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Vorwort<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
nach dem milden und schneearmen<br />
Winter gab es Ostern im Schnee. Als<br />
Kind merkte man sich eine alte Bauernregel:<br />
„Ostern im Schnee tut den Saaten<br />
weh“. Aber wenn heute fast nichts mehr<br />
bewährten Regeln zu folgen scheint,<br />
wird es auch mit den Saaten nicht gar<br />
so schlimm werden. Klagen über Wetterkapriolen<br />
treten nun auch zurück<br />
gegenüber aktuellen über Stadtratsquerelen,<br />
verwahrloste oder „rückgebaute“<br />
Häuser im Stadtzentrum und kriminelle<br />
Schmierereien am Jakobstunnel.<br />
Zum Frühlingsbeginn passt jedoch besser<br />
Freude über Gelungenes wie den<br />
Anbau der Stadtbibliothek, den neugestalteten<br />
Lutherplatz und die vorbildlich<br />
unterstützten Dreharbeiten zum Film<br />
nach dem Roman „Der Vorleser“.<br />
Auch das <strong>April</strong>heft von StadtBILD bietet<br />
einige Beiträge, die in die Vergangenheit<br />
zurückführen und doch mit uns heute<br />
zu tun haben. Wer etwa über Görlitz als<br />
Wirtschaftsstandort nachdenkt und Bescheid<br />
weiß, der merkt bald, was für ein<br />
Unfug das Gezerre über den Vorrang von<br />
Wirtschaft oder Kultur in der Kommunalpolitik<br />
doch ist. Ohne starke wirtschaftliche<br />
Grundlage keine zukunftsorientierte<br />
Politik und keine bürgerfreundliche Kultur,<br />
aber auch kein wirtschaftlicher Erfolg<br />
ohne sachgerechte und sparsame<br />
Stadtpolitik, ohne Kultur, Bildung und<br />
soziale Verantwortung. Der Beweis wurde<br />
vor 100 Jahren geliefert, ohne Wenn<br />
und Aber, mögen sich auch die Rahmenbedingungen<br />
noch so sehr verändert<br />
haben. Dass viel vom Wissen und Einsatz<br />
einzelner Persönlichkeiten abhängt,<br />
verdeutlichen die Beiträge über den in<br />
Löbau geborenen Altertumsforscher<br />
und Volksbildner Karl Benjamin Preusker<br />
oder den Zittauer Schulrektor und<br />
Stückeschreiber Christian Weise. Mit der<br />
Kreisreform werden auch Görlitz, Zittau<br />
und Löbau enger zusammenrücken; so<br />
ist es gut, wenn man mehr aus der Geschichte<br />
der Partnerstädte erfährt. Der<br />
Fortsetzungsartikel zur Geschichte der<br />
Görlitzer Schulsternwarte soll auf die<br />
gefährdete Zukunft einer unersetzlichen<br />
Bildungsstätte aufmerksam machen.<br />
Die Neuigkeiten aus dem naturschutztierpark<br />
beweisen, wie im Alltag der<br />
Stadt ganz ohne kostspielige Marketing-<br />
Schaumschlägerei viel Gutes wächst.<br />
Dr. Ernst Kretzschmar<br />
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Einleitung 3
Wirtschaftsblüte vor 100 Jahren -<br />
Tuchfabrik Krause und Söhne, Lunitz/Grüner Graben, um 1900<br />
Aus heutiger Erfahrung mutet es fast<br />
wie eine verklärende Legende an, dass<br />
Görlitz vor 100 Jahren in wirtschaftlicher<br />
Blüte stand. Kleine Ausstellungen<br />
und Veröffentlichungen, etwa über die<br />
Fabrikanten Lüders, Körner, Raupach<br />
und Meyer oder über die Gewerbe- und<br />
Industrie-Ausstellungen 1885 und 1905,<br />
sowie die Ausstellung „100 Jahre Turbinenbau<br />
in Görlitz“ lieferten überzeugende<br />
Belege und Begründungen. Argwöh-<br />
nische Zweifler machen sich nun daran,<br />
diese Wiederentdeckung einer Erfolgsgeschichte<br />
„kritisch zu hinterfragen“.<br />
Niemand wird ernsthaft annehmen, die<br />
bisher eindrucksvollste Blütezeit der<br />
Stadt Görlitz im späten 19. und frühen<br />
20. Jahrhundert habe für alle Bürger<br />
paradiesische Zustände geschaffen. Der<br />
Streik der Waggonbauer 1912 und der<br />
tiefe Absturz nach 1918 mit den westlich<br />
geprägten Gebrechen Massenar-<br />
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4<br />
Titel |
Wirtschaftsblüte<br />
Lehrreich und ermutigend für Görlitz<br />
beitslosigkeit, Währungsverfall, Hunger<br />
und Bürgerkrieg machen nachdenklich<br />
genug. Aber es lohnt sich gerade jetzt,<br />
an den soliden und langfristigen wirtschaftlichen<br />
Aufschwung vor 1914 zu<br />
erinnern. Mag sich dann jeder seinen eigenen<br />
Vers drauf machen.<br />
Durch die Zuordnung der östlichen<br />
Oberlausitz mit Görlitz an Preußen durch<br />
den Wiener Kongress der europäischen<br />
Handelskammer am Mühlweg, um 1910<br />
Mächte 1815 wurde zunächst ein Schock<br />
ausgelöst. Die neue Zollgrenze zu Sachsen<br />
unterbrach traditionelle Marktbeziehungen.<br />
Der Zwang zum Überleben<br />
nötigte aber zu neuen Denkansätzen.<br />
Neue Märkte waren nur mit Spitzenerzeugnissen<br />
zu erobern, preisgünstiger<br />
als anderswo zu haben. Die Einführung<br />
der Gewerbefreiheit in Preußen gerade<br />
in dieser kritischen Phase war ein Glück,<br />
und auch die Gründung des Zollver-<br />
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Titel |<br />
5
Wirtschaftsblüte<br />
Wirtschaftblüte vor 100 Jahren-<br />
Carl Körner, Begründer der späteren Maschinenbau-AG<br />
eins brachte Erleichterungen. Die Zahl<br />
der zünftlerischen Handwerkerbetriebe<br />
sank vorerst dramatisch. Handwerksmeister<br />
stellten sich auf Fabrikproduktion<br />
und Lohnarbeit um, zunächst in der<br />
einheimischen Textilbranche. Hier<br />
vorhandene Rohstoffe wurden genutzt<br />
(Holz, Kies, Lehm, Granit,<br />
Basalt, Zuckerrüben), Ziegeleien,<br />
Glaswerke, Sägewerke, Zellulosebetriebe,<br />
Brücken- und Straßenbau,<br />
Brauereien und Spirituosenfabriken<br />
entstanden. Bald folgte<br />
der Anschluss an das preußische<br />
und sächsische Eisenbahnnetz<br />
(1847 Bahnhof und Viadukt). Auf<br />
den steigenden Bedarf an Maschinen<br />
verschiedener Bestimmung<br />
stellten sich die Betriebe von Körner<br />
und Raupach ein, weitere spezielle<br />
Fertigungen (Feuerlöschgeräte,<br />
Optiklinsen, Taschentücher,<br />
Süßwaren) bereicherten die Struktur.<br />
Der Bedarf an Arbeitskräften<br />
war enorm, der Zuzug vom Lande<br />
oder aus anderen Gegenden beträchtlich.<br />
In Schüben wuchs die<br />
Einwohnerzahl auf das Zehnfache.<br />
Rasch entstanden neue Wohnviertel und<br />
Stadtteile, erste Eingemeindungen folgten.<br />
Eine hohe Geburtenrate (1910 wa-<br />
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6<br />
Titel |
Wirtschaftsblüte<br />
Lehrreich und ermutigend für Görlitz<br />
ren fast 40 % der Bevölkerung unter 21<br />
Jahre) führte zum Bau zahlreicher neuer<br />
Schulen. Für die Nachwachsenden waren<br />
Lehrstellen und Arbeitsplätze in Aussicht.<br />
Wohnungsbau und Grundbedarf<br />
der Bevölkerung führten zur Ausbildung<br />
eines leistungsfähigen mittelständischen<br />
Gewerbes (Bäcker, Fleischer, Lebensmittelhändler,<br />
Schuster, Friseure, Schneider,<br />
Tischler, Maurer, Dachdecker usw.).<br />
Erste Aktiengesellschaften entstanden,<br />
1869 Waggonbau und Brauerei, 1872<br />
Maschinenbau. Großbanken und regionale<br />
Geldinstitute siedelten sich an.<br />
Mit dem Wareneinkaufsverein und der<br />
Konsum-Genossensschaft begann die<br />
Konzentration im Einzelhandel, ebenso<br />
mit Kaufhäusern (Friedländer, Bargou,<br />
Straßburg). 1921 fusionierten Waggonbau-<br />
und Maschinenbau-AG mit auswärtigen<br />
Partnern zur WUMAG. Manche landesweit<br />
wirkende Einrichtung ging von<br />
Görlitz aus, etwa für den Dampfturbinenbau<br />
bei Siemens oder durch Gründung<br />
des Vereins junger Kaufleute, aus<br />
dem die starke Barmer Versicherung erwuchs<br />
(1884).<br />
Prominente Unternehmer kamen in die<br />
1832 erstmals gewählte Stadtverordnetenversammlung<br />
oder als ehrenamtliche<br />
Stadträte in den Magistrat. Erwin<br />
Lüders, Vorsitzender des Aufsichtsrates<br />
der Waggonbau-AG, saß 25 Jahre<br />
für die Freisinnigen im Reichstag. Die<br />
Wirtschaftsleute gingen selbst in die<br />
Stadtpolitik und gestalteten sie in ihrem<br />
Sinne mit - sparsam, sachbezogen, unbürokratisch.<br />
Eigene Interessenvertretungen<br />
entstanden mit dem Gewerbeverein<br />
1830 und der Handelskammer<br />
1850 (seit 1895/1904 Handelskammerhaus<br />
am Mühlweg). Oberbürgermeister<br />
Hugo Sattig leitete nach seiner Amtszeit<br />
die Communalständische Bank. Nachfolger<br />
Maximilian Richtsteig ging nach<br />
seiner Amtszeit zur preußischen Staatsbahn.<br />
Stadtpolitik und Wirtschaft waren<br />
verflochten. Über Steuern und Zuwendungen<br />
kam der Wirtschaftsaufschwung<br />
der Kommunalpolitik zugute. Parteipolitik<br />
spielte noch eine untergeordnete<br />
Rolle. Der Staat (die Monarchen und<br />
Reichskanzler Bismarck) sorgten mit einer<br />
energischen Sozialpolitik für sozia-<br />
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Titel |<br />
7
Wirtschaftsblüte<br />
Wirtschaftblüte vor 100 Jahrenlen<br />
