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61_Ausgabe Juli 2008

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Vorwort<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

so rasch, wie sie aufgetaucht waren,<br />

sind sie wieder verschwunden, die<br />

schwarz-rot-goldenen Nationalfarben im<br />

Görlitzer Stadtbild. Ein Fußballereignis<br />

machte es möglich. Überall Fahnen, an<br />

Autos und Kleingartenlauben, an Bierkneipen<br />

und Wohnungsfenstern, also<br />

gar nicht amtlich verordnet. Mitunter etwas<br />

albern als Dschungelbemalung junger<br />

Gesichter, zerknautschte Röhrenhüte<br />

und dreifarbige Schlabberröcke. Aber<br />

immerhin, die rechthaberischen National-Masochisten<br />

mussten‘s hinnehmen.<br />

Nun ist wieder Alltag, ohne Fahnen,<br />

ohne Hymne, ohne Nationalfarben. Man<br />

kuscht wieder vor den Hasspredigern,<br />

die mit ihren antideutschen Sprüchen<br />

die Bahnunterführungen, Kirchenmauern<br />

und Altstadtgassen besudeln. In<br />

ihrer Dummheit verlästern sie sogar<br />

die Farben der Weimarer Republik, die<br />

seinerzeit weiß Gott bei den Konservativen<br />

unbeliebt waren. In allen europäischen<br />

Nachbarländern und auch in den<br />

sonst grotesk nachgeäfften Vereinigten<br />

Staaten überm großen Teich sieht man<br />

deren Nationalfahnen an Wohnhäusern<br />

und Kirchen, Amtsgebäuden und Läden,<br />

Zeltplätzen und Rathäusern. Zählt<br />

man gemeinsam mit Touristengruppen<br />

am Staatsfeiertag Anfang Oktober die<br />

Deutschlandfahnen im Görlitzer Zentrum,<br />

kommt man selten über zehn.<br />

Nicht einmal die schönste Fahnenstange<br />

dort auf dem Postgebäude trug seit<br />

ihrer Wiederherstellung je eine Fahne;<br />

das im Hause ansässige Unternehmen<br />

hißt bestenfalls an den Stangen neben<br />

dem Portal klägliche Reklamelappen. Als<br />

ein hiesiger Bundestagsabgeordneter<br />

vorschlug, in den Schulen die ganzen<br />

acht Zeilen Text der Nationalhymne zu<br />

lernen (in allen anderen Ländern selbstverständlich),<br />

erhob sich in der Presse<br />

ein Gezeter über diese, wie es hieß,<br />

Verletzung kindlicher Persönlichkeitsrechte.<br />

Über diesen Krampf auf dem<br />

Narrenkarussel ideologischer Globalisierung<br />

setzte sich der Fußball hinweg. Gut<br />

so. Kenntnisgewinn und Lesevergnügen<br />

verspricht unser <strong>Juli</strong>heft mit Beiträgen<br />

über Ereignisse und Persönlichkeiten,<br />

die für Einheimische wie Gäste interessant<br />

sind. Einen angenehmen Sommer<br />

wünscht Ihnen Ihr<br />

Ernst Kretzschmar<br />

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Einleitung<br />

3


Görlitzer<br />

Ein Tag auf dem Görlitzer Rathaus -<br />

Es war in den letzten Tagen des Jahres<br />

1430. Gar trübe Zeit herrschte in<br />

der Oberlausitz; seit 11 Jahren stand<br />

man im Kampfe gegen die benachbarten<br />

böhmischen Hussiten. Zum ersten<br />

Mal waren sie 1424 über die Lausitzer<br />

Berge herüber gekommen, von da an<br />

hatte man die raubenden Horden gar<br />

oft mitten im Lande gehabt, mehrfach<br />

hatten sie unmittelbar vor Görlitz gelagert.<br />

Das offene Land war ihnen vollständig<br />

preisgegeben. Wer von den<br />

Bauern und Edelleuten flüchten konnte,<br />

kam Hals über Kopf ... nach dem<br />

festen Löbau, Zittau, Görlitz und Bautzen<br />

herein - Kamenz und Lauban waren<br />

von den Hussiten schon erobert<br />

und eingeäschert - oder flüchtete in<br />

die Büsche. Unser Görlitz spannte nun<br />

all seine Kräfte an, um den immer heftiger<br />

werdenden Angriffen die Spitze<br />

zu bieten. Die Hauptsorge bildete eine<br />

für den Kampf gerüstete Streitmacht<br />

und die Befestigung der Stadt.<br />

Spielte sich nun schon in ruhigen Tagen<br />

damals auf dem Untermarkte das<br />

Hauptgetriebe des städtischen Lebens<br />

Rathaus Görlitz 1792, Zeichnung von J.G. Schultz<br />

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4<br />

Titel |


Görlitzer<br />

zur Zeit der Hussitenkriege<br />

Rathaus<br />

(1419 - 1437)<br />

ab, um wieviel mehr noch in solch einer bewegten<br />

Zeit! Da sah man trotz der kalten<br />

Witterung Gruppen von Bürgern gemeinsam<br />

mit bewaffneten Reisigen stehen, die ihre<br />

Meinung lebhaft austauschten; hier berichteten<br />

Bauern aus der Umgebung, was sie Neues<br />

von den Ketzern wußten; dort umringte<br />

man Stadtknechte, die an der Stadtgrenze<br />

und in den benachbarten Ortschaften Wache<br />

hielten, und hörte auf ihre Worte. Besonderen<br />

Zulauf erhielt ein gewappneter Ritter, der<br />

soeben hoch zu Roß von der Landeskronenburg<br />

gekommen war und vor dem Schönhof<br />

abstieg. Er mußte ja von seiner hohen Warte<br />

aus am besten die Bewegungen der umherstreifenden<br />

Hussiten beobachtet haben...<br />

Das Rathaus, vor dem sich diese lebhaften<br />

Szenen abspielten, hatte schon damals im<br />

großen und ganzen dieselben Räume im Inneren<br />

wie jetzt. Freilich war es im Norden zu<br />

nicht so ausgedehnt... Die eigentliche „Curia“<br />

entbehrte noch des hohen Turmes, anstelle<br />

der schönen Renaissancetreppe fand sich ein<br />

gotischer Aufgang. , wie auch natürlich alle<br />

Zieraten der Renaissance, derentwegen das<br />

Gebäude heute so berühmt ist, fehlten und<br />

durch gotische Formen ersetzt waren.<br />

Gerade heute am 29. Dezember 1430, einem<br />

Freitag, war wieder sehr trübe Botschaft<br />

gekommen. Die Ketzer lagen seit drei<br />

Tagen in dem nahen Städtchen Reichenbach<br />

und standen im Begriff , die tapferen Bürger,<br />

die sich todesmutig hinter der Kirchhofsmauer<br />

verteidigten, zu überwältigen. Die Städte<br />

Görlitz, Zittau, Bautzen hatte zwar ihre eigenen<br />

und angeworbenen Truppen hinter ihren<br />

Mauern in Bereitschaft, aber sie alle zu einer<br />

Heerfahrt nach Reichenbach zu vereinigen,<br />

war bei der großen Anzahl an Feinden, deren<br />

etwa 8000 in der Oberlausitz standen, eine<br />

schwierige Sache - zumal man sicher wußte,<br />

daß die Böhmen in den einzelnen Städten<br />

ihre Kundschafter hatten. Jetzt - es war noch<br />

früher Morgen, sprengt ein berittener Eilbote<br />

aus Bautzen durch das Reichenbacher Tor.<br />

Schon auf dem Neumarkte (jetzt Obermarkt)<br />

umringt ihn eine erregte Menge. Doch er reißt<br />

sich los, und atemlos erreicht er das Rathaus.<br />

Er übergibt einem Stadtknechte sein Pferd<br />

und eilt die Treppe hinauf in die Curie. Dort<br />

sitzt schon seit früher Tageszeit in der Ratsstube<br />

der damalige Bürgermeister Herr Paul<br />

Rinkengießer in voller Amtstätigkeit mit dem<br />

Stadtschreiber Laurenzius Ehrenberg. Diese<br />

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Titel | 5


Görlitzer<br />

Ein Tag auf dem Görlitzer Rathaus -<br />

damals wichtigsten Personen in Görlitz haben<br />

schon viel beraten, mehrere Schreiben<br />

verfaßt und zur Reinschrift dem Subnotarius<br />

übergeben. Vor dem Amtszimmer steht...<br />

der erprobte Stadtdiener Nickelchen. Als dieser<br />

den ihm längst bekannten Bautzner Boten<br />

erblickt, öffnet er die mit schönen eisernen<br />

Beschlägen gezierte Tür und ruft selbst<br />

erregt in das Zimmer: “Der Budissiner Bote !“<br />

Hastig entnimmt nun der Eintretende aus einer<br />

ledernen Tasche... Briefe aus Meißen und<br />

Bautzen und übergibt sie dem Bürgermeister.<br />

Rinkengießer überfliegt den Inhalt der Schreiben,<br />

und sein Gesicht erhellt sich zusehends.<br />

Was er vor ein paar Tagen den Meißnern und<br />

Bautznern vorgeschlagen hatte, nämlich den<br />

Hussiten mit vereinigter Heereskraft ... entgegen<br />

zu treten, das wird ihm zugesagt. Er<br />

läßt nun sofort den Herrn Thimo von Kolditz,<br />

der für seinen Vater, den Landvogt Albrecht<br />

von Kolditz, in der Oberlausitz ... den obersten<br />

Befehl führt, aus der Herberge bei Johannes<br />

Marienam (jetzt Goldener Baum) zu<br />

sich bitten und verkündet ihm die frohe Botschaft.<br />

Aber auch der Thimo ... brachte gute<br />

Nachrichten: Kriegsleute der Schlesier, mit<br />

denen die Sechsstädte ein Schutzbündnis<br />

geschlossen hatten, werden schon morgen<br />

früh unter Führung des Schweidnitzer Unterhauptmannes<br />

Heinze von Stosch hier eintreffen.<br />

Gotsche Schoff auf dem Greiffenstein<br />

kommt ebenfalls mit 50 Pferden. So verstärkt<br />

könne man wohl wagen, ... aus den sicheren<br />

Mauern der Stadt herauszuziehen, die Vereinigung<br />

mit den Truppen aus Meißen und<br />

Bautzen zu suchen und den Ketzern in Reichenbach<br />

selbst zu Leibe zu gehen. Um die<br />

gesamte Görlitzer Mannschaft beisammen<br />

zu haben, schickte man sofort einen Ratmann...<br />

nach Zittau, um den Anführer der<br />

Görlitzer Söldnertruppe Sigmund Menzel, der<br />

seit geraumer Zeit mit etwa 70 Mann zum<br />

Schutz der gefährdeten Schwesterstadt dort<br />

lagerte, zur sofortigen Rückkehr zu bewegen.<br />

Andere Boten gehen nach Lauban und<br />

zu den Adligen aufs flache Land, um auch<br />

sie zur Hilfeleistung aufzurufen. Inzwischen<br />

hat sich der Bote aus Bautzen gestärkt und<br />

erhält durch den Stadtschreiber das schleunigst<br />

abgefaßte Antwortschreiben und reitet<br />

auf einem frischen Pferd den gefahrvollen<br />

Weg zurück. –<br />

Jetzt kommt zum Bürgermeister ein Ratmann<br />

und meldet, daß der Büchsenmeister Niklas<br />

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6<br />

Titel |


Görlitzer<br />

zur Zeit der Hussitenkriege<br />

Rathaus<br />

(1419 - 1437)<br />

alte Grabsteine vom Nikolaikirchhof<br />

zu nehmen.<br />

Kaum sind diese Sachen erledigt,<br />

kommt ein Gassenmeister<br />

und berichtet, die<br />

Vorstädter wollten durchaus<br />

nicht darin einwilligen, daß<br />

ihre Häuser zur Sicherheit der<br />

Stadt niedergerissen werden...<br />

Der Bürgermeister heißt den<br />

„Gassener“, die Vorstädter<br />

auf morgen nachmittag vor<br />

das Rathaus zu bestellen; er<br />

will ihnen des Königs Privilegium,<br />

demzufolge es dem Rat<br />

gestattet ist, im Notfall die<br />

Gefangener im Fußstock, 15 Jhd.<br />

Häuser der Vorstädte zwecks<br />

eine neue Büchse (Kanone) gegossen habe; Verteidigung niederzureißen, vorlesen. -<br />

die zwei anderen Büchsenmeister hätten die Da betritt mit mißmutiger und ängstlicher<br />

