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Beschaffung aktuell 03.2023

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Ausgabe 03 | 2023<br />

www.beschaffung-<strong>aktuell</strong>.de<br />

Einkauf<br />

Materialwirtschaft<br />

Logistik<br />

Interview<br />

Kartelle im Fokus<br />

Die Oligarchen der Industrie –<br />

von Abgassystemen bis Zucker<br />

» Seite 18<br />

Finanzierung<br />

Sicherer Nachschub<br />

ohne Liquiditätsprobleme<br />

» Seite 58<br />

Whistleblowing<br />

Hinweisgeber werden geschützt –<br />

Compliance-Forderungen steigen<br />

» Seite 22<br />

Olaf Komitsch,<br />

CPO der EnBW AG<br />

» Seite 14<br />

Krisensicher<br />

beschaffen –<br />

Lieferfähigkeit<br />

sichern<br />

» Seite 40<br />

Professionell. Innovativ. Einkauf.


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2 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


» EDITORIAL<br />

Von Energie bis KI<br />

In den <strong>aktuell</strong>en Zeiten ist eines der bestimmenden Themen die Energie<br />

und auch Energiebeschaffung. Der viel beschworene harte Winter mit<br />

Mangellagen und Stromknappheit ist glücklicherweise nicht eingetreten.<br />

Die Strom- und Gaspreise sind <strong>aktuell</strong> wieder etwas gesunken. Doch der<br />

Energieeinkauf wird durch die Energiewende weiterhin einen hohen<br />

Stellen wert haben und große Herausforderungen meistern müssen. Wir<br />

haben mit Olaf Komitsch, CPO der EnBW Energie Baden-Württemberg AG,<br />

über die Energiewende und das veränderte Geschäftsmodell des Energieversorgers<br />

gesprochen. Zudem hat der Infrastrukturausbau das Einkaufsvolumen<br />

vervielfacht. Was das für den Einkauf bedeutet, erzählt CPO<br />

Komitsch im Interview ab Seite 14. Ein Zitat möchte ich Ihnen nicht<br />

vorenthalten „Es gibt in den Lieferketten unendlich viele Daten bei<br />

gleichzeitiger Unterinformation aller Beteiligten.“ Pflichtlektüre in dieser<br />

Ausgabe.<br />

Des Weiteren empfehle ich Ihnen unseren ersten Teil über Kartelle ab<br />

Seite 18. So ist das Bundeskartellamt <strong>aktuell</strong> auch mit der Kontrolle der<br />

Gaspreisbremse beschäftigt. In der nächsten Ausgabe der <strong>Beschaffung</strong><br />

<strong>aktuell</strong> erfahren Sie, wie die Deutsche Bahn mit Hilfe eines selbstentwickelten<br />

Kartellscreening-Tools den eigenen Einkauf unterstützt und<br />

Verdachtsfälle an die Behörden meldet.<br />

Neben den diversen Krisen und Herausforderungen unserer Zeit ist die<br />

künstliche Intelligenz (KI) das Trendthema schlechthin. Nicht zuletzt<br />

wegen des intelligenten Chatbots „ChatGPT“ von OpenAI. Ob der Einkauf<br />

bei der Supply-Chain-Planung vom KI-Einsatz profitieren kann oder nicht,<br />

erfahren Sie ab Seite 30. Wir decken dort Wahrheiten und Irrtümer über KI<br />

auf. Zeigen, was sie kann, wo ihre Grenzen sind und was man unbedingt<br />

bei der Einführung beachten muss. Was sind Ihre bisherigen Erfahrungen<br />

im Einkauf mit KI? Schreiben Sie mir gerne, ich freue mich.<br />

Alexander Gölz,<br />

Chefredakteur <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong><br />

alexander.goelz@konradin.de<br />

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<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 3<br />

info@lederer-online.com


» INHALT 03 | 2023 70. JAHRGANG<br />

Krisensicher<br />

beschaffen –<br />

Lieferfähigkeit<br />

sichern<br />

» Seite 40<br />

Bild: Reyher<br />

Das Großhandelsunternehmen Reyher hat die Krisen erstaunlich gut<br />

gemeistert . Woran liegt das? Was unterscheidet die Firma von anderen?<br />

MAGAZIN<br />

Kollaboration in der Wertschöpfungskette<br />

Großes Potenzial, viele Hemmnisse 6<br />

Wirtschaftindices 8<br />

Keine Deindustrialisierung durch Energiepreisschock<br />

Energiepreise rund 40 Prozent höher als vor der Krise 9<br />

Analyse der <strong>aktuell</strong>en Lage<br />

Wie agiere ich als Einkäufer auf dem Stahlmarkt 10<br />

Neuer Kompetenzpartner: Metalshub<br />

Im Fokus: Spezialmetalle und Ferrolegierungen 12<br />

MANAGEMENT<br />

Olaf Komitsch, EnBW<br />

Die Energiewende meistern 14<br />

Kartelle im Fokus, Teil 1<br />

Die Oligarchen der Industrie 18<br />

Whistleblowing in Unternehmen<br />

Gesetz will Hinweisgeber schützen 22<br />

Nachhaltige <strong>Beschaffung</strong>, Teil 1<br />

Ambitionierte ESG-Ziele brauchen<br />

eine offene Fehlerkultur 24<br />

Teammoral auch in schwierigen Zeiten<br />

Raus aus dem Loch – aus Fehlern lernen 27<br />

Thomas Holzner, Siemens<br />

„Für ein digitales Ökosystem<br />

braucht es einen agilen Einkauf“ 28<br />

Von KI, Krisenbewältigung und Küchen<br />

Supply-Chain-Planung mit KI:<br />

Wahrheiten und Irrtümer 30<br />

Multi-Tenant versus Multi-Instance<br />

Sicherheit bei Einkaufslösungen 33<br />

Prof. Dr. Michael Schröder, DHBW CAS<br />

„Die globalen Lieferketten<br />

müssen neu justiert werden“ 36<br />

Automobile Wertschöpfungskette<br />

Marktplatz für den automobilen Datentransfer 38<br />

C-TEILE-MANAGEMENT<br />

TITEL<br />

Wie Reyher seine Lieferfähigkeit sichert<br />

Krisensicher beschaffen 40<br />

Plattform Logtopus<br />

„Störungen in der Supply Chain früh erkennen“ 44<br />

FERTIGUNGSTECHNIK<br />

Intec, Z und Grindtec<br />

Messeverbund ist bereit für den Neustart 48<br />

Lohnfertiger schnell vergleichen<br />

Beim Einkauf bleibt die Entscheidungshoheit 50<br />

Werkzeugbeschaffung<br />

Automobilzulieferer setzt<br />

auf digitales Toolmanagement 53<br />

ZULIEFERUNG<br />

Ralf Bühler, Conrad Electronic<br />

„Als <strong>Beschaffung</strong>splattform bieten wir mehr<br />

als nur Produkte“ 54<br />

Entwicklung auf den Rohstoffmärkten<br />

Lithiumpreis soll sinken 57<br />

Finanzierungsmodell für den Materialeinkauf<br />

Sicherer Nachschub ohne Liquiditätsprobleme 58<br />

4 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


Bild: EnBW<br />

Olaf Komitsch managt die <strong>Beschaffung</strong> für die<br />

EnBW Energie Baden-Württemberg AG.<br />

» Seite 14<br />

9. Internationale<br />

Fachmesse der<br />

Verbindungs- und<br />

Befestigungsbranche<br />

BME<br />

Aktuelle Forschungsergebnisse<br />

Logistikstudie: Digitalisierung in Supply Chains<br />

kommt voran 60<br />

BME-International<br />

Neuer Online-Service 60<br />

KARRIERE<br />

Behavioral Economics, Teil 1<br />

Blicken Sie hinter die Maske 62<br />

Der Weg in eine nachhaltige Zukunft<br />

Verantwortungsvoll beschaffen 64<br />

Buchvorstellungen 65<br />

RUBRIKEN<br />

Editorial 3<br />

Inserentenverzeichnis, Vorschau, Impressum 66<br />

Meinung<br />

Truckermangel: Unseren Lieferketten<br />

droht der Infarkt 67<br />

Der globale Treffpunkt<br />

der Verbindungs- und<br />

Befestigungsbranche<br />

Befestigungselemente / Halterungen<br />

für die Industrie<br />

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<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023<br />

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5


» MAGAZIN<br />

Kollaboration in der Wertschöpfungskette<br />

Großes Potenzial, viele Hemmnisse<br />

Zusammenarbeit und Datenaustausch innerhalb der Lieferkette sind entscheidende Faktoren,<br />

um die Effizienz von <strong>Beschaffung</strong>sprozessen zu steigern. Diese Ansicht vertreten zwei Drittel<br />

von 150 Befragten für das Hermes-Barometer „Kollaboration in der Supply Chain“. Bei der<br />

Umsetzung stehen sie jedoch technologischen und personellen Hemmnissen gegenüber.<br />

Der überwiegende Teil der befragten<br />

Unternehmen hat das Potenzial unternehmensübergreifender<br />

Kollaboration<br />

und operationaler Vernetzung innerhalb<br />

der Lieferkette erkannt. 65 Prozent vertreten<br />

die Ansicht, dass Effizienzsteigerungen<br />

in der Supply Chain zukünftig nur<br />

durch Kooperationen und den Datenaustausch<br />

mit Kunden und Lieferanten möglich<br />

sein werden. In Unternehmen mit 250<br />

bis 1000 Beschäftigten teilen sogar 100<br />

Prozent der Befragten diese Einschätzung.<br />

Rund sieben von zehn der Unternehmen<br />

(68 %) geben an, in ihren <strong>Beschaffung</strong>sprozessen<br />

bereits auf intensive<br />

Kooperation mit Geschäftskunden und<br />

Lieferanten zu setzen. Jedoch räumt über<br />

Faktoren für eine erfolgreiche Zusammenarbeit in den Lieferketten.<br />

die Hälfte (55 %) der Unternehmen ein,<br />

das Potenzial kollaborativer Prozesse sei<br />

zwar bekannt, werde aber noch nicht voll<br />

ausgeschöpft.<br />

Zusammenarbeit<br />

Als Vorteile der kollaborativen Zusammenarbeit<br />

bewerten Unternehmen besonders<br />

jene Faktoren, die mit einer guten<br />

Vernetzung der Akteure über Unternehmensgrenzen<br />

hinweg assoziiert sind. So<br />

sprechen etwa neun von zehn Supply-<br />

Chain-Verantwortlichen (88 %) dem persönlichen<br />

Kontakt und Austausch zwischen<br />

den verschiedenen Partnern eine<br />

sehr große Bedeutung zu. Effiziente<br />

Steuerungstools wie IT-Plattformen für<br />

Bild: Hermes<br />

die effiziente Zusammenarbeit innerhalb<br />

der Lieferkette bewerten über alle Unternehmensgrößen<br />

hinweg 67 Prozent als<br />

erfolgsentscheidend. Die Wirkung kollaborativer<br />

Zusammenarbeit auf die Sichtbarkeit<br />

innerhalb der Lieferkette halten<br />

die meisten Entscheider ebenfalls für besonders<br />

relevant: Dreiviertel der Befragten<br />

schätzen eine erhöhte Transparenz<br />

durch die gemeinsame Sicht auf die Lieferkette<br />

als erfolgsentscheidend ein.<br />

Ressourcen und Aufwände<br />

Der positiven Einschätzung stehen bei der<br />

Umsetzung zahlreiche technische und<br />

organisatorische Hemmnisse gegenüber.<br />

Mehr als die Hälfte der Befragten (57 %)<br />

schätzen den Zeit- und Kostenaufwand<br />

bei der Implementierung notwendiger<br />

Technologien als hinderlich ein. Insgesamt<br />

bewerten die Verantwortlichen fehlende<br />

personelle Ressourcen als größte<br />

Blockade bei der Realisierung erfolgreicher<br />

Kollaboration (65 %). Als weitere<br />

Hemmnisse werden Sicherheitsbedenken<br />

beim Teilen von Daten in der Supply<br />

Chain (61 %) sowie eine fehlende Vernetzung<br />

mit Lieferanten und Handelspartnern<br />

(59 %) genannt.<br />

Hohe Wirksamkeit für Kooperation messen<br />

die Befragten digitalen Technologien<br />

bei, welche dem vereinfachten Austausch<br />

von Informationen und Daten dienen. So<br />

sagen 91 Prozent der Befragten bei Unternehmen<br />

mit 250 bis 1000 Beschäftigten,<br />

digitale Plattformen wären bedeutend<br />

für das Monitoring interner und externer<br />

Supply-Chain-Daten. Mit 92 Prozent<br />

erreicht der Einsatz von Cloud Computing<br />

und Plattformlösungen einen<br />

nahezu identischen Wert, die Bedeutung<br />

von ERP-Systemen wird von 83 Prozent<br />

ebenfalls hoch eingeschätzt. (ys)<br />

6 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


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<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 7<br />

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» MAGAZIN<br />

Einkaufsmanagerindex EMI im Januar 2023<br />

Ausblick erstmals wieder positiv<br />

Der saisonbereinigte S&P Global/BME<br />

Einkaufsmanagerindex notierte im Januar<br />

bei 47,3 Punkten und damit minimal über<br />

dem Wert vom Vormonat (47,1). Trotz des<br />

dritten Anstiegs in Folge blieb der Hauptindex<br />

weiter unter der Wachstumsschwelle<br />

von 50 Punkten.<br />

Nach wie vor ist es vor allem der Teilindex<br />

Auftragseingang, der den EMI ausbremst.<br />

So verzeichneten die Unternehmen laut<br />

<strong>aktuell</strong>en Daten abermals ein deutliches<br />

Minus bei den Neuaufträgen. Die hohen<br />

Lagerbestände der Kunden, steigende<br />

Preise sowie die Zurückhaltung bei<br />

Neuinvestitionen waren alles Faktoren,<br />

die mit zum Abschwung beitrugen. Das<br />

Produktionsniveau ging im ersten Monat<br />

des Jahres ebenfalls zurück. Allerdings<br />

blieb die Schrumpfungsrate gegenüber<br />

Dezember unverändert und damit relativ<br />

moderat. Unterdessen hat sich die Situation<br />

in den Lieferketten weiter entspannt,<br />

wie die dritte Verkürzung der Vorlaufzeiten<br />

in Folge signalisiert. Auch bei den<br />

Einkaufspreisen hielt der positive Trend<br />

im Januar an. Hier gab die Inflationsrate<br />

auf den tiefsten Wert seit 27 Monaten<br />

nach. Bei der Einschätzung ihrer zukünftigen<br />

Wachstumschancen zeigten sich die<br />

Bild: S&P Global/BME<br />

Hersteller zum ersten Mal seit Februar<br />

2022 wieder optimistisch. Verglichen mit<br />

der Situation unmittelbar vor der Invasion<br />

Russlands in die Ukraine, fällt die Zuversicht<br />

noch gedämpft aus. (ys)<br />

Sinkende Marktpreise für Energieträger<br />

Abermals weniger Preiserhöhungen<br />

Kiel Trade Indicator im Januar<br />

Globaler Handel startet stabil<br />

Weniger Unternehmen planen<br />

in den nächsten drei Monaten,<br />

ihre Preise zu erhöhen. Das<br />

geht aus einer Umfrage des<br />

Ifo-Instituts hervor. Die Preiserwartungen<br />

sanken für die<br />

Gesamtwirtschaft im Januar<br />

auf 35,4 Punkte, nach 40,1 im<br />

Dezember (Wert saisonbereinigt<br />

korrigiert).<br />

Vor allem das Verarbeitende<br />

Gewerbe, aber auch die<br />

Dienstleister, das Baugewerbe<br />

und der Handel planen demnach<br />

seltener, ihre Preise zu<br />

erhöhen. „Dies bestätigt einmal<br />

mehr, dass wir den Scheitelpunkt<br />

der Inflationswelle<br />

hinter uns gelassen haben“,<br />

sagt der Ifo-Konjunkturchef<br />

Timo Wollmershäuser. „Aller-<br />

dings wird die Inflationsrate in<br />

den kommenden Monaten<br />

weiterhin hoch bleiben und<br />

sich der Anstieg der Verbraucherpreise<br />

nur allmählich abflachen.“<br />

Im Verarbeitenden Gewerbe<br />

sind die Preiserwartungen im<br />

ersten Monat des Jahres 2023<br />

in nahezu allen Bereichen zurückgegangen.<br />

Insbesondere<br />

die energieintensiven Industrien<br />

profitieren von sinkenden<br />

Marktpreisen für Erdgas,<br />

Rohöl und Strom.<br />

Im Papiergewerbe wollen<br />

mittlerweile sogar die Mehrheit<br />

der befragten Unternehmen<br />

ihre Preise senken, so das<br />

Institut. (ys)<br />

Laut Kiel Trade Indicator kann<br />

der Welthandel im Januar<br />

2023 seine positive Tendenz<br />

fortsetzen und liegt gegenüber<br />

dem Dezember 2022 mit<br />

einem Prozent im Plus (preisund<br />

saisonbereinigt). „Dazu<br />

trägt insbesondere bei, dass<br />

die Exporte in China nach dem<br />

Ende der Null-Covid-Politik<br />

zulegen“, sagt Timo Hoffmann,<br />

Projektverantwortlicher für<br />

den Kiel Trade Indicator.<br />

Der europäische Außenhandel<br />

startet verhalten, hier zeigen<br />

die Exporte (+0,5 %; Importe:<br />

-0,2 %) im Vergleich zum Vormonat<br />

eine moderate Zunahme<br />

an, für Deutschland einen<br />

Rückgang (-1,8 %; Importe:<br />

+1,4 %). „Dies könnte auf eine<br />

verhaltene Nachfrage nach<br />

deutschen Produkten zurückzuführen<br />

sein, aber auch auf<br />

anhaltende Probleme der<br />

deutschen Industrie, die Produktion<br />

zu steigern“, so Hoffmann.<br />

Für Russland deuten die<br />

Daten darauf hin, dass sich der<br />

Rückgang bei den Importen<br />

(-1,9 %) fortgesetzt hat, während<br />

sich die Exporte (+2,2 %)<br />

anscheinend etwas beleben.<br />

Bei der USA gehen die Exporte<br />

mit -0,9 % zurück. Die Staus<br />

vor wichtigen Containerhäfen<br />

nehmen ab. Die Ausnahme bildet<br />

China. Grund dürfte die<br />

mit dem Ende der Null-Covid-<br />

Politik stark ansteigende Handelsaktivität<br />

(Exporte: +2,8 %)<br />

sein. (ys)<br />

8 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


Studie: Keine Deindustrialisierung durch Energiepreisschock<br />

Energiepreise rund 40 Prozent höher als vor der Krise<br />

Der Kreditversicherer Allianz Trade geht in<br />

einer Studie davon aus, dass die Energiepreise<br />

2023 weiter nach oben schnellen<br />

dürften. Im vergangenen Jahr war der Anstieg<br />

bei den Energiepreisen für Unternehmen<br />

demnach noch überschaubar. Grund<br />

dafür waren die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen<br />

sowie die laufenden<br />

Langzeitkontrakte, die nur teilweise an<br />

kurzfristige Marktpreisentwicklungen gebunden<br />

sind. Mit der anstehenden Verlängerung<br />

dieser Verträge dürfte der Industrie<br />

ein deutlicher Preisanstieg ins Haus<br />

stehen. „Energiepreise liegen für deutsche<br />

Unternehmen 2023 voraussichtlich rund<br />

40 Prozent höher als vor dem Ukraine-<br />

Krieg“, sagt Milo Bogaerts, CEO von Allianz<br />

Trade in Deutschland, Österreich und<br />

der Schweiz. „Aber die deutschen Unternehmen<br />

– insbesondere der Mittelstand –<br />

sind krisenfest und solide finanziert. Zu-<br />

dem federt der<br />

staatliche Gaspreisdeckel<br />

die<br />

Preisentwicklung<br />

deutlich ab.“ Im<br />

Vergleich zu den<br />

Verbraucherpreisen<br />

oder der zur<br />

erwartenden Entwicklung<br />

in anderen<br />

europäischen<br />

Ländern ist der Anstieg in Deutschland<br />

vergleichsweise moderat. „Für Italien und<br />

Spanien gehen wir davon aus, dass die<br />

Preise 2023 mit plus 90 Prozent im Vergleich<br />

zu 2021 mehr als doppelt so stark<br />

in die Höhe schnellen“, sagt Bogaerts.<br />

„Das Schlimmste ist noch nicht vorbei für<br />

die europäische Industrie. Die große Angst<br />

vor einer Deindustrialisierung durch den<br />

Energiepreisschock ist allerdings unbegründet.<br />

Der Energieverbrauch macht nur<br />

einen kleinen Teil der Produktionskosten<br />

im verarbeitenden Gewerbe aus (etwa<br />

1 bis 1,5 Prozent). Lohnkosten und Wechselkurse<br />

haben auf die preisliche Wettbewerbsfähigkeit<br />

einen viel größeren<br />

Einfluss .“ Dennoch: Seit 2021 haben sich<br />

die Erdgaspreise in den USA um das Zweifache<br />

und in Europa um das Sechsfache<br />

erhöht, so Allianz Trade. (ys)<br />

Bild: Thorsten Schier/stock.adobe.com<br />

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<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 9


» MAGAZIN<br />

Analyse der <strong>aktuell</strong>en Lage<br />

Wie agiere ich als Einkäufer auf<br />

dem Stahlmarkt<br />

Was passiert, wenn uns die vor einigen Wochen heraufbeschworene Krise doch nicht so<br />

hart trifft? Was passiert, wenn die Schwierigkeiten in den Lieferketten nach und nach<br />

weniger werden und Unternehmen nicht mehr darin hindern Aufträge ab zu arbeiten?<br />

Diese und ähnliche sind Fragen, die sich Stahleinkäufer und Stahlkompakt in letzter Zeit<br />

häufiger stellen. Zur Beantwortung sollen folgenden Einschätzungen helfen.<br />

* kurzfristig bedeutet<br />

hier etwa 1-2 Monate.<br />

Zu beachten ist ferner,<br />

dass die Indikatoren<br />

lediglich allgemeine<br />

Trends darstellen. So<br />

kann sich bspw. die<br />

Situation im Außenhandel<br />

für spezielle<br />

Stahlsorten und<br />

-formate komplett<br />

gegenläufig verhalten.<br />

Die Einstufung gibt<br />

insofern die allgemeine<br />

Entwicklung wieder.<br />

Zunächst ein Überblick ausgewählter Einflussfaktoren<br />

für den Stahlmarkt, auf die der Beitrag<br />

näher eingehen wird:<br />

Unser Kompetenzpartner<br />

Hier finden Sie mehr zum Thema Stahl und<br />

Stahlbeschaffung, insbesondere auch zu den<br />

<strong>aktuell</strong>en Stahlpreisentwicklungen.<br />

www.stahl-kompakt.de<br />

Rohstahlerzeugung<br />

Aktuelle Daten liegen bis einschließlich November<br />

2022 vor (Stand 15.01.2023). Die Rohstahlerzeugung<br />

in Deutschland ist im November 2022 im Vergleich<br />

zum Vorjahr um 18 Prozent auf rund 2,8 Mio. Tonnen<br />

gesunken. Das ist der niedrigste Wert seit Juli 2020.<br />

Im Zeitraum von Januar bis November betrugt der<br />

Rückgang der Rohstahlproduktion rund 8 Prozent.<br />

Quelle: Stahlkompakt<br />

Die Erzeugung im Jahr 2022 liegt damit – wie schon<br />

in den Jahren 2019 und 2020 – erneut unter der<br />

40-Millionen-Tonnen-Grenze. Damit setzt sich der<br />

Abwärtstrend weiter fort.<br />

Auf europäischer Ebene (EU 27 ohne Deutschland) ist<br />

die Lage ähnlich. Gerade in den zuletzt veröffentlichten<br />

Werten von Eurofer zeigt sich mit durchschnittlich<br />

unter 8 Mio. Tonnen ein Output, wie wir ihn lange<br />

nicht gesehen haben. Liest man entsprechende<br />

Meldungen, deuten diese häufig eher auf eine weitere<br />

Reduzierung oder ein Verharren auf diesem Niveau<br />

hin. Da Stahlproduktionen nicht „mal eben“ wieder<br />

hochzufahren sind, werden die Werke sich vermutlich<br />

nicht kurzfristig von ggf. erkennbaren Nachfrageanstiegen<br />

beeinflussen lassen, sondern erst reagieren,<br />

wenn eine gewisse Nachhaltigkeit erkennbar ist,<br />

und dann den Output erhöhen. Stahlkompakt vermutet<br />

daher für die nächsten Wochen weiterhin ein<br />

recht niedriges Produktionsniveau.<br />

Außenhandel<br />

Die Importe befinden sich weiter auf hohem Niveau,<br />

während die Exporte weiterhin sehr gering ausfallen.<br />

Damit wurde im Jahr 2022 entsprechend der<br />

Eurofer-Veröffentlichungen der bereits recht hohe<br />

Jahresüberschuss von 2021 überschritten. Der Außenhandel<br />

unterstützt also eine ordentliche Versorgungslage<br />

am Stahlmarkt. Da sie diese Situation der<br />

hohen Importüberschüsse bereits seit Monaten erleben,<br />

erwarten die Experten von Stahlkompakt aufgrund<br />

dieser Situation kurzfristig keine starken Preiseinflüsse<br />

im Gesamtmarkt. Dies gilt allerdings nicht<br />

gleichermaßen für alle Stahlsorten. Die Importabhängig<br />

kann sich jeweils stark unterscheiden.<br />

Automotive<br />

Das Produktionsniveau lag im Dezember zum achten<br />

Mal in Folge über dem des jeweiligen Vorjahresmonats.<br />

Mit 253.700 Pkw fertigten die deutschen Her-<br />

10 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


steller gut zwei Prozent mehr Pkw als im Dezember<br />

des Vorjahres. Im Gesamtjahr 2022 wurden 3,4 Mio.<br />

Fahrzeuge in Deutschland produziert, knapp 11 Prozent<br />

mehr als 2021. Trotz des durchgängigen Wachstums<br />

der vergangenen Monate befindet sich das Produktionsvolumen<br />

weiterhin auf vergleichsweise<br />

niedrigem Niveau: die Produktionszahlen aus dem<br />

Vor-Corona-Jahr 2019 wurden 2022 laut VDA deutlich<br />

um gut 26 Prozent unterschritten. Nichtsdestotrotz<br />

ist ein Aufwärtstrend der Produktion erkennbar.<br />

In den nächsten Wochen rechnet der Kompetenzpartner<br />

von <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> auch in Folge der<br />

sich verbessernden Lage am Halbleiter-/ Elektronikmarkt<br />

weiter mit anziehenden Produktionszahlen<br />

und somit steigender Stahlnachfrage.<br />

Maschinenbau<br />

In den Schlussmonaten des Jahres 2022 haben sich<br />

die vielfältigen konjunkturellen Dämpfer auch in den<br />

Auftragsbüchern des Maschinen- und Anlagenbaus<br />

niedergeschlagen. Nach einem zweistelligen Orderminus<br />

im Oktober blieben die Bestellungen auch im<br />

November um real 14 Prozent unter ihrem Vorjahreswert.<br />

Im weniger schwankungsanfälligen Drei-Monats-Zeitraum<br />

September bis November 2022 gingen<br />

die Bestellungen um insgesamt 9 Prozent im Vergleich<br />

zum Vorjahr zurück, so der VDMA. Der Rückgang<br />

wirkt sich allerdings im Moment noch nicht negativ<br />

auf die Produktion bzw. die Stahlbedarfe aus.<br />

Der Maschinenbau verfügt weiterhin über einen sehr<br />

hohen Auftragsbestand, da in der Vergangenheit unter<br />

anderem aufgrund der Lieferkettenprobleme<br />

nicht alle Aufträge bearbeitet werden konnten. Da<br />

sich die Situation der Lieferketten langsam wieder<br />

verbessert, sieht Stahlkompakt aus dem Bereich Maschinenbau<br />

kurzfristig eher eine gleichbleibende bis<br />

leicht steigende Nachfrage. Bei den Metallwaren und<br />

dem verarbeitenden Gewerbe ist die Situation ähnlich<br />

wie im Maschinenbau. Die Auftragseingänge<br />

sind rückläufig, aber der Umsatz steigt. Die Experten<br />

gehen auch hier kurzfristig von einer eher gleichbleibenden<br />

bis leicht ansteigenden Stahlnachfrage aus.<br />

Fazit<br />

Um auf die eingangs gestellten Fragen zurück zu<br />

kommen: Stahleinkäufer sollten <strong>aktuell</strong> sehr genau<br />

hinschauen und sich im Klaren darüber sein, woher<br />

der Stahl kommt und in welchen Bereichen er eingesetzt<br />

wird. Daraus kann sich ergeben, dass man wieder<br />

auf eine Verknappung zusteuert und sich vielleicht<br />

noch ein paar Tonnen mehr sichert. Etwas Material<br />

zusätzlich auf Lager zu haben oder vielleicht<br />

ein paar Euro zu viel bezahlt haben, ist im Ergebnis<br />

wohl weniger kritisch als nicht lieferfähig zu sein.<br />

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<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 11<br />

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» MAGAZIN<br />

Neuer Kompetenzpartner: Metalshub<br />

Im Fokus: Spezialmetalle und<br />

Ferrolegierungen<br />

Ein Blick in die Glaskugel hilft nicht weiter. Rohstoffeinkäufer brauchen neben starken<br />