Ausgleich nach dem Grundsatz, dass<br />
Eigentum verpflichtet. Ausufernde Kapitalinteressen<br />
wurden so im Interesse<br />
innenpolitischer Stabilität gezügelt. Die<br />
Stadt besaß eigene Wirtschaftsunternehmen<br />
und damit politisches Gewicht<br />
gegenüber dem Privatsektor.<br />
Der Bau zahlreicher gut ausgestatteter<br />
Schulen (Gemeindeschulen, 4 höhere<br />
Schulen, Berufsschulen) sorgte für die<br />
wirtschaftliche Zukunft mit gut vorgebildeten<br />
Arbeitern, Angestellten und<br />
Leitungspersonal. Ein Kind des Aufschwungs<br />
waren die Realschulen (auch<br />
für Mädchen), in denen Naturwissenschaften,<br />
moderne Fremdsprachen und<br />
vaterländische Erziehung Vorrang hatten.<br />
Der Aus- und Weiterbildung dienten<br />
staatliche Maschinenbauschule und<br />
staatliche Baugewerkschule. 1905 eröffnete<br />
hinter dem Handelskammerhaus<br />
die Kaufmännische Fortbildungsschule<br />
und Handelslehranstalt. Die örtliche<br />
Wirtschaft förderte kulturelle Vorhaben<br />
- die Schlesischen Musikfeste, die<br />
Gewerbe- und Industrie-Ausstellungen<br />
1885 und 1905, die Stadthalle (1910 eröffnet)<br />
sowie Bau und Ausstattung von<br />
Kirchen (Lutherkirche, Kreuzkirche).<br />
Schon beim Bau des Theaters hatten<br />
Stadtverordnete aus Unternehmerkreisen<br />
ein entscheidendes Wort (1851).<br />
Zuwendungen flossen für Parkanlagen<br />
und Denkmäler, Sportstätten und Sportveranstaltungen.<br />
Vertreter aus Industrie,<br />
Gewerbe und Handel finden sich in<br />
vielen Programmheften kultureller Höhepunkte<br />
als Mitorganisatoren.<br />
Auch Görlitz war eingebunden in Höhenflüge<br />
und Abstürze der kapitalistischen<br />
Wirtschaftsordnung. Aber es<br />
beeindruckt, wie sachkundig und leidenschaftlich<br />
viele Unternehmer für die<br />
Einheit von wirtschaftlichem Fortschritt,<br />
effektiver Kommunalpolitik und kulturellem<br />
Leben eintraten. Sie erzeugten bei<br />
vielen Mitbürgern jene Grundstimmung<br />
und Tatbereitschaft, ohne die vor Ort<br />
nichts Dauerhaftes gedeiht. Keine erfolgreiche<br />
Kommunalpolitik und keine<br />
solide Kultur ohne wirtschaftliche Stabilität,<br />
aber auch kein wirtschaftlicher<br />
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8<br />
Titel |
Wirtschaftsblüte<br />
Lehrreich und ermutigend für Görlitz<br />
Tuchfabriken am Neißeufer, 1848<br />
Aufschwung ohne wirtschaftsfördernde<br />
Schwerpunkte der Stadtpolitik, ohne<br />
moralisch anspornende Kultur und ohne<br />
soziale Verantwortung der Unternehmer.<br />
Das waren damals keine naiven Träume.<br />
So lohnt sich wie immer ein Blick in die<br />
eigene Vergangenheit.<br />
Dr. Ernst Kretzschmar<br />
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Titel |<br />
9
Christian<br />
Zum 300. Todestag<br />
Weise<br />
von Christian Weise<br />
Christian Weise<br />
Christian Weise wurde am 30. <strong>April</strong> 1642<br />
in Zittau geboren und noch am gleichen<br />
Tag getauft. Im Taufeintrag heißt es<br />
dazu: „<strong>April</strong>is, 30., Elias Weise der Vater,<br />
ein Schull Collega, die Mutter Anna, das<br />
Kindt Christianus, die Paten H. Michael<br />
Kießling, Stadtrichter, H. Nicol Procop.<br />
Pascha, Mittagsprediger undt Fr. Rosina,<br />
H. Magi. Erasmi Willichii, Morgenpredigerß<br />
geliebte Haußwirthin“.<br />
Sein Vater Elias Weise war 1609 in Lichtenberg<br />
bei Reichenau (heute Bogatynia/<br />
Polen) geboren worden. Dessen<br />
Vater wiederum war der Gärtner Georg<br />
Weise, über seine Herkunft ist nichts<br />
bekannt, da es keine so frühen Kirchenbücher<br />
von Reichenau gibt. Elias Weise<br />
besuchte das Zittauer Gymnasium und<br />
studierte danach in Leipzig und Straßburg.<br />
Seit 1636 wirkte er als Lehrer am<br />
Gymnasium in Zittau.<br />
Christian Weises Mutter Anna wurde<br />
nach 1614 als Tochter des evangelischen<br />
Predigers Georg Profelt in Kamnitz<br />
in Böhmen geboren. Die Familie<br />
wurde aus Glaubensgründen aus ihrer<br />
Heimat vertrieben und kam als Exulanten<br />
nach Zittau.<br />
Als Christian Weise geboren wurde,<br />
neigte sich der große Krieg, welcher<br />
später der Dreißigjährige Krieg genannt<br />
wurde, seinem Ende entgegen. Die<br />
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10<br />
Jubiläum |
Christian<br />
30.<strong>April</strong> 1642 - 21.<br />
Weise<br />
Oktober 1708<br />
Ober- und Niederlausitz waren wenige<br />
Jahre zuvor von Kaiser Ferdinand II.<br />
an den Kurfürsten von Sachsen verliehen<br />
worden, da er seine Kriegsschulden<br />
nicht bezahlen konnte. Für die Oberlausitz<br />
wirkt sich der Wechsel von den katholischen<br />
Habsburgern zu den evangelischen<br />
Wettinern durchaus positiv aus,<br />
blieb ihnen doch die brutale Rekatholisierung<br />
erspart, und zudem profitierte<br />
man auch vom Zuzug glaubenstreuer<br />
Protestanten, der Exulanten.<br />
Zittau war damals eine reiche Handelsstadt,<br />
welche die Folgen des langjährigen<br />
Krieges relativ gut und schnell überwinden<br />
konnte.<br />
Der kleine Christian Weise muss ein<br />
körperlich schwächliches Kind gewesen<br />
sein, mit kränklichen Augen, aber<br />
einem wachen Verstand. Der besorgte<br />
Vater schickte den Jungen bereits mit<br />
vier Jahren zur Genesung an den Gesundbrunnen<br />
zu Hornhausen, im Magdeburgischen<br />
gelegen. Die dortigen<br />
Heilquellen waren erst kürzlich entdeckt<br />
worden und dürften seinerzeit im besten<br />
und hoffnungsvollsten Ruf gestanden<br />
haben. Weise schrieb aber später<br />
selbst dazu, dass ihm diese Heilkur keinen<br />
rechten Erfolgt gebracht habe.<br />
Schon mit sechs Jahren wurde der Junge<br />
von seinem Vater mit in das Gymnasium<br />
genommen, seine Klassenkameraden<br />
waren doppelt so alt. Durch seinen<br />
regen Geist und die Förderung durch<br />
den Vater und den Rektor Christian Keimann<br />
bereitete ihm die Schule keine<br />
Schwierigkeiten. Bereits mit zwölf Jahren<br />
beherrschte er die lateinische und<br />
griechische Sprache.<br />
Mit 18 Jahren ging Christian Weise 1660<br />
zum Studium an die Universität nach<br />
Leipzig. Nach dem Willens seines Vaters<br />
sollte er Theologie studieren, er wandte<br />
sich aber mehr der Philosophie, Geschichte<br />
und Politik zu. Bereits nach einem<br />
Studienjahr wurde er Baccalaureus,<br />
1663 Magister. Schon während des Studiums<br />
hielt Weise private Vorlesungen<br />
über Beredsamkeit, Lebensweisheit,<br />
Geschichte und Poetik. Wegen seiner<br />
freien Äußerungen blieb ihm aber später<br />
eine berufliche Laufbahn an der Leipzi-<br />
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Jubiläum |<br />
11
Christian Weise<br />
Zum 300. Todestag von Christian Weise<br />
ger Universität verwehrt, auch Versuche,<br />
nach Jena, Dresden oder Hamburg<br />
zu wechseln, führten nicht zum Erfolg.<br />
So musste Christian Weise zunächst in<br />
private Dienste treten. Seine erste Anstellung<br />
fand er als Sekretär des Grafen<br />
Simon Philipp von Leiningen, Minister<br />
des Administrators von Magdeburg,<br />
in Halle. Danach war Weise als Erzieher<br />
zweier junger Herren von Asseburg,<br />
der Mündel des Grafen Schulenburg, in<br />
Ampfurt bei Magdeburg tätig.<br />
Im August 1670 wurde Christian Weise<br />
als Professor für Politik, Eloquenz (Beredsamkeit)<br />
und Poesie an das Gymnasium<br />
Augusteum in Weißenfels berufen.<br />
Dort wirkte er acht Jahre sehr erfolgreich<br />
und veröffentlichte bereits auch<br />
erste Druckschriften.<br />
Am 9. Oktober 1671 fand die Hochzeit<br />
von Christian Weise und Regina Arnold,<br />
Tochter des Pfarrers Thomas Arnold aus<br />
Burgwerben, statt. Mit Christian (1672-<br />
1672) und Christian Elias (1674-1677)<br />
wurden dem Paar zwei Jungen geboren,<br />
welche aber bald starben. Die Geburt<br />
des dritten Sohnes Johann Elias kostete<br />
Regina Weise schließlich das Leben, sie<br />
starb am 16. Mai 1678 in Weißenfels.<br />
Der Verlust der Ehefrau und zweier Kinder<br />
machte es Christian Weise vermutlich<br />
leichter, dem Ruf seiner Vaterstadt<br />
Zittau im gleichen Jahr zu folgen. Der<br />
Zittauer Rektor Vogel war verstorben,<br />
und der Rat der Stadt hatte sich an den<br />
wohlgeratenen Sohn des Lehrers Elias<br />
Weise erinnert.<br />
Im Juli 1678 trat Christian Weise seine<br />
neue Stelle als Rektor des Gymnasiums<br />
in Zittau an. Gleichzeitig war er<br />
aber auch als Leiter der Ratsbibliothek<br />
tätig. Festlich, mit zahlreichen Reden<br />
und Willkommensschriften wurde Weise<br />
in seiner Vaterstadt begrüßt.<br />
Im Januar 1679 verabschiedete Rektor<br />
Weise seinen Vater nach über 40jährigem<br />