Befestigungen rund um die Stadt besichtigt Miene einer der beiden „Camerrii“ (Kämmerer)<br />

das Amtszimmer. Hat sich doch bei<br />

und alles in Ordnung befunden. Nur an der<br />

Mauer ... nach der Hothergasse zeigten sich seiner Berechnung der baren Bestände der<br />

bedenkliche Risse... Der Bürgermeister gibt Stadtkasse eine bedenkliche Leere gezeigt.<br />

nun dem Stadtmaurer Meister Thomas, der Die heilige Weihnachtszeit habe mit den vielen<br />

“Verehrungen“ und <strong>Ausgabe</strong>n zum “Ver-<br />

gleich mit dem Ratmann auf das Rathaus<br />

gekommen ist..., Anweisung, schleunigst die trinken“ viel Geld gekostet, und morgen sei<br />

schadhafte Stelle auszubessern und dazu “Zahlungstag“. Die Söldner wollten ihre Löh-<br />

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Titel |<br />

7


Görlitzer<br />

Ein Tag auf dem Görlitzer Rathaus -<br />

nung, die Maurer und Zimmerleute, die an<br />

den Stadtmauern und Bollwerken gearbeitet<br />

hätten, der Schmied, die drei Büchsenmeister,<br />

die Holzfäller, die vielen Handlanger<br />

und Wagenknechte verlangten nach Bezahlung;<br />

dazu kämen bedeutende <strong>Ausgabe</strong>n<br />

für Pulver, Geschosse, Armbrüste, Lanzen,<br />

Schwerter und Rüstzeug. Der Herr Apotheker<br />

hat eine große Rechnung eingereicht für<br />

Leckereien, die die Söldner bei ihm auf städtische<br />

Kosten bezogen hätten, nicht zu vergessen,<br />

was die Herren vom Rate auf Reisen<br />

und mit ihren vornehmen Gästen an Getränken<br />

und Speisen bei Sitzungen auf dem Rathaus<br />

verzehrt hätten. Ferner mahnten viele<br />

Gläubiger um ihre Zinsen...; der Bischof von<br />

Meißen, dem man schon lange seine Jahresrente<br />

von 120 Schock schulde, habe, wenn<br />

die Zahlung nicht bis Epiphanias des neuen<br />

Jahres erfolge, mit dem Bann gedroht. So<br />

wisse er keinen Rat - die Steuer, die doch<br />

schon am 2. November fällig gewesen sei,<br />

ginge nur spärlich ein; die Bürger in der Stadt<br />

hätten, weil Handel und Wandel stocke, keinen<br />

Verdienst... Einige Bürger, die, wie er<br />

genau wisse, noch bedeutende bare Mittel<br />

besäßen, wollten dem Rat keinen Vorschuß<br />

mehr leisten.<br />

Gelassen hat der Bürgermeister dem ... Bericht<br />

zugehört und erklärt; die Gläubiger<br />

mögen, wo jetzt die Stadt um ihren Bestand<br />

kämpft, warten; an den Bischof ist ein<br />

Schreiben zu schicken, worin...noch um weiteren<br />

Aufschub der Zahlung gebeten wird;<br />

die Soldzahlungen und die laufenden <strong>Ausgabe</strong>n<br />

sind zu leisten. Reicht das Geld nicht,<br />

so will ich -Rinkengießer- aus meinen Mitteln<br />

vorschießen. Kommt deshalb morgen früh<br />

in meine Wohnung und vergeßt nicht, vom<br />

Stadtschreiber eine Schuldurkunde aufsetzen<br />

zu lassen.<br />

Jetzt führt der Türsteher eine Frau herein,<br />

die im geheimen Späherdienst der Stadt<br />

steht. Sie kommt unmittelbar von Reichenbach,<br />

erzählt von der Anzahl der Hussiten<br />

und ihren bis jetzt vergeblichen und blutig<br />

zurückgewiesenen Angriffen auf die dortige<br />

Friedhofsmauer. Sie erwähnt auch, daß die<br />

Stadt Bernstadt sich ergeben und vorgestern<br />

mit den Ketzern einen schriftlichen Vertrag<br />

abgeschlossen hätte. - Plötzlich ertönt auf<br />

dem Marktplatz großer Lärm, man bringt drei<br />

gefangene Hussiten heran, die Hans Rothenburg...<br />

abgefaßt hat. Unter heftigem Gejohle<br />

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8<br />

Titel |


Görlitzer<br />

zur Zeit der Hussitenkriege<br />

Rathaus<br />

(1419 - 1437)<br />

und Geschrei der Leute werden sie von ihren<br />

Pferden unsanft herunter befördert und<br />

in das Gewölbe des Rathauses eingesperrt.<br />

Vielleicht schon morgen werden sie am Galgen<br />

hängen.<br />

In dem Teil des Rathauses, der an der Brüderstraße<br />

liegt und der das Prätorium oder<br />

Gerichtshaus hieß, hat sich inzwischen im<br />

ersten Stock seit dem frühen Morgen ein lebhaftes<br />

Getriebe abgespielt. Es ist ja heute,<br />

also am Freitag, Gerichtstag. Da das Gericht<br />

öffentlich war und jedermann Zutritt hatte,<br />

so benutzten das viele neugierige Leute, um<br />

hier womöglich gegen Kälte und Wind Unterschlupf<br />

zu finden. Die Ratsdiener hatten ihre<br />

Not, den Andrang zurückzuhalten. In dem<br />

großen Saal , der fast durch das ganze erste<br />

Geschoß reichte, saßen an breiten Tafeln der<br />

Stadt Schöppen, bereit, um Verlautbarungen<br />

in der sogenannten freiwilligen Gerichtsbarkeit<br />

entgegenzunehmen und in die Stadtbücher<br />

einzuschreiben. Da sah man das große<br />

rote Buch mit seinen schweren Beschlägen<br />

und Blättern aus Pergament aufgeschlagen<br />

liegen... So geht das Getriebe hin und her,<br />

noch viele Parteien warten auf Erledigung ihrer<br />

Anliegen.; da verkündet der Fronbote für<br />

heute Schluß... es solle am morgigen Sonnabend<br />

für die nicht erledigten Sachen ein außerordentlicher<br />

Gerichtstag stattfinden.<br />

Nunmehr wird unter Vorsitz des königlichen<br />

Richters „ein gehegtes Ding“ abgehalten.<br />

Der Richter und die sieben Schöppen, angetan<br />

mit großen Mänteln, sitzen auf den vier<br />

Bänken, die sich in einem nördlichen Anbau<br />

des großen Gerichtssaales befinden. Während<br />

die vorhin ziemlich laute Menge nunmehr<br />

tiefstes Schweigen bewahrt, eröffnet<br />

der Richter, dessen etwas erhöhter Sitz sich<br />

im Westen befindet, mit formelhaften Worten<br />

in feierlicher Art und Weise die Sitzung.<br />

Zunächst bringen eine Reihe der Anwesenden<br />

(gewöhnlich durch Vermittlung des sog.<br />

Vorsprechers) ihre Klagen vor, sie betreffen<br />

größtenteils Geldsummen, Hab und Gut oder<br />

Beleidigungen, und diese werden alsbald in<br />

das Klagebuch (liber actiatorum) aufgenommen.<br />

Ist der Beklagte anwesend, so wird<br />

ihm vom Richter sofortige Antwort geboten;<br />

ist er nicht zugegen - was natürlich meist<br />

der Fall ist - so wird mit der Niederschrift<br />

der Klage das Rechtsverfahren eingeleitet,<br />

die Klage findet dann später ihre Erledigung.<br />

Sodann erfolgen von den Gerichtsschöppen<br />

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Titel |<br />

9


Görlitzer<br />

Ein Tag auf dem Görlitzer Rathaus -<br />

Zeugenvernehmung, 15 Jhd.<br />

Entscheide über bereits früher eingebrachte<br />

Klagen, über andere strittige Sachen werden<br />

Beweise eingefordert... Wegen vorgerückter<br />

Zeit muß auch diese Gerichtssitzung<br />

abgebrochen werden, denn es gilt noch ein<br />

hochpeinliches Halsgericht zu hegen... erst<br />

vorgestern hatten die Görlitzer Söldner einen<br />

Straßenräuber eingebracht, der mit mehreren<br />

Genossen bei Siegersdorf am Queis einen<br />

Kaufmannszug überfallen, beraubt und<br />

einen Fuhrknecht erschlagen<br />

hatte. Es war ein verstockter<br />

Geselle, auf den man schon<br />

lange gefahndet hatte. Gestern<br />

hatte man ihn der Folter<br />

unterworfen... und ihn bald<br />

zu einem weitreichenden Geständnis<br />

gebracht, in dem er<br />

frühere Missetaten und die<br />

Namen seiner Mitschuldigen<br />

angab. Da er auf frischer Tat<br />

gefaßt und auch geständig<br />

war, war das Verfahren ziemlich<br />

einfach. Der Henker brachte<br />

den armen Sünder gefesselt<br />

vor das Gericht... und rief:<br />

“Ich schreie Zeter, daß Jurge<br />

Winderlich (so hieß der Verbrecher) den<br />

Fuhrmann Nikel Nonnenvogt wider Gott und<br />

Recht vom Leben zum Tode gebracht und<br />

auf des heiligen Reiches Freistraßen geraubt<br />

hat.“ Darauf verlas der Stadtschreiber das<br />

Geständnis und der Richter fragte; was darum<br />

rechtens sei. Die Schöppen legten ihre<br />

Mäntel ab, besprachen sich kurz untereinander,<br />

und einer sprach im Namen der übrigen<br />

das Recht aus: „Um solcher Missetat... wil-<br />

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10<br />

Titel |


Görlitzer<br />

zur Zeit der Hussitenkriege<br />

Rathaus<br />

(1419 - 1437)<br />

len soll Jurge Winderlich... geschleift und auf<br />

dem Rad gerichtet werden.“ Nachdem der<br />

Richter die Worte wiederholt hat, wird der<br />

zitternde Übeltäter abgeführt, um vielleicht<br />

morgen schon die grausame Strafe zu erleiden.<br />

Darauf werden aus dem liber vocationum<br />

die Namen weiterer Beschuldigter vorgelesen<br />

und gefragt, ob sie anwesend seien, um<br />

sich zu verantworten. Nur einer meldet sich<br />

zur Stelle: Molnickel aus Schlauroth, der angeschuldigt<br />

ist, dem Herrmann Knothe eine<br />

gefährliche... Wunde geschlagen zu haben.<br />

Er leugnet, und es wird ihm aufgetragen,<br />

seine Unschuld zu beschwören. Andere, die<br />

trotz mehrfacher Vorladung nicht erschienen<br />

sind, werden geächtet und ihre Namen in<br />

den liber proscriptionum eingetragen. Inzwischen<br />

ist es Mittag geworden. Das gehegete<br />

Ding wird aufgehoben, und das Rathaus<br />

leert sich. Alles eilt nach Hause, um sich nach<br />

den Aufregungen des Morgens zu erholen.<br />

Um fünf Uhr nachmittags sind nun die Schöppen<br />