Nerven vor allem verlässliche Informationen. Aus diesem Grund kooperiert<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> seit Beginn des Jahres mit Metalshub. Leser erhalten Analysen und<br />

exklusive Informationen in Sachen Preise, Markt-News und Trends.<br />

Der Vorteil für die Leser dieser neuen<br />

Serie: Die Preis indizes beruhen ausschließlich<br />

auf realen Transaktionen und<br />

Geld-/Briefkursen, die über die digitale<br />

Plattform Metalshub abgeschlossen wurden.<br />

Alle Datenpunkte werden automatisiert<br />

gesammelt. Die Datenauswertung<br />

und -auswahl basieren auf Algorithmen.<br />

Rund 1400 Unternehmen weltweit haben<br />

bisher über 5000 Transaktionen im Wert<br />

von über 2,5 Mrd. Euro über Metalshub<br />

getätigt.<br />

Genug der lange Vorrede, beginnen wir<br />

mit den Auswirkungen des „Krisen-Cocktails“<br />

auf die Metallpreise. Die diffizile<br />

Gemengelage aus Corona-Auswirkungen,<br />

Zinslage und Russland-Sanktionen hat die<br />

Rohstoffpreise 2022 in die Höhe getrieben.<br />

Die Metallbranche war mit einem<br />

Metalshub<br />

starken Anstieg der Zinsen konfrontiert.<br />

Banken finanzieren seit Sommer 2022<br />

kein russisches Material mehr. Folgen:<br />

steigendes Kreditrisiko und weniger Coverage<br />

durch Kreditversicherer. Die Engpässe<br />

bei Materialien, bei den Russland<br />

wichtiger Produzent ist (Roheisen, Nickel,<br />

Aufkohlungsmittel, Wolfram, Vanadium),<br />

haben teilweise zu einer hektischen Suche<br />

nach neuen Lieferanten geführt. Hinzu<br />

kommt: Die historische Preisexplosion<br />

beim Nickelpreis brachte im Herbst 2022<br />

den Markt für Edelstahlschrotte teilweise<br />

zum Erliegen. Abschläge auf den LME-Nickelpreis<br />

für Class-II-Produkte (Ferronickel,<br />

Nickel Matte, NPI, Nickel Sulphat,<br />

Edelstahlschrotte) waren hoch wie nie<br />

zuvor. Lassen Sie uns zuerst einen genauen<br />

Blick auf die jüngsten Entwicklungen<br />

Unabhängiger Pionier der digitalen Transformation in der<br />

Metall industrie; digitale Lieferketten lösung für den globalen<br />

Handel von metallischen Rohstoffen (Rohstoffbeschaffung,<br />

Rohstoffvermarktung etc.) Zudem bietet Metalshub die<br />

ersten Preisindizes für nicht börsengehandelte Rohstoffe an,<br />

die ausschließlich auf Transaktionen basieren. Erweitertes<br />

Portfolio: 2022 wurde ein Nickel-Brikett-Prämienindex<br />

gelauncht. Bei gehandelten Basismetallen wie Aluminium,<br />

Kupfer und Zink kooperiert Metalshub seit 2021 mit der f -<br />

ührenden Börse für Industriemetalle, der London Metal<br />

Exchange (LME, London). Beide Partner bieten der Industrie<br />

zudem eine Lösung zur Verfolgung des CO 2<br />

-Fußabdrucks<br />

von Metallprodukten über die gesamte Lieferkette an.<br />

www.metals-hub.com<br />

bei Nickel werfen. Hier kam es durch den<br />

Krieg in der Ukraine zu großen Preisschwankungen<br />

am Markt.<br />

Nickel<br />

• Norilsk Nickel, einer der weltgrößten<br />

Nickelproduzenten, baut das für die<br />

Edelstahl und Batterieindustrie strategisch<br />

wichtige Metall ausschließlich in<br />

Minen in Russland ab.<br />

• Durch einen „Short Squeeze“ an der<br />

Londoner Metallbörse LME am<br />

8. März 2022 stieg der Preis kurzfristig<br />

über 100.000 USD/t. Anschließend<br />

musste der Handel an der Börse für<br />

mehrere Tage ausgesetzt werden.<br />

• Der Preis für Nickel-Metall (Briketts,<br />

Kathoden , Pellets und Rounds) – sog.<br />

Class I Nickel – hat sich abgekoppelt<br />

vom Preis von Class-II-Nickelprodukten.<br />

• Die Prämien auf den LME-Preis für<br />

Nickel- Briketts erreichten am<br />

8. April 2022 einen historischen<br />

Höchststand von 3800 USD/t.<br />

• Mittlerweile hat sich die Nickel-Markt -<br />

lage beruhigt; die LME-Preise sind aber<br />

weiterhin auf hohem Niveau. Im Januar<br />

2023 bewegten sich die LME-Preise<br />

zwischen 28.000 und 31.000 USD/t; die<br />

Prämien für Nickel gingen im Januar<br />

2023 auf ein Niveau von 800 USD/t<br />

zurück.<br />

Der finnische Eisenbahnbetreiber VR stellte<br />

Anfang Januar 2023 die Zugverbindung<br />

für die Lieferung von Rohstoffen zur Nickelproduktion<br />

von Norilsk Nickel zu seiner<br />

Harjavalta-Raffinerie in Finnland ein.<br />

Zudem hat das chinesische Unternehmen<br />

Tsingshan angekündigt, mit Nickelerzen<br />

aus Indonesien verstärkt in die Produktion<br />

12 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


Preisentwicklung für<br />

„Nickel Premium<br />

Briquettes “ (nach<br />

Metalshub- Preisindex)<br />

Bild: Metalshub<br />

von Class I Nickel einzusteigen. Insgesamt<br />

rechnen Marktexperten mit einem Angebotsüberschuss<br />

im Jahr 2023, was Druck<br />

auf den Preis ausüben könnte, vor allem<br />

im Bereich der Class II Nickelprodukte.<br />

Ferromolybdän<br />

• Seit August 2022 haben sich die Preise<br />

für Ferromolybdän, ein Legierungselemente<br />

insbesondere für Stähle, die in<br />

der Öl- und Gasindustrie verwendet<br />

werden, mehr als verdoppelt.<br />

• Im Dezember 2022 hat die Preisrallye<br />

sogar an Fahrt aufgenommen: Die<br />

Preise stiegen zwischen Anfang<br />

Dezember 2022 und Mitte Januar 2023<br />

von 50 USD auf 75 USD/kg.<br />

• China ist hier der Haupttreiber; seit<br />

Dezember 2022 sind die Covid-Zahlen<br />

in China stark gestiegen. China ist einer<br />

der größten Molybdänproduzenten<br />

und es kommt zu Störungen in den<br />

Lieferketten.<br />

• Verstärkend kommen politische Unruhen<br />

in Peru hinzu; mehrere Kupfer und<br />

Molybdänminen haben im Januar 2023<br />

wegen politisch motivierten Demonstrationen<br />

die Produktion eingestellt.<br />

Ferrosilizium<br />

• Die Produktion von Ferrosilizium durch<br />

das Einschmelzen von Quarzsand ist<br />

sehr energieintensiv. Die wichtigsten<br />

Kostentreiber sind daher die Preise für<br />

Strom und Koks.<br />

• Im April 2022 wurden Höchststände<br />

von 4000 €/t verzeichnet; seitdem entspannt<br />

sich auch bei diesem Rohstoff<br />

die Marktlage ... auch, weil Importe aus<br />

Regionen mit niedrigeren Energiekosten<br />

nach Europa fließen.<br />

• Im Januar 2023 ist das Preisniveau auf<br />

1800 Euro/t zurückgegangen.<br />

• Da sich die Lage an den europäischen<br />

Strommärkten derzeit zu entspannen<br />

scheint, rechnen Marktexperten mit<br />

stabilen Preisen im Jahresverlauf.<br />

• Es existieren bereits seit vielen Jahren<br />

EU-Antidumpingzölle gegen Ferrosilizium<br />

aus Russland, sodass Russland keine<br />

relevante Quelle für die Versorgung<br />

ist.<br />

Ferrovanadium<br />

• Nach dem Ausbruch des Ukraine Krieges<br />

herrschte große Verunsicherung im<br />

Markt aufgrund der Sanktionen gegen<br />

russische Individuen und Unternehmen.<br />

• Evraz, einer der größten Vanadiumproduzenten,<br />

hat seinen Sitz und Teile seiner<br />

Produktion in Russland.<br />

• Der Vanadium-Preis schoss von 30 €/kg<br />

am Jahresanfang auf über 56 Euro/kg<br />

im April 2022 hoch.<br />

• Die Lage hat sich inzwischen auch hier<br />

stabilisiert; Evraz exportiert weiterhin<br />

Vanadium pentoxid in die EU, was in<br />

diesen Ländern zu FeV verarbeitet wird.<br />

• Im Januar 2023 lag der FeV-Preis bei<br />

34 Euro/kg.<br />

Bild: SteenoWac/peopleimages.com/stock.adobe.com<br />

Da leuchten die Augen jedes Motorradfans. Um<br />

den Auspuff so glänzen zu bekommen, muss er<br />

vor dem Verchromen gut poliert und vernickelt<br />

werden.<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 13


» MANAGEMENT<br />

Olaf Komitsch, CPO der EnBW AG<br />

Die Energiewende meistern<br />

Olaf Komitsch managt die <strong>Beschaffung</strong> für die EnBW Energie Baden-Württemberg AG.<br />

Mit der Energiewende hat sich das Geschäftsmodell des Energieversorgers stark<br />

verändert . Zudem hat der Infrastrukturausbau das Einkaufsvolumen vervielfacht.<br />

Was das für den Einkauf bedeutet, erzählt CPO Komitsch im Interview.<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>: Herr Komitsch,<br />

Sie leiten seit 2018 den Einkauf für den<br />

Energieversorger EnBW. Inwiefern hat<br />

sich die <strong>Beschaffung</strong> seitdem verändert?<br />

Olaf Komitsch: In zwei wesentlichen<br />

Punkten: Zum einen hat die EnBW ihre<br />

Strategie als Energieversorger völlig neu<br />

ausgerichtet und einen Wandel zur „grünen“<br />

Energie vollzogen. Das hat unsere<br />

Lieferantenbasis komplett verändert. Zum<br />

anderen hat sich durch den Infrastrukturausbau<br />

unser Einkaufsvolumen auf <strong>aktuell</strong>e<br />

sechs Milliarden Euro jährlich vervielfacht.<br />

Parallel haben wir unsere Organisation<br />

an die neuen Anforderungen angepasst<br />

mit dem Ergebnis,<br />

dass mittlerweile ein Drittel<br />

unserer Einkäuferinnen und<br />

Einkäufer veränderte Aufgaben<br />

haben. Kommerziell<br />

muss man einem Einkäufer<br />

prinzipiell nicht viel beibringen.<br />

Es geht für mich heute, zumal als<br />

Quereinsteiger aus Finance und Vertrieb,<br />

eher um die Themen Risikomanagement<br />

und Digitalisierung. Deshalb haben wir<br />

ein konsequentes Transformationsprogramm<br />

für die nächsten zwei Jahre aufgesetzt.<br />

Hier verändern wir insbesondere<br />

Ways of Working, investieren konsequent<br />

in Digitalisierung sowie Automatisierung<br />

und integrieren unsere Lieferanten in unsere<br />

Wertschöpfung.<br />

»Über Verträge allein lassen sich<br />

nicht alle unerwarteten Eventualitäten<br />

einer Lieferkette abdecken.«<br />

Sie kaufen heute keine schlüsselfertigen<br />

Großkraftwerke mehr, sondern Solarpanel,<br />

Windräder, Ladesäulen.<br />

Komitsch: In der Tat kaufen wir sehr<br />

viele neue Materialien und Komponenten<br />

und das hat einen großen Einfluss auf unsere<br />

Arbeit. Wir haben neben der reinen<br />

Warengruppenlogik nun verstärkt komplexe<br />

Produkte und kleinteilige Projekte<br />

im Einkauf zu managen. Unsere Lieferantenbasis<br />

hat sich internationalisiert, in<br />

dieser Dimension ist dies neu für die<br />

EnBW.<br />

Was bedeutet das für den Einkauf?<br />

Komitsch: Die Herausforderung liegt<br />

darin, mit der Vielfalt umzugehen und die<br />

Olaf Komitsch<br />

Olaf Komitsch ist seit über 20 Jahren für die EnBW tätig in den<br />

Bereichen Vertrieb, Performance Management, Controlling und Risikomanagement.<br />

Seit 2018 leitet er den Zentraleinkauf des Energieversorgers.<br />

Weitere berufliche Stationen des Diplom-Ingenieurs für<br />

Energietechnik war die EDF Energy in London und ein Praktikum<br />

im Silicon Valley. Olaf Komitsch ist systemischer Coach und hat eine<br />

Ausbildung im Digital Leadership.<br />

Komplexität zu reduzieren. Im Projekteinkauf<br />

setzen wir auf die Kompetenz der<br />

einzelnen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen<br />

und auf die Selbstverantwortung.<br />

Über die Projektkennzahlen hinaus wenden<br />

wir keine einkaufspezifische KPI an<br />

und garantieren so eine einheitliche Ausrichtung<br />

auf den Gesamterfolg der Projekte.<br />

Hier braucht der Einkäufer über seine<br />

einkäuferischen Fähigkeiten hinaus einen<br />

Sinn für Unternehmertum. Unser<br />

Commodity-Einkauf, der eine große Breite<br />

an Materialien und Dienstleistungen<br />

beinhaltet, muss in schnellen, effizienten<br />

Prozessen bestmögliche Einsparungen generieren.<br />

Komponenten wie<br />

Trafos, Wechselrichter und<br />

Instandhaltungsleistungen<br />

kaufen wir zentral, da geht<br />

es um Economies of Scale<br />

und Standardisierung mit<br />

der Frage, was lässt sich<br />

ohne Qualitätsverlust vereinheitlichen?<br />

Hinzu kommt die Interaktion mit unseren<br />

Bedarfsträgern und Lieferanten. Im Fokus<br />

steht das digitale Arbeiten und die durchgängige<br />

Automatisierung von Massenprozessen.<br />

Digitales Arbeiten macht nur<br />

Spaß, wenn sich Systeme intuitiv nutzen<br />

lassen. Dazu setzen wir auf Katalogsysteme<br />

und verbessern Prozesse und Systeme<br />

mit User Experience (UX).<br />

Das alles verändert die Organisation des<br />

Einkaufs und die Arbeitsweise entlang der<br />

Wertschöpfung. Das ist nicht trivial, lässt<br />

sich über eine KPI kaum abbilden, ist aber<br />

entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg.<br />

Es geht nicht mehr allein um Verhandlungskompetenz.<br />

Wir brauchen Verhandlerinnen<br />

und Changemanager im<br />

Einkauf.<br />

14 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


Bild: EnBW<br />

Olaf Komitsch, EnBW:<br />

„Für mich entsteht<br />

erfolgreiche Digitalisierung<br />

aus dem digitalen<br />

Denken und<br />

nicht aus der Einführung<br />

von Tools.“<br />

Inwiefern spüren Sie den Material -<br />

mangel?<br />

Komitsch: Es ist anspruchsvoll, gleichzeitig<br />

hilft der Mangel die Standardisierung<br />

zu treiben, weil er einen<br />

Veränderungswillen erzeugt.<br />

Differenzieren wird<br />

zur Option, wenn der Top-<br />

Lieferant nicht mehr die<br />

vollen Mengen liefern kann.<br />

Wir fragen uns gemeinsam<br />

mit den Netzgesellschaften: Was ist das<br />

technisch Notwendige, wo entsteht ein<br />

Mehrwert und auf welche Spezifikationen<br />

können wir verzichten? Aufgrund der disruptiven<br />

Lieferketten sind wir gezwungen<br />

sehr vieles zu hinterfragen.<br />

Wie herausfordernd ist der <strong>aktuell</strong>en<br />

Lieferantenmarkt?<br />

Komitsch: Die EnBW hat trotz schwieriger<br />

gesamtwirtschaftlicher Lage hohe<br />

ambitionierte Ziele im Ausbau der Infrastruktur,<br />

z. B. bei Breitband, smarte Netze<br />

und natürlich erneuerbare Energien. Wir<br />

agieren in einem absoluten Wachstumsfeld.<br />

Politik und Gesellschaft erwarten<br />

von uns eine schnelle Energiewende.<br />

Fachkräftemangel, disruptive Lieferketten<br />

fordern Lieferanten wie auch uns. Wir sehen<br />

die Sorgen unserer Lieferanten, und<br />

machen uns bereit , viel stärker gemeinsame<br />

Lösungen zu finden. Geopolitische<br />

Krisen und Pandemien benötigen trotz allem<br />

viel Aufmerksamkeit und Kreativität.<br />

»Es gibt in den Lieferketten unendlich<br />

viele Daten bei gleichzeitiger<br />

Unterinformation aller Beteiligten.«<br />

Entsprechend hoch ist die Verantwortung,<br />

die der Einkauf für diese Aufgabe hat. Unser<br />

Augenmerk muss daher auch auf den<br />

Mitarbeitenden liegen. Wir müssen sie resilienter<br />

machen, um ihnen eine gesunde<br />

Selbststeuerung zu ermöglichen.<br />

In der Finanzkrise 2008 haben Konzerne<br />

ihre mittelständischen Lieferanten finanziell<br />

unterstützt. Gehen Sie mit Blick<br />

auf Material oder Fachkräfte ähnlich<br />

vor, um Ihre Lieferkette zu stabilisieren?<br />

Komitsch: In den Netzbereichen gibt es<br />

tatsächlich eine Taskforce, in der wir situativ<br />

entscheiden, inwiefern wir z. B.<br />

Lieferanten beim Materialtransport, mit<br />

Fahrzeugen, Transportmitarbeitern unterstützen<br />

können. Wir überprüfen die Baustellenlogistik<br />

und schauen, wo wir unsere<br />

Eigenleistung hochfahren. Das ist ein<br />

sehr operativer Prozess und entlastet Lieferanten.<br />

Außerdem sind wir ein verlässlicher<br />

Auftraggeber mit einer hohen Zahlungsmoral<br />

und Vorreiter für „grüne“ Infrastruktur.<br />

Aber wir sind<br />

auch in Förderungsmärkten<br />

unterwegs, in denen plötzlich<br />

neue Technologien und<br />

Infrastrukturen gefördert<br />

werden mit einer entsprechenden<br />

Auswirkung auf<br />

die Nachfrage. Und in diesem Umfeld, da<br />

helfen dann vor allem gute Lieferantenbeziehungen.<br />

Die Lieferanten warten selbst auf Materialien.<br />

Wie tief ist Ihr Einblick in die<br />

Lieferkette?<br />

Komitsch: Um es in einem Satz zusammenzufassen:<br />

Es gibt in den Lieferketten<br />

unendlich viele Daten bei gleichzeitiger<br />

Unterinformation aller Beteiligten. Die<br />

klare Sicht auf alle Stufen der Lieferkette,<br />

aus der Datenmenge die relevanten Informationen<br />

zu erhalten, ist eine echte Sisyphusaufgabe.<br />

Wir gehen diesen Weg in<br />

kleinen Schritten. Digitalisierung ist das<br />

eine, aber man braucht auch Menschen,<br />

die vor diesem Elefanten keinen Respekt<br />

haben und ihn beherzt in Scheiben<br />

schneiden.<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 15


» MANAGEMENT<br />

Neue Tools helfen nicht immer. Was ist<br />

für die Digitalisierung des Einkaufs<br />

wichtig?<br />

Komitsch: Sehr oft werden die falschen<br />

Fragen gestellt. Die Frage „Sag mir bitte,<br />

wie die Liefersicherheit auf dem Transportweg<br />

von Asien ist“, ist nicht die richtige.<br />

Ich muss mir zunächst meine<br />

Schwachstellen anschauen. Oftmals ergeben<br />

sich aus digitalen Abläufen außerdem<br />

völlig andere Lösungen als beabsichtigt.<br />

Ein Beispiel: Wir wollten die präqualifizierten<br />

Lieferanten rund um unsere regional<br />

verteilten Baustellen gezielter adressieren,<br />

um in der Ausschreibung schneller<br />

zu werden. Hierfür haben wir eine digitale<br />

Lösung entwickelt. Jetzt haben wir über<br />

diesen Prozess aber vor allem erreicht,<br />

dass wir sehr viel mehr Angebote erhalten<br />

und bessere Preise erzielen. Der eigentliche<br />

Hebel saß für uns also an einer anderen<br />

Stelle.<br />

Wie erkenne ich solche Potenziale, bevor<br />

die Data Analysten aktiv werden?<br />

Komitsch: Um das zu erkennen, braucht<br />

man sehr viele Freiheitsgrade in der Führung<br />

und für die Teams, die solche Lösungen<br />

entwickeln. Das Erfahrungswissen,<br />

das wir uns im Management über Jahre<br />

erarbeitet haben, hilft bei der Beantwortung<br />

digitaler Fragestellen oft nicht weiter.<br />

Es steht uns sogar im Weg. Das muss<br />

man erkennen und akzeptieren. Selbstentwickelte<br />

Lösungen haben in der Praxis,<br />

bei unseren Mitarbeitern, eine deutlich<br />

bessere Akzeptanz, als wenn die Tools von<br />

außen kommen, weil die Teams an der<br />

Gestaltung teilgenommen haben. Für<br />

mich entsteht erfolgreiche Digitalisierung<br />

aus dem digitalen Denken und nicht aus<br />

der Einführung von Tools.<br />

Wind, Solar, E-Mobilität: Die Schwerpunkte der Energieversorgung haben sich mit der Energiewende<br />

verlagert. Das hat für die <strong>Beschaffung</strong> weitreichende Konsequenzen.<br />

Bilder: EnBW AG<br />

Das müssen Sie näher erklären …<br />

Komitsch: Ein Beispiel: die Rechnungsfreigabe<br />

soll um eine automatische Lieferantenbewertung<br />

erweitert werden. Dazu<br />

bedarf es, aus der Perspektive des Bedarfsträgers<br />

zu denken und zu handeln.<br />

Die klassische Führungskraft hingegen<br />

denkt in Systemen, Abteilungen und an<br />

die mögliche Komplikation der Verknüpfung,<br />

weil wir wissen, wie lange solche<br />

System veränderungen gedauert haben.<br />

16 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


Wir sind uns häufig nicht bewusst, wie<br />

viele Daten verfügbar sind, wie einfach<br />

Daten zu Informationen zusammengeführt<br />

werden können und wie leicht wir<br />

Infos – auch vom Lieferanten oder zum<br />

Lieferanten – fließen lassen können. Daher<br />

gebe ich meinen Analysten klare Problemstellungen<br />

und dann viel Freiheit,<br />

damit nicht meine klassische Denke als<br />

Führungskraft die beste Lösung verstellt.<br />

Wer Systemkomponenten kauft, braucht<br />

eine gute Abstimmung nach innen. Wie<br />

klappt der Austausch mit Ihren Geschäftsbereichen?<br />

Komitsch: Ich würde mir wünschen,<br />

dass wir in Wertschöpfungsketten und<br />

nicht mehr in Funktionen denken: Lieferant,<br />

Einkauf, Geschäftsbereich.<br />

Die Lieferanten sind ein<br />

großer Teil unserer Wertschöpfung.<br />

Die Zeit der Datensilos<br />

und Kopfmonopole ist<br />

vorbei. Wir müssen integriert<br />

denken, welche Fähigkeiten,<br />

wir wo benötigen. Was bietet<br />

der Nachbarbereich und der Lieferantenmarkt<br />

an dieser Stelle? Unsere Arbeit<br />

fängt ganz vorne bei der Spezifikation an,<br />

in der Zusammenarbeit mit den Geschäftsbereichen,<br />

ausgehend vom Bedarf<br />

der Kunden. Der Lieferant muss viel früher<br />

in die Produktentwicklung eingebunden<br />

werden. Das ist in gewisser Weise Neuland<br />

für uns. Wir tun das daher in kleinen<br />

Schritten, als EnBW investieren wir zum<br />

Beispiel auch in Start-ups.<br />

Was folgt daraus für die Zusammenarbeit?<br />

Komitsch: Wenn ich diese integrierte<br />

Sicht habe, muss ich überlegen, was ich<br />

tun kann, damit keiner in der Kette zum<br />

Bottleneck wird. Deshalb sitzen wir immer<br />

häufiger in interdisziplinären Teams<br />

an einem Tisch. Und wenn ich auf die Risiken<br />

in der Wertschöpfungskette schaue<br />

und wie ich diese vernünftig absichern<br />

kann, muss ich ehrlicherweise auch über<br />

die Margenverteilung anders nachdenken.<br />

Über immer höhere Versicherungsprämien<br />

lässt sich aus meiner Sicht nicht alles lösen.<br />

Wir müssen uns mit unseren Partnern<br />

darauf verständigen, wie wir miteinander<br />

umgehen, wenn es unerwartet nicht läuft.<br />

Das halte ich für ganz entscheidend, weil<br />

wir uns sonst mit Versicherungsprämien<br />

überbieten. Über Verträge allein lassen<br />

sich nicht alle unerwarteten Eventualitäten<br />

einer Lieferkette abdecken. Wir brauchen<br />

eine neue Form von Agreement für<br />

eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.<br />

»Für mich entsteht erfolgreiche<br />

Digitalisierung aus dem digitalen<br />

Denken und nicht aus der<br />

Einführung von Tools.«<br />

Welche Anforderungen stellen Sie in<br />

Bezug auf Nachhaltigkeit an Ihre Lieferanten?<br />

Komitsch: Der Fokus auf soziale und gesellschaftliche<br />

Verantwortung ist natürlich<br />

wie bei allen Firmen wichtig für die ganzheitliche<br />

Nachhaltigkeit. Aufgrund unseres<br />

Produktes von Stromerzeugung und Gasvertrieb<br />

machen die CO 2 -Emissionen unserer<br />

vorgelagerten Wertschöpfung den geringsten<br />

Teil an unseren Gesamtemissionen<br />

aus. Andererseits sind unsere Lieferanten<br />

an unserem regenerativ erzeugten<br />

Strom stark interessiert, um selbst „grüner“<br />

zu werden. Wir können im Einkauf somit<br />

aus Überzeugung handeln und mit gegenseitiger<br />

Aufmerksamkeit unserer Lieferanten<br />

rechnen. Uns kommt es auf jedes<br />

Gramm CO 2 -Reduktion an. Dies in einer<br />

nach wie vor kommerziell gesteuerten<br />

Welt zu vermitteln, ist jedoch ein Spagat.<br />

Wie wollen Sie vorgehen?<br />

Komitsch: Unter anderem haben wir ein<br />

Produkt entwickelt, über das wir aus<br />

öffent lich zugänglichen Quellen den<br />

CO 2 -Fußabdruck auf den detaillierten Warengruppenschlüssel<br />

eClass heruntergebrochen<br />

haben. Somit arbeiten wir zwar<br />

nicht auf Lieferantenebene, aber wir haben<br />

den Branchendurchschnitt aller Produktkategorien,<br />

haben eine Augenhöhe,<br />

einen Startpunkt, von dem aus wir mit den<br />

Lieferanten arbeiten. Hierfür brauchen wir<br />

im Einkauf kein riesiges Team, das aufwändige<br />

Nachhaltigkeitsberechnungen<br />

anstellt, wir machen das für die EnBW mit<br />

zwei Leuten. Die Daten kommen aus EU-<br />

Quellen. Wir arbeiten also mit der gleichen<br />

Datenbasis, auf der wahrscheinlich die EU-<br />

Gesetzgebung fußt. Und dann<br />

kann der Lieferant punkten und<br />

sagen, ok, ich habe hier aber<br />

eine Zertifizierung, die besagt,<br />

wir liegen deutlich drunter. Das<br />

akzeptieren wir im ersten<br />

Schritt und nähern uns nachhaltiger<br />

CO 2 -Einsparungen.<br />

Das hört sich nach einem pragmatischen<br />

Ansatz an…<br />

Komitsch: Ja und er wurde unter die<br />

besten Drei gewählt. Ende Oktober haben<br />

wir hierfür auf dem Sustainability Kongress<br />

in Berlin – neben der Deutschen<br />

Bahn und Miele – eine Ehrung in der<br />

Kategorie „Einkauf“ erhalten.<br />

Für <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> stellte<br />

Annette Mühlberger die Fragen.<br />

EnBW Energie Baden-Württemberg AG<br />

Die EnBW mit Sitz in Karlsruhe ist gemessen am Umsatz nach<br />

Uniper und E.ON der drittgrößte Energieversorger Deutschlands<br />

und versorgt rund 5,5 Millionen Kundinnen und<br />

Kunden. Dabei konzentriert sich die EnBW auf erneuerbare<br />

Energien, Elektromobilität, Strom- und Telekommunikationsnetze<br />

sowie smarte , nachhaltige Energielösungen. 2021 lag<br />

der Umsatz bei 32,1 Milliarden Euro. Mehr als 26.000<br />

Menschen arbeiten für das Energieunternehmen<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 17


» MANAGEMENT<br />

Kartelle im Fokus, Teil 1: Was, wie viel und wer?<br />

Die Oligarchen der Industrie<br />

Kartelle schaden der Wirtschaft, indem sie den Wettbewerb durch Absprachen<br />

schwächen. Deshalb sind Kartelle de jure verboten, de facto aber weit<br />

verbreitet . Die Bandbreite reicht von Abgassystemen, Erdöl über Leberwurst<br />

und Software bis hin zu Zucker.<br />

Aktuell auch mit der<br />

Kontrolle der Gaspreisbremse<br />

beschäftigt:<br />

das Bundeskartellamt<br />

in Bonn.<br />

Bild: nmann77/stock.adobe.com<br />

Michael Grupp<br />

Journalist, Stuttgart<br />

Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen<br />

GWB definiert im Absatz 2 ein Kartell als „eine<br />

Absprache oder abgestimmte Verhaltensweise zwischen<br />

zwei oder mehr Wettbewerbern zwecks Abstimmung<br />

ihres Wettbewerbsverhaltens auf dem<br />

Markt oder Beeinflussung der relevanten Wettbewerbsparameter.“<br />

Dabei geht es nicht nur um Konditionen<br />

(Preiskartelle), sondern beispielsweise auch<br />

um die Aufteilung von Märkten (Gebietskartelle), um<br />

Ausschreibungen (Submissionskartelle)<br />

oder um konsolidierte Maßnahmen gegen<br />

Wettbewerber.<br />

Auch Fusionen unterliegen einer Kontrolle<br />

durch das Bundeskartellamt und<br />

dürfen erst nach einer Prüfung vollzogen<br />

werden. Das Bundeskartellamt bewertet<br />

dabei die Auswirkungen auf<br />

den Wettbewerb. Überwiegen die<br />

wettbewerblichen Nachteile, kann eine<br />

Fusion verboten oder nur unter bestimmten<br />

Bedingungen freigegeben<br />

werden. So hat das Bundeskartellamt 2022 rund 800<br />

Kooperationsprojekte geprüft. Eines wurde verboten<br />

(in der Wasserwirtschaft), zwei weitere (die teilweise<br />

Übernahme von OMV-Tankstellen durch Esso sowie<br />

der Zusammenschluss von Rheinenergie und E.ON)<br />

unter Auflagen genehmigt. Insgesamt war 2022 ein<br />

ruhiges Jahr für die Wettbewerbshüter: Unter dem<br />

Strich wurden „nur“ rund 24 Mio. Euro Bußgeld gegen<br />

20 Unternehmen und sieben Manager verhängt.<br />

In Spitzenjahren kann diese Summe locker die Milliardengrenze<br />

überschreiten.<br />

Schweigen ist Gold<br />

Seit Juni 2022 arbeitet das Bundeskartellamt mit<br />

dem sogenannten Wettbewerbsregister, in dem Kartellverstöße<br />

dokumentiert und archiviert werden.<br />

Diese Datenbank informiert öffentliche Auftraggeber<br />

über eventuelle Wirtschaftsdelikte potenzieller<br />

Marktpartner, die bei negativer Auskunft von öffentlichen<br />

Vergabeverfahren ausgeschlossen werden<br />

können. Das kann die Existenzfähigkeit eines Unter-<br />

18 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


nehmens bedrohen. Betroffene Firmen können eine<br />

Löschung beantragen – allerdings erst, nachdem sie<br />

Vorkehrungen zur Vermeidung zukünftiger Rechtsverstöße<br />

getroffen haben.<br />

Einsame Kartelle<br />

In manchen Kartell-Fällen bedarf es noch nicht einmal<br />

externer Absprachen: Dann nämlich, wenn ein<br />

Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung erreicht<br />

hat – also keinem wesentlichen Wettbewerb<br />

mehr ausgesetzt ist. Nutzt das Unternehmen diese<br />

Position „marktmissbräuchlich“, liegt ebenfalls ein<br />

kartellrechtlicher Verstoß vor. Maßstab ist dabei, wie<br />

sich der Markt bei wirksamem Wettbewerb mit hoher<br />

Wahrscheinlichkeit entwickeln würde (§ 19 GWB).<br />

Hier sehen sich vor allem die Big Five in der Kritik und<br />

oft genug auch vor Gericht: Alphabet (Google), Amazon,<br />

Apple, Meta Platforms (ehem. Facebook) und Microsoft.<br />

Die Strafen können beträchtlich ausfallen: So<br />

hat das Gericht der Europäischen Union (EuG) im<br />

September 2022 eine Geldbuße in Höhe von 4,1 Mrd.<br />

Euro gegen Google verhängt. Die Begründung: Google<br />

habe seine beherrschende Marktstellung dazu ausgenutzt,<br />

Betreibern von Mobilfunknetzen rechtswidrige<br />

Beschränkungen aufzuerlegen. Auch Apple steht regelmäßig<br />

vor dem Kadi: zum Beispiel wegen illegaler<br />

Preisabsprachen im Großhandel (Strafmaß 370 Mio.<br />

Euro) oder wegen unerlaubter personalisierter Werbung<br />

(bspw. in Frankreich und in den Niederlanden).<br />

Es geht um die Wurst<br />

Insgesamt drohen hohe Strafen: Bis zu zehn Prozent<br />

des Konzernumsatzes kann das Bundeskartellamt<br />

bzw. die EU-Kommission verhängen. So hat das<br />

Libor- Kartell die beteiligten Großbanken 1,7 Milliarden<br />

gekostet, das Autoglas-Kartell die entsprechenden<br />

Zulieferer über eine Milliarde. Legendär ist das<br />

Wurstkartell, in dessen Rahmen sich 21 deutsche<br />

Wursthersteller zusammengeschlossen haben, um<br />

gemeinsam höhere Preisforderungen gegenüber dem<br />

Lebensmitteleinzelhandel durchzusetzen. Infolgedessen<br />

wurden rund 340 Mio. Euro an Bußgeldern verhängt,<br />

unter anderem gegen die Böklunder Fleischwarenfabrik,<br />

die Zur-Mühlen-Gruppe und die Tönnies-Gruppe.<br />

Ein Großteil der Bußgelder wurde aller-<br />

Das Wurstkartell hielt<br />

von 1982 bis mindestens<br />

2011 die Fleischpreise<br />

zum Schaden<br />

der Verbraucher künstlich<br />

hoch.<br />

Bild: Krakenimages.com/stock.adobe.com<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 19