Schuldienst in den Ruhestand.<br />
Erstmalig wurde eine solche Emeritierung<br />
in Zittau feierlich begangen und<br />
mit entsprechenden Reden und Druckschriften<br />
begleitet. Elias Weise starb im<br />
<strong>April</strong> 1679.<br />
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12<br />
Jubiläum |
Christian<br />
30.<strong>April</strong> 1642 - 21.<br />
Weise<br />
Oktober 1708<br />
Am 19. Juni 1679 heiratete<br />
Christian Weise<br />
Anna Regina Nesen,<br />
Tochter einer der<br />
wohlhabendsten und<br />
angesehensten Familien<br />
Zittaus. Im <strong>April</strong><br />
1680 wurde der Sohn<br />
Christian Gottfried geboren,<br />
er starb nur<br />
drei Monate später.<br />
Nach dem frühen Verlust<br />
von drei Kindern<br />
war der siebente Geburtstag<br />
des Sohnes<br />
Johann Elias für<br />
Weise offensichtlich ein solch wichtiges<br />
Ereignis, dass er ihn mit der Veröffentlichung<br />
einer gedruckten Geburtstagsschrift<br />
beging.<br />
Weises fünftes Kind, seine erste Tochter,<br />
kam am 5. Februar 1688 tot zur Welt.<br />
Die gedruckte namenlose Trauerschrift<br />
zur Beerdigung „eines Todt-Gebohrnen<br />
Und also Ungetaufften Kindes“ konnte<br />
erst kürzlich Weises jüngstem Kind zugeordnet<br />
werden.<br />
Altes Gymnasium in Zittau<br />
Weise hatte in Zittau ein gut funktionierendes<br />
Gymnasium vorgefunden, dennoch<br />
fand er viele Möglichkeiten, die<br />
Schule zu erweitern und den Unterricht<br />
zu verbessern. Vor allem legte er viel<br />
Wert auf die Kunst der freien Rede und<br />
beförderte den Unterricht in der deutschen<br />
Sprache.<br />
Der Schulalltag war von vielen traditionellen<br />
Ritualen geprägt, welche Weise<br />
fortführte und ausbaute. Dazu gehörten<br />
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Jubiläum |<br />
13
Christian<br />
Zum 300. Todestag<br />
Weise<br />
von Christian Weise<br />
Christian Weise<br />
die jährlichen Feste und Umzüge der<br />
Schüler zum Gregoriusfest, zum Weihnachtsfest,<br />
die Waisenhausumgänge<br />
und die Feste zur Ratskür (Ratswahl).<br />
Zahllose Schriften zu diesen Festen und<br />
Feiern verfasste Weise und ließ sie drucken.<br />
Vor allem wurde der Schulalltag aber<br />
auch durch die traditionellen Schultheateraufführungen<br />
geprägt, eine Tradition<br />
des barocken Schulwesens. Weise<br />
schrieb die Theaterstücke für seine<br />
Schüler meist selbst, insgesamt hat er<br />
über 50 Stücke verfasst. Einige wurden<br />
schon zu seinen Lebzeiten gedruckt,<br />
zahlreiche sind als Manuskripte erhalten,<br />
viele sind leider auch verloren gegangen.<br />
Drei Tage hintereinander wurde<br />
Theater gespielt, erst ein biblisches<br />
Stück, dann ein historisches Stück und<br />
zum Schluss ein Lustspiel. Alle Schüler<br />
des Gymnasiums waren in die Aufführungen<br />
einbezogen, so dass die Stücke<br />
bis zu 80 Mitwirkende hatten und<br />
die Aufführungsdauer zwischen vier<br />
und sechs Stunden lag. Diese Theateraufführungen<br />
dienten der Schulung der<br />
Gymnasiasten in der Kunst der freien<br />
Rede und des sicheren öffentlichen Auftretens.<br />
Zu Weises wichtigsten und bekanntesten<br />
Stücken gehört das Schauspiel vom<br />
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14<br />
Jubiläum |
Christian<br />
30.<strong>April</strong> 1642 - 21.<br />
Weise<br />
Oktober 1708<br />
„Neapolitanischen Haupt-Rebellen Masaniello“,<br />
welches 1682 aufgeführt wurde.<br />
Bedeutung hatte Weise aber vor allem<br />
auch als Schulmann, als Pädagoge und<br />
als Autor von Schul- und Lehrbüchern.<br />
In der damaligen Zeit gab es natürlich<br />
noch keine zentralen Lehrbuchvorgaben,<br />
jeder Lehrer und jede Schule musste<br />
sich die Bücher auf dem Markt suchen<br />
oder selbst neue Lehrbücher verfassen.<br />
Weise verfasste zahlreiche Lehrbücher,<br />
vor allem rhetorische Werke.<br />
In seiner Pädagogik vertrat Weise die<br />
Prinzipien der Lebensnähe, der Individualität<br />
und der Humanität. Lebensnähe<br />
zu vermitteln hieß für Weise, die Schüler<br />
auf das Leben vorzubereiten, eine<br />
„Pflanzstätte“ des Leben zu sein, sowie<br />
die Schüler zu befähigen, das Gute und<br />
Richtige zu erkennen und das Schlechte<br />
und Falsche abzuwehren. Individualität<br />
bedeutete für ihn, dass es keine allgemeingültige<br />
Lehrmethode gibt: „Wie<br />
viele Begabungen es gibt, so viele Pläne<br />
sind notwendig, diese Begabungen zu<br />
fördern.“ Humanität bedeutete für Weise,<br />
kein Verfechter körperlicher Züchtigungen<br />
zu sein.<br />
Der schon vor Weises Rektorenzeit außen<br />
am Zittauer Gymnasium angebrachte<br />
Spruch, traf auch auf seine Intentionen<br />
voll zu: „Gehe so hinein, dass du<br />
täglich für dich gebildeter wirst, verlasse<br />
das Haus so, dass du Tag für Tag für<br />
deine Vaterstadt und den Staat nützlicher<br />
wirst.“<br />
Der Rat der Stadt Zittau unterstützte<br />
Weises pädagogische Bemühungen<br />
auch durch den Erlass der von ihm erstellten<br />
neuen Schulordnung und des<br />
neuen Lehrplanes.<br />
Grundlage von Christian Weises gesamtem<br />
Wirken als Pädagoge und Dichter<br />
waren aber vor allem sein fester lutheranischer<br />
Glaube und die christliche<br />
Nächstenliebe.<br />
(Fortsetzung folgt)<br />
Uwe Kahl, Zittau<br />
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Jubiläum |<br />
15
Persönlichkeiten<br />
Karl Benjamin Preusker<br />
Begründer der wissenschaftlichen Archäologie<br />
in Sachsen - Förderer des<br />
Volksbibliothekswesens und der Bildung<br />
von Gewerbe- und Volksvereinen - Förderer<br />
der Einrichtung heimatkundlicher<br />
und archäologischer Sammlungengeb.<br />
22.9.1786 in Löbau, Zittauer Vorstadt<br />
(heute Äußere Zittauer Straße )<br />
als einziger Sohn des Webers Johann<br />
Karl Benjamin Preusker<br />
gest. 15.4.1871 in Großenhain<br />
Als Sohn eines Löbauer Schnittwarenhändlers<br />
besuchte Preusker vom 6. bis<br />
zum 10. Lebensjahr die Löbauer „Sammelschule“.<br />
Anschließend nahm er am<br />
Unterricht einer Kaufmannsfamilie teil,<br />
und danach folgte die zweite Klasse<br />
der Stadtschule (Secunda).Unbefriedigt<br />
mit dieser Ausbildung, wurde Preusker<br />
zu einer regelrechten Leseratte. Schon<br />
bald wurde die Löbauer Ratsbibliothek<br />
zu klein, und er besuchte die Bibliotheken<br />
der Sechsstädte.<br />
1801 trat Preusker in das väterliche<br />
Schnittwarengeschäft ein. Diese Tätigkeit<br />
brachte ihn u.a. auf die Leipziger<br />
Messe. Dort lernte er auch das Studentenleben<br />
kennen, was sein Interesse an<br />
einem Studium mehrte. Doch der Vater<br />
lehnte dieses Ansinnen ab, der Sohn<br />
sollte nicht als armer Gelehrter enden.<br />
So erweiterte Preusker neben der Arbeit<br />
seine Mineralien-, Muschel- und anderen<br />
Sammlungen. Nach langen Bemühungen<br />
willigte der Vater 1803 bis 1804<br />
in einen weiteren Schulbesuch am Löbauer<br />
Lyzeum ein -. Aber die Krankheit<br />
des Vaters zwang Preusker wieder ins<br />
elterliche Geschäft. In dieser Zeit fertigte<br />
er zwei historische Landkarten<br />
der Oberlausitz nach Literaturangaben.<br />
Nach der Gesundung des Vaters begann<br />
Preusker 1805 eine Lehre in der Buchhandlung<br />
Karl Franz Köhler in Leipzig.<br />
Privat legte er in dieser Zeit Collectaneen<br />
(Sammlungen) zu den meisten Wissenschaften<br />
und Übersichten über neu<br />
erschienene Bücher an und erweiterte<br />
so sein enzyklopädisches Wissens. Nach<br />
erfolgreicher vorzeitiger Beendigung der<br />
Lehre trat er in die Schulbuchhandlung<br />
des Schulrats Campe in Braunschweig<br />
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16<br />
Persönlichkeiten |
Löbauer Persönlichkeiten I<br />
ein. Auch in Campes Bekanntenkreis von<br />
Wissenschaftlern und Künstlern wurde<br />
er eingeführt. Preusker gab erste Schriften<br />
heraus und nahm parallel diversen<br />
Unterricht. Durch das rückläufige Buchgeschäft<br />
wegen der napoleonischen<br />
Herrschaft der Arbeitsstelle beraubt,<br />
verließ er 1811 Braunschweig und kehrte<br />
nach fast dreimonatiger Studienreise<br />
zu Fuß durch Deutschland heim ins<br />
elterliche Geschäft. Nicht wirklich geistig<br />
gefordert, folgte er 1813 dem Aufruf<br />
zur Volksbewaffnung gegen Napoleons<br />
Truppen. Preusker wurde sächsischer<br />
Offizier und kam u.a. nach Dresden,<br />
Döbeln und später auch nach Görlitz. Er<br />
nutzte immer wieder seine Freizeit für<br />
Studien von Bibliotheken und Sammlungen<br />
und besuchte Vorlesungen.<br />
1815 bis 1816 marschierte er mit nach<br />
Frankreich. So besuchte er auch Paris<br />