sowie die vornehmsten Ratsherren, der<br />

Stadtschreiber und Thimo von Kolditz... vom<br />

Bürgermeister nach dem Rathaus geladen,<br />

um über die Heerfahrt gegen die Hussiten<br />

Rat zu halten. In ansehnlicher Anzahl sitzen<br />

sie in dem geräumigen Gerichtssaal an langer<br />

Tafel. Diesmal ist auch für einen guten<br />

Trunk gesorgt, und die Ratsdiener haben alle<br />

Hände voll zu tun, die Krüge immer wieder<br />

mit schäumendem Bier zu füllen. Herr Paul<br />

Rinkengießer leitet nun die Erörterungen<br />

ein. In allernächster Zeit kämen die Schlesier,<br />

Bautzner, Meißner, ja wahrscheinlich auch<br />

die Niederlausitzer, um gegen die Hussiten<br />

in Reichenbach zu kämpfen. So müßte man<br />

sich bereit machen, um vielleicht schon übermorgen<br />

ins Feld zu ziehen... Erst zu ziemlich<br />

später Stunde trennte man sich. Nun tritt für<br />

kurze Zeit Ruhe vor dem Rathaus ein, wenn<br />

nicht etwa in der Nacht ein Eilbote oder gar<br />

die Sturmglocke die Annäherung feindlicher<br />

Truppen meldet, die Schläfer aus dem Bett<br />

scheucht und sie von neuem nach dem Mittelpunkt<br />

der Stadt ruft.<br />

Quelle: Heimatkalender für den Landkreis<br />

Görlitz 1939; S.91 ff.<br />

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Titel | 11


Familie Moltke<br />

Moltke<br />

und Görlitz –<br />

Helmuth James von Moltke, um 1940<br />

Die gegenwärtige Sonderausstellung im<br />

Schlesischen Museum Görlitz unter dem Titel<br />

„Verbotene Kunst“ mit Arbeiten von Schmidt-<br />

Rottluff aus dem Nachlass von Helmuth<br />

James Graf von Moltke lenkt unsere Aufmerksamkeit<br />

wieder einmal auf die Familie<br />

mit dem Stammsitz in Kreisau bei Schweidnitz.<br />

Erster Hausherr auf Kreisau war Generalfeldmarschall<br />

Helmuth Graf von Moltke (1800-<br />

1891) von 1867 bis 1891. Der langjährige<br />

Generalstabschef (1857-1888) galt neben<br />

Napoleon I. als bedeutendster Stratege des<br />

19. Jahrhunderts und Feldherr von zwei<br />

kriegsentscheidenden Schlachten (1866 bei<br />

Königgrätz gegen Österreich, 1870 bei Sedan<br />

gegen Frankreich), die den Boden bereiteten<br />

für die Reichseinigung von 1871 und<br />

Weichen stellten für Jahrzehnte europäischer<br />

Geschichte. Als militärischer Berater von drei<br />

Kaisern, Weggefährte Bismarcks und Reichstagsabgeordneter<br />

nahm er Einfluss auf die<br />

Reichspolitik, auf ein europäisches Kräftegleichgewicht<br />

bedacht. Als Verfasser militärischer<br />

und geographischer Schriften genoss<br />

er große Anerkennung. Görlitz machte ihn<br />

1871 zum Ehrenbürger und benannte den<br />

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12<br />

Geschichte |


Familie<br />

Umgang mit Fragezeichen<br />

Moltke<br />

Sommerweg zur Moltkestraße.<br />

Denkmäler auf<br />

dem Obermarkt (1893 von<br />

Pfuhl) und in der Ruhmeshalle<br />

(1902 von Magnussen)<br />

erinnerten an ihn. Er<br />

besuchte die Stadt mehrmals,<br />

zuletzt 1885 zur Industrie-<br />

und Gewerbe-<br />

Ausstellung.<br />

Großneffe Helmuth James<br />

Graf von Moltke (1907-<br />

1945) wurde vor allem<br />

bekannt als Kopf des<br />

„Kreisauer Kreises“, in<br />

dem prominente Vertreter<br />

der Opposition gegen Hitler<br />

über den Weg Deutschlands<br />

nach Kriegsende debattierten.<br />

Ab 1934 war<br />

er Rechtsanwalt in Berlin,<br />

ab 1939 als Kriegsverwaltungsrat<br />

im Oberkommando<br />

der Wehrmacht. Seine<br />

christlich motivierte Überzeugungstreue<br />

verdient<br />

Respekt. Seine Kontakte<br />

Moltke - Standbild am Kaiser-Wilhelm-Reiterdenkmal,<br />

Obermarkt, von Johannes Pfuhl, 1893<br />

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Geschichte |<br />

13


Familie Moltke<br />

Moltke<br />

und Görlitz –<br />

zu den Kriegsgegnern und seine Vorstellungen<br />

über Deutschlands und Europas Zukunft<br />

blieben nicht unumstritten. Nach dem Todesurteil<br />

durch den Volksgerichtshof wurde<br />

er noch 1945 hingerichtet.<br />

Bei den ersten Straßenumbenennungen<br />

durch den von der Besatzungsbehörde eingesetzten<br />

Rat der Stadt am 23.10.1945 fehlten<br />

unter den 27 Straßen noch Bismarckstraße,<br />

Moltkestraße und Augustastraße als<br />

politische Zeugnisse der Kaiserzeit. Erst 1946,<br />

wohl im Zusammenhang mit der Gründung<br />

der SED, taucht der neue Name Thälmannstraße<br />

statt Moltkestraße auf. Im Biographischen<br />

Lexikon zur Deutschen Geschichte im<br />

DDR-Verlag der Wissenschaften war man<br />

bereits 1967 zu einem weitgehend korrekten<br />

Urteil über Moltke gelangt, bis nach Görlitz<br />

drang das aber kaum durch. Erst 1991 stand<br />

der Name in der neuen Stadtverordnetenversammlung<br />

zur Diskussion. Eine Arbeitsgruppe<br />

aus Abgeordneten und sachkundigen<br />

Bürgern bereitete für den 17. Januar<br />

1991 Hinweise für die Umbenennung von 29<br />

Straßen vor. Bis auf wenige Ausnahmen folgten<br />

die Stadtverordneten diesen Vorgaben.<br />

So gab es auch wieder die Augustastraße<br />

(42 Stimmen dafür, 9 dagegen, 2 Enthaltungen)<br />

und die Bismarckstraße (32 Stimmen<br />

dafür, 17 dagegen, 4 Enthaltungen). Nur gegen<br />

die Moltkestraße regte sich Widerstand.<br />

Unzureichende Informationsmöglichkeiten,<br />

parteiideologische Vorurteile, fehlende spezielle<br />

Sachkenntnis und Stimmungen auf<br />

dem Niveau der Straßenagitation schlossen<br />

eine gerechte Entscheidung aus. Ein angesehener<br />

Mediziner gab in einer Lerserzuschrift<br />

zu bedenken, dass Franzosen Görlitz meiden<br />

würden, fänden sie hier eine Moltkestraße.<br />

(Welcher Deutsche dürfte dann Paris besuchen,<br />

wo überall an Napoleons Schlachten<br />

in Deutschland erinnert wird?) Der junge<br />

Aktionskreis zur Rettung der Stadt Görlitz<br />

wandte sich gegen die Wiederaufnahme von<br />

Namen, „deren Auswahl damals politischideologisch<br />

bestimmt war“, und forderte „aus<br />

heutigem Geschichtsbewusstsein“ (also auch<br />

ideologisch bestimmt), es „sollte unter allen<br />

Umständen die Moltkestraße in Helmuth-<br />

James-von-Moltke-Straße umbenannt werden“.<br />

Unter diesem moralischen Druck wurde<br />

der Name „Moltkestraße“gar nicht erst zur<br />

Abstimmung gestellt, sondern nur über den<br />

neuen Vorschlag entschieden (36 dafür, 11<br />

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14<br />

Geschichte |


Familie<br />

Umgang mit Fragezeichen<br />

Moltke<br />

Helmuth von Moltke d.Ä. 1890,<br />

Gemälde von Paul Becker<br />

dagegen, 6 Enthaltungen). Da sich der neue<br />

Name als zu lang für Straßenschilder und<br />

Firmenanschriften erwies, wurde er eigenmächtig<br />

abgekürzt, also der Vorname Hel-<br />

muth gestrichen (James klang<br />

wenigstens zeitgemäß westlich)<br />

und damit der persönlichkeitsbezogene<br />

Name verfälscht.<br />

Bis heute nahm niemand daran<br />

Anstoß. 1999 wurde Freya von<br />

Moltke, die tapfere Witwe Helmuth<br />

James Graf von Moltkes,<br />

mit dem Brückepreis der Stadt<br />

Görlitz geehrt.<br />

Die Einrichtung der ständigen<br />

Ausstellung über Albrecht Graf<br />

von Roon auf Schloß Krobnitz<br />

bei Reichenbach hat nun bewiesen,<br />

dass man sachlicher<br />

als 1991 und ohne ideologische<br />

Scheuklappen mit Geschichte<br />

umgehen kann. Im Alltag<br />

heißt es sowieso „Moltkestraße“,<br />

und es hätte genügt, unter<br />

dem Straßenschild eine Tafel<br />

anzubringen, die an den Ehrenbürger<br />

von 1871 und an den<br />

Widerständler erinnert. Ideologie und praktische<br />

Vernunft vertragen sich eben zu selten.<br />

Dr. Ernst Kretzschmar<br />

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Geschichte |<br />

15


Straßburg-Passage<br />

Die architekturgeschichtliche Bedeutung<br />

Der Bau der Görlitzer<br />

Straßburg-Passage orientiert<br />

sich an den<br />

zeitgenössischen Architekturströmungen.<br />

Die<br />

Fassadenfront zur Berliner<br />

Straße nimmt gotisierende<br />

Elemente auf,<br />

wie sie bereits Alfred<br />

Messel 1896 für sein in<br />

Berlin errichtetes Wertheim-Warenhaus<br />

nutzte.<br />

Deutlich wird auch<br />

an der Fassade das Bemühen,<br />

die von Messel<br />

erreichte Trennung von<br />

Waren- und Mietshaus<br />

zu vollziehen. So blieb<br />

lediglich die dritte Etage<br />

der alten Nutzung<br />

verhaftet. Die Passage<br />

selbst ist geprägt von<br />

historisierenden Formen,<br />

das Baudekor lehnt sich<br />

am Jugendstil an und<br />

verrät maurische Einflüsse.<br />

Die Teppichgalerie 1927<br />

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16<br />

Geschichte |


Straßburgpassage<br />

der Görlitzer Straßburg-Passage<br />

Teil II<br />

Passageneingang an der Jakobstraße 1927<br />

Neben der Passage hat<br />

sich in den Geschäftsräumen<br />

der ehemaligen<br />

Firma Straßburg mit<br />

der räumlichen Koppelung<br />

von Lichthöfen<br />

in verschiedenster gestalterischer<br />

Ausprägung<br />

das basarhafte<br />

Element deutlich niedergeschlagen.<br />

Es vermittelt<br />

einen vorzüglichen<br />

Eindruck von den<br />

