminister<br />
nach einem vorab erstellten Musterhaus<br />
erbauen. So entstanden Nieder-, Mittel-<br />
und Hochzillerthal. Die Zillerthaler<br />
Protestanten wurden am 12. November<br />
1837 in Schmiedeberg (Kowary) in die<br />
evangelische Landeskirche aufgenommen.<br />
Die Umsetzung der norwegischen Stabskirche<br />
Wang aus dem 12./13. Jahrhundert<br />
ist eine der größten Leistungen<br />
der Gräfin von Reden. 1840 erwarb der<br />
Dresdner Kunstprofessor Christian Clausen<br />
die zum Abriss vorgesehene Kirche.<br />
Er selbst konnte aber die Kosten einer<br />
Überführung nicht tragen und bot diese<br />
dem preußischem König Friedrich<br />
Wilhelm IV. an. Dieser war bereit, die<br />
Kosten zu übernehmen, und hatte die<br />
Absicht, die Kirche auf der Pfaueninsel<br />
am Berliner Wannsee aufzustellen. Diesen<br />
Standort fand die Gräfin von Reden<br />
höchst unpassend. Sie überzeugte<br />
den König von der Notwendigkeit, ein<br />
Gotteshaus für die Riesengebirgsdörfer<br />
Krummhübel (Karpacz) und Brückenberg<br />
(Karpacz Górny) zu errichten.<br />
1743 war bereits vorgesehen, dort eine<br />
Kirche zu errichten, was aber wegen<br />
Geldmangel scheiterte. Die Gräfin konnte<br />
den König überzeugen. Leopold Graf<br />
von Schaffgotsch stellte das Grundstück<br />
zur Verfügung. Die Kosten für den Kauf<br />
und die Umsetzung beliefen sich auf<br />
23.000,- Taler. Friedrich Wilhelm bewilligte<br />
der Gräfin 40.000,- Taler, wovon sie<br />
den Überschuss für soziale Zwecke verwendete.<br />
Am 28. <strong>Juli</strong> 1844 erfolgte in Anwesenheit<br />
des Königs die Weihe der Kirche.<br />
Später wurden noch durch August Stüler<br />
der Kirchturm und ein Pfarr- und Schulhaus<br />
errichtet. Nach dem Tod der Gräfin<br />
Reden ließ Friedrich Wilhelm IV. ihr zu<br />
Ehren an der Kirche Wang ein Denkmal<br />
errichten. Im Mai 2014 war ihr 240. Geburtstag<br />
und 160. Todestag.<br />
Verein Oberlausitzer Bergleute e.V.<br />
Wolfgang Stiller, Görlitz<br />
Quellen: Festschrift zum XII. Allgemeinen<br />
Deutschen Bergmannstage, Breslau 1913 Bd. 5<br />
Eleonore Fürstin Reuss: Gräfin Friederike Reden.<br />
Ein Lebensbild. Berlin 1888<br />
Archive Autor und Verein<br />
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Geschichte<br />
35
Stadtverkehr<br />
Geschichten vom Görlitzer Stadtverkehr –<br />
Wagen 14 (1966) Wagen 12 (1971)<br />
Vor fast exakt fünfzig Jahren tauchte im<br />
Görlitzer Straßenbild erstmals ein Ikarus<br />
66 auf, der aussah wie ein fabrikneuer<br />
und dennoch keiner war. Die wirtschaftlichen<br />
Rahmenbedingungen in der DDR<br />
zwangen ab den 60er Jahren zunehmend,<br />
dem Verschleiß von gewerblich<br />
genutzten Fahrzeugen dadurch entgegenzuwirken,<br />
dass ein ganzes Netz von<br />
Werkstätten in vielen Städten geschaffen<br />
wurde, die eigens mit der Aufarbeitung<br />
verschlissener Fahrzeuge betraut<br />
wurden, weil ein ausreichend großer<br />
Umfang an erforderlichen Neufahrzeugen<br />
nichtsicher gestellt werden konnte,<br />
im Alltagsbetrieb aber die Mehrzahl aller<br />
Lastkraftwagen und Omnibusse spätestens<br />
nach fünf bis sechs Jahren dringend<br />
einer Überholung bedürften. Dabei<br />
gab es Spezialisierungen verschiedener<br />
Standorte auf unterschiedliche Typen.<br />
Die Altfahrzeuge sind in der Regel auf<br />
eigener Achse in die Werkstätten gekommen<br />