und seine Bibliotheken und Museen<br />
und traf berühmte Deutsche, u.a. Alexander<br />
von Humboldt. Er setzte sein<br />
gesamtes Geld für Reisen durch Frankreich,<br />
Flandern und Belgien ein. Zurück<br />
in der Leipziger Garnison, bemühte er<br />
sich um eine Zivilanstellung bei der Finanzverwaltung.<br />
So studierte er von<br />
1817-1819 nebenbei Cameralwissenschaften.<br />
Diese Doppelbelastung machte<br />
ihn 1818/19 krank, aber er gab nicht<br />
auf. 1820 pflegte Preusker auch Korrespondenz<br />
mit Goethe. Es ging um Fragen<br />
zur Kunst und zur Deutung des Charakters<br />
aus der Handschrift. Jährlich kam<br />
er nach Löbau zu seinen Eltern, meist<br />
zu Fuß. Bei einem Aufenthalt im Jahre<br />
1817 wurde er freudig überrascht. Im<br />
Elternhaus kam ein Diplom über die<br />
Mitgliedschaft Preuskers in der Oberlausitzischen<br />
Gesellschaft der Wissenschaften<br />
aus Görlitz an.<br />
Fast 35-jährig hatte Preusker endlich ein<br />
ordentliches Auskommen, er konnte eine<br />
Familiengründung denken. So heiratete<br />
er 1822 Amalie Agnes Löwe (geb.1798),<br />
die jüngste Tochter des Döbelner Bürgermeisters<br />
und Kaufmanns Carl Daniel<br />
Löwe. Sechs Töchter vergrößerten<br />
nach und nach die Familie. 1824 konnte<br />
Preusker nach 11jährigem Militärdienst<br />
die frei gewordene Stelle des Rentamtmannes<br />
von Großenhain einzunehmen<br />
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Persönlichkeiten |<br />
17
Persönlichkeiten<br />
Karl Benjamin Preusker<br />
Ölbild (Künstler nicht bekannt, aus dem Besitz des Löbauer Museums)<br />
anzeige<br />
18<br />
Persönlichkeiten |
Löbauer Persönlichkeiten I<br />
Er arbeitete bald so effektiv, daß er die<br />
Nachmittage und Abende in der Regel<br />
für seine wissenschaftlichen Forschungen<br />
zur Verfügung hatte. Mineralogie und Altertumsforschung<br />
waren ausgehend vom<br />
Zeitgeist sein neues Thema. Bald folgten<br />
Studien und Veröffentlichungen z u m<br />
Großenhainer Gebiet, und der damalige<br />
Sekretär der Oberlausitzischen Gesellschaft<br />
der Wissenschaften bat ihn, für deren<br />
Zeitschrift zu schreiben. So entstand<br />
sein umfassendes Werk zur Altertumsgeschichte<br />
der Oberlausitz. Preusker arbeitete<br />
wissenschaftlich und unternahm<br />
selbst Ausgrabungen und forschte nach<br />
alten Grenzwällen, Opfer- und Verteidigungsorten.<br />
Er band auch die Bevölkerung<br />
ein, studierte die Überreste alter<br />
Sitten und Sagen. 1832 umfaßte seine<br />
Privatsammlung bereits 500 Nummern.<br />
Nachdem sein Freund Klemm bereits<br />
1835 mit einem Gesamtwerk zur deutschen<br />
Altertumskunde („Germanische<br />
Altertumskunde“) herausgekommen<br />
war, konzentrierte sich Preusker mit einem<br />
vergleichenden Werk auf Sachsen.<br />
Als Ergebnis von 1841-44 erschien das<br />
Werk „Blicke in die vaterländische Vorzeit“<br />
in drei Bänden.<br />
Preusker wünschte sich für die Bevölkerung<br />
auch eine öffentliche Bibliothek.<br />
Durch Geld- und Bücherbeiträge<br />
aus der Bürgerschaft konnte sie bereits<br />
1828 eröffnet werden. Sie war in dieser<br />
Zeit die einzige volkstümliche Bibliothek<br />
in Deutschland. „ Solche Bürgerbibliotheken<br />
nach meiner Idee für Jugend-,<br />
Gewerb- und allgemeine Volksbildung<br />
sollen- im Gegensatz zu den ...Gelehrten-Bibliotheken<br />
- den Bürgern Gelegenheit<br />
geben, ihre Fortbildung in gewerblicher<br />
wie in allgemeiner Hinsicht<br />
zu fördern, und zwar durch unentgeltlich<br />
zu erlangende Bücher, da sie solche selten<br />
anderswo entleihen, noch weniger<br />
sich selbst anschaffen können.“ (Selbstbiographie,<br />
1871 posthum erschienen).<br />
Preuskers erklärtes Ziel war es, den vaterländischen<br />
Gewerbefleiß zu fördern.<br />
Im März 1828 machte er sich mit Freunden<br />
an den Aufbau eines Zweigvereins<br />
des „Polytechnischen Cassenvereins für<br />
Sachsen“. Es funktionierte nicht lange,<br />
aber er konnte die gewonnenen Mit-<br />
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Persönlichkeiten |<br />
19
Persönlichkeiten<br />
Karl Benjamin Preusker<br />
gliedsgelder 1830 für die Gründung einer<br />
Sonntagsschule verwenden. Sie<br />
diente zur Nachhilfe und Fortbildung für<br />
Lehrlinge. Preusker leitete die Schule<br />
und finanzierte sie mit Zuschußgeldern<br />
der Stadt und der Staatsregierung sowie<br />
aus Beiträgen von Innungen und einigen<br />
Gönnern. Doch auch für die selbstständigen<br />
gewerbetreibenden Bürger<br />
legte Preusker 1832 in Großenhain ein<br />
Konzept zur Gründung eines Gewerbevereins<br />
vor, welcher 1833 ins Leben<br />
gerufen wurde. Er verstand es, die Arbeit<br />
der Stadtbibliothek, der Sonntagsschule<br />
und des Gewerbevereins effektiv<br />
miteinander zu verknüpfen. Alle drei<br />
Anstalten erlangten Vorbildfunktion für<br />
ganz Deutschland. 1835 erschien sein<br />
Werk „Bausteine“ in drei Bänden. 1838<br />
gründete er einen Frauenverein zur Errichtung<br />
und Fortführung einer Kinderbewahranstalt<br />
für arme, noch nicht<br />
schulfähige Kinder, deren Mütter arbeiten<br />
mußten. 1840 wurde Preusker Ehrenbürger<br />
von Großenhain. Für Dorfbibliotheken,<br />
die er vergeblich zu gründen<br />
versuchte, und andere Bereiche schuf er<br />
1839 die Idee zu einer Wanderbibliothek.<br />
Er praktizierte diese Anstalt vier Jahre<br />
lang erfolgreich. Auch kleine Schriften<br />
zur Jugendbildung für Eltern als populäre<br />
Handreichungen brachte er heraus,<br />
und er übernahm es, die Großenhainer<br />
Ortschronik zu schreiben.<br />
1853, seine erst 53jährige Frau war<br />
1851 verstorben, trat er in den Ruhestand.<br />
Er schrieb seine Selbstbiographie.<br />
Zu seinem 74. Geburtstag 1860 wurde<br />
Preusker Ehrenbürger von Löbau. 1867<br />
initiierten Freunde für ihn eine Preuskerstiftung<br />
an befähigte, strebsame junge<br />
Gewerbetreibende für den Besuch einer<br />
sächsischen technischen Anstalt. Preusker<br />
war auch der Ideengeber für das Löbauer<br />
Stadtmuseum, das 1894 gegründet<br />
wurde.<br />
Anke John, Zusammengestellt durch<br />
Regine Wiemer<br />
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20<br />
Jubiläum |
150 Jahre Jägerkaserne<br />
Diesen Namen kennt fast jeder Görlitzer<br />
noch heute. Inzwischen Sitz einiger<br />
Abteilungen der Stadtverwaltung, heißt<br />
das Bauwerk in der Umgangssprache<br />
und auch offiziell immer noch „Jägerkaserne“,<br />
obwohl es seit über 60 Jahren<br />
keine Soldaten mehr beherbergt. Zwar<br />
hatte Görlitz schon 1830 eine eigene<br />
preußische Garnison bekommen, die<br />
1.Schlesische Schützenabteilung (1848<br />
umbenannt in 5. Jäger-Bataillon). Erst<br />
von 1856 bis 18<strong>58</strong> wurde die Jägerkaserne<br />
erbaut und am 30.<strong>April</strong> 1859<br />
durch die Truppe bezogen.<br />
Für die Stadt fielen damit 292248 Mark<br />
Baukosten an. Das hatte seine Vorgeschichte.<br />
Um 1850 wurden unter Verantwortung<br />
der Stadt Mauern, Tore und<br />
Bastionen der alten Stadtverteidigung<br />
größtenteils abgetragen. Dazu wurden<br />
auch Arbeitslose eingesetzt, um sie in<br />
der Revolutionszeit zu beschäftigen und<br />
sozialen Zündstoff zu vermindern. Der<br />
Abriss betraf auch den Zwinger am Grünen<br />
Graben bis zum Jüdenring (heute<br />
Hugo-Keller-Straße) und den Hälterberg<br />
zwischen Jüdenring und Lunitz, begrenzt<br />
durch den Pulverturm am Grünen Graben<br />
und das Rondell am Hälterberg (in<br />
Höhe Sporergasse). Der Hälterberg (benannt<br />
nach den „Hältern“, künstlichen<br />
Fischteichen für die Fastenzeit) wurde<br />
zum Teil abgetragen und zum Verfüllen<br />
des Grünen Grabens verwendet.<br />
Pulverturm und Rondell verschwanden<br />
1853. Diese Eile brachte nun Ärger mit<br />
dem preußischen Kriegsministerium, da<br />
während des Krimkrieges ein europäischer<br />
Krieg nicht auszuschließen war.<br />
Oberbürgermeister Jochmann und Baurat<br />
Martius wurden aufgefordert, durch<br />
den Bau einer als Bollwerk gedachten<br />
Kaserne und des Blockhauses als Brückenkopf<br />
für den Viadukt ihren guten<br />
Willen zu beweisen. In Berlin sah man<br />
das als „Ersatz für die Beeinträchtigung,<br />
welche die Verteidigungsfähigkeit der<br />
Stadt durch das von dem Magistrat eigenmächtig<br />
aufgeführte Niederreißen<br />
der Mauern und Ausfüllen der Gräben<br />
vom Frauentore bis längs des Grünen<br />
Grabens erlitten hat.“ Die Kaserne war<br />
zunächst für 600 Mann gedacht. Trotz<br />
des sonst ausgezeichneten Einverneh-<br />
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Geschichte |<br />
21
150 Jahre Jägerkaserne<br />
mens von Stadtobrigkeit und Königshaus<br />