Handelsgewohnheiten<br />

im ausgehenden 19.<br />

Jahrhundert. Weder in<br />

einem anderen Görlitzer<br />

Geschäftshaus noch<br />

in anderen Städten<br />

sind solch eigenwillige<br />

und zugleich interessante<br />

räumliche Strukturen<br />

überliefert.<br />

Die Straßburg-Passage<br />

hat in den Jahren<br />

ihres Bestehens keine<br />

durchgreifenden Ver-<br />

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Geschichte |<br />

17


Straßburg-Passage<br />

Die architekturgeschichtliche Bedeutung<br />

änderungen erfahren.<br />

Bemühungen um eine<br />

angemessene denkmalpflegerische<br />

Rekonstruktion<br />

blieben Mitte<br />

der achtziger Jahre aus<br />

wirtschaftlichen Gründen<br />

ohne Resonanz.<br />

Vielmehr veranlassten<br />

die Verantwortlichen in<br />

jener Zeit einen einfachen<br />

Farbanstrich. Erst<br />

zur Mitte der neunziger<br />

Jahre konnte unter<br />

Leitung von Wolfgang<br />

Straßburg, einem Enkel<br />

des Firmengründers,<br />

an eine behutsame Instandsetzung<br />

und Wiederbelebung<br />

der Passage<br />

gegangen werden.<br />

All diesen Umständen<br />

ist die weitgehende Erhaltung<br />

der Passage<br />

und der mit ihr direkt<br />

im Zusammenhang stehenden<br />

Baulichkeiten Ballen, Seiden und Tapisserie 1908<br />

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18<br />

Geschichte |


Straßburgpassage<br />

der Görlitzer Straßburg-Passage<br />

Teil II<br />

Der Hauptverkaufsflügel Berliner Straße 7 im Jahre 1908<br />

zuzuschreiben. Nicht zuletzt<br />

sind damit auch<br />

wertvolle Details der ursprünglichen<br />

Ausstattung<br />

wie z.B. Treppengeländer,<br />

gußeiserne Säulen,<br />

Heizkörper, Wandmalereien<br />

und farbige<br />

Fensterverglasungen<br />

weitgehend unberührt<br />

geblieben.<br />

Dem wichtigen Denkmal<br />

der Architekturgeschichte,<br />

das zugleich<br />

einzigartig in der Region<br />

den Passagentyp<br />

der Jahrhundertwende<br />

in seiner ursprünglichen<br />

Form repräsentiert, gebührt<br />

ein hohes Maß<br />

an Aufmerksamkeit, es<br />

ist aber zugleich ein lebendiges<br />

Denkmal der<br />

Görlitzer Geschichte<br />

des frühen 20. Jahrhunderts.<br />

Dr. Andreas Bednarek<br />

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Geschichte |<br />

19


Die Straßburg-Passage<br />

Kinder- und Mädchenabteilung im Hause Straßburg 1927<br />

In den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts<br />

wuchs eine neue Vision – die Passage<br />

zwischen Berliner und Jakobstraße.<br />

Schon früher hatte es hier einen Durchgang<br />

gegeben, der durch den Weinhändler<br />

Freytag dem Passanten über<br />

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20<br />

Geschichte |


Straßburg-Passage<br />

Fortsetzung<br />

sein Grundstück gestattet worden war.<br />

Jener Durchgang war allerdings zum allgemeinen<br />

Bedauern wieder aufgehoben<br />

worden. Das mit dem Kauf von 1901 erweiterte<br />

Grundstück zwischen den beiden<br />

Straßen war aber für das ehrgeizige<br />

Projekt zu schmal und eher ungeeignet.<br />

Erst der Erwerb der Grundstücke Berliner<br />

Straße 8 und Jakobstraße 34 sollte<br />

den entscheidenden Fortschritt bringen.<br />

Bereits nach wenigen Tagen kam es im<br />

Zimmer des Oberbürgermeisters Georg<br />

Snay zu einer vertraulichen Unterredung,<br />

bei der Straßburg, der seine Pläne<br />

vorstellte, die volle Unterstützung der<br />

Stadt für das Vorhaben erhalten sollte.<br />

So werden 1907 die Stadtverordneten<br />

den gedachten Durchgang als öffentliche<br />

Straße erklären – eine Entscheidung,<br />

die für Straßburg in erster Linie<br />

von pekuniärem Interesse gewesen sein<br />

dürfte. Allerdings war damit auch eine<br />

Öffnung des Durchganges zu jeder Tageszeit<br />

sicherzustellen und konnte die<br />

vielerorts übliche Praxis, Passagen zur<br />

Nachtzeit zu verschließen, nicht praktiziert<br />

werden.<br />

Bei näherer Betrachtung wird das Konzept<br />

Straßburgs deutlich. Sein ursprüngliches<br />

Geschäft, das seine wesentliche<br />

Ausprägung 1898 und durch den<br />

Kauf von 1901 erfuhr, bleibt unberührt.<br />

Nur die öffentliche Fläche entlang des<br />

Durchganges vergrößert sich. Der Käufer<br />

wandelt so durch eine Abfolge von<br />

Lichthöfen zu den einzelnen Basaren.<br />

Dieses Konzept lehnte sich wiederum<br />

an die Überlegungen Alfred Messels an,<br />

der ganz eng seine Ideen mit geschäftlichen<br />

Wünschen Georg Wertheims verband.<br />

Die neu hinzugewonnene Grundstücksachse<br />

hingegen sollte durch die<br />

Vielfalt der Passage einen eigenen Reiz<br />

verschaffen. Schließlich wird Otto Straßburg<br />

im Februar 1908 auch das Haus<br />

Berliner Straße 9 erwerben und damit<br />

dem Passageeingang eine beiderseits<br />

repräsentative Geschäftsfront sichert.<br />

Auch hier war es Gerhard Röhr, der für<br />

die architektonisch-baulichen Fragen<br />

verantwortlich zeichnete. Von dem ersten<br />

Spatenstich im Juni 1908 bis zur<br />

Fertigstellung vergingen nur 6 Monate.<br />

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Geschichte | 21


Die Straßburg-Passage<br />

Es war eine Zeit fieberhafter Arbeit der<br />

Baumeister August Kämpffer, Bruno und<br />

Oskar Voigt sowie des Zimmerermeisters<br />

Reuschel. Anstelle des sonst traditionellen<br />

Mauerwerks wurde zu großen<br />

Teilen die Passage in Eisenbeton, ab<br />

den 1920er Jahren Stahlbeton genannt,<br />

errichtet. Dieses Verfahren, das auf einem<br />

Patent des Gärtners Joseph Monier<br />

aus dem Jahre 1867 beruht, trat in jenen<br />

Jahren seinen Siegeszug durch die<br />

Bauwelt an. Zur gleichen Zeit entstand<br />

nach Plänen Richard Plüddemanns und<br />

unter Aufsicht des späteren Görlitzer<br />

Stadtbaurats Heinrich Küster die Markthalle<br />

in Breslau als eines der besten und<br />

frühesten Beispiele von Stahlbetonhallen<br />

in Deutschland und Europa. Ausführender<br />

ist die erst 1907 gegründete<br />

Gesellschaft Lolat-Eisenbeton, die auch<br />

in Görlitz tätig wurde. Drei Jahre später<br />

bediente sich auch die Stadt Görlitz<br />

mit dem Bau der Sparkasse an der Berliner<br />

Straße dieses modernen Bauverfahrens.<br />

Das Portal an der Berliner Straße wurde<br />

besonders kostbar ausgeführt. Allegorien<br />

des Handels und des Handwerks flankieren<br />

den mächtigen Portalbogen. Die<br />

Entwürfe für diese Gestaltung lieferte<br />

Gerhard Röhr, die Ausführung legte Otto<br />

Straßburg in die Hände des bekannten<br />

Dresdner Bildhauers Leopold Armbruster.<br />

Die Ausstattung selbst war ganz im<br />

Zeitgeschmack maurisch geprägt und<br />

mit schweren Farben gefasst.<br />

Bis 1933 erlebte das Unternehmen Otto<br />

Straßburg Jahre des geschäftlichen Erfolgs.<br />

Nur kurz waren die Unterbrechungen<br />

durch die Wirren des 1. Weltkrieges<br />

und der Wirtschaftskrise. Die durch die<br />

Nationalsozialisten 1933 erlassene Errichtungssperre<br />

für Handelsgroßbetriebe<br />

hatte für das Geschäft Otto Straßburg<br />

keine unmittelbaren Folgen, jedoch<br />

schränkte es den gewohnten Spielraum<br />

unternehmerischer Aktivitäten deutlich<br />

ein. Mit Ende des zweiten Weltkrieges<br />

erfolgte die Enteignung des Unternehmens.<br />

Der Kaufhauskomplex Otto<br />

Straßburg mit der Passage wurde Eigentum<br />

des Volkes und der Handelsorganisation<br />

HO übereignet. Das einstige Vor-<br />

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22<br />

Geschichte |


Straßburg-Passage<br />

Fortsetzung<br />

Das Haus Jakobstraße 35 im Jahre 1908<br />

zeigegeschäft wird den<br />

beschränkten Möglichkeiten<br />

der damaligen<br />

Zeit unterworfen. Sehr<br />

verschiedene Warengruppen<br />

werden dem<br />

Käufer angeboten. Das<br />

einstige Konzept von<br />

Straßburg blieb aber<br />

bestehen. Nach wie vor<br />

lebte die Passage durch<br />

ihre Vielfalt, wenngleich<br />

auch im Verlaufe der<br />

Jahre diese immer weiter<br />

verloren ging. Am<br />

Ende der 80er Jahre<br />

war der einstige Glanz<br />

der Passage vollständig<br />

erloschen. Angesichts<br />

der enormen Schäden<br />

durch die jahrelange<br />

Vernachlässigung und<br />

die kaum übersehbare<br />

Baumasse schien<br />

eine Revitalisierung unmöglich.<br />

Dr. Wolfgang<br />

Straßburg, Enkel des<br />

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Geschichte |<br />

23


Straßburg-Passage<br />

Die Straßburgpassage<br />

Firmengründers, nahm<br />

zu Beginn der neunziger<br />

Jahre die Geschicke<br />

wieder in die Hand.<br />

Viele äußere Bedingungen,<br />

die Otto Straßburg<br />

1887 bei der Gründung<br />

seines Unternehmens<br />

vorfand, hatten sich<br />

seither grundlegend geändert.<br />

Dennoch gelang<br />

es Wolfgang Straßburg,<br />

an das Konzept seines<br />

Großvaters anzuschließen<br />

und Geschäftleute<br />

verschiedener Branchen<br />

für seine Passage zu interessieren.<br />

Die einstige<br />

kaufhausähnliche, mit<br />

einer für den Kunden<br />

kaum übersehbare Verkaufsfläche<br />