» MANAGEMENT<br />

Mehr zum Thema Kartellrecht<br />

Ohne Kartell-<br />

Hintergrund wäre der<br />

Abgasskandal wohl<br />

wesentlich früher<br />

aufgedeckt worden.<br />

Der „Leitfaden für Kartellrecht BDI“ vom<br />

Bundesverband der Deutschen Industrie<br />

e. V. erklärt Grundzüge, Risiken und<br />

Compliance mit vielen Praxisbeispielen.<br />

dings nicht bezahlt, weil die Konzerne die betroffenen<br />

Tochterunternehmen einfach aus dem Handelsregister<br />

löschten. Diese sogenannte „Wurstlücke“ im<br />

Kartellrecht hat das Bundeswirtschaftsministerium<br />

inzwischen juristisch geschlossen.<br />

Kartelle können teuer werden<br />

2020 hat die EU-Kommission rund drei Milliarden<br />

Euro Strafgelder gegen mehrere Lkw-Hersteller verhängt.<br />

Beteiligt waren Daimler, Scania, DAF, Renault/<br />

Volvo, Iveco und MAN. Die Unternehmen haben ihre<br />

Preise für mittelschwere und schwere Lastwagen abgesprochen<br />

und auch ihre Zeitpläne in puncto Umwelttechnologien<br />

abgestimmt. Mit gut einer Milliarde<br />

Euro fiel die Geldbuße für den Daimler-Konzern<br />

am höchsten aus. Straffrei ging dagegen die Münchner<br />

VW-Tochter MAN aus – von ihr stammte der entscheidende<br />

Tipp für die Kartellbehörden. Im Rahmen<br />

des Dieselskandals kam dann Daimler besser weg.<br />

Jahrelang haben sich VW, Audi, Porsche, BMW und<br />

Daimler über Strategien, Lieferanten und speziell<br />

auch über Abgasreinigungskonzepte abgesprochen.<br />

Das kostete Volkswagen unter dem Strich 500 Mio.<br />

Euro, BMW musste 375 Mio. Euro auf den Tisch des<br />

Gerichtes legen. Diesmal agierte Daimler als Kronzeuge,<br />

legte die geheimen Gesprächsrunden offen<br />

und ging deshalb straffrei aus.<br />

Der Kronzeuge hat gut lachen<br />

Jedes zweite Kartell wird durch solche Kronzeugen<br />

aufgedeckt – der Rest durch Anzeigen und/oder Recherchen<br />

des Bundeskartellamtes bzw. der internationalen<br />

Kartellbehörden. Die bestehende Kronzeugenregelung<br />

will das Bundeskartellamt (BKartA) derzeit<br />

ausweiten. „Wer als Erster auspackt, dem sollten<br />

wir nicht nur die staatliche Strafe ganz oder weitgehend<br />

erlassen. Wir sollten dieses Unternehmen auch<br />

von Schadenersatzforderungen freistellen“, so Andreas<br />

Mundt, Präsident der Wettbewerbsbehörde im<br />

Interview mit der Rheinischen Post.<br />

Bei Kaffee und Butterbrezel<br />

Nicht jedes Kartell ist verboten. So dürfen sich kleinere<br />

Unternehmen gemäß § 3 GWB zusammenschließen,<br />

um gemeinsam ihre Wettbewerbsfähigkeit<br />

zu steigern. Das sogenannte „Mittelstandskartell“<br />

soll Unter nehmen das Erreichen einer kritischen Größe<br />

ermöglichen, um gegen Großunternehmen bestehen<br />

zu können. Darunter fällt auch der gemeinsame<br />

Einkauf von Waren. Darüber hinaus erlaubt der<br />

Gesetz geber Krisenkartelle, um schwerwiegende<br />

wirtschaftliche Folgen für die einzelnen Unternehmen<br />

auszuschließen sowie Rationalisierungs-Kartelle,<br />

bei dem die Teilnehmer Produktionsschritte untereinander<br />

aufteilen. Kennzeichen für erlaubte Kartelle<br />

sind Transparenz, die Festlegung und Bekanntgabe<br />

einheitlicher Normen sowie die Teilnahme aus-<br />

Bild: bluedesign/stock.adobe.com<br />

20 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


schließlich kleinerer und mittlerer Unternehmen. Ein<br />

Kartell ist leicht zu verbergen. Ohne schriftliche Unterlagen<br />

oder gar Verträge werden meist sogenannte<br />

Frühstückskartelle gebildet: Absprachen ohne Dokumentation.<br />

Der Name geht auf die am 1. April 1899<br />

gegründete „Vereinigung Deutscher Elektrizitätsfirmen“<br />

zurück. Die Teilnehmer trafen sich regelmäßig<br />

und zwanglos zum gemeinsamen Frühstück, um „angemessene<br />

Preise herbeizuführen und aufrechtzuerhalten“.<br />

Was angemessen war, lag dabei allein im Ermessen<br />

der Frühstücks-Direktoren.<br />

Je größer, desto<br />

kritischer<br />

der sich durch ein Kartell geschädigt sieht – also<br />

nicht nur Wettbewerber, sondern auch Zulieferer und<br />

Kunden. Diese haben bei einer rechtskräftigen Verurteilung<br />

gute Chancen, über eine Schadensersatzklage<br />

einen Teil des durch das Kartell verursachten Schadens<br />

zurückzubekommen. Für eine Anzeige reicht eine<br />

telefonische oder schriftliche Meldung beim Bundeskartellamt<br />

und die Sache kommt ins Rollen. Hinweise<br />

können auch anonym abgegeben werden. Und<br />

nicht zuletzt: Über das Kronzeugenprogramm kommen<br />

Mitglieder jederzeit straffrei aus einem Kartell<br />

heraus.<br />

Ist ein zwangloses Treffen<br />

auf dem Messestand zwischen<br />

Kaffee und Keksen<br />

kartellrechtlich relevant oder<br />

nicht? Das lässt sich nicht<br />

pauschal beantworten. Ob<br />

das Gespräch ein verbotenes<br />

Kartell, eine zulässige Kooperation<br />

oder nur einen<br />

Meinungsaustausch abbildet,<br />

hängt beispielsweise<br />

vom Marktanteil der beteiligten<br />

Unternehmen ab. Was<br />

zwischen KMUs völlig unproblematisch<br />

ist, kann bei Konzernchefs<br />

kritisch werden.<br />

Ab einem Marktanteil von<br />

30 Prozent schauen die Kartellbehörden<br />

genauer hin.<br />

Zudem kommt es natürlich<br />

auch auf die Themen an: Gemäß<br />

Kartellrecht sind Informationen<br />

über Einkaufs-,<br />

Verkaufs- und Wiederverkaufspreise<br />

einschließlich<br />

Listenpreise, Preisbestandteile,<br />

Preiskalkulation sowie<br />

Fakten über <strong>aktuell</strong>e Aufträge<br />

und Ausschreibungen immer<br />

tabu. Darüber hinaus<br />

muss das Gespräch marktrelevant<br />

sein – das heißt, es<br />

muss eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung<br />

bezwecken<br />

oder bewirken.<br />

Wo kein Kläger, da kein Richter:<br />

Letztlich muss natürlich<br />

auch ein Marktteilnehmer<br />

das Kartell aufdecken bzw.<br />

anzeigen. Klagen kann jeder,<br />

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<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 21<br />

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» MANAGEMENT<br />

Neuer Rechtsrahmen für Whistleblowing in Unternehmen<br />

Gesetz will Hinweisgeber schützen<br />

Zukünftig unterfallen Personen, die Missstände und Rechtsverstöße<br />

innerhalb eines Unternehmens melden wollen, dem Schutz des<br />

Gesetzgebers. Die Compliance-Anforderungen steigen dadurch<br />

erneut, auch im <strong>Beschaffung</strong>swesen.<br />

Der bekannteste Whistleblower der<br />

Welt ist wohl Edward Snowden.<br />

2013 spielte er den Medien Erkenntnisse<br />

aus seiner Tätigkeit als Systemadministrator<br />

für den US-Geheimdienst zu, die<br />

dessen weltweite rechtswidrige Überwachungspraxis<br />

offenlegten. In den USA ergingen<br />

daraufhin Strafanzeige und Haftbefehl,<br />

weshalb Snowden flüchtete und<br />

heute in Moskau lebt.<br />

Zehn Jahre später hat ein Whistleblower<br />

bessere Karten, zumindest hierzulande.<br />

Denn voraussichtlich noch im ersten<br />

Halbjahr 2023 wird das Gesetz für einen<br />

besseren Schutz hinweisgebender Personen,<br />

kurz Hinweisgeberschutzgesetz, in<br />

Kraft treten.<br />

Interne Meldestelle<br />

erforderlich<br />

Zentrales Element der neuen Regelung ist<br />

eine unternehmensinterne Meldestelle,<br />

die Hinweise auf Verstöße gegen geltendes<br />

Recht im beruflichen Umfeld entgegennimmt.<br />

In allen Unternehmen mit<br />

mehr als 249 Beschäftigten muss eine<br />

solche Stelle gleich nach Inkrafttreten des<br />

Gesetzes geschaffen werden, bei einer<br />

Serie Einkaufsrecht<br />

RA Anja Falkenstein stellt<br />

<strong>aktuell</strong>e und einkaufs -<br />

relevante Rechtsthemen vor.<br />

http://hier.pro/<br />

5hmjZ<br />

Mitarbeitendenzahl ab 50 bis 249 ist Zeit<br />

bis Dezember 2023.<br />

Die Form ist frei wählbar. Ob Beschwerde-<br />

Briefkasten, Telefon-Hotline, interne<br />

E-Mail-Adresse – wichtig ist nur, dass alle<br />

Kanäle Vertraulichkeit, Datenschutz und<br />

den raschen Zugang der Meldungen<br />

sicher stellen. Zugriff auf die Hinweise<br />

dürfen nur diejenigen Personen haben, die<br />

auch mit der Bearbeitung betraut und darin<br />

geschult sind; nicht etwa zusätzlich<br />

»Delikte im Bereich<br />

Wirtschaftskriminalität<br />

sind in Deutschland<br />

nicht selten, etwa jedes<br />

dritte Unternehmen ist<br />

betroffen.«<br />

die IT-Abteilung oder das Sekretariat.<br />

„Man muss von Anfang an dafür Sorge<br />

tragen, dass mit den Hinweisen sorgfältig<br />

und vertrauensvoll umgegangen wird“,<br />

sagt Kira Uebachs-Lohn, Partnerin bei der<br />

Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst &<br />

Young GmbH und Expertin für Compliance-Fragen.<br />

„Idealerweise ist die beauftragte<br />

Stelle nicht nur fachlich befähigt,<br />

den Hinweisen nachzugehen und diese zu<br />

plausibilisieren, sondern auch gewillt, den<br />

Hinweisgeber ernst zu nehmen und mit<br />

ihm ins Gespräch zu kommen.“ Gerade<br />

dieser Austausch könne zu wertvollen Erkenntnissen<br />

führen.<br />

Die Meldung kann auch durch eine externe<br />

Stelle entgegengenommen werden, etwa<br />

eine Ombudsperson oder ein Dienstleister,<br />

der ein IT-gestütztes Hinweisgebersystem<br />

installiert; derartige softwarebasierte<br />

Angebote gibt es jetzt zuhauf. Aber<br />

Achtung, es bleibt die ureigene Aufgabe<br />

des Arbeitgebers, den Hinweisen nachzugehen,<br />

Nachforschungen anzustellen, Behörden<br />

zu informieren, Folgemaßnahmen<br />

zu ergreifen, Fehlerquellen abzustellen.<br />

Dies kann nicht outgesourct werden.<br />

Nicht Fluch,<br />

sondern Chance<br />

Das Hinweisgeberschutzgesetz nicht als<br />

Belastung, sondern als Chance begreifen,<br />

das empfiehlt Beraterin Uebachs-Lohn.<br />

„Denn es ist im Interesse jedes Unternehmens,<br />

wenn offengelegt wird, wo Missstände,<br />

Schwachstellen, Einfallstore für<br />

schädliches oder strafbares Handeln existieren“,<br />

sagt sie. „Die beste Quelle dafür<br />

sind die eigenen Leute, die ganz nah an<br />

den Prozessen sind und den entsprechenden<br />

Einblick haben.“ Um die neue Rechtspflicht<br />

für sich nutzbar zu machen, bietet<br />

sich eine Kombination von mehreren,<br />

möglichst niedrigschwelligen Meldekanälen<br />

an, die Hinweisgebern angeboten<br />

werden können.<br />

Parallel wird eine zentrale externe Stelle<br />

beim Bundesamt der Justiz eingerichtet,<br />

sodass Hinweisgeber selbst wählen können,<br />

an wen sie sich wenden. Schon die<br />

Möglichkeit, dass die Meldungen direkt<br />

bei einer Bundesbehörde landen könnten,<br />

sollte dazu führen, dass alle adressierten<br />

Unternehmen ihrer Pflicht nachkommen<br />

und eigene Meldekanäle schaffen. Tun sie<br />

es dennoch nicht, droht ein Bußgeld. „Es<br />

ist allemal besser, intern von Missständen<br />

zu erfahren als von außen. Denn wenn<br />

erst einmal die Presse berichtet oder die<br />

Staatsanwaltschaft ermittelt, rächt es<br />

sich, wenn man sich nicht frühzeitig gekümmert<br />

hat oder Hinweisen nicht nachgegangen<br />

ist“, gibt Compliance-Expertin<br />

Uebachs-Lohn zu bedenken.<br />

22 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


»Die beste Quelle sind die eigenen<br />

Leute, die ganz nah an den<br />

Prozessen sind und den<br />

entsprechenden Einblick haben.«<br />

Kira Uebachs-Lohn, Ernst &Young<br />

Bild: Ernst & Young<br />

Ohnehin verlangt auch das gerade in<br />

Kraft getretene Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz<br />

das Einrichten eines Meldekanals.<br />

Da viele Anforderungen nach<br />

dem Hinweisgeberschutzgesetz ähnlich<br />

sind, empfiehlt es sich laut Uebachs-<br />

Lohn, beides zu koppeln und „zwei Fliegen<br />

mit einer Klappe zu schlagen“. Wichtig sei<br />

eine gute Kommunikation der Maßnahmen,<br />

um den Mitarbeitenden zu vermitteln,<br />

dass sie gebraucht werden beim<br />

Aufdecken von Missständen, dass sie gehört<br />

werden mit ihren Hinweisen und Anliegen<br />

und dass man sie vor negativen<br />

Folgen schützt.<br />

Gefährdungen<br />

im Einkauf<br />

Hinweisgeber sind laut Gesetz Personen,<br />

die Informationen über Verstöße melden<br />

oder offenlegen. Erfasst sind also nicht<br />

nur die Beschäftigten selbst (inklusive<br />

Leiharbeiter, Praktikanten, Bewerber),<br />

sondern auch Dienstleister, externe Auftragnehmer<br />

und – wichtig für die <strong>Beschaffung</strong>sseite<br />

– Lieferanten, die aufgrund<br />

ihrer Geschäftsbeziehungen entsprechende<br />

Informationen erlangen.<br />

Delikte im Bereich Wirtschaftskriminalität<br />

sind in Deutschland nicht selten, etwa<br />

jedes dritte Unternehmen ist betroffen.<br />

Für den Einkauf mit seinen weltweiten<br />

Lieferbeziehungen ergeben sich regelmäßig<br />

besondere Gefährdungen. Korruption,<br />

also Bestechung oder Bestechlichkeit,<br />

kann hier eine Rolle spielen, ebenso Betrug,<br />

Untreue, Unterschlagung, Urkundenfälschung,<br />

Manipulation von Ausschreibungen,<br />

illegale Preisabsprachen,<br />

womöglich Geldwäsche. Erfuhr ein redlicher<br />

Einkäufer bislang von solchen Unregelmäßigkeiten,<br />

war er in einem gewissen<br />

Dilemma: anzeigen und den Job riskieren<br />

oder schweigen.<br />

Der Schutz des<br />

Whistleblowers<br />

Kira Uebachs-Lohn,<br />

Partnerin bei der<br />

Wirtschaftsprüfungs -<br />

gesellschaft Ernst &<br />

Young GmbH<br />

und Expertin für<br />

Compliance-Fragen.<br />

Nun wird ein Hinweisgeber durch das Gesetz<br />

geschützt. Alle Arten von Repressalien<br />

gegen seine Person sind verboten, etwa<br />

Nötigung, Einschüchterung, Rufschädigung,<br />

Mobbing. Arbeitsrechtliche Maßnahmen<br />

wie Kündigung, Suspendierung,<br />

negative Beurteilung, nachteilige Versetzung<br />

oder Nichtverlängerung eines befristeten<br />

Arbeitsvertrags infolge des Hinweises<br />

sind ausgeschlossen. Zugunsten<br />

des Hinweisgebers gibt es eine prozessuale<br />

Beweislastumkehr sowie die Möglichkeit,<br />

Schadensersatz zu erlangen, wenn<br />

das Repressalienverbot verletzt wird.<br />

Dies gilt natürlich nur für zutreffende<br />

Hinweise. Vor absichtlich unwahren Beschuldigungen<br />

ist das Unternehmen wiederum<br />

durch einen eigenen Schadensersatzanspruch<br />

gegen den Whistleblower<br />

geschützt. Doch was ist mit Denunzianten,<br />

die nur unliebsame Kollegen anschwärzen<br />

wollen, oder gar mit Wettbewerbern,<br />

die die Kanäle nutzen, um Ge-<br />

rüchte zu streuen? Expertin Uebachs-<br />

Lohn kann sich vorstellen, „dass über die<br />

Meldekanäle anfänglich einige Nebelkerzen<br />

gezündet werden, die sich bei genauerem<br />

Hinschauen aber schnell auflösen<br />

– weil keine weiteren Details genannt<br />

werden, es keine Nachweise, Unterlagen<br />

oder Zeugen gibt, die das Behauptete<br />

stützen könnten.“ Das Verfahren kann<br />

dann laut Gesetz „aus Mangel an Beweisen“<br />

abgeschlossen werden.<br />

Compliance nimmt<br />

an Bedeutung zu<br />

Die Gesetzgebung verlangt immer mehr<br />

Transparenz, verantwortungsvolles Unternehmerhandeln<br />

und die Wahrung globaler<br />

Rechtsprinzipien in unternehmerischer<br />

Eigenregie. „Wer bisher noch keine Compliance-Maßnahmen<br />

ergriffen hat, sollte<br />

spätestens anlässlich der beiden neuen<br />

Gesetze damit anfangen“, so der Tipp von<br />

Kira Uebachs-Lohn. Lieferkettensorgfalt<br />

und Hinweisgeberschutz könne man als<br />

erste Bausteine eines gesamtheitlichen<br />

Compliance-Management-Systems nutzen.<br />

„Zukunftsfähig ist, wer in seinem Betrieb<br />

das kulturelle Umdenken schafft,<br />

dass Compliance keine zusätzliche Hürde,<br />

sondern eine wichtige Institution und<br />

Chance ist.“<br />

Anja Falkenstein,<br />

Rechtsanwältin,<br />

Karlsruhe<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 23


Bild: Atruvia<br />

Der Leitstand des IT-Dienstleisters<br />

Atruvia in Karlsruhe. Green IT ist hier<br />

ein großes Thema. Doch die nachhaltige<br />

<strong>Beschaffung</strong>sstrategie der IT-Sparte<br />

der Genossenschaftlichen Finanzgruppe<br />

umfasst weit mehr.<br />

Serie Nachhaltige <strong>Beschaffung</strong>, Teil 1: Atruvia AG<br />

Ambitionierte ESG-Ziele brauchen<br />

eine offene Fehlerkultur<br />

Tabea Münch verantwortet im Einkauf des IT-Dienstleister Atruvia das<br />

Nachhaltigkeitsmanagement . Neben den regulatorischen Anforderungen und<br />

Green-IT geht es der Sozialwissenschaftlerin um ein Umdenken im Einkauf<br />

und die Hebelwirkung, die die <strong>Beschaffung</strong> für nachhaltiges Wirtschaften hat.<br />

Atruvia ist Teil der Genossenschaftlichen Finanzgruppe.<br />

Über die Rechenzentren des IT-Dienstleisters<br />

laufen die Bewegungen von 86 Millionen<br />

Bankkonten und die Steuerung von 32.000 Geldautomaten.<br />

Seit 2022 ist Tabea Münch bei Atruvia für<br />

das Nachhaltigkeitsmanagement im Einkauf verantwortlich.<br />

Ihre Kernaufgabe zunächst: die Implementierung<br />

des Lieferkettengesetzes in die <strong>Beschaffung</strong>sprozesse.<br />

Doch nicht nur das: „Wir wollen mit<br />

unseren Bestrebungen nicht nur compliant, sondern<br />

grundlegend nachhaltiger werden“, betont die Nachhaltigkeitsexpertin.<br />

Münch weiß, wie groß der Hebel<br />

des Einkaufs ist: „Die Lieferketten haben einen signifikanten<br />

Einfluss auf die sozialen und ökologischen<br />

Auswirkungen unternehmerischen Tuns“, erklärt sie<br />

und damit gleichzeitig ihre Motivation sich als<br />

Politik - und Sozialwissenschaftlerin für eine sozialund<br />

klimafreundliche <strong>Beschaffung</strong> zu engagieren.<br />

Hebel des Einkaufs bewusst machen<br />

Den Kolleginnen und Kollegen im Einkauf diese Bedeutung<br />

klar zu machen, sieht sie, neben der Umsetzung<br />

der Nachhaltigkeitsstrategie in der <strong>Beschaffung</strong>,<br />

als eine ihrer wichtigsten Aufgaben. „Nicht<br />

24 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


MANAGEMENT «<br />

der sogenannten Wesentlichkeitsanalyse werden die<br />

Waren gruppen entlang der Unternehmensachse<br />

(wie wichtig ist die Warengruppe für das Unternehmen)<br />

und der Nachhaltigkeitsachse (wie groß sind<br />

die ökologisch-sozialen Auswirkungen) analysiert.<br />

Für Atruvia als Digitalisierungspartner blieb die IT<br />

sowohl unternehmensseitig als auch mit Blick auf<br />

die nachhaltige Wirkung die entscheidende Warengruppe.<br />

Startpunkt Wesentlichkeitsanalyse<br />

Dabei geht es nicht nur um den grünen Strom, mit<br />

dem die Rechenzentren in Zukunft ausschließlich betrieben<br />

werden sollen oder um energieeffiziente<br />

Hardware, sondern auch um Zukunftsthemen wie<br />

Green Coding, das verarbeitungsarme Programmieren<br />

von Software. „Auch hier sind wir bereits mit Anbietern<br />

im Gespräch“, beschreibt Tabea Münch die<br />

Richtung, in die sich die ressourcenschonende IT entwickelt.<br />

Auch Beratungsleistungen (weniger Flugstunden),<br />

Facilitymanagement (grüner Strom, faire<br />

Bezahlung und Arbeitszeiten) oder Hotelübernachtungen<br />

stehen auf dem Prüfstand. „Man kann nicht,<br />

nur weil eine Leistung in Deutschland gesourct wird,<br />

allen Einkäuferinnen und Einkäufern ist bewusst,<br />

welchen Einfluss sie in ihrer Funktion auf die Transformation<br />

der Wirtschaft haben. Privat kaufen sie<br />

vielleicht Bioprodukte und tun dort so ihren Teil, aber<br />

die Macht, die sie beruflich besitzen, ist deutlich größer“,<br />

betont sie. Ähnlich sei es in den Fachbereichen.<br />

Auch dort sei nicht überall klar, wie <strong>Beschaffung</strong>sentscheidungen<br />

auf nachhaltige Ziele einzahlten.<br />

„Für viele im Unternehmen ist Einkauf etwas sehr<br />

Abstraktes“, beobachtet sie.<br />

Ausgangspunkt für die nachhaltige <strong>Beschaffung</strong>sstrategie<br />

sind bei Atruvia die Unternehmensleitlinien<br />

und die Unternehmensstrategie. „Der Anfang war zunächst<br />

ganz klassisch top-down, sodass unsere Strategien<br />

und Maßnahmen zusammenpassen und aufeinander<br />

einzahlen können“, beschreibt Tabea Münch<br />

den Prozess. „Eine Vergabeentscheidung muss<br />

schließlich genauso auf unsere große Unternehmensstrategie<br />

einzahlen, wie auf unsere granulare<br />

nachhaltige Warengruppenstrategie, da kommt unsere<br />

Agilität in der Zusammenarbeit ins Spiel“, erklärt<br />

sie den Zusammenhang.<br />

Hinzu kam eine Analyse, über die sich der Einkauf<br />

den wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen<br />

Fußabdruck der Materialgruppen angeschaut hat.<br />

„So entstand das Herzstück unserer Nachhaltigkeitsstrategie<br />

für den Einkauf“, erzählt Münch. Bei<br />

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<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 25


» MANAGEMENT<br />

Die Politik- und<br />

Sozial wissenschaftlerin<br />

Tabea Münch ist<br />

Nachhaltigkeitsexpertin<br />

bei der Atruvia AG.<br />

Bild: Atruvia<br />

einfach einen Hakten dahinter setzen“, bemerkt die<br />

Nachhaltigkeitsmanagerin nicht nur mit Blick auf<br />

das Lieferkettengesetz.<br />

Einkauf braucht Leitplanken<br />

Damit das nicht passiert, müssen die Vorgaben und<br />

Ziele in die <strong>Beschaffung</strong>sprozesse integriert werden.<br />

„Unsere Einkäufer und<br />

Einkäuferinnen sind sehr<br />

engagiert, trotzdem oder<br />

gerade deswegen brauchen<br />

sie Leitplanken und<br />

Kennzahlen, an denen<br />

sie sich orientieren können,<br />

sonst bleib das Thema<br />

abstrakt und schwer<br />

umsetzbar“, beschreibt<br />

Münch die Herausforderung,<br />

wenn es darum geht, Nachhaltigkeit in der<br />

Supply Chain nicht nur „irgendwie“ zu verbessern,<br />

sondern systematisch zu einem festen Qualitätskriterium<br />

für Ausschreibungen zu machen.<br />

»Wir wollen mit unseren<br />

Bestrebungen nicht<br />

nur compliant, sondern<br />

grundlegend<br />

nachhaltiger werden.«<br />

Tabea Münch, Atruvia AG<br />

Scorecards zur Lieferantenbasis<br />

Eine Herausforderung für Atruvia – wie für viele andere<br />

auch – ist die noch dürftige Datenlage, etwa<br />

beim CO 2 -Abdruck in der Lieferkette, um die Fortschritte<br />

über Kennzahlen zu messen. Für das Nachhaltigkeitsranking<br />

der Lieferantenbasis arbeitet man<br />

mit Ecovadis zusammen, dessen Scorecards in SAP<br />

Ariba eingespielt werden. Doch, meint Tabea Münch,<br />

am Ende entscheide der Mensch: „Die Daten und die<br />

Transparenz nutzen wenig, wenn sie der Einkauf<br />

nicht in die richtigen Maßnahmen umsetzt und diese<br />

konsequent nachhält. Tools sind weiße Billardkugeln,<br />

man braucht sie, um Dinge anzustoßen, ins Rollen zu<br />

bringen, aber man muss sie richtig zu nutzen wissen,<br />

alleine haben sie nur wenig Wert“, mahnt sie und<br />

sieht gleichzeitig eine große Chance darin, dass das<br />

Lieferkettengesetz mit seinen Vorgaben (etwa für ein<br />

systematisches Risikomanagement der Lieferketten)<br />

zum Katalysator für nachhaltige <strong>Beschaffung</strong> wird.<br />

Knowhow der Partner nutzen<br />

Die Nachhaltigkeitsmanagerin nutzt außerdem das<br />

Wissen der Lieferanten. Schließlich arbeiten <strong>aktuell</strong><br />

viele, zumal die großen Player, an den gleichen Zielen.<br />

„Nachhaltigkeit ist oder sollte im Kern noch kein<br />

Konkurrenzthema sein, deshalb lässt sich hier im<br />

Moment sehr offen diskutieren und die Erfahrungen<br />

austauschen“, empfiehlt sie anderen ähnlich vorzugehen.<br />

„Nachhaltigkeit ist systemisch und braucht den Blick<br />

von vielen Seiten“, meint sie. Und es brauche einen<br />

Blick auf das, was möglich ist. „Ich treffe sehr viele<br />

engagierte Menschen, mit denen man das Thema gut<br />

voranbringen kann“, lautet ihre Erfahrung. Allerdings<br />

gelte auch oder gerade in der Nachhaltigkeitsdebatte:<br />

Es ist nicht alles grün, was den Anschein erweckt.<br />

„Man muss lernen, den Lieferanten unangenehme<br />

Fragen zu stellen“, erklärt sie und betont: „Atruvia<br />

will die Art Kundin sein, die ihren Einfluss mit Blick<br />

auf Nachhaltigkeit geltend macht und tiefer geht als<br />

Nachhaltigkeitsberichte blicken lassen.“<br />

Ziele operationalisieren<br />

Die Ziele stehen fest, dazu gehören u.a. wiederaufbereitete<br />

Geräte zu nutzen (die eigenen Geräte werden<br />

bereits zu großen Teilen der gemeinnützigen Afb zur<br />

Verfügung gestellt), auf eine komplett erneuerbare<br />

Stromversorgung hinzuarbeiten, um so die Rechenzentren<br />

grün zu versorgen, die Umstellung des Fuhrparks<br />

sowie Sozialstandards im Facilitymanagement.<br />

„Um solche Maßnahmen für alle Warengruppen zu<br />

definieren und umzusetzen, müssen wir entscheiden,<br />

mit wem wir regelmäßig über welche Themen<br />

sprechen und bis wann wir welche Verbesserungen<br />

erzielen wollen“, beschreibt die Nachhaltigkeitsmanagerin<br />

die nächsten Schritte. Immerhin geht es um<br />

rund 2500 Lieferanten. Auf dem Weg sei eine offene<br />

Fehlerkultur wichtig: „Wenn der Mensch nicht scheitern<br />

darf, setzt er sich keine ambitionierten Ziele<br />

mehr“, meint die Sozialwissenschaftlerin.<br />

Annette Mühlberger, Journalistin<br />

26 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


Teammoral auch in schwierigen Zeiten steigern<br />

Raus aus dem Loch – aus Fehlern in<br />

der Vergangenheit lernen<br />

Zunehmender Druck und eine Fülle von Problemen in der Lieferkette – diese<br />

Belastung fordert ihren Tribut. In Krisen sind richtungsweisende Führungskräfte<br />

besonders gefragt. Wenn sich Teams in schwierigen Zeiten nicht auf ihre Führungskraft<br />

verlassen können, werden diese Probleme noch steigen. Was können Teamleiter<br />

und Führungskräfte tun, um ihren Teams auch in schwierigen Zeiten beizustehen ?<br />

<strong>Beschaffung</strong>steams stehen unter zunehmendem<br />

Druck, eine Fülle von<br />

Problemen in der Lieferkette zu bewältigen<br />

– von der Inflation bis hin zu Engpässen.<br />

Diese Belastung fordert ihren Tribut und<br />

resultiert nicht selten in Unzufriedenheit.<br />

Jüngste Untersuchungen haben ergeben,<br />

dass die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit<br />

der Unternehmensführung von 71 Prozent<br />

im Jahr 2019 auf 63 Prozent im Jahr 2022<br />

gesunken ist. In Krisen sind richtungsweisende<br />

Führungskräfte besonders gefragt.<br />

Strategisch durch die Krise<br />

führen<br />

Um die Teammoral auch in schwierigen<br />

Zeiten zu steigern, müssen sich Teamleiter<br />

auf ihre grundlegende Aufgabe zurückbesinnen<br />

– der strategischen Führung des<br />

Teams. Denn viel zu oft spielen Teamleiter<br />

die falsche Rolle in ihrem Unternehmen. In<br />

einigen Fällen sind sie einer der „Feuerwehrmänner“,<br />

der sich darauf konzentriert,<br />

Unternehmensprozesse stabil zu halten und<br />

permanent operative Probleme zu lösen. In<br />

anderen Fällen sind sie der „Vollstrecker“,<br />

der auf der Managementebene Ziele, Richtlinien<br />

und Initiativen klärt. In wieder anderen<br />

Fällen spielen sie die Rolle des „Beraters“,<br />

der wichtige Aufgaben an andere delegiert,<br />

während er sich auf Geschäftsbeziehungen<br />

und Konfliktmanagement fokussiert.<br />

Diese Rolle kann sehr wertvoll sein.<br />

Voraussetzung ist, dass sie mit der eigentlichen<br />

Aufgabe einer Führungskraft in Einklang<br />

gebracht wird: Die Aufgabe als strategische<br />

Stimme der Vernunft zu agieren.<br />

Als strategische Leitperson richtet der<br />

Teamleiter sein Team auf die Kundenbe-<br />

dürfnisse aus und legt Prioritäten fest. Die<br />

Rolle des Vollstreckers, Feuerwehrmanns<br />

oder Beraters sollten niemals die höchste<br />

Priorität haben. Durch die Fokussierung<br />

auf die Kundenbedürfnisse stellt die strategische<br />

Führungskraft die Verbindung<br />

zwischen der obersten Führungsebene,<br />

den Mitarbeitern und den Kundenbedürfnissen<br />

her, um die wichtigsten Werttreiber<br />

für das Unternehmen zu definieren<br />

und sich darauf zu konzentrieren.<br />

Es ist kein Geheimnis, dass die <strong>Beschaffung</strong>sbranche<br />

seit Jahrzehnten in ihren Gewohnheiten<br />

festgefahren ist. Wir halten an<br />

etablierten Vorgehensweisen fest, weil sie<br />

immer funktioniert haben. In den vergangenen<br />

drei Jahren haben wir gelernt, dass<br />

diese alten Wege in Zukunft nicht mehr<br />

funktionieren werden. <strong>Beschaffung</strong>steams<br />

mussten immer wieder aufs Neue Brände<br />

löschen. Die bisherigen <strong>Beschaffung</strong>smethoden<br />

sind ausgebrannt und erschöpft.<br />

Um diesen Branchen-Burn out zu vermeiden,<br />

gilt es sich diese Situation zunächst<br />

bewusst zu machen sowie im nächsten<br />

Schritt neue Herangehensweisen zu finden<br />

und die Rolle des Teams neu zu definieren.<br />

Silos innerhalb der Organisation aufzubrechen,<br />

kann den Druck auf die einzelnen<br />

Teams für Technik, <strong>Beschaffung</strong> und Lieferketten<br />

verringern. Kostenreduzierungen<br />

sind ein Thema, mit dem sich alle Abteilungen<br />

in irgendeiner Weise beschäftigen.<br />

Wenn die Entscheidungsfindung teamübergreifend<br />

stattfindet, können sich<br />

ganz neue Möglichkeiten ergeben.<br />

Jedem Brand liegt ein tieferes Problem<br />

zugrunde. In der heutigen Welt gibt es<br />

zahlreiche Faktoren, auf die wir keinen<br />

Einfluss haben. Es ist leicht, Schließungen,<br />

Engpässe oder zahlreiche andere externen<br />

Gegebenheiten als Ursache für das<br />

Problem auszumachen. Teamleiter sollten<br />

einen Schritt zurückgehen und sich ansehen,<br />

wo genau sich die Druckpunkte in<br />

ihren eigenen Teams befinden. Welche internen<br />

Fehler in der Vergangenheit haben<br />

später zu Problemen geführt?<br />

Herangehensweisen immer<br />

wieder überdenken<br />

Oft liegt das Problem in einem Mangel an<br />

Transparenz und externen Informationen<br />

begründet. Entscheidungen, die auf begrenzten<br />

Daten basieren, sind riskant,<br />

doch genau so arbeiten derzeit zahlreiche<br />

Teams auf der ganzen Welt inmitten von<br />

anhaltenden Bränden. Teamleiter und Führungskräfte<br />

müssen ihnen die notwendigen<br />

Informationen, Ressourcen und Mittel<br />

geben, damit sie jetzt und in Zukunft bessere<br />

Entscheidungen treffen können – und<br />

aus dem Feuerwehrmodus herauskommen.<br />

Bild: Supplyframe<br />

Sascha Bütterling<br />

Senior Director SaaS,<br />

DACH bei Supplyframe<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 27


» MANAGEMENT<br />

Thomas Holzner, Digital Procurement Transformator, Siemens<br />

„Für ein digitales Ökosystem<br />

braucht es einen agilen Einkauf“<br />

Die Siemens AG ist ein Mischkonzern mit den Schwerpunkten Automatisierung und<br />

Digitalisierung in der Industrie, Infrastruktur für Gebäude, dezentrale Energiesysteme,<br />

Mobilitätslösungen für den Schienen- und Straßenverkehr sowie Medizintechnik. Mit<br />

Thomas Holzner, Digital Procurement Transformator bei Siemens, sprach <strong>Beschaffung</strong><br />

<strong>aktuell</strong> über Agilität im Einkauf, Engpässe in der Lieferkette und die Erfolgsgeheimnisse<br />

von Bottom-up-Projekten im Supply Chain Management.<br />

Thomas Holzner gründete 2017 mit vier Kolleginnen und Kollegen das DigiNetwork.<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>: Herr Holzner,<br />