kam es also beim Übereifer der Modernisierer<br />
um Demiani und Jochmann<br />
doch zu Reibereien zwischen Kommune<br />
und Staatsregierung. Zum Glück war<br />
inzwischen auf dem Hälterberggelände<br />
Baureiheit geschaffen worden, und hierher<br />
kam der Neubau.<br />
In ihrer Architektur zeigte die Kaserne<br />
deutliche Ähnlichkeiten mit Ständehaus,<br />
Blockhaus, Kaisertrutz-Vorbau, Kirche<br />
Jägerkaserne, Lithographie um 1865<br />
Heilig Kreuz und Tuchfabrik Bergmann<br />
und Krause (Lunitz), die fast gleichzeitig<br />
entstanden. Rundbögen und Zinnen<br />
zeugten von der damaligen Vorliebe für<br />
romanische Burgen und Kirchen. Roter<br />
Backstein und großformatiger Bruchstein<br />
aus einheimischer Fertigung sowie<br />
mächtige Ecktürme lassen die Jägerkaserne<br />
wuchtig und wehrhaft erscheinen.<br />
Für das Militär war so ein entscheidender<br />
Fortschritt erreicht. Erst jetzt konnten<br />
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22<br />
Geschichte |
Jägerkaserne<br />
Älteste Kaserne Görlitz<br />
19 in der überbelegten Kaserne, bis eines<br />
1896 in die gerade gebaute neue<br />
Kaserne an der Trotzendorfstraße (Oststadt)<br />
umziehen konnte. Nach der Auflösung<br />
des Regiments 1919 kam dann<br />
ein Teil der neuen Reichswehr-Garnison<br />
Musikkorps vor der Kaserne um 1905<br />
die Soldaten ordentlich untergebracht<br />
und nach einem straffen Dienstplan<br />
ausgebildet werden.<br />
Bis 1887 lag nun hier das 5. Jäger-Bataillon<br />
und zog in die Kriege 1866 und<br />
1870/1871. Bereits 1871 kamen Stab,<br />
erstes Bataillon und Musikkorps des<br />
Infanterie-Regiments Nr. 19 aus dem<br />
Rheinland nach Görlitz, um die Jägergarnison<br />
nächstens abzulösen. Für 16<br />
Jahre lagen nun aber diese zwei Heeresbataillone<br />
mit Stäben und Musikern<br />
in „drangvoller Enge“ zusammen in der<br />
Jägerkaserne. Ab 1887 waren dann zwei<br />
Bataillone des Infanterieregiments Nr.<br />
Erinnerungsblatt Garnisonjubiläum 1880<br />
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Geschichte |<br />
23
150 Jahre Jägerkaserne<br />
(III. Bataillon 8.<br />
(preuß.) Infanterie-Regiment)<br />
1921 in die abgenutzte<br />
Jägerkaserne.<br />
Die Wehrmacht-Garnison<br />
(Infanterie-Regiment<br />
30) war<br />
dann ab 1935 in<br />
den Kasernen der<br />
Oststadt, doch<br />
unterstand die<br />
Kasernenhof, Antreten um 1910<br />
Jägerkaserne bis<br />
1945 der Garnison. Heute erinnert eine noch exakt zu belegen; die Betroffenen<br />
Bronzetafel, nach 1990 durch die Kameradschaft<br />
ehemaliger Hirschberger wurden von hier aus Internierte auch in<br />
sind nicht mehr am Leben. Sicherlich<br />
Jäger in Osterode gestiftet, an sämtliche<br />
früher in der Jägerkaserne unterge-<br />
kamen, soweit sie überlebten, erst nach<br />
sowjetische Arbeitslager deportiert und<br />
brachten preußischen Garnisonen. Man Jahren zurück.<br />
findet sie gegenüber der Pförtnerloge Bald nach Kriegsende wurde die Jägerkaserne<br />
innen behelfsmäßig umgebaut.<br />
neben dem Aufzug.<br />
Nach Kriegsende 1945 diente die Kaserne<br />
kurzzeitig der Besatzungsmacht als vertriebenen aus den Ostprovinzen soll-<br />
Familien von Flüchtlingen und Heimat-<br />
„Umerziehungslager“ für Mitglieder und ten eine angemessene Bleibe bekommen.<br />
Noch in den 1980er Jahren gab<br />
untere Amtsträger der Hitler-Partei. Was<br />
damals dort geschah, ist heute kaum es dort Wohnungsmieter. Nach 1990 er-<br />
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24<br />
Geschichte |
Jägerkaserne<br />
Älteste Kaserne Görlitz<br />
folgte durch die<br />
Stadtverwaltung<br />
eine gründliche<br />
Sanierung für die<br />
Bedürfnisse moderner<br />
Bürotätigkeit.<br />
Fassaden<br />
und Hof zeugten<br />
von sachkundiger<br />
denkmalpflegerischer<br />
Beratung.<br />
Der Durchbruch<br />
einer Autoeinfahrt<br />
vom Grünen<br />
Kasernenhof, Appell 1935<br />
Graben her läßt sich verschmerzen. Viel<br />
Kritik hört man dagegen von Einheimischen<br />
und Touristen an dem unnötigen<br />
Strippenzieher der „Eventkultur“ fröhlich<br />
bedienten. Nun lernen wir notgedrungen<br />
wieder, wie zu Demianis Zeiten<br />
zusätzlichen Dachgeschoss oberhalb verantwortungsbewusst mit öffentlichen<br />
des historischen Bauwerks, aufdringlich<br />
mit hellem Blech verkleidet. Wie die<br />
führende Görlitzer Tageszeitung seinerzeit<br />
berichtete, meinte eine Sprecherin<br />
der Verwaltung zu diesem Missgriff,<br />
Mitteln umzugehen. Wer auch in absehbarer<br />
Zukunft in der nicht mehr kreisfreien<br />
Stadt die Jägerkaserne nutzen<br />
mag - der solide Bau von 18<strong>58</strong> ist dafür<br />
gerüstet.<br />
„auch beim Kuchenbacken könne man<br />
sich manchmal vertun.“ Das war noch Dr. Ernst Kretzschmar<br />
die Zeit gut gefüllter Geldtöpfe, aus denen<br />
sich wenig später noch die örtlichen<br />
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Geschichte |<br />
25
Görlitz und seine<br />
und<br />
Sternwarte -Fortsetzungseine<br />
Ster<br />
Bereits vor 150 Jahren besaß die Görlitzer<br />
Schulsternwarte ein Planetarium<br />
im ursprünglichen Sinn, bestehend aus<br />
verschiedenen mechanischen Modellen,<br />
heutige Projektionsplanetarien kamen<br />
erst 1923 auf. Dennoch haben mechanische<br />
Modelle selbst heute noch einen<br />
hohen didaktischen Wert bei der Erklärung<br />
von Bewegungsvorgängen und<br />
Sichtbarkeiten am Himmel.<br />
Himmelsglobus<br />
Auf der 1,60 m großen Drahtkugel waren<br />
über 500 Sterne aus Blech je nach Helligkeitsklasse<br />
in fünf Größen und exakter<br />
Position befestigt. Mit Draht wurden<br />
die Sternbildgrenzen sowie Koordinatenkreise<br />
und die Milchstraße mit einem<br />
Drahtgeflecht sehr eindrucksvoll dargestellt.<br />
Die drehbare Kugel ließ sich auf<br />
verschiedene Polhöhen einstellen. Im<br />
Inneren befanden sich Sonne und Erde.<br />
Durch ein Getriebe ließen sich Erde und<br />
Sternenkugel zueinander bewegen.<br />
Tellurium-Lunarium<br />
Tellurium-Lunarium<br />
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26<br />
Geschichte |
Das erste<br />
erste<br />
Planetarium<br />
Planetarium<br />
Das Bewegungsmodell gab die Verhältnisse<br />
der Umlaufzeiten der Planeten<br />
Merkur bis Saturn um die Sonne richtig<br />
wieder. Bahnabstände und Größen der<br />
Planeten konnten aus gestalterischen<br />
Gründen nicht maßstabsgetreu sein. Sie<br />
wurden durch Modelle veranschaulicht.<br />
Modelle zum Planetensystem<br />
Modelle zum Planetensystem<br />
Tellurium-Lunarium<br />
Die Größe des Modells ermöglichte den<br />
Vortragenden, sich innerhalb des Rings<br />
zu stellen. Bei der Bewegung wurden<br />
die Sonne von der Erde und diese vom<br />
Mond umlaufen, dabei rotierte die Erde.<br />
Messingdrähte deuteten Richtung der<br />
Sonnenstrahlen an.<br />
Planetarium<br />
Acht Messingkugeln auf gedrechselten<br />
Untersätzen demonstrierten die Größenverhältnisse<br />
der Planeten. 1916 wurde<br />
die größte Messingkugel für Jupiter<br />
wahrscheinlich wegen ihres Metallwertes<br />
gestohlen und durch ein Gipsmodell<br />
ersetzt. Auf der Tafel hinter den Modellen<br />
wurden die Entfernungsverhältnisse<br />
im Sonnensystem mit denen in der<br />
Stadt verglichen.<br />
Planeto-Cometarium<br />
Das Anschauungsmodell zeigte die Bahnen<br />
von Merkur bis Jupiter einschließlich<br />
Erdmond und den vier Jupitermonden.<br />
Mit verschieden gefärbten Neusilberdrähten<br />
waren die Bahnen von 36 Pla-<br />
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Geschichte |<br />
27
Görlitz und seine<br />
und<br />
Sternwarte -Fortsetzungseine<br />
Ster<br />
netoiden und 11 Kometen exakt dargestellt.<br />
Genauigkeit und Sorgfalt bis ins<br />
kleinste Detail wiesen Richter als geschickten<br />
Meister aus.<br />
Apparat zur Darstellung der Keplerschen<br />
Gesetze<br />
Das Bewegungsmodell veranschaulichte<br />
die beiden ersten Gesetze, nach denen<br />
sich ein Planet auf einer Ellipse um die<br />
im Brennpunkt stehende Sonne bewegt<br />
Keplersche Gesetze<br />
und dabei seine Bahngeschwindigkeit<br />
mit der wechselnden Sonnenentfernung<br />
ändert. Auf dem Bild ist in der Mitte die<br />
Sonne anzunehmen, links von ihr ein<br />
fiktiver Planet auf Kreisbahn mit konstanter<br />
Bahngeschwindigkeit und rechts<br />
einer auf Ellipsenbahn. Für zwei Lehrer<br />
am Augustum schuf Richter dieses Modell,<br />
auf dessen Tisch Schüler Messungen<br />
durchführen konnten.<br />
(Fortsetzng folgt)<br />
Planeto-Cometarium<br />
Lutz Pannier<br />
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28<br />
Ausblick |