jedoch blieb<br />

ein Wunschtraum, der<br />

dem Zeitgeist geopfert<br />

werden musste.<br />

Dr. Andreas Bednarek<br />

Passageeingang an der Berliner Straße 1908<br />

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24<br />

Geschichte |


Sternwarte<br />

Görlitz und seine Sternwarte<br />

-Fortsetzung-<br />

Zur weiteren Arbeit schrieb 1957 Hellmut<br />

Winkler:<br />

Turm mit Kuppel<br />

„ ... Regelmäßig fanden sich die Mitarbeiter<br />

einmal in der Woche zusammen,<br />

um den Vortrag eines Freundes zu hören<br />

und diesen dann lebhaft zu diskutieren.<br />

Eine Angewohnheit, die leider<br />

vollkommen vergessen worden ist. So<br />

erarbeiteten wir uns damals die Kenntnisse,<br />

um öffentliche Beobachtungen<br />

durchzuführen oder gar Vorträge halten<br />

zu können. Neben theoretischen Studien<br />

kamen auch Beobachtungen nicht zu<br />

kurz. Nächtelang zählten wir Meteore<br />

und zeichneten sie in unsere Karten ein.<br />

Im Oktober 1948 zogen Handwerker<br />

ein, rissen das Flachdach auf und schufen<br />

die Grundlage für unsere 2,5m-Kuppel,<br />

die dann zum Staunen der Zuschauer<br />

an einem Sonnabend hochgezogen<br />

wurde. ... Als erstes Instrument fand<br />

ein 145mm -Refraktor, den uns Herr G.<br />

Schulze, Neukirch, zur Verfügung stellte,<br />

unter der Kuppel seine Aufstellung. Im<br />

Januar 1949 begannen die öffentlichen<br />

Beobachtungen und Vorträge. ... In freiwilligen<br />

Einsätzen verwandelten wir, die<br />

wir noch nie eine Maurerkelle oder Malerpinsel<br />

in der Hand gehabt hatten, die<br />

Räume der Sternwarte in einen freundlicheren<br />

Zustand. Den kleinen Raum unter<br />

dem Dach bauten wir uns im Winter<br />

1948/49 zu unserem Aufenthaltsraum<br />

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Geschichte |<br />

25


Sternwarte<br />

Görlitz und seine Sternwarte<br />

-Fortsetzung-<br />

Peter Kappler (rechts) vor Schülern<br />

aus, denn diese kleinen Räume ließen<br />

sich elektrisch erwärmen, während in<br />

den anderen Räumen fast Außentemperaturen<br />

herrschten. Erst 1950 wurde<br />

die Gasheizung auf der Sternwarte eingebaut,<br />

so daß das Frieren im Winter<br />

ein Ende hatte. Im August 1949 tagten<br />

in Görlitz zum letzten Male die Vertreter<br />

aller Volks- und FDJ-Sternwarten.<br />

Die Funktionäre der damaligen Landesleitung<br />

Sachsen verweigerten den<br />

FDJ-Sternwarten eine finanzielle Hilfe.<br />

... 1950 beschlossen die Mitarbeiter<br />

die Umbenennung von FDJ-Sternwarte<br />

in Einstein-Sternwarte. ... Aufschwung<br />

nahm die Arbeit der Sternwarte, als uns<br />

der Rat der Stadt eine finanzielle Hilfe<br />

gewährte. Der Vortragsraum wurde<br />

durch alte Drucke verschönert, einheitliche<br />

Stühle gaben dem ganzen Raum ein<br />

neues Gepräge. Kleinigkeiten konnten<br />

angeschafft werden, und nach und nach<br />

erhielt die ganze Sternwarte ein freundlicheres<br />

Aussehen. Nur eines machte<br />

uns Sorge: Wie können wir die Görlitzer<br />

von unseren Veranstaltungen unterrichten?<br />

Das Ergebnis dieser Betrachtungen<br />

ist unser heutiges Mitteilungsblatt, das<br />

1957 im siebenten Jahrgang erscheint.<br />

Großes Pech hatten wir 1950 mit dem<br />

145mm-Refraktor. ... bei Windstärke<br />

9 stürzte das Instrument um, und nur<br />

eine zersplitterte Optik blieb uns. Unsere<br />

schönsten Träume waren dahin. Im Dezember<br />

1952 konnten wir ein 100mm-<br />

Spiegelteleskop erwerben. ... Weitere<br />

kleinere Instrument folgten, bis wir 1955<br />

das Amateurfernrohr von Zeiss erwerben<br />

konnten.“ Dieser 80mm-Refraktor<br />

verrichtet noch heute in Biesnitz seinen<br />

Dienst. Ihre rege Öffentlichkeitsarbeit<br />

und Beobachtertätigkeit organisierte<br />

die Gruppe in Eigeninitiative, ohne An-<br />

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26<br />

Geschichte |


Sternwarte<br />

Astronomie auf dem Klosterplatz<br />

leitung durch einen „Erwachsenen“. Die<br />

Gemeinschaft wählte alljährlich aus ihrer<br />

Mitte im Januar den Sternwartenleiter,<br />

so übten oft mehrmals M. Mehlich, H.-D.<br />

Riedel, E. Jurke, L. Ulrich, I. Michitsch,<br />

A. Dreßler dieses Amt aus. Doch auch P.<br />

Kappler, W. Graul, W. Junge, H. Kuhnert,<br />

G. Meinel und viele, die hier nicht genannt<br />

werden können, machten sich um<br />

die Sternwarte verdient, in den erwähnten<br />

Mitteilungsblättern ist dies sehr gut<br />

dokumentiert. Betont werden muss das<br />

Engagement von Hellmut Winkler. Seit<br />

1948 zur Sternwarte gehörend, leitete<br />

er sie von 1953 bis1957 als treibender<br />

Motor, zuletzt von seinem Wohnsitz in<br />

Berlin aus. In der Gruppe nahmen die<br />

personellen Probleme vehement zu,<br />

Studium und Beruf forderten Tribut, die<br />

FDJ-Sternwarte war Ende der fünfziger<br />

Jahre kaum noch arbeitsfähig.<br />

September 1959 führte die DDR den Astronomieunterricht<br />

ein. Um die Sternwarte<br />

effektiv für Unterricht und Lehrerweiterbildung<br />

nutzen zu können, kam<br />

sie mit Haushaltsjahr 1960 wieder in die<br />

David Richters Globus um 1950<br />

Trägerschaft der Stadt Görlitz. Als neuer<br />

Leiter musste der Lehrer Günter Lampe<br />

zunächst vorrangig die Ausbildung von<br />

Astronomielehrern für Stadt und Kreis<br />

Görlitz unter Einbeziehung der Kreise<br />

Zittau, Löbau und Niesky organisieren.<br />

Es wurden ein 150mm-Spiegelteleskop<br />

gekauft und für möglichst viele Schulen<br />

Beobachtungsabende zum Astronomieunterricht<br />

angeboten. Bald existierten<br />

vier Schülerarbeitsgemeinschaften der<br />

Klassen 7 bis 10. Öffentliche Beobachtungen<br />

und Führungen wurden viermal<br />

wöchentlich durchgeführt.<br />

(Fortsetzung folgt)<br />

Lutz Pannier<br />

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Geschichte |<br />

27


Demiani-Denkmal in Görlitz<br />

Das Denkmal für den<br />

ersten Görlitzer Oberbürgermeister<br />

Gottlob<br />

Ludwig Demiani (1786-<br />

1846) gehört zu den<br />

wenigen, die den II.<br />

Weltkrieg unversehrt<br />

überdauert haben. Es<br />

ist jedem Einheimischen<br />

vertraut und wird<br />

gern auch Touristengruppen<br />

vorgestellt. Im<br />

„Neuen Lausitzischen<br />

Magazin“ war 1862 zu<br />

lesen: „Vor einigen Jahren<br />

bildete sich hier ein<br />

Komitee zur Errichtung<br />

eines Standbildes des<br />

am 5. <strong>Juli</strong> 1846 verstorbenen,<br />

für Görlitz unvergesslichen<br />

Oberbürgermeisters<br />

Demiani.<br />

Durch freiwillige Beiträge<br />

und sonstige Veranstaltungen<br />

wurden<br />

mehrere Tausend Taler<br />

zusammengebracht...<br />

Demiani-Denkmal, erster Standort Marienplatz um 1900<br />

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28<br />

Geschichte |


Demiani-Denkmal<br />

Frühwerk von Johannes Schilling<br />

Demiani-Denkmal auf den Marienplatz, um 1900<br />

Das wohlgelungene Standbild, vom<br />

Bildhauer Schilling in Dresden gearbeitet,<br />

vom Gießmeister Lenz aus Nürnberg<br />

gegossen, ist 6 Fuß 11 Zoll hoch und<br />

19 1/2 Zentner schwer, steht auf einem<br />

145 Zentner schweren Sockel aus Kun-<br />

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Geschichte |<br />

29


Demiani-Denkmal in Görlitz<br />

zendorfer Marmor und ziert den Marienplatz.<br />

Auf dem Sockel steht die Inschrift<br />

„Ihrem Oberbürgermeister Gottlob Ludwig<br />

Demiani die dankbaren Mitbürger<br />

1862“. Am 5. <strong>Juli</strong> dieses Jahres wurde<br />

das Denkmal unter entsprechenden Feierlichkeiten<br />

enthüllt.“<br />

Die Weiherede hielt Oberbürgermeister<br />

Hugo Sattig, der den Geehrten aus<br />

jahrelanger Zusammenarbeit gut kannte.<br />

Einfühlsam und bewegend zeichnete<br />

er Charakter und Lebensleistung Demianis<br />

in ihrer Bedeutung für die Stadt.<br />

Das Denkmal selbst, das nach dem Urteil<br />

der Zeitzeugen sehr porträtähnlich<br />

ist, würdigte der Redner: „Als ein Monument<br />

der Dankbarkeit soll die kunstgeübte<br />

Hand des Künstlers der Nachwelt<br />

zeigen des edlen Mannes edle Gestalt,<br />

den denkenden schöpferischen Kopf,<br />

das klare Auge, den einst so beredten<br />

Mund, das ironische und doch wohlwollende<br />

Lächeln und den unbeugsamen<br />

Nacken. Und wie rein und lauter<br />

sein Wille und Handeln und wie ehern<br />

seine Tatkraft und Beharrlichkeit, so ist<br />

von reinem lauteren Erze sein Stand-<br />

bild und unvergänglich wie seine Werke.“<br />

Die Figur schaut auf den Betrachter<br />

herab. Der vorgestreckte rechte Fuß<br />

deutet Vorwärtsschreiten an. Der Pelerinenmantel<br />

verleiht der Gestalt Geschlossenheit.<br />

Erzählende Details (Postament<br />

mit Stadtwappen und Aktenbänden, Orden<br />

am Revers (preußischer Roter-Adler-Orden),<br />

Stadtplan in den Händen)<br />

verweisen auf Tätigkeit und Ansehen<br />

Demianis. Der Schöpfer des Denkmals<br />

ist von den heutigen modernistischen<br />

Kunsthistorikern längst zu einer vergessenen<br />

Randerscheinung erklärt worden.<br />

Dabei findet man noch heute einige seiner<br />