Sie beschäftigen sich seit langem bei<br />

Siemens mit dem Thema Digitalisierung<br />

und haben vor ein paar Jahren das SCM<br />

DigiNetwork gegründet. Was ist das für<br />

ein Format und was ist die Idee dahinter?<br />

Thomas Holzner: Die Digitalisierung<br />

ist für Siemens ein immens wichtiges<br />

Thema. Und eine Voraussetzung für eine<br />

erfolgreiche Digitalisierung ist es, auch<br />

wirklich alle Mitarbeiter einzubinden und<br />

Bild: Siemens<br />

auf die digitale Transformationsreise mitzunehmen.<br />

Wir haben vor ein paar Jahren<br />

festgestellt, dass wir mit der bestehenden<br />

Kommunikation nicht alle Mitarbeiter erreichen.<br />

Die Frage war also: Wie bekommen<br />

wir beispielsweise eine größere Offenheit<br />

hinsichtlich der Nutzung von<br />

Software und der Akzeptanz von Neuerungen?<br />

Dafür braucht es eine Änderung<br />

des Mindsets, damit die Menschen sagen,<br />

das ist cool, also nutze ich das auch. Ich<br />

glaube, es ist ganz normal, wenn Mitarbeiter,<br />

die von einer Plattform, die sie bereits<br />

kennen und nutzen, zu einer anderen<br />

wechseln sollen, erstmal skeptisch sind.<br />

Wir haben dann ein Team zusammengestellt<br />

mit Kollegen aus jeder Division inklusive<br />

IT und Human Ressources, das zunächst<br />

die Erwartungen an das Projekt<br />

definiert hat. Alles auf freiwilliger Basis<br />

und ohne Beteiligung des Managements,<br />

denn das Ganze sollte Bottom-up funktionieren.<br />

Bei diesen Treffen sind wir<br />

schließlich zu dem Ergebnis gekommen,<br />

dass wir eine Digitalisierungsstrategie für<br />

das Supply Chain Management im Unternehmen<br />

brauchen.<br />

Bei der Entwicklung dieser Strategie haben<br />

wir auch das Management-Team mit<br />

eingebunden. Zunächst haben wir die<br />

Software-Landschaft von Siemens SCM<br />

abgebildet. Damals waren es zehn Divisionen,<br />

jede mit eigenen Software-Lösungen,<br />

was im Rahmen einer einheitlichen<br />

Strategie nicht wirklich Sinn macht.<br />

Bei der Frage, wie wir damit ohne Anordnung<br />

von oben umgehen sollten, wurde<br />

das eigentliche Digi-Netzwerk gegründet,<br />

als Place to go für Digitalisierung im Unternehmen.<br />

Hier geht es einerseits darum,<br />

die Nutzung der vorhandenen Software<br />

zu steigern, aber auch um die Implementierung<br />

neuer Ideen. Dafür haben<br />

wir ein Format entwickelt, den so genannten<br />

Kickstarter, bei dem jeder aus<br />

dem Supply Chain Management eine Idee<br />

einreichen kann. Diese Idee muss etwas<br />

mit SCM zu tun haben, der Value Case<br />

28 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


muss auf eine Seite passen und so formuliert<br />

sein, dass direkt im Anschluss an die<br />

Präsentation darüber abgestimmt werden<br />

kann. Bei mehr als 50 Prozent Zustimmung<br />

wird das Projekt unterstützt, sowohl<br />

finanziell als auch mit Projektmanagement<br />

und IT-Integration. Es muss<br />

dann innerhalb von drei Monaten implementiert<br />

und danach derselben Runde<br />

wieder vorgestellt werden.<br />

Top-Management<br />

unterstützt Digitalstrategie<br />

Im Laufe der Zeit sind immer mehr Kollegen<br />

dazugekommen, weil wir durch erfolgreiche<br />

Projekte wie Digital Leader, ein<br />

Workshop für Führungskräfte, oder Supply<br />

Chain Control Tower konzernweit bekannt<br />

geworden sind. Wir gehen im Rahmen<br />

der so genannten Digital-Safari auch<br />

an andere Standorte und stellen dort verschiedene<br />

Software-Tools vor. Darüber hinaus<br />

gibt es einen Webcast, das Digi-Sofa,<br />

bei dem jeder, der dabei ist, in einem<br />

Chat live Fragen stellen kann. Während<br />

der Corona-Pandemie war dieser Webcast<br />

rein virtuell, inzwischen sind wir wieder<br />

auf einem echten Sofa im Studio und machen<br />

auch sehr erfolgreiche Podcasts.<br />

Ein Grund für den Erfolg war sicher auch,<br />

dass das Topmanagement diese Digitalisierungsstrategie<br />

immer unterstützt hat<br />

und dass sie cross-funktional angelegt ist.<br />

Beim Digi-Netzwerk sind nicht nur Commodity-Manager<br />

dabei, sondern auch<br />

Kollegen von HR und IT, Cost & Value-Ingenieure<br />

und Kollegen aus den Regionen.<br />

Auch Internationalität ist wichtig. Wir<br />

haben das Format sehr erfolgreich in den<br />

USA, China und Indien implementiert.<br />

Welchen Stellenwert haben neue Technologien<br />

wie Blockchain oder KI?<br />

Holzner: Meiner Meinung nach wird es<br />

Firmen, die sich nicht mit künstlicher Intelligenz<br />

auseinandersetzen, auf lange<br />

Sicht nicht mehr geben. Bei Siemens nutzen<br />

wir KI bereits im Einkauf. Wir sind relativ<br />

gut durch die Pandemie gekommen,<br />

vor allem was die Materialverfügbarkeit<br />

betrifft, und das liegt sicher auch daran,<br />

dass wir ein sehr gutes KI-gestütztes Risk<br />

Management haben – bei uns ging die<br />

erste Warnmeldung im Januar 2020 ein.<br />

Außerdem nutzen wir sie für die Analyse<br />

von Zahlungsmustern von Lieferantendaten.<br />

Der Einkauf verfügt ja über eine<br />

enorme Menge an Daten, und das Potential,<br />

das KI hier zur Analyse bietet, ist bei<br />

weitem noch nicht ausgeschöpft.<br />

Blockchain sehe ich persönlich als eine<br />

der Technologien der Zukunft, allerdings<br />

eher im Logistikbereich als im strategischen<br />

Einkauf. In einem Showcase haben<br />

wir zum Beispiel nur die Hashtags abgespeichert,<br />

um den Datensatz klein zu halten.<br />

Jeder Mitarbeiter kann dann auf seinen<br />

Geräten den dazugehörigen Datenpool<br />

abspeichern. Der Vorteil ist, dass man<br />

dabei für die Nutzung keine besonders<br />

große Rechnerleistung mehr benötigt, was<br />

ja ein Grund dafür ist, dass so viele Unternehmen<br />

vor der Nutzung der Blockchain-<br />

Technologie noch zurückschrecken. So etwas<br />

kann allerdings vermutlich erst in ein<br />

paar Jahren kommerziell genutzt werden,<br />

da es sehr komplex ist.<br />

Ist der Einkauf generell gut aufgestellt,<br />

was zukünftige Herausforderungen betrifft?<br />

Holzner: Das kann man sicher nicht pauschal<br />

sagen aber mein Eindruck ist: Unternehmen,<br />

die einen guten CPO haben, haben<br />

inzwischen auch eine gute digitale<br />

Roadmap. Wenn ein CPO dagegen permanent<br />

das Gestrige verteidigt, mit den Lieferanten<br />

verhandeln will und Druck ausübt,<br />

um auch noch den letzten Cent einzusparen,<br />

anstatt auf eine Partnerschaft<br />

mit seinen Lieferanten zu setzen, wird es<br />

nicht mehr lange funktionieren. Was wir<br />

brauchen, ist ein digitales Ökosystem, und<br />

dafür muss der Einkauf agil sein. In der IT<br />

ist das schon Standard, auch die Produktentwicklung<br />

ist bei vielen Unternehmen<br />

auch bei Siemens, schon agil ausgestaltet.<br />

Im Einkauf ist da noch viel Luft nach oben.<br />

Deshalb glaube ich, dass nach der Digitalisierungswelle<br />

jetzt die Agilitätswelle<br />

kommt, und genau daran wird sich zeigen,<br />

ob im Einkauf jemand ist, der agil denkt<br />

und handelt oder eher noch oldschool ist.<br />

Ich denke aber, dass der Einkauf bereit dafür<br />

ist, schon weil er eine sehr große externe<br />

Schnittstelle mit den Lieferanten<br />

hat und dadurch per se schon offen und<br />

kommunikativ unterwegs sein muss.<br />

Kann Agilität Unternehmen dabei<br />

helfen , Krisen besser zu bewältigen?<br />

Holzner: Natürlich. Unser Projekt Digital<br />

Leader, der Workshop für Führungskräfte,<br />

ist in erster Linie ein agiler Workshop.<br />

Und Agilität hilft auf alle Fälle, Krisen gut<br />

zu meistern. Das wird in Zukunft auch immer<br />

wichtiger werden. Das Thema Digitalisierung<br />

ist ja inzwischen nicht mehr Kür,<br />

sondern Pflicht. Ein moderner Einkauf<br />

muss einfach digital arbeiten, weil wir so<br />

viele Informationen und Daten haben,<br />

dass man die auf die klassische Art und<br />

Weise gar nicht mehr bearbeiten und<br />

nutzen kann. Und für digitales Arbeiten<br />

muss das Setup agil sein.<br />

Große Bandbreite von<br />

Engpassmaterialien<br />

Wo sehen Sie für sich und für Ihre Einkaufsorganisation<br />

die größten Herausforderungen<br />

in den nächsten Jahren?<br />

Holzner: Für unser Unternehmen und<br />

für den Einkauf generell ist auf jeden Fall<br />

das Thema Materialverfügbarkeit eine der<br />

größten Herausforderungen. Elektrochips<br />

sind beispielsweise ein großer Engpass.<br />

Bedingt durch den Krieg in der Ukraine<br />

fehlt auch Stahl, vor allem Spezialstahl.<br />

Plastik ist im Elektronikbereich seit über<br />

zwei Jahren ein Engpassmaterial. Und<br />

diese Bandbreite an Engpässen von Chips<br />

über Stahl, Plastik oder auch Holz zusammen<br />

mit dem Mangel an Spezialisten, der<br />

ja noch dazukommt, ist eine der größten<br />

Herausforderungen für den Einkauf, auch<br />

aufgrund des Zeitraums. Unsere Kollegen<br />

vor allem in den Elektronikwerken machen<br />

ja kaum etwas anderes als Material<br />

zu jagen, und das seit dem Frühjahr 2020.<br />

Engpässe kommen ja immer mal wieder<br />

vor, aber in dieser Breite und Intensität<br />

haben wir das noch nicht gehabt. Hinzu<br />

kommt die disruptive Entwicklung bei der<br />

konsequenten Nutzung der neuen digitalen<br />

Tools, über die wir schon gesprochen<br />

haben, auch das ist für mich eine enorme<br />

Herausforderung.<br />

Für <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> stellte<br />

die Fragen Ulrike Dautzenberg,<br />

Journalistin, Wiesbaden.<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 29


» MANAGEMENT<br />

Von KI, Krisenbewältigung und Küchen<br />

Supply-Chain-Planung mit KI:<br />

Wahrheiten und Irrtümer<br />

Wir müssen uns wohl an die Vorstellung eines „No Normal“ gewöhnen. Deswegen<br />

hoffen viele Manager auf den Einsatz von KI in der Supply-Chain-Planung als Geheimwaffe,<br />

um Krisensituationen zu meistern. Wir zeigen, was KI kann und wo ihre<br />

Grenzen sind, und was man unbedingt bei der Einführung beachten muss.<br />

»Wenn wir über Automatisierungssysteme<br />

sprechen, die<br />

entwickelt wurden, um<br />

menschliche Fähig -<br />

keiten zu ersetzen,<br />

sprechen wir in der<br />

Regel von einer Form<br />

der KI.«<br />

Die Unternehmenberatung Gartner beschreibt<br />

„No Normal“ als „ein Umfeld der Ungewissheit<br />

und Mehrdeutigkeit, das kontinuierliche Flexibilität,<br />

Innovation und Investitionen (oder Reinvestitionen) in<br />

Daten- und Analysestrategien erfordert“. Der Einsatz<br />

von KI in der Supply-Chain-Planung soll dafür die Geheimwaffe<br />

sein, um Krisensituationen zu meistern.<br />

Nun ist es zwar richtig, dass die Nutzung von KI in<br />

der Supply-Chain-Planung eine gute Entscheidung<br />

ist, aber sie ist bei weitem keine schnelle Lösung und<br />

sie erfordert einiges an Vorarbeit. Es ist an der Zeit,<br />

die Rolle der KI in der Supply-Chain-Planung zu entmystifizieren<br />

und ihre wahren Stärken, aber auch ihre<br />

Grenzen aufzuzeigen.<br />

KI ist nicht dasselbe wie ML<br />

Die beiden Konzepte Künstliche Intelligenz (KI) und<br />

Machine Learning (ML) sind zwar miteinander verbunden,<br />

werden aber oft verwechselt. KI ist ein übergeordnetes<br />

Konzept, das intelligente, vorprogrammierte<br />

Software beschreibt,<br />

die das menschliche Denken<br />

und Verhalten simuliert. Wenn<br />

wir über Automatisierungssysteme<br />

sprechen, die entwickelt<br />

wurden, um menschliche<br />

Fähig keiten zu ersetzen, sprechen<br />

wir in der Regel von<br />

einer Form der KI. ML ist ein<br />

Teilbereich der KI, der es einer<br />

Maschine ermöglicht, automatisch<br />

aus früheren Daten zu<br />

lernen, sodass sie genauere Ergebnisse<br />

erzielen kann.<br />

Nicht alle KI-Systeme arbeiten<br />

nach den gleichen Prinzipien.<br />

Einige sind intransparente Systeme, die so konzipiert<br />

sind, dass sie eine bestimmte Funktion ohne menschliches<br />

Eingreifen ausführen – etwa die neuen „fahrerlosen<br />

Pods“, die an Flughäfen und anderen kontrollierten<br />

Orten getestet werden. Flexiblere KI-Systeme<br />

legen einige oder alle ihrer Algorithmen offen<br />

und können auch menschliche Eingriffe zulassen. Etwa<br />

das selbstfahrende Auto, das in Fußgängerzonen,<br />

engen Straßen und anderen komplexen Situationen<br />

dem menschlichen Fahrer das Steuer überlässt.<br />

KI-gesteuerte Supply-Chain-Planungssysteme verwenden<br />

Algorithmen, die so programmiert wurden,<br />

dass sie diesen Prozess optimieren, um ein bestimmtes<br />

Ziel zu erreichen, etwa die Optimierung von Lagerbeständen<br />

im Hinblick auf ein angestrebtes Serviceniveau.<br />

Ähnlich wie beim selbstfahrenden Auto<br />

können die Planer das System auch außer Kraft setzen,<br />

um Ausnahmen wie die Schließung von Geschäften<br />

während einer Pandemie zu behandeln.<br />

KI-gesteuerte Planungssysteme erstellen sogenannte<br />

probabilistische Prognosen. Anstatt eine einzige Zahl<br />

geben probabilistische Prognosen eine Bandbreite<br />

möglicher Ergebnisse als Output an. Von dort aus<br />

können die Planer mit ihrem eigenen Wissen eingreifen<br />

oder ML nutzen, um die Prognosen weiter zu verfeinern.<br />

In der Supply-Chain-Planung wird ML häufig eingesetzt,<br />

um die Nachfrageprognosen zu verbessern, die<br />

KI-gesteuerte Systeme erstellt haben. ML hat sich als<br />

besonders hilfreich erwiesen, um saisonale Muster,<br />

die Planung von Werbeaktionen, die Einführung neuer<br />

Produkte und andere Prozesse, die sich wiederholen,<br />

zu erkennen und die mit der Zeit an Intelligenz<br />

gewinnen.<br />

Das Unternehmen Lennox Residential Heating and<br />

Cooling, das über eine hochkomplexe mehrstufige<br />

Lieferkette verfügt, hat etwa ML eingesetzt, um die<br />

stark variierenden saisonalen Nachfragemuster zuverlässig<br />

zu modellieren. Dabei werden Hunderttausende<br />

von SKU-Locations gesichtet, um „Cluster“ mit<br />

ähnlichen saisonalen Profilen zu identifizieren. Diese<br />

verbesserten saisonalen Cluster erhöhen die Prognosegenauigkeit<br />

für Spitzenzeiten erheblich und konnten<br />

so die Servicequalität um 16 Prozent steigern.<br />

30 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


Bild: fotomek/stock.adobe.com<br />

Da Maschinen aus vergangenen Erfahrungen lernen,<br />

müssen genügend historische Daten vorliegen, damit<br />

ML die richtigen Entscheidungen treffen kann. Das<br />

bedeutet, dass ML nicht für die Planung unter unregelmäßigen,<br />

außergewöhnlichen<br />

und sich schnell ändernden<br />

Umständen – mit anderen<br />

Worten, für Krisen – geeignet<br />

ist. Hierfür braucht es ein intelligentes<br />

und kontrollierbares<br />

KI-System, das menschliche<br />

oder maschinelle Eingriffe<br />

zulassen kann.<br />

Die Quintessenz: Trotz seiner<br />

großen Bedeutung in der Supply-Chain-Planung<br />

ist ML nicht<br />

der heilige Gral. Unternehmen<br />

können sich nicht einfach zurücklehnen<br />

und die ML mal<br />

laufen lassen. Stattdessen braucht es Zeit und Ressourcen,<br />

um ML-Engines aufzubauen und zu pflegen.<br />

Daten - und Nachfragemodelle<br />

Bevor Unternehmen von der KI-Automatisierung<br />

profitieren können, müssen sie Zeit in den Aufbau eines<br />

robusten Datenmodells für ihr Vertriebsnetz investieren.<br />

Das Datenmodell legt fest, welche Daten<br />

erfasst werden sollen, wo sie gehostet werden und<br />

wie sie mit den verschiedenen Bereichen des Unternehmens<br />

in Beziehung stehen. Ziel ist es, Klarheit<br />

und Konsistenz für alle an der Supply-Chain-Planung<br />

beteiligten Personen und Systeme zu gewährleisten.<br />

»ML ist ein Teilbereich<br />

der KI, der es einer<br />

Maschine ermöglicht,<br />

automatisch aus<br />

früheren Daten zu<br />

lernen , sodass sie<br />

genauere Ergebnisse<br />

erzielen kann.«<br />

Nachdem das Datenmodell erstellt wurde, kann mit<br />

der Modellierung der Nachfrage begonnen werden.<br />

Dabei sollte das Nachfragemodell möglichst viele<br />

verschiedene interne und externe Faktoren berücksichtigen.<br />

Zu den internen<br />

Faktoren gehören geplante<br />

neue Produkteinführungen,<br />

Werbeaktionen und Preissenkungen.<br />

Zu den externen Faktoren<br />

gehören etwa soziale<br />

Medien, Wettervorhersagen<br />

und Informationen über die<br />

Konkurrenz.<br />

Die wichtigste Erkenntnis: Daten-<br />

und Nachfragemodellierung<br />

ist nichts, was eben<br />

schnell mitten in einer Krise<br />

gemacht werden kann. In den<br />

meisten Fällen dauert es etwa<br />

drei Monate, bis es richtig läuft.<br />

Franke ist ein 2-Milliarden-Dollar-Unternehmen für<br />

Küchenprodukte, das in 42 Ländern tätig ist. Das Unternehmen<br />

verwaltet etwa 300.000 Produkte-SKUs<br />

für 140 Verkaufsgebiete in einem fünfstufigen Vertriebsnetz.<br />

Das entspricht 1,7 Millionen SKU/Location-Kombinationen,<br />

für die Franke in zweimonatlichen<br />

Planungszyklen Prognosen erstellt.<br />

Glücklicherweise hatte das Unternehmen bereits vor<br />

der Pandemie seine Daten und Nachfragemodelle erstellt<br />

und sein KI-basiertes Planungssystem in Gang<br />

gesetzt. Global verwalteten nur zwei Personen den<br />

Prozess zentral. Entscheidend ist jedoch, dass ein<br />

Die häufigsten Missverständnisse<br />

beim<br />

Einsatz von künstlicher<br />

Intelligenz und warum<br />

KI in der Supply-<br />

Chain-Planung keine<br />

Geheimwaffe ist, erläutert<br />

Herr Adorno.<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 31


» MANAGEMENT<br />

KI-gesteuerte<br />

Planungssysteme für<br />

die Supply Chain verwenden<br />

Algorithmen,<br />

die so programmiert<br />

wurden, dass sie diesen<br />

Prozess optimieren, um<br />

ein bestimmtes Ziel zu<br />

erreichen .<br />

Team von etwa 100 Mitarbeitern an der Bedarfsplanung<br />

und -prognose mitwirkt und ihr Wissen über<br />

die Kunden und die lokale Marktdynamik einbringt,<br />

um die Basislinie anzupassen.<br />

Komplexität in den Griff bekommt<br />

Zu Beginn der Pandemie, als die Planer hauptsächlich<br />

mit Lieferverzögerungen aus China zu kämpfen hatten,<br />

war die Situation noch überschaubar. Das Team<br />

war in der Lage, alle Lieferanten von „gefährdeten“<br />

Materialien zu isolieren und die Erwartungen der<br />

Kunden zu steuern. Als Corona jedoch nach Europa<br />

kam, eskalierte die Situation. In dieser Situation war<br />

der Planungsprozess zu kompliziert. Hinzu kam, dass<br />

viele an der Planung beteiligte Personen freigestellt<br />

oder beurlaubt wurden, andere aber rund um die Uhr<br />

arbeiteten. Es gab keine Strategie für eine Krise dieser<br />

Dimension.<br />

Zum Glück verwendete Franke ein automatisiertes<br />

Planungssystem, das manuelle Eingriffe ermöglichte.<br />

Das bedeutete, dass das Unternehmen seinen Ansatz<br />

ändern konnte. Zu den Schritten, die Franke unternahm,<br />

um die Krise erfolgreich zu bewältigen, zählten<br />

unter anderem:<br />

• Konzentration auf die <strong>Beschaffung</strong> von A-Produkten<br />

mit hoher Priorität zur Vermeidung von Lieferengpässen,<br />

Anforderung von Sofortlieferungen<br />

und Nutzung von Luftfrachtsendungen<br />

• Vorübergehende Umstellung auf einen vereinfachten<br />

wöchentlichen Bedarfsplanungszyklus;<br />

Umschichtung aller Planer von unwesentlichen<br />

Aufgaben auf das Krisenmanagement<br />

• Im neuen wöchentlichen Zyklus bereinigten die<br />

Planer kontinuierlich die probabilistischen Prognosen,<br />

um Verschiebungen von Kundenaufträgen<br />

und Änderungen von Bestellungen zu berücksichtigen;<br />

sie aktualisierten täglich die geplanten<br />

Prognoseabweichungen.<br />

• Schließung des Kalenders an Tagen, an denen<br />

aufgrund von Marktschließungen kein Verkauf<br />

möglich war. Dadurch wurde sichergestellt, dass<br />

diese verkaufsfreien Tage keine Auswirkungen auf<br />

zukünftige Prognosen hatten.<br />

Durch den effektiven Einsatz von KI-Automatisierung<br />

und Personal konnte Franke die Verschlechterung der<br />

Prognosen erstaunlich gut in Grenzen halten. Während<br />

des Höhepunkts der Pandemie verlor das Unternehmen<br />

nur 15 Prozent an Prognosegenauigkeit –<br />

und das in einem Umfeld, in dem die Gesamtabweichung<br />

bei etwa 80 Prozent lag. Es gelang auch, den<br />

Bullwhip-Effekt zu vermeiden, selbst in Märkten wie<br />

Großbritannien, die aufgrund von Marktschließungen<br />

die größten Schwankungen aufwiesen.<br />

Die Leistung der KI-Automatisierung wird in der<br />

Supply- Chain-Planung noch verstärkt, wenn sie mit<br />

dem Wissen und dem Einfallsreichtum menschlicher<br />

Planungsteams kombiniert wird – gerade in einer<br />

Krise wie der Pandemie, kann dieser Ansatz einen<br />

Unterschied machen. Doch der Einsatz solcher Systeme<br />

erfordert Zeit und kann nicht mal eben schnell<br />

erfolgen.<br />

Bild: ToolsGroup<br />

Mauro Adorno<br />

Chief Operating Officer<br />

EMEA & APAC bei<br />

ToolsGroup<br />

Bild: ARMMYPICCA/stock.adobe.com<br />

32 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


Einkaufssoftware: Multi-Tenant versus Multi-Instance<br />

Sicherheit bei Einkaufslösungen<br />

Wenn es um die Auswahl einer Lösung für den Einkauf geht, stehen meist Funktionsumfang<br />

und Preis im Vordergrund. Die verwendete IT-Architektur spielt oft<br />

eine untergeordnete Rolle. Dies ist zu kurz gedacht. Jan-Hendrik Sohn von Ivalua<br />

erklärt aus seiner Sicht den Unterschied.<br />

Viele Unternehmen sind stolz, wenn sie sich zu<br />

einer Entscheidung für Software-as-a-Service<br />

durchgerungen haben. Dabei ist SaaS nicht mehr als<br />

ein Überbegriff für alle Softwarelösungen, die extern<br />

betrieben werden. Wie der Anbieter sie jeweils bereitstellt,<br />

kann in der Praxis sehr unterschiedlich aussehen.<br />

Um Aufwand und Kosten zu minimieren, bündelt<br />

er häufig die Kunden mit ähnlichen Anforderungen<br />

nicht nur auf einer zentralen Plattform, sondern<br />

bedient sie auch aus einer einzigen Softwareinstanz<br />

heraus. Das kann gravierende Folgen haben und<br />

selbst große Unternehmen in Bedrängnis bringen.<br />

Im Sommer 2021 musste die Einzelhandelskette<br />

Coop in Schweden insgesamt 800 Läden zeitweilig<br />

schließen: Weder die konventionellen Kassen noch<br />

die Self-Checkout-Systeme funktionierten. Grund<br />

dafür war eine Cyberattacke, die eigentlich nicht<br />

Coop galt: Die verwendete Malware wurde von einem<br />

Softwarepartner eingeschleppt, der seinerseits<br />

ebenfalls nur Kollateral-Schaden eines großangeleg-<br />

Hauptunterschied bei SaaS-<br />

Lösungen ist die verwendete<br />

Architektur. Sie spielt eine<br />

große Rolle, wenn Flexibilität<br />

und Sicherheit wichtig sind.<br />

Bild: Who is Dany/stock.adobe.com<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 33


» MANAGEMENT<br />

ten Angriffs auf den Softwareanbieter Kaseya war.<br />

Dass statt eines einzelnen Unternehmens plötzlich<br />

eine ganze Reihe von Kaseya-Kunden Probleme bekam,<br />

hatte einen einfachen Grund: Der Coop-Partner<br />

nutzte eine Software, die auf einer Multi-Tenant-Architektur<br />

bereitgestellt wurde. Hier laufen<br />

die Anwendungen für unterschiedliche Kunden auf<br />

einer Softwareinstanz, die wiederum auf eine gemeinsame<br />

Datenbank zugreift. Sind die Anwendungen<br />

nicht sauber voneinander getrennt, können sie<br />

sich gegenseitig infizieren oder zu enormen Performance-Einbußen<br />

führen. Das bedeutet im Klartext:<br />

Wird ein Kunde angegriffen, sind meist andere mit<br />

betroffen.<br />

Eine teure Alternative<br />

Eine derartige Architektur erleichtert insgesamt den<br />

unberechtigten Zugriff auf die Daten anderer Unternehmen<br />

– sei es, um sie zu stehlen oder um sie böswillig<br />

zu manipulieren. Organisationen, die in wettbewerbsintensiven<br />

oder sicherheitskritischen Branchen<br />

aktiv sind, bestehen deshalb darauf, dass SaaS-<br />

Anbieter ihnen eine eigene Server-Plattform bereitstellen<br />

– einen „Dedicated Server“.<br />

Damit geht allerdings ein Hauptvorteil des Cloud-<br />

Modells verloren: der Skaleneffekt. Platt gesagt, wird<br />

der Betrieb einer Software umso preisgünstiger, je<br />

Gut zu wissen<br />

Multiple Instances: Mandanten werden einzelne<br />

Anwendungsinstanzen zugeordnet; alle Nutzer<br />

teilen die selbe Hardware, aber die Anwendung<br />

wird auf eigenen virtuellen Servern betrieben<br />

Multi-Tenancy: Alle Nutzer teilen sich dieselbe<br />

Software, Hardware sowie Infrastruktur; die Daten<br />

aller Nutzer sind in selben System. Eine Multi-<br />

Tenancy-Architektur versorgt mit einer einzigen<br />

Softwareinstanz mehrere unterschiedliche Nutzer.<br />

Jeder User hat zwar seine eigenen Zugriffsrechte,<br />

Konfigurationsdetails, Daten und Datenpräsentationen,<br />

greift jedoch auf dieselbe Software, Systemumgebung<br />

und Hardware zu.<br />

*Kritische Infrastrukturen (KRITIS) sind Organisationen<br />

und Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung<br />

für das staatliche Gemeinwesen, bei deren<br />

Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende<br />

Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen<br />

der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische<br />

Folgen eintreten würden.<br />

Quelle: www.ahd.de<br />

mehr Kunden dieselben Funktionen auf einer gemeinsamen<br />

Plattform nutzen. Wer jedoch eine individuelle<br />

Installation benötigt, bekommt sie von den<br />

meisten Anbietern auch bereitgestellt – logischerweise<br />

jedoch gegen einen hohen Aufpreis.<br />

Multi-Instance statt Multi-Tenant<br />

Für Unternehmen, die nicht gerade Medikamente gegen<br />

Morbus Alzheimer entwickeln oder den strengen<br />

KRITIS*-Bestimmungen genügen müssen, ist ein solcher<br />

Aufwand sicherlich „Overkill“. Aber es gibt einen<br />

vernünftigen Kompromiss: Die Software von derselben<br />

Plattform zu beziehen wie die Mitbewerber ist<br />

wenig problematisch – solange jeder Kunde eine<br />

ausführbare Kopie der Anwendung (eine eigene „Instanz“)<br />

erhält, die nur er selbst nutzen kann.<br />

In einer sogenannten Multi-Instance-Architektur*<br />

ist jede Instanz genau einem Kunden zugeordnet,<br />

und dessen Stamm- und Bewegungsdaten werden in<br />

einer separaten SQL-Datenbank abgelegt. Der Vorteil:<br />

Die Instanzen sind klar abgegrenzt, die Daten<br />

sicher verschlüsselt. So lassen sich Vermischungen<br />

und unberechtigte Zugriffe weitgehend ausschließen.<br />

Dieses Konzept ist im Marktsegment <strong>Beschaffung</strong>s-Software<br />

allerdings noch nicht richtig angekommen<br />

und Stand heute eher die Ausnahme als die<br />

Regel.<br />

Wenn der Standard gesprengt wird<br />

Das ist schade und auch erstaunlich, denn neben dem<br />

Sicherheitsaspekt spricht noch ein anderes Kriterium<br />

für Multi-Instance-Lösungen: Sie erlauben individuellere<br />

und flexiblere Implementierungen, die den tatsächlichen<br />

Bedürfnissen der Kunden entsprechen.<br />

In einem Multi-Tenant-System bestimmt der Anbieter,<br />

was seine Kunden brauchen. Doch jedes Unternehmen<br />

hat nun einmal seine eigenen Prozesse –<br />

ganz besonders im Einkauf. Benötigt es eine Funktion,<br />

die im Standard nicht enthalten ist, bekommt es<br />

häufig zu hören: „Das brauchen Sie nicht, das können<br />

Sie auch mit der Funktion xy abdecken.“<br />

Es sei denn, der Anbieter hat dieselbe Anforderung<br />

bereits mehrfach erhalten. In diesem Fall erwägt er<br />

vielleicht, sie irgendwann einmal umzusetzen, weil er<br />

sie an unterschiedliche Kunden weiterverkaufen<br />

kann. Er wird sich aber meist hüten, einen konkreten<br />

Termin zu versprechen, denn er muss zunächst herausfinden,<br />

wie sich die Änderung oder Ergänzung<br />

auf die innere Struktur des Software-Services auswirkt.<br />

Diese Situation ähnelt der eines Installateurs,<br />

der auf Kundenwunsch ein Waschbecken versetzen<br />

oder ein zweites anbringen soll und erst einmal die<br />

Rohrleitungen unter dem Wandputz prüfen und anpassen<br />

muss.<br />

34 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


Unterschied zwischen<br />

einer Multi-Instanceund<br />

einer Multi-<br />

Tenant-Architektur.<br />

Quelle: Scaleway Blog<br />

Was aus Sicht des Kundenunternehmens ganz einfach<br />

aussieht – und es auch sein sollte, beispielsweise<br />

ein alternativer Workflow für Genehmigungen –<br />

erfordert innerhalb einer Multi-Tenant-Umgebung<br />

intensive strategische und taktische Überlegungen.<br />

Manchmal kommt der Anbieter an den Punkt, wo er<br />

zu zweifeln beginnt, ob der dafür notwendige Aufwand<br />

sich am Ende überhaupt auszahlt.<br />

In einer Multi-Instance-Architektur lässt sich die Anwendung<br />

von Anfang an deutlich individueller konfigurieren.<br />

Der Kunde kann auch mit einer Standardkonfiguration<br />

beginnen, die nach und nach ausgebaut<br />

wird. Basiert die Software auf Low-Code- oder<br />

No-Code-Technologie, können verantwortliche Administratoren<br />

sie über eine grafische Oberfläche<br />

leicht eigenständig anpassen – ganz ohne aufwändige<br />

Programmierung. In Zeiten knapper Budgets<br />

schmeckt diese Souveränität auch dem internen IT-<br />

Team besser als die regelmäßige Beauftragung externer<br />

Dienstleister.<br />

Einkaufstipp: Penetrationstest bitte<br />

Mit den Einzelheiten ihrer Softwarearchitektur halten<br />

die Anbieter gern hinter dem Berg. Viele kennen<br />

zwar die Vorteile einer Multi-Instance-Lösung, können<br />

oder wollen sie aber aus unterschiedlichen<br />

Gründen nicht anbieten. Entscheidungsträger, die es<br />

genau wissen wollen, sollten exakt danach fragen<br />

und den künftigen Softwarelieferanten um einen Penetrationstest<br />

bitten. Der besteht unter anderem darin,<br />

eine riesige Menge an Anfragen, etwa 10.000 in<br />

der Minute, an den jeweiligen Server zu schicken und<br />

ihn mit Spezialsoftware umfassend auf Sicherheitslücken<br />

zu prüfen.<br />

Betreibt der Softwarelieferant eine Multi-Instance-<br />

Lösung, wird er sich darauf einlassen. In einem Multi-Tenant-System<br />

würde dieser Penetrationstest den<br />

Softwaredurchsatz aller angeschlossenen Kunden in<br />

die Knie zwingen.<br />

Entscheider, die besonders großen Wert auf ein<br />

hohes Sicherheits-Level legen, können neben der<br />

Prüfung der NIST 800–53-, ISO/IEC 27001– und<br />

SOC 2-Zertifizierungen den SaaS-Anbieter zusätzlich<br />

fragen, ob er auch die US-Bundesbehörden beliefern<br />

dürfte. Will der das zu Recht bejahen, muss er auf<br />

dem so genannten FedRAMP-Marktplatz gelistet<br />

sein. Dies lässt sich leicht mit einer Kurzrecherche<br />

auf marketplace.fedramp.gov prüfen.<br />

Individueller und flexibler<br />

Die dortige Listung ist an harte Kriterien geknüpft:<br />

Das Federal Risk and Authorization Management<br />

Programm, wie FedRAMP ausgeschrieben heißt, ist<br />

ein standardisierter Ansatz für die Sicherheitsbewertung,<br />

Autorisierung und Überwachung von Cloud-<br />

Produkten und Services, die an US-Behörden geliefert<br />

werden. Das Programm soll vier Qualitätsmerkmale<br />

sicherstellen: dass die IT-<br />

Systeme und -Dienste eine angemessen<br />

hohe Informationssicherheit<br />

mitbringen, dass sie keine<br />

Doppelaufwände verursachen,<br />

die Kosten für das Risiko-Management<br />

verringern sowie eine<br />

schnelle und kostengünstige <strong>Beschaffung</strong><br />

von Informationssystemen<br />

ermöglichen.<br />

Jan-Hendrik Sohn<br />

Regional Vice President<br />

DACH und CEE<br />

von Ivalua<br />

Bild: Heike Zons<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 35


» MANAGEMENT<br />

Prof. Dr. Michael Schröder, DHBW CAS<br />

„Die globalen Lieferketten müssen<br />

neu justiert werden“<br />

Bewährte <strong>Beschaffung</strong>skonzepte sind in den vergangen Jahren an ihre Grenzen<br />

gekommen . Prof. Dr. Michael Schröder, Wissenschaftlicher Leiter am DHBW CAS im<br />