Das internationale Jahr des Frosches<br />
Jah<br />
<strong>2008</strong><br />
Das Szenario könnte nicht düsterer<br />
sein: Unter unseren Augen verschwindet<br />
eine Amphibienart nach der anderen,<br />
ohne greifbare Erklärung und in<br />
kürzester Zeit, selbst in augenscheinlich<br />
unberührten Biotopen, und das überall<br />
auf der Welt, gleichzeitig! Was passiert<br />
seit etwa 20 Jahren mit einer gesamten<br />
Tierklasse, die es seit 300 Millionen Jahren<br />
auf der Erde gibt? Verschwinden die<br />
Amphibien sang und klanglos wie die<br />
Dinosaurier?<br />
Heute sind 32 % der Amphibienarten,<br />
das heißt 1856 von <strong>58</strong>00 bekannten<br />
Arten, weltweit bedroht. Alle einheimischen<br />
Arten stehen auf der Roten Liste<br />
der gefährdeten Tiere.<br />
Die Ursachen sind vielfältig. Amphibien<br />
gehören zu den ersten Opfern der<br />
Erderwärmung, weil sie sehr sensibel<br />
auf veränderte Umweltbedingungen<br />
reagieren. Die erhöhte UV-Strahlung<br />
versengt den Laich. Umweltschadstoffe<br />
schwächen den Froschorganismus. Die<br />
Lebensräume der Tiere werden durch<br />
Abholzungen, eine expandierende Land-<br />
wirtschaft, Ausbau der menschlichen Infrastruktur<br />
und Siedlungsbau vernichtet.<br />
Zu einer der bedrohlichsten Gefahren<br />
zählt eine sich rasch verbreitende Pilzerkrankung,<br />
die Chytridiomycose, hervorgerufen<br />
durch den Chytridpilz (Batrachochytrium<br />
dendrobatidis). Er befällt die<br />
Amphibien und rafft sie in kürzester Zeit<br />
hinweg. Seit den 1980er Jahren besteht<br />
eine regelrechte Chytridpilz-Epidemie,<br />
durch die zahlreiche Amphibienarten innerhalb<br />
weniger Wochen vorwiegend in<br />
Mittel- und Südamerika sowie Australien<br />
stark in ihrem Bestand dezimiert oder<br />
sogar ausgerottet wurden.<br />
Wie viele internationale Naturschutzund<br />
Zooverbände sorgen wir uns, dass<br />
die fleißigen Insektenfresser bald nur<br />
noch in Büchern zu sehen und Froschkonzerte<br />
von einer CD zu hören sind!<br />
Darum beteiligt sich der Naturschutz-<br />
Tierpark Görlitz gemeinsam mit den anderen<br />
ostsächsischen Zoos an den weltweiten<br />
Aktionen zum internationalen<br />
Jahr des Frosches <strong>2008</strong>. Die Tiergärten<br />
in Bischofswerda, Görlitz, Hoyerswerda,<br />
Weißwasser und Zittau werden in<br />
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Ausblick | 29
Das internationale Jahr des Frosches<br />
Jah<br />
<strong>2008</strong><br />
anzeige<br />
30<br />
Ausblick |
Das<br />
im Naturschutz-Tierpark<br />
internationale<br />
Görlitz<br />
Jah<br />
Absprache mit regionalen Naturschutzverbänden<br />
und Behörden wie z.B. dem<br />
Biosphärenreservat Oberlausitzer Heide-<br />
und Teichlandschaft Amphibien-Projekte<br />
öffentlichkeitswirksam begleiten,<br />
weil es diese Tiergruppe im Kampf um<br />
die Sympathie der Menschen schwer<br />
hat. Die meisten Menschen interessieren<br />
sich nicht für „Froschnaturen“. Außerdem<br />
werden sie bis heute für eklig<br />
gehalten.<br />
Auch deshalb bestimmen Froschexkursionen,<br />
Froschkonzert und Froscholympiade<br />
das Jahresprogramm des Naturschutz-Tierparks<br />
Görlitz <strong>2008</strong>.<br />
Im Heimtierraum des Tierparks wird das<br />
„Gequake“ nicht zu überhören sein. Hier<br />
kann man sich ausführlich über die Hintergründe<br />
der weltweiten Aktionen für<br />
Frösche informieren und sich an der Unterschriftensammlung<br />
(Petition an die<br />
Regierungen und Parlamente der Welt)<br />
und der Spendensammlung für Froschprojekte<br />
beteiligen.<br />
Beim Spiel des Frosch-Memorys wird jedem<br />
bewusst, wie viele Froschlurcharten<br />
es in unserer Region noch gibt. Vielleicht<br />
kann der eine oder andere diese<br />
nach dem Spielen sogar an ihren Merkmalen<br />
erkennen!<br />
Daneben werden die Besucher ein neues<br />
Terrarium für Krokodilmolche und<br />
Terrarien für Schwarznarbenkröten und<br />
Chinesische Riesenunken bewundern<br />
können. Stellvertretend für alle Froschlurche<br />
erzählen die exotischen Schwarznarbenkröten<br />
von ihrem leidvollen Weg<br />
in der traditionellen chinesischen Medizin.<br />
Mit der Aktion „Krötenretter gesucht“<br />
soll den Amphibien der Region aber auch<br />
ganz praktisch geholfen werden. Dabei<br />
kann jeder mitmachen. Ob er einen<br />
Frosch aus einem Schacht rettet, keine<br />
Goldfische in den Gartenteich setzt, vielleicht<br />
sogar eine Gartenteich für Amphibien<br />
anlegt, die Krötenzaunaktionen unterstützt,<br />
die Blumenwiese nur zweimal<br />
im Jahr mäht, damit genügend Insekten<br />
für die Frösche da sind, ein Plakat für<br />
Frösche malt oder Geld spendet, jede<br />
Aktion hilft den Tieren! Mit dem Nachweis<br />
einer gelungenen Aktion verwan-<br />
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Ausblick | 31
Das internationale Jahr des Frosches<br />
Jah<br />
<strong>2008</strong><br />
anzeige<br />
32<br />
Ausblick |
Das<br />
im Naturschutz-Tierpark<br />
internationale<br />
Görlitz<br />
Jah<br />
delt sich im Naturschutz-Tierpark Görlitz<br />
ein Ei der Froschlaichkette in einen<br />
Frosch. Bleibt zu hoffen, dass sich bis<br />
zum Herbst tatsächlich viele Frösche,<br />
Unken und Kröten entwickelt haben! Für<br />
die gelungenen Rettungsaktionen erhält<br />
jeder Froschretter eine Froschrettermedaille.<br />
Die besten 3 Aktionen, die von<br />
einer Jury ausgewählt werden, erhalten<br />
zum Deutschen Zootag am 28. September<br />
<strong>2008</strong> ganz besondere Preise.<br />
Eine besonders schöne Krötenretter- Aktion<br />
wäre der Erwerb eines Storchis für<br />
die Kröten. Schließlich haben Störche ja<br />
durchaus was mit Fröschen und Kröten<br />
zu tun. Sie stehen auf ihrem Speisezettel.<br />
Doch Frösche und Kröten sind zur<br />
Seltenheit für den Storch und damit zu<br />
einer Delikatesse geworden. Deshalb<br />
werden Storchis und Storchilinos <strong>2008</strong><br />
für die Kröten aktiv.<br />
Jeder, der <strong>2008</strong> einen Storchi oder<br />
Storchilino erwirbt, wird zum Krötenretter,<br />
denn ihr Verkaufserlös kommt den<br />
Aktionen für die Frösche zu gute!<br />
Am Ostermontag, dem 24. März, um<br />
11.30 Uhr zum Frühlingsfest im Naturschutz-Tierpark<br />
Görlitz startete die Aktion<br />
„Krötenretter gesucht“ mit dem Mistkarrenrennen<br />
der Storchianer auf dem<br />
Bauernhof. Dabei ist es für die Storchianer<br />
gar nicht so einfach, neben dem<br />
Schieben der Mistkarre an Frösche zu<br />
kommen. Einige von den hölzernen Geburtstagstieren<br />
zum 50. Tierparkjubiläum<br />
kommen extra dafür in den Tierpark<br />
und beobachten ihre Storchianer beim<br />
Einsammeln der Frösche am Krötenzaun.<br />
Beim Retten der Frösche könnte <strong>2008</strong><br />
auch so manche kleine Prinzessin helfen,<br />
denn schließlich geht das Märchen<br />
vom Froschkönig ja auch gut aus! Doch<br />
dass die Geschichte von der Prinzessin<br />
mit der goldenen Kugel wahrscheinlich<br />
ganz anders war, wird man spätestens<br />
am Pfingstmontag aus einem neuen<br />
Heft für Kinder erfahren können.<br />
Naturschutz-Tierpark Görlitz<br />
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Ausblick |<br />
33
Puppenbühne<br />
Marianne<br />
Marianne Hauptmann<br />
Marianne Hauptmann mit ihrem Kasperle um 1947<br />
Die Lebensdaten liest man auf<br />
dem Grabstein nahe dem Krematorium.<br />
Geboren am 11.<br />
März 1922, gestorben am 25.<br />
Dezember 2005. Ihr Leben lang<br />
wirkte Marianne Hauptmann in<br />
ihrer Heimatstadt Görlitz. Sie<br />
blieb in der Heimat, schöpfte<br />
aus ihr Kraft und formte sie mit.<br />
Sie hätte irgendwann Ehrenbürgerin<br />
werden müssen. In der 2.<br />
Hälfte des vorigen Jahrhunderts<br />
hat sie das Kulturleben hier auf<br />
ihre Weise mit geprägt, nicht<br />
lautstark im Vordergrund zwar,<br />
aber mit Nachwirkung. Als Kinder<br />
oder Erwachsene begegneten<br />
sehr viele Görlitzer ihrem<br />
Puppenspiel. Auf ihre Weise<br />
bewegte sie mehr als mancher,<br />
nach dem eine Straße benannt<br />
ist.<br />
Aufgewachsen in einer kulturell<br />
aufgeschlossenen Familie, die<br />
Mutter war Krankenschwester,<br />
der Vater Tierarzt, besuchte sie<br />
bis 1938 die Luisenschule (Ober-<br />
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34<br />
Geschichte |
Marianne<br />
50 Jahre Görlitzer Kulturschaffen<br />
Hauptmann<br />
Erste Spielstätte im Evangelischen Vereinshaus, 1946<br />
schule für Mädchen) und erhielt danach<br />
ihre Ausbildung als Kindergärtnerin und<br />
Hortnerin. 1940 bis 1945 arbeitete sie<br />
nacheinander an den Kindergärten Königshain,<br />