stadtbildprägenden Werke. Johannes<br />

Schilling, 1828 am 23.Juni in Mittweida<br />

geboren und 1910 am 21. März in<br />

Klotzsche gestorben, studierte in Dresden<br />

bei Rietschel und in Berlin bei Drake,<br />

damals anerkannten Meistern, und<br />

sah sich in der Nachfolge Rauchs. Nach<br />

längerem Aufenthalt in Rom hatte er seit<br />

1857 sein Atelier in Dresden und wurde<br />

1868 Professor. Unter seinen Werken<br />

ragen neben dem Görlitzer Demianidenkmal<br />

hervor die Figurengruppen<br />

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30<br />

Geschichte |


Demiani-Denkmal<br />

Frühwerk von Johannes Schilling<br />

der Tageszeiten an der<br />

Treppe der Brühlschen<br />

Terrasse in Dresden,<br />

dort auch die Denkmäler<br />

für Rietschel und<br />

Semper, die Quadriga<br />

auf dem Opernhaus sowie<br />

das Reiterstandbild<br />

König Johanns auf dem<br />

Opernplatz. Bekannt ist<br />

das Niederwalddenkmal<br />

mit der Germania am<br />

Rhein zur Erinnerung<br />

an die Reichseinigung<br />

1871. Denkmäler für<br />

Kaiser Wilhelm I. entstanden<br />

für Dortmund,<br />

Wiesbaden, Prenzlau<br />

und Hamburg, für Bismarck<br />

in Gotha, für<br />

Schiller in Wien. Das<br />

Schilling-Museum mit<br />

zahlreichen Modellen<br />

(1888) in Dresden fiel<br />

den Bombenangriffen<br />

1945 zum Opfer. Görlitz<br />

kann stolz darauf sein, Demiani-Denkmal am Stadttheater 1938<br />

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Geschichte |<br />

31


Demiani-Denkmal in Görlitz<br />

noch ein Originalwerk<br />

des damals geschätzten<br />

Künstlers zu besitzen.<br />

Mehrmals mußte es,<br />

wie andere Denkmäler<br />

auch, seinen Standort<br />

wechseln. Zunächst<br />

stand es mitten auf<br />

dem Marienplatz, nur<br />

durch einen (damals<br />

üblichen) Eisenzaun<br />

vom Alltag der Görlitzer<br />

getrennt. Während<br />

der gärtnerischen Neugestaltung<br />

des Demianiplatzes<br />

1933/1934<br />

zog es zur Ostseite des<br />

Theaters um, dort umgeben<br />

von Blautannen<br />

und einem Blumenbeet,<br />

doch ohne Zaun. (Aus<br />

ästhetischen Gründen<br />

und wegen des begehrten<br />

Schrotts verschwanden<br />

damals viele Metallzäune<br />

aus Vorgärten<br />

und von Grabanlagen.) Demiani-Denkmal nach der Sanierung um 2005<br />

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32<br />

Geschichte |


Demiani-Denkmal<br />

Frühwerk von Johannes Schilling<br />

Über zwei Jahrzehnte nach Kriegsende<br />

wurde die Autostraße vom Grünen<br />

Graben her dicht um den Ostflügel des<br />

Theaters gelegt und das Denkmal in<br />

die Grünanlagen zwischen Theater und<br />

Kaisertrutz versetzt, von wo inzwischen<br />

das Kanonendenkmal von 1874 entfernt<br />

worden war. Mehrmals verschwanden<br />

Einzelteile (Orden, Stadtplan), wurden<br />

jedoch wiedergefunden oder erneuert.<br />

Die Denkmalbronze war mittlerweile<br />

stark verschmutzt. Im Zuge großzügiger<br />

Stadtsanierung nach 1990 wurden Sockel<br />

und Figur sorgfältig restauriert und<br />

werden seither regelmäßig gewartet.<br />

Über einen neuen Standort wird nachgedacht.<br />

Erstaunlicherweise war eine<br />

Wiederaufstellung auf dem Marienplatz<br />

in der Ausschreibung für die umstrittene<br />

Umgestaltung zwischen Warenhaus<br />

und Dickem Turm gar nicht vorgesehen.<br />

Über Demianis Lebensweg und Leistung<br />

ist immer noch wenig bekannt und auch<br />

kaum geforscht worden. 2011 ist der<br />

225. Geburtstag Demianis, 2012 sind<br />

150 Jahre seit der Denkmalweihe vergangen.<br />

Bis dahin ist nur noch wenig<br />

Oberbürgermeister Demiani,<br />

Lithographie um 1840<br />

Zeit, Versäumtes nachzuholen. Für die<br />

aktuelle Diskussion über das Verhältnis<br />

von Tradition und Moderne könnte dabei<br />

Nützliches herausgekommen.<br />

Dr. Ernst Kretzschmar<br />

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Geschichte |<br />

33


Verbotene Kunst<br />

Kunst<br />

Verbotene Kunst.<br />

Bilder von Karl Schmidt-Rottluff<br />

für Helmuth James von Moltke<br />

Eine Sonderausstellung des Schlesischen<br />

Museums zu Görlitz und der Stiftung<br />

Kreisau für Europäische Verständigung<br />

vom 5. <strong>Juli</strong> bis 21. September<br />

<strong>2008</strong>.<br />

Ein Maler wird auf ein Landgut in Niederschlesien<br />

eingeladen, verbringt dort<br />

einige Tage und malt Aquarelle – das<br />

klingt wie der Ausgangspunkt für eine<br />

ländliche Idylle. Aber in diesem Fall ist<br />

alles anders: es ist das Jahr 1942, es<br />

herrscht Krieg, der Maler ist ein verfemter<br />

Expressionist, und das Landgut heißt<br />

Kreisau. Hier ist das geheime Zentrum<br />

einer der wichtigsten Widerstandsgruppen<br />

gegen die NS-Diktatur.<br />

Der Maler Karl Schmidt-Rottluff ahnte<br />

wohl kaum, wohin er geraten war. Die<br />

politisch oppositionelle Haltung seines<br />

Gastgebers, Helmuth James von Moltke,<br />

war ihm zwar bekannt, von den konspirativen<br />

Treffen des „Kreisauer Kreises“<br />

wusste er jedoch nichts. Moltke<br />

sah bereits 1941 voraus, dass Deutschland<br />

den Krieg und in der Folge seine<br />

östlichen Provinzen, darunter Schlesien,<br />

verlieren würde. Er wünschte sich daher<br />

Erinnerungsbilder von hoher künstlerischer<br />

Qualität. Dafür ging er sogar das<br />

Risiko ein, einen als „entartet“ gebrandmarkten<br />

Maler in sein heute legendäres<br />

„Berghaus“ einzuladen.<br />

Mit Schmidt-Rottluffs Aufenthalt in Kreisau<br />

berühren sich für einen historischen<br />

Moment zwei Sphären, die sonst wenig<br />

miteinander zu tun hatten: der politische<br />

Widerstand gegen die Nationalsozialisten<br />

und die geschmähte, in den<br />

Untergrund abgedrängte Kunstmoderne.<br />

Von Rechts wegen hätte der Künstler<br />

die Einladung gar nicht annehmen<br />

dürfen, denn jede künstlerische Tätigkeit<br />

war ihm seit April 1941 verboten.<br />

Nur sechs Blätter aus der ursprünglichen<br />

Bildserie sind heute erhalten und<br />

befinden sich in Privatbesitz. Dank der<br />

Leihgaben aus der Familie von Moltke<br />

eröffnet sich erstmals die Gelegenheit,<br />

diese näher zu studieren.<br />

Dank der Zusammenarbeit mit Freya<br />

von Moltke, seit 1999 Brückepreisträgerin<br />

der Stadt Görlitz, war eine Rekonstruktion<br />

ihrer Entstehungsgeschichte<br />

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34<br />

Sonderausstellung |


Verbotene<br />

Sonderausstellung<br />

Kunst<br />

möglich. In Görlitz<br />

erinnert heute die<br />

„James-von-Moltke-<br />

Straße“ noch an die<br />

Freunde im „Kreisauer<br />

Kreis“, die für<br />

ein friedliches und<br />

demokratisches Europa<br />

einstanden.<br />

Die Ausstellung ist<br />

im Görlitzer Schönhof,<br />

Brüderstraße 8,<br />

vom 5. <strong>Juli</strong> bis 21.<br />

September zu sehen.<br />

Das Museum<br />

lädt herzlich zu einem<br />

vielfältigen Begleitprogramm mit<br />

Vorträgen, Führungen, Schüler-Workshops<br />

und einer Exkursion nach Kreisau<br />

ein. Am 18.9. wird Helmuth Caspar<br />

von Moltke, der älteste Sohn des Widerstandskämpfers,<br />

zu Gast im Schlesischen<br />

Museum sein. Zur Ausstellung erscheint<br />

ein deutsch-polnischer Katalog<br />

mit zahlreichen Abbildungen zum Preis<br />

von 7,90 €.<br />

Die Stiftung Kreisau für Europäische<br />

Verständigung wird die Ausstellung<br />

mit Bild-Reproduktionen vom 3.10. bis<br />

18.11.<strong>2008</strong> zeigen.<br />

Text: Schlesisches Museum zu Görlitz<br />

Bildtitel: Karl Schmidt-Rottluff: ohne Titel<br />

[Kreisau, Blick zum Zobten über die<br />

Zuckerrüben], undatiert [1942], Aquarell<br />

und Tuschpinselzeichnung, Privatbesitz,<br />

Foto: © VG Bild-Kunst, Bonn <strong>2008</strong><br />

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Sonderausstellung |<br />

35


Das alte<br />

alte<br />

Görlitz 1833<br />

Görlitz<br />

-<br />

1833 -<br />

einigen Mitgliedern<br />

patrizischer<br />

Familien bestehend,<br />

stand eine<br />

Repräsentation<br />

ohne Bedeutung.<br />

Die verschiedenen<br />

Zweige<br />

der städtischen<br />

Verwaltung waren<br />

zersplittert,<br />

ohne einheitliche<br />

Leitung, ebenso<br />

die dazugehörigen<br />

Kassen.<br />

Die Presse stand<br />

Hothertor, Lithographie von W. Starke, um 1845<br />

unter der Zensur<br />

und durfte<br />

Die Oberlausitz war durch den Wiener Mißliebiges weder in staatlichen noch<br />

Frieden geteilt worden. Die Kreise Görlitz,<br />

Lauban, Rothenburg, Hoyerswerda Es fehlte daher jede energische Anre-<br />

kommunalen Angelegenheiten bringen.<br />

und einige Theile des Bunzlauer, Saganer<br />

und Sorauer Kreises bildeten die ein Schlendrian, der alles beim Alten<br />

gung von außen; die Folge davon war<br />

preußische Oberlausitz.<br />

und die bedeutenden Mittel der Stadt<br />

In Görlitz galt noch die alte Städteverfassung.<br />

Neben dem Magistrat , aus Man sah es der äußeren Erscheinung<br />

im Sande verlaufen ließ.<br />

den lebenslänglichen Besoldeten und der Stadt an, dass sie lange, lange Zeit<br />