Masterstudiengang Supply Chain Management, Logistics, Production, erklärt aus<br />

wissenschaftlicher Sicht, welche Ansätze Unternehmen verfolgen können, um die<br />

<strong>aktuell</strong>en Herausforderungen zu meistern.<br />

Wie schätzen Sie die Situation der Lieferketten<br />

ein?<br />

Prof. Dr. Michael Schröder: Wir haben eine historisch<br />

einmalige Ballung schlechter Ereignisse erlebt.<br />

Mehrere Faktoren stellten den globalen Welthandel<br />

vor eine echte Herausforderung. Die globalen Lieferketten<br />

müssen daher neu justiert werden.<br />

Professor Dr. Michael Schröder lehrt seit 2009 an der Dualen Hochschule Baden-<br />

Württemberg (DHBW) Mannheim und ist Wissenschaftlicher Leiter am DHBW CAS. Er<br />

war Mitgründer des Logistiknetzwerkes Baden-Württemberg (LogBW) und war zwölf<br />

Jahre Regionalgruppensprecher Rhein/Neckar der Bundesvereinigung Logistik (BVL).<br />

Bild: DHBW CAS<br />

Welche Justierungen sehen Sie denn von Seiten der<br />

Unternehmen, die umgesetzt werden können, um<br />

diese Herausforderung der gestörten Lieferketten<br />

anzugehen?<br />

Schröder: Die erste Option – gleichzeitig aber das<br />

dickste Brett – besteht in der Standortwahl. Unternehmen<br />

müssen zwar ohnehin permanent Standorte<br />

hinterfragen. Allerdings ist es ein schwieriges Unterfangen,<br />

ein Werk in China abzubauen und es in<br />

Deutschland bzw. Europa aufzubauen. Vereinzelt<br />

wird dies auch schon unternommen, jedoch ist es absolut<br />

unrealistisch, dass eine Produktion kurzfristig<br />

aus beispielsweise China nach Europa, geschweige<br />

denn nach Deutschland heimgeholt werden kann. Allein<br />

die Proteste aus der Gesellschaft hinsichtlich der<br />

Bauvorhaben für Fabriken, aber auch die Komplexität<br />

und Länge der Baufeststellungsverfahren würden<br />

diesem Vorhaben direkt einen Riegel vorschieben.<br />

Als zweite Option können Unternehmen – sogar kurzfristig<br />

– die Transportrouten verändern. Beispielsweise<br />

kann ein Unternehmen, das sich die Waren per<br />

Containerschiff aus Asien nach Rotterdam anliefern<br />

lässt, einen Teil dieser Waren per Flugzeug oder –<br />

denkt man an mögliche Routen der „Neuen Seidenstraße“<br />

per Bahn oder sogar per Lkw transportieren<br />

lassen. Eine weitere Nuance hierbei wäre ein Single<br />

oder Multiple Sourcing im Frachteneinkauf, konkret:<br />

die Hinzunahme einer oder mehrerer weiterer Transporteure,<br />

die alternative Routen fahren. Hierbei sind<br />

jedoch die Transportkosten zu beachten, die dadurch<br />

36 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


potenziell steigen, denn im Einkauf gelten<br />

die klassischen Skaleneffekte: Der Stückpreis<br />

sinkt mit der Menge, die nun aber<br />

aufgesplittet werden würde.<br />

Als dritte Option sollten Unternehmen ihre<br />

grundsätzliche Sourcing-Strategie neu<br />

überdenken und permanent die Systematisierung<br />

von Material und Waren überdenken.<br />

Was sind Engpassteile, was die<br />

Hebelprodukte? Habe ich strategische<br />

Produkte, habe ich unkritische Teile? Falls<br />

ein Material falsch kategorisiert ist, muss<br />

die Einkaufsstrategie eben<br />

anpasst werden, beispielsweise<br />

hierfür das klassische<br />

Multiple Sourcing anwenden.<br />

Das heißt, dass sich Einkäufer<br />

absichern und über mehrere<br />

Lieferanten Waren beziehen,<br />

anstatt die einfache, aber<br />

günstigere Strategie des Single<br />

Sourcing mit nur einem<br />

Lieferanten anzuwenden.<br />

insbesondere, indem wieder wie früher Sicherheitsbestände<br />

aufgebaut werden, die<br />

dafür sorgen, die Volatilität der Nachfrage<br />

aufzufangen. Es wird dazu führen, dass<br />

mehr Läger – und damit Fläche – benötigt<br />

werden, wodurch zwar die Kapitalbindung<br />

wächst, die Industrie jedoch weiter produzieren<br />

und der Handel weiterhin verkaufen<br />

kann.<br />

Also wird es eine Abkehr von Just-intime-<br />

Konzepten geben?<br />

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Fastener Fair Global 2023<br />

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Schröder: Just-in-time-Konzepte sind<br />

für die Abnehmer eine zurecht bequeme<br />

Lösung, in der Produkte bestandslos angeliefert<br />

wurden, genau dann, wenn sie<br />

benötigt werden. Das hat jahrzehntelang<br />

reibungslos funktioniert, muss nun aber<br />

punktuell hinterfragt werden. Es gibt<br />

auch in diesem Bereich immer wieder<br />

wechselnde Zyklen bei wirtschaftlichen<br />

Trends. Nun treten wir ein in eine neue<br />

Phase, und Bestände werden höchstwahrscheinlich<br />

global wieder steigen.<br />

Dementsprechend hätten<br />

viele Unternehmen diese<br />

<strong>Beschaffung</strong>sprobleme auch<br />

rechtzeitig mit anderen Stra -<br />

tegien eindämmen können?<br />

Schröder: Wenn die Unternehmen<br />

ihren Einkauf immer<br />

wieder hinterfragt hätten,<br />

hätte es sehr wahrscheinlich<br />

in weniger Fällen diese<br />

Schwierigkeiten bei der <strong>Beschaffung</strong><br />

der Waren gegeben.<br />

Wenn ein Unternehmen<br />

beispielsweise in Fernost einen<br />

günstigen Lieferanten<br />

hat, muss es einfach möglich<br />

sein, dass es über diesen nur<br />

noch 80 Prozent anstatt<br />

100 Prozent der Waren bezieht,<br />

und dann wiederum<br />

20 Prozent der Waren von einem<br />

deutschen oder europäischen<br />

Lieferanten annimmt,<br />

der vielleicht teurer, aber dafür<br />

regional, also näher ist.<br />

Ich denke, dass die Lieferkette<br />

neu strukturiert wird, indem<br />

grundsätzlich Bestände<br />

steigen, um sich als Unternehmen<br />

abzusichern, und<br />

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<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 37


» MANAGEMENT<br />

Automobile Wertschöpfungskette<br />

Marktplatz für den automobilen<br />

Datentransfer<br />

BASF, BMW Group, Henkel, Mercedes-Benz, SAP, Schaeffler, Siemens, T-Systems,<br />

Volkswagen und ZF haben gemeinsam das Joint Venture Cofinity-X gegründet,<br />

um einen offenen Marktplatz für die Bereitstellung von Geschäftsanwendungen<br />

sowie Diensten, die einen sicheren und standardisierten Datentransfer entlang<br />

der automobilen Wertschöpfungskette beschleunigen, zu betreiben.<br />

Mit dem Joint Venture Cofinity-X<br />

wollen die Gründungsfirmen dazu<br />

beitragen, wichtige Fortschritte bei der<br />

Operationalisierung und dem Aufbau von<br />

durchgängigen Datenketten zur Rückverfolgbarkeit<br />

von Materialflüssen über die<br />

Wertschöpfungskette hinweg zu schaffen.<br />

Die zehn Gesellschafter sind zu gleichen<br />

Teilen an dem Joint Venture beteiligt.<br />

„Die Herausforderungen, vor denen<br />

Industrien weltweit stehen, lassen sich<br />

nur mit einem gemeinsamen und ganzheitlichen<br />

Ansatz lösen: Unsere Wertschöpfungsketten<br />

müssen besser nachverfolgbar,<br />

nachhaltiger und widerstandsfähiger<br />

werden. Catena-X und Cofinity-X<br />

können ein Game Changer auf diesem<br />

Weg sein“, erklärt Oliver Zipse, Vorsitzender<br />

des Vorstands der BMW AG sein Engagement<br />

beim Joint Venture.<br />

Die Cofinity-X GmbH mit Sitz in<br />

Köln ist ein Gemeinschaftsunternehmen<br />

von Mercedes-Benz,<br />

BASF, BMW Group, Henkel, SAP,<br />

Schaeffler, Siemens, T-Systems,<br />

Volkswagen und ZF. Die Vision<br />

von Cofinity-X ist es, einen offen<br />

Marktplatz für die Bereitstellung<br />

von eigenen und fremden Geschäftsanwendungen<br />

und<br />

Diensten mit initialem Fokus auf<br />

Cofinity-X<br />

Markus Schäfer,<br />

Vorstandsmitglied der<br />

Mercedes-Benz Group<br />

AG, Chief Technology<br />

Officer, Entwicklung<br />

& Einkauf.<br />

„Wir bei Mercedes-Benz sind überzeugt,<br />

dass Transparenz, Effizienz und Datensouveränität<br />

die entscheidenden Stellhebel<br />

für nachhaltige und datengetriebene<br />

Europa zu betreiben, die einen<br />

sicheren und standardisierten<br />

Datentransfer entlang der automobilen<br />

Wertschöpfungskette<br />

nach den Prinzipien von Gaia-X<br />

und Catena-X ermöglichen. Alle<br />

erforderlichen regulatorischen<br />

Freigaben wurden erteilt und<br />

Cofinity-X wird seine Aktivitäten<br />

dem entsprechend aufnehmen.<br />

www.cofinity-x.com<br />

Wertschöpfungsketten sind“, meint Markus<br />

Schäfer, Vorstandsmitglied der Mercedes-Benz<br />

Group AG, Chief Technology<br />

Officer, Entwicklung & Einkauf. „Mit dem<br />

neuen Joint Venture Cofinity-X verwirklichen<br />

wir die Vision von Catena-X: ein offenes<br />

Ökosystem für den sicheren und<br />

standardisierten Datenaustausch entlang<br />

der gesamten Wertschöpfungskette. Die<br />

ersten Lösungen stehen kurz vor der Fertigstellung<br />

und dank Cofinity-X kann jedes<br />

Unternehmen der Automobilbranche<br />

schon bald von Diensten und Angeboten<br />

profitieren, die die Ergebnisse von Catena-X<br />

nutzen.“<br />

Cedrik Neike, Mitglied des Vorstands der<br />

Siemens AG und CEO Digital Industries<br />

erwartet, dass das Joint Venture hilft<br />

Nachhaltigkeits- und Effizienzziele in der<br />

Automobilbranche schneller und effizienter<br />

zu erreichen: „Das geht nur in einem<br />

starken Team auf Augenhöhe zwischen<br />

Bild: Mercedes-Benz<br />

38 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


Catena-X<br />

Catena-X versteht sich als erweiterbares<br />

Ökosystem, an dem sich<br />

Automobilhersteller und -zulieferer,<br />

Händlerverbände sowie Ausrüster,<br />

zu denen Anwendungs-,<br />

Plattform- und Infrastrukturanbieter<br />

gehören, gleichermaßen<br />

beteiligen können. Ziel ist es,<br />

einen einheitlichen Standard für<br />

Daten- und Informationsflüsse in<br />

der gesamten automobilen Wertschöpfungskette<br />

zu schaffen.<br />

Ein Fokus soll insbesondere auf<br />

KMUs liegen, deren aktive Beteiligung<br />

für den Erfolg des Netzwerkes<br />

von zentraler Bedeutung ist.<br />

Zudem sollen bereits bestehende<br />

Strukturen der europäischen<br />

Fahrzeugindustrie in das Netzwerk<br />

eingebunden und weiter<br />

optimiert werden.<br />

Auf diese Weise durchgehend<br />

verbundene Datenketten ermöglichen<br />

es, digitale Zwillinge von<br />

Automobilen zu erschaffen, auf<br />

deren Basis sich innovative<br />

Geschäftsprozesse und Serviceangebote<br />

entwickeln lassen.<br />

VON KOPF<br />

BIS FUSS<br />

GUT<br />

GESCHÜTZT<br />

der Automobilindustrie, den Zulieferern<br />

und Ausrüstern. Siemens stellt Catena-<br />

X-Applikationen bereit, die von allen Teilnehmern<br />

der automobilen Wertschöpfungskettegenutzt<br />

werden können, insbesondere<br />

von kleinen<br />

und mittelständischen<br />

Unternehmen.“<br />

„Die Zusammen -<br />

arbeit unter Automobilherstellern,<br />

Zulieferern und<br />

Partnern ist von<br />

entscheidender<br />

Bedeutung , um<br />

ganz heitliche Endto-End-Lösungen<br />

zu entwickeln und<br />

Transparenz entlang<br />

der Wertschöpfungskette<br />

und über den Lebenszyklus<br />

von Produkten zu verbessern“, erklärt<br />

Dr. Christian Kirsten, Corporate Senior Vice<br />

President Automotive & Metals, Henkel<br />

Adhesive Technologies. „Mit Catena-X<br />

leistet die Automobilindustrie Pionierarbeit,<br />

um Standards für Schlüsselbereiche<br />

wie Kreislaufwirtschaft und CO 2 -Reduktion<br />

zu definieren. Das neue Joint Venture<br />

wird die digitale Transformation der Industrie<br />

weiter vorantreiben – und Henkel<br />

wird einen wichtigen Teil dazu beitragen.“<br />

Auch die Deutsche Telekom AG mit ihrem<br />

»Wir sind überzeugt,<br />

dass Transparenz,<br />

Effizienz und Datensouveränität<br />

die entscheidenden<br />

Stellhebel<br />

für nachhaltige und<br />

datengetriebene Wertschöpfungsketten<br />

sind.«<br />

Markus Schäfer, Mercedes-Benz<br />

Vorstandsvorsitzenden Timotheus Höttges<br />

ist von dem neuen Projekt überzeugt: „Die<br />

Deutsche Telekom war als Technologiepartner<br />

von Anfang bei Catena-X dabei.<br />

Mit der Gründung der ersten<br />

Catena-X-Betriebs -<br />

gesellschaft sind<br />

wir unserem gemeinsamen<br />

Ziel<br />

nun einen großen<br />

Schritt nähergekommen:<br />

ein<br />

cloud-basiertes<br />

Daten-Netzwerk<br />

über Europa zu<br />

spannen. Für eine<br />

digitalisierte, europäische<br />

Automobilindustrie.<br />

Ein<br />

Netzwerk, das auf<br />

Datensouveränität,<br />

DSGVO-Konformität und höchsten Sicherheitsstandards<br />

basiert.“<br />

„Cofinity-X ist Pionier der Industrialisierung<br />

von Catena-X-Standards und Software-Artefakten,<br />

um Kunden einen Einstiegspunkt<br />

in den Catena-X-Datenraum<br />

zu bieten. Ich freue mich darauf, zu sehen,<br />

wie das erste wirklich offene und interoperable<br />

Produkt-und Dienstleistungsportfolio<br />

zum Leben erweckt wird und einen<br />

Mehrwert für alle Mitglieder schafft“,<br />

meint Oliver Ganser, Vorstandsvorsitzender<br />

Catena-X Automotive Network e.V.<br />

RS Best.-Nr.: 123-5743<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 39<br />

de.rs-online.com


TITEL<br />

Bild: Reyher<br />

Wie Reyher seine Lieferfähigkeit sichert<br />

Krisensicher<br />

beschaffen<br />

Die internationalen <strong>Beschaffung</strong>smärkte sind seit rund drei Jahren<br />

von besonderen Herausforderungen geprägt. Extreme Preissteigerungen<br />

und die Unterbrechung zahlreicher Lieferketten verlangen vom Einkauf<br />

resiliente Supply-Chain-Strategien. Das Großhandelsunternehmen F.<br />

Reyher Nchfg. GmbH & Co. KG hat die Krisen erstaunlich gut gemeistert.<br />

Woran liegt das? Was unterscheidet die Firma von anderen?<br />

40 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


»Dank unserer pro -<br />

fessionellen Einkaufs -<br />

organisation ist es uns<br />

gelungen, immer genug<br />

Ware zu haben und<br />

die Folgen der Krise für<br />

unser Unternehmen zu<br />

minimieren.«<br />

Klaus-Dieter Schmidt, Geschäftsführer<br />

Erst wurden die Lieferketten durch die Auswirkungen<br />

der Corona-Pandemie gestört, was zum<br />

einen die Preise massiv in die Höhe trieb und zum<br />

anderen Zulieferengpässe auslöste. Als die Pandemie<br />

sich gerade abzuschwächen begann, griff Russland<br />

die Ukraine an. Der seit einem Jahr andauernde Krieg<br />

hat erneut extreme Preissteigerungen und die Unterbrechung<br />

zahlreicher Lieferketten zur Folge.<br />

Die F. Reyher Nchfg. GmbH & Co. KG war als Handelsunternehmen<br />

für Verbindungselemente und Befestigungstechnik<br />

ebenfalls stark von den Preissteigerungen<br />

auf den <strong>Beschaffung</strong>smärkten betroffen.<br />

Hinzu kamen die akuten Zulieferengpässe im Zusammenhang<br />

mit dem durch die Ever Given verursachten<br />

Stau im Suezkanal sowie den danach fehlenden Kapazitäten<br />

in europäischen Häfen. Diese Situation bekam<br />

Reyher vor allem deswegen zu spüren, weil<br />

Schrauben, Muttern und Scheiben verhältnismäßig<br />

niedrigpreisige Artikel sind. „Aufgrund des geringen<br />

Produktwerts bedeuteten die hohen Frachtkosten für<br />

uns häufig eine Erhöhung der Stückpreise um durchschnittlich<br />

50 Prozent“, erläutert Reyher-Geschäftsführer<br />

Klaus-Dieter Schmidt.<br />

Die Bevorratungsstrategie<br />

Ein Aspekt, der Reyher gut durch die letzten Jahre<br />

brachte, war die Bevorratungsstrategie des Unternehmens.<br />

Diese musste jedoch während der <strong>Beschaffung</strong>skrise<br />

nicht komplett neu ausgerichtet<br />

werden. Sie ist schon lange ein Teil der DNA der Firma.<br />

„Wir sind ein Vollsortimenter. Ein breit gefächertes<br />

Sortiment in ausreichender Stückzahl auf Lager<br />

zu haben, gehört zur Philosophie von Reyher“, erklärt<br />

Klaus-Dieter Schmidt. Durch ein mehrstufiges<br />

Dispositionssystem kann außerdem eine Lieferbereitschaft<br />

von über 99 Prozent erreicht werden. Diese<br />

Vorgehensweise habe zu Zeiten der schwierigen<br />

<strong>Beschaffung</strong> den entscheidenden Unterschied gemacht.<br />

Fachliche und technische Kompetenz<br />

Das dazugehörige Herz des Unternehmens – das vollautomatisierte<br />

Logistikzentrum – nimmt den Großteil<br />

des 40.000 Quadratmeter großen Firmengeländes<br />

in Hamburg ein. Es bietet Platz für 100.000 Paletten<br />

und 180.000 Behälter. Täglich werden durchschnittlich<br />

5000 Kundenaufträge bearbeitet und es<br />

verlassen etwa 340 Tonnen Ware das Gelände. In<br />

Spitzenzeiten bedeutet dies eine Bearbeitung von<br />

mehr als 27.000 Positionen pro Tag.<br />

Klaus-Dieter Schmidt<br />

ist Geschäftsführer bei<br />

Reyher.<br />

F. Reyher Nchfg. GmbH & Co KG<br />

... ist ein Großhandelsunternehmen für Verbindungselemente<br />

und Befestigungstechnik, das<br />

1887 als Handel für Eisenwaren, Schiffsartikel<br />

und Werkzeuge gegründet wurde. Am zentralen<br />

Standort in Hamburg sind über 900 Mitarbeiter<br />

beschäftigt, die jeden Tag 5000 Aufträge bearbeiten.<br />

Neben der schnellen Lieferung zeichnet sich<br />

das Unternehmen durch seine Service-Angebote<br />

aus. 2022 betrug der Umsatz des Unternehmens<br />

rund 480 Mio. Euro.<br />

Bild: Reyher<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 41


TITEL<br />

ses weitreichende Netzwerk Reyher, zu nahezu jedem<br />

Vorgang einen Plan B in der Tasche zu haben.<br />

„Dank unserer professionellen Einkaufsorganisation<br />

ist es uns gelungen, immer genug Ware zu haben<br />

und die Folgen der Krise für unser Unternehmen zu<br />

minimieren“, fasst der Geschäftsführer von Reyher<br />

zusammen.<br />

Sind die Verbindungselemente erst einmal in Hamburg<br />

eingetroffen, ist die Arbeit für Reyher noch lange<br />

nicht abgeschlossen. Der Großhändler ist bekannt<br />

für sein hohes Qualitätsbewusstsein. Dementsprechend<br />

verfügt er über ein eigenes Prüflabor, das die<br />

eingehende Ware auf Herz und Nieren überprüft. In<br />

dem Labor werden von Zugversuchen über Salzsprühnebeltests<br />

bis hin zu Drehmoment- und Vorspannkraft-Versuchen<br />

umfangreiche Tests durchgeführt.<br />

Dadurch war gesichert, dass die Kunden auch<br />

während der <strong>Beschaffung</strong>skrise qualitativ einwandfreie<br />

und mit modernster Technik geprüfte Ware erhalten<br />

haben.<br />

Vielfältige Dienstleistungen<br />

Bild: Reyher<br />

Das moderne<br />

Hochregallager hat<br />

zwei Lagerebenen<br />

übereinander und einen<br />

Durchsatz von<br />

400 Paletten pro Stunde.<br />

Auch der zweite Aspekt, der für Reyher in der jüngsten<br />

Vergangenheit eine große Rolle gespielt hat, ist<br />

keine Neuheit. Das Unternehmen setzt in allen Bereichen<br />

auf die fachliche Kompetenz eines jeden<br />

Mitarbeitenden. „Nur durch eine umfassende Marktkenntnis<br />

ist es möglich, auch in schwierigen Zeiten<br />

eine kurzfristige Disposition zu gewährleisten. Diese<br />

ist unabdingbar für eine erfolgreiche Produktbeschaffung“,<br />

so Schmidt. Außerdem hätten die entsprechenden<br />

Reyher-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter<br />

über die vergangenen Jahre und Jahrzehnte<br />

enge Beziehungen zu den Lieferanten der Firma aufgebaut.<br />

Dies hätte sich besonders in den letzten drei<br />

Jahren positiv ausgewirkt. Vor allem ermögliche die-<br />

Auf modernste Technologien greift Reyher ebenfalls<br />

zurück, wenn es um die kundenseitige <strong>Beschaffung</strong><br />

geht. Um diese so effizient und wirtschaftlich wie<br />

möglich zu gestalten, bietet das Unternehmen unterschiedliche<br />

Dienstleistungen an.<br />

Zu den E-Business-Lösungen gehört unter anderem<br />

RIO – Reyher Internet Order. Der intuitive und mobile<br />

Webshop erlaubt es, rund um die Uhr auf 90.000 Katalogartikel<br />

zuzugreifen. Dabei werden für Kunden<br />

die <strong>aktuell</strong>en Verfügbarkeiten und Preise der ausgewählten<br />

Artikel angezeigt. Darüber hinaus stehen<br />

elektronische Kataloge, unter anderem für die Nutzung<br />

in E-Procurement-Systemen, zur Verfügung.<br />

Ebenso bietet das Unternehmen EDI-Anbindungen<br />

für den elektronischen Geschäftsdatenaustausch an.<br />

Ein weiterer Baustein sind die flexiblen Kanban-Versorgungssysteme<br />

ROM – Reyher Order Management.<br />

Für eine automatisierte und einfache Nutzung setzt<br />

Reyher dabei auch auf RFID-Technologie. Kombinierbare<br />

Logistik-, Service- und Anwendungsmodule stehen<br />

zur Auswahl.<br />

RKP – Reyher Kitting & Packaging rundet das Dienstleistungsangebot<br />

ab. In enger Abstimmung mit dem<br />

Kunden entwickelt das RKP-Team passende Konfektionierungslösungen.<br />

Beispiele sind die Zusammenstellung<br />

von Sets und Bausätzen oder individuellen<br />

Handelsverpackungen.<br />

Nach wie vor innovativ<br />

Trotz aller Schwierigkeiten auf den <strong>Beschaffung</strong>smärkten<br />

der vergangenen Jahre ist es Reyher noch<br />

immer gelungen, Innovationen voranzutreiben, neue<br />

42 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


Bild: Reyher<br />

Der intuitive, und auch<br />

für mobile Endgeräte<br />

optimierte, Webshop<br />

RIO ist ein wichtiger<br />

Baustein der modernen<br />

E-Business-Lösungen<br />

von Reyher.<br />

Bild: Reyher<br />

Die eingesetzte RFID-Technologie in verschiedenen Ausprägungen<br />

macht kontaktloses Bestellen möglich.<br />

Produkte einzuführen und das eigene Sortiment zu<br />

erweitern.<br />

Das Handelsunternehmen hat eine Reihe neuer Produkte<br />

aus nichtrostendem Stahl in das Produktprogramm<br />

aufgenommen: zum Beispiel Artikel aus Duplex-Stählen<br />

der Kategorie D 6–100. Neben modernsten<br />

Produkten setzt Reyher im Bereich Neuheiten<br />

auch auf Nachhaltigkeit. Daher hat die Firma das<br />

komplette Greenline-Sortiment von Fischer in ihr<br />

Produktprogramm eingegliedert. Die Greenline-Serie<br />

zeichnet sich dadurch aus, dass die Artikel zu mindestens<br />

50 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen<br />

produziert werden.<br />

Bewährt trotzdem flexibel<br />

Eine bemerkenswerte Innovation ist die patentierte<br />

Kegelmutter CONU. Sie bietet gegenüber üblichen<br />

Sechskantmuttern und je nach Anwendung eine<br />

Vielzahl an Vorteilen. So fügt sie sich ohne Überstand<br />

in die dafür vorgesehene Senkung ein. Dies sorgt für<br />

eine plane Oberfläche, einen verringerten Platzbedarf<br />

sowie ein niedrigeres Verletzungsrisiko. Darüber hinaus<br />

verfügt sie über einen Selbstsicherungseffekt,<br />

der das eigenständige Lösen verhindert und das einhändige<br />

Verschrauben der Mutter ermöglicht.<br />

Ebenfalls patentiert ist die Reyher-Kombischraube.<br />

Diese Schraube kombiniert einen nach Norm gestalteten<br />

Sechskantkopf mit einem Innensechsrund und<br />

ist trotzdem voll belastbar. Durch den Einsatz der<br />

Kombischraube kann die Anzahl der verwendeten<br />

Schraubentypen in der industriellen Fertigung maßgeblich<br />

reduziert werden. Dies hat eine einfachere<br />

Lagerhaltung, geringere Kosten und eine Vereinfachung<br />

der Produktion zur Folge.<br />

„Neben der Strategie, der fachlichen sowie technischen<br />

Kompetenz und einer hohen Innovationskraft<br />

hat Reyher sich außerdem über die Jahre, trotz zunehmender<br />

Größe, eine gewisse Flexibilität bewahrt“,<br />

resümiert Klaus-Dieter Schmidt. Dies gäbe seinen<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Raum für kundennahe,<br />

individuelle Entscheidungen.<br />

Anna-Maria Jeske, F. Reyher Nchfg. GmbH & Co.KG<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 43


» C-TEILE-MANAGEMENT<br />

Drei Experten von Keller & Kalmbach über die Plattform Logtopus<br />

„Störungen in der Supply Chain früh<br />

erkennen“<br />

Der Name ist Programm. Mit „Logtopus“ hat Keller & Kalmbach eine Plattform zur<br />

Steuerung der Materialversorgung geschaffen, die mit ihren Software-Armen die<br />

gesamte Supply Chain erreicht. Das Programmpaket ist einfach zu bedienen und<br />

verringert die Komplexität für Anwender. Drei Vertreter des Spezialisten für C-Teile-<br />

Management – Hans van der Velden, Thomas Blimmel und Andreas Kahnt – grenzen<br />

die Lösung zu anderen Systemen ab und geben Einblicke in die Entwicklungsarbeit.<br />

Bild: Keller & Kalmbach<br />

Logtopus ist eine All-In-One-Plattform zur Steuerung<br />

und Optimierung der Materialversorgung.<br />

Was sind die übergeordneten Bereiche, die diese<br />

Lösung abdeckt?<br />

Thomas Blimmel: Das primäre Ziel einer All-in-<br />

One-Plattform ist die vollständige Visualisierung aller<br />

Material- und Informationsflüsse im Kontext der<br />

bewirtschafteten Materialen. Logtopus ist ein offenes,<br />

cloudbasiertes System für die umfassende Digitalisierung<br />

von Waren- und Informationsflüssen zur<br />

Optimierung der Supply Chain für Kunden und Lieferanten<br />

in allen Branchen. Unsere Lösung enthält alle<br />

C-Teile-Management-Funktionalitäten von der Bedarfsauslöung<br />

über die Integration von Partnerlieferanten<br />

und die Warensteuerung bis zum Verbrauchs -<br />

ort, sprich die Informationsplattform für angeschlossene<br />

Kunden und Lieferanten. Die an die Plattform<br />

angeschlossenen Unternehmen können über dieselben<br />

Prozesse und Systeme Kunden beliefern oder von<br />

Lieferanten beliefert werden.<br />

Andreas Kahnt, Director Sales Logtopus bei Keller & Kalmbach: „Logtopus kann unabhängig<br />

von der Firmengröße eingesetzt werden, weil die Plattform an die Bedürfnisse des<br />