Rothwasser, Ebersbach, Weinhübel<br />
und Rauschwalde. Schon während<br />
ihrer Ausbildung und dann in den Landgemeinden<br />
begann sie mit dem Hand-<br />
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Geschichte |<br />
35
Puppenbühne<br />
Marianne<br />
Marianne Hauptmann<br />
Eintrittskarte 1947<br />
puppenspiel, aus Liebe zur Sache und<br />
noch ohne spezielle Vorkenntnisse. Sie<br />
konnte lange im Elternhaus bleiben und<br />
suchte sich nach Kriegsende ihr eigenes<br />
Betätigungsfeld. Nachdem sie eine<br />
Gutachterkommission des Kulturbundes<br />
unter Eberhard Wolfgang Giese mit<br />
der Probeaufführung „Spiel vom klugen<br />
und tapferen Schneiderlein“ überzeugt<br />
hatte, erhielt sie im März 1946 die Gewerbegenehmigung<br />
für ein Handpuppentheater.<br />
Da der<br />
Kulturoffizier der<br />
sowjetischen Kommandantur<br />
damals<br />
jedes neue Stück<br />
genehmigen musste,<br />
wusste sie auch<br />
seine wohlwollende<br />
Unterstützung<br />
zu gewinnen.<br />
Damals, 1947 bis<br />
1950, lebten in Görlitz<br />
allein auf der<br />
Westseite der Neiße<br />
über 100.000<br />
Menschen, darunter<br />
sehr viele Kinder. So viele, dass an den<br />
Schulen zeitweise Schichtunterricht eingeführt<br />
wurde. Aber das Kulturangebot<br />
für die Heranwachsenden war mager -<br />
fünf Kinos, Tanzschule Neumann-Henke,<br />
Jugendtheaterring, Bühne der Jugend<br />
(Kunnerwitzer Straße). Da war<br />
die neue Puppenbühne ein Schritt nach<br />
vorn. Etwa alle vier Wochen musste nun<br />
ein neues Stück zu sehen sein. Puppen<br />
und Bühne musste Marianne Haupt-<br />
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36<br />
Geschichte |
Marianne<br />
50 Jahre Görlitzer Kulturschaffen<br />
Hauptmann<br />
mann selbst bezahlen. Anfangs spielte<br />
sie allein und in angemieteten Räumen.<br />
Im Evangelischen Vereinshaus (heute<br />
Wichernhaus) bekam sie endlich einen<br />
festen Raum für Bühne und Zuschauer.<br />
Die Bänke hatten verschiedene Sitzhöhnen,<br />
um die Sicht zu verbessern.<br />
Bei Auswärtsgastspielen war die zusammenhängende<br />
Bühnenkonstruktion zum<br />
Spielort zu transportieren; abenteuerlich<br />
beim damaligen Mangel an Fahrzeugen.<br />
Gelegentlich wurde in Flüchtlingsbaracken<br />
oder vor dem Hauptfilm<br />
im Kino (um die erwarteten Besucherzahlen<br />
zu steigern) gespielt. Bald gab<br />
es Verbindungen zu Industriebetrieben,<br />
wo die Gewerkschaften den Kindern ihrer<br />
Mitglieder etwas bieten wollten. Aufführungen<br />
in Gaststätten und Schulen<br />
der Dörfer brachten Kultur aufs Land.<br />
So wurde Marianne Hauptmann rasch<br />
zu einem Begriff für Görlitz. Der Hunger<br />
nach Kultur in schweren Notzeiten<br />
kam ihr zugute und bescherte ihr Mut<br />
und Einfallsreichtum. Märchen der Brüder<br />
Grimm und anderer Völker lieferten<br />
genug Stoff. Von 1948 bis 1950 hatte<br />
Anzeige Lausitzer Rundschau 1947<br />
die Puppenbühne 563 Aufführungen. Im<br />
Februar 1955 blickte sie bereits auf 1000<br />
Aufführungen zurück. Bald förderte der<br />
Staat fachlich (und auch ideologisch)<br />
die Puppenbühnen des Landes, Gutes<br />
setzte sich durch. Unbedarfte Schnellgründungen<br />
blieben auf der Strecke.<br />
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Geschichte |<br />
37
Puppenbühne<br />
Marianne<br />
Marianne Hauptmann<br />
Handpuppe 1946<br />
1952 gab es Sprecherziehung<br />
mit dem Theaterprofessor Hans<br />
Finohr.<br />
Eine Spezialschule in Sondershausen<br />
vermittelte Fachkenntnis<br />
in Dramaturgie, Regiekonzeption,<br />
Stückauswahl,<br />
Bühnenbildgestaltung. Marianne<br />
Hauptmann nutzte solche<br />
Möglichkeiten für Weiterbildung<br />
und Erfahrungsaustausch,<br />
wusste vor Ort und im landesweiten<br />
Leistungsvergleich zu<br />
überzeugen. Die derben und<br />
einfältigen, aber oft auch treffenden<br />
Kasperlespäße fanden<br />
keine Gnade mehr, man nannte<br />
sie geringschätzig Tritratrullala.<br />
Neben die traditionellen Handpuppen<br />
traten nun Stabpuppen,<br />
Marionetten und Schattenspiele.<br />
Es gab Vorstellungen<br />
für Kinder und für Erwachsene.<br />
Das Repertoire wuchs rasch.<br />
Aber man musste sich selbst<br />
kümmern. Nicht einmal das<br />
Stadttheater half, ausgenom-<br />
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38<br />
Geschichte |
Marianne<br />
50 Jahre Görlitzer Kulturschaffen<br />
Hauptmann<br />
Marianne Hauptmann mit Spielergruppe 1957 am Mühlweg<br />
men der Bühnenbildner. Musiklehrer Dr.<br />
Paul Opitz komponierte einiges an Bühnenmusik.<br />
War die Puppenbühne Marianne Hauptmann<br />
11 Jahre Privatunternehmen gewesen,<br />
so ergab sich 1957 die Möglichkeit<br />
einer festen Anstellung im Haus der<br />
Jungen Pioniere am Mühlweg. Hier gab<br />
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Geschichte |<br />
39
Puppenbühne<br />
Marianne<br />
Marianne Hauptmann<br />
Marianne Hauptmann teilt ihrem Sohn, Puppenspieler<br />
Klaus Lux, ihre Erfahrungen mit, 1985<br />
es Räumlichkeiten für Proben,<br />
Aufführungen, Puppen und Requisiten.<br />
Dort an der Puppenbühne<br />
versammelte sich nun<br />
eine feste Gruppe jugendlicher<br />
Spieler um die Altmeisterin, so<br />
dass ein einsatzbereites Ensemble<br />
für das Rollenspiel vorhanden<br />
war. Daneben gab es<br />
Arbeitsgemeinschaften (Handpuppen,<br />
Marionetten, Schattenspiel),<br />
in denen sich Interessenten<br />
aus den 3. bis 10.<br />
Klassen Görlitzer Schulen zusammenfanden.<br />
Man lernte in<br />
der Praxis alles von der Konzeption<br />
über Proben bis zur Aufführung.<br />
Mit Schulen, Kindergärten<br />
und örtlichen Ferienspielen<br />
wurden feste Kontakte geknüpft<br />
und so treue Zuschauergruppen<br />
gewonnen. Die Konzert- und<br />
Gastspieldirektion stellte monatliche<br />
Tourneepläne auf und<br />
vermittelte Auftritte in Betriebskulturhäusern,<br />
Dörfern, Ferienanlagen,<br />
Rentnergruppen und<br />
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40<br />
Geschichte |
Marianne<br />
50 Jahre Görlitzer Kulturschaffen<br />
Hauptmann<br />
sogar vor Soldaten. Die Görlitzer Puppenbühne<br />
fuhr zu zahlreichen Orten<br />
in Sachsen, Brandenburg, Thüringen,<br />
nach Polen und der Tschechoslowakei.<br />
Bei den zentralen Leistungsvergleichen<br />
künstlerischen Volksschaffens, den gewerkschaftlichen<br />
Arbeiterfestspielen, errang<br />
die Puppenbühne unter Marianne<br />
Hauptmann Goldmedaillen 1976 (Bezirk<br />
Dresden) und 1978 (Bezirk Suhl). Aufsehen<br />
erregte das 1967/68 entwickelte<br />
Schattenspiel über die Biene Maja. Das<br />
tschechische Märchen „ Das schönste<br />
Bäumchen“ wurde etwa 400 Mal gegeben.<br />
Auch im berühmten Puppentheater<br />
im Großen Garten Dresden gab es<br />
Auftritte. Die Schüler und Mitspieler von<br />
Marianne Hauptmann nahmen später<br />
den Faden wieder auf in anderen kulturellen<br />
Bereichen, wurden Opernsänger,<br />
Bibliotheksleiter, Lehrerin, Fernsehkomiker.<br />
Ein Stoß Alben hat sich erhalten mit<br />
Übersichten sämtlicher Aufführungsdaten<br />
und Spielorte, Presseberichten,<br />
Bühnenbildern, Aufführungsfotos, Tourneeplänen<br />
und Inseraten. Ein Schatz zur<br />
örtlichen Kulturgeschichte, um den sich<br />
hiesige Archivare reißen müssten.<br />
Erst nach 25 Jahren endete das Puppenspiel<br />
am Mühlweg für Marianne Hauptmann.<br />
Es wurde für 10 Jahre durch ihren<br />
Sohn Klaus Lux in bewährten und<br />
neuen Formen weitergeführt. In einem<br />
stimmungsvollen Raum im Pionierhaus<br />
erschloss sich Marianne Hauptmann-<br />
Lux als Märchenerzählerin ein neues<br />
Betätigungsfeld, nun im Rentenalter. In<br />
fast 40 Jahren hatte die Görlitzer Puppenspielerin<br />
Generationen von Kindern<br />
und älteren Zuschauern unaufdringlich<br />
belehrt und moralisch geformt. Ihre<br />
jungen Spieler nahmen einiges ins Leben<br />
mit, das in Beruf und Familie Früchte<br />
trug - Gemeinschaftssinn, Disziplin,<br />
Phantasie, Einfühlungsvermögen, nachdenkliche<br />
Heiterkeit. Seit mehr als zwei<br />
Jahren fehlt uns Marianne Hauptmann.<br />
Und ihre Puppenbühne sowieso. Aber<br />
ihre Saat ist aufgegangen.<br />
Dr. Ernst Kretzschmar<br />
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Geschichte |<br />
41
Ein Görlitzer Lehrer<br />
Lehrer<br />
1913 schließlich – neue Sensation! wurden<br />
Fundamente aufgespürt, die eindeutig<br />
zur Zikkurat von Babylon gehörten,<br />
jenem Stufenturm, der mit dem<br />
Bericht der Bibel identisch ist. Um wenigstens<br />
einen Teil der Anlage untersuchen<br />
zu können, mussten 30.000 Kubikmeter<br />
Schuttmasse beiseite geräumt<br />
werden.<br />