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36<br />

Geschichte |


Erinnerungen eines Oberbürgermeisters<br />

in ihrer Entwicklung stehen geblieben<br />

war, sie hatte durchaus das Gepräge<br />

einer alten Stadt. Man sah sehr wenige<br />

Neubauten von Privaten, gar keine<br />

öffentlichen. Selbst der Abputz war<br />

alt. Aber die Stadt erschien interessanter<br />

als heute. Ihre alten Befestigungen<br />

gaben ihr ein vornehmes charakteristisches<br />

Ansehen. Die innere alte Stadt,<br />

deren nordöstlichster Teil, ein von zwei<br />

Seiten schroff abfallender Fels von der<br />

herrlichen Peterskirche und dem Vogtshof<br />

(später Landhaus und Strafanstalt)<br />

gekrönt war, war rings von einem tiefen<br />

Zwinger umgeben, den von beiden<br />

Seiten Befestigungsmauern einschlossen,<br />

von Strecke zu Strecke von Basteien<br />

und Türmen unterbrochen. Den<br />

Zugang zur Stadt von der alten damals<br />

einzigen Neißbrücke aus bewachte ein<br />

Turm, der später abgebrochen wurde.<br />

Von der nahen Bastei, dem Ochsenkopf,<br />

ging der Zwinger herauf nach der südöstlichen<br />

Ecke der Stadt oberhalb der<br />

jetzigen Körnerschen Maschinenbauanstalt,<br />

von da nach dem dicken Turm am<br />

Frauentor, von dort um das Waisenhaus<br />

herum nach dem Reichenbacher Tor am<br />

Kaisertrutz und weiter am Grünen Graben<br />

fort bis zur jetzigen Kaserne, und<br />

herab zum Nicolaitor. Dann stieg er an<br />

der Berglehne hinter der Strafanstalt hinauf<br />

und um dieselbe herum zur Peterskirche,<br />

von wo eine einfache Mauer zur<br />

Neißbrücke hinabstieg. Bei den Toren<br />

war der Zwinger überbrückt, zum Teil<br />

auch wie am inneren Frauentor und Reichenbacher<br />

Tor mit besonderen Befestigungswerken<br />

versehen, deren Bedeutendstes<br />

der damals noch von einem<br />

tiefen Zwinger umgebene Kaisertrutz<br />

war. An Toren führten zur inneren Stadt<br />

nur das Neißtor, Nicolai-, Reichenbacher<br />

und innere Frauentor und am Ende der<br />

Weberstraße eine ganz schmale Pforte<br />

in eine Bastei, an welche sich außerhalb<br />

der Stadt ein schmaler Promenadenweg<br />

anschloss, der zwischen Gärten<br />

zum Schützenweg hinführte. Die breite<br />

Friedrich-Wilhelm-Straße, die Elisabeth-,<br />

Kloster-, Bismarckstraße, die Ausgänge<br />

aus der inneren Stadt an der Annen-Kapelle,<br />

an dem Ende der langen Straße,<br />

an der Kaserne wie diese selbst und die<br />

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Geschichte | 37


Das alte<br />

alte<br />

Görlitz 1833<br />

Görlitz<br />

-<br />

1833 -<br />

massive Neißbrücke sind neue Schöpfungen,<br />

ebenso die Ufer- und Bergstraße.<br />

Die Nikolai-Vorstadt ist ziemlich<br />

unverändert geblieben, nur weiter ausgebaut.<br />

Wo jetzt die Elisabethstraße ist,<br />

war damals der tiefe Schießzwinger, zu<br />

Schießübungen einer Schützengesellschaft<br />

bestimmt, nördlich davon keine<br />

Straße, sondern die Hinterhäuser des<br />

Fischmarkts und der Nonnenstraße, und<br />

dazwischen der städtische Marstall, südlich<br />

die Rahmen der Tuchmacher, ununterbrochen<br />

von der Pforte bis zum Frauentor.<br />

An der Frauenkirche befand sich<br />

das äußere Frauentor.<br />

Von da zog sich eine lange Reihe miserabler<br />

meist mit Schindeln gedeckter<br />

Häuser, die sogenannten Radelauben,<br />

jetzt Demianiplatz, nach dem Bautzner<br />

Tor hin, das die Bautzener Vorstadt<br />

abschloss. Nach Süden gingen von der<br />

Stadt strahlenförmig der Mühlweg, die<br />

Sommerstraße jetzt Molktestraße, die<br />

Consul-, Jacobs-, Salomonstraße, alle<br />

nur mit vereinzelten Häusern und landwirtschaftlichen<br />

Gehöften der sogenannten<br />

Stadtgärtner besetzt, ebenso<br />

war die Kröls-, Laubaner-, Rothenburger-,<br />

Bautzner Straße und die heilige<br />

Grabstraße beschaffen, alles Straßen<br />

ohne geschlossene Häuserreihen. Verbindungsstraßen<br />

dieser Vorstadtstraßen<br />

untereinander bestanden nur ganz ausnahmsweise.<br />

Die Blumen-, Garten-, innere<br />

und äußere Bahnhofstraße, Schul-,<br />

Hospital-, Dresdner- und Leipziger Straße,<br />

auch die Zittauer Straße sind sämtlich<br />

nach 1833 erstanden. Diese Straßentrakte<br />

und ihr Terrain waren Acker,<br />

so wie der jetzige Wilhelms- und Dresdner<br />

Platz.<br />

Die prächtige Lindenallee vom Mühlweg<br />

zum alten Schützenhause an der Neiße<br />

bestand schon und schloß die städtischen<br />

Baumpflanzungen ab; das ganze Terrain<br />

südlich dieser Allee war damals eine<br />

schlechte nackte Viehweide. Erst durch<br />

die von der Stadt provozierte Separation<br />

der Weideberechtigten wurde der Teil,<br />

der den jetzigen städtischen Park bildet,<br />

freies Eigentum der Stadt und konnte<br />

nun zum Park umgestaltet werden. Auf<br />

dem schönen Grundstück des jetzigen<br />

Reichstagsabgeordneten Lüders stand<br />

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38<br />

Geschichte |


Erinnerungen eines Oberbürgermeisters<br />

Rademarkt, Aquarell um 1845<br />

bis dahin die Vogelstange der Schützengilde<br />

zum Armbrustschießen; außerdem<br />

war es Scherbengrube zur Schuttablagerung.<br />

Die großen Gärten des Geheimen<br />

Commerzienrat Schmidt, Fabrikbesitzer<br />

Geisler, Commerzienrat Müller, Landgerichtsrat<br />

Wiesner sind später aus zusammengekauften<br />

kleinen Abfindungsparzellen<br />

zahlreicher Weideberechtigten<br />

entstanden; das<br />

Ständehaus-<br />

Grundstück war<br />

Acker. Nach dem<br />

kahlen unbebauten<br />

Obermühlberg<br />

führte ein<br />

schmaler Pfad.<br />

So sah das Äußere<br />

der Stadt aus,<br />

als die Städte-<br />

Ordnung 1833<br />

eingeführt wurde.<br />

An der Spitze der<br />

städtischen Verwaltung<br />

stand<br />

fortan und bis<br />

1846 der Bürgermeister Demiani, den<br />

König Friedrich Wilhelm IV. 1844 selbst<br />

bei einem Besuch in Görlitz zum Oberbürgermeister,<br />

dem ersten von Görlitz,<br />

ernannte.<br />

Hugo Sattig: Erinnerungen aus meinem<br />

Leben (Ausschnitt), 1884<br />

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Geschichte |<br />

39


Die ersten<br />

Ortschronik<br />

Herrschaften von Deutsch-Ossig<br />

Heinrich von Salza war der erste urkundlich<br />

erwähnte Besitzer von Deutsch-Ossig.<br />

Das Gut lag südlich der Wehranlage.<br />

Bei der Anlage selbst befand sich<br />

ein Vorwerk. Dieses ist als ist der alte<br />

Ortskern entlang der Straße anzunehmen,<br />

zumal sich in diesem Bereich später<br />

auch Gasthöfe, Schule und Pfarrhaus<br />

befanden. Das trifft um so mehr zu, als<br />

bei Hochwasser der Neiße allein dieser<br />

Abschnitt verschont blieb. Die Einwohner<br />

selbst aber siedelten sich auch „verstreut“<br />

an.<br />

1336 folgte Heinrich von Salza sein<br />

Sohn Albrecht. Da diese Jahreszahl fast<br />

zeitgleich mit der Erwähnung des ersten<br />

Pfarrers in Deutsch-Ossig( 1335) übereinstimmt,<br />

ist anzunehmen, dass in diesem<br />

Zeitraum auch die Ortsgründung<br />

erfolgt ist. Die Ritter ließen ihre Kirche<br />

zur Pfarrkirche erheben. Dazu mußten<br />

aber mindestens zehn Familien hier ihren<br />

Wohnsitz haben.<br />

1390 wird durch einen Wulfram der Besitzerwechsel<br />

angezeigt, der das Gut<br />

aber 1410 an Jakob Schleiffe verkaufte.<br />

Nach dessen baldigem Tode ging es an<br />

seinen Sohn Heinz. Seine beiden anderen<br />

Söhne erhielten aus seinem Besitz<br />

Köslitz, jenseits der Neiße. Dieser vor<br />

Wendisch-Ossig gelegene und später<br />

zu diesem Ort gehörende Besitz befand<br />

sich auf einer Anhöhe. In Verbindung<br />

mit Deutsch-Ossig diente er zur Sicherung<br />

der Landstraße am gegenüberliegenden<br />

Ufer der Neiße.<br />

Heinz Schleiffe wurde testamentarisch<br />

verpflichtet, „ den beiden Schwestern,<br />

wenn sie mannbar geworden oder von<br />

ihm scheiden wollten, je 210 Mk zu geben<br />

und sie bis dahin zu beköstigen“.<br />

Er verkaufte dann lieber, so dass das<br />

Gut Deutsch-Ossig von 1416 bis 1420<br />

im Besitz Albrechts von Tschirnhaus war.<br />

Es folgte eine lange Zeit als Familieneigentum<br />

derer von Canitz (bis 1486).<br />

Bernhard Canitz tat sich wie sein Sohn<br />

als Hussitenbekämpfer hervor. Die Folge<br />

war, dass die Hussiten 1426 Deutsch-<br />

Ossig heimsuchten. Sie verwüsteten den<br />

Ort und zerstörten die Kapelle (sie verfuhren<br />

mit ihr „ärger als ein wilder Eber<br />

mit einem Garten“), entweihten allen<br />

Kirchenornat, rissen die Bildnisse der<br />

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40<br />

Geschichte |


Die<br />

bis zur<br />

Ortschronik<br />

Teilung der Güter Teil II<br />

Bauern bringen den Zins, 15. Jhd.<br />

Heiligen ab und verbrannten sie. 1431<br />

überzogen sie den Ort noch einmal, wobei<br />

sie mit „Brandschatzung und Plünderung<br />

viel Greuel verübten“.<br />

Nach Bernhard und Georg kam 1446 Andreas<br />

von Canitz. Er war in Prag bei der<br />

Huldigung des Böhmenkönigs Georg Podiebrad<br />

zugegen, gehörte somit zu den<br />

führenden Männern der Oberlausitz. In<br />

politischen Dingen waren sie aber oft<br />

schlecht beraten. Als das Markgrafentum<br />

Oberlausitz an die Ungarn und damit<br />

an Matthias Corvinius kam, bildeten<br />

sich in Görlitz zwei Lager, die<br />

sich heftig bekämpften.<br />

1470 segnete Andreas von<br />

Canitz das Zeitliche, und<br />

Deutsch-Ossig bekamen seine<br />

Söhne und die Witwe Anna<br />

geb. Emmerich. Von den Erben<br />

des Andreas Canitz verschaffte<br />

sein Sohn Georg<br />

am 22. Mai 1486 der Kirche<br />

Deutsch-Ossig einen Ablaßbrief.<br />

1499 verkauften die Gebrüder<br />

Canitz das Gut an ihren<br />

Schwager Peter Frenzel<br />

für 1129 ung. Gulden, ab 1515 gehörte<br />

es Hans Frenzel. Diese Familie war<br />