Unternehmens angepasst werden kann.“<br />

Was war der Anlass für die Entwicklung?<br />

Blimmel: Wir haben erkannt, dass unsere Kunden<br />

ein cloudbasiertes, ERP-unabhängiges System benötigen,<br />

um flexibel logistische Entscheidungen zu<br />

treffen und um Transparenz sowie Kontrolle über<br />

alle Prozesse zu haben. Das ist genauso wichtig wie<br />

ein einheitlicher <strong>Beschaffung</strong>sprozess für alle Produkte.<br />

Die Vorgängerversion von Logtopus – eLogistics<br />

– ist nicht für die eigene Steuerung durch<br />

unsere Kunden konzipiert worden. Das ist bei Logtopus<br />

anders. Hier steht die Benutzerfreundlichkeit<br />

im Fokus und wird auch aus Kundensicht entwickelt.<br />

Die Anwender können ihr Dashboard individuell<br />

einstellen und weltweit verwalten. Logtopus<br />

benötigt keine größeren Erweiterungen im eigenen<br />

ERP System. Es ist eine unabhängige Plattform, die<br />

44 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


durch einfache Schnittstellen eingebunden werden<br />

kann – sozusagen das Upgrade der eLogistics-<br />

Plattform, die stufenweise durch Logtopus abgelöst<br />

wird.<br />

Was steckt hinter dem Namen Logtopus?<br />

Andreas Kahnt: Der Name Logtopus setzt sich<br />

aus „Logistik“ und „Oktopus“ zusammen und lässt<br />

sofort das Bild eines Oktopus im Kopf entstehen, der<br />

mit seinen Armen auch die letzten Winkel erreicht.<br />

Die Eigenschaften des Oktopus finden sich in unserer<br />

Plattform wieder, denn sie ist intelligent, anpassungsfähig,<br />

weitsichtig und fit. Der Vorschlag<br />

stammt von unserem User-Interface-Designer und<br />

kam auf Anhieb gut an.<br />

Mit welchen Problemen hatten ihre Kunden im Bereich<br />

Materialversorgung zuletzt zu kämpfen?<br />

Hans van der Velden: Unsere Kunden bewegen<br />

sich im Industrieumfeld, also in den Bereichen Automotive,<br />

Verkehrstechnik oder Maschinenbau. Und sie<br />

eint die oberste Prämisse, dass Ware geliefert wird,<br />

um etwas fertigen zu können. Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit<br />

und Transparenz in der Supply Chain spielen<br />

eine entscheidende Rolle. Corona und der Krieg in<br />

der Ukraine haben hier einiges ins Wanken gebracht.<br />

Die globalen Lieferketten sind angespannt und im<br />

Transportwesen ist es eine große Herausforderungen,<br />

Liefertermine einzuhalten. Daneben ist der Fachkräftemangel<br />

überall spürbar und wir alle sehen steigenden<br />

Preisen ins Auge und müssen Wege finden, mit<br />

der eingeschränkten Materialverfügbarkeit umzugehen.<br />

Für mich kündigt sich ein Paradigmenwechsel<br />

an, denn alle Wirtschaftsakteure müssen Standards<br />

auf einmal neu denken, die jahrelang etabliert<br />

waren . Und plötzlich ist Agilität mehr gefragt als je<br />

zuvor. In jeder Hinsicht.<br />

Mit welchen Anforderungen und Erwartungen treten<br />

die Industrieunternehmen folglich an einen<br />

Partner wie Keller & Kalmbach heran, der nicht nur<br />

C-Teile liefert, sondern auch C-Teile-Management-Lösungen<br />

anbietet?<br />

van der Velden: Unsere Kunden suchen in<br />

erster Linie einen zuverlässigen Partner, der die<br />

Bild: Keller & Kalmbach<br />

Thomas Blimmel,<br />

Deputy Head of<br />

Custome r Logistic<br />

Services bei Keller &<br />

Kalmbach: „Wir haben<br />

den Anspruch, dass<br />

unsere Anwender<br />

auch ohne Schulungen<br />

sofort verstehen,<br />

wie die Lösung<br />

funktioniert .“<br />

Mikro-Schlauchverbinder für<br />

die Analytik und Labortechnik<br />

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<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 45


» C-TEILE-MANAGEMENT<br />

Bild: Keller & Kalmbach<br />

Ist die Plattform auf den Mittelstand zugeschnitten<br />

oder ist sie auch für Konzerne eine Option?<br />

Kahnt: Logtopus kann unabhängig von der Unternehmensgröße<br />

eingesetzt werden, weil die Plattform<br />

an die Bedürfnisse des Unternehmens angepasst<br />

werden kann. Konkret zeigt sich diese Skalierbarkeit<br />

beispielsweise bei der freien Lieferantenauswahl, der<br />

Integration von kundeneigenen Logistiksystemen<br />

und Sensoren sowie der Anbindung von Warenwirtschaftssystemen.<br />

Zudem kann der Anwender zwischen<br />

verschiedenen Leistungspaketen wählen.<br />

Hans van der Velden,<br />

CEO Keller & Kalmbach:<br />

„Die globalen<br />

Lieferketten sind<br />

angespannt und<br />

die Wirtschaftsakteure<br />

müssen Standards auf<br />

einmal neu denken, die<br />

jahrelang etabliert<br />

waren .“<br />

Waren verfügbarkeit sicherstellt. Dabei ist ihnen<br />

Transparenz wichtig, um die <strong>aktuell</strong>e Versorgungssituation<br />

jederzeit einschätzen und damit Störungen<br />

in der Supply Chain frühzeitig erkennen zu<br />

können. Zwar sind die Teile, mit denen wir uns beschäftigen,<br />

von geringen Stückkosten geprägt, sie<br />

haben aber einen großen Impact und können ganze<br />

Produktionen lahmlegen, wenn eine rechtzeitige<br />

Lieferung ausbleibt. Nach der Finanzkrise<br />

2008/2009 ging es in der deutschen Wirtschaft<br />

ziemlich rasant aufwärts. Dabei wurden Unternehmensstrukturen<br />

und Prozesse oft nicht der neuen<br />

Realität angepasst. Durch die Pandemie stieg nun<br />

der Druck, in Richtung Automatisierung zu denken.<br />

Auch der Fachkräftemangel führt dazu, dass<br />

Effizienz mehr denn je zählt. Hier kommen unsere<br />

C-Teile-Management-Lösungen ins Spiel, die wir<br />

individuell auf unsere Kunden abstimmen und mit<br />

intelligenten Tools verbinden. So können wir früh<br />

agieren, wenn sich ein Konflikt abzeichnet und<br />

Plan B oder C einleiten, bevor eine Veränderung<br />

überhaupt spürbar ist.<br />

Wurde die Lösung für spezielle Branchen entwickelt<br />

oder ist sie universell einsetzbar?<br />

Kahnt: Logtopus ist branchenunabhängig einsetzbar.<br />

Die Plattform wurde auf Basis von bestehenden<br />

Anforderungen und gesammelten Erfahrungen aus<br />

den Fokusbranchen entwickelt wie Bahntechnik,<br />

Landmaschinenbau, Sondermaschinenbau oder Automotiv.<br />

Neben dem verarbeitenden Gewerbe kann<br />

Logtopus auch in anderen Branchen eingesetzt werden<br />

wie etwa zur Steuerung des Materialbedarfs in<br />

Krankenhäusern.<br />

Gibt es ein vergleichbares Produkt auf dem Markt?<br />

van der Velden: Wir glauben das nicht. Zur<br />

Steuerung und Optimierung der Materialversorgung<br />

kann man entweder auf reine Softwarelösungen zurückgreifen<br />

oder auf Hardware wie Kanbansysteme,<br />

die mit einem Anbieter verheiratet sind. Bei Logtopus<br />

verbinden wir beide Welten miteinander und geben<br />

unseren Kunden die Möglichkeit, auf eine grenzenlose<br />

Flexibilität zu setzen und offen bei den Entscheidungen<br />

zu sein. Logtopus lässt sich auch mit der<br />

Hardware des Kunden einsetzen. Somit sind die Anwender<br />

in ihren Entscheidungen frei, welche Produkte<br />

sie nutzen oder mit welchen Sensoren sie arbeiten.<br />

Auch firmeneigene Lösungen können weiterhin betrieben<br />

werden. Unterm Strich kombinieren wir also<br />

Dienstleistungen und Hardware mit einer ausgefeilten<br />

Softwarelösung.<br />

Wie schätzen Sie den zeitlichen Entwicklungsvorsprung<br />

vor dem Wettbewerb ein?<br />

Blimmel: Das ist schwer zu sagen, weil es letztlich<br />

davon abhängt, wie sehr sich ein Unternehmen darauf<br />

einlassen will, eine Plattform ins Leben zu rufen,<br />

die dem Kunden viele Möglichkeiten bietet und<br />

gleichzeitig keine Abhängigkeiten, sondern Flexibilität<br />

schafft. Unserer Lösung ist offen für jegliche Auslösesysteme,<br />

Serviceapps oder Lieferanten. Den Entwicklungsvorsprung<br />

sehen wir in der technischen<br />

Umsetzung dieser Offenheit und zwar auf allen Ebenen<br />

und in alle Richtungen.<br />

46 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


Welche Rolle spielt die Ergonomie bei komplexen<br />

Softwarelösungen? Wie haben Sie diesen Aspekt<br />

bei der Entwicklung mit einfließen lassen?<br />

Blimmel: Software-Ergonomie spielt für uns eine<br />

wichtige Rolle. Wir gehen nutzerzentriert vor und<br />

prüfen schon vor der eigentlichen Code-Entwicklung<br />

mit unseren Endnutzern, ob unsere Ideen verstanden<br />

und leicht bedient werden können. Uns ist es wichtig,<br />

dass wir zielgruppen- und kontextgerechte Inter -<br />

faces gestalten, die speziell auf unsere Nutzergruppen<br />

ausgerichtet sind. So können wir Komplexität<br />

verringern und die Bedienbarkeit intuitiver gestalten .<br />

Wir haben den Anspruch, dass unsere Nutzer ohne<br />

Schulungen sofort verstehen, wie die Lösung funktioniert.<br />

Auch in der visuellen Gestaltung nehmen<br />

wir Bezug auf den Kontext. Klar lesbare Schriften, ein<br />

aufgeräumtes Layout und gute Kontraste helfen dabei,<br />

den Überblick zu behalten. Auch bei komplexen<br />

Darstellungen. Dabei darf es keine Rolle spielen, ob<br />

der Anwender gerade vor dem Rechner im Büro sitzt<br />

oder mit dem Tablet im Lager unter wegs ist. In unseren<br />

Dashboards beispielsweise kondensieren wir das<br />

Wesentliche aus einem Pool von komplexen Daten.<br />

Wir zeigen dem Nutzer an, was für ihn gerade wichtig<br />

ist, ohne den Zugang zu komplexeren Datenstrukturen<br />

dabei zu vernachlässigen.<br />

Zum Schluss ein Blick in die Zukunft. Wie verändert<br />

sich der Markt? Welche Entwicklung sind im<br />

C-Teile-Management und in der Materialversorgung<br />

zu erkennen?<br />

Blimmel: Bedingt durch die Coronapandemie und<br />

die geopolitischen Entwicklungen in der Ukraine und<br />

in Taiwan fokussieren sich Kunden und Lieferanten<br />

im C-Teile-Markt weiterhin auf die nachhaltige Absicherung<br />

ihrer Versorgungsketten. Die genannten Einflussfaktoren<br />

haben den Unternehmen aufgezeigt,<br />

dass die Wettbewerbsfähigkeit zukünftig verstärkt<br />

auf der Robustheit und Effizienz der Versorgungsketten<br />

beruht und weniger auf der Preisgestaltung einzelner<br />

Lieferanten. Deswegen werden insbesondere<br />

die Unternehmensbereiche <strong>Beschaffung</strong> und Logistik<br />

in der kommenden Zeit einen eminenten Beitrag zur<br />

Wertschöpfung beitragen müssen. Ein weiteres<br />

Thema ist das in Deutschland verabschiedete Lieferkettengesetz,<br />

das die ökologische und soziale Nachhaltigkeit<br />

von Lieferketten thematisiert und einfordert.<br />

Wie könnte Logtopus in fünf Jahren aussehen?<br />

Blimmel: In der Softwareentwicklung sind fünf<br />

Jahre ein nicht greifbarer Zeitraum. Unser Ziel ist es,<br />

Logtopus so zu entwickeln, dass wir zufriedene Nutzer<br />

haben. Wenn wir es schaffen, dass unsere Kunden<br />

sich in Zukunft ausschließlich auf Logtopus bewegen,<br />

sobald es um die Materialversorgung für die<br />

Produktion geht, haben wir alles richtig gemacht. Als<br />

progressives Unternehmen wollen wir das erreichen,<br />

indem wir die Kundenbedürfnisse ins Zentrum unseres<br />

Handelns stellen. Konkret bedeutet das, dass wir<br />

unsere User aktiv bei der Entwicklung neuer Features<br />

involvieren, also in einen aktiven Dialog treten und<br />

Feedbacks, Ideen und Wünsche überall einfließen<br />

lassen.<br />

van der Velden: Der Kundendialog spielt eine<br />

ganz wesentliche Rolle, wenn wir den Blick in die<br />

Zukunft richten. Gemeinsam mit dem Fraunhofer IML<br />

in Dortmund haben wir vor einiger Zeit auch ein<br />

Zukunfts bild 2025 entwickelt, das die Anforderungen<br />

unserer Kunden auf verschiedenen Ebenen abbildet.<br />

Wir werden unser Ohr am Markt haben, um<br />

Zukunfts themen weiterhin aktiv aufzugreifen.<br />

Das Interview führte Uwe Schoppen,<br />

Redaktion Industrieanzeiger.<br />

Logtopus ® ist die<br />

All-In-One-Plattform zur<br />

transparenten Steuerung<br />

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Materialversorgung.<br />

Eine Lösung,<br />

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<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 47


» FERTIGUNGSTECHNIK<br />

Intec, Z und Grindtec: Wiedersehen der Metallbearbeitung in Leipzig<br />

Messeverbund ist bereit für<br />

den Neustart<br />

Vom 7. bis 10. März 2023 laden die Industriemessen Intec, Z und Grindtec zum<br />

Treffpunkt für die Fertigungstechnik in der Metallbearbeitung, Zulieferindustrie und<br />

Werkzeugbranche ein. Der Messeverbund bildet die komplette Wertschöpfungskette<br />

der Metallbearbeitung in den Hallen der Leipziger Messe ab.<br />

Nach vier Jahren finden wieder Intec und Z in<br />

den Leipziger Messehallen statt. „Wir freuen<br />

uns sehr, dass nach der pandemiebedingten Pause<br />

unsere Industriemessen wieder durchstarten können.<br />

Darüber hinaus bereichert die Grindtec erstmals den<br />

Messeverbund. Mit ihrem Schwerpunkt auf Werkzeugbearbeitung<br />

und Werkzeugschleifen passt sie<br />

hervorragend zur Intec und Z“, sagt Markus Geisenberger,<br />

Geschäftsführer der Leipziger Messe.<br />

Intec: Alle Fertigungsstufen der<br />

Metallbearbeitung<br />

Unternehmen der Werkzeugmaschinenbranche sowie<br />

Anbieter von Präzisionswerkzeugen wie zum Beispiel<br />

Bimatec Soraluce, Ceratizit, Emuge, Fanuc, Grob-Werke,<br />

Gühring, Hedelius, Hermle, Igus, Mapal, Niles-Simmons,<br />

Okuma, Paul Horn, Profiroll Technologies, SEW,<br />

Schunk, Trumpf und Zoller sind auf der Intec dabei.<br />

Das Messeangebot besteht vor allem aus Werkzeugmaschinen,<br />

Maschinenkomponenten, Werkzeugen<br />

und Spannmitteln sowie Fertigungsautomation und<br />

Robotik. Rund zehn Prozent der Aussteller reisen aus<br />

dem Ausland an, so der Stand im Januar. Die meisten<br />

internationalen Aussteller kommen aus der Schweiz,<br />

Italien und Österreich.<br />

Z: Plattform für Zulieferer und<br />

industrielle Dienstleister<br />

Die Z bietet Zulieferern der unteren und mittleren<br />

Produktionsstufen sowie industriellen Dienstleistern<br />

eine Plattform für ihre Positionierung am Markt. Dabei<br />

liegt der Schwerpunkt der Z bei Zulieferungen für<br />

den Maschinen- und Anlagenbau, für die Automobilund<br />

Fahrzeugindustrie sowie für den Werkzeugbau<br />

und weitere Industriebereiche. Im Rahmen der Ausstellung<br />

können sich die Fachbesucher über neue<br />

Produkte, Werkstoffe und Bearbeitungsverfahren,<br />

universell einsetzbare oder spezielle Teile und Komponenten<br />

sowie Lohnfertigung und Dienstleistungen<br />

für verschiedene Stufen der industriellen Produktion<br />

informieren. Wie bei den vergangenen Auflagen<br />

weist die Zuliefermesse einen hohen Auslandsanteil<br />

auf: Rund 25 Prozent der Aussteller stammen aus<br />

dem Ausland – vor allem aus Polen, Italien und<br />

Tschechien.<br />

Grindtec: Werkzeugbearbeitung<br />

und Werkzeugschleifen<br />

„Im Rahmen der Grindtec in Leipzig präsentieren die<br />

Aussteller neue Lösungen für Werkzeugbearbeitung<br />

und Werkzeugschleifen, dabei wird das Anforderungsprofil<br />

der Präzisionswerkzeugmechaniker branche<br />

abgebildet . Der diesjährige Fokus liegt auf Schleifmaschinen,<br />

Werkzeugbearbeitungssystemen, deren<br />

Automation , sowie Schleifmitteln“, sagt Prof. Dr.<br />

Wilfried Saxler, Geschäftsführer des fachlichen<br />

Trägers der Grindtec, FDPW.<br />

Einen Trend, der die zukünftigen Prozesse in den<br />

Industrie- und Handwerksbetrieben der Branche<br />

prägen wird, beschreibt er folgendermaßen: „Wir<br />

müssen und werden uns intensiv mit adaptiven<br />

Strukturen auseinandersetzen, die das Zusammenwirken<br />

von Mensch und Maschine mit künstlicher<br />

Intelligenz in den Vordergrund stellen. Auf der Grindtec<br />

werden Beispiele vermittelt, wie das komplexe<br />

System aus Anforderung, Messdaten, Maschine und<br />

zu bearbeitendem Werkstück durch neuartige Steuerungs-<br />

und Software-Konzepte reibungslos organisiert<br />

werden kann. Die Besucher können auf Technologien<br />

gespannt sein, die Arbeitsabläufe effizienter,<br />

schneller und weniger fehleranfällig organisieren.“<br />

Als sehr relevant für die Branche erachtet er auch die<br />

Lasertechnik. „Sie wird zunehmend zur Bearbeitung<br />

von harten sowie hochharten Schneidstoffen eingesetzt<br />

und funktioniert ständig besser und präziser.“<br />

Außerdem werden Neuerungen in den Bereichen<br />

Mess- und Spanntechnik sowie Peripheriesysteme zu<br />

sehen sein.<br />

Gerade jetzt ist es für die Aussteller und Besucher<br />

wichtig, dass Industriemessen wie Intec, Z und<br />

48 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


Grindtec wieder stattfinden, betont Geisenberger:<br />

„Aussteller und Besucher machen deutlich, dass sie<br />

den Austausch auf unseren internationalen Fachmessen<br />

dringend benötigen. Es geht für die Branche<br />

auch darum, Lieferketten aufrechtzuerhalten und<br />

neu zu justieren, den Kostensteigerungen zu begegnen<br />

und resilienter zu werden. Unser Messetrio ist<br />

die richtige Plattform, um sich über diese Themen<br />

auszutauschen und Projekte voranzutreiben.“<br />

Produktneuheiten und<br />

Weiterentwicklungen<br />

Der Aussteller Index-Werke präsentiert den Intec-<br />

Besuchern das neue Dreh-Fräszentrum Traub<br />

TNX220, das laut Hersteller unter anderem mit einer<br />

erweiterten Drehlänge von 900 mm einen Leistungssprung<br />

vollziehe. Ein stabiler Maschinenaufbau,<br />

dynamische Achsen sowie einfach in der Bedienung<br />

– nach Angaben von Emag sind das die Eckpunkte<br />

der vertikalen Drehmaschine VL 2, die auf der Messe<br />

zu sehen ist. Die Industrie-Partner GmbH bringt Robo<br />

Operator mit nach Leipzig. Dabei handelt es sich um<br />

eine Roboterzelle, die CNC-Werkzeugmaschinen<br />

auto matisiert.<br />

Auch an den Messeständen der Zuliefermesse Z sind<br />

Neuheiten zu sehen. Das Unternehmen all-tight Gewindesicherung<br />

reist mit einer Weltpremiere an: Ihre<br />

Gewindesicherung wird aus Rohstoffen hergestellt,<br />

die sonst in der Chirurgie zur Anwendung kommen.<br />

Das soll Ressourcen ohne Abstriche in der Qualität<br />

schonen, teilt der Aussteller mit. Am Messestand von<br />

Cold Jet können sich die Fachbesucher über das Angebot<br />

an Oberflächenvorbereitungs- und Reinigungslösungen<br />

informieren – dazu zählen die Reinigungssysteme<br />

PCS 60 und i3 Microclean 2.<br />

Auf der Grindtec zeigt unter anderem Bruker Alicona<br />

eine Neuheit: Bauteile können mit dem neuen<br />

3D-Messinstrument Infinite Focus G6 unabhängig<br />

von Größe, Material, Geometrie, Gewicht und Oberflächenbearbeitung<br />

flächenbasiert und hochauf -<br />

lösend gemessen werden. Heinz Berger Maschinenfabrik<br />

stellt die neue Generation der Peripherie-<br />

Schleifmaschine RFS/RT/NT vor. Die Schleifmaschine<br />

erzielt, so der Aussteller, einen Flächen- und/oder<br />

Fasen schliff an Rundmessern, Sägeblättern und<br />

Ronden im Pendel- oder Einstichverfahren. Aufgrund<br />

einer zusätzlichen Schleifachse können Folgeschliffe<br />

in einer Aufspannung abgearbeitet werden. So kann<br />

in einem Arbeitszyklus die Oberfläche des Werkstücks<br />

plan geschliffen und eine Wate an die Schneide<br />

angearbeitet werden, berichtet das Unternehmen.<br />

(ys)<br />

Der Messeverbund<br />

Intec , Z und Grindtec<br />

bildet vom 7. bis 10.<br />

März auf der Leipziger<br />

Messe die komplette<br />

Wertschöpfungskette<br />

der Metallbearbeitung<br />

ab.<br />

Bild: Leipziger Messe/Tom Schulze<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 49


» START UP<br />

Bei Orderspot hinterlegen Hersteller ihre Kalkulationsparameter und das<br />

Start-up errechnet auf deren Basis in Sekunden die Angebote.<br />

Bild: I Viewfinder/stock.adobe.com<br />

Angebote von mehreren Lohnfertigern schnell vergleichen<br />

Beim Einkauf bleibt<br />

die Entscheidungshoheit<br />

Der Online-Marktplatz Orderspot bietet eine Plattform, um individuelle Laserund<br />

Biegeteile schneller bei bestehenden oder neuen Lieferanten anzufragen.<br />

Der Marktplatz will den Prozess der Auftragsvergabe vereinfachen und Anwenderinnen<br />

und Anwendern dennoch freie Wahl bei seiner Entscheidung lassen.<br />

Smartphones, Computer, Büroausstattung oder<br />

auch C-Teile wie Schrauben – die Preise solcher<br />

Produkte sind in Shops und auf Vergleichsportalen<br />

sofort ersichtlich. In der verarbeitenden Industrie<br />

werden vielfach Zeichnungsbauteile benötigt. Dennoch<br />

kann es sich hier nach wie vor aufwendig gestalten,<br />

einen Preis für die oft simplen Fertigungsbauteile<br />

zu bekommen: Lieferantenauswahl, Preisanfrage,<br />

Bestellung, Beantwortung von Rückfragen.<br />

Dieser Problematik ist sich Martin Lenter bewusst:<br />

„In der Industrie kann das immer noch viel Zeit in<br />

Anspruch nehmen. In der Regel dauert das mehrere<br />

Tage, manchmal auch Wochen. Ist man ein sehr<br />

guter Kunde, bekommt man vielleicht auch mal<br />

inner halb von zwei bis drei Stunden ein Angebot.“<br />

Lenter ist Co-Gründer sowie CSO von Orderspot,<br />

einem Online-Marktplatz für Laser- und Biegeteile,<br />

und unter anderem für den Vertrieb verantwortlich.<br />

Er kennt die Herausforderung aus erster Hand. Als<br />

gelernter Handwerker und Ingenieur hat er viele Jahre<br />

Produktionserfahrung gesammelt. Gegründet hat<br />

er das Unternehmen gemeinsam mit Denis<br />

Westermeyer, Co-Gründer und<br />

CEO, in Münster. Als Wirtschaftsinformatiker<br />

hat Westermeyer<br />

langjährige Erfahrung<br />

als<br />

SAP-Consultant<br />

50 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


Bild: Orderspot<br />

Anwender laden eine<br />

Datei hoch und ergänzen<br />

die notwendigen<br />

Angaben zu Material,<br />

Werkstoffdicke und<br />

Oberfläche. Anschließend<br />

zeigt Orderspot<br />

passende Angebote an.<br />

und verantwortet heute die Bereiche Finanzen und<br />

Technologie des jungen Unternehmens.<br />

Zuerst haben sich die beiden ein Bild vom Markt verschafft.<br />

Lenter zufolge gibt es einen „Vorreiter“, der<br />

mehrere Werke betreibt und das Angebotsschreiben<br />

digitalisiert hat. Der Kunde kann den Stahl, die Oberfläche<br />

sowie Nachbearbeitungsschritte auswählen<br />

und erhält nach Liefertermin gestaffelte Preise.<br />

Diesen Weg sind auch kleinere Betriebe gegangen.<br />

Entsprechende Anbieter implementieren dafür ihre<br />

Software auf der Website der<br />

Lohnfertiger. Lenter: „Beide<br />

haben das Problem, dass sie<br />

nicht machen, was der Kunde<br />

eigentlich will: Angebote von<br />

mehreren Firmen schnell vergleichen.“<br />

Bei beiden Varianten<br />

müsse der Anwender erst<br />

bei Webseite A alles hochladen,<br />

dann bei Website B usw.<br />

Außerdem gibt es Unternehmen,<br />

welche Konfiguration,<br />

Anfrage, Bestellung und Lieferung<br />

von Metallteilen in einem digitalen Prozess abbildet.<br />

Dieses Modell unterscheidet sich von den<br />

oben genannten dadurch, dass das Unternehmen<br />

selbst kein Hersteller ist und die Aufträge innerhalb<br />

seines Fertigungsnetzwerks vergibt.<br />

Vergleich von Zeichnungsteilen<br />

Orderspot möchte dem Kunden aber nicht nur das<br />

eine , möglicherweise genau passende Angebot<br />

anzeigen , sondern einen Vergleich für Laser- und<br />

Biegeteile bieten. Seit Frühjahr 2021 ist der Online-<br />

Marktplatz live. Lenter: „Der Anwender braucht eine<br />

Plattform, wo er die Bauteilzeichnung hochladen<br />

kann und wie bei Check 24 Anbieter<br />

mit Preis, Entfernung<br />

»Beide Modelle haben<br />

das Problem, dass sie<br />

nicht machen, was der<br />

Kunde eigentlich will:<br />

Angebote von<br />

mehreren Firmen<br />

schnell vergleichen.«<br />

Martin Lenter<br />

und Liefertermin aufgelistet sieht.“ Das läuft wie<br />

folgt ab:<br />

1. Upload der CAD-Datei: Aktuell wird für das<br />

Hochladen der Bauteilzeichnung das DXF- und das<br />

STEP-Format unterstützt.<br />

2. Dateneingabe: Für jedes Bauteil kann das Material<br />

und die Blechstärke bestimmt sowie die Ober -<br />

flächenqualität ausgewählt werden. Zur Auswahl<br />

stehen die Materialien, die mindestens einer der teilnehmenden<br />

Lieferanten anbietet. Außerdem wird die<br />

benötigte Menge eingegeben.<br />

Einige Hersteller haben einen<br />

Mindestbestellwert.<br />

3. Lieferzeitpunkt wählen:<br />

Orderspot berücksichtigt die<br />

Fertigungskapazitäten der<br />

Fertiger und stellt dem Anwender<br />

anschließend die in<br />

Frage kommenden Hersteller<br />

zur Auswahl. Durch die Auswahl<br />

eines späteren Liefertermins<br />

erhöht sich in der Regel<br />

die Anzahl der Optionen.<br />

4. Vergleich und Auswahl: Orderspot ermittelt auf<br />

Basis der Herstellerdaten (z. B. Materialien, Maschinen,<br />

Kapazität, Stundesatz, Laserschneidparamter,<br />

usw.) die Angebotspreise und Lieferzeiten für alle in<br />

Frage kommenden Fertiger. Die Auswahl des geeigneten<br />

Angebots kann der Käufer selbst treffen. Kunden-Lieferanten-Beziehungen<br />

können so beibehalten<br />

werden. Die Ergebnisse lassen sich nach Preis, Lieferdatum<br />

und Entfernung sortieren. Zukünftig soll es<br />

auch möglich sein, nach Bewertungen zu filtern.<br />

5. Bestellung: Sobald der passende Hersteller gefunden<br />

wurde, kann die Bestellung über den Marktplatz<br />

abgeschlossen werden. Der Auftrag kommt direkt<br />

zwischen Käufer und dem gewünschten Lieferanten<br />

zustande. Die Auftragsbestätigung des Herstellers<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 51


» START UP<br />

berechnet. Diese Provision wird vom Hersteller gezahlt.<br />

Der Käufer zahlt nur den angezeigten Betrag.<br />

„Jeder soll an der Leistung verdienen, die er erbringt.<br />

Unsere Leistung ist es, schnell zu kalkulieren“, sagt<br />

Denis Westermeyer. Eine Schnittstelle (API) zur Anbindung<br />

an ERP-Systeme bietet Orderspot derzeit<br />

nicht an. Diese ist aber für die Zukunft geplant.<br />

Bilder: Orderspot<br />

Denis Westermeyer (l.),<br />

Co-Founder und CEO,<br />

und Martin Lenter,<br />

Co-Founder und CSO,<br />

von Orderspot.<br />

erhalten die Käufer unmittelbar im Anschluss. „Durch<br />

die Prüfung von Orderspot hat der Hersteller die<br />

Sicherheit , dass die Dateien zumindest so gut sind,<br />

dass wir danach kalkulieren konnten. Er kann damit<br />

arbeiten und muss nicht erst beim Kunden anrufen“,<br />

erklärt Lenter.<br />

Weiter auf Wachstumskurs<br />

Inzwischen sind mehr als 50 Hersteller Teil des<br />

Marktplatzes und bieten <strong>aktuell</strong> über 500 Materialkombinationen<br />

und 28 Legierungen an. Dass die<br />

angebotenen Materialien variieren liegt daran, dass<br />

jeder Hersteller selbst bestimmt, welches Material er<br />

anbietet. Beim Aufruf der Plattform sind Anfang<br />

Februar verschiedene Edelstähle, Bau-/Schwarzstähle,<br />

Aluminium, Kupfer und Messing gelistet. Lenter:<br />

„1200 Hersteller haben wir deutschlandweit in der<br />

Datenbank. Für uns ist aber jeder Betrieb ein potenzieller<br />

Hersteller, der einen Laser hat. Davon müsste<br />

es bestimmt 2000 bis 2500 geben. Viele machen aber<br />

keine Fremdfertigung oder sagen, dass sie keinen<br />

Marktplatz brauchen.“<br />

Inzwischen ist Orderspot auch auf Messen zu finden.<br />

Relevant für das Start-up sind die Blechexpo in<br />

Stuttgart, die Euroblech in Hannover und die FMB-<br />

Messen. „Das ist ein guter Weg, da man direkt den<br />

Mehrwert erklären kann“, berichtet Lenter. „Es ist<br />

schwierig, etwas zu verkaufen, was es so noch nicht<br />

gibt. Wenn jemand von einer gebogenen Frucht<br />

spricht, stellt sich jeder eine Banane vor. Wir haben<br />

aber keine Bananen. Wir machen etwas anderes. Das<br />

Beste ist, wenn wir sagen, wir sind ein ‚Check 24‘ für<br />

Laserteile. Das kommt am schnellsten an.“ Die Kunden<br />

kommen heute primär aus dem Maschinenbau,<br />

Sonderanlagenbau, Werkzeugbau und Metallbau.<br />

Weder die Kunden noch die Hersteller zahlen bei<br />

Orderspot Anmeldegebühren oder laufende Kosten.<br />

Aber wie finanziert sich das Start-up? Für jede<br />

Bestellung und Bestellposition werden fünf<br />

Euro Provision sowie 0,1 Prozent<br />

vom Auftragswert<br />

Versand der Bauteile<br />

Bei kleinen Mengen berechnet Orderspot immer einen<br />

Postversand für den Hersteller. Lassen sich die<br />

Bauteile in maximal fünf Postpakete verpacken,<br />

werden die Versandkosten direkt ausgewiesen. Die<br />

Versandbedingungen der Hersteller finden sich in<br />

den Auftragsdetails. Die Verpackung ist inklusive. Für<br />

größere Aufträge oder Bauteile soll die Einbindung<br />

eines Logistiknetzwerks folgen. Westermeyer: „Wir<br />

zeigen dem Kunden den Inklusive-Preis an und<br />

buchen , wenn gewünscht, die Spedition direkt bei<br />

Auftragserteilung für den Hersteller. Dieser kann<br />

dann bis zu 24 Stunden vorher die Spedition wieder<br />

abbestellen oder umbestellen, wenn er es zu dem angegebenen<br />

Termine nicht schafft. So ist es geplant.“<br />

Zum Ende des vergangenen Jahres hat Orderspot<br />

Verbesserungen seiner Plattform bekanntgegeben.<br />

Das benötigte Material soll nun noch genauer berechnet<br />

werden, weshalb der Auftrag in vielen Fällen<br />

günstiger wird. Je nachdem, wie die Bauteile auf der<br />

Platte verschachtelt und ausgeschnitten werden,<br />

steigt oder sinkt der Ressourcenverbrauch. Zusätzlich<br />

wurden Splittingaufträge eingeführt. Hierbei wird<br />

geprüft, ob sich ein Auftrag in Teilaufträge splitten<br />

lässt. Das kann zu niedrigeren Preisen führen, indem<br />

der Auftrag ohne Mehraufwand an mehrere Hersteller<br />

vergeben wird. Außerdem können Einkäufer so Angebote<br />

für eine Anfrage erhalten, die von keinem einzelnen<br />

Hersteller vollständig erfüllt werden kann.<br />

Yannick Schwab, <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong><br />

Der B2B-Marktplatz bietet auch die Kalkulation für Biegeteile<br />

an. Anwender benötigen dazu eine STEP-Datei.<br />

Bild: Aleksandr Matveev/stock.adobe.com<br />

52 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


FERTIGUNGSTECHNIK «<br />

Einführung am Hauptsitz, Roll-out auf alle Standorte<br />

Automobilzulieferer setzt auf<br />

digitales Toolmanagement<br />

Die Gnutti Carlo Group mit Hauptsitz in Italien ist ein global agierender Zulieferer in den<br />