und wurden nach der GR. auch<br />
wieder abgeholt. Bei den Ikarus 66 sind<br />
dabei meist auch die ungarischen Csepel-<br />
Motoren durch leistungsstärkere<br />
Schönebecker Motoren ersetzt worden.<br />
Die ersten Görlitzer Ikarus 66 sind im<br />
Reparaturwerk für Großraumgeräte im<br />
Dresdener Industriegelände aufgearbeitet<br />
worden. Es waren dies 1965 der Wa-<br />
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36<br />
Geschichte
Stadtverkehr<br />
Aus alt mach neu<br />
ARW Halle (1966) Wagen 16 (1976)<br />
gen Nr. 12, 1966 der Wagen Nr. 14 und<br />
1967 der Wagen Nr. 15. Dieses Unternehmen<br />
war einst als Zentralwerkstatt<br />
der Kraftverkehrsgesellschaft Sachsen<br />
gegründet worden. Die aufgearbeiteten<br />
Ikarus 66 sahen aus wie kleine Kunstwerke<br />
und wirkten viel besser verarbeitet<br />
als im Lieferzustand und kamen in<br />
kräftigeren Farben daher. Die Reparatur<br />
schloss auch die komplette Erneuerung<br />
des Innenraumes und selbst die Neupolsterung<br />
der Sitze mit ein. Überholte<br />
Ikarus 66 erkannte man meist an<br />
den glatten unteren Abschlußblenden<br />
im Heck. Im Stil des Fabrikzustandes<br />
gebördelte Blenden sind nach der Aufarbeitung<br />
eher selten zu sehen gewesen,<br />
in Görlitz nur bei Wagen 12 nach<br />
der zweiten GR im Herbst 1970. Viele<br />
Originalblechteile und einige weitere<br />
Baugruppen sind vom Herstellerwerk in<br />
Ungarn beschafft worden. 1965-66 kam<br />
sogar eine Anzahl kompletter Karosserien<br />
der Ikarus- Typen 31, 55 und 66 in<br />
die DDR, um stark verschlissene Fahrzeuge<br />
ganz früher Lieferungen ebenfalls<br />
auffrischen zu können. Bis 1978<br />
sind alle 19 Ikarus 66 der Görlitzer Verkehrsbetriebe<br />
mindestens einmal zur<br />
GR gewesen, die Nr. 12, 14, 15 sogar<br />
zweimal. Oft mehrmals waren auch die<br />
Ikarus 55 und 66 des VEB Kraftverkehr<br />
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Geschichte<br />
37
Stadtverkehr<br />
Geschichten vom Görlitzer Stadtverkehr<br />
Wagen 22 (1978) Wagen 27 (1978)<br />
Görlitz zur GR. Mit den Aufarbeitungen<br />
verschwanden nach und nach die charakteristischen<br />
Merkmale einzelner Serien.<br />
Von 1968 an ersetzte man zudem<br />
die Klappfenstereinsätze durch glatte<br />
Scheiben. Ab 1977 sind viele Ikarus 66<br />
auch der Görlitzer Umgebung verstärkt<br />
im Autoreparaturwerk Halle aufgefrischt<br />
worden, weil die Kapazitäten in<br />
Dresden nicht mehr ausreichten. Diese<br />
extrem kostspieligen Reparaturen erreichten<br />
auch nahezu alle anderen in<br />
der DDR eingesetzten LKW- und Bustypen,<br />
ja sogar Traktoren und Anhänger.<br />
Allein dadurch kam es zu vereinzelt über<br />
dreißigjährigem Alltagseinsatz. Bei den<br />
Straßenbahnen erreichte der industrielle<br />
Neuaufbau nicht derartige Größenordnungen<br />
(allein in Halle und Dresden<br />
pro Jahr mehr als 300 Busse). Hier setzte<br />
man meist auf die Zulieferung von<br />
Baugruppen und die Aufarbeitung in<br />
den betriebseigenen Werkstätten. Hierzu<br />
galt ab den 70er Jahren eine weitgehend<br />
einheitliche Herangehensweise in<br />
allen Nahverkehrsunternehmen.<br />
Andreas Riedel, Wiesbaden<br />
(wird fortgesetzt)<br />
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38<br />
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