eine der reichsten von Görlitz, unter anderem<br />

wurde durch diese Familie die<br />

Annenkapelle gestiftet. Nach und nach<br />

kauften die Frenzels die Güter der Umgebung<br />

auf. Sie sind aber dann im Laufe<br />

der Zeit verarmt und „haben sich unter<br />

dem gemeinen Bürgerstande von Görlitz<br />

fortgepflanzt“.<br />

1526 verkaufte Hans Frenzel an den<br />

Görlitzer Bürgermeister Peter Thile<br />

(Tyle). Diese Überschreibung ist inso-<br />

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Geschichte |<br />

41


Die ersten<br />

Ortschronik<br />

Herrschaften von Deutsch-Ossig<br />

Ossig nicht haben einigen können, ist<br />

von König Ferdinand I., König in Böhmen<br />

und Markgraf der Oberlausitz, den<br />

Erben befohlen worden, das Gut zu teilen.<br />

Die Gebrüder Tyle und deren Vormund<br />

Andreas Emmerich haben mit ihren<br />

Schwägern Schnitter und Sibeth um<br />

ihr väterliches Gut auch unterhandelt<br />

und die Schwäger mit Geld abfinden<br />

wollen, sich aber nicht einigen können.<br />

Hansen hat aber für seinen Teil 1000 Taler<br />

als Abfindung genommen. Der Bruder<br />

Zacharias war noch vor der Teilung<br />

gestorben. Es sind nun vier Kommissionen<br />

vom Landvogt verordnet worden,<br />

auch diese haben keine Einigung vermitteln<br />

können. Die Schwäger haben<br />

stur auf die Teilung bestanden und sich<br />

nicht davon abbringen lassen. Der Streit<br />

dauerte an, und seinetwegen sind die<br />

Streitenden auch mit dem Görlitzer Rat<br />

in große Schwierigkeiten geraten. „Auf<br />

mehrmaliges Citieren des Rates sind sie<br />

mutwillig ausgeblieben und haben den<br />

Rat verspottet. Darauf hat der Rat nach<br />

denselben getrachtet und sie endlich in<br />

Bernstadt angetroffen, den Andreas Emfern<br />

von Bedeutung, als Deutsch-Ossig<br />

von da ab an eine Reihe von Görlitzer<br />

Bürgermeister gelangte, darunter waren<br />

solche berühmten Namen wie Scultetus<br />

und Tuchscher(er), die Deutsch-Ossig in<br />

Verbindung mit Jakob Böhme und seinen<br />

Gegnern brachte. Ein Grabstein derer<br />

von Schollenstern (Scultetus) findet<br />

sich gänzlich verwittert auf dem Kirchhof.<br />

Auch eine Gruft muß da noch vorhanden<br />

sein.<br />

Bürgermeister Thile war der Schwager<br />

von Hans Frenzel. Am 13. September<br />

1535 ereilte ihn in der Badestube der<br />

Schlag. Unvermittelt, denn er hinterließ<br />

kein Testament. Die Erben stritten<br />

sich dann über zwölf Jahre um den Besitz<br />

von Deutsch-Ossig, bis dieser Streit<br />

sich dramatisch zuspitzte. Folgendes ist<br />

darüber bekannt: Nachdem nun Peter<br />

Tyle, Erbherr auf Deutsch-Ossig, Bürger-<br />

und Ratsältester in Görlitz, gestorben<br />

und dessen 7 hinterlassene Kinder:<br />

Peter, Elias, David, Zacharias, Hansen,<br />

Sara und Ursula - verheiratet war Sara<br />

mit Paul Schnitter und Ursula mit Caspar<br />

Sibeth - sich in Güte um Deutsch-<br />

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42<br />

Geschichte |


Die<br />

bis zur<br />

Ortschronik<br />

Teilung der Güter Teil II<br />

Landwirtschaftliche Arbeiten, 15. Jhd.<br />

merich als Vormund und den Elias Tyle,<br />

welcher im Fieber lag, gefänglich eingezogen<br />

und mit 25 Mann zu Fuß und vier<br />

Reitern, an einer Kutsche angeschmiedet,<br />

nach Görlitz geholt. Elias Tyle ist in<br />

den Nickelsturm (Nikolaiturm) und Andreas<br />

Emmerich in den Reichenbacher<br />

Turm gesetzt worden. Peter und David,<br />

welche ebenfalls flüchtig waren, sind zu<br />

Turnau in Böhmen gefangengenommen<br />

und mit 20 Hakenschützen nach Görlitz<br />

gebracht und jeder in einen besonderen<br />

Turm gesteckt worden.“<br />

Dieses harte Ringen zeigt, dass<br />

sich der Streit um Deutsch-<br />

Ossig bereits lohnte. Warum,<br />

wird durch die Teilung deutlich.<br />

Paul Schnitter als Gatte<br />

der Sara Thile und Caspar Sibeth<br />

als Gatte der Ursula Thile<br />

erhielten das obere Gut und<br />

300 Taler. David Thile fiel der<br />

Niederhof zu. Peter und Elias<br />

Thile bekamen das Stammgut<br />

Mittel-Deutsch-Ossig, das<br />

sie teilten. Das eigentliche<br />

Gut wurde Mittel-Deutsch-Ossig<br />

I, das Vorwerk bei je einem Drittel<br />

Zuschlag von I und dem Nieder-Gut zu<br />

II. Bleibt anzumerken, dass zu der Zeit<br />

der evangelische Pfarrer gänzlich unversorgt<br />

war.<br />

(Fortsetzung folgt)<br />

Dieter Liebig, Volker Richter, Zusammengestellt<br />

durch Dr. Ingrid Oertel<br />

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Geschichte |<br />

43


Görlitzer<br />

Geschichten aus dem Görlitzer Stadtverkehr -<br />

dienststellung nahezu<br />

unverändert im Einsatz.<br />

Lediglich Wagen Nr. 432<br />

(in Görlitz Nr.67) hatte<br />

irgendwann einmal ein<br />

anderes Laufgestell erhalten,<br />

und bei Nr.438<br />

(die nicht nach Görlitz<br />

kam) wurden 1916 die<br />

Plattformen im Fensterbereich<br />

verglast. Da die<br />

Anhänger noch unterhalb<br />

der Seitenfenster<br />

Lößnitzbahnanhänger 439 um 1920<br />

holzbeplankt waren, erhielten<br />

sie noch vor ihrem ersten Einsatz<br />

Zu den zweifellos prägnantesten Fahrzeugen<br />

in der mehr als 115 jährigen Geschichte<br />

der Görlitzer Straßenbahn zähkleidung,<br />

welche bis zur Aussonderung<br />

in unserer Stadt eine glatte Blechverlen<br />

die neun in der Zeit von November nicht mehr verändert worden ist. 1936<br />

1930 bis Januar 1931 von der meterspurigen<br />

Lößnitzbahn in Kötzschenbro-<br />

Perrons in Verbindung mit einfachen<br />

kamen dann die so markanten eckigen<br />

da (heute Radebeul) nach deren Umspurung<br />

auf die Dresdener Stadtspur folgten in der betriebseigenen Werk-<br />

Schiebetüren hinzu. Alle Umbauten er-<br />

(1450 mm) übernommenen neun Anhänger<br />

der dortigen Serie 428 bis 439. Wagen bis zu ihrer Außerdienststellung<br />

statt. In dieser Gestalt erlebte man die<br />

Die Fahrzeuge wurden 1900 bis 1901 in in den sechziger Jahren- meist hinter<br />

der in Dresden ansässigen Firma Stoll WUMAG- oder den kleinen Umbautriebwagen,<br />

aber auch im Zugverband hergestellt und waren bis zu ihrer Außer-<br />

mit<br />

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44<br />

Geschichte |


Görlitzer<br />

Die Dresdener Anhänger<br />

Stadtverkehr<br />

dem ehemaligen Berliner<br />

Triebwagen Nr.20 II<br />

(19<strong>61</strong>-62) sowie LOWA<br />

- Triebwagen (1956 bis<br />

1967). Sie waren so allgegenwärtig<br />

im Alltagsbild<br />

unserer Stadt während<br />

dreier Jahrzehnte<br />

wie kaum ein anderer<br />

Straßenbahntyp. Anfangs<br />

kannte man sie unter<br />

den Nummern 59II bis<br />

67 (wobei die Nr.59 II<br />

ganz am Anfang noch<br />

kurze Zeit unter der Nummer 68 zum<br />

Einsatz kam). Da man mit dem Zulauf<br />

von Nachkriegsanhängern aus erster<br />

oder zweiter Hand lange noch nicht völlig<br />

auf die markanten Wagen verzichten<br />

konnte, sind einige von ihnen ab 1962<br />

zum Teil mehrmals umnummeriert worden<br />

(1962: Nr.60 II in 68 II, <strong>61</strong> II in<br />

69, 1964 Nr. 62 II in 70, Nr.63 II in 71,<br />

1966 Nr. 64 II in 72, 1967 Nr.67 in 73,<br />

1968 Nr.68 II in 71 II). Ab 1962 erfolgte<br />

sukzessive die Außerdienststellung. Sie<br />

begann mit dem Wagen Nr.59 II, dem<br />

BW. 67 im Jahre 1966<br />

die Nr.65, 66 u. 71 ex. 63 II (1967), Nr.<br />

72 ex.64 II, 69 ex.<strong>61</strong> II (1968) sowie<br />

70 ex.62 II und 71 II ex.68 II ex.60 II<br />

ein Jahr später folgten. Noch im Frühjahr<br />

1970 konnte man dem Anhänger<br />

Nr. 73 ex.67 täglich hinter dem WU-<br />

MAG- Triebwagen Nr.24 II von 1928 auf<br />

der Linie 2 begegnen, ehe schließlich im<br />

April 1970 der Personenverkehr mit diesen<br />

Oldtimern endete. Ab 1962 war der<br />

Anhänger 59 II (ex.68) im Winterdienst<br />

als Salzanhänger mit der Nummer 112<br />

eingesetzt, dem gut sechs Jahre spä-<br />

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Geschichte |<br />

45


Görlitzer<br />

Geschichten aus dem Görlitzer Stadtverkehr -<br />

ter der Wagen Nr.69 ex.<strong>61</strong> II mit der<br />

Nummer 111 II, aber ansonsten nahezu<br />

baugleich folgte. Die dunkelgrün lackierten<br />

Salzwagen sind bis 1975 eingesetzt<br />

worden, ehe ihr Abbruch Ende<br />

1975 (112) bzw. bis 30.06.1976 (111<br />

II) erfolgt ist. Erhalten geblieben ist keines<br />

dieser Fahrzeuge, wohl aber ein in<br />

Dresden sehr häufig eingesetztes Fahrgestell,<br />

mit dem anfangs alle Stollanhänger<br />

unterwegs waren, hergestellt<br />

bei der Breslauer Firma Meinecke. Bleibt<br />

noch die Kapazität nachzutragen. In den<br />

Wagen waren 24 Sitz- und 17 Stehplätze<br />

vorhanden. Die Holzsitze verfügten über<br />

gedrechselte Füße. Der Komfort war aus<br />

heutiger Sicht eher spartanisch. Sehr<br />

markant waren die laternenförmigen<br />

Dächer, welche in dieser Bauart typisch<br />

für viele Dresdener Straßenbahnen um<br />

die Jahrhundertwende waren und deren<br />

hölzerne Aufbauten sich in den letzten<br />

Einsatzjahren nach innen zu neigen begannen,<br />

was besonders extrem bei den<br />

beiden Salzhängern auffiel. Übrigens<br />

hatten die Dresdener Anhänger in Görlitz<br />

erst etwa ab Mitte der vierziger Jahre<br />

Seitenwerbung unterhalb der Fenster,<br />

welche gut 10 Jahre später bereits wieder<br />

der Vergangenheit angehörte. Die<br />

seitlichen Dachschilder trugen häufig<br />

Landskron- Bier- Reklame. Das im Frühjahr<br />

1966 eingeführte farbige Stadtwappen<br />

an den Seitenwänden erlebten noch<br />

sechs der einst neun Dresdener Anhänger,<br />

die in Görlitz zum Einsatz kamen.<br />

Andreas Riedel, Wiesbaden<br />

(Fortsetzung folgt)<br />

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46<br />

Geschichte |

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