Bereichen Automotive, E-Mobilität und Schwerindustrie mit rund 4000 Mitarbeitern und<br />

14 Standorten. Für die Digitalisierung des Toolmanagements setzt die Unternehmensgruppe<br />

auf die kollaborativen Softwarelösungen der Mapal-Tochter C-Com.<br />

Der Verbrauch von Zerspanungswerkzeugen<br />

stellt einen nennenswerten<br />

Ausgabenblock dar und ist für uns daher<br />

ein strategisch wichtiges Element, um am<br />

Markt wettbewerbsfähig zu sein“, unterstreicht<br />

Paolo Buizza, Senior Process Engineer<br />

der Gnutti Carlo Group, die Bedeutung<br />

des Werkzeugmanagements. „In der<br />

Entwicklung und Verbesserung von industriellen<br />

Prozessen nehmen Werkzeuge sowohl<br />

im Hinblick auf die Kosten als auch<br />

auf die Leistungsfähigkeit der Produktion<br />

eine Schlüsselfunktion ein.“ Eine Aufgabe,<br />

die durch das Wachstum der Firmengruppe<br />

und die unterschiedlichen Organisationsstrukturen<br />

noch verstärkt wurde. Ein<br />

präzises Management der Werkzeugthemen<br />

wurde notwendig. „Jeder Standort<br />

hat ein hervorragendes Level an technologischer<br />

Kompetenz“, unterstreicht Buizza ,<br />

„aber es ist uns noch nicht gelungen,<br />

Best-Practice-Abläufe bei allen Standorten<br />

zu implementieren.“<br />

Drei wesentliche Faktoren haben den<br />

Ausschlag dafür gegeben, eine digitale<br />

Toolmanagementlösung einzuführen:<br />

• Das Nutzen von Synergien durch ein<br />

System, das verschiedene Datenquellen<br />

integriert und auswertet. Die Vereinheitlichung<br />

der Werkzeugverwaltung<br />

soll die Möglichkeiten für Verbesserungen<br />

und Rationalisierungen steigern.<br />

• Die Erhöhung der Ressourceneffizienz<br />

durch ein flexibles und nutzerfreundliches<br />

Managementsystem spielte eine<br />

wichtige Rolle. Die Mitarbeiter sollen<br />

sich auf die Analyse und Einführung<br />

von Verbesserungen konzentrieren, anstatt<br />

sich mit verwaltenden Tätigkeiten<br />

zu beschäftigen.<br />

• Die Einführung eines Systems zur<br />

Daten sammlung mit einer Schnittstelle<br />

schafft Kapazität für das Monitoring<br />

der ‚Cost per Part‘ auf verschiedenen<br />

Ebenen. Ähnliche Bearbeitungen innerhalb<br />

der Gruppe werden vergleichbar,<br />

technologische Verbesserungen durch<br />

das Duplizieren von Prozessen von<br />

Standort zu Standort vereinfacht.<br />

Implementierung in drei<br />

Schritten<br />

Nach der Evaluierungsphase entschied<br />

sich die Gnutti Carlo Group mit der<br />

C-Com GmbH als Partner ein digitales<br />

Toolmanagement einzuführen. Den Ausschlag<br />

gaben die technische Infrastruktur,<br />

der breite Scope und die Flexibilität der<br />

Software, die Integrationsmöglichkeit<br />

Die Gnutti Carlo Group führt das digitale Tool -<br />

management von c-Com für alle Zerspanungswerkzeuge<br />

und andere Komponenten im Fertigungsumfeld ein.<br />

Bild: C-Com<br />

verschiedener Standorte und die wirtschaftliche<br />

Wettbewerbsfähigkeit.<br />

„Wir freuen uns darauf, mit unserem<br />

kombinierten Know-how in Sachen Präzisionswerkzeuge,<br />

IT und OT das Toolmanagement<br />

der Gnutti Carlo Group weltweit<br />

auf ein neues Niveau zu heben“, unterstreicht<br />

Giari Fiorucci, Geschäftsführer<br />

der C-Com GmbH. Im ersten Schritt steht<br />

die Definition der Basisstruktur auf dem<br />

Plan, also die Festlegung der Master Data,<br />

der Klassifikationen, der logistischen Abläufe<br />

etc. Das System wird im zweiten<br />

Schritt am Hauptsitz in Maclodio eingeführt,<br />

getestet und kalibriert. „Zusammen<br />

mit dem dritten Step, dem Roll-out auf<br />

alle übrigen Standorte, kalkulieren wir eine<br />

Projektlaufzeit von etwa drei Jahren“,<br />

umreißt Fiorucci das Gesamtprojekt. (ys)<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 53


» ZULIEFERUNG<br />

Ralf Bühler, CEO, Conrad Electronic SE<br />

„Als <strong>Beschaffung</strong>splattform bieten<br />

wir mehr als nur Produkte“<br />

In diesem Jahr feiert Conrad Electronic sein 100-jähriges Bestehen. In den vergangenen<br />

Jahren hat sich das Familienunternehmen vom klassischen Technikhändler zur<br />

<strong>Beschaffung</strong>s plattform für technischen Bedarf gewandelt. Unter der Leitung von Ralf<br />

Bühler baut Conrad seinen Geschäftskundenbereich und seine digitalen Angebote<br />

dynamisch aus. Welche Weichenstellungen auf dem Weg in die Plattformökonomie<br />

wichtig waren und welche Schritte folgen, verrät Ralf Bühler im Gespräch.<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>: Herr Bühler,<br />

welche Rolle spielt der Geschäftskundenbereich<br />

für Conrad?<br />

Ralf Bühler: Das Geschäftsfeld Conrad<br />

Business Supplies wurde 1998 gegründet,<br />

um verstärkt den B2B-Markt anzusprechen.<br />

Schon damals wurde ein eigener<br />

Katalog speziell für diese Kundengruppe<br />

aufgelegt. In den vergangenen Jahren haben<br />

wir unseren Fokus dann vermehrt und<br />

mittlerweile ganz gezielt auf Geschäftskunden<br />

und das digitale Geschäft verlagert.<br />

Unter diesem Zeichen steht auch<br />

unser Wandel zur <strong>Beschaffung</strong>splattform<br />

für technischen Bedarf. Eingeläutet wurde<br />

sie 2017 mit dem Launch unseres<br />

kuratierten Online-Marktplatzes für<br />

Geschäftskunden . Seitdem haben wir<br />

unser Plattformangebot sowohl in puncto<br />

Sortiment als auch in puncto digitale<br />

Services dynamisch ausgebaut, so dass<br />

CEO Ralf Bühler leitet seit 2021 die Geschicke von Conrad Electronic.<br />

Bild: Daniel Tkatsch<br />

54 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


Bild: Conrad Electronic<br />

Von Wernberg in die Welt: Im Schnitt verlassen 50.000 Pakete pro Tag das Conrad Logistikzentrum.<br />

ich Stand heute sagen kann: Wir haben<br />

den Großteil unserer Transformation geschafft<br />

und sind auf dem Weg zur führenden<br />

europäischen <strong>Beschaffung</strong>splattform<br />

für technischen Bedarf.<br />

Welche Branchen adressieren Sie?<br />

Bühler: Mit der Conrad Sourcing Platform<br />

decken wir den kompletten Bereich<br />

des technischen Bedarfs ab. Wir<br />

sind breit genug aufgestellt, um<br />

mit über sieben Millionen Produktangeboten<br />

Unternehmen<br />

aller Branchen zu bedienen, die<br />

B- und C-Teile einfach und<br />

schnell aus einer Hand beschaffen<br />

wollen. Unser Angebot ist aber nicht<br />

nur umfangreich, sondern weist auch die<br />

erforderliche Sortimentstiefe auf: Wir<br />

können zum Beispiel flexible Bedarfe<br />

beim Prototyping in Forschung und Entwicklung<br />

decken. Wir sind ein verlässlicher<br />

<strong>Beschaffung</strong>spartner für MRO-Profis.<br />

Und auch hochpreisige Investitionsgüter<br />

wie Industriedrohnen oder Cobots<br />

sind auf unserer Plattform erhältlich.<br />

»Unternehmen jeder Größe haben<br />

die Möglichkeit, sich elektronisch<br />

an unsere Plattform anzubinden.«<br />

Wie gelingt es, verschiedene Kundenanforderungen<br />

bei der <strong>Beschaffung</strong> zu berücksichtigen?<br />

Bühler: Effiziente <strong>Beschaffung</strong> zeichnet<br />

sich durch ein hohes Maß an Digitalisierung<br />

aus. Hier kommen wir mit unseren<br />

E-Procurement-Lösungen ins Spiel. Nach<br />

wie vor kann bei Conrad im Online-Shop<br />

eingekauft werden – mit speziellen Optionen<br />

für Geschäftskunden. Wir bieten<br />

Unternehmen aller Größen aber auch die<br />

Möglichkeit, sich elektronisch an unsere<br />

Plattform anzubinden. Unternehmen, die<br />

über ein ERP-System verfügen, können<br />

über OCI/PunchOut oder E-Katalog auf<br />

unser Sortiment zugreifen und dafür die<br />

Anbindung ihrer Wahl nutzen. Unternehmen<br />

ohne eigenes Warenwirtschaftssystem<br />

stellen wir unsere browserbasierte<br />

Lösung Conrad Smart Procure (CSP) zur<br />

Verfügung, die einfach zu nutzen ist und<br />

auf jedem Endgerät läuft. Dabei profitieren<br />

auch diese beiden Kundengruppen<br />

von der zusätzlichen Artikel- und Konditionenauswahl<br />

aus der breiten Welt des<br />

Conrad Marketplace. Auch dieses erweiterte<br />

Sortiment erwerben sie von Conrad<br />

selbst – also aus einer Hand – so dass keine<br />

zusätzlichen Kreditoren angelegt<br />

werden müssen.<br />

Wie gewährleisten Sie im Zuge<br />

anhaltender Engpässe Ihre<br />

Liefer fähigkeit?<br />

Bühler: Gerade in Zeiten von<br />

Lieferkettenstörungen und Materialengpässen<br />

profitieren wir von unserer<br />

100-jährigen Erfahrung als Händler und<br />

Distributor: Unser Einkauf ist weltweit<br />

bestens vernetzt. Wir können also auf ein<br />

internationales Lieferantennetzwerk zurückgreifen,<br />

um Warenverfügbarkeit bestmöglich<br />

aufrechtzuerhalten und Sicherheitsbestände<br />

zu gewährleisten. Gleichzeitig<br />

bauen wir das Netzwerk unserer<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 55


» ZULIEFERUNG<br />

Bild: TQ-Systems<br />

Mit seinem Cobot-Angebot adressiert Conrad Industriekunden und Handwerksbetriebe.<br />

Partner ständig aus, um eine noch größere<br />

Auswahl an Produkten bereithalten zu<br />

können. Seit geraumer Zeit bieten wir auf<br />

conrad.de außerdem proaktiv Alternativen<br />

an, sollte ein bestimmter Artikel nicht<br />

verfügbar sein. Und es gibt den Conrad-<br />

<strong>Beschaffung</strong>sservice, der sich im Fall der<br />

Fälle stellvertretend für unsere Kunden<br />

weltweit auf Produktsuche begibt.<br />

In welchem Ausmaß spüren Ihre Kunden<br />

die steigenden Kosten der Hersteller?<br />

Bühler: Auch wir können uns der generellen<br />

Marktlage leider nicht entziehen<br />

und sehen uns nach wie vor mit Preiserhöhungen<br />

unserer Zulieferer konfrontiert.<br />

Auslöser sind vornehmlich gestiegene<br />

Rohstoff- und Energiepreise sowie zusätzliche<br />

Aufwände durch Lieferengpässe.<br />

Wir versuchen mit höheren Abnahmemengen<br />

und Lagerbeständen die Verkaufspreiserhöhungen<br />

zeitlich zu schieben<br />

und so moderat wie möglich für<br />

unsere Kunden anzusetzen.<br />

Welche Rolle spielt E-Commerce inzwischen<br />

in der B2B-<strong>Beschaffung</strong>?<br />

Bühler: E-Commerce spielt im B2B-Bereich<br />

eine immer wichtigere Rolle und<br />

Corona hat diese Dynamik noch einmal<br />

zusätzlich gepusht. Über zwei Millionen<br />

Geschäftskunden allein in Deutschland<br />

verlassen sich auf Conrad als <strong>Beschaffung</strong>spartner<br />

und vertrauen auf ein im-<br />

mer größer werdendes Online-Angebot:<br />

Vor der Einführung des Conrad Market -<br />

place im Jahr 2017 haben wir auf conrad.de<br />

ein rund 800.000 Artikel umfassendes<br />

Sortiment angeboten. Heute sind wir bei<br />

über sieben Millionen Produktangeboten<br />

von mehr als 650 Herstellern und Distributoren.<br />

Auch international bewährt sich<br />

unsere Strategie: 2021 haben wir einen<br />

Conrad Marketplace in Österreich gelauncht,<br />

vergangenes Jahr kamen die<br />

Niederlande und Italien dazu. Weitere<br />

Länder werden folgen. Natürlich haben<br />

wir im Zuge der Internationalisierung<br />

auch die Möglichkeiten der Cross-<br />

Border-<strong>Beschaffung</strong> im Blick, um den<br />

reibungslosen Einkauf von Waren über<br />

Landesgrenzen hinweg zu ermöglichen.<br />

Besonders stolz sind wir, dass wir im<br />

E-Procurement-Bereich bereits über<br />

3000 Unternehmen in Deutschland angebunden<br />

haben. In diesem Jahr wollen wir<br />

hier erneut um 20 Prozent wachsen.<br />

Einfach nur Technik verkaufen war<br />

gestern . Was zeichnet eine umfassende<br />

Plattformökonomie aus?<br />

Bühler: Als <strong>Beschaffung</strong>splattform haben<br />

wir deutlich mehr zu bieten als nur<br />

Produkte. Wir verstehen uns als Lösungsanbieter,<br />

dessen Kernangebot sich aus<br />

drei Säulen zusammensetzt: Erstens aus<br />

einem großen Sortiment mit hoher Verfügbarkeit,<br />

zweitens aus kundenzentrier-<br />

ten Lösungen etwa im Bereich E-Procurement,<br />

um Einkaufsprozesse wirtschaftlicher<br />

zu gestalten, und drittens aus fachkompetenter<br />

Beratung sowie persönliche<br />

Betreuung. Unser Filialangebot für<br />

Geschäfts kunden verstehen wir als Verlängerung<br />

dieses Online-Angebots. Zusätzlich<br />

zu unserem Profistore in Hürth<br />

bei Köln eröffnen deshalb in Regensburg<br />

und Mannheim demnächst zwei weitere<br />

B2B-Filialpiloten. Sie sollen die Conrad<br />

Sourcing Platform mit unterstützenden<br />

Vor-Ort-Services ergänzen, indem sie<br />

direkte Bedarfsdeckung vor Ort ermöglichen<br />

und die Gelegenheit bieten, beispielsweise<br />

einen Cobot auszuprobieren.<br />

Welche Rolle spielt das Thema Roboter<br />

für Conrad? Stehen Cobots als „Einsteiger-Roboter“<br />

besonders im Vordergrund?<br />

Bühler: Ja, <strong>aktuell</strong> ist das so. Mit unserem<br />

Cobot-Angebot adressieren wir in<br />

erster Linie unsere Industriekunden, sehen<br />

aber auch Potenzial für Handwerksbetriebe.<br />

Insbesondere bei kleinen und mittelständischen<br />

Unternehmen möchten wir<br />

ein Bewusstsein dafür schaffen, dass<br />

Cobots eine erschwingliche und handhabbare<br />

Möglichkeit zur praxisnahen Automatisierung<br />

bieten und sich einfach und<br />

schnell in bestehende Produktions- oder<br />

Logistikumgebungen integrieren lassen.<br />

Die Vorteile, aber auch mögliche Hindernisse<br />

bei der Integration in den Unternehmensalltag<br />

haben wir in Ratgebern und in<br />

einem Whitepaper zusammengetragen,<br />

das in Zusammenarbeit mit der RWTH<br />

Aachen entstanden ist.<br />

Unser Ziel ist es, interessierte Unternehmen<br />

bei der Auswahl ihres Cobots aktiv zu<br />

unterstützen. Zu diesem Zweck haben wir<br />

auch einen Cobot-Finder entwickelt, um<br />

verschiedene Cobot-Modelle zu vergleichen<br />

und zu bewerten. Ganz neu bieten<br />

wir über unseren Marktplatz außerdem<br />

auch die Dienstleistung „Safety Dialog”<br />

an, also eine digitale oder Vor-Ort-Beratung<br />

zum Thema Roboter-Konzept durch<br />

einen Sachverständigen für Maschinen -<br />

sicherheit.<br />

Das Interview führte Yannick Schwab,<br />

Redakteur <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong><br />

56 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


C-TEILE-MANAGEMENT<br />

Bild: Mediaparts/stock.adobe.com<br />

Die stärksten Preis -<br />

anstiege für 2023<br />

erwarten die Rohstoffanalysten<br />

bei Zinn,<br />

Kobalt und Stahl.<br />

IHR PRODUKTIONS-<br />

PROZESS LÄUFT<br />

Entwicklung auf den Rohstoffmärkten<br />

Lithiumpreis soll sinken<br />

Das Rohstoff-Jahr 2022 war vor allem durch den Krieg in der<br />

Ukraine und die Sanktionen der westlichen Länder gegen<br />

Russland geprägt. Bemerkbar machte sich das insbesondere<br />

bei Energieträgern und Metallen. Das sind Ergebnisse des<br />

Preistrend- und des Preismonitors der Bundesanstalt für<br />

Geowissenschaften und Rohstoffe.<br />

Infolge der Sanktionen wurden Rohstoffe<br />

russischer Herkunft am Weltmarkt<br />

mit erheblichen Abschlägen gehandelt.<br />

So lag der Preis für russisches<br />

Ferrotitan im Juni 2022 etwa 40 Prozent<br />

unterhalb des Weltmarktpreises. Auch die<br />

gestiegenen Energiekosten haben weitreichende<br />

Auswirkungen auf die Rohstoffmärkte.<br />

Insbesondere in Europa haben<br />

infolge der hoher Energiepreise viele<br />

Hütten den Betrieb gedrosselt oder eingestellt.<br />

Der Metallbedarf wurde über Lager -<br />

bestände gedeckt. Diese befinden sich<br />

derzeit auf einem sehr niedrigen Niveau.<br />

Die Deutsche Rohstoffagentur (DERA) in<br />

der Bundesanstalt für Geowissenschaften<br />

und Rohstoffe (BGR) analysiert und bewertet<br />

die internationalen Rohstoffmärkte.<br />

Einen wichtigen Teil stellt dabei der<br />

Preismonitor dar. Darüber hinaus veröffentlicht<br />

die BGR in Kooperation mit Consensus<br />

Economics alle sechs Monate den<br />

Preistrendmonitor.<br />

Lkw-Streik lässt Preis für<br />

Legierung steigen<br />

Die Preise der im Preismonitor enthaltenen<br />

Rohstoffe sind im Dezember 2022<br />

gegenüber dem Vormonat im Schnitt um<br />

1,7 Prozent gestiegen. Neben Eisenerz<br />

(+19 %) und den Stahlveredlern (+6,3 %)<br />

haben insbesondere die Edelmetalle und die<br />

LME-Basismetalle mit je rund acht Prozent<br />

am deutlichsten zulegt. Die größten Preisrücksetzer<br />

waren bei den Energierohstoffen<br />

(-13,4 %) und der Platingruppe (-2,3 %) zu<br />

beobachten. Die stärksten Anstiege verzeichneten<br />

Ferromolybdän (+27 %), Eisenerz<br />

(+19 %), Molybdän (+15,5 %) und Nickel<br />

(+14 %). Der Anstieg bei Ferromolybdän<br />

wird laut Preismonitor auf die Arbeitsniederlegung<br />

der südkoreanischen Lkw-<br />

Fahrer zurückgeführt. Der Streik habe zu<br />

Lieferunterbrechungen und damit zu<br />

Preissteigerungen geführt. Südkorea ist<br />

für Europa der wichtigste Lieferant von<br />

Ferromolybdän. Bei den Recyclingrohstoffen<br />

bewegten sich die meisten Notierungen<br />

laut der DERA zwischen –2,7 und +4,5<br />

Prozent. Mehrheitlich stiegen die Preisnotierungen<br />

der Recyclingrohstoffe oder bewegten<br />

sich auf dem Vormonatsniveau.<br />

Die von Consensus Economics befragten<br />

Rohstoffanalysten sehen für 2023 vor allem<br />

bei dem Batterierohstoff Lithium die<br />

größten Preisrückgänge, gefolgt von den<br />

Titanmineralkonzentraten Rutil und Ilmenit.<br />

Die stärksten Anstiege werden bei Zinn,<br />

Kobalt und Stahl, die geringsten Preisbewegungen<br />

werden bei Kupfer erwartet. (ys)<br />

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<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 57


» ZULIEFERUNG<br />

Finanzierungsmodell für den Materialeinkauf<br />

Sicherer Nachschub ohne<br />

Liquiditätsprobleme<br />

Matthias Maier, Geschäftsführer bei der Progressio Feinblechtechnik, hat volle<br />

Auftragsbücher . Um das dafür benötigte Material einzukaufen, nutzt er das<br />

Finanzierungsmodell „Trade Finance“ der Trumpf-Bank. Die streckt ihm die<br />

Materialkosten vor und verschafft ihm so in Zeiten steigender Preise und<br />

unsicherer Marktlage Luft. Ein Erfahrungsbericht.<br />

Partner auf Augenhöhe:<br />

Matthias Maier (l.),<br />

Geschäftsführer der<br />

Progressio Feinblechtechnik<br />

GmbH und<br />

Joachim Dörr,<br />

Geschäftsführer der<br />

Bank und Leiter des<br />

Zentralbereich<br />

Financial Services bei<br />

Trumpf.<br />

Der Lkw rollt auf den Hof und liefert, was Matthias<br />

Maier dringend braucht: Heute sind es 15<br />

Tonnen Edelstahl, die seine Mitarbeiter bei der Progressio<br />

Feinblechtechnik GmbH im baden-württembergischen<br />

Aglasterhausen zu Blechteilen, Blechbaugruppen<br />

und Werkstückträgern verarbeiten. Die unsichere<br />

wirtschaftliche Lage, gestiegene Energiekosten,<br />

schwankende Materialverfügbarkeit und hohe<br />

Aufwendungen für den Einkauf machten auch ihm zu<br />

schaffen, wie er erzählt: „Wir verarbeiten zu einem<br />

sehr großen Teil Edelstahl. Das ist teuer und wir bleiben<br />

erst einmal auf den Ausgaben sitzen. Das Geld<br />

kommt erst dann wieder rein, wenn die fertige Ware<br />

ausgeliefert ist und unser Kunde bezahlt hat. Das<br />

kann schon mal einige Wochen dauern.“<br />

Als ihm Joachim Dörr, Geschäftsführer der Financial<br />

Services GmbH bei Trumpf, mit Trade Finance ein<br />

Bild: Trumpf<br />

neues Finanzierungsmodell speziell für den Materialeinkauf<br />

vorstellt, hört Maier deshalb ganz genau hin.<br />

„Unsere Kunden kämpfen mit massiven Materialpreisschwankungen<br />

und müssen aufgrund der nicht<br />

vorhersehbaren Verfügbarkeit häufig auf Vorrat<br />

kaufen “, erklärt Dörr und fährt fort: „Das macht die<br />

Kosten- und Angebotskalkulation schwierig und<br />

bindet bares Geld, das sie eigentlich dafür brauchen,<br />

Heraus forderungen wie beispielsweise steigende<br />

Energiekosten zu stemmen.“<br />

Hier setzt das neue Finanzierungsmodell Trade<br />

Finance an, wie Maier ergänzt: „Ich bestelle Material<br />

bei meinem Händler und der stellt die Rechnung<br />

direkt an die Trumpf-Bank, die sie sofort bezahlt. Ich<br />

bekomme dann von der Bank eine Rechnung mit<br />

einem Zahlungsziel, das auf das Zahlungsziel meines<br />

Kunden abgestimmt ist. Das heißt, ich bezahle mein<br />

Material erst, wenn mein Kunde seine Rechnung<br />

beglichen hat.“<br />

Hoher Auftragseingang bringt<br />

Herausforderungen mit sich<br />

2015 kauft Matthias Maier das damals insolvente<br />

Unternehmen Progressio, um es mithilfe grundlegender<br />

Umstrukturierungen wieder auf Kurs zu bringen.<br />

„Ganz oben auf meiner To-do-Liste steht die Produkttransformation“,<br />

sagt Maier und erklärt: „Wir<br />

haben uns auf die Fertigung anspruchsvoller Feinblechteile,<br />

die Konzeption und Konstruktion von<br />

Baugruppen sowie auf den Bau komplexer Werkstückträger<br />

für Fertigungslinien spezialisiert.“<br />

Zu den Kunden gehören Unternehmen aus der Medizin-<br />

und Pharmabranche, aber auch aus der Lebensmittelindustrie,<br />

der Logistik und der Automatisierung.<br />

„Diese Kunden zu gewinnen war ein hartes Stück<br />

Arbeit , aber in diesem Sommer hatten wir erstmals einen<br />

Auftragsbestand von über neun Millionen Euro“,<br />

erzählt er stolz. Der hohe Auftragseingang stellt Maier<br />

58 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


Das Unternehmen aus Aglasterhausen bietet die gesamte Prozesskette Blech<br />

und beliefert seine Kunden auch mit Baugruppen und Systemkomponenten.<br />

Bild: Trumpf<br />

Im Sommer 2022 verzeichnet der Bleichspezialist erstmals einen<br />

Auftragsbestand von über neun Millionen Euro.<br />

Bild: Trumpf<br />

Bild: Trumpf<br />

aber auch vor finanzielle Herausforderungen, denn für<br />

die Umstrukturierung der Firma waren umfangreiche<br />

Finanzierungshilfen durch seine Hausbank notwendig.<br />

„Da tut sich die Bank schwer, noch weitere Mittel,<br />

etwa für Material, locker zu machen“, erklärt Maier.<br />

Als gelernter Bankkaufmann zeigt er Verständnis:<br />

„Die haben ein branchenübergreifendes Portfolio und<br />

haben natürlich nicht die tiefen Einblicke, die nötig<br />

sind, um ein Unternehmen wie uns in vollem Umfang<br />

zu bewerten. Vor allem in schwierigen Zeiten zählen<br />

häufig nur harte Fakten.“ Andere Erfahrungen hat<br />

Maier mit der Trumpf-Bank gemacht. „Das ist ein<br />

Finanz partner, der die Blechbranche versteht. Als ich<br />

mit Progressio zweieinhalb Jahre nach dem Kauf<br />

endlich erstmals schwarze Zahlen schrieb und meinen<br />

Maschinenpark erneuern wollte, haben sie sich<br />

meine Aufstellungen angesehen, aber auch das, was<br />

ich bis dahin schon erreicht hatte“, erzählt er. „Sie<br />

waren überzeugt davon, dass ich es schaffe, das<br />

Unternehmen auf Erfolgskurs zu halten. Dieser Vertrauensvorschuss<br />

war die Grundlage unserer Geschäftsbeziehung<br />

und ist es noch heute.“<br />

Die Produktion läuft: Das Finanzierungspaket Trade Finance<br />

sorgt bei Progressio für sicheren Materialnachschub, ohne dass<br />

die Liquidität leidet.<br />

Das neue Finanzierungsmodell Trade Finance ist für<br />

den Geschäftsführer ein Beleg dafür, wie nützlich ein<br />

Finanzpartner vom Fach ist. „Es gibt auch in Zukunft<br />

noch viel zu tun, damit es bei Progressio gut läuft“,<br />

erklärt er. „Das hört nicht beim Produktportfolio auf.<br />

Es gilt, Prozesse zu verschlanken und Mitarbeiter zu<br />

schulen. Die Arbeitsvorbereitung präziser zu machen<br />

und natürlich neue Kunden zu gewinnen und bestehende<br />

durch noch bessere Liefertreue nachhaltig zu<br />

binden. Trade Finance nimmt mir eine echte Last von<br />

den Schultern. Ich kann mich mehr um die Firma<br />

kümmern und muss mich nicht mit der Finanzierung<br />

des Materials befassen.“<br />

Vom Test zum festen<br />

Finanzierungsbaustein<br />

Maier hat das Finanzierungspaket Trade Finance als<br />

Testkunde unter die Lupe genommen. Und auch bei<br />

anderen Kunden sei das Interesse groß, sagt Joachim<br />

Dörr: „Viele unserer Kunden sind verunsichert. Die<br />

Marktlage ist instabil. Das Thema Liquidität hat<br />

daher einen hohen Stellenwert. Mit Trade Finance<br />

bieten wir ihnen eine Entlastung.“<br />

Für Matthias Maier wird Trade Finance auch in<br />

Zukunft ein fester Finanzierungsbaustein bleiben.<br />

„Darüber freuen sich meine Finanzierer ebenso wie<br />

mein Stahlhändler. Er bekommt sein Geld sofort und<br />

hat mit einem Partner wie Trumpf kein Risiko“, sagt<br />

er und resümiert: „Mithilfe der Trumpf-Bank haben<br />

wir in den letzten Jahren unseren Maschinenpark<br />

auch um eine Stanz-Laser-Maschine Trumatic 7000<br />

sowie mehrere Biegemaschinen erweitert. Joachim<br />

Dörr und sein Team haben uns immer unterstützt –<br />

auch wenn die Zeiten schwierig waren. Die Stabilität<br />

und Solidität unserer Partnerschaft geben mir ein<br />

gutes Gefühl und Angebote wie Trade Finance zeigen<br />

mir, dass ich mit Menschen zusammenarbeite, die<br />

wissen, was mich umtreibt.“ (ys)<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 59


» BME AKTUELL<br />

Aktuelle Forschungsergebnisse von Hochschule Fulda und BME<br />

Logistikstudie: Digitalisierung in Supply Chains kommt voran<br />

Carsten Knauer, BME-Leiter Sektion Logistik.<br />

Bild: Jochen Günther/BME e.V.<br />

Das Management digitaler und automatisierter<br />

Lieferketten kommt in den Unternehmen<br />

des deutschsprachigen Raums<br />

weiter voran. Es gibt aber immer noch<br />

deutlich Luft nach oben, insbesondere für<br />

kleinere Betriebe. Das sind zentrale Ergebnisse<br />

der BME-Logistikstudie 2022<br />

„Digitalisierung in Supply Chains“.<br />

Die Online-Erhebung wurde gemeinsam<br />

vom Bundesverband Materialwirtschaft,<br />

Einkauf und Logistik e.V. (BME) und der<br />

Hochschule Fulda durchgeführt. An der<br />

Studie beteiligten sich 210 Führungskräfte<br />

aus Einkauf, Logistik und Supply Chain<br />

Management. Sie sind in den Branchen In-<br />

dustrie, Handel und Dienstleistung geschäftlich<br />

aktiv. Ziel der BME-Logistik-Studie<br />

war es, Transparenz in die <strong>aktuell</strong>e und<br />

geplante Umsetzung von Digitalisierungstechnologien<br />

in Supply Chains zu bringen.<br />

„Erfreulich ist, dass mehr als die Hälfte<br />

der befragten Betriebe innovative Digitalisierungstechnologien<br />

wie Clouds und<br />

APIs, Big Data Analytics, Roboter und Automatisierung,<br />

Künstliche Intelligenz sowie<br />

das Internet of Things innerhalb der<br />

nächsten fünf Jahre für sich nutzen wollen.<br />

Bei Clouds und APIs sowie Big Data<br />

Analytics planen dies sogar mehr als Dreiviertel<br />

der Studienteilnehmenden“, betont<br />

BME-Hauptgeschäftsführerin Dr.<br />

Helena Melnikov. Gleichzeitig gebe es<br />

aber auch noch innovative Tools, die für<br />

Supply Chains relevant sein können, aber<br />

deren Potenzial nicht oder nur unzureichend<br />

erkannt wird.<br />

„Mit Blick auf den Einsatz der von BME<br />

und Hochschule Fulda abgefragten Technologien<br />

berichteten uns die meisten Unternehmen<br />

über ihre zumeist positiven<br />

Erfahrungen. Die neuen digitalen Anwendungen<br />

trügen dort vor allem zu Kosteneinsparung,<br />

Zeitgewinn und Qualitätsverbesserung<br />

bei“, sagt Carsten Knauer,<br />

BME-Leiter Sektion Logistik. Interessant<br />

sei in diesem Zusammenhang, dass das<br />

Erkennen der Vorteile eines Einsatzes digitaler<br />

Technologien in Lieferketten der<br />

mit Abstand größte Treiber mit einem Zuwachs<br />

von fast 60 Prozent seit der Erhebung<br />

aus dem Jahr 2019 sei.<br />

In ihren Handlungsempfehlungen zur<br />

jüngsten Logistikstudie raten BME und<br />

Hochschule Fulda den Verantwortlichen<br />

im Supply Chain Management, sich noch<br />

stärker als bisher möglichst umfassend<br />

mit Digitalisierungstechnologien auseinanderzusetzen.<br />

Dies gelte nicht nur für<br />

Führungskräfte; auch in anderen, angrenzenden<br />

Bereichen sei es wichtig zu erkennen,<br />

dass sich Berufsbilder ändern oder<br />

ändern müssen. Der Bezug zu Digitalisierungsthemen<br />

sei deutlich stärker in diesen<br />

Berufsbildern zu verankern.<br />

Weitere Infos: carsten.knauer@bme.de<br />

BME-International<br />

Neuer Online-Service unter www.bmematchmaking.com<br />

Zur Unterstützung seiner weltweiten <strong>Beschaffung</strong>saktivitäten<br />

hat der BME die Internet-Plattform<br />

bmematchmaking.com<br />

ins Leben gerufen. Nach der kostenlosen<br />

Registrierung für den Matchmaking-Service<br />

können Einkäufer seit Dezember<br />

2022 ihre Bedarfe durch Ausfüllen eines<br />

RFI-Fragebogens im Vorfeld von BME-<br />

Matchmaking-Events veröffentlichen.<br />

„Über das BME-Partnernetzwerk werden<br />

internationale Produzenten und Dienstleister<br />

in Warengruppen vorqualifiziert,<br />

die auf der Plattform ihre Leistungsprofile<br />

veröffentlichen“, erklärt Olaf Holzgrefe,<br />

Leiter BME-International. Einkäufer können<br />

danach suchen und solche Lieferanten<br />

zum Event einladen, die ihren individuellen<br />

Bedürfnissen entsprechen.<br />

Gleichzeitig erhielten Lieferanten ab sofort<br />

die Möglichkeit, nach potenziellen<br />

Einkäufern zu suchen und solche einladen,<br />

die zu ihren Kompetenzen passen.<br />

„Dieser zweiseitige Prozess ermöglicht es<br />

den Anwendern, fundierte Entscheidungen<br />

zu treffen. Auf Basis der Anzahl und<br />

der Qualität der Matches entscheiden die<br />

Nutzer, zu welchem Event sie sich kostenpflichtig<br />

anmelden wollen. Der BME organisiert<br />

dann den Zeitplan für die<br />

B2B-Meetings vor Ort“, fügt Holzgrefe<br />

hinzu.<br />

Holzgrefe erinnerte daran, dass der BME<br />

seit 2009 in über 4.000 Matchmakings<br />

Einkäufer und Lieferanten zusammengebracht<br />

hat. Mit einer Erfolgsquote von<br />

über 28 Prozent führte fast ein Drittel aller<br />

Gespräche zu einem Ergebnis. Der Fokus<br />

des B2B-Matchmakings liegt auf Produktionsmaterialien<br />

und Dienstleistungen<br />

– in Europa, Asien und Nordafrika.<br />

Weitere Infos: olaf.holzgrefe@bme.de<br />

Impressum: Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e. V. (BME)<br />

Frankfurter Straße 27, 65760 Eschborn, Tel. 06196 5828-0, Fax –399,<br />

E-Mail: info@bme.de, Internet: www.bme.de<br />

60 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


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<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 61