Einen solchen Stufenturm hatten einstmals<br />
nahezu alle größeren Städte im<br />
Zweistromland – doch keiner kam dem<br />
Turm von Babel gleich. 85 Millionen Ziegelsteine<br />
sollen für seinen Bau verwendet<br />
worden sein (zum Vergleich: Für die<br />
Görlitzer Lutherkirche werden 1,4 Millionen<br />
genannt). 90 mal 90 Meter nach<br />
heutigem Maß betrug der Grundriss, 90<br />
Meter auch die vorgesehene Höhe (also<br />
etwa knapp den Türmen der Peterskirche<br />
in Görlitz vergleichbar).<br />
Etemenanki wurde er genannt, Grundstein<br />
des Himmels und der Erde. Herodot<br />
sprach in seiner Beschreibung von<br />
acht übereinanderstehenden Türmen,<br />
der jeweils folgende immer kleiner im<br />
Grundriss als der unter ihm liegende.<br />
Auf der höchsten Stufe krönte schließlich<br />
der Tempel Marduks das für damalige<br />
Zeiten gigantische Bauwerk, eingefasst<br />
in die Schönheit tiefblau glasierter<br />
Ziegel. Marduk galt als die höchste Gottheit<br />
Babylons, der alle Menschen dort<br />
ohne Einschränkung zu dienen hatten,<br />
der König keineswegs ausgenommen.<br />
Einige Stichworte zu diesem Turm: Erstmals<br />
vor mehr als 4.000 Jahren erwähnt,<br />
also in biblischen Zeiten; mehrfach zerfallen;<br />
wiederholt rekonstruiert; während<br />
der Lebenszeit Nebukadnezars II.<br />
zu der vorher nie erreichten Höhe von<br />
knapp 100 Metern aufgetürmt; 300 Jahre<br />
später, zur Zeit Alexanders des Großen,<br />
abermals zerfallen; Pläne für neuerlichen<br />
Wiederaufbau und Beseitigung<br />
der Schuttmassen zu dessen Lebzeiten;<br />
Einstellung der Arbeiten infolge des frühen<br />
Todes Alexanders von Makedonien<br />
auf seinem Zug nach Indien.<br />
Die Juden des Alten Testaments sahen<br />
in diesem Turm von jeher den Inbegriff<br />
der Hybris des Menschen, jener vermessenen<br />
Überheblichkeit, aus der sich die<br />
Katastrophe des Untergangs entwickelt.<br />
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42<br />
Geschichte |
und der<br />
der<br />
Turm von<br />
Turm<br />
Babylon -Fortsetzungvon<br />
Bab<br />
Bedenkenswert: Das stolzeste Bauwerk<br />
babylonischer Geschichte, das Ewigkeiten<br />
überdauern sollte, ist heute nur<br />
noch ein Lehmhaufen inmitten eines<br />
trübgrauen Wasserlochs.<br />
Schließlich klang Koldeweys Tätigkeit<br />
im Zweistromland mit einem spektakulären<br />
Schlussakkord aus: Er legte die<br />
berühmte Prozessionsstraße Babylons<br />
frei, bedeutsam gleichzeitig auch als ein<br />
Kernstück der Stadtbefestigung. Ebenfalls<br />
aus der Zeit Nebukadnezars – der<br />
Mann muss sein Leben lang einer geradezu<br />
obsessiven Bauleidenschaft gefolgt<br />
sein! - gilt sie zwar nicht als die längste,<br />
wohl aber als die prachtvollste Straße<br />
der Welt bis auf den heutigen Tag.<br />
Mit ihren mehr als hundert Löwenreliefs<br />
von jeweils zwei Metern Länge und dem<br />
Ischtar-Tor in seiner makellosen Vollkommenheit<br />
liefert sie einen glanzvollen<br />
Beweis für die architektonische Schönheit<br />
der einst vielgerühmten wie in gleicher<br />
Weise geschmähten Metropole am<br />
Euphrat. Ein Blick in das Berliner Pergamonmuseum<br />
genügt, um uns Heutigen<br />
dafür die Augen zu öffnen.<br />
War es nun wirklich ein Görlitzer Lehrer,<br />
der die architektonischen Herrlichkeiten<br />
jener versunkenen Welten im<br />
Zweistromland dem Vergessen entriss?<br />
In seiner Biografie heißt es, dass er unmittelbar<br />
nach Abschluss seiner Lehrtätigkeit<br />
in der Neißestadt nach Babylon<br />
aufbrach – und das ist doch wohl, gewissermaßen<br />
mit einem kleinen Augenzwinkern,<br />
des Erinnerns wert, gleichsam<br />
als ein Denkmal für den berühmten Archäologen.<br />
Doch ein solches hat er eigentlich nicht<br />
nötig, denn das findet sich inzwischen<br />
längst in den großartigen Exponaten des<br />
Berliner Pergamonmuseums – ein Denkmal<br />
der Lebensarbeit des Forschers Robert<br />
Koldewey, wie es ihm keine Stadt<br />
der Welt jemals beeindruckender hätte<br />
setzen können.<br />
Horst Wenzel<br />
(Quellen: U. a. C. W. Ceram: Götter,<br />
Gräber und Gelehrte. Werner Keller:<br />
Und die Bibel hat doch Recht.)<br />
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Geschichte | 43
Görlitzer<br />
Geschichten vom Görlitzer Stadtverkehr<br />
Erster Ikarus 55 von 1966<br />
Mit so einer Blechbahn begann 1965 alles<br />
Am Anfang standen eine<br />
Blechbahn bzw. ein Ikarus 55<br />
der Modellfirma Herr.<br />
Seit mehreren Jahren begleite<br />
ich das Stadtbild mit Beiträgen<br />
zur Geschichte der<br />
Görlitzer Straßenbahn. Bekanntlich<br />
endete diese Serie<br />
mit der letzten <strong>Ausgabe</strong>.<br />
Der Görlitzer Stadtverkehr<br />
soll dennoch auch künftig<br />
nicht zu kurz kommen, weshalb<br />
ich mich in Abstimmung<br />
mit der Stadtbild- Redaktion<br />
entschlossen habe, Geschichten<br />
zu verschiedenen Themen<br />
dieses Wissensgebietes<br />
niederzuschreiben. Hier<br />
bin ich natürlich auch dankbar<br />
für Reaktionen der Leser.<br />
Vielleicht kommen gar noch<br />
nicht bekannte Details zum<br />
Vorschein, die es wert sind,<br />
der Nachwelt überliefert zu<br />
werden. Ich würde mich sehr<br />
freuen.<br />
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44<br />
Geschichte |
Görlitzer<br />
Ikarus 55 der Modellfirma<br />
Stadtverkehr<br />
Herr<br />
Zum Beginn möchte ich auf eine mir oft<br />
gestellte Frage eingehen: Wie kommt<br />
man zu solch einem speziellen und<br />
ausgefallenen Hobby ? Auch ich erlebte<br />
meine wichtigsten Kindheitsjahre in<br />
Görlitz. Ungefähr ab 1964 durfte ich hin<br />
und wieder an Sonntagen einige Runden<br />
mit der „3“ zwischen Postplatz und<br />
Stadthalle mitfahren, weil mein Stiefvater<br />
damals bei der Straßenbahn angestellt<br />
war. Das war natürlich stets etwas<br />
ganz Besonderes. Nun reicht so ein Impuls<br />
natürlich nicht aus, um daraus eine<br />
Berufung für das Leben zu machen.<br />
Vielmehr bedurfte es vieler weiterer -<br />
auch in späterer Zeit. Recht früh erlebte<br />
ich, wie merkwürdige Ungetüme, die<br />
ich heute als Ikarus 66 kenne, immer<br />
wieder durch die Breitscheidstraße donnerten.<br />
Leider gibt es die unzähligen<br />
Bleistiftzeichnungen, die ich damals in<br />
Skizzen-Blöcke (die man in Schreibwarenläden<br />
für die Schule kaufen konnte)<br />
gefertigt habe, nicht mehr. Das Foto<br />
vom Postplatz aus den Frühjahrstagen<br />
des Jahres 1965 läßt eine „3“ hier den<br />
WUMAG- Wagen 38 - und einen Ikarus<br />
66 erkennen. Damals fuhren Busse<br />
nur in einer Richtung dort hindurch.<br />
Im Sommer 1965 bekam ich von meiner<br />
Mutter bei einem Urlaub in Brotterode<br />
eine etwa 30 cm lange Blechbahn geschenkt.<br />
Der Zufall wollte es, dass sie<br />
als Linie 1 zum Stadion fuhr. In Görlitz<br />
passierte die Linie 1 damals bekanntlich<br />
auch ein Stadion, nämlich das Stadion<br />
der Freundschaft am Weinberg. Auch<br />
sah die Bahn entfernt den umgebauten<br />
WUMAG- Wagen ähnlich. So fuhr ich<br />
damals unzählige Runden durch unsere<br />
Erdgeschosswohnung im heute leider<br />
leerstehenden Haus Johannes-Wüsten-<br />
Straße 20. Im März 1966 schenkte mir<br />
ein Schulfreund ein Busmodell im HO-<br />
Maßstab, einen fernblauen Ikarus 55<br />
der Modellfirma Herr, welches seitdem<br />
eine unglaubliche Leidenschaft auslöste.<br />
Er ähnelte den oben beschriebenen<br />
Ikarus 66, die es als Modell damals noch<br />
nicht gab. Seit einigen Jahren sammle<br />
ich gerade von diesem kultigen Bustyp<br />
alle erreichbaren Farbschattierungen<br />
und besitze nunmehr beinahe 100<br />
Stück in meiner Sammlung. Wenn aller-<br />
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Geschichte |<br />
45
Görlitzer<br />
Geschichten vom Görlitzer Stadtverkehr<br />
Szenerie am Postplatz 1965<br />
dings so ein Hobby später nicht immer<br />
wieder neue Impulse erhält, verliert es<br />
sich irgendwann im Alltag. Ich hatte das<br />
Glück, mehrere Jahre an einer Stadtbushaltestelle<br />
in der Bahnhofstraße zu wohnen.<br />
Aus dieser Zeit stammt mein beinahe<br />
fotografisches Nummerngedächtnis.<br />
Dieses bezog sich spätestens ab 1968<br />
auch auf die Görlitzer Straßenbahnfahrzeuge.<br />
Warum gerade Görlitz? Weil ich diesen<br />
Ort als meine Heimatstadt wie keinen<br />
anderen liebgewonnen habe. Er verbirgt<br />
unzählige Kindheitserlebnisse verschiedenster<br />
Art. In den weiteren Beiträgen<br />
werde ich dazu hier und da noch drauf<br />
eingehen.<br />
(Fortsetzung folgt)<br />
Andreas Riedel, Wiesbaden<br />
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46<br />
Geschichte |