» KARRIERE<br />

Mit Behavioral Economics besser verhandeln, Teil 1<br />

Blicken Sie hinter die Maske<br />

Erfolgreich geführte Verhandlungen sind die Basis für Ihren Geschäftserfolg.<br />

Aber was macht den Unterschied zwischen einem guten und einem sehr guten<br />

Verhandler aus? Behavioral Economics hilft Ihnen dabei Ihren Gegenüber einen<br />

Tick besser zu verstehen, um so erfolgreicher zu verhandeln. In dieser neuen<br />

Serie stellen wir Ihnen Behavioral Economics und häufige Verhaltensmuster vor.<br />

Dr. Marvin M. Müller<br />

Kerkhoff Consulting<br />

Treffen Einkäufer und Vertriebler am Verhandlungstisch<br />

aufeinander, gibt es, auch wenn die<br />

Illusion eines gutes Verhandlungsergebnisses beide<br />

Seiten ihr Gesicht wahren lässt, meist einen Gewinner.<br />

Natürlich sind Ergebnisse einzelner Verhandlungen<br />

von vielen verschiedenen Faktoren abhängig.<br />

Gewinnt jedoch eine Person einen überwiegenden<br />

Teil der Verhandlungen, kann sie durchaus als<br />

besserer Verhandler bezeichnet werden. Diese<br />

Menschen zeichnen vor allem zwei Dinge aus. Zum<br />

einen sind sie in Bezug auf ihr Gegenüber sehr<br />

wachsam, achten auf Versprecher, Gestik und<br />

Mimik, wissen diese zu interpretieren und auszunutzen.<br />

Zum anderen haben sie ein hohes Maß an<br />

Selbstkontrolle, geben nur gewollte Informationen<br />

frei und sind in der Lage eigene Schwächen für die<br />

Dauer der Verhandlung zu unterdrücken. Vor allem<br />

der letzte Punkt stellt für viele Menschen eine<br />

große Herausforderung dar. Die gute Nachricht:<br />

Diese Eigenschaften können erlernt und trainiert<br />

werden. Hilfe bietet dabei die Wissenschaft, genauer<br />

gesagt Behavioral Economics.<br />

Was ist Behavioral Economics?<br />

Behavioral Economics ist ein Teilbereich der Volkswirtschaftslehre,<br />

der sich – nah am Rand der Psychologie<br />

– mit menschlichem Verhalten und dessen Auswirkung<br />

auf ökonomische Situationen beschäftigt.<br />

Bild: Kerkhoff<br />

Fabian Spühler<br />

Kerkhoff Consulting<br />

Bild: Kerkhoff<br />

Im Fokus steht dabei die Abweichung von der klassischen<br />

Annahme, alle Menschen verhielten sich immer<br />

rational.<br />

Wir alle wissen aus unserem Privatleben, dass eine<br />

solche Annahme nur zu oft verletzt wird. Denken Sie<br />

an Probe-Abos, die uns langfristig gegen unseren eigentlichen<br />

Willen binden, an All-You-Can-Eat Restaurants,<br />

in denen wir noch immer zu viel essen, obwohl<br />

wir es schon lange besser wissen sollten, an Produkte<br />

im Supermarkt, die auf Augenhöhe hochwertiger<br />

erscheinen und an die mittlere Portion Popcorn im<br />

Kino, die die große Portion viel besser wirken lässt.<br />

Wie hilft mir Behavioral Economics?<br />

Ökonomen und Psychologen haben bis heute über<br />

hundert Verhaltensmuster identifiziert, die unsere<br />

Entscheidungen maßgeblich beeinflussen. Während<br />

solche Verhaltensmuster im Privatleben recht amüsant<br />

sind, haben sie einen erheblichen wirtschaftlichen<br />

Einfluss auf das unternehmerische Ergebnis.<br />

Stellen Sie sich vor, Sie würden als Einkäufer bei einer<br />

Neuausschreibung einen Bestandslieferenten<br />

aufgrund der guten bisherigen Zusammenarbeit<br />

überschätzen und ihn gegenüber einem genauso guten,<br />

jedoch deutlich günstigeren Lieferanten bevorzugen.<br />

Oder, dass man das Wechseln eines Bestandslieferanten<br />

grundsätzlich ablehnt, weil die anfängliche<br />

Mehrarbeit durch die Umstellung abschreckt. In<br />

beiden Fällen würden Sie wertvolles Einsparpotenzial<br />

verschwenden.<br />

Das Erkennen der Verhaltensmuster des Gegenübers<br />

und das Unterdrücken der eigenen Verhandlungsmuster<br />

machen den entscheidenden Unterschied<br />

zwischen einem guten und einem sehr guten Verhandler<br />

aus.<br />

Gegen jedes dieser hundert Verhaltensmuster können<br />

Sie sich schützen – und es gleichzeitig gegenüber Ihrem<br />

Verhandlungspartner nutzen. In jeder Verhandlungen<br />

bestehen somit durch Behavioral Economics<br />

bis zu 200 Möglichkeiten das Verhandlungsergebnis<br />

zu verbessern. In dieser Serie erläutern wir häufig<br />

62 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


Bild: tookitook/stock.adobe.com<br />

vorkommende Verhaltensmuster, die Verhandler besonders<br />

schmerzhaft treffen können und ermutigen<br />

dazu, diese in der nächsten Verhandlung stattdessen<br />

selbst zum eigenen Vorteil anzuwenden.<br />

Ankereffekt: Eines der bekanntesten und etabliertesten<br />

Tools eines guten Verhandlers hat seinen Ursprung<br />

in Behavioral Economics: der Ankereffekt. In<br />

nahezu jedem Verhandlungsbuch wird gepredigt,<br />

dass das Platzieren einer extremen Forderung (zum<br />

Beispiel 20 Prozent Preisnachlass) vor Beginn der eigentlichen<br />

Verhandlung das Verhandlungsergebnis<br />

zu den eigenen Gunsten verändert. Wenn der Ankereffekt<br />

jedoch in der Welt der Verhandlungen so etabliert<br />

ist, dass beide Parteien über die Auswirkungen<br />

Bescheid wissen, wieso wird er dann dennoch genutzt?<br />

Die Antwort auf diese Frage untermauert die unglaubliche<br />

Kraft, mit der Verhaltensmuster unsere Wahrnehmung<br />

beeinflussen: Weil er trotzdem wirkt. Selbst<br />

wenn man weiß, dass man es mit einem Anker zu tun<br />

hat, ist es immer noch schwierig auf eine Forderung<br />

nach 20 Prozent Preisnachlass mit einer Forderung<br />

nach 20 Prozent Preiserhöhung zu antworten. Glücklicherweise<br />

gibt es viele weitere Verhaltensmuster, gegen<br />

die man sich leichter wehren kann.<br />

Status-Quo-Bias: Das aus dem Change Management<br />

bekannte Problem „Das war schon immer so,<br />

das ist gut“ tritt nur zu oft auch in Verhandlungen<br />

auf. Die finanziell schmerzhafteste Form ist wohl die<br />

systematische Überschätzung von Bestandslieferanten.<br />

Die größte Verhandlungsmacht eines Einkäufers<br />

kommt über den Wettbewerb. Ob Ausschreibungen<br />

als einfache Variante, oder beliebig komplexe Auktionsdesigns<br />

– die Ergebnisse von Wettbewerbsverhandlungen<br />

stellen die von 1-gegen-1 Verhandlungen<br />

in den Schatten. Das zentrale Element hierbei ist<br />

die Ergebnisoffenheit. Doch genau das ist oftmals ein<br />

Problem. Vor allem Fachabteilungen und der operative<br />

Einkauf, der Angst davor hat Fehler zu machen,<br />

haben eine Tendenz dazu, Bestandslieferanten zu<br />

überschätzen und einen fairen Wettbewerb zu verhindern.<br />

Während die Einschätzung, welcher Lieferant<br />

grundsätzlich der qualitativ beste ist, eine sehr<br />

wertvolle Information darstellt, lohnt sich bei einem<br />

zweistelligen prozentualen Einsparpotenzial vielleicht<br />

ja doch der Blick über den Tellerrand.<br />

Das Erkennen der<br />

Verhaltensmuster des<br />

Gegenübers und das<br />

Unterdrücken der<br />

eigenen Verhandlungsmuster<br />

machen den<br />

entscheidenden Unterschied<br />

zwischen einem<br />

guten und einem sehr<br />

guten Verhandler aus.<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 63


» BÜCHER<br />

Der Weg in eine nachhaltige Zukunft<br />

Verantwortungsvoll beschaffen<br />

Über das Thema Nachhaltigkeit und die Umsetzung der ESG-Kriterien wird<br />

schon seit geraumer Zeit mehr gesprochen und geschrieben – getan wird immer<br />

noch zu wenig. Dabei steht Nachhaltigkeit immer mehr im Fokus der<br />

Konsumenten , aber auch von Großinvestoren. Ein Wegweiser könnte hier helfen.<br />

Bild: Springer<br />

Kein Unternehmen kann es sich<br />

heute noch leisten, hierbei ein angekratztes<br />

Image zu haben. Und so gibt<br />

es bei kritischer Betrachtung Compliance-Bekundungen<br />

inklusive Windowdressing<br />

mit viel Schein und weniger<br />

Sein dahinter. Abgesehen von positiven<br />

Ausnahmen steht die unverzichtbare<br />

und auch unbestrittene Nachhaltigkeitstransformation<br />

unserer Unternehmen<br />

im großen Stil noch aus. Dies muss<br />

sich schnellstens ändern, und insbesondere<br />

müssen die Lieferketten unserer<br />

Unternehmen in der Tiefe nachhaltig<br />

werden, meint das Beraterteam aus<br />

Responsible Procurement: Leading the dem Hause H&Z Unternehmensberatung.<br />

Die Autoren werben für einen ver-<br />

Way to a Sustainable Tomorrow. Stefan<br />

Aichbauer, Martina Buchhauser,<br />

Agnes Erben, Sven Steinert, Detlef antwortungsvollen Einkauf. Sie haben<br />

Tietze, Emilia Wiking. Springer, Cham ihre Erkenntnisse aus einer ganzen Reihe<br />

von Beratungsprojekten in einer an-<br />

(Schweiz) 2022, 193 Seiten, 53,49<br />

Euro, ISBN 978–3–030–98639–1<br />

sprechenden, gut aufgebauten Schrift<br />

in englischer Sprache für einen internationalen<br />

Leserkreis zusammengefasst.<br />

Herausgekommen ist kein theoretisches Lehrbuch<br />

sondern ein leserfreundlich aufbereiteter fundierter<br />

Leitfaden für Führungskräfte aus Einkauf und Supply<br />

Chain Management. Die Autoren zeigen darin auf,<br />

wie groß der Einfluss von Einkauf und Supply Chain<br />

Management auf das Gelingen der Nachhaltigkeitstransformation<br />

unserer Unternehmen ist. Es seien die<br />

Einkaufs- und Supply Chain Manager (innen), die das<br />

Ökosystem der vielen Geschäftspartner auf der Input-Seite<br />

orchestrierten und dabei auf Nachhaltigkeit<br />

achten müssten.<br />

Testimonials renommierter CPOs<br />

Mit ihrer Schrift, in der sie an sehr vielen Stellen erfreulicherweise<br />

renommierte CPOs mit überdenkenswerten<br />

Testimonials zu Wort kommen lassen, präsentieren<br />

die H&Z-Autoren eine Agenda und Roadmap<br />

für die Neuausrichtung von Einkauf und Supply<br />

Chain Management im Hinblick auf die Triple Bottom<br />

Line (People, Planet, Profit). Originell und für die Leser<br />

(innen) eine hilfreiche Orientierung ist ein „Scribble“<br />

am Anfang, das die Transformationsreise bildhaft<br />

wiedergibt. Hierauf wird in den einzelnen Kapiteln<br />

des Buches, die die Etappen der Reise skizzieren,<br />

Bezug genommen.<br />

Im ersten Kapitel geht es darum, die Bedeutung der<br />

Facetten von Nachhaltigkeit im modernen Unternehmen.<br />

Nachhaltig zu werden, wird als die Herausforderung<br />

unseres Lebens postuliert. Das zweite Kapitel<br />

stellt den Einkauf und das, was jetzt zu tun ist, in den<br />

Vordergrund. Es wird zu Recht darauf hingewiesen,<br />

dass die neue Herausforderung Einkauf und Supply<br />

Chain Management hervorragende Profilierungschancen<br />

bietet. Im dritten Kapitel wird herausgearbeitet,<br />

wie Unternehmen ihren Purpose und hiervon<br />

ausgehend nachhaltigkeitsspezifische Ziele und Anspruchsniveaus<br />

definieren können.<br />

Honig für die Strategie<br />

In den folgenden Kapiteln vier bis sechs werden die<br />

Dinge dann ganz konkret. Führungskräfte aus Einkauf<br />

und Supply Chain Management können aus der aufmerksamen<br />

Lektüre Honig saugen für ihre Strategien<br />

und auch das tägliche Doing. So wird aufgezeigt, wie<br />

Nachhaltigkeit im Operating Model des Einkaufs verankert<br />

werden kann, wie man Materialgruppenmanagement<br />

und Lieferantenmanagement neu ausrichten<br />

sollte und auch, wie der notwendige Drive in den<br />

Transformationsprozess<br />

gebracht<br />

werden sollte.<br />

Die Lektüre des<br />

Buches ist für LeserInnen<br />

aus der Praxis<br />

anregend und<br />

bietet einen Anreiz<br />

aktiver zu werden.<br />

Eine Prise Beraterjargon<br />

und auch<br />

Redundanzen im<br />

Text müssen in<br />

Kauf genommen<br />

werden.<br />

Prof. Dr. Robert Fieten<br />

wissenschaftlicher<br />

Berater der<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>,<br />

Köln<br />

64 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


BÜCHER «<br />

Bild: Duncker & Humblot<br />

Bild: Herder<br />

Bild: Duncker & Humblot<br />

Risiken managen<br />

Die Logistik, eine Dienstleistungsbranche<br />

wie auch ein betrieblicher Funktionsbereich<br />

und das Risikomanagement, eine<br />

betriebswirtschaftliche Teildisziplin stehen<br />

im Fokus der Wirtschaft und damit<br />

auch der Betriebswirtschaftslehre. Das<br />

Buch bietet einen strukturierten Einstieg<br />

in die Thematik und beschäftigt sich in<br />

den Kapiteln 1 bis 4 mit externen und internen<br />

Risiken, denen Logistikdienstleister<br />

und die Logistikbereiche von Industrie-<br />

und Handelsunternehmen ausgesetzt<br />

sind. Kapitel 5 bis 8 beschäftigen<br />

sich mit dem Risikomanagementprozess,<br />

also der Risikoidentifikation, der Risikoanalyse<br />

und -bewertung und dem Risikocontrolling.<br />

Die Instrumente, die im Risikomanagementprozess<br />

Anwendung finden<br />

sind Gegenstand der Kapitel 9 bis 17.<br />

Dabei geht es um Frühwarn- und Kennzahlensysteme,<br />

solche zur Bestimmung<br />

von Risikoausmaß- und -wahrscheinlichkeit<br />

und zur Analyse von Risikogegebenheiten<br />

und deren Beeinflussung. Organisationsfragen<br />

in Zusammenhang mit dem<br />

Risikomanagement bilden in Kapitel 18<br />

den Abschluss des Buches. Dieses wendet<br />

sich an Studierende, insbesondere in Studiengängen<br />

mit Logistikbezug, aber auch<br />

an Praktiker, die sich mit der betriebswirtschaftlichen<br />

Teildisziplin Risikomanagement<br />

auseinandersetzen wollen.<br />

Risikomanagement – dargestellt an<br />

Beispielen aus der Logistik<br />

Torsten Czenskowsky, Holger Kadgiehn<br />

Duncker & Humblt, Berlin, 2022<br />

Softcover, 296 Seiten, 49,90 €<br />

ISBN: 978–3–89673–775–5<br />

Wirtschaftsgeschichte<br />

Was ist der Motor für die Globalisierung?<br />

Welche Rolle spielen dabei Preisentwicklung,<br />

Warenverknappung und Inflation?<br />

Zur Beantwortung dieser Fragen beschäftigte<br />

sich der Experte für Wirtschaftsgeschichte<br />

Harold James mit dem kollektiven<br />

Verhalten gegenüber Krisen, ist dem<br />

Klappentext zu entnehmen. Mit den Hungersnöten<br />

der 1840er-Jahren, der großen<br />

Depression der 1870er-Jahre, der Hyperinflation<br />

1923, der Weltwirtschaftkrise,<br />

der Ölkrise der 1970er-Jahre, der Finanzkrise<br />

2008/2009 und der Coronakrise<br />

identifiziert der Autor sieben große wirtschaftliche<br />

und im Gefolge politische<br />

Schockmomente. Laut James lässt sich<br />

beobachten, wie Versorgungsengpässe<br />

und steigende Preise politische Systeme<br />

wie Unternehmen zum Besseren verändern<br />

oder hinwegfegen. Daraus ergeben<br />

sich Mechanismen, die all diese Krisen<br />

prägen und in Zukunft zur Überwindung<br />

neuer Rückschläge beitragen können.<br />

So entsteht eine Darstellung der Beziehungen<br />

von modernem Staat und Wirtschaft<br />

und den sich wandelnden Vorstellungen<br />

ihres Miteinanders. Mein Fazit:<br />

Eine Lektüre für echte Fachinteressierte,<br />

wofür auch der 100 Seite lange Anhang<br />

mit Quellennachweisen und Anmerkungen<br />

spricht.<br />

Schockmomente. Eine<br />

Weltgeschichte von Inflation und<br />

Globalisierung 1850 bis heute<br />

Harold James<br />

Verlag Herder, Freiburg, 2022<br />

Gebundene Ausgabe, 544 Seiten, 35,00 €<br />

ISBN: 978–3–451–39325–9<br />

Digitalisierung bei KMU<br />

Die Digitalisierung im Einkauf ist insbesondere<br />

bei kleinen und mittelständischen<br />

Unternehmen immer noch ein<br />

spannendes und herausforderndes Thema.<br />

Auch wenn es eine Digitalisierungsstrategie<br />

gibt, sind hier die Ressourcen nur begrenzt,<br />

das Tagesgeschäft läuft weiter<br />

und man kommt nur in kleinen Schritten<br />

weiter. Der Herausgeber Wilfried Krokowski,<br />

der auf über 45 Jahre Berufserfahrung<br />

in den Bereichen Einkauf, SCM<br />

und Internationale <strong>Beschaffung</strong> greifen<br />

kann, will mit diesem Buch genau diesen<br />

Unternehmen praxisnah Hilfestellung<br />

leisten. Auch wenn dieser Band keinen<br />

Anspruch auf Vollständigkeit hat, deckt er<br />

doch wichtige Aspekte der Digitalisierung<br />

im Einkauf ab: Implementierung in Einkaufsprozesse,<br />

C-Teile-Management, Einsatz<br />

von Portal-Lösungen, Logistiksysteme<br />

bis hin zu 3D-Drucklösungen und ein<br />

Ausblick auf KI im Einkauf. Die Auswahl<br />

zeigt anschaulich, wie vielfältig und<br />

manchmal auch einfach die Umsetzung<br />

erfolgreicher Ideen ist. In allen Bereichen<br />

werden Praxislösungen vorgestellt, wobei<br />

ebenso ausführlich über die notwendigen<br />

Rahmenbedingungen eingegangen wird.<br />

Digitalisierung im Einkauf<br />

Best-Practice-Lösungen und Ansätze für<br />

den Mittelstand<br />

erschienen in der Praxisreihe Einkauf/<br />

Materialwirtschaft, Band 22<br />

Wilfried Krokowski<br />

Duncker & Humblot, Berlin, 2022,<br />

Softcover,151 Seiten, 49,90 €<br />

ISBN: 978–3–89673–784–7<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 65


INSERENTENVERZEICHNIS<br />

IMPRESSUM<br />

Böllhoff GmbH, Bielefeld 68<br />

ConEnergy AG, Essen 9<br />

Bild: Erika8213/stock.adobe.com<br />

Ferdinand Gross GmbH & Co KG, Leinfelden-Echterdingen 37<br />

HAHN+KOLB Werkzeuge GmbH, Ludwigsburg 21<br />

Keller & Kalmbach GmbH, Unterschleißheim 2, 47<br />

Lederer GmbH, Ennepetal 3<br />

Mack Brooks Exhibitions Ltd., GB-St. Albans, Herts 5<br />

Otto Roth GmbH & Co. KG, Stuttgart 57<br />

Albert Pasvahl (GmbH & Co.), Hamburg 25<br />

RCT Reichelt Chemietechnik GmbH + Co., Heidelberg 45<br />

reichelt elektronik GmbH & Co. KG, Sande 7<br />

RS Components GmbH, Frankfurt 39<br />

SoftconCIS GmbH, Oberhaching 19<br />

TFC Niederlassung Bochum, Bochum 11<br />

VORSCHAU<br />

LOGISTIK<br />

Viele weltweit produzierende Unternehmen<br />

denken über ihre Produktionsstandorte<br />

nach. Durch die geografische Lage<br />

profitiert dabei die Türkei . Das Land<br />

mausert sich zu einem attraktiven Logistikstandort.<br />

Wir waren vor Ort und haben<br />

verschiedene Unternehmen besucht.<br />

NACHHALTIGKEIT<br />

Selbst für Konzernverhältnisse ist die<br />

weltweite Einkaufsorganisation von<br />

Bosch groß. 9000 Mitarbeitende gehören<br />

zum globalen Einkauf, dazu 21.000 Kollegen<br />

und Kolleginnen in der Logistik. Der<br />

Zentralabteilung Supply Chain Management<br />

obliegt auch die Umsetzung der<br />

Nachhaltigkeitsstrategie in den Bosch-<br />

Lieferketten.<br />

AUTOMATION<br />

Dr. Kerstin Höfle treibt als VP Portfolio &<br />

Innovation Management mit ihrem Team<br />

die Implementierung neuer Technologien<br />

in das Portfolio von Körber Supply Chain<br />

voran. Im Interview spricht sie über den<br />

Einsatz mobiler Roboter und weitere<br />

Trends in der Intralogistik.<br />

Das Magazin für Einkauf, Material wirtschaft und Logistik<br />

ISSN 0341–4507<br />

Herausgeberin: Katja Kohlhammer<br />

Verlag: Konradin-Verlag Robert Kohlhammer GmbH<br />

Ernst-Mey-Straße 8,<br />

70771 Leinfelden-Echterdingen, Germany<br />

Geschäftsführer: Peter Dilger<br />

Verlagsleiter: Peter Dilger<br />

Chefredakteur:<br />

B. A. Alexander Gölz (ag), Phone +49 711 7594–438<br />

Ernst-Mey-Straße 8, 70771 Leinfelden-Echterdingen, Germany<br />

Redaktion:<br />

Dipl.-Ing. (FH) Sabine Schulz-Rohde (sas),<br />

Phone +49 711 7594–252;<br />

Yannick Schwab (ys), Phone +49 711 7594–537<br />

Korrespondent:<br />

M.A. Nico Schröder (sc), Phone +49 170 6401879<br />

Freie Mitarbeit:<br />

Ass. Jur. Ulrike Dautzenberg, RA Anja Falkenstein,<br />

Dipl. Ing. (FH) Michael Grupp, M.A. Annette Mühlberger,<br />

M.A. Sabine Ursel<br />

Fachliche Beratung: Prof. Dr. Robert Fieten<br />

Redaktionsassistenz:<br />

Daniela Engel, Phone +49 711 7594–452,<br />

Fax –1452, E-Mail: daniela.engel@konradin.de<br />

Layout: Jennifer Martins, Phone +49 711 7594–262<br />

Gesamtanzeigenleitung:<br />

(Verantwortlich für den Anzeigenteil)<br />

Joachim Linckh, Phone +49 711 7594–565<br />

Auftragsmanagement:<br />

Matthias Rath, Phone +49 711 7594–323<br />

Leserservice: <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>, Phone +49 711 7252–209,<br />

E-Mail: konradinversand@zenit-presse.de<br />

Erscheinungsweise: 9 x jährlich<br />

Bezugspreis jährlich: Inland 166,50 € inkl. MwSt. und<br />

Versandkosten; Ausland 171,90 € inkl. Versandkosten;<br />

Einzelheft Inland: 18,60 € inkl. MwSt. und Versandkosten.<br />

Einzelheft Ausland: 19,20 € inkl. Versandkosten.<br />

Für Schüler, Studenten und Auszubildende gegen Nachweis:<br />

Inland 83,25 € inkl. MwSt. und Versandkosten,<br />

Ausland 88,65 € inkl. Versandkosten.<br />

Bestellungen beim Verlag oder beim Buchhandel. Sofern das<br />

Abon nement nicht für einen bestimmten Zeitraum ausdrücklich<br />

bestellt war, läuft das Abonnement bis auf Widerruf.<br />

Bezugszeit: Das Abonnement kann erstmals vier Wochen<br />

zum Ende des ersten Bezugsjahres gekündigt werden. Nach<br />

Ablauf des ersten Jahres gilt eine Kündigungsfrist von jeweils<br />

vier Wochen zum Quartalsende. Bei Nichterscheinen<br />

aus technischen Gründen oder höherer Gewalt entsteht kein<br />

Anspruch auf Ersatz.<br />

Die Mitglieder des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf<br />

und Logistik e.V. ( BME ) und des ÖPWZ erhalten die Zeitschrift<br />

„<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>“ im Rahmen einer Kooperation.<br />

Auslandsvertretungen: Großbritannien: Jens Smith Partner -<br />

ship, The Court, Long Sutton, Hook, Hamp shire, RG29 1TA,<br />

GB, Phone 01256 862589, Fax 01256 862182, E-Mail:<br />

jsp@trademedia.info; USA, Kanada: D.A. Fox Advertising<br />

Sales, Inc., Detlef Fox, 5 Penn Plaza, 19th Floor, New York, NY<br />

10001, Phone +1 212 89 63 881, Fax +1 212 62 93 988,<br />

E-Mail: detleffox@comcast.net<br />

Druck:<br />

Konradin Druck, Kohlhammerstraße 1–15,<br />

70771 Leinfelden-Echterdingen, Printed in Germany<br />

© 2023 by Konradin-Verlag Robert Kohlhammer GmbH,<br />

Leinfelden-Echterdingen<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> 04/2023 erscheint am 5.4.2023.<br />

Anzeigenschluss ist am 13.<strong>03.2023</strong>.<br />

66 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023


MEINUNG «<br />

Truckermangel: Unseren<br />

Lieferketten droht der Infarkt<br />

Unsere Wirtschaft läuft zurzeit zwar nicht gut aber besser als erwartet. Alles könnte noch besser<br />

sein, wenn es nicht in nahezu allen Wirtschaftsbereichen einen akuten Fachkräftemangel gäbe.<br />

Unsere heimischen Wertschöpfungsketten werden durch den Personalmangel schwer gebeutelt.<br />

Hier sei ein Blick auf das Truck Business geworfen, das bestimmend für unsere Versorgung ist. Der<br />

Lkw-Transport macht 72,5 Prozent unseres Güterverkehrs aus. Die Personalsituation im Truck<br />

Business ist mehr als angespannt.<br />

Aktuell fehlen laut Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung<br />

deutschlandweit nahezu 100.000 Fahrerinnen und Fahrer. Bezogen<br />

auf die 565.000 Trucker, die sozialversicherungspflichtig in unserem<br />

Lande beschäftigt sind, sind das mehr als 15 Prozent. Diesen Mangel halten<br />

die Lieferketten nicht aus.<br />

Der Truckermangel wird immer größer, denn jährlich gehen 20.000 Fahrer<br />

in Rente ohne Nachbesetzung. Die Speditionen, nicht nur in Deutschland,<br />

sondern auch im benachbarten Ausland wie etwa Polen suchen<br />

verzweifelt Lkw-Fahrer. Aus der Ukraine und Weissrussland kommt seit<br />

Ausbruch des Krieges keine Entlastung mehr.<br />

Was also ist zu tun? Der Job als Trucker muss attraktiver werden. Hierzu<br />

bedarf es finanzieller Anreize, die die Logistikunternehmen mittlerweile<br />

bieten. Dies ist absolut richtig, denn laut Statistischem Bundesamt verdienen<br />

Trucker im Schnitt 2623 Euro brutto. Also fast 650 Euro weniger<br />

Prof. Dr. Robert Fieten,<br />

als Beschäftigte mit vergleichbarer Ausbildung und Erfahrung. Dies ist<br />

wissenschaftlicher Berater der<br />

für eine so stressige und verantwortungsvolle Tätigkeit einfach zu wenig<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>, Köln<br />

Schmerzensgeld!<br />

Aber damit ist es nicht getan. Die Logistikbranche muss auch nach automatisierten<br />

Transport lösungen mit autonom fahrenden Lastwagen<br />

suchen . Doch dies ist trotz verheißungsvoller Pilot projekte (z. B. automatisierter Containertransport<br />

im Hamburger Hafen) noch ein langer Weg.<br />

»Die Logistikbranche muss<br />

auch nach automatisierten<br />

Transport lösungen mit<br />

autonom fahrenden<br />

Lastwagen suchen .«<br />

Frühestens ab 2030 werden autonom fahrende<br />

Lkw auf den Straßen sein. Dann könnten sie auf<br />

Autobahnen und in Häfen zum Einsatz kommen.<br />

Doch in Kleinstädten und Dörfern sind autonome<br />

40-Tonner angesichts der absolut gerechtfertigten<br />

Sicherheitsauflagen nicht angesagt.<br />

Trucker werden daher auch weiterhin gebraucht.<br />

Der Truckermangel bleibt über 2030 hinaus, denn<br />

bis dahin sind weitere 140.000 Fahrer ohne Nachfolge ausgestiegen.<br />

Nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Verkehrspolitik müssen neue Wege beschreiten, um<br />

den drohenden Infarkt der Lieferketten, die sich ja auch in der grünen Transformation befinden, zu<br />

verhindern. VW-Vorstand Gunnar Kilian meint in der Wirtschaftswoche vom 27.1.2023 dazu: „Um<br />

Tätigkeiten auf der Langstrecke nicht nur von Menschen übernehmen zu können, sondern vor<br />

allem auch nachhaltig zu sein, müssen die Zugmaschinen autonom und elektrisch unterwegs sein.<br />

Wir brauchen hierfür ein flächendeckendes Ladenetz, mehr autonome Testfelder auf Autobahnen<br />

und einen Ausbau der Rastplätze. Zudem brauchen wir diesen Platz als Hub, um den automatisierten<br />

Fernverkehr von der Autobahn anschließend auf den manuell gesteuerten Transport in die<br />

Stadt verladen zu können.“<br />

Der Mann hat recht: Geht in die Generaloffensive gegen den Truckermangel und für den infrastrukturellen<br />

Aus- und Aufbau – jetzt!.<br />

<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023 67


Besuchen Sie uns auf der<br />

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Halle 1, Stand 756<br />

Wir schaffen erfolgreiche Verbindungen.<br />

Böllhoff ist weltweit Partner für 360° Verbindungstechnik mit Montage- und<br />

Logistiklösungen. Als familiengeführtes Unternehmen stehen wir seit 1877<br />

für langfristigen Erfolg durch Innovationskraft und Kundennähe. Wir kennen<br />

die spezifischen Anforderungen unserer Kunden aus allen Industrien und<br />

unterstützen sie dabei, erfolgreiche Verbindungen zu schaffen.<br />

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68 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 03 | 2023

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